Melancholy Requiem von Flordelis ================================================================================ Kapitel 1: What a nightmare --------------------------- Es war dunkel. Sie hasste die Dunkelheit und das schon immer. In den vom Licht verlassenen Ecken konnte sich alles mögliche verstecken. Alles mögliche, das einem etwas antun konnte. Aber hier war es noch schlimmer. Sie sah absolut gar nichts, nicht mal ihre eigene Hand direkt vor ihren Augen. In der Ferne konnte sie unmenschliche Schreie hören, in der Luft lag der ekelhaft süßliche Verwesungsgeruch. Wo war sie hier nur gelandet? Sie durchsuchte ihre Taschen und stellte plötzlich fest, dass sie eine dünne Taschenlampe in der linken Hand hielt. Woher hatte sie diese? Sie besaß keine solche Lampe. Ohne weiter darüber nachzudenken, schaltete sie die Lampe ein. Der Lichtstrahl wanderte über verfallene Wände mit Blutspritzern daran. Der leere Raum selbst kam ihr bekannt vor, aber etwas in ihrem Kopf weigerte sich, ihr die Information zu geben. „Wo bin ich?“ Ihre Stimme durchdrang die Stille für einen Moment, nur um eben jene umso stärker und bedrohlicher erscheinen zu lassen. Eines war klar: Sie musste hier weg und das so schnell wie möglich. Der Lichtstrahl fand eine Tür. Sherry ging hindurch. Sie stand in einem schmutzigen Hausflur, blutgetränkte Gitter waren überall zu sehen. „Was geht hier vor?“ Hier draußen waren die Schreie lauter, aber sie klangen immer noch weit entfernt. Sie leuchtete ihre nähere Umgebung ab und musterte alles ganz genau. Ein kleines Messingschild war neben der halb verfallenen Tür angebracht, durch die sie gerade gelaufen war. Die Schrift darauf war kaum noch lesbar, sie konnte nur ein Sto erkennen, dann wurde es unleserlich. Verdreckte, ehemals weiße Fliesen, waren an der Wand angebracht, aber teilweise bereits heruntergefallen und zerbrochen. Langsam lief Sherry den Gang entlang. Ihre Schritte hallten von den Wänden wider. Je weiter sie ging desto lauter wurden die Schreie und auch das Geräusch eines sich drehenden Ventilators. Es gab keine weiteren Türen, lediglich rostige Gitterstäbe hinter denen seltsame Wesen auf und ab liefen. Vor einem dieser Gitter blieb Sherry stehen. Sie sahen aus wie Hunde, denen man einen schmutzigen Verband umgeschlungen hatte. Der Speichel troff ihnen aus dem offenen Maul, die lange Zunge hing an den Mundwinkeln heraus. Sherry hasste Hunde seit sie klein war. Als Kind war sie einmal von einem solchen angegriffen und blutig gebissen worden. Sie hatte es als Strafe Gottes gesehen, da sie gegen die Regeln verstoßen hatte. Zwei dieser Wesen schienen sie plötzlich zu bemerken. Sie wandten sich ihr zu und fletschten die Zähne. Das Gebiss der Wesen sah rasiermesserscharf aus und im Gegensatz zum heruntergekommenen Körper glänzte die nadelförmigen Zähne wie von einem Zahnarzt gepflegt. Das Knurren klang tief, dunkel und gleichzeitig sehr laut. Es dauerte nicht lange und auch die anderen Hunde (es mussten um die zehn Stück sein) bemerkten, dass etwas nicht stimmte. Sie versammelten sich vor dem Gitter und knurrte ebenfalls mit gefletschten Zähnen. Sherry wich zurück, bis sie die Wand hinter sich spürte. Ihre Hände zitterten, sie schaffte es nicht, ihren Blick von diesen Kreaturen abzuwenden. Der Lichtkegel ihrer Lampe huschte über die einzelnen Körper und beleuchtete sie in einer beängstigenden Art und Weise. Etwas Kaltes, Nasses tropfte auf ihre linke Schulter und weckte sie aus ihrer Starre. Ihr freie rechte Hand griff nach der Flüssigkeit. Sie war klebrig. Eigentlich wollte Sherry jetzt gar nicht mehr wissen, was es genau war. Einer der Hunde sprang gegen das Gitter. Mit einem lauten Knirschen gab das Gitter gefährlich nach – aber noch hielt es. Sie beschloss, nicht herausfinden zu wollen, wie lange es noch halten würde und rannte. Sie rannte den Gang entlang, der einfach kein Ende nehmen wollte. Noch mehr Gitter waren zu sehen, dahinter weitere Hunde. Hunde, die bellten und knurrten. Das Geräusch des Ventilators wurde lauter. Hinter ihr kamen rasch Schritte von unzähligen Hundepfoten näher. Eine Tür erschien vor Sherry. Sie warf sich dagegen – die Taschenlampe flog ihr aus der Hand und rollte über den Boden. Der Lichtkegel beleuchtete nur noch einen kleinen Ausschnitt des Ganges. Die Hunde blieben im Licht stehen. Das Blut kam durch die Verbände durch. Sherry rüttelte verzweifelt an der Tür. „Geh schon auf! Mach schon!“ Das Schloss gab kein bisschen nach, egal ob sie zog oder drückte. Die Hunde knurrten. Sie wussten genau, dass ihr Opfer in der Falle saß. Sie wandte sich wieder den seltsamen Wesen zu. Die Fangzähne glühten regelrecht im Licht der Taschenlampe. Sherry atmete schwer, ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Das waren die letzten Sekunden ihres Lebens, die letzten Sekunden in dieser unbekannten Hölle. Die Hunde sprangen gleichzeitig auf sie zu. Sie öffneten ihre geifernden Mäuler. Reflexartig riss sie ihre Arme hoch, sie erwartete den Schmerz - Schreiend fuhr sie hoch. Ihr Herz raste, die Atmung war kurz. Aufgeregt sah sie sich um. Sie lag auf einer Bank in einem Park. Obwohl es Nacht war, wehte ein warmer Wind durch die Bäume. Obdachlose auf den anderen Bänken sahen sie fragend an. In der Ferne konnte sie Autos fahren und hupen hören. Keine Spur mehr von dem unheimlichen Gang, der verschlossenen Tür oder den Hunden. Sie musterte ihre Arme. Nichts war zu sehen, also war der Angriff nicht echt gewesen. Panisch griff sie an ihre linke Schulter. Auch die Flüssigkeit war nicht mehr zu sehen. „Was für ein Albtraum.“, murmelte sie leise. Es war bei weitem nicht das erste Mal, dass sie irgendwo einschlief und dabei einen solchen Traum hatte, aber dieses Mal hatte es sich so ungewöhnlich real angefühlt. Und sie hatte länger als sonst geschlafen. Als sie in den Park gekommen war, war es noch hell gewesen. Und sie glaubte, diese Tür mit dem Messingschild schon einmal gesehen zu haben. Wo war das nur gewesen? Als sie merkte, dass die anderen sie immer noch anstarrten, stand sie auf und lief eilig in irgendeine Richtung davon. Es war egal wohin, hauptsache schnell weg von hier. Kaum hatte sie den Park hinter sich gelassen, konnte sie die Treppe der Station South Ashfield sehen. Am besten wäre es, wenn sie nach Hause fahren würde... Nach Hause, nach Silent Hill. Sie erschrak über diesen Gedanken. Sie war in der Nähe dieser Stadt aufgewachsen, hatte aber beschlossen, nie wieder dorthin zurückzukehren. Es waren keine guten Erinnerungen, die sie mit diesem Ort verband. Doch jetzt war da diese tiefe Sehnsucht, das Verlangen dorthin zurückzukehren und eine alte Rechnung zu begleichen. Vielleicht konnte sie auch diesen Gang dort finden und herausfinden, was hinter der Tür war – aber möglicherweise war das auch eine dumme Idee. Der Ort in ihrem Traum war eindeutig kein Ort, der irgendwo existieren konnte. Allein diese hundeähnlichen Wesen... Sie schüttelte sich und ging auf die Treppe zu. Davor blieb sie wieder stehen und sah hinunter. Das grelle Licht der Lampen im Untergrund schmerzte ihr sogar von hier oben in den Augen. Als sie die erste Stufe hinuntergehen wollte, hörte sie plötzlich eine sanfte Stimme: „Zwecklos. Um diese Zeit fährt kein Zug mehr. Und schon gar nicht nach Silent Hill.“ Sherry wandte den Kopf. Ein Mann in einem dunkelblauen Mantel stand gegen eine Straßenlaterne gelehnt. Seine schulterlangen braunen Haare waren leicht gewellt. Die Augen des Mannes waren auf einen unbestimmten Punkt in der Ferne fixiert, er war nicht rasiert. Er kam ihr bekannt vor, aber wieder weigerte sich ihr Gehirn ihr diese Information zu geben. „Wer sind Sie?“, fragte Sherry leise. „Mein Name ist... Gregory House. Du kannst mich Greg nennen, Sherry.“ „Woher kennen Sie meinen Namen?“ Er löste sich von dem Laternenmast und kam auf sie zu. „Ich weiß so einiges. Willst du wirklich zurück nach Silent Hill?“ Entgegen ihrer üblichen Gewohnheit sah sie ihn nicht als Bedrohung. Sie kannte ihn, aber ihr fiel beim besten Willen nicht ein, woher. Aber sie spürte sofort, dass sie ihn mal gemocht hatte. Sie nickte. „Ich weiß nicht warum, aber ich habe das Gefühl, dass ich dort hinmuss.“ „Die Stadt ruft dich, so wie sie auch mich ruft.“ „Machen Sie sich nicht lächerlich. Eine Stadt kann niemanden rufen.“ „Silent Hill ist keine Stadt wie andere. Das müsstest du wissen, Sherry. Die Stadt ruft die ihren zusammen zurück zum Ursprung.“ Instinktiv wich sie einen Schritt zurück, aber er glich ihn wieder aus. „Wir werden zusammen hinfahren, Sherry. Komm mit mir.“ „Was wollen Sie dort?“, fragte die junge Frau. Er breitete seine Arme aus. „Etwas suchen, das ich vergessen habe. Es ist sehr wichtig – aber ich weiß nicht mehr, was es war.“ „Dann kann es ja nicht so wichtig gewesen sein.“, spottete sie. Er lächelte sanft. „Mag sein. Also? Wirst du mit mir kommen?“ Sherry wollte ablehnen und in ihr Apartment zurückkehren, aber irgend etwas faszinierte sie nicht nur an der Stadt selbst, sondern auch an diesem Mann. Und sie brannte darauf, mehr über ihn, diese Stadt und nicht zuletzt ihre seltsamen Albträume zu erfahren. Dennoch... „Warum fahren Sie nicht alleine?“ „Das kann ich nicht. Ich brauche deine Hilfe dafür. Vielleicht verstehst du das noch nicht... aber du wirst es verstehen, wenn wir dort sind. Keine Sorge, ich werde an deiner Seite bleiben, dir wird nichts geschehen.“ Sherry war sich nicht so sicher darüber. Dennoch nickte sie. „Gut, in Ordnung. Aber wie willst du dort hinkommen?“ Er deutete auf einen Wagen in der Nähe. „Wir werden fahren.“ „Und wenn ich Nein sage?“ „Ich fürchte, dir bleibt keine große Wahl, Sherry. Kommst du?“ Sie wollte ablehnen und nach Hause in ihr kleines Apartment gehen. Aber etwas in ihr ließ sie nicht ablehnen. Wer immer dieser Mann war, sie spürte, dass er recht hatte und ihr keine Wahl blieb. Doch als sie zustimmen wollte, saß sie bereits auf dem Beifahrersitz des Wagens. Greg hatte sich auf den Fahrersitz gesetzt und lächelte sie an. „Bist du fertig? Du kannst während der Fahrt ruhig ein wenig weiterschlafen.“ „Hast du mich etwa beobachtet?“ „Oh ja.“ Ein wenig angewidert wich sie zurück. Er neigte sich vor und riss mit einer heftigen Handbewegung die Kabel heraus. „Was tust du da?!“, fragte sie schockiert. „Ich schließe den Wagen kurz. Weißt du zufällig, welche Drähte ich dafür brauche?“ „Woher soll ich das wissen?!“ Er zuckte mit seinen Schultern. „Dann eben nicht.“ Vorsichtig fummelte er an den Drähten herum. Sherry sah ihm mit gerunzelter Stirn dabei zu. Sie bezweifelte, dass er es schaffen könnte, den Wagen in Gang zu bringen. Plötzlich sprang der Motor an. Zufrieden setzte Greg sich wieder aufrecht hin. „Na bitte. Das ist deine letzte Gelegenheit, um auszusteigen und nach Hause zu gehen. Ansonsten fahren wir jetzt nach Silent Hill.“ Sherry senkte den Kopf und sah nachdenklich auf ihre Hände. In ihren Träumen wurden meist ihre Hände oder ihre Arme im Allgemeinen verletzt. Was, wenn sich diese Träume in der Stadt bewahrheiten würden? Was sollte sie ohne ihre Hände tun? Was sollte sie tun, wenn sie wirklich in Gefahr geriet? „Sherry, du fährst nur nach Hause. Warum überlegst du, ob dir etwas geschehen könnte?“ „Woher weißt du, was ich denke?“ „Mach dir darum keine Sorgen. Denk daran, dass ich bei dir bin. Dir wird nichts geschehen. Du weißt zwar nicht, wer ich bin – aber weißt du denn, wer du bist? In Silent Hill kannst du es herausfinden.“ „Ich bin dort aufgewachsen...“, sagte sie leise. „In einem Waisenhaus.“ „Ich auch.“, erwiderte er. „Also, wollen wir?“ Sherry nickte. Er legte den Gang ein und fuhr los. Obwohl Ashfield recht nah an Silent Hill lag, fuhren sie ziemlich lang. Es war dunkel und die Scheinwerfer des Wagens vertrieben die Dunkelheit nur gering. Es gab auch keine Laternen am Straßenrand, welche noch mehr Licht verbreiten könnten. Sherry kaute auf dem Fingernagel ihres rechten Daumens. Greg grinste. „Nägel kauen ist keine angenehme Sache. Hast du wenigstens eine Feile dabei oder kaust du so lange, bis du blutest?“ Peinlich berührt senkte sie ihre Hand wieder. „Tut mir Leid. Ich vergesse manchmal, dass ich das mache. He, sag mal... was genau willst du eigentlich in Silent Hill?“ „Etwas suchen, das auf das hinweist, was mit mir geschehen ist. Eigentlich genau dasselbe, was auch du vorhast, Sherry.“ „Gregory... warum hast du mich beobachtet?“ „Uns beide verbindet etwas. Immerhin kannst du mich sehen.“ Sie sah ihn überrascht an. „Was meinst du damit?“ Er kam nicht mehr dazu, zu antworten. Aus dem Augenwinkeln sah Sherry etwas im Scheinwerferlicht (ein Kaninchen? Nein, es war größer. Vielleicht ein Rehkitz.). Greg fluchte und riss das Steuer herum. Sherry schrie auf und krallte sich mit aller Macht an ihrer Tür fest. Greg riss das Lenkrad wieder in die andere Richtung. Der Wagen schleuderte herum, kam schließlich von der Straße ab und überschlug sich mehrmals. Sie sah seltsame Bilder von religiösen Symbolen von sich und hörte Stimmen, die ein Gebet zu sprechen schienen. Ein scharfer Schmerz zuckte durch ihren Kopf. Das Auto kam wieder zum Stehen. Sherry wandte ihren Blick nach links. Greg hing über dem Steuer, aber es war kein Blut zu sehen, also schien er nicht verletzt zu sein. Ihr wurde übel. Mit einem Ruck drückte sie die Tür auf und fiel aus dem Wagen. Sie war nicht angeschnallt gewesen. Ihr Kopf dröhnte. Unter heftigem Würgen erbrach sie sich, aber es kam nur Galle. Seit mehreren Tagen hatte sie nichts mehr gegessen gehabt. Plötzlich hörte sie Schritte hinter sich. „Na komm schon, die Stadt ist nah, wir müssen los.“ Sie brauchte sich nicht umzusehen, sie hörte bereits, dass es Greg war. Alles drehte sich, langsam verschwamm die Umgebung vor ihren Augen. „Du brauchst noch Ruhe? Okay, ich geh schon mal vor, wir treffen uns bei Neely's. Bis dann.“ Erneut erklangen Schritte, aber diesmal entfernten sie sich von ihr und verstummten schließlich ganz. Noch einmal hörte sie eine Stimme, aber es war nicht die von Greg: „Und Gott sprach, kehret zurück zum Ursprung der Sünde.“ Dann wurde alles schwarz. **************************************** Kapitel 1 war jetzt noch recht kurz, ich hoffe, dass ich es später länger und gleichzeitig mindestens genauso gut machen kann. ^^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)