Vampire gibt es nicht! von Eissocke (...oder doch?) ================================================================================ Kapitel 13: Sie gegen mich -------------------------- ~Kai~ Als Yuri aus dem Bad gekommen war, hätte ihre Gesichtsfarbe das Weiß jeder Wand dunkel aussehen lassen. Sie torkelte mehr, als dass sie aufrecht ging. Ich achtete wenig auf die blondierte Meute meiner Klassenkolleginnen um mich und hob Yuri hoch. Sie war zwar immer schon eine Schlafmütze gewesen, aber so schnell wie dieses Mal war sie noch nie eingeschlafen. Kaum lag ihr Kopf an meiner Schulter, hörte ich sie schon leise schnarchen. Das Zimmer war dasselbe wie letzte Nacht. Ich wusste, dass sie bei Stockbetten das obere Bett bevorzugte, also hob ich sie ohne größere Schwierigkeiten hoch. Sie war ja wirklich mehr ein Fliegengewicht, selbst für einfache menschliche Kräfte. Wie konnte man nur so leicht sein. Sie rollte sich sofort in die Decke ein und gab noch einen kurzen Schnarchlaut von sich, dann war sie auch schon wieder ruhig. Arme Yuri. Schlaf war wahrscheinlich das einzige, das gegen ihre Kopfschmerzen jetzt wirklich etwas bringen würde. Wenn sie normalerweise ihre Migräneattacken hatte, blieb sie einfach dem Unterricht fern und pennte den ganzen Tag durch im Zimmer der Schulkrankenschwester, bis ich ihr etwas vom Abendessen vorbei brachte. Seufzend kletterte ich die Leiter wieder hinunter und stellte stattdessen einen Sessel unter das Dachfenster. So dunkel wie diese Nacht hatte ich schon lange keine mehr gesehen. Ich hatte allgemein in meinem ganzen Leben noch keinen so mächtigen Sturm gesehen. Klar, das mit der Wetterfee war nicht ernst gemein gewesen. Und doch fragte ich mich manchmal, ob ich eigentlich von allen Geschöpfen meiner Gattung wusste. Wahrscheinlich nicht. Vater hatte nie besonders viel davon gehalten, mir die Dinge zu erklären, die er als kleiner Junge unbedingt wissen wollte. Vater hatte sich dann doch lieber mit seinem reinblütigen Sohn auf die Jagd gemacht. Kai knurrte kurz. Dieses Schloss hatte einfach zu viele unangenehme Erinnerungen. Acu mit eingeschlossen. Was hatte dieser Mistkerl eigentlich vor? Er hätte sie alle umbringen können, als er den Baum vor den Bus fallen ließ. Aber er hatte es nicht darauf angelegt. Stattdessen hatte er sie praktisch zurück zum Schloss gedrängt. Ich schnaufte. Was in den Gehirngängen dieses Verrückten vorging, war mir manchmal wirklich ein Rätsel. Ich streckte mich, stieg von dem Sessel herunter und ließ mich zurück in mein Bett fallen. Was auch immer er vorhaben sollte, es würde nicht schaden, wenn ich für das Durchkreuzen seiner Pläne zumindest ein bisschen geschlafen hatte. Gute Nacht. Als ein Ast mit einem lauten Knall gegen das Fenster donnerte, schoss ich hoch. Woah, das war vielleicht ein komischer Traum. Wobei, Traum… wohl eher mehr eine Erinnerung an meinen Albtraum von Kindheit. Na danke auch, Sandmännchen, solltest du existieren. Ich krabbelte benommen aus meinem Bett und schaute wieder zum Fenster hinaus. Das Unwetter hatte noch nicht wirklich an Kraft verloren. Stattdessen schien der Wind sogar noch etwas zugelegt zu haben. Igitt. Ich streckte mich, um den Schlaf von mir zu schütteln. Es war an der Zeit, mal nach dem Rechten zu sehen, nicht, dass Acu schon längst zugeschlagen hatte. Ich kletterte noch eben die Leiter hoch, um zu sehen, ob mit Yuri alles in Ordnung war. Erst dachte ich, dass die Dunkelheit meinen Augen einen Streich spielen wollte. Doch leider nein. Sie war wirklich weg. Verdammt! Ich riss die Tür auf. Die Gänge waren auch nicht wirklich heller als die Nacht draußen. Doch in einem Gang brannte eine Kerze. Die hatte dort definitiv noch nicht gestanden, als ich in das Zimmer gegangen war. Und der Duft erst… ich kannte ihn. Ein alter Lockstoff, den mein Vater bei der Beutejagd benutzt hatte. Zu viel Berechnung, um Zufall zu sein. Ich lauschte. Aus der Richtung, weiter entfernt, hörte ich das leise Heulen eines Luftzuges, der durch eine offene Tür oder ein gekipptes Fenster pfeifen musste. Das Fenster konnte man bei diesem Wetter aber dann doch ausschließen. Ich schauderte. Ich wusste, wohin dieser Gang führte. Und die Richtung gefiel mir nicht. Das alte Bild hinter der Kerze war dann noch eine unangenehme Erinnerung mehr. Wie zur Bestätigung miaute plötzlich etwas zu Füßen. „Luzifer.“ Ich wandte mich dem Kater mit dem vernarbten Auge zu. Acus Lieblingshaustier. Wobei das wohl untertrieben war. Luzifer war perfekt abgerichtet. Man konnte ihn wohl eher Acus Partner nennen. Und wenn der Kater hier rum lief, ganz ohne seinen Herren, stank das gewaltig. Ich drehte mich weg von dem Wandgemälde und wandte mich dem anderen Gang zu. Ein Teelicht am anderen Ende zeigte nicht wirklich, was hier auf nächtliche Besucher warten würde. Meine Füße setzen sich nur widerwillig in Bewegung. Bitte, lass Yuri nicht ausgerechnet hier lang gegangen zu sein. Unter meiner Fußsohle knirschte es. Nicht, dass es sonderlich schmerzhaft war, auf Glas zu treten. Die Heilkräfte eines Vampires waren unglaublich, selbst wenn ich sie nur zur Hälfte geerbt hatte. Aber angenehm war es trotzdem nicht. Dann versperrten auch noch alte Bücher meinen Weg. Luzifer sprang leichtfüßig über sie hinweg. Gleich daneben fand ich einen Hausschuh. Das durfte doch nun wirklich nicht wahr sein. Es war meiner. Ich hatte ihn im Zimmer abgestellt, als ich ins Bett gegangen war. Yuri hatte sich noch nie groß etwas daraus gemacht, sich mal eben meine Sachen zu borgen, wenn nichts anderes in der Nähe war. Was dann wohl bedeutete, sie hatte das Zimmer freiwillig verlassen. Mein Blick richtete sich von dem Hausschuh auf die schwere Tür gleich links von mir. Sie war wirklich einen Spalt breit geöffnet, der Wind pfiff hindurch. Warum nur ausgerechnet der Keller? Ich legte meine Hand auf die alte, eiserne Türklinke. In mir sträubte sich eigentlich alles, dort hinunter zu gehen. Als ich dieses Schloss verlassen hatte, wäre es mir nie in den Sinn gekommen, jemals wieder zurück zu kommen. Warum war nur unsere Lehrerin so von dem alten Gemäuer fasziniert gewesen! Aber trotzdem. Ich kannte Acu. Yuri war bei ihm, darauf hätte ich meine Zähne verwettet. Und ich konnte meine Freundin nicht mit diesem Scheusal alleine lassen. Kaum hatte ich die Türe aufgedrückt, flitzte Luzifer vor mir die Treppen hinunter. Der Windstoß blies mir den modrigen, mir so bekannten Gestank der Gruft entgegen. Ich rümpfte meine Nase und folgte dann dem Kater. Es war noch alles genauso wie früher. Die steinernen Wände waren eiskalt, der rote Teppich der Treppen machte die Szenerie auch nicht wirklich gemütlicher. Von unten drang der Schein des Kaminfeuers herauf. „Da bist du ja endlich. Ich dachte schon, Dornröschen würde nie aufwachen und merken, dass sein Prinzesschen aus dem Bett verschwunden ist.“ Acu saß in seinem blutroten Lehnstuhl, die Beine übereinander geschlagen, die Arme wie ein alter Mann auf seinem Schoß platziert. Es war immer noch alles wie damals. Das Kaminfeuer ließ den Lehnstuhl im Schatten versinken, die Steinwände waren mit diesen ätzenden alten Gemälden behängt. Luzifer hatte sich zu den Füßen seines Herren begeben und schnurrte wohlig. Allein schon die Erinnerungen, die das gesamte Mobiliar und alles in diesem Raum mit sich brachte, ließ die Wut in mir hoch kochen. „Jetzt red nicht so einen Dreck, was hast du mit ihr angestellt? Wo ist sie?“, ich fauchte ihn an. „Ach komm schon, jetzt sei doch nicht so. Ich habe nur dafür gesorgt, dass sie sich ein wenig heraus putzt. Komm doch herein, Yuri.“ Ein Wink mit seiner Hand und eine Tür am anderen Ende der Halle öffnete sich. Heraus trat eine blasse Gestalt, gekleidet in ein wunderschönes, aber altertümliches, schwarzes Abendkleid. „Yuri!“, stieß ich erleichtert hervor. Ich roch kein Blut, sie schien völlig unverletzt zu sein. Zum Glück. Doch statt mich anzusehen oder zu mir zu laufen, richtete sich ihr Blick gegen Boden, während sie mit langsamen Schritten auf Acu zuging. Sie sprach kein Wort. „W-Was soll das?“ Ihre Art verwirrte mich. Sie wusste, welche Gefahren auf sie lauerten, wenn sie Acu zu nahe kam. Und dennoch wich sie keinen Millimeter von ihrem Weg ab. Bei ihm angelangt, knickste sie. „Sie haben mich gerufen, Meister?“ Meister? „Wir haben Besuch bekommen, meine Liebe. Ist das nicht schön?“ Jetzt wandte sie ihr Gesicht endlich mir zu. Mir blieb die Luft weg. Ihre Augen waren leer und dunkel. Ihre Gesichtszüge ausdruckslos und starr. Und sie trug die Kette. Meine schlimmste Erinnerung. Ausgerechnet die Kette. „Das hast du nicht wirklich getan. Sag mir, dass das eine Fälschung ist! Sag, dass du sie nachmachen hast lassen! Sag mir verdammt noch mal, dass du das nicht gemacht hast!“ Bitte. “Aber, aber, mein lieber Kai. Du weißt doch, dass niemand in der Welt eine Kette mit einer so einzigartigen Wirkung jemals nachmachen könnte. Steht sie ihr nicht hervorragend? Ich finde, sie ist wie für sie gemacht, nicht war?“ Acu war aufgestanden. Er strich über Yuris Hals und ließ seine Hand für einen Moment auf dem Stein ruhen. Ein blauer Topas, mit silbern schimmernden Einschlüssen, die im Schein des Kaminfeuers funkelten. Eingefasst in einen silbernen, leicht zackigen Rahmen, an einer schlichten Silberkette. Ich hasste dieses Schmuckstück. Ich hasste es mehr noch, als ich Acu hasste. „Mach es ab, jetzt sofort! Mach die verdammte Kette ab!“ „Jetzt bist du aber unhöflich. Sie hat Luzifer gerettet, ich musste mich doch erkenntlich zeigen. Wie unhöflich wäre es gewesen, die Retterin meines geliebten Katers ohne eine Belohnung zurück in ihr Zimmer zu schicken? Nicht wahr, meine Schöne?“ „Ja, Meister.“ Yuri nickte zustimmend. Ich würgte. Die Erinnerung kroch aus ihrer, von mir so lange sorgsam geschlossenen gehaltenen Truhe. Dasselbe Bild. Ein Mann und eine Frau, beide vor dem Kamin. Die Frau trug die Kette, die Hand des Mannes ruhte auf ihrer Schulter. Der Kater zu Füßen des kleinen Jungen, der vor den beiden stand und auf mich herab blickte. Der Mann war mein Vater. Die Frau, die dieses verdammte Amulett um ihren Hals trug, meine Mutter. Das war alles gerade erst 11 Jahre her. Mein Vater hatte mir meine Mutter weggenommen, als sie mit mir aus diesem Schloss fliehen wollte. Und ihr damit ihren Willen, ihre Seele, ihre ganze Existenz genommen. Ich sank auf die Knie. Genau wie damals, als ich zusehen musste, wie meine Mutter die Fröhlichkeit und das Leben in ihren Augen verloren hatte. „Bitte. Bitte nimm ihr die Kette ab. Bitte gib sie mir wieder.“ Acu lachte hämisch. „Aber Brüderchen. Du weißt doch, wie ungern ich mein Spielzeug mit dir geteilt habe. Warum sollte ich das jetzt nach all den Jahren tun? Sieh sie dir doch an! Sie ist einfach perfekt für mich! Und sie gehört mir!“ Mir war übel. „Sie ist kein Spielzeug. Sie ist ein Mensch. Eine eigene Persönlichkeit. Bitte. Ich bitte dich, gib sie frei. Lass sie bitte nicht so enden wie -“ „Wie deine Mutter meinst du? Ach komm schon. Deine Mutter ist freiwillig zu meinem Vater gekommen. Sie war immer glücklich! Nicht, dass ich sonderlich viel für eine menschliche Frau an der Seite meines Vaters übrig gehabt hätte. Aber bitte, es war seine Entscheidung. Dass er sich nach dem Tod meiner Mutter so tief sinken lassen konnte, war ja wohl Schande genug für ihn. Als du dann auch noch dazu kamst, war er ja nun wirklich nur noch zu bemitleiden. Aber als sie ihn dann auch noch verlassen wollte, nur weil er mich lieber hatte als euch beide, und er sie an sich gebunden hat, statt euch gehen zu lassen, das war nun wirklich der Tiefpunkt seiner Laufbahn. Manchmal frage ich mich wirklich, warum meine Mutter ihre Kette eigentlich mit diesem Fluch belegt hat.“ Eine Erinnerung nach der anderen kam hoch. Ich hatte so sehr gehofft, nie wieder daran denken zu müssen. „Dass er dann mit ihr in dem Waldbrand vor… wie viele Jahre waren das noch? Aja, 10 Jahre. Als er dann mit ihr in dem Waldbrand umgekommen ist, war ja doch zu erwarten. Er hat das Schicksal herausgefordert. Und ist bestraft worden. Ich unterdrückte meine Würgegeräusche und richtete mich auf, so gut ich konnte. „Wenn du es so sehr gehasst hast, dass unser Vater sich mit meiner Mutter abgegeben hat, was willst du dann jetzt von ihr? Yuri ist auch ein Mensch!“ „Tja, was hab ich mir dabei wohl nur gedacht… Vielleicht, dass sie eine hervorragende Spielpartnerin abgeben würde? Weißt du, alleine Schach zu spielen ist auf Dauer einfach so langweilig. Oder vielleicht sollte ich wieder anfangen, im Labor etwas zu erforschen! Sie würde eine hervorragende Laborpartnerin abgeben. Oder das Versuchskaninchen. Je nachdem, wie man es sehen möchte. Ich fand Menschen ja an sich spannend. Ich liebe es einfach, niedere Lebensformen zu erforschen. Sie sind so herrlich leicht zu manipulieren!“ „Hör auf! Sag doch, dass du sie nur haben willst, weil sie sich mit mir abgibt. Weil sie meine Freundin ist. Gib es doch zu!“ So war es schon immer gewesen. Was mir gehörte, hatte er sich geholt. Immer. Sei es nun meine Murmelsammlung, meine Bücher oder mein erstes eigenes Haustier, mein Kater, gewesen. Es war immer so. Und es würde auch immer so sein. Acus Grinsen wurde wieder breiter. „Ja, gut, so kann man es auch sehen. Vielleicht ist sie also gar nicht mein Versuchskaninchen. Vielleicht warst es immer schon du. Ihr seid so leicht zu manipulieren. Deine menschliche Seite ist so verweichlicht, Brüderchen, herrlich. Das schreit doch gerade zu danach, ausgenutzt zu werden. Also, sag mir eins, mein Bruder… Wie weit würdest du für sie gehen?“ Das war es also, worauf er es angelegt hatte. Ich stand auf. Klopfte mir den Staub von der Hose. Warf einen Blick auf Luzifer. Atmete tief durch. Verdrängte die Gedanken an die Dinge, die er mit meinem Spielzeug angestellt hatte. Und sah ihm stattdessen direkt in die Augen. „Bis an mein Lebensende. Was du auch von mir willst, du kannst es haben. Nur lass sie gehen.“ Mir war klar, dass er schon vor Jahren aufgehört hatte, Interesse an meinen Spielsachen oder meinen Büchern zu haben. Er hatte Luzifers Auge entfernt, nur um es für seine Experimente zu benutzen, als er noch ein kleines Kätzchen war. Er würde sicher nichts haben wollen, dass ich mir wieder besorgen konnte, dass ich einfach in den Läden um das Internat kaufen konnte. Er wollte mit Sicherheit nichts davon. Er verbarg sein Gesicht im Schatten des Lehnstuhles. „Du kannst es dir also schon denken, mein Bruder. Also gut. Ich tausche ihr Leben ein. Gegen deines.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)