Engelsblut von Akito ================================================================================ Kapitel 1: You'll Never waLk aLone ---------------------------------- Das Papier fühlte sich glatt und kalt unter meinen Fingern an. Ich saß vor meinem Geschichtsbuch und war mit meinen Gedanken mal wieder irgendwo, nur nicht bei dem, was meine Lehrerin erzählte. Zusammen mit 22 anderen Leuten saß ich, so wie jeden Tag, in unsrem Klassenzimmer. Es war mittlerweile September und doch noch immer unbeschreiblich warm. Der Sommer wollte und wollte einfach kein Ende nehmen. Die Fenster standen weit offen, doch nicht einmal ein kleines Lüftchen bracht Kühle in den stickigen Raum. In meiner Vorstellung war ich schon längst wieder im Freibad oder mit meinen Freundinnen Eis essen. Selbst die Lehrer sehnten das Ende des Unterrichts herbei. Nicht nur einmal hatten wir Schüler uns beschwert, dass es unmöglich sei sich bei der Hitze noch richtig zu konzentrieren. Aber unser Schulleiter blieb hart. So kam es, dass ich wieder mal im Geschichtsunterricht, den ich eigentlich mochte, saß und uninteressiert in meinem Buch herumblätterte. Hin und wieder hielt ich inne, um mir die ein oder andere Seite genauer anzusehen, ohne dass ich mich wirklich mit dem beschäftigte, was ich sah. Plötzlich jedoch, blieb mein Blick an einem der Bilder hängen. Ein Schwert war darauf. Ich hatte mir angewöhnt, alle Schwerter, die ich irgendwo sah, genauer zu betrachten. Seit ich mir von meiner Freundin regelmäßig Mangas auslieh, in denen es unvermeidlich war Kämpfe zu sehen, war ich in den Schwertkampf und insbesondere auch ins Bogenschießen vernarrt. Ich fand es faszinierend, wie geschmeidig und elegant der Umgang mit Schwertern aussah und wie leicht es ihren Besitzern schien sie zu führen. Das Schwert, das ich jetzt betrachtete zog mich besonders in einen Bann. Es hatte eine lange, gebogene Klinge. Sie war sehr schmal und wirkte doch stabil. Es war nicht so ein breites, grobes Breitschwert, das oftmals von Rittern benutzt wurde, sondern wirkte eher fremdländisch. Die Klinge glänzte in Silber. Der Griff war mit schwarzem Leder eingebunden, das weder porös noch ausgeblichen wirkte. Darauf saßen sechs Steine, angeordnet, wie ein Kreuz. Fünf von ihnen hatten die Form wie spitz zusammenlaufende Tränen und leuchteten in einem wunderschönen grün. Einer rechts, einer Links, einer oben und zwei unten. In der Mitte schimmerte ein weißer, runder Diamant. Auf einmal lief mir ein Schauer über den Rücken. Ich fühlte mich auf einmal beobachtet. Ich erhob meinen Blick und ließ ihn durch die Klasse streifen. Allgemeine Schläfrigkeit hatte sich unter meinen Klassenkameraden breit gemacht. Niemand schien mich zu beobachten. Seltsam. „Ayashi, bitte beantworte meine Frage.“ Ich schreckte zusammen. Ich hatte Frau Lilienbrink gar nicht bemerkt, die sich vor meinen Tisch aufgebaut hatte und mich musterte. Wahrscheinlich hatte ich mich deswegen so beobachtet gefühlt. Natürlich wusste ich die Antwort nicht, denn ich hatte die Frage ja nicht einmal mitbekommen. Hilfe suchend sah ich mich zu Sophia um, die neben mir saß, doch sie zuckte auch nur mit den Schultern und warf mir einen bedauernden Blick zu. Ich seufzte. „Tut mir Leid, ich habe nicht aufgepasst.“, gab ich zu. Vorwurfsvoll sah meine Lehrerin mich an. „Du solltest wirklich besser aufpassen. Von dir hätte ich wirklich etwas anderes erwartet.“, erwiderte sie spitz aber ließ mich danach in Ruhe, um sich das Nächste Opfer auszusuchen, das ganz bestimmt auch nicht aufgepasst hatte. Mir war es egal. Heute jedenfalls. Wieder seufzte ich und senkte meinen Blick auf das Schwert. Sofort war das unangenehme Gefühl wieder da. Ruckartig Sah ich auf, doch auch dieses Mal konnte ich niemanden ausmachen, der zu mir herüber sah. Das bildest du dir nur ein, dachte ich. Das macht die Wärme. Warum sollte dich auch jemand beobachten? „Mensch, Aya, was ist denn los mit dir? Du siehst aus, als würdest du unter Verfolgungswahn leiden.“, flüsterte Sophia. Wie alle anderen sprach sie mich mit meinem Spitznamen an. Meine Mutter hatte den Namen ausgesucht. Selbst an mir hatte sie ihren Japan-Tick auslassen müssen. Eigentlich mochte ich meinen Namen aber manchmal nervte es mich, dass so viele Menschen lachten oder eine blöde Bemerkung machten, sobald ich ihn nannte. Ich grinste. „Könnte man so nennen, ja.“, gab ich leise zurück. Ja, genau, es war nur Verfolgungswahn, sagte ich mir, doch ich war nicht sicher, ob ich mir das nur einredete um mich selber zu beruhigen. ~†~ Er hatte sie gefunden. Endlich. Seit nunmehr achtzig Jahren wartete sein ganzes Volk darauf. Dieses Mal würde alles glatt gehen. Er hatte alles vorbereitet und genau überdacht. Nein dieses Mal würden sie ihm nicht zuvor kommen. Nicht schon wieder. Er konnte sie nicht sehen. Nur spüren und ihre Kraft war gewaltiger, als er gedacht hatte. Doch die Kraft ließ auf eine erwachsene Frau schließen. Die Wächterin jedoch, die das Geheimnis der Kräfte wahrte, die sah er. Sie war vielleicht 14, doch Sie sah älter aus, als sie war und nach seiner Meinung war sie ziemlich hübsch. Ihre Seele und ihr Körper waren nicht mehr rein. Er musste sie finden und den Aufenthaltsort Gilleads erfahren. Er musste einfach. Er spürte, dass tief in ihrer Seele großer Schmerz saß. Ihm war es ganz recht, denn was er mit ihr vorhatte würde keinesfalls ohne Schmerzen geschehen. ~†~ Endlich klingelte es zum lang ersehnten Schulschluss. Für heute waren sie aus ihrem stickigen Gefängnis entlassen. Wie ein Schwarm Bienen drängten sie auf die großen Glastüren zu, die zum Schulhof führten. Die Sonnenstrahlen kribbelten auf der Haut. Ich atmete tief durch. Ein leichter, erfrischender Wind fuhr über den Platz und wiegte die Äste der Bäume leicht. „Aya, kommst du nachher auch mit ins Freibad? Wir müssen das schöne Wetter noch ausnutzen, in den nächsten Wochen soll es regnen.“, rief Sophia mir hinterher. Ich drehte mich zu ihr um. „Ja natürlich. Wir treffen uns um halb 4 dort.“, antwortete ich und zog meinen Fahrradschlüssel aus der Tasche. Meine Freundin winkte zum Abschied und lief dann zur Bushaltestelle. Mit einem leisen Knacken sprang das Schloss auf und ich zog mein Fahrrad aus dem Ständer. Ich hatte es nicht weit nach hause. Ich wohnte in einer ruhigen Straße, etwas außerhalb der Stadt. Es war ein weißes Haus. Das einzige von der Sorte in dieser Straße. Unser Auto stand vor der Tür, das bedeutete, dass mein Vater zu Besuch war. Okay ich konnte ihn nicht wirklich meinen Vater nennen. Er war abgehauen, noch bevor ich geboren worden war. Er kam ab und zu vorbei und wollte erreichen, dass ich jedes zweite Wochenende bei ihm verbringen sollte. Ich wollte nicht und meine Mutter, die mir diese Entscheidung selber überließ, verstand mich. Dieser Mann war für mich wie ein Fremder, dem ich hin und wieder über den Weg lief. Ich nahm es ihm übel, dass er uns verlassen hatte. Acht Jahre nach meiner Geburt hatte er sich plötzlich wieder für mich interessiert. Ich hatte ihn schon damals abgewiesen. Ich liebte das Leben, dass ich mit meiner Mutter führte. Sie war im Gegensatz zu ihm immer für mich da gewesen und dafür dankte ich ihr unendlich oft. Selbst als Basti…. Ich stoppte diesen Gedanken sofort. Immer wenn der Name Basti in mein Gedächtnis kam, schaltete sich eine Blockade ein. Zu Recht wahrscheinlich… Ich verdrängte sonst jeden Gedanken an ihn aber manchmal schlich er sich doch in meinen Kopf. Ich kramte meinen Schlüssel aus der Tasche und betrat das Haus. Zu allererst lief ich, zwei Stufen auf einmal nehmend, die beiden Treppen zum Dachboden hoch. Meine Mutter hatte ihn ausbauen lassen und ich durfte dort mein Zimmer und ein eigenes Bad einrichten. Ich schmiss meine Tasche aufs Bett und schaltete meinen Laptop ein. So wie jeden Tag. Von den Wänden blickten Campino, Andi und Co auf mich herunter. Mein Vater hatte sich schon oft über meinen Musikgeschmack aufgeregt, der Hauptsächlich aus „Den Toten Hosen“, „Böhse Onkelz“ und all dem bestand. Noch weniger verstand er, warum ich Poster von Männern in meinem Zimmer hängen hatte, die, wie er sagte, vom alter her glatt mein Vater sein könnten. Ich hatte ihn einfach ignoriert. Ich liebte diese Musik, da war es mir eigentlich ziemlich egal, wie alt die Interpreten nun waren. Eine Mitteilung erschien auf dem Bildschirm. Ich öffnete sie. Sie war von Sophia. Sie wollte wissen ob wir uns heute doch schon früher treffen könnten. Ich war einverstanden und sofort packte ich meine Sachen zum Schwimmen ein. Ich sprang die Treppen wieder hinunter, rief ein kurzes „Hi“ ins Wohnzimmer und machte mich auf den Weg zum Freibad. Die andern hatten sich schon ein Platz weiter hinten auf der Wiese gesucht. Als Sophia mich sah, winkte sie mir. Ich bahnte mir einen Weg durch die Handtücher, die überall am Boden lagen. Bei diesem Wetter hatte man Glück, wenn man überhaupt noch eine Freie Stelle erwischte. Ich ließ mich neben meinen Freunden auf dem Handtuch nieder du zog meine Klamotten aus. „Hey, schick Aya, ist der neu?“ Tobi pfiff anerkennend durch die Zähne. Ich schenkte ihm ein flüchtiges Lächeln und zupfte den Bikini zu Recht. „Nein wirklich, der steht dir echt gut.“, fügte er hinzu und musterte mich offen. Ich mochte es nicht, wenn jemand mich so ansah, und versuchte deshalb abzulenken. „Leute, wer zuerst im Wasser ist!“, rief ich und sprang auf. Meine Aufforderung stieß auf allgemeine Begeisterung und so planschten wir keine zwei Minuten später im Wasser herum. Die Erfrischung tat gut und es gab keinen, der nicht einmal getaucht wurde. Ich genoss diese Zeit mit meinen Freunden immer. Später lagen wir wieder zusammen und lachten darüber wie Alex eine alte Frau nachmachte, die gerade ins Wasser stieg. Wütend reif die Frau etwas zu uns herüber, doch es ging nur im allgemeinen Lachen unter. Zwei Jungen, die so um die 18 Jahre alt sein mussten, kamen zu uns herüber. Ich hatte die beiden noch nie hier gesehen. Beide waren groß und hatten muskulöse, jedoch nicht übertrieben durchtrainierte, Körper. Einer hatte braune kurze Haare und ebenso dunkele Augen. Die Haare des anderen waren dunkelblond und seine Augen, was gar nicht dazu passte, strahlten in einem wunderschönen grün. Sah er mich an, oder bildete ich mir das nur ein? Sophia stieß mich an. „Hast du nun ja oder nein?“, fragte sie leicht genervt. „Was?“ Ich hatte wohl nicht aufgepasst. „Ob du Feuer hast.“, wiederholte der Braunhaarige. „Ähm,… Nein, sorry.“ , erwiderte ich. „Mh, schade.“ Die beiden zogen weiter. „Peinlicher geht’s ja wohl nicht.“ Sophia unterdrückte ein Lachen. Fragend sah ich sie an. „Dir schien der eine wohl zu gefallen.“, sagte sie nur. Tobi schaute zu mir herüber. Ich konnte seien Blick nicht deuten, doch er sah nicht sehr freundlich aus. Ich beließ es dabei und stecke die Stöpsel von meinem MP3-Player in die Ohren. Zwei Stunden und einige Wasserschlachten später schlug jemand vor Volleyball spielen zu gehen. „Geht nur.“, meinte ich nur. „Ich bin viel zu faul.“ Die andern machten sich auf den Weg und ich blieb allein mit Tobi zurück. „Gehst du nicht mit?“, fragte ich ihn. „Nein, keine Lust.“ Er gähnte. „Außerdem muss ich deinen neuen Bikini noch mal genauer betrachten.“ Er rutschte näher auf mich zu. „Lass mich bloß in ruhe.“ Ich versuchte die Unruhe nicht zu zeigen, die in mir tobte. „Sag jetzt nicht, dass du es immer noch nicht überwunden hast. Das glaube ich dir nämlich nicht.“, erwiderte er. Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte und wollte einfach nur aufstehen um so schnell wie möglich zu den anderen zu kommen oder zumindest dahin, wo Leute waren. Erst jetzt fiel mir auf, dass es um uns herum ziemlich leer geworden war. Gerade als ich mich erheben wollte, griff Tobi nach meinem Handgelenk und hielt es fest. „Lass mich los!“, zischte ich. Er grinste nur und griff auch noch nach meiner anderen Hand. Hilfe suchend sah ich mich um. Niemand schien auf uns zu achten. „Wehe du schreist.“, knurrte er. Auch wenn ich es wollte, konnte ich es sowieso nicht. Ich spürte sein ganzes Körpergewicht auf mir, dass es mir die Luft aus den Lungen drückte. „Wirklich sehr schön.“, flüsterte er und strich mit den Fingern über das Oberteil. Ich wollte etwas sagen, doch aus meiner Kehle drang nur ein ersticktes keuchen. Warum sah denn keiner, was hier vorging? Mir wurde unheimlich schlecht. Ich konnte nicht sagen, ob es wegen der Luftknappheit oder den aufkommenden Erinnerungen war. Mit all meiner Kraft versuchte ich ihn von mir zu schieben oder meine Beine zu bewegen. Aber sie reichte nicht aus. Immer und immer wieder drückte ich gegen seine Arme und suchte eine Chance um frei zu werden. Es gelang mir nicht. Um mich herum schien plötzlich alles dunkel zu werden. Ich schloss die Augen. Mein ganzer Körper war angespannt. Ich spürte seine Lippen an meinem Hals. Schon längst hatte mich die Panik ergriffen. Doch es war nicht die Sorte von Panik, dass ich schreien konnte. Nein, so äußerte sich das bei mir schon lange nicht mehr. Im Gegenteil: Ich wurde eher stiller und versuchte einfach nur alles so schnell wie es geht zu überstehen. Ich versuchte zwar immer wieder mich zu befreien, aber es gelang mir nicht. Ich hatte keine Chance, denn er war einfach zu stark für mich. Plötzlich wurde er von mir gerissen. Ich fühlte es nur, denn ich hatte immer noch die Augen zu. Instinktiv rollte ich mich zusammen und schlang die Arme um meinen Körper. Ich merkte, dass ich zitterte. Eine Hand berührte mich an der Schulter. Vorsichtig sah ich auf. Es war der Blonde, der vorhin schon einmal da war. Seine Haut hatte einen leichten Braunton und auf seinem Körper schimmerten Wassertropfen. Er lächelte mich nur an, bevor er sich umdrehte und verschwand. Danke, wollte ich rufen, doch ich bekam immer noch nicht richtig Luft und außerdem hatte es mir die Sprache verschlagen. Warum hatte er mir geholfen? Egal, ich dachte nicht weiter darüber nach. Ich war nur froh, dass er es getan hatte, denn sonst… Ach ich wollte nicht mehr daran denken. Ich sah zu Tobi hinüber. Er hockte auf den Knien und hielt sich stöhnend den Arm, den der Fremde anscheinend verdreht hatte. Ich hätte so was nie von ihm erwartet, wirklich niemals und jetzt hatte ich auch nicht die geringste Ahnung, wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte. „Ich denke, dass sollte besser unter uns bleiben.“, sagte ich kühl. Ich wollte so schnell wie möglich meine Angst ablegen, die ich wie immer für Schwäche hielt. Ich wollte nicht, dass irgendwer von dem Vorfall wusste und wieder Fragen stellen würde. Fragen, die ich nicht beantworten wollte. Nicht schon wieder… Erstaunt schaute er mich an. „Aber-…“ „Nichts aber.“, unterbrach ich ihn. „Ich will nicht, dass wieder jemand kommt und Fragen stellt. Du weißt warum.“ Ich stand auf. „Ja, natürlich weiß ich das.“, erwiderte er nur. „Aya, es tut mir Leid, ich-…“ „Hör auf! Ich will nichts hören. Es ist erledigt.“ Ich wollte nicht mehr bei meinen Freunden sein. Das heißt ich wollte nicht mehr in der Nähe von Tobi sein und ich wusste ganz genau, dass er noch lange nicht gehen wollte. Für mich war es sowieso so langsam Zeit zu gehen, weil ich meiner Mutter heute versprochen hatte zu helfen. Sie bekam heute Besuch und hatte mich um Hilfe gebeten. Eilig stopfte ich meine Sachen in die Tasche und drehte mich um. „Sag den andern, dass ich meiner Mutter noch helfen musste.“ Ohne noch ein weiteres Wort drehte ich mich und ging langsam über die Wiese. Ich hoffte, den Fremden vielleicht noch einmal zu sehen. Mir war es wirklich unangenehm, dass ich mich nicht einmal bedankt hatte. Aber weder er noch sein braunhaariger Kumpel ließen sich noch einmal blicken. Enttäuscht verließ ich das Schwimmbad und machte mich auf den Heimweg. Ich fuhr jedoch nicht direkt zurück, sondern nahm extra einen großen Umweg, um meine Gedanken zu ordnen. Meine Mutter war wirklich übervorsichtig geworden. Naja, man konnte es ja auch verstehen… Als ich die Haustür aufschloss, roch ich schon dass sie bereits angefangen hatte. Schnell warf ich meine Tasche in eine Ecke und lief in die Küche. „Mama? Es tut mir leid, ich hab die Zeit vollkommen vergessen.“, sagte ich entschuldigend und gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Ist schon okay. Aber du kannst schon mal den Tisch Decken. Mit dem Essen bin ich gleich fertig.“ Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Okay.“ Ich öffnete den Schrank und holte Teller und Gläser vor. Dann war es ganz plötzlich, genauso wie beim ersten Mal wieder da. Dieses seltsame Gefühl, dass mich jemand beobachten würde. Ich sah auf. Meine Mutter jedoch stand am Herd und rührte in einem der Töpfe. Sonst war der Raum vollkommen leer. Ich erschauderte und sagte mir, dass es bestimmt wieder nur Einbildung sei. Doch ich fühlte mich plötzlich gar nicht mehr so wohl in meiner Haut. Etwas strich an meinem Arm vorbei und ich zuckte zusammen. Erstaunt sah meine Mutter mich an. „Schon in Ordnung, ich hab nur grad über etwas nachgedacht.“ Ruckartig nahm ich die Teller wieder in die Hände und stellte sie auf den Esstisch. Als ich fertig war, kam meine Mutter, um zu gucken ob alles da war und an seinem Platz stand. „Willst du gar nicht mitessen?“, fragte sie überrascht. „Nee, ich hab im Schwimmbad schon was gehabt. Ich hatte vollkommen vergessen, dass du ja noch Kochen wolltest.“, antwortete ich entschuldigend. Sie lächelte. Ich drehte mich um, schnappte meine Tasche und sprang die Treppen zu meinem Zimmer hinauf. Warme, stickige Luft schlug mir entgegen. Jetzt am Abend wurde es endlich etwas kühler. Ich riss alle Fenster groß auf und ließ den kühlen Wind hineinströmen. Ich ging hinüber ins Bad und stieg unter die Dusche. Eine Viertelstunde später erfüllte der Duft von Kirschblüten den Raum. Ich fand, dass duschen eine der besten Gelegenheiten zum Nachdenken und Geschichten erfinden war. Dieses Mal war nachdenken angesagt. Ich fragte mich wirklich ob mein Verfolgungswahn echt war oder doch tatsächlich nur Einbildung. Nicht, dass ich glauben würde, dass mich wirklich jemand verfolgt oder beobachtete aber ein bisschen Sorgen machte ich mir schon. So etwas hatte ich doch früher auch noch nie. Ich beschloss morgen einfach noch aufmerksamer zu sein und herauszufinden was es damit auf sich hatte. Ein plötzliches Gefühl von Sicherheit und Stärke überkam mich. Das Gefühl unerreichbar zu sein und besser als die anderen. Ich hasste mich selber für solche Gedanken, weil ich genau wusste, dass gerade ich die Letzte war, die so reden sollte. Ich merkte dann immer, wie egoistisch ich war. Meistens jedoch unterdrückte ich dieses Gefühl wieder, denn vor Jahren hatte ich jemandem deswegen ziemlich wehgetan. Ich wollte auf keinen Fall, dass so was noch mal passierte. Mit einem Ruck stieß ich die Duschtür auf, die mal wieder klemmte und wickelte ein weiches Handtuch um meinen Körper. Was dann geschah konnte ich mir nicht erklären. Ein heftiger Schmerz schoss durch meinen Kopf und mir wurde schwindelig. Für einen kurzen Moment wurde mir schwarz vor Augen. Ich fand mich auf dem Badezimmervorleger wieder. Der Schmerz war nur noch ein leichtes Pochen. Ich war verwirrt. Eigentlich war ich doch kerngesund und hatte nie beschwerden. Vielleicht kam es ja einfach nur von der Hitze. Das Thermometer hatte zwischendurch locker die 35 Grad Grenze überschritten. Das wird es wohl sein, dachte ich. Ich wischte den Dampf von dem beschlagenen Spiegel und sah hinein. Alles wie immer. Und dann fühlte ich mich wieder beobachtet. Als würde jemand unablässig den Blick auf mir haben. Mich irritierte es so, dass dieser Zustand nicht immer lange anhielt sondern immer nur für ein paar Minuten. Obwohl ich wusste, dass es irgendwie absurd war wickelte ich mein Handtuch noch etwas fester um mich und sah zu, dass ich wieder Kleider anzog. Schnell trat ich wieder in mein Zimmer und sah mich um. Niemand. Ich trat ans Fenster. Die Sonne versank langsam am Horizont. „Oh, na du könntest auch mal wieder Wasser gebrauchen.“, seufzte ich und blicke auf meinen Bonsai. Es war eine kleine Zierkirsche, die mir meine Freundin zum letzten Geburtstag geschenkt hatte. Eigentlich hatte ich keinen grünen Daumen, so wie meine Mutter, die eine ganze Orchideen-Kolonie besaß. Ich fand es damals schon fast lächerlich, wenn sie mir ihren Blumen gesprochen hat, doch mit der Zeit, dass man zwangsläufig anfängt mit den Dingern zu reden, wenn man sich um sie kümmern muss. Ich hatte irgendwann angefangen meinen Bonsai Busch zu nennen und dabei ist es dann auch geblieben. Ziemlich unkreativ aber es erfüllte seinen Zweck. Ich goss die Pflanze und machte Musik an. Ich musste unfreiwillig grinsen. „You’ll never walk alone“ von den Toten Hosen dröhnte aus den Lautsprechern. Ja genau das Gefühl hatte ich im Moment auch. Du gehst niemals allein. Besonders nicht, wenn dich jemand beobachtet, dachte ich spöttisch. Anstatt das Lied zu überspringen machte ich noch ein bisschen Ich legte mich auf mein Bett und wollte eigentlich mit meinen Hausaufgaben anfangen. Nur fünf Minuten Pause, sagte ich mir und schloss die Augen. Da bleibt immer noch genug Zeit um alles bis morgen zu schaffen. Doch keine zwei Minuten später war ich eingeschlafen. Ich träumte wirre Sachen, die ich nicht deuten konnte und auch nicht wusste woher ich sie kannte. Wind, überall war Wind und dann dieses Kreuz, was ich auf dem Schwert in meinem Buch gesehen hatte. Und Immer wieder diese strahlenden grünen Augen, die nur dem jungen Mann aus dem Schwimmbad gehören konnten. Es waren ganze Bilderfluten, die ich sah. Als ich erwachte konnte ich mich an kaum eines davon wirklich erinnern. Manchmal glaubte ich wieder eines zu erkennen, doch ich irrte mich. Nur diese grünen Augen waren wie in meine Seele eingebrannt. Sie verschwanden einfach nicht mehr aus meinem Kopf. Mein Herz raste und meine Stirn war nass vor Schweiß. Draußen war es noch stockdunkel. Durch mein Fenster kam eine sehr angenehme Kühle herein, die eine Erholung von dem warmen Tag war. Ich stand auf und schwindelte leicht. Langsam ging ich ans Fenster und sah hinaus. Die Sterne leuchteten wie unendlich viele Glühbirnen und ich fragte mich, wie jedes mal, wenn ich sie betrachtetet woher sie eigentlich kamen und ob es stimmte, dass jeder Mensch seinen eigenen Stern bekam, wenn er starb. Der Mond stand voll und rund am Himmel. Er schimmerte in einem so hellen Silber, dass man schon denken konnte er sei strahlend weiß. Warum hatte ich von diesem Typen geträumt? Hatte er doch mehr bei mir bewirkt, als ich mir selber eingestehen wollte? Ich fröstelte. Nein, das konnte nun wirklich nicht sein. Ich schloss das Fenster. Mein Laptop war noch immer eingeschaltet. Ich trat an meinen Schreibtisch, beendete alle Programme und schaltete ihn ab. Meine Seele war vollkommen aufgewühlt. Ich lag wieder im Bett und wälzte mich von einer auf die andere Seite. Ich fand einfach keine Ruhe. Auf irgendeinen Unbekannten Grund überrannten mich dutzende von Gefühlen auf einmal. Ich wollte weinen und zugleich lachen. Schweigen und mich doch auf die Straße stellen und einfach nur schreien. Ich wollte hinunter zu meiner Mutter, doch irgendetwas bewog mich im Bett zu bleiben. Alleine. Ich lag da, mit geschlossenen Augen und wartete einfach nur darauf, dass mich der Schlaf endlich in die Traumwelt holte. Doch es geschah nichts. Immer stärker baute sich eine Empfindung in mir auf, die nichts Gutes vermuten ließ. Irgendwas Schlimmes würde passieren. Nur was? Ich schaute auf die roten Ziffern meines Weckers. Halb vier, also noch viel zu früh zum aufstehen. Seufzend rollte ich mich zusammen und schloss abermals die Augen. ~†~ Sie waren alle gekommen. Er hatte sie rufen lassen, um seinen Plan vorzustellen. Es war Vollmond und somit war eine günstige Gelegenheit gekommen ihn durchzuführen. Er durfte nicht mehr Zeit verstreichen lassen, sonst riskierte er noch, dass sie wieder verloren ging und mit ihr auch die gewaltige Kraft. Wie viele Jahre dann vergehen werden, bevor sich wieder so eine Gelegenheit bot, wusste niemand. Vielleicht nur vier oder fünf vielleicht aber auch ganze Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte. Der Feind war schwach. Niemals wieder bot sich so eine Gelegenheit. Sein Plan war schwierig aber durchführbar. Nur dazu brauchte er sie… ~†~ Als ich am nächsten Morgen von dem Klingeln meines Weckers geweckt wurde, erinnerte ich mich abermals nicht was ich geträumt hatte. Irgendwie war ich froh darüber, denn ich war mir sicher, dass es nichts Angenehmes gewesen war. Seufzend stand ich auf und kletterte die steile Treppe hinab. Meine Mutter wartete schon in der Küche auf mich. Sie trank Kaffe und blätterte wie jeden Morgen in der Zeitung. Ich setzte mich zu ihr und griff nach dem Kakao. „Und was liegt heute an?“, fragte sie. „Nichts Besonderes. Es kann nur sein, dass ich heute nach der Schule nicht gleich nach Hause komme. Ich will noch mit ein paar Freunden in den Park. Ist das okay?“, erwiderte ich und griff nach dem Sportteil. „Ja, ja mach nur aber sei dieses Mal bitte pünktlich zum Essen da.“ Ich lächelte sie kurz an und vertiefte mich in die Zeitung. Eine halbe Stunde später trat ich aus dem Haus und macht mich auf den Weg zur Schule, um die nächsten langweiligen Stunden über mich ergehen zu lassen, in der Hoffnung sie würden ausnahmsweise mal schneller enden. „Oh man, das war wohl echt wieder übertrieben.“, murrte Eva, als wir endlich aus dem Schulgebäude kamen. Sie hatte Recht, wieder mal hatten die Temperaturen die 28 Grad weit überschritten und wie immer hatte unser Schulleiter kein Erbarmen mit uns. „Der Typ hat es ja auch gut. Er sitzt da in seinem Büro mit toller Klimaanlage und Ventilator und wie müssen in dem Klassen schwitzen. Wenn wir doch wenigstens auch Ventilatoren mitbringen dürften.“, fügte Sophia hinzu. „Ruhe jetzt, Mädels. Wir haben es ja hinter uns.“ Ich wandte mich an die gesamte Gruppe. „So, wer geht einkaufen, wer besorgt Decken?“ Wir wollten im Park Picknicken, hatten aber noch nichts dafür gekauft, deshalb mussten wir wieder kreativ sein. Vier Leute wollten Einkaufen gehen und drei andere Decken besorgen. Sophia und ich sollten schon mal ein schönes Plätzchen aussuchen, wo wir hinterher sitzen sollten. Wir entschieden uns dafür, dass wir uns ganz in die Nähe des riesigen Springbrunnens setzten wollten. Meine Freundin und ich radelten los. Es war etwas weiter bis zum Park aber es lohnte sich auf jeden Fall dorthin zu fahren. Der Park bestand eigentlich aus vielen verschiedenen Gärten, sodass für jeden etwas dabei war. Japanische Gärten, mit kleinen Bachläufen, Rosengärten, welcher mit allerlei bunten Blumen und überall war Wasser. Entweder kleine Teiche, Bachläufe, die sich zwischen Steinen hindurchschlängelten oder Springbrunnen. Mir gefiel der Garten am besten, in dem nur schwarze und weiße Blumen standen. Alle möglichen Sorten wuchsen dort nebeneinander. Das es von Natur aus weiße Blumen gab war mir klar, doch wie die Züchter die Blumen schwarz eingefärbt hatten war mir ein Rätsel. Heute steuerten wie jedoch auf die große Rasenfläche zu, die in der Mitte der vielen Gärten war. Ein riesiger Springbrunnen stand dort. „Hey Aya, es dauert noch mindestens ne Halbe Stunde bis die anderen kommen, ich geh uns noch mal eben ne Zeitschrift von Kiosk holen, in Ordnung?“, schlug Sophia vor. „Okay, ich geh schon mal vor.“ Ich drehte mich und machte mich auf den Weg zu der Fontaine. Dort angekommen ließ ich mich auf den Rand des flachen Beckens nieder und schloss die Augen. Ach, ja, die Sonne konnte aber auch angenehm sein. Ich fuhr mit der Hand ins kühle Wasser. Es war wunderbar erfrischend. Plötzlich merkte ich, wie sich jemand neben mich setze. Sophia konnte das unmöglich sein, denn man brauchte bis zum Kiosk und zurück mindestens eine Viertelstunde. Ein seltsames Gefühl beschlich mich. Es war schwer zu beschreiben. Eine Mischung aus Faszination, Angst, Sehnsucht und etwas das ich nicht definieren konnte. Neugierig hob ich dir Lider und starrte direkt in zwei scheinbar grau blitzende Augen. Ich schreckte zurück. Der junge Mann fing an zu lachen. Seine schwarzen Haare fielen ihm bis über die Schultern. Unter seinem schwarzen ärmellosen Shirt zeichneten sich deutlich gut trainierte Muskel ab. Er wirkte irgendwie fremdländisch, obwohl ich nicht genau sagen konnte, woher er kam. Seine Haut war trotz der Sonne, die schon seit längerem schien, hell und wirkte schon fast weiß. Trotzdem war er, es ist seltsam einen Mann so zu bezeichnen, aber er war schön. Um seine Handgelenke waren schwarze Bänder gebunden, manche mit silbernen Anhängern. Ebenso trug er ein schwarzes Lederband um den Hals, an dem so etwas wie ein kleiner, silberner Schlüssel hing. Hatte sein Blick diese Gefühle bei mir ausgelöst? Aber warum? Fragend sah ich ihn an. „Hi!“, sagte er nur. Ich war verwirrt. Was wollte er von mir? Er musste mindestens schon um die 20 sein und ich war doch erst 14 und sah auch noch nicht wirklich viel älter aus. „Hey.“, erwiderte ich nur knapp. Ich wusste einfach nicht was ich sagen sollte. „Und alles klar bei dir?“, fragte er. „Ähm ja, schon. Und bei… dir?“ Ich sah ihn an du ein eiskalter Schauer lief über meinen Rücken. Ganz plötzlich musste ich an den blonden aus dem Schwimmbad denken. Bei ihm hatte ich mich auch sonderbar gefühlt aber nicht so stark wie jetzt. „Danke. Ich kann wirklich nicht klagen.“, antwortete er. Wie aus Zufall strich seine Hand meinen Arm. Meine Haut schien dort wo er sie berührt hatte zu brennen. „Ich hab mich gefragt, ob wir mal was zusammen Unternehmen können.“, sagte er wie beiläufig. Ich zögerte. Aber, dachte ich, er ist doch so viel älter als ich. Als hätte er meine Gedanken gelesen fügte er hinzu: „Ich hoffe, dass es nicht daran scheitert, dass ich etwas älter bin als du.“ Ich schwieg immer noch und traute mich auch nicht ihm direkt ins Gesicht zu sehen. Ich dachte eine Weile nach. Warum eigentlich nicht? Zusammen unternehmen konnten wir doch mal was. „Okay, können wir machen.“ Ich lächelte ihn an. „In Ordnung. Am Sonntag? Um die gleiche Zeit? Hier?“ Jetzt lachte er ebenfalls und mein Herz schlug schneller. Ich nickte nur. „Aya!“, rief Sophia schon von weitem. Wie viel Zeit war vergangen? „Ich gehe dann besser mal. Wir sehen uns ja dann.“ Noch einmal strich seine Hand an meinem Arm vorbei, wieder scheinbar zufällig. Dann verschwand er über den Rasen, an Sophia vorbei in einen der Gärten. Ich konnte nicht anders, als ihm nachzustarren. Auch lange als er schon weg war, sah ich immer noch in die Richtung. „Ähm, Aya? Ist alles in Ordnung?“, fragte Sophia, als sie endlich neben mir stand. In ihrer Hand hielt sie die versprochene Zeitschrift. „Nichts.“, erwiderte ich wie in Trance. „Wer war das denn gerade?“, bohrte sie weiter. Ich zuckte nur mit den Schultern. „Wie? Soll das heißen, dass du das nicht weißt?“ In ihrer stimme konnte ich eine gewisse Verwirrung hören, die ich aber gut nachvollziehen konnte. „Der sah auf jeden Fall ziemlich gut aus.“ Sie setzte sich neben mich auf den Brunnenrand. „Findest du nicht, dass er ein bisschen alt war?“ Ganz Plötzlich fuhr ein heftiger Windstoss über die Wiese, danach war es sofort wieder ruhig. „Was war das denn? Vielleicht war er zu alt, aber höchstens Anfang zwanzig.“ Verwundert sah sie sich um. Auch ich fragte mich woher dieser Wind gekommen war. „Oh, rief sie auf einmal, da kommen die andern!“ Kapitel 2: We are Family ------------------------ Kapitel 2 – We are family Die Tage bis Sonntag vergingen viel schneller als mir lieb war. Tag für Tag dachte ich darüber nach, ob ich wirklich zu diesem Treffen gehen sollte. Oder ich befürchtete, dass ich hinterher doch an unseren Treffpunkt auftauchen würde aber der Fremde nicht da sein würde. Ich fand es einerseits doch ziemlich unheimlich, schließlich wusste ich nicht einmal seinen Namen, geschweige denn woher er kam und wohnte. Ich wollte immer wieder mit Sophia darüber reden, sie blockte jedoch immer ab, wenn ich auf dieses Thema zu sprechen kam. Sie meinte nur, dass es doch meine eigene Entscheidung sein müsste, ob ich mich mit dem jungen Mann traf oder nicht. Ich erinnerte mich noch gut an ihn. Er war wirklich faszinierend gewesen und sah wahnsinnig gut aus, deshalb kam ich am Sonntagmorgen zu dem Schluss, dass ich es doch wirklich einmal versuchen könnte. Ich hatte mein Handy ja dabei und im Park war immer was los, also was konnte schon groß passieren? (»30.07.06«) An diesem Samstag wollten wir wieder ins Freibad. Ich packte am frühen Abend als Letzte meine Sachen zusammen. Sophia musste zu einem Geburtstag und die Anderen hatten auch nicht länger Zeit. Ich stopfte mein Handtuch in die Tasche, als ich eine Bewegung hinter mir spürte. Ich drehte mich um. Ganz plötzlich lief ein Schauer über meinen Rücken und in meinem Bauch schien plötzlich eine ganze Horde Schmetterling aktiv geworden zu sein. Der blonde Typ von neulich stand vor mir. „Hi!“, sagte er. „Hey!“ Ich hörte meine eigene Stimme, die merkwürdig klang. Seltsam zu sagen aber es fühlte sich an, als hätte mein Körper auf Auto-Pilot geschaltet. „Hast du Lust mal was mit mir zu unternehmen?“, fragte er und lächelte. Verblüfft schaute ich ihn an. So ein toller Typ wollte mit mir etwas unternehmen? Mein Herz schlug schneller. „Ja klar, gerne.“, antwortete ich. „Wann denn?“ Ich griff nach meiner Tasche. „Jetzt?“, schlug er vor. Ich sah an mir herunter. Ich hatte noch andere Klamotten mit aber im Moment trug ich noch meine alten, die ich im Schwimmbad meistens trug. Ich wollte duschen, weil meine Haare vom Chlorwasser verfilzt waren. Er schien meinen Blick bemerkt zu haben. „Du kannst bei mir duschen. Ich wohne nicht weit von hier weg.“ Misstrauisch sah ich ihn an. Das war wirklich merkwürdig. So etwas vorzuschlagen rief bei mir eine Gewisse Unruhe hervor. Er lachte. „Das war wirklich ganz ohne Hintergedanken. Ich schwöre.“ Er legte eine Hand auf seine Brust und hob die andere in die Luft. Ich grinste. „Du kannst natürlich auch erst nach Hause gehen und wir treffen uns später oder morgen wenn du heute nicht mehr willst. Nur meine Wohnung ist hier gleich um die Ecke.“, fügte er noch hinzu. Ich zögerte dennoch. Ich kannte ihn ja eigentlich gar nicht. Mir fiel jetzt erst auf, dass ich noch nicht einmal seinen Namen wusste. Andererseits kam es nicht so rüber, als wäre er ein Irrer, Vergewaltiger oder so etwas in der Art. Aber ich wusste nur zu gut, dass man sich da auch gewaltig täuschen konnte. Trotzdem nahm ich sein Angebot an und ignorierte mein Bauchgefühl, dass mir sagte, dass ich es lieber nicht tun sollte. „Okay, dann komm.“ Wie selbstverständlich nahm er mir meine Tasche ab und schwang sie über seine Schulter. Ich folgte ihm. Auf dem Weg zu seiner Wohnung nahm ich mir die Zeit ihn einmal ganz genau zu beobachten. Seine blonden Haare glänzten in verschiedenen Schattierungen. Sie waren länger und fielen ihm in die Stirn, doch sie waren auch nicht zu lang. Sie passten gut zu seinem schmalen, ernsten Gesicht. Seine mandelförmigen Augen blitzen in einem wunderschönen dunkleren Grün. In jedem Ohrläppchen hatte er drei Löcher, in denen kleine schwarze Steine saßen. Er trug ein schwarzes T-Shirt und mehrere ebenfalls schwarze Lederbänder und Silberkettchen zierten seine Handgelenke. Seine Haut war gebräunt und unter ihr zeichneten sich deutlich seine Muskeln ab. Um seinen Hals hing ein Lederband mit einem Kreuz daran. Wie ein kleiner Elektroschock war die Aufregung überall in meinem Körper zu spüren. Es war etwas anders, doch ich kannte es. Es hatte sechs Steine. Außen fünf schwarze, spitz zulaufende tränenförmige und in der Mitte einen Runden, der in einem eben so schönen grün glänzte, wie seine Augen. Es war das genaue Gegenteil von dem, das auf dem Schwert in meinem Geschichtsbuch abgebildet war. Ich traute mich nicht ihn zu fragen und redete mir ein, dass es nur ein Zufall sei und es dieses Kreuz bestimmt zu kaufen gäbe. Ich starrte es noch eine Weile an, bevor ich ihn weiter musterte. Er trug Jeans und an den Füßen schwarze Converse Chucks, die auch ich so gut wie immer anhatte, nur das meine weiß waren. „Sag mal, wie heißt du eigentlich?“, fragte ich nach einiger Zeit. Ich kam mir ein bisschen blöd bei dieser Frage vor, aber ich sah keinen anderen Weg seinen Namen herauszufinden. Und noch blöder war es ja wohl nicht zu wissen, wie ich ihn ansprechen sollte. „Oh, sorry! Ich heiße Akito.“, antwortete er. Japanisch, schoss es mir als erstes durch den Kopf. Auch er hatte also so einen fremd klingenden Namen bekommen. Aber er sah ja auch etwas fremdländisch aus. „Ich bin Aya.“, sagte ich und wunderte mich, warum er eigentlich noch nicht danach gefragt hatte. „Ich weiß.“, erwiderte er und grinste. Jetzt war ich wirklich erstaunt. Woher wusste er meinen Namen? Bevor ich ihn fragen konnte klingelte mein Handy. Kaum hatte ich mich gemeldet, drang schon die Stimme meines Vaters in mein Ohr. „Aya? Wo bist du gerade?“, fragte er aufgeregt. „Unterwegs.“, antwortete ich knapp. „Kommst du noch mal bei mir vorbei? Ich wollte dich zum Essen einladen. Jetzt gleich bitte.“ Ich seufzte. „Ich hab keinen Hunger.“ Wie er mich nervte. Warum jetzt auf einmal? Hätte er sich nicht einfach weiterhin aus meinem Leben raushalten können? Das hatte doch die ganzen Jahre super geklappt. „Bitte. Ich habe extra einen Tisch in deinem Lieblingsrestaurant reserviert. Ich möchte dir jemanden vorstellen.“, sagte er ernst. „Deine neue Freundin etwa?“, fragte ich verächtlich. „Ja.“, erwiderte er. Das war ja wohl wirklich das Allerletzte. „Ich bin verabredet.“ Ich hatte wirklich Mühe meine Wut zu unterdrücken. „Mit Sophia?“, wollte er wissen. Ja, genau, so war er. Er war der Meinung, dass ich noch viel zu jung für einen Freund war und mich deshalb auch mit keinem Jungen treffen brauchte. „Nein.“, knurrte ich. „Etwa mit einem Jungen?“ Seine Stimme klang alarmiert, fast sogar drohend. „Ja.“, sagte ich knapp. Ich hörte ihn tief Luft holen. „Aya, ich will, dass du sofort hier her kommst. Du wirst dich nicht mit ihm treffen, dazu bist du noch lange nicht soweit.“ Ich hatte es wirklich satt. Schon wieder versuchte er über mein Leben zu bestimmen und es für mich zu Planen. Er sollte endlich akzeptieren, dass er zu lange weg gewesen war, als das ich ihn als meinen Vater ansah. „Das werde ich nicht. Es sind nicht alle so wie er.“, fauchte ich ihn an und legte auf. Ich spürte einen Seitenblick von Akito. „Dein Vater?“, fragte er. Er hatte das Gespräch also mitbekommen. Ich seufzte und nickte. „Du magst ihn wohl nicht besonders?“ Wütend kickte ich einen Stein zur Seite. „Kann man nicht sagen, aber er nervt mich.“, erwiderte ich wahrheitsgemäß. Warum erzählte ich ihm das eigentlich alles? Ich kannte ihn doch kaum. Er war mir fremd und ihn ging das alles doch gar nichts an. „Wieso nervt er dich?“, wollte Akito wissen. Ich wusste nicht, was mich dazu bewegte aber auch auf diese Frage antwortete ich. „Er ist abgehauen. Er hat meine Mutter einfach sitzen gelassen. Irgendwann, es muss so 3 Jahre später gewesen sein, stand er plötzlich wieder vor der Tür und alles änderte sich. Ich war es nicht mehr gewohnt mit einem Vater aufzuwachsen und umso älter ich wurde, umso mehr hat er versucht mein Leben zu bestimmen. Er wollte meine Freunde aussuchen, sodass ich bloß nicht an die falschen Leute gerate und besonders das letzte halbe Jahr ist es schlimm geworden. Ich hab das Gefühl, dass er mich am liebsten irgendwo einsperren würde, damit ich bloß niemanden mehr treffe. Du hast ja gehört, er will nicht, dass ich mich mit Jungen treffe.“ Wir blieben an einer Fußgängerampel stehen. Akito stand mir gegenüber. „Sei froh, dass du wenigstens noch einen hast.“ Ich sah auf. Trauer zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. „Tut mir leid, ich… ich wusste nicht, dass-…“ „Schon okay.“, schnitt er mir das Wort ab. „Er ist schon sehr lange tot.“ Sagte er ernst. Wir schwiegen eine ganze Weile. „Warum will er dich von Jungs fernhalten?“, fragte er schließlich. „Seit damals denkt er, dass es besser so wäre.“, erwiderte ich leise. Es war eine Sache über die ich genauso wenig reden wollte, die Akito über seinen toten Vater. Zum Glück stellte er keine Fragen mehr und wieder brach die Stille über uns herein, sodass mir der Lärm der Autos und das Geschrei der Kinder noch lauter vorkamen. Die Ampel sprang auf grün und wir gingen weiter. „Was für eine Verschwendung es doch wäre, dich irgendwo einzusperren.“, sagte er plötzlich mit sanfter Stimme aber doch ernster Stimme. Ich schwieg. Was hätte ich auch dazu sagen sollen? Kaum zwei Minuten später standen wir vor einem Mehrfamilienhaus, das vor längerer Zeit einmal weiß gewesen sein musste. Wir folgten einem schmalen weg, der zwischen Beeten und Sträuchern hindurch zu einem Eingang führte. Im Dachgeschoss angekommen öffnete Akito eine Tür und wir betraten einen kleinen Flur, von dem eine weitere ins Wohnzimmer führte. Er deutete auf einen Raum, der rechts von dem Flur lag. „Da ist das Bad. Lass dir Zeit, ich mach uns was zu essen.“ Dankbar nahm ich ihm meine Tasche ab und schloss hinter mir zu. Ich atmete einmal tief durch und sah mich um. Der Raum war mit strahlend weißen Fliesen ausgelegt und auf der Fensterbank standen mehrere Pflanzen. Es klopfte noch einmal an der Tür. „Aya? Handtücher liegen im Hängeschrank neben dem Waschbecken.“, sagte Akito. Seine Stimme wurde von der Tür gedämpft. „Danke.“, antwortete ich. Auf der linken Seite des quadratischen Raumes war die Toilette und das Waschbecken. Zwischen beiden war ein wunderschönes Wandgemälde auf den Kacheln. Ich trat näher heran, streckte die Finger danach aus und merkte, dass ich mich wohl getäuscht hatte. Es war nicht aufgemalt. Das Bild war ein Mosaik, in dem so kleine Steinchen benutzt wurden, dass man denken könnte es handele sich um ein Bild. Das Mosaik zeigte einen Strand. Keinen karibischen Traumstrand, sondern einen, den man auch vom Urlaub an der Nordsee kannte. Es war auch nicht einer dieser traumhaften Sonnenuntergänge, eher das krasse Gegenteil: Eine Sturmflut. Das Meer war von Sturm aufgewühlt und auf den Wellen saßen weiße Schaumkronen. Der Himmel war grau und das Meer schien in einem grau-blau zu glitzern. In der Ferne leuchtete das Licht eines Leuchtturms. Jedoch nicht das eines modernen, die mit elektrischem Licht den Schiffen ihren Weg wiesen, sondern einer, in dem die orange-roten Flammen eines Feuers brannten und ihr Licht über das aufgewühlte Meer schickten. Die Sanddünen am Strand hatten sich dunkel verfärbt und das Gras auf ihnen schien vom Wind umgeknickt worden zu sein. Vom eigentlichen Strand sah man nichts mehr und die tosenden Wellen schlugen auf die Dünen. Fasziniert strich ich über die winzigen Steine. Wie konnte man aus so einem schrecklichen Ereignis so etwas Schönes machen? Das Bild erstreckte sich vom Boden bis zur Decke. ich hatte das Gefühl es irgendwo schon einmal gesehen zu haben. Noch einen Moment lang starrte ich das Kunstwerk an, bevor ich endlich zum Schrank ging und eins der flauschigen Handtücher herauszog. Der Rest des Badezimmers war schlicht. An der Wand gegenüber von der Tür war das große Fenster, vor dem Gardinen hingen. Auf der rechten Seite war die Dusche und eine Badewanne. Die Wand war komplett weiß. Über der Badewanne hing ein Regal auf dem viele Fläschchen standen. Efeu rankte von dem weißen Holz hinunter. Die Lampe an der Decke verstrahlte warmes Licht. Auf dem Badewannenrand standen Kerzen und daneben ein Wäschebehälter. Ich wunderte mich, wie geschmackvoll der Raum eingerichtet worden war. So etwas hatte ich gar nicht von einem jungen Mann erwartet, der allein wohnte. Endlich zog ich meine Klamotten aus und stieg in die Dusche. Als der harte, warme Wasserstrahl auf meinen Rücken rauschte begann ich nachzudenken. Was tat ich hier eigentlich? Ich stand unter der Dusche eines Jungen, der mir eigentlich vollkommen fremd war. Was hatte er bloß an sich, das ich meine Vorsicht abgelegt hatte und auf dieses Angebot eingegangen war? Verrückt war auch, dass ich mich mit ihm einfach so über alle möglichen Dinge unterhalten konnte, obwohl ich heute zum ersten Mal mit ihm geredet hatte. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich ihn kannte und zwar nicht nur einfach vom Sehen, sondern, dass wir einmal richtig gute Freunde gewesen waren. Am meisten wunderte es mich aber, dass ich es überhaupt zugelassen hatte in diese Situation zu geraten. Was hatte mich dazu bewegt mit ihm mitzugehen? Neugier? Vertrauen? Weil ich ihn toll fand? Ich wusste es wirklich nicht. Seit… Nein, ich konnte einfach noch nicht wieder daran denken, geschweige denn darüber mit jemandem reden. Vielleicht irgendwann einmal. Vielleicht aber auch niemals,… nie wieder. Seit der Sache blockierte mich normalerweise irgendetwas, wenn es darum ging sich mit Jungen öfter zu treffen. Ich wich ihnen aus. Das Seltsame war, dass ich mich meistens nur von Älteren fern hielt. Mit denen aus meiner Klasse zum Beispiel hatte ich keine Probleme. Warum? Wegen der Sache… Später, ja später vielleicht würde ich es wieder erzählen können. Ich wollte nach meinem Shampoo greifen und bemerkte, dass ich es draußen in der Tasche vergessen hatte. Da ich nicht das ganze Badezimmer voll tropfen wollte, drehte ich mich neugierig zu den Fläschchen um, die hinter mir standen. Es waren erstaunlicherweise nicht die Plastikflaschen, die man aus den Supermärkten kannte, sondern Glasfläschchen, in denen verschiedenfarbige Flüssigkeiten waren. Ich roch an jeder und fand schließlich eine, die leicht süßlich aber doch frisch roch. Wenig später wickelte ich das weiche Handtuch um meinen Körper und trocknete mich ab. Aus meiner Tasche kramte ich meine Kleider zum wechseln heraus und zog sie an. „Oh shit!“, entfuhr es mir, als ich das Top betrachtete. Meine Sonnencreme war ausgelaufen und hatte sich darauf verteilt. „Alles in Ordnung?“, hörte ich Akito fragen. Ich zögerte kurz. „Mh, nein. Ich hab ein kleines Problem. Meine Creme ist ausgelaufen und hat mein Top versaut. Hast du vielleicht-…?“ „Ja, klar.“, unterbrach er mich. Ich vernahm ein leises Lachen hinter dem Holz. Ich schloss die Tür auf und einen Moment später kam Akito wieder und reichte mir ein T-Shirt durch den Spalt. „Danke.“, sagte ich verlegen. Ich achtete genau darauf, dass er keinen Blick auf mich erhaschen konnte. „Keine Ursache.“, erwiderte er. „Ich bin in der Küche. Das ist der Raum schräg gegenüber.“ Seine Schritte entfernten sich. Ich zog das schwarze T-Shirt über den Kopf. Es war zu groß, doch ich fühlte mich darin wohl und es roch verdammt gut. Fünf Minuten später trat ich ins Wohnzimmer und sah mich um. Die Wände waren in einem hellen Olivgrün gestrichen. Die restliche Einrichtung war zum Großteil in schwarz und weiß gehalten. Der Raum hatte eine Schräge, in der viele Fenster eingelassen waren. Gegenüber von einem Fernsehschrank aus Ahorn stand ein weißes Sofa und ein gleichfarbiger Sessel um einen Tisch herum. Auf der Glasplatte standen Gläser neben einer Schale mit Obst. Außerdem lag eine Menge Kram herum, das ich noch nie gesehen hatte. An der Wand über dem Sofa hingen frei Schwerter. Alle waren lang und gebogen. Ein Griff war in weiß eingebunden, einer in schwarz und der dritte war schlicht braun. Ich betrachtete sie genauer und erstarrte. Das Schwarze war genau das, was in meinem Geschichtsbuch abgebildet war und auf dem weißen saßen die Steine genauso wie auf Akitos Kreuz. Also weiß außen und grün innen. In beide Klingen waren seltsam verschlungene Zeichen graviert, die sich in der Mitte über das gesamte Schwert zogen. Von weitem sah es aus, als wäre es nur eine Linie. Hinter mir hörte ich eine Tür klappen. „Schön, oder?“, fragte Akito und stellte ein Tablett auf den Tisch. Mit einer Handbewegung deutete er auf das Sofa. „Sie sind wirklich sehr schön.“, sagte ich und half ihm eine Schale mit Salat, Baguette und Geschirr auf der Glasplatte auszubreiten. Ich griff in meine Hosentasche, zog meinen Schmuck heraus und legte ihn auf das Sofa neben mich. Akito sah mich an. „Sorry.“, sagte ich. „Muss sein, sonst komme ich mir so unvollständig vor. „Er lächelte. „Kenn ich nur zur Genüge.“ Er zeigte auf seine Armbänder. „Soll ich helfen? Ich weiß von mir, dass es manchmal ziemlich kompliziert ist.“ Ich hätte es auch gut alleine geschafft aber trotzdem nickte ich. Er betrachtete alle Bänder und griff dann nach einem schwarzen Lederband, an dem ein verzierter Ring hing. „Rechts oder Links?“ Ich hielt den rechten Arm hin. „Das silberne und das mit den Perlen auch.“ Er schloss auch die beiden anderen Bänder. „Das Silberne, ist das nicht die Kette von den Chucks?“, wollte er wissen. „Ja genau.“ Ich lächelte. „Und das mit den Perlen hab ich im Urlaub gekauft.“ Ich strich mit den Fingern über die Steine. „Mir scheint du magst schwarz und weiß?“ Ich nickte. „Ich liebe es. Nur meine Mutter treibt es in den Wahnsinn, weil ich fast keine farbigen Klamotten habe.“ Akito griff nach den beiden letzten Lederbändern. Schwarz und weiß. „Also das A steht bestimmt für Aya. Und das hier?“ Er hob das weiße Band hoch, an dem ein Halbkreis hing, der aussah, als hätte man die andere Hälfte abgebrochen. „Ein Freundschaftsanhänger? „ „Ja, genau.“, bestätigte ich. Akito fasste meine linke Hand und zog sie zu sich, um auch diese Armbänder zu schließen. Auf einmal hielt er in der Bewegung inne und sah mich an. Verdammt, schoss es mir durch den Kopf und ich versuchte mit aller Kraft meine Hand zurückzuziehen, doch es war zu spät. Er hatte die Narbe, die sich über mein inneres Handgelenk gut drei Zentimeter über meinen Arm zog, gesehen. Er hielt meine Hand fest. „Was ist passiert?“, fragte er. Seine mandelförmigen Augen waren ernst geworden. „Nichts Besonderes. Ein kleiner Unfall. Es war keine Absicht.“, erwiderte ich. Seinem Blick wich ich jedoch aus. Es war wirklich keine Absicht gewesen. Zumindest nicht meine. Er schliss die Bänder und ließ meinen Arm los. Ob er mir glaubte wusste ich nicht. Schnell steckte ich die Ohrringe ein (zwei an jeder Seite) und hängte die silberne Kette mir dem kleinen Engel um den Hals. (»04.08.06«) Ich fühlte mich ertappt und war froh, als Akito das Thema wechselte. Er stand auf und nahm eines der Schwerter von der Wand. Er reichte es mir. Ich war erstaunt. Ich dachte immer so ein Schwert wäre viel schwerer. Ich hatte es auf meine Knie gelegt und fuhr über die silberne Klinge, mied aber die Spitze und die unglaublich scharfen Seiten. „Was bedeuten diese Zeichen?“, fragte ich. Er schwieg. Ich schloss die Finger um den weißen Griff und etwas Seltsames geschah. (»03.09.06«) Eine merkwürdige Wärme floss durch meinen Körper. Immer schneller breitete sie sich aus und bald schien jede Pore davon erfüllt zu sein. Nur noch ein einziger Gedanke schoss durch meinen Kopf: Lass los! Denn die eben noch so angenehme Wärme wurde immer heißer und ich hatte das Gefühl, dass sie irgendetwas in mir freisetzte, das ich nicht kontrollieren konnte. Es tat weh, verdammt weh und umso mehr ich versuchte mich dagegen zu wehren, desto stärker wurde es. Mein Herz raste. Ich nahm den Raum um mich herum gar nicht mehr richtig wahr. Ich wollte nur diesen Kampf gewinnen, aber irgendetwas hinderte mich daran loszulassen. ~†~ Plötzlich spürte er Macht. Die Macht… Ihre Macht… Sie erwachte und trotzdem wehrte sich jemand gegen sie. Wie dumm, dachte er. Sie kann nicht mehr aufgehalten werden, dazu ist es zu spät. Er würde alles tun um sie jetzt schon zu sich zu holen, doch es war ihm verboten. Der Rat hatte entschieden, dass er noch warten sollte. Er hätte morgen die Wächterin treffen sollen, doch auch das war ihm untersagt. Das Mädchen würde die bisherige Begegnung vergessen und auch das Treffen, dass morgen stattfinden sollte. Er brauchte die Wächterin, ohne sie würde niemals jemand erfahren, wo sich die Nachfolgerin Gilleads aufhielt. Doch er musste warten. Warten bis er endlich die Erlaubnis vom Rat bekam. ~†~ Er schloss seine Hände um meine und löste meine Finger von dem Griff. Sofort verschwand die Hitze und nur noch ein angenehmes Kribbeln durchströmte meinen Körper. Ich rang nach Luft und in meinem Kopf begannen dutzende von Fragen Gestalt anzunehmen. Ich lehnte mich zurück gegen die weichen Kissen. „Was… Was war das?“, keuchte ich und schloss die Augen. Akito antwortete nicht. Ich fragte auch nicht weiter. Ich war schrecklich müde und verwirrt. Ist das hier alles nur ein Traum? So etwas kann doch nicht möglich sein. Ich hörte Akito etwas sagen, verstand es jedoch nicht wirklich. Ich war viel zu erschöpft. Ich konnte mein eigenes Herz schlagen hören. Ich wollte meine Augen wieder öffnen, doch es ging nicht. Die Gedanken in meinem Kopf verschwammen und ich war eingeschlafen. Ich streckte mich, als die ersten Sonnenstrahlen mein Gesicht berührten. Langsam öffnete ich die Augen und stutzte. Wo war ich? „Na, ausgeschlafen?“, fragte eine leise Stimme. Ich sah auf. Akitos Augen blitzten im Sonnenlicht, das durch die Fenster flutete. Ich rieb über mein Gesicht und setzte mich auf. „Oh, mein Gott.“, fluchte ich leise, als mir plötzlich schwindelig wurde und die Welt sich um mich drehte. „Trink das.“ Akito reichte mir einen Becher mit einer dampfenden Flüssigkeit. Er selber saß in dem Sessel und hielt ebenfalls eine Tasse in der Hand. Er trug eine ausgewaschene, dunkelblaue Jeans und ein schwarzes Hemd, das halb offen stand. Um seinen Hals hing das Lederband, das er zweimal um seinen Nacken geschlungen hatte, mit dem Kreuz daran. Wow, schoss es mir durch den Kopf. Er sah wirklich gut aus. Ich merkte, dass mir die Röte ins Gesicht stieg und sah schnell weg. Mein Blick blieb am Fenster hängen. „Wie spät haben wir es eigentlich?“, fragte ich und nahm einen Schluck aus der Tasse. Er zog sein Handy aus der Hosentasche und schaute darauf. „Kurz vor neun.“, antwortete er. „Oh, verdammt!“ Mit einem schlag war ich hellwach und ich verdrängte das gestern Abend geschehene. Heute war Sonntag und in knapp einer Stunde war ich mit meiner Oma wie jeden Sonntag verabredet. Außerdem machte meine Mutter sich bestimmt schon Sorgen. „Ich muss sofort nach Hause! Ich muss mich fertig machen und zur Kirche.“ Ich schlug die Decke zurück, die Akito über mich gelegt haben musste und für einen Moment erfüllte sich mein Herz mit Wärme. „In die Kirche?“ Er beugte sich vor und stützte seine Ellenbogen auf die Knie. „Du bist gläubig?“, fragte er mit einem seltsamen Unterton in der Stimme. „Ja…“ Ich zögerte. „Nein. Jedenfalls nicht so.“, versuchte ich zu erklären. „Wieso gehst du dann in die Kirche?“ Ich sah ihn an. „Ich treffe mich mit meiner Oma. Schon seit ich klein bin gehe ich jeden Sonntag mit ihr zum Gottesdienst.“, antwortete ich. „Soll ich dich fahren? Dann schaffst du es noch.“, bot er mir an. „Das musst du wirklich nicht.“, wehrte ich ab. „Ich will dir nicht noch mehr Umstände machen.“ Ich stand auf. Auch Akito erhob sich und ging zu einem Schrank und als er sich umdrehte, warf er mir einen Helm zu. „Zieh Schuhe an und komm runter.“ Mit diesen Worten verließ er die Wohnung. Ich starrte den Helm an, schlüpfte in meine Chucks und lief die Treppen hinunter. Was ich dann sah verschlug mir für einen Moment die Sprache. Akito stand neben einem tiefschwarzen Motorrad. Der Lack glänzte in der Sonne. „Nun komm schon.“ Er schwang sich auf die Maschine und deutete auf den Platz hinter sich. Ich hatte noch nie auf so einem Ding gesessen, deshalb war mir auch etwas mulmig, als ich den Helm aufsetzte und hinter ihm Platz nahm. Ich hielt mich an ihm fest und die Fahrt begann. Weniger als zehn Minuten später hielt er vor meinem Haus und ich stieg ab. Das Auto meiner Mutter stand nicht vor der Garage und das Tor war weit geöffnet. Sie war also nicht da. Ich drehte mich zu Akito um. „Ähm… willst du vielleicht noch mit reinkommen?“, fragte ich etwas verlegen. Er schüttelte den Kopf. „Ich warte hier auf dich.“ „Okay.“ Ich sprang zwei Stufen aus einmal nehmend die steile Treppe zu unserem Haus hoch und schloss die Tür auf. Oben in meinem Zimmer zog ich mich um und schminkte meine Augen. Hastig griff ich nach einer kleineren Tasche, verstaute mein Handy darin und lief die Treppen wieder hinunter. „So, wir können los.“, sagte ich, als ich außer Atem unten neben Akito stand. (»09.10.06«) „Na dann los.“ Er lächelte. Die Kirche lag etwas außerhalb der Stadt in mitten eines großen, alten Friedhofs. Durch ein wunderschönes aber schon etwas brüchiges Tor betraten wir den Kiesweg, der zur Kirche führte. Sie war aus grauen Steinen erbaut worden und nicht so reichlich verziert, wie man es von so alten Kirchen gewohnt war. Rund um den Rechteckigen Bau zog sich eine eingemeißelte, gewundene Blumenranke mit Rosen. Auch um den hohen Kirchturm mit den Glocken darin zog sich die Ranke und oben schlang sie sich um ein dort eingehauenes Kreuz. Der Anblick des Gotteshauses imponierte mir immer wieder und ich fragte mich wieder einmal wer so etwas Schönes gebaut hatte. Vor dem großen Portal, das mit steinernen Kallas geschmückt war, wartete schon meine Oma und schaute nervös auf die Uhr. Sie wartete wohl schon auf mich. Ich drehte mich zu Akito um. „Danke.“, sagte ich. „Kein Problem“, erwiderte er nur. „Aya!“, rief meine Oma, die mich anscheinend gesehen hatte und kam langsam auf uns zu. „Hey Oma.“ Ich musste lächeln. Sie war wirklich einer der gutmütigsten Menschen die ich kannte. „Schätzchen, wir müssen uns beeilen.“ Sie machte eine kurze Pause und musterte Akito. Aus irgendeinem Grund war mir das ziemlich peinlich und ich hoffte, dass sie nicht weiter sagen würde, doch sie wäre nicht meine Oma, hätte sie nichts zu Akito erwähnt. Es kam schließlich nicht jeden Tag vor, dass sie mich mit einem Jungen zusammen sah. „Willst du mir deinen neuen Freund nicht vorstellen?“, fragte sie unschuldig und doch schmunzelte sie. Aber sie war halt eine Oma und wer konnte Omas schon lange böse sein? Trotzdem spürte ich wie mir die Röte ins Gesicht schoss. „Das ist Akito.“ Ich knuffte sie leicht. „Und er ist nicht mein Freund.“, fügte ich in leicht genervtem Tonfall hinzu und konnte mir doch ein Grinsen nicht verkneifen. Ich sah zu Akito. Auch er lächelte und reichte meiner Oma die Hand. „Und du kommst heute mit uns in die Kirche?“, fragte sie. Ihren Augen blitzten munter und ihre grauen Löckchen glitzerten in der Herbstsonne. Von einem auf den anderen Tag war es kälter geworden und ein sanfter Wind wehte. „Eigentlich-…“, wollte ich einwenden aber Akito unterbrach mich. „Warum nicht, ich war schon lange nicht mehr dort. Wenn das für dich okay ist Aya?“ Er drehte sich zu mir. „Natürlich.“, sagte ich. Innerlich fühlte ich mich ziemlich zerrissen. Ich kannte ihn doch nicht, redete ich mir ein. Warum soll er meine Familie kennen lernen? Außerdem ging mir das Erlebnis mit dem Schwert von gestern immer noch nicht aus dem Kopf. Einerseits war Akito mir unheimlich. Er schien immer etwas geheimnisvolles, Verwegenes an sich zu haben und ich wusste nicht, ob ich ihm vertrauen sollte. Andererseits wollte ich das aber. Ich wollte ihn als einen Freund gewinnen. Ich mochte es, wie er sprach und hoffte öfter einmal mit ihm reden zu können, um mehr über ihn herauszufinden. Nur als einen Freund, dachte ich, mehr nicht und ich schauderte innerlich. Das Läuten der Glocken holte mich aus meinen Gedanken zurück. „Jetzt aber los, Kinder, sonst kommen wir zu spät.“ Ich wunderte mich immer wieder, wie viel Lebensfreude und Elan meine Oma noch besaß. Ich hakte mich bei ihr unter und gemeinsam gingen wir auf die Kirche zu. Als wir sie betraten, sah ich mich kurz zu Akito um. Sein Gesicht war ernst geworden und er fasste sich an sein rechtes Handgelenk. Er bemerkte meinen Blick nicht. Wir standen in dem riesigen Raum und ich sah mich um. Dieses war die einzige Kirche, die ich kannte, in der keine Bilder von Jesus, seinen Jüngern und all den Geschichten aus der Bibel an der Decke oder den Wänden waren. Nur die Ranke zog sich auch hier über die Wände und wandte sich dieses Mal um das Kreuz, das an einer Holzplatte über dem Altar befestigt war. Die Holzplatte war mit Engeln verziert und es schien, als würden sie das Kreuz halten. Keine kleinen, pummeligen Engel mit roten Apfelbäckchen, sondern Männer und Frauen, manche mit riesigen Flügeln, manche ohne. Die Decke hatte zwei Seiten. Zum Altar hin zeigte das riesige Wandgemälde die Nacht, mit einem wolkenbedeckten Himmel und dem Vollmond. Die andere Seite stellte im Gegensatz dazu den Tag dar. Mit strahlender Sonne und blauem Himmel. Wir setzten uns auf eine der Bänke etwas weiter hinten und lauschten der Stimme des Pastors, doch schon bald versank ich wieder in Gedanken. Ich stellte mir vor, wie es hier wohl früher gewesen war, als die Kirche erbaut wurde. Ich fragte mich, wie viele Menschen schon in dieser Halle gesessen hatten und wie viele Gottesdienste hier schon gefeiert wurden. Ob hier schon einmal jemand geheiratet hatte und ob all die Menschen, deren Gräber hier auf dem Friedhof waren, hier das letzte Mal gesegnet wurden. Wie all die Menschen um sie geweint haben. Ob hier Kinder getauft und in ihr Leben geschickt wurden. All die Freude und das Leid,… ~†~ Das Laub begann sich golden zu färben und der erste Regen fiel. Die Tage wurden kürzer und die Nächte länger. Er sog den Geruch von Asche ein und schritt weiter durch die Gassen. Die Kapuze war tief in sein Gesicht gezogen und nur ein paar Strähnen seines tiefschwarzen, schulterlangen Haars fielen darunter hervor. Es war selten, dass er allein unterwegs war, doch heute wollte er unnötige Aufmerksamkeit vermeiden. Es war Mittag und die Straßen waren belebt. Händler hatten ihre Stände am Wegrand aufgebaut und boten lautstark ihre Waren an. Frauen und Männer tummelten sich und versuchten das beste Angebot zu erkungeln. Er fiel in der Masse nicht weiter auf. Ein Windhauch trug die verschiedensten Gerüche zu ihm herüber. Wind… Wie schweiften seine Gedanken zu der Wächterin und wann er sie wohl endlich befragen konnte. Langsam wurde er nervös. Izilia saß bestimmt nicht tatenlos rum. Sie versuchten bestimmt auch sie zu finden, wenn sie das nicht schon längst hatten. Wie immer entbrannte ein Kampf, wer die Gillead zuerst finden würde und der einzige Weg dorthin führte nun einmal über die Wächterin. Er bahnte sich einen Weg durch die Menschen, die noch nichts ahnend ihrem Leben nachgingen, als wäre es wie sonst auch. Tag für Tag war seit der letzten Ratssitzung verstrichen und immer hatte man ihn vertröstet. Tage des Wartens, in denen noch mehr Zeit war Pläne zu schmieden. Er stand vor einer großen Villa und klopfte. Als von einem jungen Hausmädchen geöffnet wurde, zog er seine Kapuze vom Kopf und das Mädchen verbeugte sich tief. Er ging wortlos an ihn vorbei in einen großen Saal, indem die Ratssitzungen stattfanden. Die anderen warteten schon und erhoben sich, als er eintrat. Jeder dieser Männer trug sein Zeichen. Zwei kleine, schwarze Flammen innen am Rechten Handgelenk. Er ging um den Tisch herum, ließ seinen langen, ebenfalls schwarzen Umhang fallen und nahm am Kopfende des Tisches Platz. Er hob die Hand, an dem ein Siegelring mit eben diesen beiden Flammen saß und befahl somit den anderen sich zu setzen. Bis auf einen nahmen alle Männer Platz. „Willkommen, Herr der Dunkelheit.“, sagte dieser und verbeugte sich tief. „Ich begrüße Euch im Namen aller Ratsmitglieder…“ ~†~ (»11.10.06«) Ich trat aus dem abgedunkelten Raum und streckte mein Gesicht der Sonne entgegen. Ich konnte das Prickeln und die Wärme ihrer Strahlen spüren. Neben mir hörte ich die großen, selbstsicheren Schritte von Akito und die kleinen, trippelnden von meiner Oma. „Kindchen, sei mir nicht böse, aber mein Taxi wartet. Ich kann heute nicht mit dir gehen. Du weißt ja, Inges Geburtstag.“, sagte meine Oma und griff nach meiner Hand. „Ist okay. Wir sehen uns dann spätestens nächsten Sonntag.“ Ich umarmte sie. „Machs gut und viel Spaß.“ Ich sah ihr nach, wie sie dem Weg zur Straße folgte. „Soll ich dich nach Hause bringen?“, fragte Akito. „Nein. Ich möchte noch auf den Friedhof.“, erwiderte ich kurz angebunden. Ich liebte diesen Friedhof. Okay, vielleicht klingt es makaber zu sagen, dass man einen Friedhof liebt aber ich fand ihn einfach wunderschön. Hier standen noch Gradsteine aus dem 18. Jahrhundert, die so viel schöner waren, als die neumodischen Klötze. Am liebsten würde ich die Geschichte jedes einzelnen Menschen kennen, die so früh gestorben waren. „Kann ich ein Stück mitgehen?“ Ich drehte mich zu ihm um und zuckte mit den Schultern. „Meinetwegen.“ Ich schlug einen Weg links von uns ein. „Kommst du oft hier her?“ „Ja. Jeden Sonntag. Ich pflege das Grab von meinem Opa.“, antwortete ich. „Wann ist er gestorben?“ Ich zögerte einen Moment. Was wollte Akito eigentlich von mir? Warum fragte er so etwas. Wir kannten uns doch eigentlich nicht. Und warum antwortete ich überhaupt auf solche Fragen? Ich wusste es nicht aber genauso wenig wusste ich, was es mit schaden sollte. Vielleicht interessierte er sich ja einfach nur für mein Leben. „Vor einem Jahr.“, sagte ich leise und blieb vor seinem Grabstein stehen. „Das tut mir leid.“ Ich schwieg und starrte auf den schwarzen Stein. „Wie war es für dich, als dein Vater gestorben ist?“, fragte ich etwas verlegen. Ich wollte auch mehr über ihn wissen. Ich kam mir ziemlich blöd vor, als ich das fragte. Vielleicht war es auch falsch, doch er antwortete. „Ich war damals nur wütend. Ich hasste ihn, weil er mich allein gelassen hat. Ich hasste sie alle beide,… Ihn und meine Mutter. Es war ein Unfall, kann man sagen. Ich hab mich zurückgezogen, wurde in ein Heim gesteckt und hab mit niemandem geredet. Ich schwieg 2 Jahre lang nur. Ich wusste noch nicht einmal warum. Es kommt mir jetzt so vor, als wollte ich damals den andern die Schuld für ihren Tod geben. Ich konnte einfach nicht weinen. Bis heute habe ich nie deswegen auch nur eine Träne vergossen. Aber hab ich verstanden, dass sie mich nicht allein lassen wollten. Sie wurden dazu gezwungen. Das war vor 10 Jahren und seit dem Lebe ich bei einer Pflegefamilie.“, erzählte er. Sein Blick hatte sich verfinstert. Ich wusste nicht, wie ich ihn einschätzen sollte. Manchmal wirkte er einfach so unberechenbar, so kalt. „Aber jetzt will ich auch noch etwas über deinen Vater wissen.“, fügte er hinzu. „Was willst du denn da noch wissen? Ich sagte doch schon alles.“, wich ich ihm aus. „Warum hat er deine Mutter verlassen?“ Ich seufzte und deutete auf eine Bank unter einer großen Weide. „Setzen wir uns?“ Er nickte. „Du willst wissen, warum er sie verlassen hat? Er ist mit sich selber nicht mehr klargekommen. Er hat seinen Job verloren, getrunken und ist völlig abgestürzt. Er ist anders geworden. Aggressiver, gereizter,… Als ich ganz klein war, hat er immer mit mir gespielt und hat gelacht. Doch dann kam die große Veränderung.“ Nervös spielten meine Finger an dem brüchigen Holz der Bank. „Er hat dich geschlagen?“ Ich antwortete nicht. Was sollte ich auch sagen? Ja, stimmt? Wer gibt schon gerne zu, dass seine Familie kaputt gegangen ist? „Nicht so oft. Aber meine Mutter.“ „Er nervt dich gar nicht so, stimmt doch? Du hast nur Angst, dass er es wieder tut, oder?“ Einige Minuten verstrichen. „Er wird so leicht wütend und flippt schnell vollkommen aus. Ja, vielleicht hast du Recht. Ich habe Angst davor. Ich will nicht, dass er wieder zurückkommt.“ Ein heftiger Windhauch fegte durch die Äste der Weide und das Laub raschelte. Wolken schoben sich vor die Sonne und ich fröstelte leicht. „Warum hast du damals wieder angefangen zu sprechen?“, fragte ich plötzlich. (»12.10.06«) „Soll ich sie dir vorstellen?“, wollte er wissen und lachte, als er mein verdutztes Gesicht sah. „Vorstellen?“ Ich war verwirrt. „Ja klar. Ähm… Was hast du am Samstagabend vor?“ Ich überlegte kurz. „Noch nichts.“, antwortete ich. „Okay, dann komm doch einfach so gegen acht Uhr bei mir vorbei.“, schlug er vor. „Gerne.“ Dann war es still. Man hörte nur noch das Rauschen der Blätter. Die Wolken verdeckten nun gänzlich die Sonne. Es war, als würden sich alle meine Sinne schärfen. Ich konnte einen Herzschlag hören und wusste, dass es nicht meiner war. Ich sah jeden noch so kleinen Kiesel auf dem Weg deutlicher als jemals zuvor. Das Rauschen des Windes wurde unerträglich laut. Mit einem Mal hörte ich Schreie, die die mir das Blut in den Adern gefrieren ließen. Das Schlagen des Herzens mischt sich immer mehr mit meinem und versuchte ihm seinen Rhythmus aufzuzwingen. Ich bekam keine Luft mehr. Irgendjemand rief mich, wollte dass ich zu ihm komme. Mein Blut schien zu kochen und in meinem Kopf hallten immer noch die gequälten Laute unzähliger Menschen. Ich drückte die Hände auf die Ohren und hoffte nur, dass es aufhören würde. Akito war aufgestanden und sah sich um. Merkte er etwa auch etwas? Ich schloss die Augen, doch dadurch wurde es nur noch schlimmer. Ich sah Menschen. Sie alle waren tot. Unmengen von Blut färbte ihre Kleidung, ihre Haut und den Boden auf dem sie lagen. Ein Mädchen stand inmitten der leblosen Körper. Ihre Kleidung war Blut bespritzt, die Haare wehten im Wind. Ein langes schwarzes Kleid flatterte um ihre Beine und die Augen funkelten. Ich schrie. Das Mädchen lachte. Es hatte alle diese Menschen umgebracht. Der Mond stand rot am Himmel. Das Mädchen war ich. Ich hatte all diese Menschen umgebracht. Ich war es… Ich war Schuld… „Aya?“ Akito berührte meine Schulter. „Ist alles in Ordnung mit dir?“ Ich sah auf und versuchte meine Gedanken zu ordnen. „Ja, es ist alles klar.“, log ich. Ich musste doch wie eine Verrückte scheinen, wenn ich ihm die Wahrheit erzählen würde. Ich sah auf die Uhr. Zwölf. „Kannst du mich jetzt vielleicht nach Hause bringen?“, fragte ich. „Ja, natürlich. Komm“ Als ich aufstand zitterten meine Beine und ich hatte Mühe sie wieder unter Kontrolle zu bekommen. So langsam zweifelte ich wirklich an mir selbst. Sonst hatte ich immer alles unter Kontrolle, doch in den letzten Tagen passierten so seltsame Dinge. Wurde ich wirklich so langsam verrückt? Vor unserem Haus standen zwei Autos. Ich stockte. Wollte mein Vater heute zu Besuch kommen? Nachdem ich mich bei Akito bedankt und mich von ihm verabschiedet hatte, stieg ich langsam die Stufen zur Haustür hinauf und drückte auf die Klingel. Die Tür öffnete sich und ich blickte direkt ins Gesicht meines Vaters. „Na Madame, auch schon zu Hause.“, sagte er mit kalter Stimme. „Sieht wohl so aus.“, erwiderte ich. Ich wurde nervös. Ich kannte diesen Tonfall. Ich wollte durch in den Flur gehen, doch er stemmte seinen Arm vor mich. „Wo warst du?“, knurrte er. Ich erstarrte. „Ich,… Ich,…“ Ich brachte keinen vernünftigen Ton mehr heraus und die Wut meines Vaters wuchs. „Hatte ich dir nicht verboten mit Jungen wegzugehen?“, fragte er. Ich überwand meine Angst. Mein Ärger, dass er schon wieder mein Leben lenken wollte überwog einfach. „Was machst du eigentlich hier?“ Meine Stimmte zitterte. „Ich wohne hier.“ Entsetzt sah ich auf. „Da guckst du. Ich wollte dir doch meine neue Freundin vorstellen. Deine Mutter und ich sind wieder zusammen.“ Ich schnappte nach Luft. „Du kommst hier nach all den Jahren wieder an, versuchst mein Leben zu bestimmen und denkst ich würde das so einfach mitmachen? Weißt du, was du uns angetan hast? Hau ab! Hau einfach wieder ab! Es braucht dich hier keiner!“, schrie ich. Einen Moment sah mein Vater mich an, als würde er erst mal verstehen müssen, was ich da gerade gesagt hatte. (»17.10.06«) „Rein ins Haus!“, zischte er. „Sieh zu, dass du in dein Zimmer kommst.“ Er packte mich grob am Arm und zog mich durch die Tür, die er hinter mir zuschlug. Ich riss mich los und rannte die Treppe zum Dachboden hinauf. Mein Herz raste. Nein, nein, nein, das durfte nicht sein. Es konnte nicht wahr sein. So etwas würde meine Mutter doch niemals tun. Sie würde doch nicht wieder mit dem Mann zusammenwohnen, der damals unser Leben kaputt gemacht hat. Mein Kopf war leer. Ich wollte es nicht wahrhaben. Bedeutete das etwa, dass alles noch mal von vorne anfing? Ich warf mich auf mein Bett, starrte an die Decke und wischte eine Träne aus dem Augenwinkel. Mein Blick verschwamm und langsam schloss ich die Augen. Als ich sie wieder öffnete war es viertel nach fünf. Ich hatte eine Entscheidung getroffen. Ich würde heute Abend einfach noch einmal weggehen. Dann müsste ich ihn nicht sehen… Nicht in sein Gesicht blicken müssen, seine Stimme nicht hören und seine Anwesenheit nicht spüren müssen. Ich konnte einfach weglaufen. Ich ging an meinen PC und öffnete den Chat. Eva war da, vielleicht könnte ich ja zu ihr gehen. 18. September, 17:23 Uhr Unterhaltung mit: Eva Aya: Hey Eva! Eva: Aya =) Alles okay bei dir? Aya: Ja klar und bei dir? Mir ist nur ziemlich langweilig. Ich musste sie anlügen. Keiner wusste von meinem Vater. Nicht einmal Sophia, der ich sonst eigentlich alles, wirklich alles erzählte. Nur mir war es aus irgendeinem Grund unangenehm über meinen Vater zu sprechen, obwohl ich anderen auch wusste, dass deren Väter keine Engel waren. Eva: Ja bei mir eigentlich auch. Aya: Was machst du heute noch so? Eva: Ich weiß es noch nicht genau. Tobi hat mich gefragt ob ich mit auf die Party von seinem Bruder komme. Hast du schon alle Hausaufgaben fertig? Aya: Nein, aber die Lehrer sind doch morgen und Dienstag sowieso auf so einem Fortbildungsseminar und wir haben sowieso keine Schule. Meinst du ich kann mit auf die Party kommen und hinterher bei dir pennen? Eigentlich hatte ich keine Lust auf Party aber es war immerhin besser, als hier zu Hause zu sitzen. Ich wollte selbst meiner Mutter nicht über den Weg laufen, weil ich bestimmt damit angefangen hätte ihr Vorwürfe zu machen. Ich verstand wirklich nicht, was sie sich dabei gedacht hatte und wie man einen Menschen, der einen schlägt noch lieben konnte. Eva: Natürlich kannst du mitkommen. Es kann jeder kommen, der will. Das mit dem Pennen dürfte auch kein Problem sein, ich hab sturmfrei. Aya: Okay, dann bin ich so gegen acht bei dir, in Ordnung? Eva: Klar. Dann bis dann und zieh dir was Ordentliches an =p Aya: Jaja, werd ich machen. Bis dann. Ich loggte mich aus dem Chat. Ich drehte die Musik und versuchte somit jeden einzelnen Gedanken aus meinem Kopf zu verscheuchen. Ich öffnete meinen Schrank und stand unschlüssig davor. Was bei Eva vernünftig war, entsprach noch lange nicht meinem Geschmack. Sie liebte Pink und all den kram, den ich zutiefst verabscheute. Aber was machte das schon. Sie war nett und ich mochte sie und das war schließlich das was zählte. Ich kramte Hose, Top und Jacke hervor, in denen ich mich wohl fühlte, die aber trotzdem schick waren. Ich stieg unter die Dusche und zog mich um. Draußen begann es schon zu dämmern, als ich mich fertig geschminkt hatte und meinen Rucksack zuzog. Halb acht. Ich lief die Treppen hinunter und schlüpfte in meine Schuhe. Gerade war ich aus der Haustür getreten, als ich ein Räuspern hinter mir hörte. Erschrocken drehte ich mich um. „Wo willst du hin?“, fragte mein Vater misstrauisch. „Zu Eva.“, erwiderte ich knapp. „Nichts da. Du bleibst heute zu Hause.“, knurrte er und wollte mich zurück ins Haus schieben. „Und schon wieder versuchst du es.“, stellte ich fest. „Was?“ Er sah mich an. „Mein Leben zu bestimmen. Nenn mir einen Grund warum ich heute nicht weg darf?“(Birte) (»19.10.06«) „Du bist meine Tochter! Wenn ich sage, du bleibst hier, dann bleibst du das auch! Das ist doch vollkommen normal! Und jetzt komm wieder rein.“ Ich lachte. „Normalerweise haben Töchter auch Vertrauen zu ihren Vätern…“ Ich seufzte. „Du kommst sofort rein.“, sagte er. Es war eine Drohung, das wusste ich genau. Irgendwo in meinem Kopf knallten sämtliche Sicherungen raus. „Vergiss es. Wenn du gelernt hast ein Vater zu sein, dann sag mir bescheid.“ Mein Vater schnaufte wütend. Seine Stirn hatte sich in fiele kleine Fältchen Verwandelt und in seinen Augen glühte seine Aggressivität förmlich. Ich hatte es übertrieben, das wurde mir in diesem Moment klar. Ich versuchte den Kloß in meinem Hals hinunterzuschlucken. Genau jetzt, in diesem Moment, bemerkte ich, wie sehr ich mir einen richtigen Vater gewünscht hatte. „Nicht nur du solltest Respekt von mir erwarten, sondern das sollte ich auch von dir tun. Du kannst dich nicht meinen Vater nennen, weil du nie für mich da warst. Als du deinen Job verloren hast, hättest du weiterkämpfen müssen und weiter für mich da sein müssen. Anstatt dessen hast du dich zuge-…“ Der Schlag traf mich hart an der Schläfe. Mein Vater stand vor mir und starrte mich an. Ich hatte das Gefühl, dass nun alles in Zeitlupe verlief. Ich verlor das Gleichgewicht und fiel nach hinten. Fassungslosigkeit durchströmte meinen Körper. Er hatte es wieder getan und auch der letzte Funke Hoffnung, dass er sich doch geändert hatte erlosch. Schützend hob ich die Arme über den Kopf. Ich schien ewig zu fallen und spürte die Angst vor dem Aufprall in mir wachsen. Ich traf auf den Stein. Für eine Weile merkte ich gar nichts. Unendliche Stille schien mich zu umgeben und alles war verschwommen. Ich versuchte mich zu bewegen. Der Schmerz kam. Meine Arme brannten wie Feuer und ich hatte das Gefühl, dass irgendjemand mit den Brustkorb zusammendrückte und die Luft abschnürte. Etwas Warmes lief an meinen Armen hinab. Ich lag da und wusste nicht wie viel Zeit verging. Vielleicht waren es auch nur ein paar Sekunden, für mich schienen es Stunden zu sein. Ich wollte weg von hier, weg von diesem Mann. Langsam richtete ich mich auf und konzentrierte mich zwanghaft auf meine Bewegungen, um den Schmerz zu verdrängen. Ich sah hoch. Da stand er und sah mich immer noch an. Was erwartete er jetzt? Etwa, dass ich zu ihm nach oben ging und mich entschuldigte? Ganz bestimmt nicht. Dazu war ich zu stolz… Und meine Angst war einfach zu groß. Ich stand vor der Tür und überlegte, ob ich wirklich klingeln sollte. Die Riemen meines Rucksacks schnitten in meine sowieso schon schmerzenden Schultern und so langsam wurde mir ziemlich schwindelig. Ich hatte mich in den nächst Besten Bus gesetzt und nachgedacht zu wem ich fahren könnte. Eva hatte ich schon geschrieben, dass ich doch nicht kommen würde. Ich wollte ihr so nicht begegnen und ihr außerdem ihre Party nicht verderben. Sophia war nicht zu Hause. Sie war übers Wochenende zu Verwandten ins Ausland gefahren. Keiner war da. Mir war nur ein Name eingefallen. Ich fühlte mich unwohl dabei einfach zu klingeln, wer wusste denn, ob er nicht Besuch hatte und ich störte. Ich hoffte einfach. Die Buchstaben auf dem Klingelschild verschwammen vor meinen Augen und bevor ich überhaupt läuten konnte wurde die Tür von Innen geöffnet. Eine blonde Frau stand vor mir. „Oh! Wolltest du rein?“ Erschrocken legte sie die Hand auf ihre Brust. Ich nickte. „Du hattest aber nicht geklingelt oder?“, fragte sie. „Noch nicht.“, krächzte ich. „Na dann geh doch einfach rein und versuch drinnen dein Glück, dann musst du hier draußen nicht in der Kälte stehen.“, sagte sie. „Vielen Dank.“, erwiderte ich und trat ein. Sie winkte nur noch einmal und lief dann zu ihrem Auto. Ich blickte im Treppenhaus nach oben und bezweifelte, dass ich jemals bis dort kommen würde. Die Welt schien sich mittlerweile um mich zu drehen. Ich setzte mich einen Moment auf die Stufen und legte den Kopf in meine Hände, bevor ich begann die schier endlosen Treppen hinaufzusteigen. Zwischendurch musste ich immer wieder Pause machen und tief Luftholen. Bis ich endlich oben stand war bestimmt eine Viertelstunde vergangen. Meine Rippen schmerzten, als sei jede einzelne von ihnen gebrochen und ich traute mich kaum noch zu atmen. Prüfend sah ich in dem großen Spiegel, der an der Wand hing. Ich sah aus, wie immer, nur etwas blasser. Ein Glück. Niemand sollte bemerken, was passiert war. Immer öfter vertrübte sich meine Sicht und genauso oft schien der Boden unter mir zu verschwinden und ich musste um mein Gleichgewicht kämpfen. Ich klingelte. Hinter der Tür hörte ich Schritte und es wurde geöffnet. Ein junger Mann mit tiefschwarzen Haaren öffnete. Verdammt, dachte ich, er hat doch Besuch. „Hi.“, sagte ich. „Ist Akito vielleicht auch da?“ Er musterte mich von oben bis unten. „Ja klar, warte kurz:“, erwiderte er kurz. Schnell überlegte ich mir einen Vorwand, warum ich gekommen war. „Aya!“ Akito schloss dir Tür zum Wohnzimmer, in dem gerade lauthals gelacht wurde, hinter sich. „Willst du reinkommen?“, fragte er und lehnte sich gegen den Türrahmen. „Nein, aber danke. Ich möchte nicht stören, wenn ich gewusst hätte, dass du Besuch hast wäre ich wann anders gekommen. Ich wollte eigentlich nur dein T-Shirt zurückbringen.“ Ich reichte ihm sein Shirt. „Du störst nicht. Du wolltest doch sowieso den Grund kennen lernen, wegen dem ich wieder anfing zu sprechen.“, sagte er und sah mich an. „Deine Freunde?“ Er nickte. „Nein ist schon okay. Ich möchte wirklich nicht stören. Ich geh dann mal besser.“ In meinem Kopf drehte sich schon wieder alles. „Musst du nach Hause?“, wollte er wissen. Ich schüttelte so gut es ging den Kopf. „Gut, dann will ich, dass du jetzt mit mir rein kommst.“ Er griff nach meinem Arm und stieß dabei gegen meine Rippen. Es war als würde meine Haut in Flammen stehen. Scharf sog ich die Luft ein, um nicht laut aufschreien zu müssen. Tränen brannten in meinen Augen. „Was ist mit dir?“, fragte Akito misstrauisch. Ich wich seinem Blick aus. „Nichts. Alles in Ordnung.“ Ich versuchte meinen Arm loszumachen, doch er hielt ihn fest. Ich schloss kurz die Augen, um einen weiteren Schwindelanfall niederzukämpfen. Er schloss die Finger um mein Handgelenk und schob mit der anderen Hand den Ärmel nach oben. Ich versuchte mit aller Macht ihn daran zu hindern, doch zu spät. Die blutigen Aufschürfungen kamen zum Vorschein. „Yuki!“, rief Akito nach drinnen. „Lass mich. Es ist schon in Ordnung.“, versicherte ich. „Das glaube ich kaum.“, entgegnete er trocken. Ich drehte mich schnell von ihm weg und wollte zu den Treppen. Wohl etwas zu schnell, denn dieses Mal verlor ich wirklich den Boden unter den Füßen. Die Steine waren angenehm kühl. „Yuki! Jetzt beweg dich endlich hier raus!“, brüllte Akito noch einmal. Das Klicken einer Tür, viele Schritte. Stimmen. „Dir liegen wohl wirklich alle Mädels zu Füßen.“, spottete jemand. „Halt den Mund, Kai!“, sagte Akito ruhig. Der Ton seiner Stimme beruhigte mich. Ich schloss die Augen. Ich fühlte eine Hand auf meiner Stirn. „Nicht einschlafen, Aya, bleib wach. Yuki geh und hol Neru und beeil dich.“ „Was ist denn passiert?“, fragte dieser Yuki. „Später.“ Arme schoben sich unter meine Schultern und Oberschenkel. Jemand hob mich hoch. Ich stöhnte auf. „Nicht…“, flüsterte ich. Es tat so weh. „Hör auf zu sprechen. Es ist gleich vorbei.“, erwiderte Akito. „Yuki, jetzt geh schon!“ „Mach ich. Gib ihr das gegen die Schmerzen.“ Ein scharfer Geruch stieg mir in die Nase und ich spürte genau, wie die Flüssigkeit meine Kehle hinunterlief. Ich war müde. Eine leicht kribbelnde Wärme strömte durch meinen Körper. Langsam schwanden meine Sinne. Langsam schlief ich ein und träumte von der Zeit, in der mein Vater noch ein echter Vater gewesen war… Kapitel 3: Home --------------- Kapitel 3 – Home (»20.10.06«) Ich hörte ein Geräusch, das ich sonst nie beim Aufwachen hörte. Ein leises Tropfen. Jemand betrat das Zimmer. Ich war verwirrt. Wer sollte denn morgens in mein Zimmer kommen? Meine Mutter machte das schon seit Jahren nicht mehr. Ich öffnete die Augen und starrte an eine mit weißen Balken verkleidete, für mich völlig fremde, Decke. Ich zögerte einen Moment, bevor ich mich aufrichtete. Oder ich versuchte zumindest mich aufzusetzen. Tausende von Nadeln schienen zwischen meinen Rippen zu stecken und auch meinem Kopf ging es nicht viel besser. Mein Hals war vollkommen ausgetrocknet und meine Arme waren so unbeweglich wie fester Stein. Ich fühlte mich ziemlich hilflos und wartete drauf, dass mein Kopf wieder klar wurde. Noch einmal versuchte ich meinen Oberkörper hochzustemmen. Es gelang mir zumindest ihn so hoch zu schieben, dass ich mich umsehen konnte. Das Licht blendete mich und es dauerte eine Weile, bis ich mich an die Helligkeit gewöhnt hatte. Es war ein kleines, verwinkeltes Zimmer mit weißen Wänden und Möbeln aus dunkelbraunem und cremefarbenem Holz. Ein kleiner Schrank neben dem Bett unter der Dachschräge. Ein großes Fenster mit einer Balkontür daneben, an der Wand vor mir. Eine Dunkle Vitrine mit Glasböden und Schwarz-weißer Dekoration darin. Zwei helle Sessel und ein flacher Tisch. An den Wänden hingen zwei Bilder. Ein leerer Stand mit Fußspuren im Sand unter einem Mond, der sich auf dem glatten Meer spiegelte und ein Kirschbaum Allee. Beide Bilder waren schwarz weiß. Das Tropfen kam von einer Infusion, die neben mir in einem Ständer hing. Der Schlauch führte direkt zu meiner Hand. „Wo bin ich?“, fragte ich leise. Der dunkelhaarige junge Mann drehte sich zu mir um. Eine Narbe zog sich senkrecht über sein rechtes Auge. Er war groß und wirkte sehr sportlich. „Du bist in Akitos Wohnung.“, beantwortete er meine Frage. „Bei Akito?“ Er nickte. Ich stutze eine Weile, doch dann fiel mir alles wieder ein und eine tiefe Traurigkeit überkam mich. „Du bist Yuki oder?“, wollte ich wissen. Wieder nickte er. „Wo ist Akito?“, fragte ich weiter. „Red nicht so viel. Er wird gleich wieder da sein.“, erwiderte Yuki. Ich schwieg. „Yuki?“, rief Akito. „Ich bin wieder da.“ Ich hörte wie er sich mit jemandem unterhielt. Ich wollte aufstehen und zu ihm gehen, doch Yuki hielt mich auf. „Du bleibst schön hier liegen.“, sagte er grinsend. „Ich schick ihn dir rein.“ Er verließ das Zimmer und wenig später betrat auch schon Akito das Zimmer. „Na wie geht’s dir?“ Er setzte sich wie selbstverständlich auf die Bettkante „Ich weiß nicht.“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Mir tut alles weh.“ Er sah mich ernst an. „Das kann ich mir vorstellen. Was ist gestern Abend passiert?“, fragte er. „Ist schon in Ordnung, nicht so wichtig.“, wiegelte ich ab. „Wie bitte? Nicht so wichtig? Du liegst hier und kannst dich kaum rühren und meinst es ist nicht so wichtig?“ Er zog zweifelnd die Augenbrauen hoch. „Ich kann mich doch bewegen!“, entgegnete ich. „Ach wirklich?“ Er grinste spöttisch und piekste in meine Rippen. Stöhnend sank ich zurück auf die Matratze. „Tut weh, was?“ In seinen Augen blitze es. „Blödmann.“, knurrte ich und tastete vorsichtig mit den Fingerspitzen über die Stelle, die er eben angestoßen hatte. „Jetzt mal im Ernst: Was ist gestern Abend wirklich geschehen?“ (»21.10.06«) Ich seufzte. „Ich sagte doch, es ist nicht so wichtig.“ Ich fuhr mit dem Finger über die Nadel in meinem Handrücken. „Aya, sag mir die Wahrheit. Ich habe Mittel und Wege das in Erfahrung zu bringen. Ich werde es sowieso erfahren.“ Der Ton, mit dem er diese Worte sagte gefiel mir ganz und gar nicht. So beherrschend, ernst und mir vollkommen überlegen. „Es geht dich nichts an.“, erwiderte ich. „Du kennst mich doch eigentlich gar nicht.“ Er zuckte mit den Schultern. „Okay, ich ruf jetzt mal bei dir zu Hause an und sage, dass du hier bist.“ Er stand auf. Ich spürte deutlich, wie ich blass wurde. Zu Hause? Bitte nicht. Das würde nur noch mehr Ärger geben, als mir sowieso schon bevorstand. Akito schien es auch bemerkt zu haben. „Nein, das brauchst du nicht. Die werden sich keine Sorgen um mich machen. Sie wissen, dass ich über Nacht weg bleibe.“ Ich versuchte ihn unbedingt davon abzuhalten bei meinen Eltern anzurufen. Meine Mutter würde mir sowieso nicht glauben. Sie ist eine von der Sorte, die glauben, dass Menschen sich ändern können und von meinem Vater hatte sie das auch immer behauptet. Sie würde denken, dass das alles nur ein Vorwand von mir sei, um meinen Vater schlecht zu machen und ihn wieder loszuwerden. Liebe macht blind, dachte ich nur. „Über Nacht? Wir haben es jetzt schon wieder Mittag.“, sagte Akito. „Egal, wenn irgendetwas ist, dann werden sie sich schon melden, wozu hab ich denn sonst mein Handy.“ Meine Stimme zitterte und ich hoffte, dass ich ihn überzeugen konnte. „Du bist verletzt und willst nicht nach Hause? Woher kommt es bloß, dass ich denke du willst nicht zu deinen Eltern? Ich glaube nicht, dass du mich so sehr magst.“, scherzte er. Ich grinste. „Nein, dich nicht aber ich finde deine Wohnung so toll.“, gab ich zurück. „So ist das also. Und gleich sagst du mir noch, dass du hier einziehen willst?“ Seine Augen glänzten spöttisch. „Warum eigentlich nicht?“, entgegnete ich frech. „Also um das zu erreichen müsstest du schon etwas mit mir anfangen, denn so einfach gebe ich meine geliebte Wohnung dann doch nicht her.“ „So sehen also deine Wunschträume aus? Gut zu wissen.“ Ich wollte lachen aber ein heftiger Schmerz schoss durch meinen Brustkorb, sodass selbst das Atmen unmöglich wurde. „Oh nein.“, sagte er leise und ernst. „In meinen Träumen ist kein Platz für eine Frau.“ Er schob seine Hand unter meinen Rücken und hob meinen Oberkörper etwas an, damit es mir gelang Luft zu holen. „Neru?“, rief er ins Nebenzimmer. Kurz darauf betrat ein älterer Mann mit langen, silbergrauen Haaren ins Zimmer. „Was ist denn?“, fragte er mit ruhiger Stimme. „Keine… Luft…“, keuchte ich und mich ergriff die Panik ersticken zu müssen. „Ah, ich verstehe.“, erwiderte er munter auf meine kläglichen Versuche ihm klarzumachen was mit mir los war. Er kam näher und schob an Akitos Stelle seine Hand unter meinen Körper. Er hob die andere und wollte sie auf meinen Brustkorb legen, doch ich zuckte zurück und schlug sie weg. Verwundert sah er mich an und sagte etwas zu Akito auf einer Sprache, die ich noch nie gehört hatte. Akito zuckte nur die Schultern. „Ich kann verstehen, wenn es wehtut aber ich will dir doch nur helfen.“, erklärte Neru. Es tat weh, ja, aber das war es nicht. Erneut bewegte er die Hand zu meinem Körper. Ich schloss die Augen und wartete angespannt, was passieren würde. Seine Finger strichen vorsichtig über meine unteren Rippen und ein Knoten schien in meiner Brust zu platzen. Klare Luft strömte in meine Lungen. Meine Panik verging langsam wieder und ich schlug die Augen wieder auf. (»29.10.06«) „Besser?“, fragte Neru und die Wärme, die in seiner Stimme lag berührte mich tief in meiner Seele. Ich brachte keinen Ton raus und nickte nur stumm. Wie hatte er das eben gemacht? Er hat mir keine Medizin gegeben oder irgendetwas verschoben, er hatte einfach nur die Hand aufgelegt. Das war doch sonst wirklich nicht möglich. Wer oder besser gesagt was war er eigentlich? Wieder begann in meinem Kopf alles zu kreisen, als wollte jemand nicht, dass ich mehr Gedanken an diese Sache verschwendete. Ich legte die Hand an meine Stirn. Ich wollte einfach nur schlafen. „Kannst du… Kannst du das abmachen?“ Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Ich deutete auf die Nadel in meiner Hand. „Nein, noch nicht.“, antwortete er. Ich sah zu Akito. Er saß auf einem der Sessel. Er starrte ins Leere, scheinbar in seinen eigenen Gedanken versunken. Sein Gesicht war zu einer kalten, ernsten Maske geworden. „Ich denke, du solltest möglichst schnell nach Hause, Mädchen.“, sagte Neru und riss mich damit aus meiner Trance. „Nein.“, erwiderte ich. „Nicht nach Hause.“ Mir fielen die Augen wie von selbst zu und ich schlief wieder ein. Es war ruhig in dem großen Park. Kein normaler Mensch würde jemals diesen Garten betreten können, nicht ohne dafür mit dem Leben zu bezahlen. Die Sonne schien noch hell in dem blauen Himmel, doch es war schon ziemlich kalt geworden. Überall standen kleine Pfannen mit heißer Kohle darin, damit sie die Besucher, die diesen Park betraten daran wärmen konnten. Die Herbstblumen standen in voller Blüte und die Bäume leuchteten gold-braun. Ein paar Gestalten folgten den langen Wegen und nur das Geräusch von aufeinander prallendem Metall durchbrach die Stille. Zwei Männer standen auf einer großen Wiese. Beiden stand der Schweiß auf der Stirn und immer, wenn sie sich mit ihren langen, leicht gebogenen Schwertern angriffen sah man das Spiel ihrer Muskeln. Die Abfolge ihrer Bewegungen schien fließend überzugehen und doch merkte man, dass sie sich gegenseitig nicht verletzten wollten. Einige der Besucher des Parks hielten an und sahen den Beiden eine Weile zu, bevor sie weitergingen. Sie trainierten schon gut zwei Stunden ununterbrochen, bin sich der eine zu Wort meldete. „Pause?“, fragte er außer Atem. Der andere nickte und steckte sein Schwert zurück in die Scheide. Sie gingen zu einer Bank und ließen sich darauf nieder. Einige Minuten lag der Garten in kompletter Stille. „Du glaubst wirklich, dass sie es ist?“ „Yuki, ich sagte schon einmal, dass ich es nicht genau weiß.“ Er wischte sich mit einem Tuch über das Gesicht. „Es gibt Anzeichen, aber ich bin mir nicht sicher.“ „Was willst du tun, wenn sie es ist?“, fragte Yuki. Der andere zuckte mit den Schultern. „Akito, verarsch mich nicht. So wie ich dich kenne, weißt du schon sehr genau, was zu tun ist.“ Yuki knuffte ihn in die Seite. „Entweder ich töte sie oder…“ Er sprach nicht weiter. „Oder was?“, bohrte sein Freund nach. „Naja, du kennst ja die Prophezeiungen. Nach den alten Schriften zu folge muss sie eine Jungfrau sein.“, sagte Akito trocken. Yuki brach in Gelächter aus. „Du alter Casanova. Wie ich dich kenne wirst du diese Variante natürlich bevorzugen.“ Akito schwieg. „Und wenn sie gar keine mehr ist?“, fragte Yuki, nachdem er sich wieder beruhigt hatte. „Ist sie.“, kam die kurze Antwort zurück. „Was macht dich da so sicher?“ „Ich weiß nicht, das ist so ein Gefühl. Aber nachher werden wir es wohl genau wissen. Vielleicht besteht ja wirklich keine Gefahr mehr für sie. Jedenfalls nicht von Kilias aus.“ Akito stand auf. „Wieso werden wir das nachher wissen?“, wollte Yuki wissen und sah zu ihm hoch. „Du weißt doch, was Neru mit seinem Hand-auf-die-Stirn-legen alles herausfinden kann.“, erwiderte Akito nur. „Und jetzt kommt, sonst rostest du noch vollkommen ein.“ (»30.10.06«) Er zog sein Schwert und hielt es seinem Freund fordernd entgegen. „Aber eins musst du zugegen.“, sagte dieser, während er sich erhob. „Muss ich?“ Akito fuhr prüfend mit dem Finger über die Klinge. „Ja.“, entgegnete Yuki und griff an. Akito hatte das kommen sehen und parierte seinen Schlag und ging seinerseits zum Angriff über. „Und das wäre?“, fragte er und wich einem weiteren Hieb aus. „Sie ist verdammt hübsch.“, gab Yuki zu. „Ach wirklich? Ich finde sie ist jung, ziemlich jung und außerdem ist in meinem Leben kein Platz für eine dauerhafte Beziehung.“ „Und auch nur deshalb wolltest du dich mit ihr treffen?“, hakte der junge Mann mit den dunklen Augen nach. „Du weißt, wie wichtig es für Izilia ist, die Nachfolgerin Gilleads zu finden und unschädlich zu machen.“, knurrte Akito. Yuki ließ sich nicht beirren. „Ich wette, wäre sie hässlich und älter gewesen, hättest du das alles schon über die Bühne gebracht und außerdem hättest du dann sowieso nur die Variante „Umbringen“ in Betracht gezogen.“, sagte er zwischen zwei Angriffen. „Yuki, die Kleine ist jung. Warum sollte man sie töten, wenn sie ihr ganzes Leben noch vor sich hat?“ „Das stört dich doch sonst auch nicht. Da ist es dir auch egal, wessen Kehlen du da durchtrennst.“ Der Wind schob dichte, dunkle Wolken vor die Sonne und ließ es goldene Blätter vom Himmel regnen. Der Tag neigte sich dem Ende zu. „Und was, wenn sie der Engel des Blutes ist? Die leibhaftige Tochter des Winds? Dann wird deine zweite Möglichkeit wohl nicht mehr ausreichen.“ Akito lachte und senkte das Schwert. „Das haben wir doch schon oft genug besprochen. Nicht nur wir beide, auch die anderen. Es geht nur aus weiteren Prophezeiungen hervor, dass es so etwas geben soll aber gibt es beweise?“ Yuki seufzte. „Nein, aber wer weiß. Hättest du gedacht, dass du einmal Wächter wirst? Dass Rikku, Shawn, Kai oder Ari den Elementen folgen werden? Dass ich die alte Prophezeiung öffnen konnte? Also ich nicht.“ „Nein, hätte ich nicht aber deshalb muss man nicht gleich von schlimmsten ausgehen und ich wünsche wirklich keiner, dass sie einmal Engel des Blutes wird, denn das bedeutet zwangsweise den Tod.“, erwiderte Akito. Keiner von beiden bemerkte das Mädchen, das sich unbemerkt hinter einem Baum versteckte und das ganze Gespräch belauschte. Ein hinterlistiges Lächeln huschte über ihre Lippen und sie verschwand lautlos. Sie hatte genug gehört, das glaubte sie zumindest. „Und wenn sie sich auf unsere Seite schlagen würde?“ „Das Risiko ist zu groß.“ (»05.11.06«) „Wie du schon sagtest: Sie ist doch noch ziemlich jung und wenn wir sie jetzt schon auf unsere Seite ziehen, dann denkt sie vielleicht gar nicht erst daran auf die andre Seite zu wechseln.“ Akito schwieg eine Weile und konzentrierte sich darauf Yukis Attacken auszuweichen und selbst gezielter anzugreifen. Die Richtung, in die das Gespräch verlief gefiel ihm gar nicht. Er wünschte sich in diesem Moment, dass er den Auftrag niemals angenommen hätte. Damals, als Shigure ihn bat den Engel des Windes zu finden, hatte er sich diese Aufgabe nicht sonderlich schwer vorgestellt. Er würde sie einfach finden, töten und die Sache wäre damit dann erledigt. Doch jetzt war er sich gar nicht mehr so sicher, ob er den Auftrag erfüllen konnte. Er fühlte sich verantwortlich für Aya und wusste selbst nicht warum. Vielleicht, weil sie sich ihm anvertraut hatte? Weil sie ihm von ihrem Vater erzählt hatte? Es hatte ihn überrascht, dass sie das getan hatte. Sie schien ihm eigentlich eher misstrauisch gegenüber anderen Menschen. Vertraute sie ihm etwa? Er versuchte diese Gedanken beiseite zu schieben, doch sie schlichen sich immer wieder in seinen Kopf. Sie vertraute niemandem so wirklich, warum dann gerade ihm? Warum war sie mit ihren Verletzungen zu ihm gekommen und nicht zu ihrer Oma oder ihren Freunden gegangen? Aus irgendeinem Grund, wollte er unbedingt herausfinden, warum sie den Menschen so wenig Vertrauen schenkte. Plötzlich spürte er einen Schlag gegen den Brustkorb und kaltes Metall an seinen Hals. Sein Atem ging schneller. „Erwischt!“, sagte Yuki und grinste. Yuki wusste genau, dass sein Freund nicht ganz bei der Sache war, denn sonst hatte er nie eine Chance gegen ihn. „Wo bist du nur mit deinen Gedanken? Bei der Kleinen? Wie heißt sie noch mal Aya? Wenn du dich wegen so etwas immer so leicht ablenken lässt, dass solltest du demnächst lieber keine Mädels mehr treffen“ Akito schlug die Klinge von seinem Hals weg und drehte sich ärgerlich um. Er war wütend auf sich selbst. Irgendwo hatte Yuki ja auch Recht. Wenn es hart auf hart kam, dann durfte er sich nicht ablenken lassen, denn das konnte seinen Tod bedeuten. „Auf wessen Seite bist du eigentlich?“ Er steckte sein Schwert in die Scheide. „Sie ist nur eins von vielen Mädchen und nur, weil ich sie umlegen werde, heißt das noch lange nicht, dass sie etwas Besonderes ist.“, knurrte er. „Um- oder flachlegen?“, witzelte Yuki. Akito fuhr herum und griff mit der Hand nach dem Hals des Freundes. „Halt bloß den Mund! Ich weiß nicht, was du dir einbildest aber wenn du sie so toll findest, dann schnapp du sie dir doch.“ Alle Farbe war aus Yukis Gesicht gewichen. Akito bereute das gesagte. Aber nicht wegen Yuki, sondern wegen Aya. Er hatte den Auftrag angenommen und wenn er sie schon nicht töten konnte, war sie eben sein Schützling und er wollte auf keinen Fall, dass sie mit einem von seinen Freunden zusammen war. Das würde alles noch komplizierter machen. „Was sollte das? Beruhig dich mal wieder, es war nur ein Scherz“ Beide schwiegen und folgten einem Weg, der direkt zu einem großen Schloss führte. Ich schlug erneut die Augen auf. Ich hatte Stimmen gehört. Mein Kopf tat nicht mehr so weh und ich konnte wieder einigermaßen klare Gedanken fassen. Die Nadel war aus meiner Hand verschwunden und stattdessen klebte dort ein Pflaster. Die Sonne schien hell in dem Raum. Der Himmel draußen hatte sich hellgrau gefärbt und ein paar Krähen flogen am Fenster vorbei. Ich hatte das Gefühl ewig geschlafen zu haben, doch nirgendwo hing eine Uhr, an der ich die Zeit hätte ablesen können. Ich wollte aufstehen, doch mein Körper reagierte nicht. Weder schmerzte er, noch hatte ich irgendein Gefühl darin. Ich erstarrte. Was war mit mir passiert? „Akito?“ Mein Stimme war nicht mehr als ein heiseres Kratzen. Keine Reaktion aus dem Nebenzimmer. Panik stieg in mir auf. Ich war hilflos. Ich lag hier und starrte an die Decke, unfähig mich zu rühren. Ich räusperte mich. „Akito?!?“ Eine Weile herrschte komplette Stille, dann wurde die Tür geöffnet. Neru trat vor mich. „Ah, du bist wach, dass ist gut.“, meinte er zufrieden. „Nichts ist gut.“, sagte ich leise und war den Tränen nahe. „Ich kann mich nicht mehr bewegen, Neru. Ich spüre meinen Körper nicht mehr!“, antwortete ich. „Mhh…“ Er zupfte an meinem kleinen Finger. „Merkst du das?“ Ich sah zu ihm auf. „Nein“ Nachdenklich zog er die Augenbrauen nach oben und zupfte an seinem Bart. „Shawn?“, rief er ins Nebenzimmer. „Bring mir bitte mal meine Tasche.“ Ich konnte nicht sehen, wer mit Shawn gemeint war, weil es unmöglich für mich war meinen Nacken zu bewegen oder meinen Kopf zu drehen. „Neru, ich hab Angst“ Er lächelte aufmunternd. „Das brauchst du nicht. Bis jetzt hab ich für alles ein Heilmittel gefunden.“ Er ließ die Schnallen der dunkelbraunen Tasche aufschnappen und zog eine tiefrote Feder daraus hervor. „Und wenn nicht?“, fragte ich. „Pssst…“ Er legte den Finger auf die Lippen. Er griff nach der Decke und zog sie von mir. Er deutete auf mein Oberteil. „Darf ich?“, fragte er. Ich wollte protestieren, doch ohne meine Antwort abzuwarten schob er es bis über den Bauchnabel und fuhr mit der Feder über meine Haut. Ich spürte ein leichtes Brennen und dann ein Kitzeln. Erleichterung breitete sich in mir aus. Ich fühlte etwas. (»06.11.06«) Langsam breitete sich das Kribbeln in meinem ganzen Körper aus. „Es könnte gleich etwas wehtun.“, warnte Neru vor und tatsächlich: Allmählich fühlte es sich an, als würden sich unzählige spitze Nadeln in meine Haut bohren. Ich schloss die Augen. Neru hatte damit begonnen mit der Feder auch über meine nackten Arme zu streichen. Sie schien aus roten Flammen zu bestehen, die das Blut in meinen Adern zum kochen brachte. „Neru, hör auf.“, stieß ich hervor, als ich das Gefühl hatte von innen zu verbrennen. Er reagierte nicht. Ich biss die Zähne zusammen und sagte mir, dass ich durchhalten müsse. Es würde schon irgendwann vorbei sein. Ich verfiel in eine tiefe innere Ruhe, durch die ich zwar die Schmerzen spüren konnte, sie jedoch nur halb so schlimm waren. Irgendwann, als selbst das schließlich nicht mehr half, ließ ich mich einfach fallen und merkte nicht einmal mehr, wie Neru die Feder von meinem Körper zog. „Aya?“ Eine sanfte Stimme drang in mein Bewusstsein. „Mach die Augen auf.“ Jemand strich über meine Wange. „Nein, lass mich.“ Ich hörte ein leises Lachen. „Akito wartet und Yuki ist auch wieder da.“, sagte die Stimme. Langsam schlug ich die Lider nach oben und blickte direkt in ein paar Augen, die mich an einen strahlend blauen Sommerhimmel erinnerten. Seine braunen Haare durchzogen helle, blonde Strähnchen. Er hatte feine Gesichtszüge und hatte doch einen ernsten Ausdruck. Er war kleiner als Akito und Yuki aber trotzdem wirkte er ziemlich sportlich. Ich meinte ihn an dem Abend auch schon einmal kurz gesehen zu haben. Er war mir sofort sympathisch. Ich setzte mich auf. „Wer bist du?“, fragte ich. Er ging zum Fenster, zog die Gardinen auf und öffnete das Fenster. Helles Licht strömte herein und blendete mich. „Shawn.“, antwortete er nur kurz. „Warum bist du hier und nicht Neru?“ Ich schlug die Decke zurück. „Nun, Neru hat auch noch was anderes zu tun. Ich bin gerade bei ihm in der Lehre und sollte deshalb hier bei dir bleiben.“, erwiderte er. Ich schob die Beine vom Bett und setzte sie auf die Erde. „Du wirst Arzt?“ Er trat neben mich. „So könnte man das nennen, ja.“ (»11.11.06«) Er hielt mir den Arm hin, doch ich wollte ihn ablehnen, bis ich versuchte selbst aufzustehen und merkte, dass meine Beine doch noch zu Schwach waren. Die Tür ging auf und Akito trat herein. „Na, geht’s dir wieder besser?“, fragte er. Gerade als ich antworten wollte klingelte etwas. Die Toten Hosen, Nur zu Besuch. Diese Melodie, das konnte nur mein Handy sein. Suchen sah ich mich um. Akito zog eine Schublade auf und reichte es mir. „Hallo?“ Meine Finger begannen zu zittern, als meine Mutter sich meldete. „Aya, wo bist du?“, fragte sie mit sorgenvoller Stimme. „Mama, ich-….“ Sie unterbrach mich. „Ich möchte, dass du sofort nach Hause kommst.“ Akito hatte aufgehorcht, als Aya Mama gesagt hatte. Also machte sie sich doch Sorgen um ihr Kind. Doch er wunderte sich. Aya war blass geworden und hatte sich zurück auf das Bett fallen lassen. Von Geburt an hatte er übernatürlich scharfe Sinne und das erlaubte es ihm jedes Wort zu hören, dass ihre Mutter sagte. „Ich kann nicht.“ Ayas Stimme war die Unsicherheit deutlich anzuhören und Akito spürte, dass sie unruhig wurde. „Dein Vater und ich machen uns Sorgen.“, beteuerte ihre Mutter. Auf einmal verfinsterte sich Ayas Miene. Ihre Mutter und ihr Vater? Heißt das, dass er wieder bei ihr wohnte? „Mama, er hat mich-…“ Wieder wurde sie von ihrer Mutter unterbrochen. „Er hat mir alles erzählt. Es war von euch beiden nicht richtig. Komm wieder zurück, wir werden schon eine Lösung finden.“ Die Augen des Mädchens weiteten sich vor Entsetzen. „Was redest du da? Er hat mich geschlagen! Wie kannst du von mir verlangen, dass ich das einfach vergesse und zurückkomme?“ Also doch, dachte Akito. Er hatte es vermutet, denn er konnte sich Ayas Verletzungen nicht anders erklären. Jetzt hatte er die Bestätigung bekommen. „Wir sind eine Familie.“, sagte ihre Mutter gerade. Aya saß da und starrte auf den Boden. Kurz entschlossen stand er auf, nahm ihr das Handy aus der Hand und nickte Shawn kurz zu. Dieser Verstand und hob Aya, die noch immer wie erstarrt schien einfach hoch und trug sie aus dem Raum. Vor der Tür setzte er sie wieder ab. „Willst du nicht vielleicht erst mal ein Bad nehmen?“, fragte er. Ohne eine Antwort abzuwarten schob er sie ins Bad. „Deine Klamotten sind gewaschen und hängen über der Badewanne. Wo Handtücher sind weißt du ja bestimmt noch.“ Mit diesen Worten stieß er die Tür hinter ihr zu und ging geradewegs in die Küche. Neru und Yuki schauten auf, als er eintrat. „Wo ist Akito?“, fragte Yuki. „Der macht bestimmt wieder irgendeine unüberlegte Dummheit.“, antwortete Shawn und schaltete die Kaffeemaschine an. „Wieso das denn?“, wollte Neru wissen und hörte auf verschiedene Flüssigkeiten in kleine Fläschchen zu füllen. „Das fragt ihn am besten mal selber.“, erwiderte Shawn. „Okay.“ (»12.11.06«) Eine Weile schwiegen die Männer. Yuki las in einem dicken Buch und schrieb sich hin und wieder Notizen in ein Heft. Neru beschriftete weiße Etiketten und klebte sie auf die Fläschchen, die er eben gefüllt hatte. Shawn starrte aus dem Fenster und holte dann vier Tassen aus dem Schrank und stellte sie auf den Tisch. Die Tür wurde aufgerissen. Akito stürmte herein und knallte das Handy auf den Tisch. Er wirkte verärgert. „Wegen dem Mädchen brauchen wir uns keine Sorgen mehr zu machen.“, sagte Neru, ohne auf seine schlechte Laune zu achten. Überrascht hob Akito die Augenbrauen. „Tja, dann lagst du wohl doch falsch.“, meinte Yuki spöttisch und sah von seinem Buch auf. „Sie kann ruhig wieder nach Hause.“, fügte Neru hinzu. „Das glaube ich eher weniger.“, erwiderte Akito. „Du kannst ihr nicht verbieten zu ihren Eltern zurückzugehen.“, sagte der alte Mann und in seiner Stimme lag etwas Verwarnendes. (»23.11.06«) „Genauso wenig kannst du sie dazu zwingen.“, knurrte Akito. Shawn goss die Tassen voll. „Ich denke auch nicht, dass sie das unbedingt will, hab ich Recht?“, fragte er. „Ja.“, antwortete Akito und lehnte sich ans Fensterbrett. „Warum sollte sie das nicht wollen?“ Neru stellte die Fläschchen in einen Kasten. „Sag mir, was denkst du hast du da für Verletzungen behandelt?“ Akito griff nach einer der Tassen. „Es waren Prellungen und Schürfwunden, wie nach einem Sturz. Nur eine Verletzung war besonders auffällig. Sie sah aus, wie ein Schlag oder so etwas in der Art.“, sagte Neru. „Ganz richtig. Ihr Vater hat sie geschlagen. Da kann man doch wohl verstehen, dass sie nicht nach Hause zurück will oder?“ Akito nahm einen Schluck aus dem Becher. Neru zog die Augenbrauen hoch. „Das ist was anderes. Aber was willst du machen? Wo soll sie hin? Ins Heim? Was bleibt ihr so viel anderes übrig, wenn sie nicht nach Hause zurück will?“ „Vielleicht zu ihrer Oma? Du hast ja erzählt, dass Aya zu ihr ein ganz gutes Verhältnis hat. Oder zu einer Freundin?“, meldete sich Yuki zu Wort. Akito schüttelte den Kopf. „Sie bleibt hier.“ „Wie bitte?!?“ Entgeistert sahen die anderen ihn an. „Spinnst du?“, entfuhr es Shawn. „Das kannst du doch nicht machen!“ Akito seufzte. Er hatte erwartet, dass sie so reagieren würden. „Du siehst doch, dass ich das kann. Außerdem hätte es doch nur Vorteile, für beide Seiten. Wir hätten sie somit besser im Auge und sie müsste nicht zurück zu ihrem Vater.“ Yuki kramte in seiner Tasche und holte eine Schachtel Zigaretten daraus hervor. „Und was sagt ihre Mutter dazu?“, fragte er. „Steck die Kippen wieder weg. Hier wird nicht geraucht.“, knurrte Akito bevor er auf seine Frage antwortete. „Sie ist einverstanden, ich habe gerade mit ihr gesprochen.“ Yuki warf noch einen kurzen, fast sehnsüchtigen Blick auf die Packung bevor er sie wieder in seinem Rucksack verschwinden ließ. Neru konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Sie hat einfach so zugestimmt?“, wollte Shawn wissen und zupfte an seinem Ohrring. Ein dunkelroter Stein saß darin. „Sie meinte es wäre wohl besser, wenn Aya erst einmal nicht nach Hause kommt.“, sagte Akito. „Was eine schlechte Mutter.“, zischte Yuki. „Das kann ich nicht beurteilen.“ Akito stellte die Tasse in den Geschirrspüler. „Ich hatte niemals eine.“ Neru räusperte sich. „Denkt mal an ihre Mutter. Sie ist auch ein Mensch und was würdet ihr tun, wenn ihr zwei Menschen über alles liebt aber die beiden überhaupt nicht zusammen können? Da muss man sich doch entscheiden oder nicht? Ich meine-…“ „Und dann lässt man die eigene Tochter sitzen? Dass ich nicht lache.“, fiel Shawn ihm ins Wort. „Das hatte ich erwartet. Naja, ihr seit vielleicht einfach noch zu jung, um das zu verstehen.“ Plötzlich spürten alle das gleiche: ein leichtes Brennen, dort wo die Anhänger ihrer Ketten hingen, die sie alle trugen. Akito das Kreuz, Shawn einen tropfenförmigen, dunkelblauen Stein, Yuki einen der aussah, wie eine Schwarze Mondsichel und Neru eine hellgraue, kleine Muschel. „Wer geht?“, fragte Akito. „Ich geh schon.“, erwiderten Yuki und Shawn wie aus einem Mund. Sie lachten. „Dann hätten wir das ja auch geklärt.“, sagte Neru. „Ich bleibe hier, ich wollte noch einmal nach Aya sehen.“ Lügner, dachte Akito, du willst mir nur die Meinung sagen. „Okay“ Yuki schob seine Sachen in den Rucksack und eben so plötzlich wie Shawn hatte er sich einfach in Luft aufgelöst. (»24.11.06«) In aller Seelenruhe hob Neru seine Tasche auf den Tisch und verschloss sie. „So und nun zu dir.“ Er stand auf und drehte sich zu Akito um. „Was hast du dir dabei gedacht?“, fragte er wütend. „Jetzt komm du mir nicht mit Vorwürfen. Ich weiß, was ich tue.“, erwiderte er. „Anscheinend wohl nicht! Jetzt antworte: Was hast du dir dabei gedacht? Willst du sie wirklich vor ihrem Vater oder sonst auch wem schützen oder ist einfach mal wieder dein Casanova mit dir durchgegangen?“ Auch wenn der alte Mann wesentlich kleiner war, wirkte er nicht weniger selbstbewusst. „Hör auf zu reden. Sie ist 14 und viel zu jung. Ich will sie wirklich nur schützen.“, versicherte Akito. „Es ist falsch sie hier zu behalten, denn so wird sie noch schneller in die ganze Sache hineingezogen.“, sagte Neu immer noch ziemlich gereizt. „Aber so kann ich sie auch eher wieder aus der Sache herausholen.“, knurrte Akito. „Du meinst sie töten?“ Neru ging zur Tür. „Du hast doch gesagt, dass das nicht mehr nötig sein wird? Aber wenn es nötig ist, dann werde ich sie töten ja.“ Akitos Miene wirkte wie versteinert, wie immer wenn es darum ging jemandem aus dem Weg zu schaffen. „Das habe ich gesagt, ja, aber ihr Blut hat eine seltsame Konsistenz. Hab ein Auge auf sie.“, erwiderte Neru und verließ den Raum. Akito folgte ihm. „Neru! Warte! Was soll das bedeuten: Eine seltsame Konsistenz?“ Neru seufzte. „Vergiss es, wir wollen das Beste hoffen. Achte einfach besonders gut auf sie ja?“ Er ließ ihn stehen und durchquerte das Wohnzimmer. Er klopfte an der Badezimmertür. „Aya? Kann ich reinkommen?“ Eine Weile herrschte Stille. „Moment“, rief Aya. „Ich mache gleich auf.“ Einen kurzen Moment später hörte er, wie sich der Schlüssel herumdrehte. Akito war hinter Neru getreten und wollte nach ihm das Badezimmer betreten. „Oh nein, du bleibst draußen, sonst führt der Casanova in dir doch wieder ein Eigenleben.“, sagte Neru grinsend und schlug ihm die Tür vor der Nase zu. Er wendete sich Aya zu. Sie trug Akitos schwarzen Bademantel. „Ob er wohl böse ist, weil ich ihn angezogen habe?“, fragte sie und zupfte an dem flauschigen Stoff. Neru lachte. „Nein, ich glaube nicht.“ Etwas hilflos sah sie aus, wie sie so dastand und nicht wusste, was sie nun machen sollte. „Ich wollte dich noch mal untersuchen.“ Er stellte die Tasche ab und bemerkte, wie sich ihr Gesicht verfinsterte. „Muss das sein?“, wollte sie wissen. Ihre Stimme klang ganz und gar nichts trotzig, sondern eher verunsichert und vielleicht sogar auch etwas verängstigt. „Ich fürchte ja.“, erwiderte Neru und versuchte sie mit seiner Stimme zu beruhigen. Sie seufzte. „Ist dir irgendetwas Besonderes aufgefallen oder tut irgendetwas noch besonders weh?“, fragte er. Sie zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht genau.“ Er öffnete seine Tasche. „Jeder noch so kleiner Schmerz kann auf eine innere Verletzung hindeuten, die ich bis jetzt noch nicht bemerkt habe.“, beteuerte er. „Mir ist öfter mal ziemlich schwindelig geworden.“, sagte sie vorsichtig. Neru lachte. „Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen?“ Er kramte die Rote Feder wieder hervor. „Ich weiß nicht.“, antwortete Aya. „Dann versuch es erst einmal damit. Aber zur Kontrolle werde ich dich noch einmal untersuchen.“ Er trat zu ihr. Sie zögerte einen Moment, bevor sie langsam den Knoten des Gürtels löste und den Bademantel zu Boden fallen ließ. Sie trug zwar noch Unterwäsche und doch war es ihr peinlich. „Ich guck dir schon nichts weg. Ich bin Arzt.“ Er fuhr mit der Feder über ihre Schultern. Sie zuckte zurück. „Du brauchst keine Angst zu haben. Nur wenn Shawn sagt, er sei Arzt, dann würde ich an deiner Stelle misstrauisch werden.“ Er schmunzelte, als er sah, dass sie lächeln musste. „Na siehst du?“ Wieder berührte er mit der Feder ihren Körper. Sie hatte die Augen geschlossen und er konnte das Rauschen ihres Blutes und das wilde Rasen ihres Herzens hören. Sie hatte Angst. Er beeilte sich die Untersuchung schnell hinter sich zu bringen. Zum Schluss legte er noch die Hand auf ihre Stirn und konzentrierte sich. Irgendetwas störte ihn aber er wusste wirklich nicht, was es sein könnte. „So, fertig.“, sagte er schließlich und Aya sah zu, dass sie schnell wieder den kuscheligen Stoff über ihren Körper legen konnte. „Hat Akito dir eigentlich schon von deinem Glück erzählt?“, fragte Neru. „Glück?“ Misstrauisch sah sie ihn an. „Anscheinend nicht.“ Er hob seine Tasche hoch und ging zur Tür. „Was für Glück meinst du?“, wollte sie wissen. „Frag ihn am besten selber, wenn du hier fertig bist.“ Mit diesem Worten verließ er den Raum und ließ sie wieder alleine. Im Wohnzimmer saß Akito auf dem Sofa und polierte seine Schwerter, die vor ihm auf dem Tisch lagen. „Du hast es ihr noch nicht gesagt?“, fragte ihn Neru. Er sah auf. „Was?“ Er schob das Schwert zurück in die Scheide und hängte es mit den anderen beiden zurück an die Wand. Eine leichte rötliche Verfärbung war an dem weiß eingebundenen Griff. „Das Blut geht nicht mehr ganz ab, ich werde es neu wickeln müssen“, knurrte Akito. „Lenk nicht ab. Ich meine, dass sie hier bleiben wird. Hast du ihr das noch nicht gesagt?“ Neru nahm in dem Sessel platz und stütze die Ellenbogen ab. „Nein.“, erwiderte Akito nur und hob einen flachen Koffer auf den Tisch. „Und wieso nicht? Ich denke, dass du sie erst mal fragen solltest, bevor du so etwas einfach absprichst. Vielleicht will sie ja doch lieber zu ihrer Oma?“ Die heutige Jugend, dachte Neru und seufzte innerlich. Dass sie immer so voreilig handeln mussten, ohne nachzudenken. Akito hatte den Koffer geöffnet und drei Silber glänzende Pistolen kamen zum Vorschein. Sie hatten alle verschiedene Größen und lagen auf tiefschwarzem Samt. „Waffen, Frauen und Autos.“, knurrte Neru, als Akito eine der Waffen aus dem Koffer nahm und ebenfalls reinigte. „Ich werde es ihr sagen, sobald sie im Bad fertig ist und wenn sie wirklich nicht hier bleiben will, dann kann sie ja immer noch zu ihrer Oma oder sonst wohin.“, sagte Akito in einem nicht minder gereizten Ton. (»25.11.06«) „Wie wäre es, wenn du zur Abwechslung mal deine dämlichen Waffen wegpackst und dich um deinen Gast kümmerst? Ist dir nicht klar, was du für eine Verantwortungen mit ihr bekommen hast? Sie ist noch nicht mal 16.“(Birte) (»12.12.06«) Akito stand auf, trug den Koffer und noch ein paar andere Schachteln zu dem Fernsehschrank und schloss sie darin ein. Er wollte es gegenüber Neru nicht zugeben aber der alte Mann hatte Recht. Er hatte jetzt eine große Verantwortung. Er musste für Aya sorgen, auch wenn er Geld von ihren Eltern bekommen würde, musste er noch härter arbeiten als sonst. Er musste sich noch mehr anstrengen in dem Unternehmen seines Vaters zu lernen, um es endlich übernehmen zu können. Und ja, vielleicht müsste er auch noch mehr Menschen umbringen… Er schüttelte den Kopf, um die Gedanken an die kalten, erstarrten Augen seiner Opfer zu verdrängen. Er hatte es sich selber ausgesucht und steckte seine ganze Wut in diese Aufträge. Er dachte zurück an die Bank seines Vaters. Akito war der Erbe. Er würde sie übernehmen, sobald er ausgelernt hatte. Jüngster Firmenboss aller Zeiten… Sollte ihn dieser Titel ehren? Falls ja, tat er es nicht. Er hielt ihm nur immer wieder vor Augen, dass sein Vater nicht mehr da war, dass er tot war und nie mehr zurückkommen würde. Dieser Mistkerl hatte ihn umgebracht, eiskalt. Irgendwann, schwor sich Akito und versuchte Trauer und Wut zu unterdrücken, irgendwann werde ich ihn rächen… Neru beobachtete Akito und schüttelte den Kopf. Er hätte es sich besser überlegen sollen. Naja, es war nicht Nerus Problem, aber er war sich sicher, dass er Akito helfen würde. Es würde nicht einfach sein, sie vor Ihnen verborgen zu halten. Sie sollte ihren normalen Alltag so gut wie möglich weiterleben, als wäre alles wie immer. Vor allem stellte sich aber noch die Frage, wie sie darauf reagieren würde, dass sie hier bleiben sollte, schließlich kannte Aya keinen von ihnen wirklich lange. Vielleicht würde sie sich weigern, was dann? Vielleicht würde sie froh sein, einfach von ihren Eltern, vor allem von ihrem Vater wegzukommen? Neru wusste es nicht. Er machte sich ehrlich gesagt ein bisschen Sorgen um sie. Sie hatte nicht geweint, so wie Andere es taten, wenn sie von ihrem Vater geschlagen wurden. Nicht vor Schmerzen und auch nicht vor Entsetzten, Enttäuschung oder Fassungslosigkeit. Es war, als würde sie alles in sich behalten, in eine Kiste sperren und diese dann gut verschließen, dass niemand ihre wahren Gefühle sah. Neru kam es vor, als hätte sie Übung im Gefühle für sich behalten und sich anderen Menschen gegenüber zu verschließen. Langsam strich ich mir eine Haarsträhne aus der Stirn und blickte in den Spiegel. Hatte sich etwas verändert? Vielleicht war ich etwas blass aber sonst… Nein, es war wirklich alles wie immer. Was mache ich hier? Ich sollte wieder zurückgehen und so tun, als wäre nichts geschehen. Das wäre das einfachste. Ich schloss den Verschluss der Kette in meinem Nacken. Aber es wäre feige, dachte ich. Was blieb mir anderes übrig? Zu meiner Oma konnte ich nicht, sie würde das alles nicht mehr schaffen, auch wenn sie noch ziemlich fitt war. Zu Freunden? Nein, das konnte ich nicht machen und ich würde mich auch nicht wohl fühlen. Am liebsten würde ich hier bleiben… Wie makaber das klang… Hier bleiben… Ich kannte Akito kaum und ich glaubte auch nicht, dass er mich einfach so hier wohnen lassen würde. Verdammt… Also doch zurück nach Hause. Ich schluckte die Beklemmung hinunter und versuchte meinem Spiegelbild ein Lächeln zuzuwerfen, das allerdings ziemlich misslang. Ich seufzte, öffnete das Fenster und schloss dann die Tür auf. Ich trat ins Wohnzimmer und hatte das Gefühl, dass das Sonnenlicht mir meine Sehkraft rauben würde. Schützend legte ich meine Finger über die Augen. (»12.12.06«) „Na, wie geht’s dir?“, fragte Akito. Ich drehte mich herum. Er saß in dem Sessel und hatte sich bis eben wohl mit Neru unterhalten, der auf dem Sofa neben ihm saß. „Wieder ganz gut, danke.“, erwiderte ich lächelnd. „Ich werde mal etwas zu essen machen, damit du schnell wieder zu Kräften kommst.“, sagte Neru und verschwand in der Küche. „Setz dich zu mir.“, bat Akito und deutete auf das Sofa. Ich ließ mich darauf nieder und eine gewisse Anspannung befiel mich. „Ich muss mit dir reden.“ Langsam sah ich auf. Er holte tief Luft. „Wann willst du wieder nach Hause?“, fragte er. Ich überlegte einen Moment, bevor ich mit den Schultern zuckte. „Willst du überhaupt wieder zurück zu deinen Eltern?“ Zögernd aber doch bestimmt schüttelte ich den Kopf. Ich hatte viel darüber nachgedacht und war zu dem Schluss gekommen, dass ich mit meinen Eltern wohl kein normales Eltern-Kind-Verhältnis mehr führen konnte. Dazu war viel zu viel passiert. „Ich habe mir mal Gedanken gemacht und glaube, dass es nur drei Möglichkeiten gibt.“, fuhr er fort. Als ich schwieg sprach er einfach weiter. „Die erste wäre, dass du zu deiner Oma gehst.“ Wieder schüttelte ich den Kopf. „Das schafft sie nicht mehr.“, entgegnete ich leise. „Die zweite wäre, so Leid es mir tut, ein Heim.“ „Niemals!“, fuhr ich auf. Er sagte nichts und sah mich an. „Und die dritte?“, fragte ich mit zitternder Stimme. „Nun ja, ich dachte du könntest vielleicht hier bleiben. Nur, wenn du magst, natürlich.“ Ich dachte, dass ich träumen müsste. So etwas geschah doch nicht im realen Leben. Zumindest konnte mir so etwas doch nicht passieren. Ich spürte, wie mein Herz einen Hüpfer machte und dann ein bisschen schneller schlug. Was sollte ich antworten? Einfach ja sagen? Ich bracht kein Wort hervor und starrte ihn einfach nur an. „Hey, es war nur ein Vorschlag, du kannst natürlich auch zu einer Freundin gehen, falls du bei einen von ihnen wohnen kannst.“ Langsam fingen meine Gedanken wieder an zu kreisen. Ich? Hier wohnen? Statt einer Antwort stand ich auf und fiel ihm um den Hals. „Also, darf ich das so sehen, dass du hier bleibst?“, fragte er. Ich trat einen Schritt zurück. „Geht denn das so einfach? Ich meine, meine Eltern und…-„ „Das ist kein Problem. Ich habe schon mit ihnen gesprochen. Neru meinte es wäre etwas voreilig gewesen…“, unterbrach er mich. „Aber dann hast du doch nur noch zusätzliche Arbeit wegen mir, das möchte ich nicht.“ „Weißt du was? Wir machen einen Deal: Du kannst hier bei mir wohnen und dafür hilfst du mir im Haushalt, wenn du von der Schule kommst.“, schlug er vor. „Ja, natürlich, das ist doch selbstverständlich!“, antwortete ich. „Dann ist ja alles klar. Nachher fahren wir zusammen zu deinen Eltern und holen alles was du brauchst ab.“ Von diesem Augenblick an breitete sich auf meinem Gesicht eine Art Dauergrinsen aus. Ich kam gar nicht mehr aus dem Lächeln heraus. „Okay.“, sagte ich nur. „Wie ich sehe habt ihr euch geeinigt?“, wollte Neru wissen, der gerade aus der Küche kam. Ein verlockender Duft stieg mir in die Nase und ich merkte, wie mir das Wasser im Mund zusammenlief. Erst jetzt bemerkte ich, wie hungrig ich eigentlich war. „Ja, haben wir.“, erwiderte Akito nun ebenfalls mit einem Lächeln im Gesicht, was man bei ihm bis jetzt wirklich noch nicht oft gesehen hatte. „Ab heute habe ich wohl eine neue Mitbewohnerin.“ Nerus Miene verzog sich. „Na dann lass mir mal nicht zu viel von unserm Akito gefallen.“ Er schmunzelte. „Hör nicht auf ihn.“, warf Akito ein. „Ich tu mein Bestes.“, sagte ich. Akito machte eine ausladende Geste. „Also, Aya. Willkommen zu Hause.“ Kapitel 4: Alles aus Liebe -------------------------- (»15.12.06«) Die Tage wurden kürzer. Niemand hätte gedacht, dass nach diesem langen Sommer so schnell der Herbst kommen würde und erst recht nicht, dass er so kalt sein würde. „Aya? Ich warte unten im Auto. Beeil dich.“, rief Akito mir zu. „Ja, ich komme sofort.“ Heute war Dienstag und seit gestern war seine Wohnung mein neues zu Hause. Wir wollten meine Sachen aus meinem Elternhaus holen und somit meinen Umzug komplett machen. Ich hatte etwas Angst sie zu sehen, besonders nach dem, was vorgefallen war und war so froh, dass Akito mich begleiten würde. Ich schloss die Tür hinter mir und lief die Treppen hinunter. Ich hatte erst sehr wenig Zeit mit ihm verbracht und trotzdem war mir schon aufgefallen, dass hier doch etwas seltsame Dinge mit mir geschahen. Ein Arzt, der mit einer Feder arbeitete, meine Verletzungen waren unglaublich schnell wieder geheilt, auch wenn sie noch nicht ganz weg waren. Akito hatte mich einfach so aufgenommen, ohne viel über mich zu wissen, was mir eigentlich nur ganz Recht war. Ich seufzte und stieg zu ihm ins Auto. Ich wusste, dass meine Eltern ihn heute zum ersten Mal sahen und war gespannt, ob sie ihren Entschluss bereuen würden. Zu spät… Unauffällig musterte ich Akito. Er trug zum Autofahren eine Brille. Seine Haare schimmerten in der späten Herbstsonne und seine schlanken Finger lagen auf dem Lenkrad. Schnell drehte ich den Kopf weg, denn ich bemerkte, wie mir die Hitze ins Gesicht schoss. Vergiss es, der kann sich vor Anbeterinnen doch bestimmt kaum retten. Ich holte tief Luft und konzentrierte mich wieder auf das Bevorstehende. Ein eiskalter Schauer lief über meinen Rücken. Was sollte ich zu ihnen sagen? Sollte ich meine Mutter umarmen? Sollte ich sie abweisend behandeln? Obwohl eigentlich war ich doch ganz froh über ihre Entscheidung. Ich sah aus dem Fenster. Gebäude, Bäume und Menschen flogen an mir vorbei. Sie erschienen mir so unbedeutend. Sie waren einfach da, so wie ich, im Alltag aus dem man normalerweise nicht rauskommt. Ich hatte es geschafft. Ich will mich ändern, das beschloss ich in diesem Augenblick. „Bist du dir wirklich sicher?“, fragte Akito plötzlich. „Wieso fragst du das? Willst du nicht mehr, dass ich bei dir wohne?“ Ich sah ihn an. „Nein, das natürlich nicht aber hast du es dir auch gut überlegt? Du kannst zum Beispiel nicht einfach nach drei Tagen sagen, dass du nicht mehr willst.“ „Ja, ich weiß und ich bin mir sicher.“, antwortete ich. Im Radio lief gerade ein Lied. Cindy Lauper, „Girls just wanna have fun“. „Wo sie Recht hat, hat sie Recht.“, murmelte Akito mehr zu sich selbst, worauf ich in schallendes Gelächter ausbrach. Verdutzt sah er mich an. „Na du kennst dich ja scheinbar bestens aus.“, entfuhr es mir, als ich versuchte wieder Luft zu bekommen. Auch er grinste nun. „Ach, das interessiert dich? Gut zu wissen.“, konterte er. Ich konnte vor lauter Kichern immer noch kein weiteres vernünftiges Wort herausbringen. „Übrigens.“, fuhr er fort. „Dir ist klar, dass du jetzt was mit mir anfangen musst oder?“ Er grinste mich ziemlich unverschämt an. „Das ist dein Wunschtraum oder was?“, entgegnete ich und grinste ebenfalls. „Wer weiß.“ Er zwinkerte mir zu. (»19.12.06«) Es kam mir so vor, als würde die Fahrt sehr viel schneller vergehen, als sonst. (»30.12.06«) Ich versuchte mein Herz, das durch dieses einfache Wortgeplänkel ins Rasen gekommen war zu beruhigen und sah wieder nach draußen. Ich schätzte, dass es noch etwa fünf Minuten bis zu meinem Haus sein müssten. Ein paar letzte Sonnenstrahlen spiegelten sich in den Fenstern der Häuser und nahmen auf manchen die Farben eines Regenbogens an. Ein Windstoß fegte die ersten roten, goldenen, gelben und braunen Blätter über die Straße, die sich dann auf die späten Herbstblumen legten. „Akito?“, fragte ich nach einer Weile. „Was denn?“ Er ließ den Blick ununterbrochen über die Straße wandern. „Was soll ich ihnen sagen? Was soll ich meinen Eltern sagen?“ Auch ich sah ihn nicht an. „Wenn du möchtest kann ich auch mit ihnen sprechen. Du musst es nicht, wenn du dazu noch nicht bereit bist.“ Überrascht wandte ich mich um. „Aber sie sind-….“ „Kein aber. Ich kann dich verstehen auch wenn ich-… also wie gesagt: Du musst das nicht tun.“ Ich schwieg erneut. Kurze Zeit später hielten wir vor meinem Elternhaus. Ich holte tief Luft. „Ich glaube, ich möchte auch mit ihnen reden, aber ich möchte, dass du dabei bist.“, sagte ich leise. Er legte kurz seine Hand als stumme Bestätigung auf meinen Arm. Ich drückte den Klingelknopf. Schritte waren hinter der Tür zu hören, dann stand meine Mutter in der Tür und starrte mich an. Ich wusste nicht, was der Ausdruck in ihren Augen bedeuten sollte. Vielleicht Reue? Es war auch irgendwie egal. „Ich… Ich wollte meine Sachen holen.“, sagte ich. Meine Mutter schien eine Weile gar nicht zu bemerkten, dass ich etwas gesagt hatte und starrte Akito an. „Mama, das ist Akito.“, fügte ich hinzu, dann drängte ich mich an ihr vorbei. Akito folgte mir und grüßte meine Mutter im Vorbeigehen höflich. Ich fühlte mich in ihrer Gegenwart nicht richtig wohl und wollte das hier alles so schnell wie möglich hinter mich bringen. Ich stieg die Treppen hinauf in mein Zimmer. Es war noch alles genauso wie ich es zurückgelassen hatte. Ich öffnete den Schrank, zog mehrere Taschen heraus und begann meine Klamotten aus dem Schrank in eine der Taschen zu stopfen. Eine Weile später trat Akito durch die Tür und sah sich um. „Schick.“, sagte er. „Was… Was darf ich alles mitnehmen?“, fragte ich. „Alles was du möchtest, nur bei deinen Möbeln wird es etwas kompliziert.“, erwiderte er. „Soll ich dir was helfen?“ Ich zog den Reißverschluss zu und sah in den leeren Schrank. „Ähm, du kannst die Poster abnehmen, wenn du magst.“ Wir arbeiteten schweigend, doch hin und wieder beobachtete ich ihn, als ich einen Moment Pause machte. Nach drei Stunden standen vier große Taschen im Flur und mein Zimmer war leer. Noch einmal drehte ich mich darin um und dachte zurück an die vierzehn, fast fünfzehn, Jahre, die ich hier verbracht hatte. Abschiedsschmerz erfasste mein Herz. Würde ich meine Mutter allein lassen? Ich schluckte und schloss schließlich die Tür hinter mir und es war mir klar, dass es das letzte Mal für eine sehr lange Zeit gewesen war. Ich wusste was nun kommen würde. Ich öffnete die Tür zum Wohnzimmer. Meine Eltern saßen auf dem Sofa vor dem Fernseher. Sie standen auf, als wir eintraten. „Ich… Ich wollte nur Tschüss sagen.“ Meine Mutter ergriff meine Hände. „Aya, ich möchte, dass du hier bleibst.“ Ich öffnete den Mund, doch ich konnte nichts sagen. Ich brachte keinen Ton hervor. Ich spürte die Blicke meines Vaters auf mir. „Bitte versteh mich doch.“, flehte sie. „Versteh doch meine Situation. Dein Vater ist der Mann den ich liebe, ohne den ich einfach nicht leben kann. Und du, du Aya, du bist meine Tochter. Mein Ein und Alles, du kannst doch nicht einfach weggehen. Er hat einen Fehler gemacht, einen dummen Fehler. So etwas wird nie wieder passieren. Du bist erst 14, wer soll denn für dich sorgen?“ Tränen standen in ihren Augen. „Akito wird das tun.“, sagte ich. Sie musterte ihn kurz und irgendwie abfällig und ich merkte, wie die Wut in mir aufstieg. Sie kannte ihn doch gar nicht. Warum misstraute sie ihm? Wegen seinen schwarzen Klamotten? Weil er noch so jung war? Bemerkte auch sie diese geheimnisvolle, immer etwas gefährlich wirkende Aura, die ihn umgab? „Er kann dir doch nicht das geben, was die Eltern geben können. Er-…“ „Was mir Eltern geben können?“, unterbrach ich sie. „Was gebt ihr mir denn? Mama, warum bist du so anders, wenn mein toller Vater da ist? Warum bist du dann nicht mehr meine Mama? Wieso verstehst du nicht, dass er sich niemals ändern wird? Er wird immer und immer wieder ausrasten und dich wieder und wieder schlagen. Ich kann das nicht. Ich kann das nicht mehr.“ Ihre Hand berührte meine Wange. „Wenn du irgendwann einmal verliebt bist, so richtig meine ich, so dass du das Gefühl hast, dass du er und niemand anders der Richtige ist, dann wirst du blind für so etwas. Du glaubst daran, dass er sich ändern wird. Und das tue ich auch und ich werde nie aufhören das zu glauben.“, flüsterte sie. „Dann ist es dir egal, ob er nur kleine Lügen auftischt oder vielleicht sogar ob er gemordet hat.“ Nur ich konnte ihre Worte verstehen aber ich begriff sie nicht. „Mama ich kann nicht hier bleiben. Ich fühle mich nicht wohl. Er… er hat mich geschlagen. Wie soll ich ihm in die Augen sehen? Wie soll ich mit einem Mann in einem Haus leben, vor dem ich Angst habe?“, ich traute mich nicht ihr ins Gesicht zu sehen. „Kind, bitte zwing mich nicht mich zwischen euch zu entscheiden, dass kann und will ich nicht.“ Sie seufzte und schluchzte leise auf. Auf einmal stand mein Vater vor mir und legte meine Hände fest um meine Oberarme. „Aya bitte, es tut mir leid. Ich tu es niemals wieder. Ich verspreche es dir. Nur bleib hier. Versuch es wenigstens.“ Ich zuckte zurück und kniff die Augen zusammen. „Es tut mir so leid. Ich möchte es versuchen. Ich möchte alles wieder gut machen.“ Ich fühlte mich bedrängt und seine Nähe löste bei mir einen Schwall von Erinnerungen, an all die Momente in denen er mich geschlagen hatte. Ich fing an zu zittern und versuchte seine Hände von meinen Armen zu lösen. Akito der bis jetzt mit verschränkten Armen an der Wand gelehnt hatte, stieß sich davon ab und schob scheinbar mühelos die Hände meines Vaters von mir. „Ich denke, wir sollten jetzt gehen.“, sagte er. Ich ließ mich von ihm in den Flur schieben. Meine Mutter folgte uns. Akito brachte nach und nach die Taschen ins Auto. Ich drehte mich um. „Mama? Ich… Ich liebe dich.“ Ich umarmte sie. „Kommst du mich mal besuchen?“, fragte sie. Ich nickte langsam, bevor ich zum Auto ging. Eine innere Ruhe breitete sich in mir aus. Ich nahm von meiner Umgebung nicht mehr viel wahr. Mein Kopf war leer. Kein einziger Gedanke schwirrte darin herum. Kein Geräusch drang an meine Ohren und kein Bild, keine Farbe erschien bewusst vor meinen Augen. ~†~ Er hatte sie die ganze Zeit über beobachtet und ohne, dass sie es wusste all ihre Gefühle und Gedanken an ihrer Mimik ablesen. (»02.01.07«) Während der ganzen Fahrt über schwieg sie und starrte abwesend aus dem Fenster. Er sprach sie nicht an und konzentrierte sich auf die Straße. Wie gut er dieses Gefühl kannte, wenn man wie versteinert da saß. Unfähig einen Gedanken zu fassen oder auf irgendetwas in seiner Umgebung zu achten. (»20.01.07«) Wenn man irgendetwas einfach nicht verstand oder es sich einfach nicht eingestehen wollte. Er hatte damals genau das gleiche gespürt. Damals, als seine Eltern vor seinen Augen ermordet wurden. Als ihr Blut an seinem Körper geklebt hatte und er einfach nicht verstanden hatte warum… Warum seine Eltern sterben mussten. Er war damals 10 Jahre alt gewesen. Seit dem war in seinem Herzen drei Jahre lang nur noch Platz für Hass und Rache. Doch dann hatte er die anderen getroffen. Als erstes Yuki, der zu seinem besten Freund wurde. Es war ihm sehr schwer gefallen zu Menschen Vertrauen aufzubauen und vor allem wieder Freundschaften zu schließen. Er hatte viel geschwiegen und wollte kaum mit jemandem reden. Vieles davon war heute noch so geblieben. Er reagierte oft misstrauisch gegenüber anderen Leuten und er hatte zwar viele Bekannte aber keinen wirklich großen Freundeskreis, mit dem er oft etwas unternahm. Die einzigen, die er wirklich als Freunde bezeichnete, waren ihm jedoch ziemlich wichtig. Er konnte sich auch nicht wirklich viele Freunde leisten, denn vielleicht würde er früher oder später einmal einen von ihnen töten müssen. Auch heute schwieg er noch ziemlich häufig und gab nicht sehr viel von sich Preis. Er seufzte, was ihm einen Blick von Aya einbrachte. Doch sie wirkte immer noch wie in einer vollkommen anderen Welt. Sie unterdrückt ihren Schmerz, dachte er, das ist gar nicht gut. Vielleicht sollte er sie einfach darauf ansprechen? „Aya, dein Vater-..“ Sie winkte ab. Sie wollte nicht darüber reden. Er schwieg den Rest der Fahrt über und versank in seinen eigenen Gedanken. Er hatte noch viel zu erledigen. Er musste heute unbedingt noch in die Firma und außerdem hatte er noch einen Job zu erledigen… ~†~ (»22.01.07«) Schon lange hatten die Beiden den Spion gesucht. Oder besser gesagt sie hatten die beiden Spione gesucht. Es würde mindestens zwei geben, soweit waren sie sich sicher. Eine der Gestalten zog sich die Kapuze des bodenlangen schwarzen Mantels weiter in die Stirn, sodass auch die letzte Strähne der braunen Haare darunter verschwand. Regen prasselte auf sie herab und hin und wieder zuckten grelle Blitze, gefolgt von lautem Donner, über den dunkelgrauen Himmel. Sie folgten vielen verwinkelten Straßen und ihr Weg wollte scheinbar niemals enden. Die dicken Tropfen, die unentwegt fielen schienen sie kaum zu stören oder gar zu interessieren. Vor einem kleinen, unscheinbaren Haus blieben sie stehen. Jede Bewegung ihrer Körper zeugte von großer Vorsicht und Anspannung. „Warum konnte Akito eigentlich nicht diesen Verdammten Job machen?“, flüsterte der eine plötzlich ziemlich aufgebracht. „Der wäre da einfach rein, Kopf ab und die Sache wäre erledigt.“ Er hob die Hand in die Kapuze und strich erneut eine Haarsträhne zurück. Der andere seufzte. „Shawn, so seltsam es auch klingt, aber du musst lernen zu töten, sonst wirst du deswegen irgendwann noch einmal selbst umkommen.“ Er fuhr kurz mit dem Finger über den Anhänger an seinem Hals. Einen dunkelblauen Tropfen, den er immer bei sich trug. „Wenn es sein muss, dann mach ich das eben. Und denk dran, wenn die alte Probleme macht, muss sie auch weg.“ Langsam stieg er die wenigen Stufen zur Eingangstür hinauf und klopfte. Es herrschte eine Weile Stille, in der das Trommeln des Regens und der Donner nur noch lauter wirkten. Dann endlich wurde die Tür geöffnet. „Ja bitte?“, fragte eine Frau mit hellen, fast weißen Haaren. „Guten Tag.“, erwiderte Shawn höflich, wie so oft übernahm er das Reden und überließ anderen die Taten. „Wir würden gerne zu Chriz Row. Wir haben geschäftlich mit ihm zu tun. Unser Boss schickt uns.“, fügte er hinzu und mischte seiner Stimme einen dringenderen Ton hinzu. Sie öffnete die Tür und ließ die beiden Männer eintreten. „Moment bitte, ich werde sie anmelden.“ Die Frau eilte einen schmalen Flur entlang davon. „Sie will wohl doch weiterleben.“, flüsterte Yuki grinsend. Shawn warf ihm einen kalten Blick zu. Er wusste selbst, dass er auch lernen musste zu töten. Sonst würde er sich vielleicht irgendwann selbst gefährden und ganz besonders konnte er dann nicht die beschützen, die er liebte. Die Frau kam zurück. „Hier entlang.“, sagte sie und führte Yuki und Shawn durch den engen Flur, durch den sie eben schon einmal verschwunden war. An den Wänden hingen Bilder, die teilweise mit einer sehr dicken Staubschicht bedeckt waren und somit kaum mehr zu erkennen waren. Hin und wieder führte eine Tür nach links oder rechts, an der sie aber vorbeigingen. Mein Gott, dachte Yuki, so groß sah dieses Haus von außen aber wirklich nicht aus. Aufmerksam sah er sich um. Jedes noch so kleine Detail konnte wichtig sein, wenn sie finden wollten, was sie suchten. Sein Herz raste und her hatte das Gefühl, dass jeder in der Nähe es hören musste. Er war immer nervös, wenn es darum ging, dass jemand sterben konnte. Und noch dazu, wenn er es war, der ihn umbringen sollte. (»23.01.07«) Endlich blieben sie vor einer Tür stehen, die Frau klopfte an und öffnete kurz darauf dann die Tür. „Herr Row, ihre Gäste.“ Sie ließ Yuki und Shawn eintreten und schloss die Tür dann wieder hinter ihnen. Sie standen in einem mittelgroßen Raum, der mit allerlei Kram voll gestopft war. An den Wänden standen Schränke, aus denen Papier quoll und daneben hingen Regale, auf denn zum Teil sehr merkwürdige Geräte standen. (»26.01.07«) In der Mitte befand sich ein riesiger Schreibtisch, auf dem ebenfalls allerlei Kram herumlag; Stapel von Papier und Berge von allen erdenklichen Gegenständen. Dahinter saß ein Mann mit hellbraunen Haaren. Er mochte wohl so Ende zwanzig sein und auf seinem Gesicht zeichneten sich die ersten haarfeinen Fältchen ab. Er war aufgestanden und man sah, dass er ziemlich groß gewachsen war und außerdem sehr sportlich und muskulös schien. Seine Kleidung war dunkel und schien wild zusammengesucht, aber doch sehr edel zu sein. An seinen Händen glänzten dicke Ringe und es war eigentlich ein Typ von der Sorte: Ich weiß, dass ich was drauf hab. Shawn nahm wie selbstverständlich auf dem Stuhl Platz, der vor dem Schreibtisch stand, während Yuki sich gegen die Platte lehnte. Beide ignorierten die ausgestreckte Hand des Mannes ihnen gegenüber. Dieser schaute mittlerweile ziemlich verdutzt drein und versuchte seine Anspannung zu verstecken. „Hi Chriz.“, sagte Shawn betont lässig und griff nach einem der Gegenstände, die auf dem Tisch lagen. „Wer schickt euch?“, fragte er und ein kaum merkliches Zittern lag in seiner Stimme. „Akito.“, erwiderte Yuki knapp. „Akito?“, wiederholte der Mann. „Ja, hast du doch gehört.“ Shawns Finger spielten mit dem Gegenstand herum, den er in der Hand hielt. Noch immer hatten beide ihre Kapuzen auf. „Soweit ich weiß, ist das doch irgendein Typ aus Izilia oder? Was will der von mir?“ Chriz setzte sich zurück hinter seinen Schreibtisch und sah die beiden an. „Irgendein Typ aus Izilia, ja.“ Yuki schlug seine Kapuze zurück und der Mann ihm gegenüber erstarrte. Yuki wusste, dass er ihn kannte, denn er wurde schon öfter hier her geschickt und zu der Zeit hatte er angegeben von einem anderen Herrn zukommen. Er grinste, als er die Reaktion von ihm sah. „Überrascht?“, fragte Shawn und zog ebenfalls seine Kapuze herunter. „Was geht hier vor?“, fragte Chriz verdattert. „Wieso kommt ihr von diesem Akito? Ich dachte-… Ich dachte Kyo-….“, stotterte er. „Ach das ist eine sehr lange Geschichte. Lassen wird das besser, es würde nur kostbare Zeit verbrauchen.“ Shawn stellte den Gegenstand zurück und hob seinen Blick. „Und was wir wollen ist ganz leicht gesagt: Wir wollen den Stein der Erde und dazu müssten wir wissen, wo er ist und du wirst es uns sagen.“ (»27.01.07«) Chriz grinste. Er hatte sein Selbstbewusstsein zurückbekommen. „Und ihr denkt, dass ich euch das so einfach sagen werde?“ Seine grauen Augen blitzten unverschämt auf und er lehnte sich lässig in seinem Stuhl zurück. „Naja, wie Akito immer sagt: Ich habe Mittel und Wege das herauszufinden.“ Shawn schnippte mit den Fingern und dünne Seile, die allerdings komplett aus Wasser zu bestehen schienen, wickelten sich um den Körper des Mannes und fesselten ihn an den Stuhl, auf dem er saß. „Soso.“, warf Chriz ein. „Wasser. Also seid ihr wohl Teil der Elite Izilias? Die Wächter der Elementarkräfte? Sehr interessant. Und was bist du für einer? Feuer? Wind? Oder Magier?“, wandte er sich an Yuki. Das Grinsen verschwand einfach nicht aus seinem Gesicht. „Ich denke, dass du das noch früh genug erfahren wirst.“, erwiderte Yuki. „Ich werde dir eine Kostprobe geben, sobald ich weiß, was ich wissen will.“ Erwartungsvoll sah er Chriz an. „Und wenn ich dir die Information nicht geben kann?“ Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Yuki nickte Shawn zu und plötzlich schrie Chriz auf. Die Wasserfäden, die sich um seinen Körper wanden, hatten angefangen heiß zu werden und zu kochen. Feiner Dampf stieg von ihnen auf, als sie seine Kleidung durchbrannten und auf seine Haut trafen. Nach kurzer Zeit ließ Shawn das Wasser wieder abkühlen. Chriz saß da mit schmerzverzerrtem Gesicht. Er hatte die Finger in die Lehnen gekrallt, so dass seine Knöchel weiß hervorgetreten waren. „Das soll alles sein? Die große Kraft der Elite?“ Er lachte schwerfällig. Yuki zog die Augenbrauen hoch und schnippte ebenfalls mit den Fingern. Feine dünne Linien bildeten sich in dem Wasser, als würde es von kleinen, schwarzen Adern durchzogen sein. „Ah, Magie also.“ Wieder schrie Chriz auf, als dieses Mal das Wasser heiß wurde und sich die magische Energie in seine Haut bohrte und dort hässliche violette Striemen hinterließ. Aus feinen rissen in seiner Haut liefen dünne Blutströme. „Wirklich sehr interessant.“ Es klopfte an der Tür und kurz darauf trat die Frau ein, die ihnen auch die Tür geöffnet hatte. „Herr Row? Was-… was-…?“ Ihr verschlug es die Sprache, als sie die Fesseln bemerkte. „Was geht hier vor?“ Yuki musterte sie kurz, dann streckte er die Hand vor, aus der ein tiefschwarzer Blitz hervor schoss und die Frau direkt in der Brust traf. Langsam sackte sie in sich zusammen und blieb reglos auf der Erde liegen. Ihr Gesicht war Angstverzerrt und der Mund geöffnet. Sie hatte nicht mehr schreien können, bevor sie starb. Ihre langen Haare lagen wie ein Kranz um ihren Kopf herum auf dem staubigen Boden. Yuki trat zu ihr und schloss ihre Augen. Eine Geste, die Akito nicht zu schätzen wusste. Immer wenn er Yuki zu einem seiner Jobs mitnahm und dieser die Augen von Akitos Opfern schloss sah er ihn missbilligend von der Seite an. Er selbst tötete eigentlich auch nicht gerne. Nein, er hasste es Leben auszulöschen und verstand Akito nicht, der das alles so emotionslos hinter sich brachte. Vor allem wie er einfach so davon reden konnte, Aya irgendwann einfach aus dem Weg zu schaffen, wenn sie lästig oder gar zur Gefahr wurde. Er wandte sich wieder Chriz zu. „Ich bin dafür, dass du jetzt ganz schnell den Mund aufmachst.“, knurrte er. „Wir haben auch nicht ewig Zeit. Du bist nicht der einzige, dem wir einen Besuch abstatten müssen.“ „Kapierst du es nicht? Von mir werdet ihr nichts erfahren!“ Shawn seufzte. „Denk doch mal an all die anderen, die noch sterben müssen, wenn du nicht redest.“ Er sah nach draußen es regnete immer noch ununterbrochen und der Himmel war Wolkenverhangen. „Auch die werden niemals etwas sagen. Niemand wird unseren Herren betrügen. Ihr werdet nur vergeblich suchen.“ Yuki lachte. „Der wahre Herr sieht das anders.“ Chriz Augen weiteten sich. „Der-… der wahre Herr?“, fragte er verblüfft. „Natürlich.“, erwiderte Shawn nur. „Also wo ist der Stein jetzt? In der Stadt? In den Bergen? Oder habt ihr ihn selber nicht?“ Chriz wandte den Kopf ab und schwieg. „Wer gehört eigentlich noch zu eurer Truppe? Alle die diesem Akito oder wie ihr ihn auch sonst nennt, wohnen?“, wich er dann aus. Plötzlich spürten sowohl Yuki, als auch Shawn, dass die Anhänger ihrer Ketten eiskalt wurden und dann wieder auf ihre normale Temperatur zurückgingen. Das war ein Signal aus Izilia! Ein Angriff! Sie mussten sofort los. „Wir müssen dich jetzt leider verlassen, schicken dir aber als Ersatz gute Gesellschaft vorbei, die dich mit in unser schönes Izilia nehmen. So eine Reise ist doch immer sehr schön.“, sagte Yuki. Die beiden drehten sich um und wollten gehen. „Dann schickt mir das Mädel vorbei. Die Kleine mit den dunkelblonden Haaren, die auch schon im Auftrag von Kyo hier war. Sie war wirklich eine sehr gute Gesellschaft, sie gehört doch auch zu euch oder irre ich mich?“ Shawn blieb ruckartig stehen. „Was meinst du damit?“, fragte er ohne sich umzudrehen. Seine Stimme hatte einen drohenden Ton angenommen. „Ich schätze ihre Gesellschaft in meinem Schlafzimmer wirklich sehr.“, antwortete Chriz und lachte leise. Blitzschnell hatte Shawn sich umgedreht und starrte ihn an. Yuki hatte sich alarmiert den anderen zugewandt und wollte Shawn davon abhalten, doch es war zu spät. „Du Drecksack.“, knurrte er. Er hatte die Hand vorgestreckt, aus der nun ein Wasserstrahl trat. Noch ehe er Chriz’ Brust berührte hatte er sich in einen Spitzen Eispflock verwandelt, der sich tief in sein Herz bohrte. Blut färbte seine Kleidung um die Einstichstelle. Chriz stöhnte noch einmal kurz auf, bevor das Leben aus seinem Körper wich und seine Augen trüb wurden. Shawns Schultern hoben und senkten sich und sein Atem ging schneller. Er fühlte nur blanken Hass und Abscheu gegenüber dem Kerl. „Das hast du ja wirklich toll hinbekommen.“, seufzte Yuki. Shawn achtete nicht darauf und ging an ihm vorbei den Flur entlang. Yuki trat zu Chriz, schloss seine Augen. „Tja, mein Freund, du bist selber Schuld. Das hättest du nicht sagen dürfen.“ Er warf noch einen letzten Blick auf den leblosen Körper, bevor er Shawn nach draußen in den Regen folgte. ~†~ Unsicher schaute ich mich in dem Zimmer um. Ich hatte gerade meine Sachen eingeräumt. Über dem Bett hing nun meine Poster von dem Toten Hosen und mein kleiner Kirschbaum stand auf der Fensterbank. Ich fühlte mich hier fremd und überflüssig und außerdem wanderten meine Gedanken immer wieder zurück zu dem Gespräch mit meinen Eltern. War das wirklich meine Mutter gewesen, mit der ich da gesprochen hatte? Sie war so anders, so fremd. War es wirklich richtig von ihr weggegangen zu sein? Vielleicht brauchte sie mich jetzt noch mehr als früher, gerade weil mein Vater wieder da war. Vielleicht wollte sie wirklich noch einmal einen Neuanfang versuchen? Mit meinem Vater und mir? Vielleicht wollte er sich ja auch wirklich ändern, nur ich glaubte wie immer noch daran, dass schlechte Menschen sich so plötzlich ändern konnten. Vielleicht war er ja aber auch kein schlechter Mensch, sondern ich gab ihm einfach keine Chance mehr? In Gedanken rannte ich gegen eine Mauer. „Bist du dir sicher?“ Akito Worte schossen mir durch den Kopf. „Du kannst zum Beispiel nicht einfach nach drei Tagen sagen, dass du nicht mehr willst.“ Stimmt, er hatte Recht. Er hatte mir die Wahl gelassen und ich hatte meine Entscheidung getroffen. Ich würde mich schon eingewöhnen, sagte ich mir. Es ist doch klar, dass das alles noch fremd ist. Ich nahm meinen Laptop vom Bett und ging ins Wohnzimmer. Akito saß auf dem Sofa und telefonierte. Ich zeigte auf meinen Laptop und sah ihn fragend an. Er deutete auf eine Tür, die direkt neben der zum Flur lag. Ich öffnete sie und betrat den Raum. Es war ein heller Raum, mit hellen oliv gestrichenen Wänden und Ahornboden. Zwei Schreibtische standen darin, auf denen alles Mögliche herumlag. An den Wänden standen ein Bücherregal, eine Vitrine mit Fotos darin und zwei Schränke, die mit Papieren und Aktenordnern voll gestopft waren. In dem Zimmer schien das Chaos die Überhand zu haben und gerade deshalb gefiel er mir so gut. Auf einem Schreibtisch stand ein moderner PC mit Flachbildschirm. Auf dem anderen schob ich die ganzen Sachen zusammen und stellte meinen Laptop darauf ab. Ich steckte Strom und Netzwerkkabel in die passenden Dosen und fuhr das Programm hoch. Ich ließ mich auf dem weichen Stuhl nieder und loggte mich im Chat ein. Eva war da, das war gut. Dienstag, 20. September, 14.18 Uhr Unterhaltung mit: Eva Aya: Hi Eva. Ich wollte mich nur noch mal entschuldigen, dass ich nicht mit zu der Party gekommen bin Eva: Oh hi =) Mh, schon okay, aber du hast wirklich was verpasst. =p Aya: Das klingt ja viel versprechend. Was war denn so tolles? Eva: Du kennst doch noch Kev oder? Aya: Kev? Der Typ aus der zwölften? Ja klar. Eva: Nun ja… Aya: Was ist mit dem? +grins+ Ich konnte es mir eigentlich schon ganz genau denken, denn ich wusste, dass sie ihn schon immer total toll gefunden hatte. Eva: Naja, er-… wir-… Aya: Jaha? Ich höre? Eva: Er hat mich geküsst. Aya: Wusste ich es doch! Eva: Wo bleibt die Freude? Aya: Süße, du weißt doch, dass ich mich für dich freue! Eva: Es war sooo toll, das glaubst du gar nicht. Aya: Erzähl schon! Eva: Naja, es war halt so: Ich kam auf der Party an und es war halt alles voll toll und so. Alles schön geschmückt und Buffet und so, ganz toll. Irgendwann so gegen zehn kamen dann auch die aus der zwölften. Natürlich war Mia die Zicke auch wieder mit und hing den ganzen Abend an Kev. Auf jeden Fall standen Tobi und ich gerade an der Bar, als Kev sich ein Bier geholt hat und Mia hing wieder mal an ihm dran. Sie hat ihn Pausenlos belabert und dann hat sie irgendwann gesagt, dass sie ihn ja total toll finden würde und so. Weißte was Kev dann gemacht hat? Aya: Nein, woher denn auch. =p Eva: Also er hat sich dann zu mir umgedreht, meinte zu Mia so: „Tut mir leid, aber ich bin mit Eva zusammen.“ Dann ist er auf mich zugekommen und hat mich geküsst. So richtig! Mit Zunge! Aya: Wie cool! Und jetzt seid ihr auch zusammen? Eva: Ja =) Ich treffe mich nachher noch mit ihm! Boah, ich sag dir, er ist der beste Küsser, den ich bis jetzt getroffen habe! Aya: Na dann sieh zu, dass es auch lange deiner bleibt! Eva: Ich tu mein Bestes! Warum konntest du eigentlich nicht kommen? Aya: Ich hatte wieder total Stress mit meinen Eltern und durfte nicht mehr weg. Eva: Oh, das ist nicht gut. Du, ich hab noch genug Zeit bis zu dem treffen mit Kev, soll ich vorher noch bei dir zu Hause vorbeikommen? Aya: Ähm, das wird schlecht gehen. Eva: Wieso das den? Erlauben das deine Eltern nicht? Aya: Ich bin nicht zu Hause. Eva: Nein? Wo bist du denn? Aya: Ich bin im Moment bei einem Freund. Eva: Ah… Bei wem denn? Aya: Kennst du nicht. =) Eva: Oooooh =) Mister Unbekannt! Aya: Ja, so könnte man es nennen. +grins+ Eva: Jetzt sag schon. Wie heißt er? Aya: Akito. Eva: Aha. Ist er Japaner oder so? Aya: Nein, wirklich nicht. Eva: Und sieht er gut aus? Aya: EVA! Du bist echt unmöglich. =) Sieh zu, dass du mit deinem Kev glücklich wirst. Eva: Man kann ja mal Fragen. =p Aya: Schon okay. Eva: Du Süße, ich muss dann auch mal los. Wir sehen uns ja morgen in der Schule. Aya: Ja natürlich. Bis morgen. Hab dich lieb =) Eva: Ich dich auch =) Ich loggte mich ebenfalls aus dem Chat aus und stand auf. Ich sah mich noch einmal um und ganz plötzlich wurde mit schwindelig und schwarz vor Augen. Bilder tauchten in meinem Kopf auf. Sie wirbelten durcheinander, so dass ich kaum etwas wirklich erkennen konnte. Ich sah jedoch, dass Menschen die ich kannte darin vorkamen. Akito, Yuki, Shawn, Neru und auch die Mädchen. Das schlimmste war nur, die alle samt waren tot und ein Gefühl durchströmte meinen Körper, als wäre ich Schuld an dem allen. An ihrem Tod und an ihren Schmerzverzerrten Gesichtern, aus denen jegliche Farbe gewichen war. Akito sah jedoch aus, als würde er nur friedlich schlafen und jede Minute wieder aufwachen, doch irgendetwas sagte mir, dass es nicht so war. Er würde nie wieder aufwachen. Dann war da noch ein Bild von einem Typen. Er hatte lange, schwarze Haare und eine unglaubliche Anziehungskraft. Irgendwo hatte ich ihn doch schon einmal gesehen? Er lächelte mich scheinbar an und streckte mir die Hand entgegen. Ich wollte sie ergreifen, doch meine Hand griff nur ins Leere. Die Bilder wirbelten immer schneller und schneller in meinen Gedanken umher. Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als ich endlich versuchte diese Bilder loszuwerden. Sie sind nicht echt, dachte ich mit aller Kraft, es ist nur deine Fantasie. Langsam oder sicher verschwanden die schrecklichen Vorstellungen aus meinem Kopf und stattdessen breitete sich eine quälende Leere darin aus. Ich schüttelte ihn kurz und rieb meine Schläfen. Du solltest mal wieder richtig schlafen, dachte ich. Ich öffnete die Tür zum Wohnzimmer. „Ist es okay, wenn ich heute noch einmal weggehe?“, fragte Akito und legte das Telefon beiseite. „Wieso solltest du das nicht tun? Mit mir ist doch wieder alles okay, dank Neru.“, antwortete ich. „In Ordnung, ich weiß noch nicht, wann ich wieder da bin aber auf dem Küchentisch liegt meine Handynummer, falls was ist meldest du dich sofort, versprochen?“ Er griff nach seiner Jacke. Ich nickte. „Ich wollte mich sowieso schon mal ne Stunde hinlegen oder so. Viel Spaß.“, erwiderte ich. „Danke.“ Kurze Zeit später hörte ich die Haustür zuklappen und ging in mein Zimmer. Ich ließ mich aufs Bett fallen und schloss die Augen. ~†~ Yuki kramte sein Handy aus der Tasche und wählte eine Nummer. „Ari? Hi, ich bin es Yuki. Hast du Lust mit mir was trinken zu gehen?“ Er lauschte einen Moment in den Hörer. „Ja, jetzt, wenn es geht.“ Wieder horchte er und sah sich nebenbei um. „Okay, in einer Viertelstunde im Pincano, bis dann.“ Yuki beendete das Gespräch und schlug den Kragen seiner dunkelbraunen Jacke hoch. Der Wind war wirklich eisig und es schien nur noch von Tag zu Tag immer kälter zu werden. Der Himmel war grau und dichte Wolken türmten sich auf. Es würde heute bestimmt noch regnen. Der junge Mann beeilte sich zu den abgesprochnen Treffpunkt zu kommen und setzte sich an einen Tisch am Fenster. Er bestellte sich einen Kaffee und wartete auf Ari. Das Mädchen betrat kurze Zeit später herein und sah sich nach ihm um. Ihre schulterlangen, mittelblonden Haare waren vom Wind leicht zerzaust. Sie entdeckte ihn, schob sich zwischen anderen Tischen zu ihm und setzte sich ihm gegenüber. Ihre grünen Augen strahlten. „Hi!“, sagte sie munter. Sie war wirklich ein echter Sonnenschein und nur sehr selten schlecht gelaunt oder traurig. Aus allem versuchte die etwas Positives zu machen und egal wie aussichtslos die Situation war, sie blieb optimistisch. Genau das schätzte Yuki so an ihr. „Hey!“, erwiderte er und lächelte. „Also, was gibt’s denn, dass du mich unbedingt treffen wolltest?“ Sie öffnete den Reißverschluss ihrer dunkelgrauen Jacke und hängte sie über die Stuhllehne. Der Kellner kam erneut an ihren Tisch und sie bestellte sich einen Kakao. „Nun, Shawn und ich waren heute den ganzen morgen in Atora.“, begann er. „Ein Auftrag von Akito?“, fragte sie und verzog das Gesicht. Yuki nickte. „Wer war denn dieses Mal der Glückliche?“ Sie nahm Yuki die Zigarette aus der Hand, die er sich gerade angesteckt hatte und drückte sie im Aschenbecher aus. „Das gewöhn ich dir auch noch ab.“, fügte sie hinzu. „Also, wen hat es erwischt?“ Yuki wartete noch, bis der Kellner Aris Kakao auf den Tisch gestellt hatte und verschwunden war, bevor er antwortete. „Chriz Row.“, sagte er dann. Ari sah auf. Er konnte nicht deuten, was sie dachte. „Er ist tot?“, fragte sie leise. Yuki nickte. Sie rührte in ihrer Tasse. Auf einmal stand Akito hinter ihr. „Na ihr beiden?“ Er ließ sich neben Yuki nieder und zog ebenfalls seinen langen, schwarzen Mantel aus. „Wie ist der Job gelaufen?“, fragte er dann. „Shawn hat ihm ungelegt, bevor wir etwas rauskriegen konnten.“, antwortete Yuki, ohne den Blick von Ari zu nehmen. „Shawn?“ Akito sah ihn verblüfft an. „Wie kam es denn dazu?“ Er wickelte seinen Schal ab. „Nun ja, wir waren halt gerade bei der Befragung und dann kam ein Signal aus Izilia, wegen eines Angriffs. Ich wollte jemanden zu Chriz schicken, sodass Shawn und ich drüben helfen konnten. Soweit ist es gar nicht mehr gekommen.“ Yuki nahm einen Schluck aus seiner Tasse. „Chriz sagte etwas, das Shawn wohl ganz und gar nicht zu gefallen schien. Daraufhin ist er ausgerastet und hat Row ohne wirklich nachzudenken mal eben so einen Eispflock ins Herz gerammt.“ „Wie bitte?“ Immer noch etwas verblüfft strich Akito sich durch die Haare. Er bemerkte entsetzte Blicke von einem älteren Ehepaar, das am Nebentisch saß und grinste sie an. Er musste sich das Lachen verkneifen, denn er stellte sich gerade vor wie er reagiert hätte, vorausgesetzt er wäre so alt wie sie und normal, wenn drei Jugendliche sich darüber unterhalten würden, dass ein Freund von ihnen jemandem einen Eispflock ins Herz gerammt hätte. „Was hat er denn gesagt, dass unser Anti-Mörder in dem Fall seine Meinung geändert hat?“ Yuki sah wieder auf Ari. „Er sagte daraufhin, dass ich ihm gleich Gesellschaft schicken wolle, dass ich doch bitte das dunkelblonde Mädchen nehmen sollte, das ebenfalls schon in Kyos Auftrag da war, da sie so eine gute Gesellschaft in seinem Schlafzimmer sei.“ Akito verschlug es für einen Moment die Sprache. „Bitte was?!?“ Ungläubig starrte er ihn an. „Ari, warum bist du mit ihm ins Bett gegangen?“, fragte Yuki. „Ich-… Ich-… Weil-…“ Akito seufzte. Eigentlich war es ihm egal, was die anderen machten aber in diesem Fall war das anders. Nicht das Chriz zu Atoras Elite gehört hätte aber trotzdem hätte er die Informationen dringend benötigt. Er oder besser sein Tod konnte ihm nicht gefährlich werden. Aber trotzdem, was hatte Ari sich gedacht? Fand sie ihn so toll? „Hast du ihn geliebt?“, fragte Yuki weiter. „Nein, bestimmt nicht.“, antwortete sie. „Warum dann, Ari? Ich verstehs einfach nicht!“ Sie seufzte. „Weil… Weil ich ihn vergessen wollte. Weil ich diesen Trottel aus meinen Gedanken vertreiben wollte, bevor er mich wahnsinnig macht aber ich hab es nicht geschafft. Es hat nicht funktioniert.“, sagte sie leise. „Wen?“, wollte Yuki wissen. „Shawn“, erwiderte sie und sah zum ersten Mal wieder auf. Akito schwieg. (»28.01.07«) Er hatte die ganze Zeit gewusst, dass die beiden ineinander verliebt waren, doch was hatte er machen sollen? Sowohl Aris als auch Shawns Eltern hatten etwas dagegen. Sie waren beide angesehene Leute und wichtige Entscheidungsträger in Izilia. Aris Eltern jedoch, akzeptierten nicht, dass Shawns Familie ursprünglich aus Atora kam, dem Land des Feindes. Sie hatten Angst, dass der Junge ihre Tochter mit in den Sumpf ziehen würde. In den Strudel aus Intrigen, Machtgier und Mord. So oft hatten sie ihrer Tochter gesagt, sie solle sich nicht mit ihm abgeben. Ari hatte die Nachfolgerin von Mara werden sollen. Mara war zusammen mit Neru die Hüterin der Elementarsteine. Nur die beiden wussten, wo sie sich befanden und wie man dorthin gelangen konnte. Beide Familien hatten ihren Kindern gedroht sie in verschiedene Welten zu stecken, sobald sie doch zusammenkommen würden. Ari sollte hier, in der normalen Welt bleiben, eine Schule besuchen, heiraten und ihr Leben hier verbringen. Shawn hingegen hatte seine Zeit in Izilia zu verbringen, wo er die Nachfolge Nerus antreten sollte und ebenfalls dort heiraten sollte. Doch das Schicksal hatte ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Es stellte sich mit der Zeit heraus, dass Ari und Shawn Wächter der Elementarkräfte sein sollten und somit zumindest ihre nahe Zukunft sie enger verband, als es den Eltern lieb war. Akito wusste auch, dass Aris Eltern ihn hassten, weil es nun nicht Shawn gewesen war, der ihre Tochter in den Abgrund gerissen hatte, sondern er. „Denk nicht weiter drüber nach.“, sagte Akito ins das Schweigen hinein. „Was?“, fragte Ari erstaunt. „Es ist okay. Du kannst doch machen was du willst. Zumindest solange du unsere Pläne nicht verrätst oder zu etwas gezwungen wirst. Und ich denke mal nicht, dass Chriz von dir verlang hat mit ihm ins Bett zu gehen oder?“ Ari schüttelte den Kopf. Akito stützte die Ellenbogen auf den Tisch, legte den Kopf in die Hände und sah aus dem Fenster. Wieder herrschte eine ganze Weile schweigen. „Wie geht’s es eigentlich dem Mädchen, das neulich vor deiner Tür lag?“, fragte Ari plötzlich. Akito erwachte wieder aus seinen Gedanken. „Aya? Wieder ganz gut. Sie wohnt jetzt bei mir.“, antwortete er. „Sag das noch mal!“, forderte sie. „Sie wohnt bei dir?“ Yuki verkniff sich ein Grinsen. „Ja, sagte ich doch.“, erwiderte Akito. „Wieso das denn? Ich meine, ich weiß ja, dass du oft eine Frau bei dir hast, aber soweit ich informiert bin ist das dann jedes Mal eine andere und keine von ihnen war länger als eine Nacht da. Wie kommt der plötzliche Sinneswandel?“ Ari sah wirklich verblüfft aus. Unter Akitos vielen Affären waren wirklich nicht sehr viele, die er länger als höchstens drei Nächte bei sich haben wollte. Und sie sollte jetzt gleich bei ihm wohnen? „Findest du nicht, dass sie etwas jung ist?“, fügte sie hinzu. Yuki lachte. „Wenn man dich so reden hört, könnte man meinen du seiest eifersüchtig.“ Ari errötete leicht. „Ach quatsch, aber-…“ „Schon okay.“, unterbrach Akito sie. „Also erstens ist sie wirklich ein wenig zu jung und außerdem will ich ja auch gar nichts von ihr. Jedenfalls nicht in dem Sinne.“ „Wie meinst du das?“, wollte sie wissen. Bevor er antworten konnte klingelte sein Handy. Er zog es aus der Manteltasche und öffnete die Mitteilung, die er bekommen hatte. Von: +4916024… Am: Dienstag, 20. September 2007; 17.24 Uhr Hey Akito! Ich wollte nur eben fragen, wann du heute nach Hause kommst. Ich wollte kochen. =) Liebe Grüße Aya Er lächelte. „Hey! Antworte mal! Und was grinst du so?“ Er tippte schnell eine Antwort ein und steckte sein Handy dann zurück. „Also sie wohnt bei mir, weil ich glaube, dass sie unser gesuchter Engel ist und weil ich sie von ihrem prügelnden Vater wegholen wollte. Reicht das als Antwort?“ Er wusste genau, dass es Ari nicht reichen würde, und so kam es dann auch. „Natürlich nicht. Ein paar mehr Infos bitte.“ Er seufzte. „Also gut. Ich glaube, dass Aya der Engel ist, den wir suchen. Sie hat auf das Schwert reagiert und das bedeutet, dass sie die Kraft in sich trägt, diese jedoch noch nicht erwacht ist. Und zu dem zweiten Punkt. Ich habe mitbekommen, dass ihre Familiensituation nicht gerade die Beste ist. Ihre Mutter hat sich scheinbar mit ihrem Vater wieder versöhnt, der die beiden früher geschlagen haben soll. Als sie den Abend bei mir vor der Tür war, ist ihr Vater wohl wieder einmal ausgerastet.“ Ari saß da und starrte ihn an. Der Engel? Das ging aber wirklich schnell. Oder zumindest schneller, als sie erwartet hatte. „Und jetzt?“, fragte sie. „Abwarten würde ich sagen.“ Akito stand auf. „Ich muss jetzt auch mal los. Ich bekommen heute zur Abwechslung mal etwas gekocht.“ Er knöpfte seinen Mantel zu und verließ das Pincano. „Ich geh dann glaub ich auch mal.“, sagte Ari. Sie stand auf, umarmte Yuki kurz und verließ dann ebenfalls das Bistro. Yuki saß noch eine Weile da und war in seinen Gedanken versunken. Plötzlich klingelte sein Handy. „Hallo?“ „Hey Yuki!“, drang Shawns Stimme an sein Ohr. „Ich wollte mich Entschuldigen wegen vorhin. Ich hätte nachdenken sollen. Jetzt haben wir keine Informationen bekommen können. Ich hätte wirklich nicht so unüberlegt handeln dürfen, das ist unprofessionell.“ Yuki seufzte. „Ist schon in Ordnung.“ Er hatte die Zeit genutzt und darüber nachgedacht, wie er wohl reagiert hätte, wenn er erfahren würde, dass das Mädchen das er liebte mit einem anderen geschlafen hätte, der dazu noch ein vollkommener Mistkerl war. „Wie bitte? Ich dachte du würdest total sauer sein! Und vor allem was soll ich Akito jetzt sagen? Der wird mich einen Kopf kürzer machen, wenn er mitbekommt, dass ich Chriz einfach so umgelegt habe!“, beharrte Shawn. „Er weiß es schon.“, erwiderte Yuki ruhig und griff nach der Schachtel Zigaretten in seiner Tasche. „Wie er weiß es schon? Was hat er gesagt und-…“ „Shawn? Es ist okay. Er hat nichts weiter dazu gesagt.“, beruhigte Yuki ihn. „Aber-…“, wollte Shawn einwenden. Yuki unterbrach ihn noch einmal. „Es ist in Ordnung. Das hast du doch alles nur gemacht, weil du sie liebst oder?“ Kapitel 5: Regen ---------------- Kapitel 5 - Regen (»03.02.07«) Allmählich dämmerte es über der Stadt, als Akito den Weg zur Haustür entlangging. Er fühlte sich ungewöhnlich entspannt, was normalerweise immer das genaue Gegenteil war. Die Steine unter seinen Füßen knirschten leise. Er wohnte in einer Gegend, die etwas außerhalb der Stadt lag. Es waren nur wenige Geräusche zu hören, denn hier fuhren nicht oft Autos vorbei. Er blieb einen Moment stehen und sog die frische Luft ein. Für kurze Zeit tauchte er in Gedanken ein, die er sich nicht oft erlaubte und die auch nicht oft möglich waren. Er wollte sich keine Hoffnungen machen, denn er wusste, dass es nur wenig gab. Er vergrub sich in einer Erinnerung aus der Vergangenheit. Er war gerade 7 Jahre alt gewesen und war mit seinem Vater zelten gefahren. Es war eine Zeit gewesen, wo mal keiner von ihnen an die Probleme der anderen Welt denken musste. Besonders sein Vater nicht, der normalerweise immer mit einem Bein im Izilia stand. Sie waren Angeln gewesen und obwohl Akito Angeln langweilig fand, hatte es ihm dieses eine Mal Spaß gemacht. Er hatte sogar etwas gefangen und sein Vater hatte ihm alles über die Fische erzählt. In seinem Bauch begann es zu kribbeln, als er sich an dieses Wochenende erinnerte. Es war lange her. Jetzt musste er das Werk seines Vaters fortsetzten: Er musste irgendwie den Spagat zwischen der Firmenübernahme und Shigures Auftrag schaffen. Für seinen Vater. „Akito!“ Abrupt wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Er drehte sich um. Eine Frau, die wohl Mitte zwanzig sein mochte, mit langen schwarzen Haaren, unnatürlich blasser Haut und tiefroten Lippen stand vor ihm. „Liv! Was machst du denn hier?“, fragte er überrascht. Sie trat ein paar Schritte auf ihn zu. „Ich wollte dich mal wieder sehen.“ Ihre Stimme klang weich und warm. Nichts an ihr schien normal oder wirklich zu sein. In ihren Augen, die fast schwarz waren schimmerte das Licht des aufgehenden Mondes. „Und darum kommst du extra in diese Welt?“ Skeptisch sah er sie an. „Irgendwann werde ich nirgendwo mehr hingehen müssen, um dich zu sehen. Dann wirst du nämlich immer bei mir sein.“, sagte sie und der Ton ihrer Stimme war voller Sehnsucht. „Du weißt genau, dass-…“, erwiderte Akito, doch die Frau unterbrach ihn. „Ja, ich weiß aber glaub mir, irgendwann wird es keinen Grund mehr geben, dass du dich auf eine der beiden Seiten schlägst.“ Sie kam noch näher und lehnte sich gegen ihn. „Ich hab dich vermisst.“, flüsterte sie und strich mit der Hand über seine Wange. „Hör auf, Liv. Es ist vorbei.“ Akito schob ihre Finger von sich. „Es ist mir egal. Auch wenn du mich niemals wieder lieben kannst, es ist mir egal.“ Sie schlang ihre Arme um ihn. Akito schwieg. Er fühlte nichts mehr für sie. Wenn sie mit ihm ins Bett wollte war das ihre Sache. Sie wusste, dass er nichts mehr empfand. „Küss mich.“, forderte sie. Als ihre Lippen sich berührten, machte ihr Herz einen Hüpfer und als seine Zunge nach ihrer tastete hatte sie das Gefühl, als würde sie fliegen. Dutzende von Bildern aus vergangener Zeit schossen ihr durch den Kopf und sie wünschte sich, dass diese Zeit zurückkehren würde. Plötzlich schob er sie von sich weg und ging zur Tür. „Akito, warte! Bitte komm mit mir! Nur für diese Nacht.“, bat sie. Er blieb stehen. (»05.02.07«) „Du kennst die Antwort gut genug.“, sagte er kühl. Ohne noch auf ein Wort von ihr zu warten schloss er die Tür hinter sich und folgte den Treppen nach oben. (»08.02.07«) Schon im Flur stieg ihm der Geruch von Essen in die Nase und er vernahm deutlich das Knurren in seinem Magen. Er zog die Schuhe von den Füßen und betrat die Wohnung. Aus den Lautsprechern der Stereoanlage kam Musik die ganz nach seinem Geschmack war: „Within Temptation“ Die Küchentür stand weit offen. Als er in den Raum kam, goss Aya grade einen Topf mit Nudeln ab. Sie sah aus, als hätte sie geweint, doch er wollte sie nicht darauf ansprechen. Er räusperte sich leicht und Aya drehte sich erschrocken um, doch als sie ihn sah lächelte sie. „Oh man, hast du mich erschreckt“, sagte sie lachend. „Das Essen ist gleich fertig, setz dich schon mal hin!“ (»14.02.07«) Er blieb jedoch stehen. „Kann ich dir noch irgendwas helfen?“, fragte er nach und sah sich in der Küche um. „Nein, nein, brauchst du nicht. Setz dich hin!“, sagte sie in leicht befehlerischen Ton, indem die Ironie kaum zu überhören war. Sie griff an seine Schultern und schob ihn zu einem der Stühle, auf dem er sich zwangsweise niederlassen musste. „Das gibt’s ja nicht! Kaum einen Tag hier und schon Befehle geben!“ Er lachte und lehnte sich zurück. Inzwischen konnte Aya selbst sich das Lachen auch nur noch knapp verkneifen. Sie drehte sich um und stellte kurz darauf den Topf mit den dampfenden Nudeln auf den Tisch. „So, guten Appetit.“, sagte sie. „Und was hast du heute noch so gemacht?“, fragte er und füllte Nudeln in beide Teller. „Och nicht so viel. Noch ein paar Hausaufgaben, ein bisschen telefoniert und so was, dann hab ich gekocht und sonst eigentlich nichts.“ Sie hatte inzwischen den Soßentopf auf den Tisch gestellt und sich ihm gegenüber hingesetzt. „Du musst morgen wieder zur Schule, oder?“, wollte er zwischen zwei Bissen wissen. Sie nickte. „Soll ich dir eine Entschuldigung für die letzten zwei Tage schreiben?“ Dieses Mal schüttelte ich den Kopf. „Wir hatten Montag und heute frei, weil unsere Lehrer auf so einer seltsamen Fortbildung waren.“, fügte ich hinzu. „Ach so.“, erwiderte er kurz. Dann herrschte eine ganze Weile Stille im Raum und wir aßen schweigend, doch in meinem Kopf schien ein Meer von Gedanken einfach keine Ruhe geben zu wollen. Es waren eigentlich keine wirklichen Gedanken, es waren eher Vorstellungen von Dingen, die passieren könnten. Viele davon waren Reaktionen von meinen Freunden, wie sie reagieren würden, wenn ich ihnen die Wahrheit erzählen müsste, denn ich konnte die Tatsache, dass ich nicht mehr zu Hause wohnte wohl nicht sehr lange geheim halten. Da war ich mir ziemlich sicher, weil bald eine meiner Freundinnen kommen würde und mich fragen würde, ob sie mich mal wieder besuchen könne. Was sollte ich als Erklärung für ein „Nein“ geben? Die ersten Male würde es sogar vielleicht gar nicht auffallen… Ob meine Eltern versuchen würden mich wieder zurück zu holen? Was würden meine Verwandten sagen? Und meine Lehrer? Würden sie alle wirklich zulassen, dass ich hier blieb? Und vor allem was würde ich tun können, wenn sie mich hier weg holen wollen? Alle diese Vorstellungen ballten sich zu einer riesigen Welle, die langsam meinen ganzen Körper zu durchfluten schien. Sie schnürte meinen Magen zu und ich hatte das Gefühl keinen einzigen Bissen mehr herunter zu bekommen. Ich starrte auf den Teller und die Portion kam mir auf einmal viel größer vor. Du schaffst das, sagte ich mir. Er soll es nicht merken. Er ließ mich hier wohnen, also wollte ich ihm auch nicht auch noch mehr unnütze Probleme bereiten. Mühsam schlang ich den letzten Rest hinunter und nahm einen großen Schluck aus meinem Glas. (»18.03.07«) „Mh, ich glaub ich hohle dich morgen mal von der Schule ab.“ Seine Stimme durchbrach diese unerträgliche Stille und lenkte mich gleichzeitig von diesem unsäglichen Gefühl ab, dass in mir brodelte. Oder besser von diesen vielen, dutzenden Gefühlen, die sich zu einem einzigen Chaos vermischt hatten. Ich schluckte mühsam. „Warum das denn?“, fragte ich und versuchte meine Stimme normal klingen zu lassen. „Ich will mit deinen Lehrern reden. Sie müssen schließlich wissen, dass du demnächst wohl keinen Brief von deinen Eltern unterschreiben lässt oder etwa nicht?“ Er schob seinen leeren Teller weg und legte sein Kinn in die Hände, nachdem er seine Ellenbogen auf der Tischplatte abgestützt hatte. „Ähm okay, stimmt.“, erwiderte ich und lehnte mich zurück. Die Sonne schien durch das Fenster mit gegenüber. Aus irgendeinem Grund blendeten mich in diesem Moment selbst diese schwachen Strahlen, der Herbstsonne. Es war ziemlich selten geworden, dass noch ein heller schein durch die dichte, graue Wolkendecke trat. „Wann hast du morgen Schluss?“, fragte er. „Ich glaube ganz normal um zehn nach eins.“ Ich stellte die Teller zusammen und stand auf, um das Geschirr in die Spülmaschine zu stellen. Vom Flur aus erklang ein Klingeln. „Ich geh schon.“ Akito stand ebenfalls auf und ging aus dem Raum in Richtung Flur. Ich tat die Reste des Essens in eine Schüssel und stellte diese in den Kühlschrank. Ich war wirklich heilfroh, dass die Nudeln aus meinem Blickfeld verschwunden waren, denn mir war ziemlich übel geworden. Auch der Rest des dreckigen Geschirrs wanderte in die Spülmaschine. Kurz drauf hörte ich, wie sich Schritte näherten und Akito betrat kurz gefolgt von Yuki wieder den Raum. Sie ließen sich am Tisch nieder. „Mhhh das riecht aber lecker. Was gab es denn Schönes?“, fragte Yuki und lächelte mich kurz an. „Nudeln.“, erwiderte ich knapp. „Willst du noch welche? Ich hab noch einen Rest.“ Ich erwiderte ein Lächeln, das mir einen Blick von Akito einbrachte. „Ja, gerne, wenn ihr den nicht noch braucht.“ Wieder breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. Ich öffnete die Kühlschranktür, holte die Schüssel hervor und stellte sie in die Mikrowelle. „So, ich geh dann noch mal ein paar Hausaufgaben machen. Bis später.“, sagte ich. Es war gelogen. Ich hatte keine Hausaufgaben auf. Ich wollte nur weg von den beiden. Ich wollte allein sein mit diesen seltsamen Gefühlen und vor allem würden immer nur neue dazu kommen, wenn ich bleiben würde. Yuki machte mich nervös. Ich drehte mich um und war fast aus der Küche, als Akito noch etwas sagte: „Es kann sein, dass ich nachher noch einmal weg muss. Vielleicht bleibt Yuki aber hier.“ Innerlich seufzte ich. „Ist in Ordnung.“, erwiderte ich, dabei war ich mir nicht einmal sicher, ob das für mich wirklich so in Ordnung war. ~†~ Ein reges Treiben herrschte auf dem großen Platz. Wie immer um diese Zeit. Die Händler versuchten die letzten Waren loszuwerden, und riefen lautstark durcheinander. In den verwinkelten Gassen wimmelte es von Menschen, die versuchten sich ihren Weg durch die Masse zu bahnen. In den Kneipen und Bars konnten sich die Wirte nicht über mangelnden Besuch beklagen. Die Gasthäuser waren rappelvoll und es wurde geredet, gelacht aber manchmal auch gestritten. Er zog sich die Kapuze seines langen schwarzen Mantels ins Gesicht und betrat die volle Hauptstraße. Ihm war es ganz Recht, dass so viele Leute noch unterwegs waren, so würde er wenigstens nicht so auffallen. Nicht, dass er eine besonders Aufsehen erregende Person wäre, aber dennoch fühlte er sich so sicherer. Hin und wieder blieb er an einem der Stände stehen und sah sich die Auslage an, obwohl er eigentlich gar keine Zeit hatte. Ihm war das egal. Niemals erschien er rechtzeitig zu einem Treffen mit ihm und Er wusste das. Der junge Mann hatte alle Zeit der Welt. Oder besser gesagt Zeit hatte hier für ihn keine Bedeutung. Er ließ sich keine Befehle erteilen, er ließ sich nur bitten und Er bat ihn immer wieder gerne, denn er war wichtig. Zu wichtig, als dass Er auf ihn verzichten konnte. Sein Blick wanderte über eine Reihe von Silber und Gold glänzenden Schmuckstücken. Manche von ihnen waren mit Steinen in allen möglichen Formen verziert, andere dagegen ziemlich schlicht. Er musterte sie eine Weile, bevor ein Armband seine Aufmerksamkeit weckte. Es war in einem matten Silber gehalten und bestand aus feinen Ringen, die so zerbrechlich wirkten wie Glas. Zwei Anhänger hingen daran. Einer in Form eines Engelsflügels, bei dem es so schien, als könnte man noch jede Feder einzeln erkennen und seine Weichheit spüren. Allerdings war er nicht weiß, sondern bestand aus einem einzigen filigran gearbeiteten, tiefschwarzen Stein. Der andere sah ebenfalls aus, wie ein Flügel. Er ähnelte jedoch eher einem dieser schwarzen, ledernen Schwingen eines Dämons oder Vampirs. Auch er war so fein gearbeitet, dass es dem Betrachter fast den Atem verschlug. „Kann ich ihnen helfen?“ Er sah auf und blickte direkt in das Gesicht einer alten, freundlich wirkenden Frau, die hier verkaufte. „Ja.“, antwortete er. „Ich würde gerne dieses Armband dort kaufen.“ Er zeigte auf das Schmuckstück. Die Frau lächelte. Sie war bestimmt eine der Menschen aus Izilia, die vor langer Zeit hier her verschleppt wurden. So schönen Schmuck gab es hier sonst nicht und so herzliche Menschen auch nur sehr selten. „Gerne.“ Sie hob es von dem dunkelgrünen Tuch, auf dem ihre Ware ausgebreitet war. Sie zog einen Lappen aus der Rocktasche und polierte es noch einmal. „Man sagt Gillead habe es getragen, kurz bevor sie starb. Aber ich weiß nicht, ob das wirklich stimmt. Auf jeden Fall ist es sehr schön.“ Sie steckte es in einen kleinen schwarzen Beutel aus Samt, den sie dann verknotete. Er bezahlte und verabschiedete sich dann höflich. In einiger Entfernung hoben sich die dunklen Türme des Schlosses deutlich gegen den hellgrauen Himmel ab. (»20.03.07«) Er warf noch einen letzten Blick auf den kleinen Beutel und ließ ihn dann in die Tasche des fast bodenlangen Mantels gleiten. Mit der Hand überprüfte er noch einmal, dass seine Kapuze noch immer dort saß, wo sie hingehörte, nämlich schön tief in seinem Gesicht, bevor er sich ins Gedränge mischte, in der Menge verschwand und so gut wie unsichtbar wurde, zwischen all den Menschen. Mir weit ausgreifenden Schritten huschte er durch die Gassen. Die Wände der grauen Häuser wirkten in der Dämmerung noch düsterer und fleckiger. (»22.03.07«) Die kalte Luft strömte durch seine Lungen und sein eigener Herzschlag pochte in seinen Ohren. (»05.04.07«) Sein Atem stieg in feinen, weißen Wolken empor und verschwand dort im Nichts. Jeder seiner Sinne wurde mit jedem kleinen Lüftchen, das wehte, noch ausgeprägter. Er konnte die Herzschläge der anderen Menschen hören, er konnte die Gespräche belauschen, egal wie dick die Mauern waren, die ihn davon trennten. Er spürte das Beben von schweren Wagen und das Aufschlagen von Hufen und Tatzen, auch wenn sie noch Straßen von ihm entfernt waren. Er konnte das schmecken und riechen, was anderen Menschen immer verborgen bleiben würde und vor allem erkannte er den kleinsten Gegner schon von weitem. Er war ein Killer. Man könnte annehmen er sei nur zum töten geschaffen worden. Niemand wusste, wie viele Leben unter ihm vergangen waren. Selbst er wusste es nicht. Er verdrängte diesen Teil seines Lebens, auch wenn dies ein sehr vergebliches Unternehmen war. Er gehörte dazu. Er prägte jeden einzelnen Tag, jede Stunde. Mit jedem Schritt näherte er sich einer Begegnung, der er lieber auf dem Weg gehen würde, wenn er die Chance dazu hätte. Nur noch wenige dieser verdreckten, alten Gassen trennten ihn von seinem Ziel. Über den Pfützen, die das Stenpflaster zierten, hatte sich eine hauchdünne Eisschicht gebildet, die leise knirschend unter seinen Schritten zerbrach. (»06.04.07«) Endlich stand er vor einer rauen Mauer aus grauen Steinen. Sie passen zum Himmel, dachte er. Die Wachen, die eines der vielen Tore bewachten verbeugten sich respektvoll vor ihm und gaben den Weg frei. „Willkommen, Kyo, der Herr erwartet sie schon seit längerem.“, sagte die rechte der Wachen, während der Mann versuchte einen Blick in die Kapuze zu werfen. Sein Blick fiel auf undurchdringliches Schwarz. Niemand hatte je gesehen, wer sich unter diesem Mantel befand. Nicht einmal der Meister selbst wusste über die Identität des Mannes, den sie Kyo nannten, bescheid. Er vertraute ihm einfach so. Weil er ohne zu zögern einem Menschen den Hals durchschneiden würde, wenn man es verlangt, hatte Kilias sein Vertrauen begründet. „Das kann ich mir denken.“, erwiderte er nur und trat durch das Tor. Er stand nun am Anfang eines Weges, der Mitten durch einen Park führte. Die Blumen hier wirkten leblos, auch wenn sie blühten. Dunkles Blau und tiefes Schwarz verliehen den Blüten in einer gewissen Weise eine Einzigartigkeit. Rechts von ihm befand sich der einzige Helle Fleck des Gartens. Ein weiß blühender Kirschbaum stand dicht bei einem Teich, um den herum kniehohe Steine standen. Grabsteine. Dies war der Platz, an dem die früheren Herrscher ihre Ruhe fanden. Unberührt von dem Anblick setzte Kyo seinen Weg fort zu einer kleinen Tür, seitlich des eigentlichen Eingangsportals. Wie immer. Wenige Minuten später betrat er den Thronsaal. Einen riesigen rechteckigen Raum mit dunkelgrauen Marmorfliesen. Ein schwarzer Teppich, der in der Mitte zwei dunkelrote Flammen hatte, führte von dem Portal, durch das er gekommen war direkt zu einem Podest, auf dem der Thron stand. Die Wände rechts und links von ihm bestanden aus Glas, das hin und wieder von einer ebenfalls marmornen Säule unterbrochen wurde. Der ganze Raum erinnerte stark an das Innere einer Kathedrale. Langsam schritt er über den Stoff am Boden, bis er vor den paar Stufen stehen blieb. Der Thron schien aus einem tiefschwarzen Kristall gemeißelt worden zu sein und war mit feinsten Arbeiten verziert. Immer wieder fand man darin das Symbol der Herrschaft: die beiden Flammen. Alle engsten Anhänger des Herrschers trugen dieses Symbol innen am rechten Handgelenk, als Zeichen ihrer Ergebenheit. An beiden Seiten des Throns standen etwas tiefer sechs ebenfalls edle Stühle, aus grauem Marmor, die zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht besetzt waren. Kyo hielt es nicht für nötig sich zu verneigen. Er fühlte sich niemandem verpflichtet und nach auch nur die Befehle an, die er für sinnvoll empfand. Er sah zu Kilias, dem mächtigsten Mann dieses Landes auf und wusste, dass dieser wie immer wütend war. Er hasste Respektlosigkeit und Widerstand. Zwar trug Kyo auch die zwei Flammen, war jedoch nicht abhängig von Kilias. Er war ihm ein Dorn im Auge, weil niemand viel über Kyo wusste und Kilias dieses Wissen oft benutzte um machtvolle Menschen an sich zu binden. Kilias saß auf seinem Thron und schaute auf ihn herab. Die nachtschwarzen Haare waren zu einem lockeren Zopf gebunden, der bis zur Mitte seines Rückens fiel. Ein paar einzelne Strähnen hatten sich daraus gelöst und umrahmten sein helles Gesicht, aus dem zwei kalte, graue Augen herablassend auf Kyo blickten. Um seine schlanken Handgelenke schlangen sich schwarze und silberne Bänder und Ketten. Jeder Muskel seines Körpers war trainiert und um seinen Hals hing ebenfalls ein Lederband mit einem Schlüssel daran. Der Siegelring steckte an seinem Finger. Er hatte die Beine locker übergeschlagen. Neben dem Thron stand links ein älterer Mann mit silbergrauen Haaren und eisblauen Augen, der eine grausame und zugleich würdevolle Ausstrahlung besaß. Simon, der Schwarzmagier, Heiler und engster Berater von Kilias. Rechts stand ein Mann ungefähr Mitte dreißig mit dunkelbraunem Haar und ebenso dunklen Haaren. Diark, der Heerführer und Ausbilder der Armee. „Kyo.“, sagte Kilias und erhob sich langsam. „Wie schön, dass du dich auch mal wieder hier blicken lässt.“ Der Sarkasmus in seiner Stimme war kaum zu überhören. „Es ist mir jedes Mal eine Ehre dein Schloss zu betreten, Kilias.“, antwortete Kyo in der gleichen Tonart. „Willst du deinen Mantel nicht ausziehen, hier drin ist es schließlich nicht kalt.“ Der Schwarzhaarige breitete einladend die Arme aus und ein flüchtiges Lächeln huschte über seine Lippen. „Danke nein, sehr freundlich.“ Unter seiner Kapuze verzog auch Kyo den Mund zu einem Grinsen. Er versuchte es doch wirklich immer wieder. „Kommen wir zur Sache.“ Kilias ließ sich wieder auf dem Thron nieder. „Hast du was neues für mich?“, fragte er dann. „Mh, also. Im Norden des Landes in Arakas sind mal wieder ein paar Probleme aufgetaucht. Die Minenarbeiter haben ihre Arbeit niedergelegt und haben bessere Löhne gefordert. Der Verantwortliche für diese Aktion war ein gewisser Xandir Young. Ein alter Trottel. Hat sein ganzes Leben nur gearbeitet. Keine Frau, keine Kinder.“, antwortete Kyo. „Na, da hast du dich doch hoffentlich gleich drum gekümmert?“ Der Herrscher lehnte sich zurück. „Ja, der gute Mann kann sich jetzt seine Kartoffeln im garten von unten angucken, nachdem er ein weiteres Loch im Hals zum atmen bekommen hat. Ich glaube, er war über meinen Besuch aber leider nicht sehr erfreut.“ Der Mann in dem schwarzen Mantel seufzte. Kilias lachte leise. „Na das kann ich mir vorstellen.“ Er nahm einen gläsernen Kelch von einem kleinen Tisch der neben ihm stand und goss eine tiefrote Flüssigkeit hinein. „Du auch?“ Fragend hielt er Kyo den Kelch hin. Dieser verneinte dankend. „Mh außerdem drohen die Vampire mit einem Bruch des Friedensvertrags.“, bemerkte Kyo. Jetzt war es an Kilias zu seufzten. „Wieso das?“ Er nahm einen Schluck aus dem Kelch. „Nun sie sind erzürnt darüber, dass immer noch welche von ihnen gejagt werden, nur um an Vampirblut heranzukommen und außerdem fühlen sie sich belästigt durch, nun ja, Liv nannte sie Stalker. Manche Menschen und auch Dämonen sind wohl darauf aus unbedingt beweisen zu wollen, dass Vampire so leben wie alle anderen auch und wühlen deshalb in den Sachen rum.“ Kyo verkniff sich ein Grinsen. „Diark, lass die Posten an den Grenzen verstärken. Sag sie sollen nur jemanden durchlassen, der eine Bescheinigung hat, die ab sofort am Hauptzugang zum Schloss abgeholt werden kann.“, befahl er. (»11.04.07«) „Sehr wohl.“, erwiderte der braunhaarige Mann und verbeugte sich leicht. Er warf noch einen kurzen, abschätzenden Blick auf Kyo, bevor er sich Richtung Tür aufmachte. Er mochte Kyo nicht. Um es genau zu sagen, er hasste ihn. Und dies beruhte aus Gegenseitigkeit. Diark war eifersüchtig auf ihn, weil er für Kilias wichtiger war, als der Heerführer selbst. Er war neidisch darauf, dass Kyo die ganzen wichtigen Aufträge bekam und sich somit Anerkennung verschaffte. Außerdem störte es ihn, dass ein Identitätsloser, von dem niemals jemand das Gesicht kannte, besser war als er. Die riesigen Torflügel schlugen krachend hinter ihm zu und Stille breitete sich in dem großen Saal aus. Von draußen erklangen Geschrei und hastige Schritte. „Was ist denn jetzt da los?“, grummelte der Herrscher gereizt. Kaum eine Minute später wurden die Flügeltüren erneut aufgestoßen. „Kilias, Izilia greift an. Sie kommen aus Westen.“, rief ein Wachmann völlig außer Atem. Kyo hatte sich umgedreht und sah durch eine der Glaswände. Tatsächlich. An dem trübgrauen Himmel waren dutzende kleiner schwarzer Punkte zu sehen. Sie schienen noch sehr weit weg, doch das täuschte. Sie würden sich sehr schnell nähern. Vielleicht in zehn oder 15 Minuten würden sie da sein. „Wie bitte?“, Kilias sprang auf und warf ebenfalls einen Blick durch das Glas. Einen Moment zögerte er, dann wandte er sich zu der Wache um, die immer noch in der offenen Tür stand. Draußen auf dem Flur rannten Soldaten in Richtung Innenhof, um auf die ankommenden Krieger zu warten. (»15.04.07«) ~†~ (»19.04.07«) Ein leises Klopfen an der Tür weckte mich. Mein Rücken schmerzte. Ich war wohl über meinen Schulbüchern eingeschlafen. „Ja?“, murmelte ich etwas verschlafen und sah auf die Uhr. So spät war es doch eigentlich noch gar nicht. „Lust auf einen Film? Ich hab Besuch mitgebracht. Da möchte dich gern wer kennen lernen.“, sagte Yuki munter. Er schwenkte eine DVD-Schachtel in der Hand und lächelte. Etwas überrascht sah ich ihn an. Jemand wollte mich kennen lernen? „Okay.“, erwiderte ich und stand auf. Gemeinsam gingen wir in das Wohnzimmer. Zwei Mädchen saßen auf dem Sofa und lächelten mich freundlich an. Beide waren blond, wirkten jedoch nicht wie diese eingebildeten blonden Tussen aus meiner Schule. Die eine hatte helleres blondes Haar, das gestuft und verwuschelt bis auf ihre Schultern fiel. Der Pony war leicht schräg geschnitten und endete oberhalb ihrer blauen, munteren Augen. Sie hatte eine hell- und dunkelrot gestreifte Sweatjacke und eine blaue Jeans an. Sie saß im Schneidersitz auf den weichen Kissen und hatte sich zurückgelehnt. Vor ihr auf dem Boden stand ein Paar dunkelroter Converse Chucks, was sie mir sofort ein Stück sympathischer machte. Die andere blonde hatte grüne Augen, die jedoch ganz anders waren als die von Akito. Ihre Haare hingen ihr von dem Seitenscheitel aus glatt bis etwas über die Schultern. Sie hatte einen dunkelblauen Pulli an und eine hellgraue Jeans. „Hi!“, sagte sie und stand auf. „Ich bin Ari.“ Ich lächelte sie freundlich an. „Und ich heiße Rikku.“ Sie grinste und hob noch zwei weitere DVD-Hüllen hoch. „Was magst du gucken?“ Die beiden waren mir sofort sympathisch. Sie taten so, als würden wir uns schon ewig kennen, obwohl wir uns heute zum allerersten Mal sahen. „Mh, eigentlich ist es mir egal.“, erwiderte ich und ließ mich neben die beiden Mädchen auf das Sofa fallen. Sie waren vielleicht ein oder zwei Jahre älter als ich. Ich hatte sie hier in der Stadt noch nie gesehen. Aber wer weiß, was sie so machten. Auf welche Schule sie gingen oder was sie arbeiteten. „Ich will den da!“ Ari zeigte auf eine der beiden DVDs. Ein Horrorfilm, von dem ich schon einmal gehört hatte. Sophia hatte mir erzählt, dass der wirklich nichts für schwache Nerven sein sollte. „Och nee. Den kenn ich aber schon.“, stöhnte Yuki und lehnte sich zurück. „Dann nicht.“ Gespielt beleidigt verschränkte sie die Arme vor der Brust und schmollte. Ich grinste. „Mh also ich find den ja toll, den konnte ich damals im Kino nicht sehen.“ Ich nahm Rikku die andere Hülle aus der Hand. Fragend sah ich Yuki an. Der zuckte nur die Schultern. „Ist mir eigentlich egal. Ich hab ihn nur halb gesehen. Akito hat mich damals aus dem Film geklingelt. Mitten in der Vorstellung musste ich weg.“ Ari riss mir die DVD aus der Hand. „Dann gucken wir eben den.“, erwiderte sie fröhlich und sprang auf. Kurze Zeit später liefen die ersten Bilder von Spiderman 2 über den Bildschirm. Und so begann ein Abend für mich, an dem ich neue Freunde gewinnen würde, von denen ich eigentlich noch gar nicht wusste, wer sie waren. Auf einmal konnte ich mit ihnen lachen, ohne zu wissen worüber eigentlich genau. Über Sachen Lachen, auch wenn sie eigentlich gar nicht zum Lachen waren. Es war so befreiend endlich einmal wieder an nichts denken zu müssen. In Momenten wie diesen liebte ich mein Leben einfach und war dankbar für jede einzelne Sekunde. Ari und Rikku waren wirklich wunderbare Menschen, die einfach so drauf losredeten, als würden sie mich beide schon Ewigkeiten kennen. Sie waren echte Sonnenscheine und ich würde bestimmt noch viel Spaß mit ihnen haben. Auf einmal flog Popcorn durch den Raum. „Hey!“, hörte man kurz darauf von Yuki. „Wer war das?“ Er zog die Augenbrauen hoch und musterte uns andere eingehend. Ari und Rikku sahen sich unschuldig an und zeigten dann grinsend auf mich. „Ey was wird das denn jetzt?“, fragte ich empört. Yuki stand auf. „Willst dir hier wohl gleich Feinde machen was?“ Er grinste ebenfalls. „Na das muss aber bestraft werden.“ Er stand vor mir und ehe ich reagieren konnte kitzelte er mich aus. Ich hatte keine Chance. Er hatte mich in einem Griff, aus dem ich mich nicht befreien konnte. „Hör auf!“, rief ich lachend. Ich hasste es gekitzelt zu werden. Plötzlich stürzten sich Ari und Rikku auch noch auf uns und keiner wusste mehr, wen er da eigentlich gerade kitzelte. Die Popcorn-Schüssel fiel vom Sofa und ihr Inhalt verteilte sich gleichmäßig auf der Erde. Irgendjemand griff nach einem Kissen und so kam es, dass das harmlose Kitzeln in eine mittelgroße Kissenschlacht ausartete. Eine halbe Stunde später lagen wir alle lachend auf dem Boden, der mittlerweile nicht nur von Popcorn sondern auch von weißen Federn aus den Kissen übersät war. „Na Akito wird sich freuen.“, gluckste Ari und drehte sich auf den Rücken. „Ach die alte Spaßbremse.“, sagte Rikku und fuhr mit dem Finger über eine der weichen Federn. „Lasst ihn das bloß nicht hören.“, warf Yuki ein und setzte sich auf. Ein Grinsen war immer noch auf seinem Gesicht. „So Mädels, jetzt geht’s ans aufräumen, bevor der große Chef nach Hause kommt und tot umkippt.“ Er reichte mir die Hand und lächelte mich an und von da an wusste ich irgendwie, dass wir sehr gute Freunde werden würden. ~†~ „Holt sie vom Himmel.“, sagte Kilias wie beiläufig und als wäre es das normalste, was es gibt. Die Wache nickte und eilte ebenfalls den Gang hinunter. „So.“ Kilias drehte sich wieder um und trat neben Kyo. „Kommen wir nun zu wichtigeren Sachen.“ Er beobachtete, wie sich draußen seine Bogenschützen aufstellten und darauf warteten, dass ihre Gegner in Schussweite kamen. „Hast du sie gefunden?“, fragte er dann interessiert. Kyo seufzte. „Ich bin mir nicht ganz sicher.“, erwiderte er dann. Lüge. Er hatte sie gefunden, da war er sich sicher. Aber Kilias sollte noch ein bisschen warten sollen. Nicht jeder hatte es so eilig mit dem Krieg wie er. Das große Gemetzel konnte ruhig noch eine Weile warten. „Was soll das denn heißen? Hast du sie oder nicht?“ Die Stimme des Schwarzhaarigen klang etwas gereizt. Er hatte genug vom Warten. Genug von diesen ewigen kleinen Gefechten, die unnötige Zeit verschwendeten. Er wollte endlich die Macht haben, diese elendigen Engel auszurotten, bis zum allerletzten. „Naja, ich bin deiner Vermutung gefolgt. Da war ein Mädchen, aber sie kann es unmöglich sein. Viel zu jung, sie könnte höchstens Wächterin sein, aber selbst das bezweifle ich.“ Kyo wandte den Blick nicht von der Szene, die sich draußen abspielte. Die Gestalten mit riesigen, meistens weißen Schwingen waren nun näher gekommen und die Schützen spannten ihre Bögen. „Warum hast du sie nicht hergebracht? Man hätte herausfinden können, ob sie etwas mit der Sache zu tun hat.“, fuhr Kilias ihn an. Mit einem Sirren, das man selbst durch die Glaswände hören konnte, schossen die dunklen Pfeile in den Himmel und erfüllten ihren Zweck sofort. Ein paar von den Angreifern stürzten zu Boden. Andere zuckten nur kurz, nur um dann weiterhin auf das Schloss zuzukommen. Dank seiner unglaublich scharfen Sinne erkannte Kyo, das kleine Blutrinnsale über ihre Flügel liefen und zu Boden tropften. Wer weiß, welches Geschöpf, das am Boden stand, sie trafen. Würde dieser jemand erstaunt sein? Vielleicht. „Ich dachte, es könnte sich auch nur um versprengte Magie handeln. Vielleicht ein Nachkomme eines alten Hexengeschlechts oder einer Magierfamilie. Außerdem ist sie drüben.“, sagte Kyo ernst. Der nächste Schwall von Pfeilen erhob sich in die Luft. Wieder die gleiche Szene. Zu Boden fallende Körper und Blutstropfen. „Und das hindert dich daran sie hier her zu holen? Nur weil sie bei den Menschen ist?“ Ärgerlich sah Kilias ihn am. Der junge Mann im schwarzen Mantel schwieg. „So kenn ich dich doch sonst nicht. Du löscht Leben aus ohne mit der Wimper zu zucken, schneidest Wesen die Kehle durch, erschießt sie mit einem gezielten Schuss ins Herz, oder was weiß ich noch alles.“ Er Kilias lachte. „Es ist nur ein Mädchen! Und wenn schon, wenn es die falsche ist. Dann kann man es nun einmal auch nicht mehr ändern. Und was ist schon ein Leben gegen die Macht, die daraus Folgen könnte.“ Draußen wiederholten sich die Geschehnisse schon zum viertel Mal, doch die Flut der Angreifer schien einfach kein Ende zu nehmen. „Oh man, was wird das denn da draußen? Wozu hat man diese Trottel eigentlich, wenn man sowieso alles selber machen muss.“ Der schwarzhaarige Mann streckte die Hand in Richtung des Schauplatzes aus. Eine tiefschwarze Aura schien sich auf seiner blassen Haut zu bilden. Ruckartig schloss er sie zu einer Faust. Der Effekt trat augenblicklich ein. Es schien, als wurden sämtliche Wesen dort oben am Himmel von dutzenden von Pfeilen getroffen. Einen Moment schwebten sie noch in der Luft, bevor sie einer nach dem andern zu Boden fielen. Kilias drehte sich um. Anscheinend hatte ihm diese Aktion nicht die geringste Mühe bereitet. Er ging zu den großen Torflügeln. „Ich gebe dir noch zweieinhalb Monate und keinen Tag mehr, haben wir uns verstanden?“ Kyo sah ihm nach. Ohne auf eine Antwort zu warten verschwand der Herrscher aus dem Saal. Der Mann in dem schwarzen Mantel warf noch einen letzten Blick aus den riesigen Fenstern. Es regnete Blut. Kapitel 6: Dirty Little Secret ------------------------------ Hallu ^^ Ya ich weiß, is lange her, dass ich was hochgeladen hab ^^ keine Ahnung ob das hier noch wer lesn mag v.v. Ich lads einfach mal hoch ^^ Lg Akito _________________________________________________________________________________ Kapitel 6 – Dirty Little Secret Sie rannte, rannte als würde es um ihr Leben gehen. Blut rann über ihre Haut, färbte ihre blonden Haare, die ihr bis fast zur Mitte des Rückens fielen, rot. Was war da schon wieder passiert? Alle hatten gedacht Kilias sei nicht im Schloss. „Scheiße, scheiße, scheiße…“, murmelte die junge Frau vor sich hin und rannte blindlings weiter. Ihre dunkelblaue Jacke war genauso schwarz wie die dünnen Strähnen in ihren Haaren geworden. Das Blut, dachte sie entsetzt, das Blut ist von Leuten mit denen ich vor ein paar Stunden vielleicht noch geredet oder gelacht habe. Es lief ihre Wangen herunter, so wie blutige Tränen. Ununterbrochen fielen weitere rote Tropfen. Der Horror wollte einfach kein Ende nehmen, so schien es ihr. Rikku bringt mich um, wenn Kai… schoss es ihr durch den Kopf. Nein, sie führte diesen Gedanken einfach nicht weiter. „KAI!?!“, schrie sie verzweifelt. Sie hätte da oben sein sollen und nicht er. Er hätte hier unten sicher sein sollen, hier unten in Sicherheit. Es war ihre Schuld, denn sie hatte ihn überredet. Er war einer der Besten. Stark, schnell und gehörte zur Elite, einer Gruppe die noch niemals besiegt wurde. Sie selbst gehörte auch dazu aber sie war nicht so wichtig wie Kai. Sie musste noch viel lernen, gehörte erst seit kurzem dazu. Sie kämpfte die in ihr aufsteigende Übelkeit nieder und beschleunigte ihr Tempo noch etwas. Der dichte Regen nahm ihr die Sicht und sie konnte nur hoffen, dass sie den richtigen Weg gewählt hatte. Plötzlich stieß sie mit jemandem zusammen. „Na Mädchen, immer schön langsam.“, sagte eine tiefe Stimme. Sie sah auf und trat ein paar Schritte zurück. Ein dicker, scheinbar riesiger Typ stand vor ihr und hatte seine Hände auf ihre Schultern gelegt. „Wo willst du denn so schnell hin? Hast wohl Angst vor dem Regen, was?“, fragt er und verstärkte seinen Griff etwas. Innerlich seufzte sie. Waren denn hier wirklich alle so drauf? Keiner traute Frauen hier auch nur irgendetwas zu. „Nein.“, erwiderte sie genervt und wollte den Mann zur Seite schieben, was sich als wirklich schweres Unterfangen erwies. „Ich muss weiter.“ Ihre Nerven lagen blank. Sie musste so schnell es ging nach Izilia und von dem Vorfall berichten. „Ach ein bisschen Zeit wirst du doch wohl haben. Wenigstens bis der Regen vorbei ist.“, meinte der Mann und schob seinen Arm um ihre Taille. „Verschwinde!“, zischte sie. „Und nimm deine Finger von mir!“ Sie suchte in ihrem Gedächtnis nach passenden Worten für einen Zauber, um diesen Kerl irgendwie loszuwerden. „Ach komm schon. Bevor du hier alleine herumläufst.“, beharrte er. Dann ging alles ganz schnell. Sein zweiter Arm schoss ebenfalls nach vorne und er zog sie an sich. An ihrem Hals spürte sie das kalte Metall einer Klinge dann ein einziges Wort, das ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Derk. Das bedeutete soviel wie Fesseln, auf der Sprache die hier gesprochen wurde. Der Typ war auch Magier. Derk, das waren Fesseln, die aussahen wie ein Seil, eine Kette oder was auch immer, doch sie bannten jegliche Magie. Ihre Kräfte waren versiegelt, solange sie diese Dinger trug. Ihre Hände waren vor dem Körper zusammengebunden und somit hatte sie nur noch geringe Chancen sich zu wehren. Sie wand sich in einem Griff, tauchte dann mit einer blitzschnellen Bewegung ab und befreite sich. Der Mann stank nach Alkohol und Schweiß und war einfach so abstoßend, dass sie ihm am liebsten Beschimpft hätte, was sie unter normalen Umständen auch getan hätten. Jetzt jedoch war es zu gefährlich. Hastig sah sie sich nach einer Fluchtmöglichkeit um. Das Blut nahm ihr immer noch die Sicht. Sie wich weiter zurück, als der Mann wieder auf sie zukam. Er schnaubte vor Wut und seine Augen waren zu Schlitzen verengt. Auf einmal ging es nicht mehr weiter. Sie stand mit dem Rücken an einer Wand. Sie schloss kurz die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Kalt und schwer fielen die Blutstropfen auf ihr Gesicht und liefen über ihren Hals. Mistkerl, dachte sie, konntest du dir nicht einen andren Tag für diese Aktion hier aussuchen? Schon schloss sich seine Hand fest um ihren Hals. Er drückte jedoch nicht zu, er wollte einfach nur sichergehen, dass sie nicht weglief. (23.06.2007) Sie seufze einmal kurz, dann sah sie ihn direkt an. Seine Augen waren winzig klein und waren durch die dicken, speckigen Wangen noch mehr verdeckt. „Also, Süße, überleg es dir noch mal. Komm mit mir.“, sagte der Mann und grinste sie an. Seine Zähne waren eklig gelb. Er zog sie schon fast mit seinen Blicken aus. Eine Weile tat sie so, als würde sie ernsthaft darüber nachdenken sein Angebot anzunehmen, doch das war alles nur Täuschung. Sie wollte den Typen in Sicherheit wiegen, sodass er unaufmerksam wurde. Es wirkte sofort. Der Dicke schien ihr zu glauben, dass sie überlegte. Er lockerte seinen Griff etwas. Eine Weile starrte sie noch auf die dunkelgrauen Hausmauern ihr gegenüber, an denen das Blut nur so herunter lief. Sie fröstelte. Es wurde höchste Zeit. Sie schenkte ihrem Gegenüber ein entwaffnendes Lächeln bevor sie dann ruckartig die zusammengeballten Fäuste hochhob und sie ihm direkt unter das Kinn stieß. Er stöhnte erschrocken auf & taumelte Rückwärts. Die Überraschung stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er rücklings auf der Erde landete. Blitzschnell war sie über ihm und legte nun wiederum die Hände um den Hals. Der kleine Unterschied war nur, dass sie wirklich zudrückte. „Mach sie ab.“, knurrte sie. Sie selbst hatte nicht die Macht ihre Fesseln zu lösen, denn schließlich waren ihre Kräfte gebannt. Es war immer eine Qual, wenn die Kräfte gebannt waren, denn es fühlte sich an, als würden sie in eine Ecke des Körpers gesperrt werden. Die Macht jedoch wollte hinaus, wollte eingesetzt werden und deshalb kam es ihr immer so vor, als würde jemand von Innen gegen ihren Brustkorb drücken und ihn zerschmettern wollen, wenn ihre Kräfte gebannt waren. Ihr Atem ging etwas flacher als sonst. Der schmierige Typ, auf dessen Brustkorb sie gerade kniete grinste nur anzüglich. „Wie ich sehe übernimmst du selbst gerne die Führung. Nur zu.“ Sie verdrehte sie Augen und drückte etwas fester zu. „Ich glaube du verstehst es wirklich nicht. Mach mich los.“, zischte sie gereizt. Der Mann reagierte immer noch nicht, sondern blickte sie nur erwartungsfreudig an. Sie seufze und setzte sich dann auf seine speckige Brust. „Also.“, sagte sie gelassen. „Es gibt zwei Möglichkeiten aus dieser Situation herauszukommen. Erstens: Du Machst mich freiwillig los oder zweitens: Ich töte dich und die Fesseln lösen sich von selbst auf.“ Seine Wangen wurden bleich, doch er glaubte ihr immer noch nicht. „ Das meinst du doch wirklich nicht ernst.“, erwiderte er und lachte gehässig. Irgendwo hatte er Recht. Sie konnte und wollte einfach nicht töten. „Na los, komm schon, drück zu!“ Sein Grinsen wurde breiter. „Du bist wirklich zu unkonsequent, Nalia.“, sagte plötzlich eine Stimme hinter ihr in spöttischem Tonfall. Sie wusste auch ohne sich umzudrehen wer dort war. „Halt den Mund, Kyo“ Sie drehte sich immer noch nicht um. „Jetzt komm schon her, Süße.“ Man konnte erahnen, dass nun ein Lächeln seine Lippen umspielte, doch wegen der Kapuze war sein Gesicht in vollkommener Schwärze verborgen. Langsam stand sie auf. Wenn sie es nicht so eilig haben würde, dann hätte sie ihn jetzt weggeschickt, doch sie wusste, dass er ihr helfen konnte. Seine Kraft war fast übermächtig und sie konnte von Glück reden, dass sie ihn kannte. Der Mann auf der Erde machte Anstalten aufzustehen, doch eine einzige kleine Handbewegung Kyos reichte aus um ihn am Boden zu halten. „Du bleibst schön da unten liegen. Ich bin noch nicht fertig mit dir.“, meinte er fast schon etwas belustigt. Sie verstand seinen Spaß am Quälen von Wesen wirklich nicht. Er tötete nur, wenn er einen Grund oder einen Auftrag hatte, trotzdem wusste sie, dass der Dicke am Boden noch eine unangenehme Zeit vor sich haben würde. Sie warf einen letzten Blick auf ihn, bevor sie sich Kyo zuwendete. „Ich hab es sehr eilig.“, sagte sie angespannt und man konnte einen sehr dringlichen und sorgenvollen Ausdruck in ihren Augen erkennen. „Das kann ich mir denken.“, erwiderte Kyo und fuhr mit der Handfläche knapp über die Haut an Nalias Handgelenken. Sofort lösten sich die Fesseln und Nalia spürte wie eine unsichtbare Mauer in ihr eingerissen wurde und die Magie ihren Weg durch ihren Körper fand. Erleichtert atmete sie aus, sah Kyo dankbar an und verschwand dann schnell und wurde in der Dunkelheit unsichtbar. „So.“ Kyo drehte sich zu dem Dicken um, nachdem er dem Mädchen noch eine Weile nachgeschaut hatte. Er grinste. „Nun kommen wir zu dir…“ Ein grausames Bild bot sich ihr, als sie in die Außenbezirke der Stadt kam. Ihr wurde übel und sie hielt sich Hand vor den Mund. Entsetzten lähmte ihre Gedanken und ihren Körper. Sie stand einfach nur da und starrte auf die unzähligen leblosen Körper, die auf dem Boden lagen. Blut, überall war Blut. Es färbte die Federn der Flügel rot, es lief in dünnen Rinnsalen über die blasse Haut der Gestalten. Es tropfte aus ihren Haaren. Manche hatten ihre Augen weit aufgerissen und den Mund geöffnet, so als würden sie einen stummen Schrei ausstoßen, der ihre Lippen doch nie wieder verlassen würde. Andere hatten die Augen geschlossen und sie sahen aus, als würden sie friedlich schlafen, als könne man sie mit einer sanften Berührung wieder erwachen lassen. Doch das würden sie nicht. Nie mehr. Vielleicht nicht alle, aber viele würden ihre Augen niemals mehr öffnen, nie mehr lachen, nie mehr mit ihren Frauen sprechen, die zu Hause in Izilia warteten. Sie würden nicht mehr mit ihren Kindern spielen können. Die Frauen würden die Fragen ihrer Kinder beantworten müssen, wo ihre Papas sind und warum sie nicht mehr wiederkommen. Eltern und Großeltern müssten der bitteren Wahrheit ins Auge sehen, dass ihre Söhne und Enkel nicht mehr wiederkommen werden, nur, weil jemand falsche Informationen gegeben hatte. Nur, weil man sich sicher war, dass Kilias sich heute nicht im Schloss aufhalten würde. Doch er war da gewesen, niemand sonst konnte so etwas tun. Niemand hatte die Macht dazu. Nicht einmal Kyo… Kilias war da und hatte sie umgebracht. Sie sah sich um. So viele bekannte Gesichter. So viele, mit denen sie vor ein paar Stunden noch geredet hatte. Gelacht, gestritten, was auch immer. Verzweiflung überfiel sie in so einer Heftigkeit, dass sie sich auf die Knie fallen ließ und schrie. Tränen liefen über ihre Wangen und vermischten sich mit dem immer noch vom Himmel fallenden Blut. Verzweiflung war das schlimmste aller Gefühle, denn man konnte nicht dagegen unternehmen. Da half kein Trost, denn diese Bilder brannten sich für immer in ihr Gedächtnis. Sie erhob sich langsam wieder. Irgendwer musste es doch geschafft haben. Schritt für Schritt bahnte sie sich einen Weg durch die Körper und suchte nach Überlebenden. Aber es herrschte Stille und nur das prasseln des grausamen Regens hielt an. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich. Ihre Kräfte erlaubten es ihr nach den Geistern anderer Menschen zu tasten. Zwar beherrschte sie diese Fähigkeit noch nicht sehr gut aber sie musste es einfach schaffen. Langsam breitete sich ihr eigener Geist über die leblosen Gestalten und suchte nach Lebenszeichen. Eine ganze Weile stand sie ruhig da, bis sie etwas spürte. Ein leichtes Kribbeln… Hilfe… Ich… Ich sterbe… Mit geschlossenen Augen stolperte sie vorwärts in die Richtung, die sie für richtig hielt. Instinktiv bückte sie sich und legte ihre Hand auf etwas Warmes. Sie fühlte einen Herzschlag und riss die Augen auf. Kai! Er hatte zahlreiche Wunden, aus denen das Blut quoll und sein Atem war unregelmäßig. Seine Augenlider zuckten hin und wieder. Er kämpfte. Er kämpfte um sein Leben. Was sollte sie nun machen? Ihn nach Izilia bringen? Hilfe holen? Aber Kilias würde sofort bemerken, wenn noch mehr Bewohner Izilias hier auftauchen würden. Egal, er würde bestimmt damit rechnen, dass sie nach Überlebenden suchen würden, doch er wusste bestimmt nicht, dass es auch zumindest einen gab. Vorausgesetzt sie bracht ihn schnell genug nach Hause. Sie lenkte ihre Gedanken ganz auf das Schloss in Izilia und zusammen mit Kai verschwand sie sofort von dem grausigen Schauplatz. Fast zur gleichen Sekunde tauchte sie auf einem Flur, der aus einem mittelalterlichen Schloss stammen könnte wieder auf. Ihr Herz raste und ihr Atem ging viel zu schnell. Ihr Kreislauf spielte verrückt und ihre Nerven lagen blank. Sie war noch nicht soweit ihre Kräfte so oft einzusetzen, besonders die nicht, die sie noch nicht richtig beherrschte. „Hilfe…“, flüsterte sie fast Tonlos. Ihr Hals schien wie zugeschnürt und sie konnte nicht anders, als zu weinen. Ihr Herz fühlte sich an, als steckten dutzende von Nadeln darin. „Hilfe…“, sagte sie etwas lauter und hob den Kopf. Der Gang war Menschenleer. Da rechts war der Thronsaal. Wenn sie es nur schaffen würde dorthin zu gelangen. Sie konnte Kai doch hier nicht allein lassen. Ihre Hand lag immer noch auf seiner Brust, die sich schnell hob und senkte. Sie zitterte. „Hilfe…!“, schrie sie verzweifelt. Ihre Stimme hallte von den hohen Decken wieder. Einige Sekunden verstrichen bevor die riesigen dunkelgrauen Flügeltüren des Thronsaals aufgestoßen wurden. Eriol, Heermeister Izilias stand darin. „Was zum Teufel ist hier los?“, fragte er gereizt, bevor er die am Boden sitzende Nalia erblickte. Er stürmte auf sie zu. Ihr fiel ein Stein vom Herzen, sie musste nicht mehr alles allein ertragen. „Was ist geschehen?“, fragte er entsetzt und starrte auf Kai. „Tot… Alle“, erwiderte sie fast Tonlos. Eriol zögerte nicht lange. Er stellte keine weiteren Fragen, sondern drehte sich zu den beiden Männern um, die ihm gefolgt waren. „Ruft die Elite zusammen, sie sollen nach Atora, nach überlebenden suchen und außerdem schickt mir so schnell wie möglich Neru hier her.“ Seine Stimme war hart geworden. Er sah zu Nalia und strich ihr sanft über die Wange. „Es wird alles wieder gut. Du bist nicht mehr allein.“, sagte er beruhigend. Sie erwiderte nichts. Nichts würde wieder gut werden. Sie waren tot und sie würden nie mehr wieder kommen… Sie war nicht mehr allein aber trotzdem ließ dieser ungeheure Schmerz ihr Herz einfach nicht los… ~†~ (14.07.07) Ein sehr vertrautes und doch sehr gehasstes Geräusch weckte mich. Die Stimme des Radiosprechers wünschte wie jeden Tag zu dieser Stunde einen wunderschönen guten Morgen und einen guten Start in diesen Tag, denn schließlich war es schon Mitte der Woche. Ich stöhnte kurz auf und streckte mich. Ich wollte wie immer den Knopf meiner Lampe drücken, die über dem Kopfende des Bettes hing, doch dieses Mal griff ich ins Leere. Überrascht setzte ich mich auf. Zuerst lief ein unheilvolles Kribbeln durch meinen Bauch und ich bekam einen Schock, bevor mir klar wurde, dass ich demnächst jeden Morgen genau hier aufwachen würde. Dies hier war mein neues Zuhause und natürlich war es klar, dass ich mich erst daran gewöhnen müsste. Akito hatte mich aufgenommen. Er hatte mir ein Zimmer seine Wohnung gegeben und mir bis jetzt bei allem geholfen. Ich tastete mit den Fingern nach dem Knopf der Lampe, die sich hier links neben meinem Kopf befand und an der Wand angeschraubt war. Ich kniff die Augen zusammen, als das Licht durch das Zimmer flutete und legte für eine Weile die Hand als Schutz darüber. Warum hatte Akito das eigentlich gemacht? Warum hatte er mich aufgenommen? Er war ein Fremder für mich, also warum hatte ich eigentlich eingewilligt? War der Drang von meinem Vater wegzukommen wirklich so groß? Selbst in den wenigen Momenten, die ich mit Akito verbracht hatte war er mir manchmal doch etwas seltsam vor. Geheimnisvoll und irgendwie finster. Wer war er eigentlich? Ich schüttelte kurz den Kopf und schlug dann meine Bettdecke zurück. Nach der Wärme der weichen Daumen war allein die Zimmertemperatur schon wie ein Sprung ins kalte Wasser. Ich fröstelte und spürte, wie sich eine Gänsehaut über meine Haut zog. Ich war mir nicht sicher, ob diese Gänsehaut allein von der Kälte kam oder nicht auch etwas von meinen Gedanken über Akitos Identität. Wie auch immer. Ich setzte die Füße auf die Erde und wankte etwas schlaftrunken durch das Wohnzimmer hinüber zum Bad. Ohne weiter drüber nachzudenken öffnete ich die Tür und stieß dann nur ein sehr verlegenes „Oh“ aus. Akito stand vor dem Spiegel, nur in Jeans und rasierte sich. Ich ließ die Tür wirklich nur ein paar Sekunden offen, doch in dieser kurzen Zeit konnte ich es mir nicht verkneifen ihn zu mustern, so wie man sich jeden Menschen ansah, der einem gegenüber stand. Schon fast automatisch wanderte mein Blick von seinem Gesicht, auf dem nicht die entfernteste Spur von Verlegenheit oder dergleichen lag, über seinen schlanken Hals hinunter zu seinem muskulösen Oberkörper. Er war wirklich sehr gut trainier ohne dabei wie der Köper eines Bodybuilders zu wirken. Eines erschreckte mich jedoch: Seine Brust und auch sein Bauch und ein Teil seiner Oberarme waren mit Narben bedeckt, die ihn jedoch nicht entstellten. Ich bemerkte noch, dass er sein schwarzes Kreuz um den Hals trug, bevor ich noch ein kurzes „Sorry“ murmelte und die Tür etwas zu hastig schloss. Draußen lehnte ich mich erst einmal gegen die Wand und holte tief Luft, um mein Herz, das angefangen hatte zu rasen, wieder zu beruhigen, schließlich sah man nicht jeden Morgen einen stattlichen jungen Mann in Badezimmer stehen. „Verdammt.“, flüsterte ich immer noch ziemlich verlegen. Die Müdigkeit war wie verflogen. Woher bekommt man nur so viele Narben? fragte ich mich und rief noch einmal das Bild von ihm in Gedanken auf. Entweder er hatte einen sehr gefährlichen Job oder ein gewagtes Hobby, denn niemand würde ihn wohl so sehr hassen, das er ihn so zurichten würde, oder doch? (15.07.2007) Das ist nicht deine Sache, Aya, sagte ich mir und stieß mich von der Wand ab. Ich ging wieder zurück in mein Zimmer und öffnete den Kleiderschrank. Wirklich viel war nicht mehr darin. Ich hatte den Umzug in Akitos Wohnung als Anlass genommen meine Klamotten mal wieder gründlich auszusortieren. Eine ganze Weile stand ich unentschlossen da und starrte in den Schrank. Ich realisierte dabei gar nicht, dass meine Gedanken schon wieder abschweiften. Ob ich ihn nach den Narben fragen kann? Oder lieber nicht? Wer weiß, was er für Erinnerungen damit verband. Vielleicht waren sie ja so schlimm, dass ich sie gar nicht wissen wollte oder ihm sowieso nicht glauben würde. Sollte ich ihn einfach mal fragen, warum er mich einfach so bei sich wohnen ließ? Wie ein Irrer oder ein Vergewaltiger sah er nun wirklich nicht aus. Und vor allem hätte er sich dann doch schon längst das nehmen können, was er haben wollte. Ich schauderte bei meinen eigenen Gedanken und versuchte mich wieder auf meinen dürftig ausgestatteten Schrank zu konzentrieren. Ich würde unbedingt einkaufen gehen müssen, dachte ich mir und seufzte. Letztendlich zog ich einen der wenigen schwarzen Pullover heraus, denn es war doch schon sehr kalt geworden, dafür dass es erst Ende September war. Vor allem war es seltsam, weil es bis vor kurzem noch unbeschreiblich heiß gewesen war. Die Politiker sollten wirklich mal mehr über den Klimawandel sprechen, denn sonst würde das Wetter bald noch unberechenbarer werden. Eine dunkle Hose gesellte sich zu dem Pullover über meinem Arm. Wieder trat ich ins Wohnzimmer. Akito kam grad aus seinem Schlafzimmer. „Na, gut geschlafen?“, fragte er, als hätte es den Vorfall eben überhaupt nicht gegeben. Ich nickte nur und spürte, wie mir erneut die Röte ins Gesicht schoss. (18.07.2007) Ich zuckte die Schultern. „Es ist noch ein bisschen ungewohnt morgens plötzlich in einem anderen Zimmer aufzuwachen aber ja eigentlich hab ich ganz gut geschlafen.“, erwiderte ich und zwang mich zu einem kurzen Lächeln. Er lächelte nur zurück, doch sein Lächeln sah mindestens genauso falsch aus, wie das das ich mir gerade auf die Lippen gezaubert hatte. Ich drehte mich um und setzte meinen weg ins Bad fort. Hatte ich etwas Falsches gemacht? Oder gesagt? Ich verstand nicht wirklich, warum sein Lächeln mir gegenüber nicht ernst gemeint sein sollte. Wollte er mich doch nicht bei sich haben? Eine Weile dachte ich wirklich über diese Möglichkeit nach, doch dann verscheuchte ich sie ziemlich schnell wieder. Warum sollte er? Ich meine er hatte sich doch bestimmt auch genau überlegt, ob er nun eine Mitbewohnerin haben wollte. Ich schloss die Tür hinter mir und sah in den Spiegel. Er hatte bestimmt auch so seine eigenen Sorgen oder vielleicht war er auch einfach ein etwas finsterer Mensch, was mich nicht weiter wundern würde. Ein flüchtiger Blick auf die Uhr neben dem Spiegel verriet mir, dass ich mich beeilen musste, wenn ich den Bus noch rechtzeitig erreichen wollte. Ein Glück war ganz in der Nähe von Akitos Wohnung eine Bushaltestelle. Ich war sonst immer drei Haltestellen früher eingestiegen. So würde auch keiner von meinen Klassenkameraden mitbekommen, dass ich nun wo anders wohnte, vorausgesetzt Eva hatte noch niemandem etwas erzählt. Sie wohnten alle etwas weiter innerhalb der Stadt und stiegen somit nach mir ein, wenn sie nicht mit dem Fahrrad kamen. Ich sah zu, dass ich im Bad fertig wurde und eilte dann zurück in mein Zimmer. Ich hatte noch keine Sachen für die Schule gepackt. Das tat ich normalerweise immer schon den Abend davor, aber was war in den letzten zwei Tagen denn schon wirklich normal gewesen? Ich hatte keine Zeit mehr um auf den Stundenplan zu gucken und so warf ich einfach alles in die Tasche, was ich glaubte brauchen zu müssen. In der Küche saß Akito am Tisch und frühstückte gerade. Als ich eintrat sah er von seiner Zeitung auf und lächelte dieses mal etwas überzeugender. „Brötchen?“, fragte er und hielt mir die Tüte hin. „Die sind zwar noch von gestern, aber schmecken immer noch.“ Ich schüttelte dankend den Kopf. „Nein, danke, ich frühstücke eigentlich nie unter der Woche.“ Ich goss mir Milch in die Tasse und setzte mich gegenüber von ihm auf den Stuhl. „Willst du dir was mitnehmen?“ Er nahm seinerseits einen Schluck aus seinem Becher. Ich überlegte kurz und nickte dann. Schaden könnte es nicht, denn mein Geld ging mir sowieso viel zu schnell zur Neige und das Essen am Kiosk war auch nicht gerade billig. Ich machte mir ein Brötchen fertig. Zwischendurch immer wieder der Blick auf die Uhr, deren Zeiger anscheinend einen Wettlauf gestartet hatten. In zehn Minuten kam mein Bus und es wurde höchste Zeit zum Bus zu gehen. „Ich muss los.“, sagte ich etwas gehetzt, trank hastig den letzten Rest aus meiner Tasse und sprang auf. „Du hast einen Bart. Steht dir wirklich sehr gut.“, murmelte Akito belustigt. „Was?“ Verwirrt sah ich ihn an. Er hob die Hand und legte sie unter mein Kinn, strich mit dem Daumen über meine Oberlippe und zog die Finger danach so schnell wieder zurück, dass ich dachte er hätte sich verbrannt. Die Wärme seines Daumens war noch eine Weile auf meiner Haut zu spüren. Eine Weile stand ich wie erstarrt da. „Ich hol dich nachher ab. Wartest du am Eingang auf mich?“, fragte er dann. „Ja klar, mach ich. Bis später dann.“, antwortete ich und verschwand aus der Tür. Draußen vor der Haustür schlug ich zu allererst den Kragen meiner schwarzen Jacke hoch. Der Wind war wirklich kalt und wirbelte gold-braune Blätter vor sich her. Seltsamerweise beruhigte mich das Rauschen und Pfeifen des Windes seit neuestem. Ich wunderte mich selbst darüber, schenkte dem aber nicht allzu viel Beachtung, schließlich konnte sich alles einmal ändern. (23.07.2007) Da war mein Leben wohl das beste Beispiel für… ~†~ Langsam hob der die Hand und leckte die Milch von seinem Daumen, den er gerade von Ayas Lippen abgewischt hatte. Dann fuhren seine Finger allmählich über seine Wangen zu seinen Augen. Er kniff die Lider zusammen und rieb mit den Fingerkuppen darüber. Eine Weile saß er wie versteinert da und wenn nicht das gleichmäßige Heben und Senken der Brust seinen Atem gezeigt hätte, dann hätte man denken können dort säße eine Statue. Er ließ sich die Milchtropfen auf der Zunge zergehen und ihr Geschmack breitete sich in seinem gesamten Mund aus. Er wollte nachdenken, doch er konnte nicht. Das Licht störte ihn dabei, wie andere Leute vielleicht das Ticken eines lauten Weckers. Allein die Helligkeit der letzten Sonnenstrahlen, die noch vom Sommer übrig waren, strengte seine Augen so sehr an, dass sie nach einer gewissen Zeit schmerzten. Plötzlich sprang er auf und ging mit schnellen, großen Schritten hinüber in sein Zimmer. Dort waren die Rollos vor den Fenstern und der Balkontür noch heruntergezogen. Es war dunkel. Dunkel und still. Er ließ sich auf seinem Bett nieder und atmete tief durch. Trotz der Dunkelheit erkannte er jedes noch so kleine Detail seiner Einrichtung. Der Raum hatte ebenfalls eine Schräge direkt über dem großen, dunklen Bett. Diese Schräge und die Wand rechts waren in einem sehr dunklen Rot gestrichen. Etwa nach zwei Dritteln der Wände durchbrach eine durchgehende Reihe schwarzer Zeichen, die sich durch den gesamten Raum zogen, die rote Farbe. Es waren Zeichen einer Sprache, die niemand auf dieser Welt beherrschte. Die Innenseite der Tür war schwarz gehalten, genau wie die Kommode, die gegenüber des Bettes stand. Links an der Wand neben dem Bett stand ein antik aber doch nicht klobig aussehender, schwarzer Kleiderschrank und links daneben eine dunkelgraue Truhe. Normale Einige Pflanzen zierten die leeren Ecken des Raumes und Kerzen standen auf der Kommode und auf der Fensterbank. Ein einziges Bild hing an der roten Wand neben der Balkontür. Ein schwarzer Nachthimmel über einer Wiese, die ebenfalls grau aber dennoch nicht leblos wirkte. Ein blutroter Mond schien über all dem und warf ein ungewöhnliches Licht auf die Landschaft. Eine Musikanlage stand auf einem kleinen Tischchen neben der Kommode und auf einem Nachtisch neben dem Bett stand ein Radiowecker, dessen rote Zahlen in die Dunkelheit leuchteten. Akito griff nach einem der vielen Bücher, die er in den Regalfächern seines Nachtischs aufbewahrte und stellte es vor den Wecker. Jedes noch so kleine Licht störte ihn in dieser Zeit. Er legte sich quer auf sein Bett, in das locker zwei Leute passten. Der schwarze Satinstoff fühlte sich so kalt an in seinem Nacken. Er ließ seine Finger über die weichen Fasern gleiten. Er hatte die Augen immer noch geschlossen und langsam begannen in seinem Kopf die Gedanken zu kreisen. Seine Kehle war trocken. Er hatte Durst, doch er wusste nur zu gut, dass allein Wasser nichts gegen seinen Durst ausrichten würde. Er zwang sich seine Gedanken auf etwas anderes zu lenken. Er seufzte. Die bevorstehende Nacht würde bestimmt sehr lang werden. Izilias Rat hatte Rücksicht auf ihn genommen und ihre Sitzung auf den späten Abend verschoben. Wie er die anderen kannte würden sie nicht vor der Morgendämmerung einen Entschluss gefasst haben, wenn sie überhaupt zu einem Ergebnis kommen würden. Er bezweifelte es. Worum es gehen sollte? Um Aya, um wen sonst? Oder besser gesagt um die Kraft die wahrscheinlich in ihr schlummerte. Ich sollte sie doch töten, dachte er sarkastisch, dann müsste sie das ganze Theater nicht mitmachen. Die Diskussionen über sie waren selbst in Akitos Meinung etwas makaber. Alle Diskutierten, ob sie nun leben oder sterben sollte. Sie redeten über sie, wie über ein todkrankes Tier, bei dem nicht feststand ob es eingeschläfert werden sollte oder nicht. (26.7.2007) ihm fielen mindestens drei Mitglieder ein, die Ayas Tod wollten. Er wusste nicht, wie er sich entscheiden sollte. Er würde sie verraten wenn er für ihr Ende stimmen würde. Er schüttelte leicht den Kopf. Was war nur mit ihm los? Entwickelte er tatsächlich so etwas wie einen Bruder-Komplex? Plötzlich wurde er in seinen Gedanken unterbrochen. Er spürte, dass sich irgendetwas oder irgendwer näherte. Er riss die Augen auf und horchte in die Dunkelheit hinein. Alle seine Muskeln waren angespannt, bereit aufzuspringen. „Wer weiß eigentlich alles von deinem süßen Geheimnis?“, fragte eine hohe Stimme hinter ihm. Ruckartig setzte er sich auf und fixierte das Mädchen, das hinter ihm stand. Er stöhnte genervt auf. „Rena, was willst du denn hier?“, fragte er leicht gereizt. „Aber Akito, oder sollte ich lieber sagen-…“ „Schweig.“, unterbrach er sie mit einem Knurren. Sie lachte leise. „Wusste ich es doch.“ Mit einer fließenden Bewegung ließ sie sich neben ihm auf das Bett nieder. Ihre langen Locken hatten die Farbe von hellem Honig und ihre Augen waren tief braun. Sie war nicht sehr groß und ziemlich zierlich. „Was willst du jetzt eigentlich hier?“ Das Misstrauen in seiner Stimme war unüberhörbar. „Gegenfrage: Was würdest du alles tun um dein kleines Geheimnis zu Hüten?“ Ein grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Was könntest du schon von mir verlangen?“, wollte er wissen. Sie beugte sich zu ihm hinüber und strich mit den Fingern über seine Lippen und seine Wangen. „Als ob du das nicht genau wüsstest.“, antwortete sie. „Oh man.“, stöhne er genervt und schlug ihre Hand weg. „Was denn?“, fragte sie mürrisch. „Du bist doch selber Schuld, wenn du mit den Mädels in Bett gehst und sie immer noch mehr von dir wollen.“ Sie lächelte verträumt. „Du bist halt die perfekte Droge.“ Er zuckte nur mit den Schultern. „Jetzt komm schon!“, verlangte sie und rückte etwas näher zu ihm. Aus seiner Kehle drang ein dunkles Knurren. „Also ich an deiner Stelle würde mir heute nicht zu nahe kommen.“, bemerkte er. „Es sei denn du willst unbedingt sterben.“ Zweifelnd zog er die Augenbrauen hoch und sah sie an. „So eilig hab ich damit nun doch nicht aber ich kann irgendwie nicht so wirklich glauben, dass du mich umbringen würdest.“ Ihre Hand wanderte etwas tiefer in den Kragen seines T-Shirts. Mit einer übermenschlich schnellen Reaktion griff Akito nach ihrem Handgelenk. „Willst du es drauf anlegen?“, zischte er und zog ihre Hand von seinem Körper weg. In seinem Kopf drehte sich alles. Er wollte – er konnte - in diesem Moment einfach nur allein, weg von allen anderen Wesen sein, denn sonst würde er wahrscheinlich doch noch morden. Er stieß sie weiter von sich, behielt jedoch ihr Handgelenk zwischen den Fingern. „Jetzt bitte die Wahrheit: Wieso bist du extra hier her gekommen?“, fragte er drohend. „Och ich wollte eigentlich mit dir über dein zweites wirklich sehr süßes Geheimnis sprechen. Wie hieß sie noch gleich?“ Ihre Stimme nach einen spottenden Ton an. „Woher weißt du davon?“ Akito hatte alarmiert aufgehorcht. Niemand durfte davon wissen. Noch nicht jedenfalls. (01.08.07) „Ihr müsst aufmerksamer sein, Yuki und du. Ihr solltet euch nicht in aller Öffentlichkeit über eure kleinen Geheimnisse unterhalten.“ Sie kicherte leise. Akitos Kehle entfuhr ein dunkles Knurren. Rena sah nur etwas Silbernes aufblitzen. Es ging alles so furchtbar schnell. Sie spürte einen heftigen Schlag auf den Brustkorb, der sie nach hinten warf. Ein hässliches Krachen war zu hören, als sie gegen die Wand schlug und durch den Aufprall einige ihrer Rippen brachen. Sie stöhnte gequält auf. Blitzschnell stand Akito vor ihr. „Was hast du Kilias erzählt?“, fragte er drohend. Seine hand legte sich um ihren Hals. Mühsam rang sie nach Luft und wollte mit ihren Fingern seine Hand von ihrem Hals wegziehen. Bald schon stoppten ihre vergeblichen Versuche und sie keuchte auf, als er seine Finger leicht zusammendrückte. „Was?!?“ Seine Augen schienen Funken zu sprühen. Hass und Wut verschmolzen darin zu einem hellen, lodernden Feuer. Langsam hob sie den Kopf, bereit für das schlimmste, denn sie wusste, dass sie ihn nicht anlügen könnte. Das würde er sofort durchschauen. Sie hatte Angst. Angst, dass er sie töten würde. „Alles.“, sagte sie leise und doch bestimmt. Wieder entfuhr Akito ein Knurren. „Wer sie ist, wo er sie finden kann und natürlich auch eure Vermutung.“, fuhr sie fort. Sie hustete heftig und Akito lockerte seinen Griff etwas. „Was weißt du über seine Pläne?“, fragte er weiter. Sie schloss die Augen und versuchte tief durchzuatmen. Ein brennender Schmerz schoss durch ihre Lungen und sie schnappte nach Luft. „Antworte.“, zischte der Blonde der immer noch vor ihr stand. „Er glaubt…. Er glaubt, dass er sicher ist.“, keuchte sie. „Er will… Er will noch warten… Der Rat hat ihm verboten… sie jetzt schon zu holen.“ Ihre Stimme brach. Akito zog die Hand von ihrem Hals weg. Seufzend sank sie zu Boden. Ihr Gesicht war schmerzverzerrt. Wenn man sie so gesehen hätte, hätte man auch denken können sie wäre vollkommen gesund. Kein Tropfen Blut war auf ihrer Haut zu sehen. Akitos Finger spielten mit einem silbernen Dolch. Er fuhr mit dem Daumen über die Klinge. Krampfhaft versuchte er seine Wut unter Kontrolle zu bringen. Angeekelt sah er auf sie herab. Er konnte sie nicht töten auch wenn er es zu gerne getan hätte. Es würde zu sehr auffallen, zumindest so kurz, nachdem sie Kilias über die ganze Sache informiert hatte. Er beugte sich zu ihr hinunter und legte ihr die Spitzen von Zeige- und kleinem Finger an die Stirn. Sie stöhnte noch einmal auf und ein Zittern lief durch ihre Körper. Er löschte all ihre Erinnerungen an dieses Gespräch. Sie würde sich später an nichts mehr erinnern können. Sie würde nicht wissen, woher sie die Verletzungen hatte. Nicht einmal mehr, dass sie hier war. Er erhob sich wieder und wendete sich von ihr ab. „Verschwinde jetzt.“ Er stand eine Weile da, doch er wusste, dass sie verschwunden war. Langsam griff er zu seinem Handy, das auf seinem Nachttisch lag. Er wählte und lauschte kurz darauf auf das Tuten. „Ja?“, meldete sich Shawn am anderen Ende. „Shawn, hier ist Akito.“, erwiderte er ernst. „Ah, Hey! Was gibt’s denn? -… Oh man, Yuki jetzt fahr doch mal vernünftig.“, sagte er belustigt. „Jaha, ist ja okay.“, hörte man Yuki brummeln. „Yuki ist bei dir? Das ist gut. Wir haben ein Problem.“ Akitos Mine verfinsterte sich. „Ein Problem nach dem Motto: Es muss wer umgelegt werden?“, fragte Shawn ernst. „Nein, ich glaube, dieses Mal ist es ein wirkliches Problem.“ Er seufzte kurz. „Kilias weiß bescheid.“ „Wie jetzt?“, wollte Shawn verdattert wissen. „Er weiß bescheid. Über alles, was Yuki und ich im Park besprochen hatten. Rena hat uns belauscht.“, erklärte er und versuchte seine Stimme ruhig zu halten. „Nicht wirklich oder? Dieses verfluchte Miststück.“, knurrte der junge Mann am anderen Ende. „Er weiß wo sie ist, nicht dass sie bei uns ist, er weiß wie sie aussieht und er weiß auch über unsere Vermutung bescheid.“ Akito ließ sich auf sein Bett nieder. „Oh Man, Akito! Ich wette mit dir, dass sie die gar nicht so hinter die herschleichen würde, wenn du nicht mit ihr im Bett gewesen wärst.“, rutschte es Shawn heraus. „Shawn…“ „Ist doch wahr. Ich mein das merkt doch wirklich ein blinder mit Krückstock, dass die voll auf dich steht und-…“ Mit einem tiefen knurren unterbrach Akito seinen Freund. „Okay, Okay, es tut mir leid. Also was ist dein Plan?“, fragte er dann entschuldigend. „Sag Yuki er soll Aya im Auge behalten. Die ganze Zeit. Auch wenn Rena meinte, dass der Rat Kilias noch verboten hat sie nach Atora zu holen, soll sie trotzdem die ganze Zeit überwacht werden. Und wir treffen uns in zehn Minuten im Park. Ich muss nachher zwar noch Aya von der Schule abholen, aber das klappt schon irgendwie.“, sagte Akito noch immer gereizt. Er war sich plötzlich gar nicht mehr so sicher, ob diese Gereiztheit nicht auch ein Teil Sorge war, was mit Aya passieren würde. „Aber wenn Yuki sowieso auf sie aufpassen soll, warum kann er sie dann nicht abholen? Was ist, wenn wir sie einfach mit nach Izilia nehmen?“, fragte Shawn plötzlich. „Weil ich es ihr versprochen hab. Auch wenn es bestimmt nicht so einfach wird. Meine unangenehme Seite ist heute mal wieder besonders ausgeprägt. Und wir können Aya nicht mit nach Izilia nehmen, bevor die Ratssitzung heute Abend war. Wer weiß auf was für Ideen Eriol und die anderen so kommen.“, antwortete der Blonde. „Also in zehn Minuten. Und sag Yuki, dass er auf sie achten soll.“ „Warum soll er das eigentlich machen und nicht ich?“, wollte Shawn grummelnd wissen. „Shawn…. Belass es dabei.“, meinte Akito leicht schmunzelnd. „Wir sehen uns gleich.“ „Dass du auch immer deine kleinen Geheimnisse haben musst. Okay, bis gleich.“ ~†~ „Aya!“ Ich drehte mich um, als ich meinen Namen gehört hatte. „Oh. Hey Eva.“ Ich lächelte. Ich saß wie immer, mit ein paar anderen schon im Klassenraum, obwohl es noch locker 20 Minuten bis zum Unterrichtsbeginn waren. Unsere Busse waren die, die morgens immer die ersten und mittags die letzten waren. Wir hatten uns schon mehr als nur einmal beschwert, doch nie konnten wir eine Änderung erreichen. „Na, geht’s dir wieder besser?“, fragte sie und zog einen Stuhl zur Fensterbank, auf der ich wie immer saß und auf die anderen wartete. Heute hatte ich auch viel nachgedacht. Über meine Momentane Situation. Wie es weitergehen sollte. Was ich meiner Klassenlehrerin sagen sollte. Vor allem aber auch was und wie viel ich den anderen von der Wahrheit erzählen konnte. Egal wie ich meine Gedanken hin und her schob, ich kam einfach zu keiner Lösung. Ich muss unbedingt noch einmal mit Akito darüber reden. Oder vielleicht auch eher mit Yuki. Akito schien mir… Wie immer fand ich keine passenden Worte, die ihn beschreiben konnten. Düster und vielleicht auch etwas geheimnisvoll? So konnte man es wohl nennen. Wogegen Yuki wohl ganz anders war. Er war auch irgendwie nicht normal aber er hatte eine fröhliche und freundliche Art und hatte sofort viel mit mir geredet. Ich lenkte meine Gedanken wieder auf Evas Frage. Ich nickte. „Noch nicht ganz gut aber schon wieder besser.“ Sie ließ sich auf dem Stuhl nieder und sah zu mir hoch. „Das ist gut.“ Sie zögerte eine Weile, doch ich merkte genau, dass ihr noch eine Frage auf der Zunge lag. Nach einer Weile, die bei ihr wie immer nicht lange dauerte, sprudelten ihr die Worte schon aus dem Mund. „Sag mal, wann warst du gestern eigentlich von Akito zu Hause?“ Innerlich stöhnte ich genervt auf. Ich wusste, dass sie mich früher oder später noch einmal darauf ansprechen würde. Ich wollte gerade zum sprechen ansetzten, als mich jemand unterbrach. „Akito? Wer soll das denn sein?“, fragte Sophia und stellte ihre Tasche an ihrem Platz ab. Wir hatten vier Gruppentische mit jeweils sechs Leuten in der Klasse stehen und der Rest von meinem Tisch stand zu meinem Pech gleich hinter Sophia. Tobi, Alex und Benni. Alle drei waren natürlich hellhörig geworden und schauten mich nun interessiert an. Ich verdrehte die Augen und dankte Eva im Stillen für diese zeitlich unglaublich passende Frage. „Später.“, meinte ich nur schlicht zu Sophia und hoffte, dass sie meinen Blick auf die Jungs richtig deuten würde. Sie schon, nur Tobi ließ jetzt natürlich keine Ruhe. „Jetzt erzähl, wer ist Akito?“ Er setzte sich zu mir auf die Fensterbank. „Und wann bist du von ihm nach Hause gegangen?“, fügte er noch mit einem halb anzüglichen halb, wie mir schien, eifersüchtigem Grinsen hinzu. Ich seufzte. „Das willst du gar nicht wissen.“, erwiderte ich nur. Natürlich wurde ich ihn so schnell nicht wieder los. Es ging noch eine Weile so weiter. Fragen über Fragen und mit jeder von ihnen wurde ich genervter. Geschickt versuchte ich jeder einzelnen von ihnen auszuweichen und es gelang mir auch so einigermaßen. Ich bemerkte nicht einmal, wie die Klasse sich immer mehr füllte. Irgendwann betrat unser Lehrer den Raum und ich wollte aufstehen. Doch da Tobi keinerlei Anstalten machte, seinen Arm von meiner Schulter zu nehmen und ich so nicht aufstehen konnte, war ich gezwungen in meiner Position zu verharren. „Sag jetzt.“, forderte er. „Sonst müssen wir wohl die ganze Stunde über hier so sitzen bleiben.“ Wieder grinste er. Eigentlich ein schönes Lächeln, wenn ich es mir so ansah. Ich schüttelte seinen Arm von meiner Schulter und stand auf. Ich wollte mich auf meinen Platz setzten, doch Tobis Hand war meinen Arm hinunter zu meinem Handgelenk gerutscht, dass er nun umklammert hielt. „Das war mein Ernst. Du kommst hier nicht eher weg, bevor du mir das nicht gesagt hast.“, meinte er und sah mich an. „Tobias und Ayashi könnt ihr eure Privatgespräche jetzt freundlicherweise beenden und auf die Pause verschieben? Danke.“, rief unser Lehrer vom Pult zu uns herüber und knallte seine Mappe auf das Holz. „Die Wahrheit bitte.“, sagte Tobi. Er war einer der Wenigen, die mich schon ewig kannten. Ich glaube, wir haben sogar schon in Kindergarten zusammen gespielt. Er war auch einer der wenigen, die es sofort merkten, wenn ich sie anlog. Flunkern war also vollkommen zwecklos. Wie hieß es doch so schön? Der Klügere gibt nach? In meinem Rücken konnte ich nun auch schon wieder die neugierigen Blicke von Sophia und meinen anderen Tischkameraden spüren, denn der Rest der Klasse wusste ja überhaupt nicht um was es ging. Ich seufzte. „Akito ist ein Freund von mir und ich bin gar nicht mehr nach Hause gegangen.“, erwiderte ich ebenso ernst und erwartete seine Reaktion. Die von den anderen hatte ich schon gehört. Verwundertes aufstöhnen und ein leises „Wie bitte?“ von Sophia und ein ebenso leisen „Was?“ von Benni. „Aber-….“, setzte Tobi erneut an, doch ich unterbrach ihn. „Du hast die Wahrheit, gib dich damit zufrieden. Mehr wolltest du doch nicht oder? Könnte ich jetzt bitte meinen Arm wiederhaben?“, unterbrach ich ihn. „Aber-…“ Dieses Mal wurde er von Eva unterbrochen, die bemerkt hatte, dass Herr Kries schon wieder zu uns herüber schaute und das nicht gerade freundlich. „Mensch, Tobi, jetzt lass sie. Aya hat eben auch ihren kleinen Geheimnisse!“ Kapitel 7: Feeling This ----------------------- Kapitel 7 – Feeling this Ich beobachtete wie der Himmel sich immer mehr mit dichten, dunklen Wolken bedeckte. Ich folgte kaum dem Unterricht. Er zog einfach an mir vorbei, ohne dass ich großartig Notiz davon nahm. Die Lehrer schienen mit heute gnädig gestimmt zu sein, denn keiner von ihnen quälte mich mit unnützen Fragen, die ich sowieso nicht hätte beantworten können. Nicht, weil ich dumm war oder so etwas aber heute war mein absoluter Hasstag. Mittwoch. Das bedeutete für mich einen totalen Spießrutenlauf: Erste Stunde Mathe, zweite Bio, dann Physik und Chemie und dann zu allem Überfluss auch noch in den letzten beiden Stunden Sport. Ich verfluchte denjenigen, der unseren Stundenplan machte jede Woche aufs Neue und überlegte mir immer neue Möglichkeiten, wie man dieses verdammten Tag am besten überstehen könnte. Naturwissenschaften waren wirklich nicht so meine Stärke. Zwar schaffte ich in Bio und Mathe immer noch meine drei, wobei ich in Physik und Chemie dafür kämpfen musste. Einige kleine Erfolge konnte ich auch schon verzeichnen. Ich war eigentlich eine ganz, sagen wir mal, passable Schülerin, bei der die größten Stärken in Deutsch, Geschichte und Spanisch lagen. Und dann war da noch der absolute Höhepunkt. Sport. Ich hatte sehr selten jemanden gesehen, der so talentfrei in Sachen Sport war. Es gab zwar Dinge, die mir Spaß machten aber im Großen und Ganzen mied ich jegliche Sportart außer das Tanzen so gut es eben ging. Ich seufzte und starrte aus dem Fenster, womit ich heute die meiste Zeit, der ersten quälenden Stunden verbracht hatte. Ausnahmsweise hatten wir heute, wegen irgendeinem Defekt der Stromversorgung in den Naturwissenschaftsräumen alle Fächer im Klassenraum. Ich saß direkt an den Fenstern und so hatte ich einen recht guten Blick auf alles, was sich draußen abspielte. Ein paar sehr Hohe Bäume standen davor, an denen gold-braune Blätter hingen. Man konnte ein oder zwei verlassene Vogelnester zwischen den kahlen Ästen erkennen. Ich hörte die Stimmen meiner Klassenkameraden wie durch einen Schleier. Ich bemerkte, dass sie da waren, doch ich nahm sie nicht richtig wahr. Man könnte meinen ich sei tief in Gedanken versunken, doch eigentlich dachte ich an nichts. Es kam nicht oft vor, dass ich wirklich über gar nichts nachdachte. Besonders in einer Situation, wie der, in der ich im Moment steckte, wäre mein Gehirn sonst auf Hochtouren gelaufen. Alles Mögliche, was Akito, Yuki, und die ganzen anderen betraf hätte mich beschäftigt und vor allem immer noch die Frage, warum sie mich eigentlich alle so freundlich bei sich aufgenommen hatten. Ich verstand es einfach nicht und ich hatte das Gefühl, dass ich auch nicht erraten könnte. Als ob etwas sehr großes dahinter stecken würde. Jetzt jedoch war mein Kopf wie leer gefegt. Kein Gedanken rührte sich. Keine Idee, keine Frage schoss hindurch und es war einfach nur still. Ich fühlte mich so, als würde ich mich in einem Wachschlaf befinden, aus dem ich nicht aufwachen konnte. Aber vielleicht wollte ich das ja auch gar nicht? Ich war zufrieden mit meinem Leben. Ich hatte liebe Freunde und ich war mehr als froh darüber, dass Akito mich bei sich aufgenommen hatte, auch wenn mir seine Gründe schleierhaft waren. Ich war überrascht und glücklich darüber, dass seine Freunde mich so freundlich behandelten und dass sie ja sogar vielleicht bald auch meine Freunde seien könnten. Also warum sollte man dann auch daraus erwachen und sich wieder Gedanken machen, dass eigentlich schön war, so wie es war und dass man durch einen einzigen Gedanken wieder zum wanken bringen könnte? Dann doch lieber so. Draußen begann langsam der Regen zu fallen. Allmählich färbte sich der Boden durch das Wasser dunkler ein und auch die Blätter an den Bäumen veränderten ihre Farbe. Sie wurde dunkel und rötlicher. Ich fand, dass sie jetzt nicht mehr hübsch waren, wie in der Sonne. Das war mir vorher noch nie aufgefallen, was vielleicht auch daran liegen könnte, dass ich darauf noch nie so wirklich geachtet hatte. Schon irgendwie seltsam, was man so beachtete, wenn man sich über nichts anderes Gedanken macht. Unwichtige Dinge, die eigentlich selbstverständlich waren. Wieder seufzte ich leise, stützte die Ellenbogen auf den Tisch und legte das Kinn in meine Hände. Der Regen wurde von einem auf den anderen Moment stärker, so dass man denken könnte, jemand würde den Regen bestimmen und gerade ziemlich sauer sein und dass es deswegen so dicke und viele Tropfen vom Himmel vielen. Bald wurde er zu einem dichten Vorhand, der mir die Sicht nach draußen ziemlich erschwerte. Die Tropfen perlten an den Scheiben ab und hinterließen wirre Muster und Linien. Auf einmal stockte mein Herz und ich hielt die Luft an. Ich hob die Hände und rieb mir über die Augen und dachte in diesem Moment, dass ich ihnen nicht trauen konnte. Saß da jemand auf dem Baum? Ich gluckste in mich hinein, als mir dieser Gedanken zum ersten Mal durch den Kopf schoss, doch er ließ mich trotzdem nicht mehr los. So oft ich mich auch zwang von dem Fenstern und vor allem dem Baum wegzusehen, weil ich das Gefühl hatte, dass ich wohl so langsam doch irre und wahnsinnig werden müsste, wenn ich schon Menschen auf Bäumen sitzen sah, es gelang mir nicht und mein Blick glitt immer wieder hinüber zu dem verschwommenen Bild hinter der Scheibe. Ich schüttelte kurz den Kopf, um mich zu vergewissern, dass ich mir nicht nur irgendetwas einbildete. Doch auch zwei Minuten später kam es mir so vor, als würde die Person noch da draußen auf dem Baum sitzen. Der Regen ließ für eine kurze Zeit nach und ich strengte meine Augen an, um durch das voll getropfte Glas besser sehen zu können. Tatsächlich, da saß jemand auf dem Baum und starrte direkt in das Fenster unseres Klassenzimmers. Die Gestalt trug einen langen, braunen Mantel, der durch das Wasser fast schwarz geworden war. Der Statur zu urteilen handelte es sich um einen Mann. Er hatte die Kapuze tief ins Gesicht gezogen und seine Haltung zeigte alles andere als Anspannung. Er saß auf einem etwas dickerem Ast, hatte ein Bein darauf ausgestreckt, während das andere lässig hinunter baumelte. Er schien es sich dort bequem gemacht zu haben, wirkte jedoch sehr aufmerksam. Mir lief es eiskalt den Rücken herunter. Wie konnte er nur so entspannt so hoch auf einem Baum sitzen? Ich fühlte kalten Schweiß der Angst an meinen Händen und rieb diese schnell aneinander. Allein schon, wenn ich daran dachte so hoch irgendwo zu sitzen wurde mit Flau im Magen und die Angst brachte mich dazu wie erstarrt dazusitzen und mich keinen Millimeter zu rühren. Höhenangst. Wie ich sie hasste. Ich sprang nicht einmal im Schwimmbad vom Dreimeterbrett. Ich schluckte kurz. Alles Unsinn sagte ich mir und versuchte meinen Körper wieder unter Kontrolle zu bringen. Du sitzt hier auf deinem Stuhl, der ganz bestimmt nicht so hoch ist, dass du Höhenangst bekommen müsstest. Wieder konzentrierte ich mich auf die Person auf dem Baum. Sie hatte ihre Position nicht im Geringsten verändert. Störte ihn der Regen denn gar nicht? Es war bestimmt nicht sehr angenehm im strömenden auf einem Baum zu sitzen. Am unheimlichsten jedoch war es, dass ich das Gefühl hatte er würde mich beobachten. Eigentlich war das ja total abwegig, denn warum sollte er das tun? Warum gerade mich? Wenn er jemanden entführen sollte, musste er sich wohl jemanden anders aussuchen, denn sehr viel Geld hatten meine Eltern nicht, dass sie bezahlen konnten. Dass er mich nur ansprechen wollte war wohl eher unwahrscheinlich, da man dafür ja wohl nicht im strömenden Regen auf einem Baum sitzen und einen durch das Fenster anstarren musste. Ich schüttelte leicht den Kopf. Ich spielte gerade mit dem Gedanken in der nächsten Pause einfach hinauszugehen und zu gucken ob ich nicht doch einer fiesen Sinnestäuschung erlegen war, als der Gong meine Gedanken unterbrach. Ich griff nach meinen Sachen und schob allmählich zurück in meine Tasche. Ich hatte es nicht eilig. Die Klingel eben war nicht wirklich eine Erlösung gewesen, denn nun hieß es: Ab zur Sporthalle und die Quälerei kann beginnen. Neben mir stöhnten Alex und Tobi gerade erleichtert auf. Für sie war Sport die beste Sache der Woche, während allein diese zwei Stunden für mich unerträglich lang waren. Ich schlüpfte in meine Jacke und schnappte meinen Rucksack. „Dann mal los.“, sagte Eva neben mir, harkte sich bei mir ein und zog mich hinter sich her zur Tür. Um zur Sporthalle zu kommen mussten wir ein kleines Stück über den betonierten Schulhof laufen. Der Regen fiel immer noch in dicken, schweren Tropfen auf den Beton und färbten in dunkelgrau. Ich zog die Schultern hoch und rasch schob ich die Kapuze über meinen Kopf. Ein kühler Wind fegte zusätzlich noch zwischen den Gebäuden entlang. Wie automatisch glitt mein Blick hinüber zu dem Baum. Die Gestalt war verschwunden. Hatte ich mir das doch nur alles eingebildet? Es war wohl doch etwas zu viel gewesen in den letzten Tagen. Ich schüttelte kaum merklich den Kopf und legte dann einen Schritt zu, um den Anschluss an die anderen nicht zu verlieren und endlich aus dem strömenden Regen zu kommen. ~†~ Akito stand schon eine ganze Weile im Park. Ihm war nicht bewusst warum, und doch verspürte er eine unglaubliche Ruhe. Bis vor ein paar Minuten war er noch so nervös gewesen, wie es in dieser Situation angebracht wäre. Es wehte kein Wind. Er hatte ihn verstummen lassen. Warum? Er wusste es nicht. Er hatte die Macht über den Wind, konnte bestimmen, wann es stürmen und wann Windstill sein sollte. Die Äste der Trauerweide neben ihm hingen still nach unten. Das Gras hatte eine dunkle grün-graue Farbe angenommen. Alles wirkte leblos. Sonst war es hier eigentlich nie so. Bunte Blumen, in allen nur erdenklich leuchtenden Farben; das ganz genaue Gegenteil von Atora. Kilias Reich. Die grauen Kieselsteine zu seinen Füßen waren schwarz geworden und Wassertropfen perlten daran hinunter. Eigentlich ein wunderschönes Bild, fand Akito. Irgendwann würde er noch einmal hier herkommen und dieses Motiv fotografieren. Er bückte sich, hob einen der glatten Steine auf und glitt mit den Fingerspitzen über die Oberfläche. Er lauschte aufmerksam in die Stille. Was würde nun kommen? Wie würde König Shigure reagieren, wenn er von den neusten Ereignissen erfahren würde? Akito atmete tief durch. Er lauschte aufmerksam in die Stille, die nur von dem leisen Rauschen, den unaufhörlich fallenden Regens unterbrochen wurde. Schon lange bevor Shawn um die Kurve bog hatte er seine Schritte gehört. „Sag mal, hast du schlechte Laune oder so?“, fragte Akito und sah hinauf in den Himmel. Er trug keine Kapuze und stand da, als würde ihm der Regen überhaupt nichts ausmachen. Das Wasser lief über sein Gesicht und malte fast unsichtbare Linien darauf. „Wieso? Ist doch schön.“, erwiderte Shawn und schwang seine dunkelblaue Jacke über die Schulter. Er streckte sein Gesicht dem Regen entgegen und Akito spürte, wie das Wasser noch eine Spur kälter wurde. Shawn grinste. „Na dem kann ich auch noch ein bisschen auf die Sprünge helfen.“ Akito senkte den Kopf wieder und gleichzeitig fegte ein ebenso kalter Windstoß über die Wiese und ließ die Zweige der Weide durch die Luft peitschen. Auch auf seinem Gesicht hatte sich ein Lächeln ausgebreitet, das allerdings nicht lange währte, wie immer bei ihm. „Nun aber los. Rumalbern können wir auch noch später.“, sagte Akito, dessen Stimme nun wieder diesen finsteren, ernsten Ton angenommen hatte. Der Braunhaarige nickte und zusammen folgten sie dem Weg, der zu dem Schloss führte, das sich dunkel in den grauen Himmel erhob. Wenige Minuten Später standen die beiden in einem riesigen, runden Saal, mit hellem Holzfußboden und weiß gekalkten Wänden. Fenster zogen sich in einer breiten Linie um den ganzen Raum. Normalerweise genügte das Licht, dass dadurch hinein schien, doch heute standen in regelmäßigem Abstand glänzende, silberne Kerzenleuchter, von dessen elfenbeinfarbenen Kerzen ein warmes Licht ausging. Hin und wieder durchbrachen farbige Malereien das eintönige Weiß. Der Schein der Kerzen warf Schatten auf die Wände, die zu flackern begannen, als Akito die riesigen, hellgrauen Türen aufgestoßen hatte und ein Windstoß durch den Raum fegte. Ungefähr zwanzig Männer und Frauen saßen um einen Tisch aus hellgrauem Marmor. Die meisten hatten ein Glas vor sich stehen oder Zettel lagen vor ihnen auf dem Tisch. „Akito.“, knurrte ein etwa vierzigjähriger Mann, der an der anderen Seite vor dem Tisch saß. „Erst rufst du uns wegen einer angeblich wichtigen Sache zusammen und dann lässt du uns warten. Wir haben alle auch noch etwas anderes zu tun.“ Der Blonde ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und tat so, als hätte er den Einwand des anderen gar nicht bemerkt. „Können wir dann anfangen?“, fragte er mit emotionsloser Stimme. Shawn setzte sich gerade auf den letzten leeren Platz. Er wusste sowieso, dass Akito diesen Stuhl niemals nutzen würde. Das hatte er noch nie gemacht. Eine Angewohnheit von ihm, die ihn in den Augen vieler Ratsmitglieder arrogant erschienen ließ. „Du wagst es so mit dem König zu sprechen? Was erlaubst du dir, du-…“, fuhr ihn ein etwas jüngerer Mann mit rotblonden Haaren an, der jedoch von Akito unterbrochen wurde. „Und du wagst es so mit mir zu sprechen? Wer bist du eigentlich, dass du dir das erlaubst?“, fragte Akito mit kalter Stimme. Er knöpfte seinen Mantel auf und schüttelte ein paar Wassertropfen hinunter. Noch nie zuvor hatte er diesen Mann bei einer Ratsversammlung gesehen. Er sah sich um. Fehlte irgendwer, der sonst immer Anwesend war? Innerlich erstarrte er für eine Weile. Natürlich. „Wo ist Kai?“ Akitos Stimme hallte durch den Raum. Jedes Geräusch war verstummt. Eine Weile saßen alle Anwesenden, bis auf Shawn und Akito, die sich fragende Blicke zuwarfen, da und starrten auf den Boden oder auf die Holzplatte des Tisches. Neru räusperte sich schließlich und sprach dann mit leiser Stimme. „Akito, Kai war bei dem Angriff auf Atora dabei.“ Wieder herrschte eine Weile totale Stille. Shawn hatte die Ellenbogen auf die Tischplatte gestützt und den Kopf in seine Hände gelegt. Akito hatte ebenfalls die Hände gehoben und sie ungläubig auf die Stirn gelegt. „Ist er-…?“ Shawn wagte nicht seine Frage zu Ende zu stellen. Seine Stimme klang gedämpft. Langsam schüttelte Neru den Kopf. „Nein, aber es sieht wirklich nicht gut aus. Nalia hat ihn gefunden.“ „Ich weiß.“, sagte Akito leise. Niemand überraschte dieser Einwurf groß. Warum bin ich nicht mit ihr gegangen, fragte er sich selbst. Warum nicht? „Sie hat ihn hier her gebracht. Wir konnten noch 21 andere finden, die gerade so überlebt haben. Wie bei Kai wissen wir auch bei den anderen nicht, ob sie-…“ „Du bist…“, unterbrach der Rotblonde ihn und starrte wie gebannt auf Akitos Körper. Als der Blonde die Hände an den Kopf gelegt hatte war seine schwarze Kapuzenjacke nach oben gerutscht und hatte ein Stück seiner Haut freigelegt. Die Augen des jungen Ratsmitgliedes waren auf eine Stelle gerichtet, die etwas schräg rechts über Akitos linkem Hüftknochen saß. „Er ist-… Warum-…?“, fassungslos stotterte er vor sich hin. Auf seinem Gesicht lag pures Entsetzten und er konnte einfach nicht glauben, was er dort sah. Die Narben waren nicht einfach Narben. Nein, sie sahen aus, als währen sie durch glatte Schnitte und mit sehr viel Sorgfalt hinzugefügt worden. Er konnte keine Erhebung der Haut ausmachen. Nur die sehr deutlichen hellen Linien. Zwei der Linien sahen aus wie kleine, einzelne Flammen. Die größere war ungefähr fünf Zentimeter, die kleinere vielleicht drei. Das Zeichen Atoras. Doch in diesem Fall zog sich ein waagerechter Strich durch die beiden Flammen, so als hätte sie jemand unordentlich durchgestrichen. Jeder Bewohner Izilias wusste, wer dieses Zeichen trug. „Rafael.“, sagte König Shigure besänftigend zu dem jungen Mann. „Wir wissen, wer er ist.“ Rafael lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, um mehr Abstand zwischen sich und Akito zu bringen. „Aber-… Aber was macht er hier? Warum darf er hier einfach so umherlaufen und wird auch noch in den hohen Rat mit einbezogen?“ Akito lachte leise. Nicht viele wussten von seiner Identität und das war auch gut so. Viele vertrauten ihm und legten Wert auf seinen Rat. Auch wenn er immer kalt und irgendwie bedrohlich und finster wirkte schätzten ihn auch viele Leute, da er die Dinge sehr oft objektiv sah und gerecht entschied. Ihn überraschte diese Reaktion nicht im Geringsten. Neru seufzte. „Er ist Informant. Er ist auf unserer Seite. Er ist stark und er trägt das Erbe des Windes in sich. Das alles ist Grund genug für uns ihn hier zu behalten.“, erklärte Eriol, der rechts neben Shigure saß. Er hatte genau wie die anderen Mitglieder die ganze Zeit über geschwiegen. Was gab es auch großartig zu sagen? Rafael schnaubte verächtlich. „Auf unserer Seite? Wie lange? Bis Kilias gestürzt ist und er dann-…“ „Schweig!“, fuhr Shigure ihn grob an. Seine Augen funkelten vor Zorn und ein paar Strähnen seines grau-braunes Haars fielen aus dem langen, geflochtenen Zopf auf seine Schultern. „Wir vergessen, warum wir hier zusammen gekommen sind.“, sagte er streng und strich sich die Strähnen hinter das Ohr. Als wäre das Thema nie angesprochen worden, fuhr er ungerührt fort. „Also, Akito, warum hast du so auf ein schnelles Aufeinandertreffen des Rats beharrt?“, fragte er ruhig und doch bestimmt. Seine hellen, braunen Augen wirkten aufmerksam und etwas aufgeregt. Akito seufzte kurz. „Kilias weiß alles.“ Eriol räusperte sich unsicher. „Ich glaube das musst du uns erklären.“, meinte er mit leicht zitternder Stimme. „Nun.“ Akito steckte die Hände in die Manteltaschen und wendete sich von den anderen ab. Seine Schritte hallten durch den hohen Saal, als er zu der Fensterreihe trat. „Ich hatte vorhin Besuch.“, fuhr er fort. „ Rena hat den großen Fehler gemacht mich auf Aya anzusprechen und-…“ „Stopp!“, unterbrach Eriol ihn. „Woher sollte sie von ihr wissen?“, fragte er ungeduldig. Akito drehte sich um. „Sie hat Yuki und mich belauscht, wie wir im Park über Aya gesprochen haben.“ „Wie konntet ihr nur in aller Öffentlichkeit darüber sprechen?! Ihr wisst doch genau, dass-…“ Der braunhaarige Eriol wurde dieses Mal von König Shigure unterbrochen. „Lass gut sein. Darüber reden wir später noch. Akito, fahr bitte fort.“, sagte er ruhig. Es schien so, als sei er unerschütterlich und kaum aus der Ruhe zu bringen. Akito nickte kurz. „Um es kurz zu machen: Kilias weiß, wo er sie finden kann und das ist ja wohl genug. Außerdem…“ Der blonde zögerte kurz. „Außerdem was?!“, wollte Rafael wissen. „Yuki und ich haben eine Vermutung aufgestellt, die Rena wohl auch noch gehört hat. Yuki und ich sprachen darüber, was sein würde, wenn Aya der Engel des Blutes ist.“, erklärte er und die erwartete Reaktion trat ein. Schweigen breitete sich in dem Raum aus. Einige der Ratsmitglieder schüttelten nur ungläubig den Kopf. Sie gehörten zu den Leuten, die die Prophezeiung für totalen Schwachsinn hielten. Für sie war der Engel des Blutes nur eine Erfindung ihrer Ahnen, die ihnen Angst machen wollten und sie jetzt noch mehr anspornen sollte, den Engel des Windes vor Atora zu finden. Andere wiederum hatten die Augen aufgerissen und starrten entweder Akito an oder einfach in die Leere vor sich. Es waren mehr die Älteren Mitglieder, die Akitos Einwand ernst nahmen. „Sehr unwahrscheinlich.“, sagte eines der Ratsmitglieder nach einiger Zeit. „Wieso unwahrscheinlich?“, fragte Neru. „Niemand von uns weiß, ob die Prophezeiung Stimmt oder nicht. Wir sollten alle Möglichkeiten durchsprechen.“ Weiter am anderen Ende des Tisches räusperte sich. Er hatte weiße Haare, in denen noch ein leichter Orangeton schimmerte. „Was gibt es da groß zu besprechen?“, fragte er bestimmt. „Wenn sie wirklich der Engel des Windes ist, dann sollten wir sie töten und wenn sie der Engel des Blutes ist, dann erst recht.“ Seine Augen hatten die Farbe von Bernstein und funkelten nun entschlossen. „Nein.“ Akito sah ihn an. Er sagte nur dieses eine Wort, doch niemand zweifelt an seiner Deutlichkeit. „Wieso nein? Ich glaube, niemand hier würde eine andere Lösung bevorzugen.“, erwiderte der Weißhaarige. „Nein.“, sagte Akito wieder bestimmt. Dieses Mal erwiderte niemand etwas auf seinen Einwand. Die Ratsmitglieder starrten ihn nur mehr oder weniger ungläubig an. Akito dachte gerade nicht viel. Der einzige Gedanke, der ihm durch den Kopf schoss war, dass Aya leben musste. Eigentlich war es ihm egal, wie der Rat entscheiden würde, er würde sie oder so oder so vor dem Tod bewahren. Er hatte sich schon einen Plan zu Recht gelegt, falls der Rat beschloss sie zu töten. Sie sollte doch nur in Frieden ihr normales Leben weiter führen. Sie sollte mit ihren Freunden Spaß haben und mit Leuten aus der Welt, in der Akito lebte, am besten nichts zu tun haben. Ihr Leben lag vor ihr und sie sollte es genießen. „Du willst sie für dich, richtig?“, fragte Rafael auf einmal in die Stille. Er schaute Akito nicht an. Er hatte die Stirn in Falten gelegt und seine Hände waren zu Fäusten geballt, sodass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. Seine Stimme war nicht besonders laut gewesen, doch anscheinend hatte jeder ihn gehört. „Wie bitte?“, fragte Shawn verblüfft und blickte zu Akito hinüber. Seine Augen hatten sich zu Schlitzen verengt. Rafael hatte Akitos wunden Punkt getroffen, da war Shawn sich sicher, nachdem er von Yuki alles über das Gespräch mit Akito erfahren hatte. Im Gegensatz zu Yuki glaubte Shawn, dass Akito nicht körperlich an Aya interessiert war. Sie war für ihn wirklich noch ein Kind. „Du willst sie für dich.“, wiederholte Rafael noch einmal. „Du hast doch bestimmt deine eigenen Pläne mit ihr, nur es ist ja wohl klar, dass du das hier nicht sagen kannst. Erst tust du alles, um und uns zu helfen und Kilias zu stürzten und dann-…“ Akito schoss vor und blitzschnell lagen die Finger seiner Hand um Rafaels Hals. „Und dann was?“, wollt Akito wissen. Die Frage klang wie eine einzige Drohung. „Dann werde ich sie zu meiner Frau machen, mir ihre Macht holen und Atora regieren? Dann werde ich euer kleines geliebtes Izilia übernehmen und euch alle unterdrücken?“ Er lachte leise. „ Vielleicht, vielleicht auch nicht. Aber weißt du was?“ Er drückte seine Finger etwas zusammen. Die Menschen im Raum, die Akito besser kannten waren alarmiert und bereit einzuschreiten, falls er zu weit gehen würde. „Hast du schon einmal getötet? Hast du schon einmal in die Augen eines Sterbenden gesehen? Blut an deinen Händen gespürt?“ So gut es eben ging schüttelte Rafael den Kopf. „Tze…“ Akito stieß ihn zurück, sodass der Rotblonde mit dem Kopf gegen die Stuhllehne stieß und brachte sein Gesicht ganz nah an Rafaels. „Verdammt. Dann hör auf so zu reden. Du sprichst hier über ein Mädchen, das gerade einmal vierzehn ist. Sie ist jünger als alle anderen Engel zuvor. Ihr Leben liegt noch vor ihr. Was hast du mit vierzehn gemacht? Deine Freunde getroffen? Du warst froh dein Leben zu haben und es zu genießen? Dann verdammt noch mal, rede nicht so. Du willst ihr Leben wegwerfen. Euer kleines, tolles Land interessiert mich nicht. Alles was ich will ist, dass sie lebt.“ Akito wollte in diesem Moment einfach nur zu Aya. Er wollte sich davon überzeugen, dass es ihr gut ging und sie ihr Leben lebte. Yuki würde ihm bestimmt auch dankbar sein, dass er ihn mal ablöste. Vorher musste Akito unbedingt noch, nun ja man konnte sagen seine Droge nehmen, denn sonst würde er vielleicht doch noch jemanden unschuldiges töten. Aber nein, Droge konnte man es auch nicht wirklich nennen, denn er „nahm“ sie ja nicht gerne. Aber er musste, denn schließlich wollte er niemanden in Gefahr bringen. Shawn saß da und war doch etwas erstaunt. So lange Reden war sonst nicht Akitos Ding. Er meinte es ernst, er wollte, dass Aya lebt, sonst würde er sich gar nicht die Mühe machen sich hier für sie ein zusetzten, denn normalerweise scherte er sich nicht um die Leben anderer Menschen. Gerade warf Akito einen Blick auf sein Handy, dann drehte er sich um. „Ich denke, dass ihr das hier auch allein schafft. Meine Meinung kennt ihr ja nun.“ Ohne eine Antwort abzuwarten verschwand er einfach und nur noch ein starker Windhauch fegte einmal durch den Saal. ~†~ In der Umkleide angekommen begann wie jeden Mittwoch das allgemeine Gequatsche über die neusten Gerüchte. „Hey Eva!“, rief Jenni plötzlich und warf ihre Tasche auf eine der Bänke. „Ich hab da was gehört.“ Ich spürte, wie Eva neben mir kurz in der Bewegung innehielt. Sie atmete einmal tief durch, bevor sie von ihrer Tasche aufsah. Jenni war eines der Mädchen, die das genaue Gegenteil von mir war. Sie trug viel pink und glitzernde Sachen, akzeptierte Stile, die anders als ihrer waren, nicht wirklich. Sie lästerte viel und machte sich gern über andere lustig. „Ach ja? Was denn?“, fragte Eva. Sie hatte ihre Finger nervös ineinander geflochten. Jeder wusste, dass Jenni auf Kev stand. Sie würde es nicht akzeptieren können, dass er nun mit Eva zusammen war. Besonders, weil sie von sich dachte, dass sie besser sei, als wir anderen. „Ich hab gehört, dass du mit Kev rumgemacht hast?“, fragte sie bissig. „Das ist nicht ganz richtig.“, erwiderte Eva und ich spürte wie ihre Selbstsicherheit zurückkam. „Ach wirklich?“ Jenni zog sich ein T-Shirt über de Kopf. „Ich bin mit ihm zusammen.“, sagte sie nur und bevor Jenni darauf noch irgendetwas sagen konnte, wurde die Tür unserer Umkleide geöffnet und unsere Lehrerin orderte uns in die Gymnastikhalle. Ich wunderte mich etwas, denn sonst fand unser Unterricht immer in der normalen Sporthalle statt. Nun standen wir in der etwas kleineren Halle, die mit einem hellen Holzfußboden ausgelegt war. Eine Wand war komplett mit einem riesigen Spiegel verkleidet. Wenige Augenblicke später betraten die Jungs unserer Klasse samt deren Sportlehrer ebenfalls die Halle. Ich spürte, wie mein Herz begann zu rasen, denn normalerweise hatten Jungen und Mädchen getrennt Sport. Ich fragte mich, wieso wir hier alle zusammen standen. Ich hasste es mit den Jungen gemeinsam Sport zu haben und war ziemlich froh, dass dies auch nicht allzu oft vorkam, schließlich blamierte ich mich regelmäßig einmal. „So.“, begann unsere Sportlehrerin. „ Da uns das Wetter einen Strich durch die Rechnung gemacht hat müssen wir Leichtathletik wegfallen lassen. Als Notlösung werden wir heute eine kleine Einheit Standarttanzen machen.“ Mein Herz machte einen Hüpfer und ich hätte am liebsten laut aufgeschrieen. Ich liebte Tanzen und ging einmal in der Woche in die Tanzschule. Auch auf den Gesichtern vieler anderer Mädchen hatte sich ein breites Lächeln ausgebreitet, während die Jungs weniger begeistert aussahen. „Hey, das ist doch klasse.“, flüsterte Sophia und stieß mich leicht in die Seite. Ich nickte nur und lachte leise und hoffte insgeheim, dass das schlechte Wetter noch etwas anhalten würde. Mittlerweile teilten unsere Lehrer uns ein. Es war ja nur logisch, dass jeweils ein Junge und ein Mädchen zusammen tanzen würden. Es kam, wie es kommen musste: Ich stand hinterher alleine da. Wir waren nun einmal ein Mädchen mehr. „Mh, Ayashi du wechselst dich bitte mit Luisa ab und tanzt mit Tobi.“, teilte mir der Sportlehrer unserer Jungen mit. Oh nein, dachte ich. Nicht jeden Tanz mittanzen war ja okay, aber dann mit Tobi? Auf seine Fragen hatte ich nun wirklich keine Lust. Die anderen Paare hatten sich schon in der Halle verteilt und ich wollte gerade bei dem Lehrer protestieren und fragen, ob ich nicht auch mit jemandem anderen tanzen konnte, als meine Lehrerin uns unterbrach. „Problem gelöst. Aya, dein Mitbewohner hat sich bereit erklärt heute auszuhelfen.“, sagte sie und grinste breit. Man sah ihr an, dass sie von Akito begeistert war, der neben ihr stand. Ich starrte ihn an und konnte irgendwie nicht wirklich glauben, dass er wirklich da war. Was wollte er hier? Ich hatte ihm doch vorhin gesagt, wann ich heute Schluss hatte. Was machte er dann schon hier? Ich konnte die neugierigen Blicke der anderen in meinem Rücken spüren und sie waren mir wirklich unangenehm. „Nun sucht euch schon einen Platz.“ Mit diesen Worten scheuchte uns meine Lehrerin fort. Akito hielt mir den Arm hin. „Darf ich bitten?“, fragte er lächelnd. Ich harkte mich bei ihm ein und ließ mich von ihm in eine der Ecken führen. „Was machst du denn hier?“, fragte ich leise, während meine Lehrerin im Hintergrund die Schritte vom langsamen Walzer erklärte. „Mh, mich ein bisschen von Geschäftsterminen ablenken.“, antwortete er. „Geschäftstermine?“ Fragend sah ich ihn an, doch er winkte nur ab. „Nicht so wichtig.“ „Kannst du denn von den Terminen einfach weggehen?“ Ich wollte nicht, dass er meine Unsicherheit bemerkte. Er sollte keine Fragen über meinen bisherigen Schultag stellen, denn wie sollte ich ihm denn bitte erklären, dass mich jemand von einem Baum aus beobachtet hatte? „Naja, du siehst doch, dass ich das kann.“ Er sah etwas gelangweilt zu den beiden Lehrern, die gerade erklärten, wie man die Schritte als Paar tanzte, ohne sich dabei auf die Füße zu treten. Etwas nervös strich ich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. Eva warf mir einen neugierigen Blick zu und legte den Kopf schief. Sie formte ihre Lippen zu einem lautlosen „Akito?“ und deutete mit dem Kopf auf den jungen Mann neben mir, der von alle dem scheinbar nichts mitbekam. Ich nickte zögerlich und versuchte mir ein Lächeln auf die Lippen zu zwingen. „Kannst du überhaupt tanzen?“, wollte ich von Akito wissen, als unsere Lehrerin uns aufforderte Tanzhaltung anzunehmen. „Na klar, was denkst du denn.“, erwiderte er wie selbstverständlich. Er zog mich zu sich und legte seine Hand auf meine Taille. „Was kannst du eigentlich nicht?“ Das wollte ich eigentlich nicht laut sagen, doch zu spät. Akito lachte leise und führte mich zum Klang der Musik in die ersten Schritte. „Das wüsstest du wohl gerne, was?“ „Wenn du schon so fragst, ich wüsste gern ziemlich viel über dich.“, gab ich zu. Akito zog die Augenbrauen hoch. „Ach wirklich?“ Sein Grinsen vertiefte sich noch etwas. Ich nickte und spürte, wie mir eine leichte Röte ins Gesicht schoss. „Kein Thema, dann frag einfach aber vorher verrat mir mal, wer der Typ da drüben ist, der gerade versucht mich mit seinen Blicken umzubringen.“ Belustigt führte er mich in eine schwungvolle Drehung. Noch nie war mir das Tanzen so leicht gefallen wie heute. Ich folgte seinem Blick. „Ach das ist Tobi. Achte nicht weiter auf ihn.“ Tobi war wirklich der letzte, über den ich jetzt reden wollte. „ Und jetzt zu dir. Was arbeitest du eigentlich?“, fragte ich, um ihn abzulenken. „Weißt du, mein Vater hatte ein ziemlich großes Unternehmen. Ich bin gerade dabei zu lernen wie man es richtig führt.“, erwiderte er nach einer Weile. Ich schwieg einen Augenblick. „Warum-.. Warum lässt du mich eigentlich so einfach bei-…“, setzte ich an, doch Akito unterbrach mich. „Sag mal ist der Typ da drüben dein Freund oder warum starrt der hier so rüber?“ Ich unterdrückte einen leichten Lachanfall. „Der? Mein Freund? Wohl eher nicht.“ Ein neues Lied begann zu laufen. „Ähm… das ist der Typ aus dem Schwimmbad, der,… Naja, ich denke du weißt das noch.“ „Sicher.“ Mehr sagte er nicht. Um uns herum herrschte munteres Gerede. Manche Paare stritten sich darüber, wer von beiden die Schritte nun falsch tanzte. Andere wiederum schienen sich bestens zu verstehen und lachten fröhlich. Die beiden Lehrer gingen durch die Halle und korrigierten Tanzhaltungen und manche Schrittfehler. Tobi blickte immer noch zu uns herüber und auch Sophia, Eva und vor allem Jenni konnten sich regelmäßige neugierige Blicke nicht verkneifen. Ich hatte noch nie ein so tolles Gefühl beim Tanzen. Akito führte mich in Figuren, die ich noch nie in meinem Leben getanzt hatte. Doch sie fielen mir unglaublich leicht. Er hatte nicht untertrieben. Er konnte tanzen, sogar mehr als nur gut. Zeitweise hatte ich das Gefühl von Leichtigkeit, als ob man schweben würde. „Mh, wenn das so ist.“ Er zog mich etwas näher an sich und brachte sein Gesicht neben mein Ohr. „Dann wollen wir den ganzen Gaffern auch mal was zu gucken geben.“, flüsterte er. Ein kribbeliges und doch auch etwas ungutes Gefühl breitete sich in meinem Bauch aus. „Wieso so nervös?“, fragte er leise und fuhr mit seinen Lippen sanft an meinem Hals entlang. Ich fühlte ein leichtes Brennen auf meiner Haut, dort wo seine Lippen sie berührt hatten. Ich kicherte und trotzdem legte ich meine Hände an seine Brust und schob ihn ein wenig von mir weg. Ich konnte diese Nähe einfach nicht ab. Außerdem, wie war das noch mal? Er hatte viele Affären? Darauf konnte ich nun wirklich verzichten. Aber warum verschwand dann dieses Kribbeln einfach nicht aus meinem Bauch? Und warum war Akito heute so anders? Er wirkte nicht so ernst wie sonst, sondern irgendwie offener und fröhlicher. Ich stand einfach nur da und erwiderte seinen Blick, versuchte daraus schlau zu werden. Plötzlich räusperte sich jemand neben uns. Ruckartig drehte ich mich um und starrte direkt in das Gesicht unsres Sportlehrers. Ich spürte, wie mir die Röte langsam ins Gesicht kroch. Akito schien die Ruhe in Person zu sein. Seine Hand lag immer noch an meiner Taille. „Aya, die Stunde ist vorbei, du kannst dich umziehen gehen.“, sagte er und musterte den blonden, jungen Mann neben mir von oben bis unten. „Ähm, ja natürlich.“, sagte ich kurz und etwas hastig, bevor ich mich aus Akitos Griff losmachte und in die Umkleide ging. „Ich warte draußen auf dich!“, hörte ich Akito hinter mir. Ich seufzte und verfluchte mich innerlich, dass ich eine Gänsehaut bekam, allein schon, als ich an das Gefühl dachte, das seine Lippen auf meiner Haut hinterlassen hatten. Krampfhaft zwang ich mich an etwas anderes zu denken. Irgendwas nur nicht an ihn. Warum musste ich das überhaupt? Ich bin nicht in ihn verliebt, ich kenn ihn doch gar nicht wirklich, redete ich mir ein. Aber warum, verdammt, war es dann so schwer ihn aus meinen Gedanken zu vertreiben? Ich streckte die Hand nach der Türklinke aus und drückte sie hinunter. Nichts ahnend trat ich ein und wollte zu meinen Sachen gehen, als mit allmählich bewusst wurde, dass es um mich herum vollkommen still geworden war. Ich sah auf. Es waren vielleicht noch sieben andere Mädchen da, deren Blick nun auf mir lag. Unsicher setzte ich meine Bewegung fort und griff nach meinem Handtuch, um in den Waschraum zu gehen. Ich ließ das kalte Wasser über meine Arme und meinen Hals laufen. Für eine ganze Weile blieb ich einfach reglos stehen. Irgendein Gefühl hinderte mich daran jetzt schon wieder zu den anderen zurückzukehren. Wie konnte man das nennen? Ich hoffte jedenfalls, dass nicht mehr allzu viele in der Umkleide waren, wenn ich zurückkam. Langsam fuhr ich mit dem weichen Handtuch über meine Haut, auch als sie schon längst trocken war. Alles nur, um noch etwas Zeit zu gewinnen. Vergeblich jedoch. Als ich wieder in die Umkleide kam, standen immer noch ein paar Mädchen rum, die es heute anscheinend nicht so sehr eilig mit de Umziehen hatten. Immer noch schwiegen sie beharrlich und warfen dennoch ziemlich neugierige Blicke zu mir herüber. Eva war die erste die ihre Sprache wieder fand. „War DAS Akito?“, fragte sie und zog ihren Pullover über den Kopf. Ich nickte nur kurz und begann dann mich umzuziehen. „Du weißt nicht zufällig ob er ne Freundin hat oder?“, fragte Sophia frech von der anderen Seite. „Viele.“, antwortete ich und versuchte das Ziepen in meinem Herzen zu ignorieren. „Viele? Wie meinst du das denn jetzt?“, harkte sie nach. „Woher kennst du ihn? Und was hast du mit ihm zu tun?“ Ich seufzte. Eva hatte ihr also nichts erzählt. „Ich kenn ihn aus dem Schwimmbad und wir sind Freunde geworden.“, erwiderte ich. Ich musste hier ja nicht vor allen sagen, dass ich bei ihm eingezogen war. Wenn irgendwann nicht noch so viele andere um uns herum stehen würden, dann würde ich es ihr erzählen. „Freunde? Soso.“, mischte sich nun Jenni ein. „Ich glaube auch nicht, dass er so eine wie dich nehmen würde.“ Sie zog ihr Make-up aus der Tasche. „Ach, wirklich?“, skeptisch sah ich sie an. Neben mir waren Eva und Sophia in Lauerstellung gegangen. „Guck ihn dir doch mal an. Ich mein er ist ja wohl wirklich der Hammer.“, sagte sie und schraubte den Deckel des Döschens ab. Stimmt, pflichtete ich ihr im Stillen bei und verfluchte mich auch gleichzeitig schon wieder für diesen Gedanken. „Außerdem was soll der denn bitte mit einer, die ihn sowieso nicht ranlässt? Mit so einer würde er nie zusammen sein. Was für eine Verschwendung.“, fügte sie noch hinzu. „Das eben da drin war ja wohl Kinderkram.“ Mir blieb im wahrsten Sinne des Wortes die Luft weg. Auch aus den Gesichtern von Sophia und Eva war die Farbe gewichen. Mir hatte es die Sprache verschlagen. Ich drehte mich um und beeilte mich beim Umziehen und Sachen zusammen packen. „Ich bin ja auch der Meinung, dass Basti alles richtig gemacht hat.“, fuhr sie unbeirrt fort. Mein Körper begann zu zittern und in meinem Bauch rumorte es. Übelkeit breitete sich darin aus. „Halt den Mund.“, presste ich mühsam hervor. „Sag nicht, dass du immer noch nicht drüber hinweg bist.“; höhnte sie. Vorsichtig strich ich über die Narbe an meinem Handgelenk. „Jetzt sei still.“, zischte ich leise. „Ich glaub es nicht.“, kicherte sie. „Aber was will man auch erwarten, von so einem Freak wie dir.“ Sie betrachtete sich im Spiegel und fuhr ihre Lippen dann mit einem rosafarbenen Lipgloss nach. „Jetzt halt endlich den Mund.“, erwiderte ich aufgebracht. Er herrschte eine Weile totenstille. Man konnte nur den Wind, der plötzlich viel heftiger geworden war an den kleinen Fenstern der Umkleide rütteln hören. „Es ist mir egal, was du über mich denkst okay?“, fuhr ich dann ruhig fort und stopfte die letzten Sachen in meine Tasche. „Mach mit deinem Leben was du willst. Schmier dich weiterhin so mit Make-up zu, hüpf meinetwegen durch sämtliche Betten der Stadt und beglücke die Typen aber halt dich aus meinem Leben raus, verstanden? Es geht dich nichts an.“ Jenni starrte mich an, als hätte ich ihr mitten ins Gesicht geschlagen. Sie hatte noch nie erleben müssen, wie es ist, wenn jemand etwas gegen sie sagte. Noch immer beherrschte dieses unberechenbare Gefühl meinen Bauch und breitete sich langsam aber sicher in meinem ganzen Körper aus. Es war ein Gefühl von Schwäche, das ich schon lange nicht mehr gespürt hatte. Ich schwang meine Tasche über die Schulter und machte mich auf den Weg zur Tür. Mein Kopf war vollkommen leer, denn ich versuchte jede aufkommende Erinnerung soft wieder zu verscheuchen. Ich war noch lange nicht bereit mich ihnen zu stellen. ~†~ Er stand draußen und wartete auf sie. Er hatte sich an die Wand gelehnt und war in Gedanken versunken. Er war immer noch in der großen Halle bei all den anderen Ratmitgliedern. Er schloss die Augen. In seiner Handfläche konnte noch deutlich Rafaels Herzschlag spüren, der begonnen hatte zu Rasen, als Akito ihm die Luft abdrückte. Er war mal wieder zu weit gegangen, das wusste er. Was hätte er von dem anderen erwarten sollen? Dass er Akito mit offenen Armen in Empfang nahm? Aber es war wohl sehr unwahrscheinlich, dass man seinen Feind unbedingt mit Freundlichkeiten überschüttete. Ich hab die Kontrolle über mich verloren, gestand Akito sich sein. Warum war ihm dieses Mädchen so wichtig, dass er sich sogar beim Rat dafür noch unbeliebter machte? Eigentlich fühlte er nichts für sie. Sein Handy klingelte. Seine Finger waren steif und zitterten leicht vor Kälte, deshalb bereitete es ihm etwas Mühe das kleine Telefon aus der Hosentasche zu ziehen. Er öffnete die SMS. Von: Liv Am: Mittwoch, 21. September; 13.18 Uhr Hey Akito. Ich bin immer noch in der Stadt. Bitte, wir müssen uns unbedingt treffen. Versteh doch, ich brauche dich. Liv Er schüttelte kurz den Kopf. Diese Frau war wirklich unmöglich. Tja, selber Schuld, sagte er sich, du musstest ja unbedingt mit ihr ins Bett gehen. Er dachte einen Moment ernsthaft darüber nach alle Frauen einfach abzuschreiben. Dann grinste er flüchtig. Das würde er sowieso nicht tun, komme was wolle. Er öffnete eine leere Nachricht auf dem Display, um Liv zu antworten. Wenn sie sich unbedingt mit ihm treffen wollte, dann bitte. Sie wusste, wie er für sie fühlte. Er konnte und wollte ihr die Liebe nicht geben, die sie für ihn empfand. Aber bitte, solange es ihr reichte mit ihm ins Bett zu gehen. Seine Finger flogen über die Tasten und im Nu war die Antwort fertig und wurde abgeschickt. Gerade wollt Akito Yukis Nummer wählen, um ihm zu sagen, wo sie sich treffen sollten, als er Stimmen vernahm. Er kannte die eine Stimme irgendwo her, er war sich jedoch nicht mehr ganz sicher woher, die andere gehörte zweifelsfrei Aya. Sie waren noch drinnen in der Umkleide, doch er konnte sie dank seiner übermenschlichen Sinne trotzdem hören und das, was er verstand gefiel ihm ganz und gar nicht. Die fremde Stimme wirkte arrogant und herablassend, während er aus Ayas etwas heraushören konnte, was ihn aufmerksam werden ließ. Er hörte Angst, eine Spur von Verzweiflung und doch klang ihre Stimme vollkommen sicher. Zunächst sah er nicht wirklich Sinn in den Worten der beiden. Nicht ranlassen…? Basti hatte Recht gehabt…? Kinderkram…? Freak…? Es hatte ihn noch sehr belustigt, als die fremde Stimme meinte, Aya würde ihn sowieso nicht ranlassen. Mh, das wäre doch mal eine Herausforderung, dachte er sich mehr ironisch, als wirklich ernst gemeint. Sie würde mich nicht ranlassen? Na, das kann man ja nachprüfen. Er hatte es für die üblichen Zickerein der Mädchen in diesem Alter gehalten, doch als nun Aya wieder zum sprechen ansetzte, keimte wieder dieses Gefühl von Sorge in ihm auf. Das, was sie sagte klang wie eine einzige Drohung. Eine Drohung voller Verzweiflung und Schmerz. Zu gern würde er wissen, was gerade in ihrem Kopf vorging. Langsam tastete er mit seinem Geist nach ihrem. Ihr Kopf war leer. Vollkommen leer, als würde sie Versuchen jeden Gedanken daraus zu vertreiben. Es kam ihm vor, als wolle sie irgendetwas verdrängen. Er spürte ihr Herz rasen, ihr Blut rauschen. Er zuckte zurück, als ihre Gefühle ihn mit voller Wucht trafen. Er hatte noch nie so eine Art von Angst und Verzweiflung erlebt, noch nie Schmerz in dieser Weise gefühlt. Es waren noch nicht einmal seine Gefühle und dennoch überfielen sie ihn so heftig, dass er für eine Weile wie gelähmt war. Er spürte, wie sie von seinem Körper Besitz ergriffen und sich darin ausbreiteten. Mit einem Ruck entfernte er sich aus ihrem Geist und musste mehrmals ruhig durchatmen, um sein schnell schlagendes Herz wieder zu beruhigen. Wie hielt sie das aus? Wie konnte sie mit diesem Gefühlssturm in sich leben und auch noch lachen? Er hörte das leise Quietschen einer Tür und drehte sich um. Aya trat aus der warmen Halle und holte tief Luft. Sie war blass geworden. Als sie ihn bemerkte breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. Sie kam ein paar Schritte auf ihn zu und setzte ihre Tasche auf dem Boden ab. „Wie schön, dass du mich abholst.“, sagte sie und strich sich kurz durch die dunkelblonden Haare. In diesem Moment passierte etwas Seltsames mit Akito. Er spürte den Drang in sich, ebenfalls ihr Haar zu berühren. Wie es sich wohl anfühlt, fragte er sich und sah sie an. Er wollte ihr Helfen, wollte sie aus dieser Angst und Verzweiflung herausholen, wollte ihr helfen, dass zu vergessen, was sie so angestrengt zu verdrängen versuchte, sodass ihr Lächeln wieder ehrlich sein konnte. Er fühlte sich in diesem Moment wie ihr großer Bruder oder so etwas. Sie war für ihn, wie ein kleines Kind, das unendlich Traurig war. „Ich hab doch gesagt, dass ich heute komme.“, erwiderte er und schaffte es einfach nicht sie anzulächeln. Nicht jetzt, wo er wusste, welche Gefühle in ihrem Inneren tobten. Du bist nicht verantwortlich für sie, redete er sich ein, es wäre besser, wenn du sie einfach getötet hättest. Aber warum zu Hölle fühlte er sich dann trotzdem verantwortlich für sie? Warum fühlte er so…? ~†~ Etwas in Akito Gesichtsausdruck hatte sich verändert. Warum sah er mich so seltsam an? Ich senkte meinen Blick und fühlte mich auf einmal sehr merkwürdig und unwohl. Ich räusperte mich. „Was hast du jetzt mit mir vor? Unternehmen wir was Besonderes?“, fragte ich und versuchte so meine Unsicherheit zu überspielen. „Das weiß ich noch nicht genau.“, sagte er leise und hob langsam die Hand. Wie gebannt beobachtete ich seine Bewegung. Ich spürte schon wieder, dass mein Herz schneller schlug als sonst. Stopp, dachte sie sich, warum schlägst du so wild? Ich… Ich bin nicht in ihn verliebt. Das geht gar nicht so schnell. Ich kenne ihn doch gar nicht. Seine Finger schlossen sich um mein Handgelenk. „Akito, was-…“ Ich stolperte ein paar Schritte vorwärts, als er mich an sich zog. Er schlang seine Arme um mich. „Ich weiß nicht, um was es ging aber hör nicht auf sie.“ Seine Lippen waren genau auf der Höhe von meinem Ohr und so verstand ich ihn, auch wenn er sehr sehr leise sprach. Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Ich brachte ohnehin kein Wort heraus. Eine seltsame Gefühlsmischung tobte in meinem Inneren. Die eine Seite wollte die Hand heben und seine Haut berühren. Diese Seite überkam plötzlich der Drang zu wissen, wie sich seine Lippen wohl anfühlten. Die andere Seite hatte eine riesige Mauer aufgebaut, hinter der sie sich zurückzog. Sie würde mich zwingen ihn abzublocken und mich aus seiner Umarmung zu befreien. Doch trotz dieses inneren Zwiespalts war ich in diesem Moment unfähig mich zu bewegen. Er hat viele Freundinnen, kamen mir plötzlich meine eigenen Worte in den Sinn. Ich darf mich nicht in ihn verlieben, das geht einfach nicht, dachte ich und versuchte so meine Vernunft zu unterstützen. Ich darf nicht-… Langsam schloss ich die Augen und ließ meinen Kopf auf seine Schulter sinken. Seine Wärme war der Trost, den ich gerade so dringend brauchte. Am liebsten würde ich weinen. Ich war so wütend, verzweifelt und hasste mich in diesem Moment regelrecht selbst. Jennis Worte saßen tief und es fühlte sich so an, als hätte jedes einzelne von ihnen eine Klinge in mein Herz getrieben. Am tiefsten saß jedoch die Einsicht, dass ich die Vergangenheit immer noch nicht hinter mir lassen konnte. Sanft strich er mir ein paar lose Haarsträhnen hinters Ohr. Als seine Finger meine Haut berührten hielt ich den Atem an. Ich hörte mein eigenes Blut rauschen und es wunderte mich, dass mein Herz ganz normal schlug, nachdem es vorhin so gerast hatte. Behutsam fuhr er erneut mit seinen Lippen über meinen Hals. Ein leichtes Zittern lief durch meinen Körper. Ich öffnete die Augen und drehte meinen Kopf ein klein wenig, bis ich direkt in seine grünen Augen sah. „Aya…“, sagte er leise. Jetzt küss mich endlich, dachte ich und schrak im selben Moment auch wieder vor diesem Gedanken zurück. Ich spürte, wie sein Atem über meine Haut strich, seinen ruhigen Herzschlag und sah doch noch diese Kälte in seinen Augen, als sei alles nur ein Spiel, als sei ich nur irgendwer. Nur eine von vielen… Nein, nein, nein, das durfte nicht passieren. Wenn ich mich jetzt dazu hinreißen lassen würde, ihn zu küssen dann war das gegen jede Vernunft. Aber warum wollte ich es dann? Warum zur Hölle fühlte ich so…? Kapitel 8: Paint it black ------------------------- Lange her v.v. Nya ^^ k.p. obs noch wer liest xD _________________________________________________________________________________ Kapitel 8 – Paint it black Ein leises, gleichmäßiges Piepen erfüllte den Raum, als sie erwachte. Ihr Kopf schmerzte und ihr Körper fühlte sich merkwürdig schlapp an. Leise stöhnte sie auf, als sie sich aufsetzte und legte die Hand an die Stirn. Sie fuhr mit den Fingern über die Augen und versuchte sich an irgendetwas zu erinnern. Es war dunkel in dem Zimmer und dann war da ya auch noch dieses Piepen, woher kam es eigentlich? Sie war schrecklich müde und hätte sich am liebsten wieder zurück in die weichen Kissen gelegt. Wie war sie überhaupt hier her gekommen? Was war passiert? Sie wollte sich durch die Haare streichen, doch fühlte nur verklebte und verfilzte Strähnen. Was zum Teufel…? Wie war das passiert? Ihre Gedanken begannen zu kreisen, sie verstand sie jedoch nicht. Alles war dunkel und schemenhaft ohne feste Konturen. Warum drehte sich alles? Sie zwang sich ruhig zu atmen. Irgendetwas versetzte sie in Panik. Eine panische Unruhe, die sie nicht mehr verließ. Langsam sank sie zurück in die Kissen. Ihre Augen schlossen sich und sie verfiel in einen leichten Dämmerschlaf. Sie wusste nicht wann, doch irgendwann begann sie zu träumen. Sie stand auf einem leeren Platz. Es war unglaublich kalt und stockfinster. Sie versuchte einen Fuß vor den nächsten zu setzten aber ihre Beine bewegten sich keinen Millimeter. Ein eiskalter Wind fegte über den leeren Platz. Sie kannte diesen Ort, da war sie sich hundertprozentig sicher. Krampfhaft versuchte sie nachzudenken und herauszufinden woher, doch es schien als sei eine unsichtbare Schranke in ihrem Kopf, die ihr den Zutritt zu jeglichen Erinnerungen verbot. Sie sah sich um. Um sie herum waren Schatten. Von Häusern? Von Steinen? Von Bäumen, Gestalten oder waren es einfach nur Schatten? Ihre Kehle war trocken und eine Gänsehaut zog sich über ihren Körper. Was verdunkelte den Himmel nur so? Ihr Blick wanderte nach oben. Irgendetwas bewegte sich ziemlich schnell. Oder Irgendwer… Ein Schauer lief über ihren Rücken. Sie schluckte. Ich will aufwachen, dachte sie. Ich weiß doch, dass das alles nur ein Traum ist. Sie zuckte zusammen, als plötzlich von überall her Schreie zu hören waren. Ihr Klang zerriss ihr das Herz, drang tief in ihre Seele und setzte sich in ihrem Kopf fest, wie ein immer wiederkehrendes Echo. Eine Weile geschah gar nichts, dann vielen die ersten Tropfen vom Himmel. Schwarzer Regen… Nein nicht schwarz. Rot, dunkelrot… Blutrot. Sie streckte ihre Hände aus und fing einige dieser Tropfen auf. Sie waren warm, liefen über ihr Gesicht wie Tränen, sickerte aus ihren Klamotten und bildeten Pfützen auf der Erde. Ein unheilvolles Rauschen erfüllte die Luft, dann landete der erste leblose Körper mit einem grässlichen Krachen auf der Erde. Sie konnte nicht anders, sie starrte auf das Wesen. Die hellgrauen Schwingen sogen das Blut vom Boden auf und färbten sich allmählich Rot. Die Haut des Mannes war blass – nein, sie war weiß und bleich. Totenbleich. Die Augen waren geschlossen, auf seinen Wangen sah man jedoch rote Spuren, als hätte er Blut geweint. Aber er hatte nicht geweint, das wusste sie. Er lag einfach da auf dem Rücken. Unbeweglich, leblos, tot… Ruckartig drehte sie sich um, als sie hinter sich ein weiteres Krachen hörte. Dann neben sich, wieder vor ihr, hinter ihr. Sie hob ihr Gesicht dem Himmel entgegen. Ihr Herz blieb stehen. Überall fielen Gestalten zu Boden. Gestalten, die sie kannte. Blut spritzte umher. Sie konnte nicht mehr atmen, ihr Hals war wie zugeschnürt und um ihre Brust lag eine Kette. Nein, dachte sie, ich will aufwachen. Tränen liefen über ihr Gesicht. Es war, als hätte jemand alle glücklichen Gedanken und Erinnerungen aus ihr gesaugt. Eine weitere Gestalt fiel direkt vor ihr auf die Erde. Sie schrak zurück, als sie Kai sah. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. Langsam öffnete er die Augen und sah sie an. Sämtlicher Glanz fehlte in seinen dunkelbraunen Augen. Seine Lippen bewegten sich. Hastig beugte sie sich zu ihm herunter. „Kai! Was hast du gesagt? Ich… ich hab es nicht verstanden.“, sagte sie hastig und etwas Hoffnung keimte in ihr auf. „Nalia.“, flüsterte er schwerfällig. „Du.. du hättest da oben sein sollen. Nicht..“ Er hustete. „Nicht ich…“ Das blonde Mädchen wich von ihm zurück. „Nein.“, erwiderte sie leise. Plötzlich drangen von überall her Stimmen. Sie alle sagten das Gleiche. Alle denselben Satz, der sie wahnsinnig machte. Sie wollte sich die Ohren zuhalten, doch die Geräusche waren immer noch zu hören. „Du solltest da oben sein und du bist Schuld, wenn er stirbt.“ Sie wollte rennen, weg von dem Geschehen, doch egal wohin sie lief die Stimmen vergingen nicht. „Du solltest da oben sein und du bist Schuld, wenn er stirbt.“ Durch den dichten Regenschleier sah sie eine Gestalt. Sie stand aufrecht da und schien in ihre Richtung zu blicken. Wer war das? Vielleicht konnte sie ihr helfen? Sie nahm ihre letzte Kraft zusammen und lief auf die Person zu. Als sie vor ihr stand traute sie ihren eigenen Augen nicht. Sie stand vor sich selbst. Als würde sie in einen Spiegel gucken. Ihr gegenüber öffnete den Mund. „Ich sollte da oben sein und ich bin Schuld, wenn er stirbt.“ Sie starrte ihr anderes Ich an, das die Hand nach ihrem Hals ausstreckte. Ihre kalten Finger legten sich auf ihre Haut. Sie wollte das Spiegelbild wegstoßen, doch griff sie durch es hindurch. Die Finger drückten zu und sie schrie… „Nalia!“ Eine Stimme drang in ihr Bewusstsein. Zum wem gehörte sie? Sie kannte sie auf jeden Fall. „Nalia beruhig dich.“ Ihre Gedanken wurden klarer. Ich… Ich habe geträumt, dachte sie und spürte doch noch, wie ihr Herz heftig pochte. Langsam schlug sie die Augen auf. Yuki… Er hatte sich über sie gebeugt. Er strahlte so eine unglaubliche Ruhe aus. „Was ist passiert?“, fragte er besorgt. „Du hast geschrieen und um dich geschlagen.“ Er hatte Recht. Erst jetzt fiel ihr auf, dass er ihre Arme festhielt und auf die Matratze drückte. „Ich bin Schuld.“, sagte sie und drehte ihr Gesicht zur Seite. Skeptisch sah er sie an. „Woran? Woran bist du Schuld?“, wollte er wissen. Er runzelte die Stirn. Was war mit ihr passiert? Was war überhaupt passiert? Er hatte nur einen groben Überblick über die Situation erhalten. Ein Angriff auf Atora war fürchterlich schief gelaufen. Sehr viele schwer verletzte, kaum überlebende. Keine von den Opfern war bis jetzt ansprechbar. Nalia war noch Stundenlang mit anderen Helfern immer wieder zurück zu dem Ort des Geschehens gegangen und hatte Überlebende gesucht und Tote mit nach Hause gebracht. „Ich bin Schuld, wenn Kai stirbt.“, sagte sie leise. „Wieso das denn? Wie kommst du auf so was?“, fragte er erschrocken und ließ ihre Arme los. Er setzte sich zu ihr auf die Bettkante und sah sie an. Akito hatte ihn für eine Weile gehen lassen, diese Zeit hatte er eigentlich anders nutzen wollen, doch diese Situation hatte Vorrang. Er kannte Nalia so nicht. Sie war eigentlich immer gut drauf und freundlich, konnte gut mit Problemen umgehen und hatte auch keine Schwierigkeiten damit sie aus der Welt zu schaffen oder auf andere Leute zuzugehen. Jetzt lag sie neben ihm, hatte ihr Gesicht immer noch abgewandt und ihr Brustkorb hob und senkte sich rasch. „Ich hätte da oben sein sollen. Nicht er. Ich hab ihn gefragt, weil…weil ich Angst hatte. Verdammt, nur weil ich zu feige war muss er vielleicht sterben.“, sagte sie plötzlich sehr heftig und setzte sich hastig auf. Tränen standen in ihren Augen. Tränen der Wut und der Verzweiflung. „Hör auf dich so fertig zu machen, Süße.“, erwiderte Yuki und strich ihr mit der Hand über die Wange. „Wie,… wie geht es ihm?“, fragte sie nach einer Weile leise. Was sollte Yuki sagen? Die Wahrheit? Oder sollte er sie besser anlügen, damit es ihr besser ging? Aber würde sie sich dann wirklich besser fühlen? „Nun,… Es geht ihm… Er ist noch nicht außer Lebensgefahr. Er ist noch nicht bei Bewusstsein. Rikku ist die meiste Zeit bei ihm. Seit sechs Stunden hat sie keinen Fuß mehr aus seinem Zimmer gesetzt. Es geht ihm nicht gut aber er lebt und, Nalia, er wird das schaffen. Er ist stark.“, versuchte er sie zu beruhigen. „Was soll ich Rikku sagen? Dass ich ihn gefragt habe, ob er für mich mit nach oben geht? Ich kann ihr wohl schlecht sagen, dass es mir Leid tut oder so etwas. Ich-…“ „Aber das brauchst du doch auch nicht.“, unterbrach sie das blonde Mädchen, das eingetreten war. Man konnte noch die Tränenspuren auf ihren Wangen erkennen, doch in diesem Moment versuchte sie zu lächeln. Hinter ihr stand ein braunhaariger, großer Mann, der gerade einen bitterbösen Blick auf Yuki warf. Dieser hatte sich erhoben und starrte betont auffällig an seinem gegenüber vorbei. Eriol,… Nalias Freund. Man konnte schon sagen, dass sich Yuki und Eriol nicht besonders gut leiden konnten. Vollkommen unbegründet war Eriol eifersüchtig auf Yuki. „Rikku…“, flüsterte Nalia. Sie folgte mit ihrem Blick jeder Bewegung Rikkus, die sich an Yuki vorbei schob und sich auf die Matratze setzte. Sie sagte nichts mehr. Die beiden Mädchen sahen sich eine ganze Weile schweigend an, dann streckte Rikku die Arme aus und schlang diese um Nalia. Beste Freundinnen, dachte Yuki sich und drehte dem Geschehen den Rücken zu. Für ihn gab es hier nichts mehr zu tun. Ohne ihn einem Blickes zu würdigen ging der Schwarzhaarige an Eriol vorbei und ignorierte dessen bösen Blick… ~†~ „Hey, nehmt euch ein Zimmer.“ Ich zuckte zusammen und drehte erschrocken den Kopf zu Seite. Yuki kam die letzten Schritte auf uns zu. Ein Grinsen lag auf seinen Lippen und doch schimmerte etwas undefinierbar Negatives in seinen Augen. Warum jetzt, dachte ich. Aber vielleicht ist es doch besser so. Er hat viele Freundinnen… Ich drückte mich widerwillig ein Stück von Akito weg. Es war besser so! Das sagte mir zumindest meine innere Stimme. Ich spürte wie mir die Röte ins Gesicht schoss. „Ein Zimmer? Wofür das denn?“, kam plötzlich eine gehässige Stimme von der anderen Seite. Jenni und ihre zwei Tussi-Freundinnen standen im Türrahmen zur Sporthalle und grinsten höhnisch. „Das würde sich sowieso nicht lohnen. Die lässt sowieso keinen ran.“ Ich trat ein paar Schritte von Akito weg auf sie zu. Die Wut stieg wieder in mir auf und sammelte sich in meinem Bauch zu einem festen Knoten. Ich wollte gerade etwas nicht sehr nettes erwidern, doch Akito kam mir zuvor. „Ach wirklich?“ Er zog skeptisch eine Augenbraue hoch. „Na, siehst du doch.“, erwiderte sie und strich aufreizend ihr langes Haar zurück. „Tu ich das?“, fragte Akito. Rasch stand er hinter mir und schlang seine Arme von hinten um mich. Sein Geruch stieg mir erneut in die Nase und ich schloss die Augen. Er roch so unglaublich gut. Seine Fingerspitzen strichen langsam über meinen Hals. Nicht anfassen, dachte ich nur. Bitte nicht. Ich brachte keinen Ton heraus und versuchte einfach die unheimliche Angst in mir zu verstecken. Akito lachte leise. Ein kühles und doch wundervolles Lachen. „Eine einzige Nacht mit ihr ist besser als drei mit dir.“ Mein Herz stockte einem Moment und ich überlegte ob ich ihm nun gewaltig die Meinung sagen sollte oder in lautes Gelächter ausbrechen sollte. Dann hielt ich einen Moment inne. Die beiden kannten sich? Akito war mit Jenni im Bett gewesen? Mir lief ein Schauer über den Rücken und was ich davon halten sollte wusste ich erst recht nicht. Ich öffnete meine langsam meine Augen. Die von Akito gewünschte Reaktion schien eingetreten zu sein. Sie starrte ihn an und schien keinen einzigen Ton herauszubekommen. Ihre Augen waren zu Schlitzen verengt, aus denen sie wütend hervorblickte. Nun hörte man ein unterdrücktes Lachen von Yuki. „Akito, können wir nun endlich los? Der Tag dauert nicht ewig.“, sagte er und wandte sich zum Gehen um. „Na das stimmt allerdings.“, erwiderte Akito. Er griff nach meiner Hand und zog mich von den anderen weg. Ich war immer noch vollkommen perplex und wusste nicht, was mit unwirklicher vorkommen sollte. Dass er mit Jenni geschlafen hatte oder das er behauptet hatte er und ich… Hastig vertrieb ich diesen Gedanken aus meinem Kopf. Er würde früher oder später nur zu unangenehmen Erinnerungen führen. „So und jetzt?“, fragte ich, als wir uns den großen, eisernen Schultor näherten. Ich wusste selbst, dass ich das eigentlich nur wissen wollte, damit ich nicht weiter nachdenken konnte. Ich wollte mich ablenken, hatte das Gefühl, als würde ich wieder in diesem Albtraum sinken. Langsam zog ich meine Finger aus Akitos Hand. Er sah mich an. Ich spürte es. Ich starrte einfach weiter geradeaus, tat so, als würde ich das alles nicht bemerken. „Also ich bin noch verabredet.“, sagte Akito. „Liv wollte mich gleich hier abholen.“ „Liv?“, fragte Yuki. Er schien überrascht zu sein. „Was macht sie hier?“ „Sie wollte mich treffen.“, erwiderte Akito schlicht. Yukis Gesichtsausdruck verfinsterte sich. „Na dann, viel Spaß.“ „Danke. Aya, wir sehen-…“, setzte Akito an. „Akito!“ Ich wendete mich nach rechts. Wow, schoss es mir augenblicklich durch den Kopf. Eine Frau mit glänzenden, schwarzen Haaren, die ihr bis fast zur Hüfte den Rücken hinab fielen, kam auf uns zu. Ich war sofort neidisch, das würde ich auch offen zugeben. Sie war wunderschön. Ihre blasse, fast weiße Haut schien keinerlei Makel zu haben. Ihre Augen waren kunstvoll in einem tiefen schwarz geschminkt und ihre Lippen waren tiefrot. Sie war schlank und vielleicht fünf Zentimeter größer als ich. Sie trug einen langen, dunkelroten Mantel, der bis fast auf die Erde reichte. Und trotzdem, irgendetwas wirkte nicht schön an ihr. War es diese Kälte, die sie ausstrahlte? Sie ging an mir vorbei. Würdigte mich keines Blickes. Als wäre ich nicht da, unsichtbar, Luft. Ich stand da wie erstarrt. War das Liv? Ein eisiger Schauer lief über meinen Rücken. „Gehen wir?“, hörte ich sie hinter mir fragen. Selbst ihre Stimme war wunderschön. Ruhig, weder tief noch hoch. Sie war genauso schwer zu beschreiben, wie die ganze Erscheinung an sich. So schön konnte einfach kein Mensch sein. Was war sie? Ich wusste nicht, wie lange ich da gestanden hatte. Zehn Sekunden? Eine Minute? Yuki holte mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Er legte mir die Hand auf die Schulter. „So, wollen wir auch los?“, fragte er. Ich ging gar nicht auf seine Frage ein. Ich bekam diese Frau einfach nicht aus meinem Kopf. „War das eben Liv?“, wollte ich wissen. Es war, als würde ich langsam aus diesem Traum erwachen. „Ja.“, antwortete er nur. „Wer ist sie?“ Ich sah zu Yuki auf. Nach einigen Sekunden wurde mir allerdings klar, dass diese Frage sehr blöd geklungen haben musste. Ich wollte gerade noch etwas sagen, als Yuki lachte. „Na das wundert mich nicht, dass du das wissen willst. Eine ungewöhnliche Erscheinung, nicht wahr?“ Ich seufzte. „Wem sagst du das. Sie kann unmöglich ein Mensch sein.“ Der Schwarzhaarige lächelte nur geheimnisvoll. „Naja, auf jeden Fall ist sie die, ähm sagen wir mal die Daueraffäre von Akito.“ Seine Stimme klang ziemlich skeptisch. „Daueraffäre?“ Ich zog die Augenbrauen hoch. „Sie sind nicht zusammen?“ „Akito und eine feste Freundin? Eher werden Vampire zu zähmbaren Wesen.“, erwiderte Yuki und ich wusste nicht genau, ob er das jetzt ernst oder doch nur zum Spaß gemeint hatte. „Akito und Liv…“ Er schwieg eine Weile. „Sie treffen sich öfter mal wieder. Schon seit vielen Monaten, wenn nicht schon seit Jahren. Soweit ich weiß hat Akito nie so etwas wie Liebe oder Zuneigung für sie empfunden. Frag mich nicht, warum aber das hat er glaube ich noch nie für eine seiner, sagen wir mal, Affären.“ „Halt, Stopp, das will ich gar nicht wissen.“, unterbrach ich ihn. „Soweit geht mich sein Privatleben dann doch nichts an. Bevor du mit Details anfängst, sag mir lieber, was du jetzt mit mir vorhast.“ Ich versuchte es möglichst ironisch klingen zu lassen. Ich hatte keine Lust auf ein erstes Gespräch über Akitos Liebesleben, denn es kam ein seltsamen Gefühl in mir auf, wenn ich an ihn dachte. Wenn ich daran dachte, dass er mich vielleicht fast-… Nein, einfach nicht weiterdenken. Ich sah zu Yuki. Er grinste. „Na das wüsstest du wohl gerne was?“ Ich seufzte. Warum dachten die eigentlich immerzu an das Eine? „Yuki,…“, sagte ich leicht genervt. „Ist ja schon gut. Mh ich würde mal sagen: Lass dich überraschen!“ Ich zuckte nur die Schultern. Es würde sich ja herausstellen ob Yuki der Typ war, der eher unangenehme Überraschungen bereitete. Er hielt mir die Autotür auf und ich ließ mich auf den Sitz fallen. „Wie war es in der Schule?“, fragte er, als er neben mir saß und den Motor anließ. „Mh, ging so. Eigentlich ganz okay.“, erwiderte ich. Ich war mir unsicher und wusste eigentlich gar nicht so genau, was ich zu ihm sagen sollte. Über was konnte man so mit ihm reden? Eine ganze Weile herrschte ein unangenehmes schweigen, während Yuki den Blinker setzte, nach rechts abbog und das Auto sich in den dichteren Verkehr der Hauptstraße einfädelte. „Seit wann kennst du Akito schon?“, fragte ich. „Oh. Ähm, das weiß ich gar nicht so genau. Auf jeden Fall schon ziemlich lange.“, erwiderte er. „Mh. Und was machst du so? Also, ich meine, ob du Schule machst oder so.“ Ich sah zu ihm herüber. „Mh, ich hab letztes Jahr meine Schule fertig gemacht und seit dem hab ich in verschiedenen kleinen Jobs gearbeitet.“, erklärte er. „Du, stört es dich, wenn ich hier gleich noch mal schnell anhalte? Beim Friseur?“ Ich schüttelte kurz den Kopf. „Nein, das ist schon okay.“ Er lächelte. Ein wunderschönes Lächeln, wie mir auffiel. Ich lehnte mich wieder im Sitz zurück und starrte aus dem Fenster. Es war wieder einer dieser vollkommen gedankenfreien Momente, die ich liebte und verdammte zugleich. Die Häuser und Seitenstraßen zogen an uns vorbei ohne, dass ich wirklich auf sie achtete. Mir schien dir Fahrt noch eine halbe Ewigkeit vorzukommen, besonders, weil vollkommene Stille herrschte. Ich wusste nicht, was ich ihm noch fragen könnte und er schien gar nicht erst Interesse daran zu haben etwas über mich zu erfahren. So wartete ich schweigend ab, bis er in einer mir sehr bekannten Gegend hielt und den Motor des Autos abstellte. Etwas überrascht stellte ich fest, dass er wohl den gleichen Friseursalon besuchte, wie ich auch. „Oh…“, rutschte es mir heraus. Ich öffnete die Tür und stieg hinaus in die kühle Luft. Mein Atem stieg in kleinen, weißen Wölkchen auf in den Himmel. „Oh…?“ Fragend sah Yuki mich an. Ich schüttelte nur den Kopf. „Schon gut.“ Ich fröstelte leicht. „Sehen wir zu, dass wir da rein kommen. Es ist zu kalt hier.“ „Ach wirklich?“ Er zog belustigt die Augenbrauen hoch. Er schlug den Kragen von seiner dunkelbraunen Jacke nach oben und huschte über die Straße. „Hey! Jetzt warte doch!“ Ich beeilte mich ihm zu folgen und rannte hinterher. Als ich ihn eingeholt hatte war ich außer Atem und sah ihn vorwurfsvoll an. „Fiesling.“, keuchte ich. Er lachte nur und wuschelte mir durch die Haare. Er drehte sich um und stieß die Glastür auf, die hinein in den warmen Laden führte. Ein Glöckchen bimmelte, als wir eintraten. Ich sah mich in dem vertrauten Raum um. In diesem Moment waren nur wenige Kunden da, die auf den dunklen Stühlen vor den Spiegeln saßen und die Haare geschnitten bekamen. Wie immer lief leise Musik. Nicht die Art, die in den meisten Friseursalons lief. Sie war genauso speziell, wie die Leute, die hier arbeiteten und die sich hier die Haare schneiden ließen. Gerade sahen Jey und Lilly auf. Zwei Friseure von denen jeder seinen eigenen, irgendwie seltsamen Stil hatte. „Hey Aya!“, sagte Jey und kam auf uns zu. „Was darf es denn heute sein? Lila Strähnen vielleicht?“ Grinsend musterte er mich abschätzend und verdrehte die Augen in Richtung Lilly, die anscheinend mal wieder eine neue Phase ausprobieren musste. Grelle pinkfarbene Strähnen zierten ihren Kopf. „Hi Jey. Nee, danke. Lass mal.“ Erwiderte ich abwehrend, ebenfalls den Blick auf die Haare gerichtet. „Yuki, du lässt dich auch mal wieder hier blicken.“, sagte Jey gerade gespielt vorwurfsvoll zu Yuki und hielt ihm die Hand hin. Dieser schlug ein und grinste. „Wird ja auch mal wieder Zeit oder nicht?“ Er fuhr sich durch die Haare. „Na lästert ihr wieder über mich?“, fragte Lilly, die nun ebenfalls auf uns zukam. Sie umarme sowohl mich als auch Yuki, bevor sie uns misstrauisch ansah. „Wie kommst du bloß darauf?“, meinte Jey sarkastisch. Seine Kollegin verzog nur das Gesicht. „Wollen wir anfangen Yuki? Ich hab gerade sowieso nichts zu tun.“ Sie wandte sich an ihn, als ob nichts geschehen wäre. Er zuckte mit den Schultern. „Meinetwegen. Geht ja schnell.“ Fragend sah er mich an. „Mach nur.“, antwortete ich. „Ich hab Zeit.“ „Wie?“, schmollte Jey. „Du heute nicht?“ „Mh, nee eigentlich nicht. Ich hab auch gar kein Geld dabei.“ Yuki beugte sich grinsend zu Jey rüber und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Lilly und ich wechselten nun ebenfalls fragende Blicke. Die beiden Jungs fingen plötzlich an zu lachen. „Mir schwant Böses.“, sagte Lilly seufzend. „Aber Lilly, Schatz, wir? Böse? Niemals.“, witzelte Yuki. Jey stand neben ihm und beide hatten ein unheimliches Grinse auf den Lippen. „Aya, wärst du bereit für ein Experiment?“, wollte Jey von mir wissen. „Hey, Menschenversuche sind verboten, ich hoffe das weißt du!“, konterte ich ausweichend. „Komm schon, Aya.“, drängelte nun auch Jey. Er setzte seinen Dackelblick auf. „Was habt ihr mit mir vor?“, fragte ich und sah von einem zum andern. Auch Lilly schaute etwas verdutzt. „Das, meine Liebe, wird noch nicht verraten.“, erwiderte Jey. „Jetzt komm schon. Alles was du brauchst ist ein wenig Zeit.“ „Aya, eine Veränderung mehr oder weniger ist doch jetzt auch egal.“, versuchte mich nun auch Yuki zu bestechen. Okay… Auf eine gewisse Weise hatte er schon Recht. Es war egal, wenn sich jetzt noch etwas veränderte. Vor allem etwas Äußerliches. Warum eigentlich nicht? Wurde es nicht sowieso langsam mal Zeit sich zu verändern? Ein Stück weit konnte man damit ja auch einen Teil des Lebens abschließen und für mich war einer zu Ende gegangen. Ein neuer war gerade dabei zu beginnen, war es also nicht wirklich der passende Zeitpunkt? Ich sah in die erwartungsvollen Augen von Jey und Yuki. Schließlich seufzte ich. „Meinetwegen. Wenn es sein muss.“ „Ja muss es.“ Jey grinste. Auch Yuki lachte. „Hey, wenn es zu schlimm wird, verlange ich Schadensersatz!“ „Alles klar!“ Jey schob mich zu einem Stuhl, der ziemlich weit hinten in dem Raumstand. Er drückte mich drauf nieder. „So, dann wollen wir mal.“, grinste er und legte einen Kleiderschutz über meine Schultern. Er hängte ein Handtuch über den Spiegel. Ich seufzte und schloss langsam die Augen. Egal ob ich hinschauen würde oder nicht, sehen könnte ich sowieso nicht, was sie machten. Ich spürte, wie eine Bürste durch meine Haare fuhr. Ich versank in meinen Gedanken und versuchte den Zweifel zu ignorieren, der in meinem Inneren tobte. Er nahm noch einen Schluck aus seiner Tasse. Wie immer saß er im Pincano. Er war schon etwas früher aus dem Friseursalon gegangen. Grinsend dachte er an Ayas misstrauisches Gesicht. Er schlang seine Finger etwas enger um die warme Tasse, aus der es verlockender Dampf aufstieg. Nachdenklich starrte er auf die dunkle Flüssigkeit darin. Er hatte vorhin sofort Ayas Blick bemerkt, als Liv vor ihr stand. Sie hatte sie angestarrt, als wäre Liv das seltsamste Geschöpf, das sie jemals gesehen hatte. Liv war zwar unglaublich hübsch, jedoch eiskalt. Sie war kein normales Wesen. Sie nahm sich immer was sie wollte. Sie nahm sich Macht, Blut, Land. Und sie nahm sich Akito. Er spürte, dass sein Handy in der Tasche vibrierte. „Ja?“ „Hey Yuki! Beweg sofort deinen Hintern hier her!“, sagte Aya aufgebracht. „Jey verbietet mir in den Spiegel zu gucken, bevor du nicht hier bist.“ Yuki lachte leise. „Ja, schon okay. Ich trinke nur noch schnell meinen Kaffee aus und dann-…“ „Nein.“, unterbrach ihn Aya an anderen Ende. „ Du kommst SOFORT hier her. Verstanden? Ich will wissen, was hier mit mir gemacht wurde.“ Im Hintergrund hörte er Jey lachen. „Hey es sieht gut aus, wirklich.“, meinte er. „Das will ich ja wissen!“, sagte sie zu dem Friseur. „Ich bin unterwegs.“, erwiderte Yuki kurz angebunden. Er legte auf und trank mit einem Zug seine Tasse leer. Er ließ Geld auf dem Tisch zurück und stieg in sein Auto. Kaum fünf Minuten später hielt er wieder vor dem Friseursalon. Eine kurze Weile blieb er noch im Auto sitzen. Er dachte über sie nach. Am liebsten würde er Aya all das ersparen, was ihr bevorstand. Er wollte nicht, dass ihr Lächeln erlosch und ihre Seele bald von Narben überzogen seien würde. Er wollte nicht, dass sie aus ihrer Welt gerissen wird und in seine gezogen wird, die so viel dunkler ist. Er wollte nicht, dass sie zu einem dieser Wesen wurde, die ihr ganzes Leben der Gier hingaben. Er fühlte sich, als wäre für einen Moment alles nicht echt. Als wäre das alles ein Traum, der einfach nur verdammt realistisch war. Langsam ließ er seine Finger um den Türgriff gleiten und öffnete die Autotür. Eine Welle eiskalten Windes schlug ihm entgegen. War sie das? Waren das ihre Kräfte? Allmählich schloss er die Augen und lauschte auf das wilde Rauschen, dass die heftigen Böen mit sich brachten. Sein Atem stieg in kleinen weißen Wolken aus seinem leicht geöffneten Mund, die sich sofort im Wind verloren. Mit einem leisen Knall fiel die Autotür hinter ihm zu. Die Straße war leer und so ging er ohne zu zögern auf den Laden auf der anderen Seite zu. Schon durch die großen Glasfenster sah er, wie Jey wie ein Aufpasser neben Aya stand und sie davon abhalten wollte das Handtuch von dem Spiegel vor ihr zu ziehen oder aufzuspringen und einfach in den neben ihn zu sehen. Er grinste. Er hatte erst zweimal hingucken müssen und eigentlich hatte er sie auch nur erkannt, weil der junge Friseur neben ihr stand und scheinbar auf sie einredete. Die kleine Glocke ertönte wieder, als er eintrat und zielstrebig auf die beiden zuging. Mit ernster Mine blieb er vor Aya stehen und musterte sie von oben bis unten. „Ähm, kennen wir uns?“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und musste sich anstrengen nicht laut loszulachen, als er Ayas verdutzten Blick sah. „Jey, wo hast du Aya gelassen?“ Es fiel ihm immer schwerer sich zu beherrschen. Jey schien ebenfalls kurz vor einem Lachanfall zu stehen. Er kniff die Lippen zusammen, um nicht laut loszulachen. Er schwieg beharrlich. Man sah Aya deutlich an, dass sie immer misstrauischer wurde und mittlerweile so angespannt war, dass sie es kaum noch aushielt. Na, dann erlösen wir sie mal, dachte Yuki sich. „Darf ich sie begleiten, schöne Frau?“ Seine Stimme klang wie die eines feinen Adeligen Mannes, allerdings war die pure Ironie darin immer noch nicht zu überhören. Er hielt Aya den Arm hin. Etwas zögern hakte sie sich bei ihm unter und wurde dann von ihm zu einem der großen Spiegel an der Wand geführt. Als sie zum ersten Mal hineinsah erstarrte sie. Ungläubig starrte sie ihr Spiegelbild an. „Was… Was habt ihr mit mir gemacht?“, fragte sie leise und etwas fassungslos. Man konnte noch nicht so ganz deuten, ob sie es nun schrecklich oder eigentlich gut fand. Ihre ehemals blonden Haare fielen jetzt in glänzenden, schwarzen Strähnen auf ihre Schultern und auch ihr Gesicht war anders. Jey hatte es heller geschminkt als sonst und die Augen noch schwärzer umrandet. Ungläubig strich sie sich die Haare zurück. „Das hast du nicht gemacht…“, sagte sie leise und drehte sich zu Jey um. „Yuki, sag mir, dass ich träume!“, forderte sie. Er grinste. „Mh, nein du nicht. Aber ich anscheinend. Du bist wunderschön.“, erwiderte er offen und vollkommen spontan. Ihre Wangen färbten sich leicht rot, was zu ihrer Blässe noch schöner aussah. „Hör auf mit dem Mist.“ Sie sah verlegen zu Boden. „Kein Mist.“, pflichtete ihm nun auch Jey bei. „Die Wahrheit.“ „Wenn ihr meint…“, murmelte sie. Yuki grinste erneut. Er konnte genau sehen, wie sich auf ihrem Gesicht ein Lächeln ausbreitete. Plötzlich zuckte sie etwas zusammen. Sie zog ihr Handy aus der Hosentasche und starrte darauf. Eine Weile schien sie innerlich mit sich selbst zu kämpfen. Dann sah sie auf. „Yuki, können wir noch kurz nach Hause-…“ Sie hielt kurz inne. „Ich meine, zu meinen Eltern fahren?“, fragte sie. „Meine Mutter will mit mir sprechen.“ „Du willst wirklich mit ihr sprechen?“ Er zog die Augenbrauen hoch. Aya zuckte leicht mit den Schultern. „Ich weiß nicht…“ Wieder schwieg sie eine Weile. „Ja, ich denke schon.“ „Wie du meinst.“, sagte er nur, dann wendete er sich zu Jey um. „Ist wirklich super geworden.“ Sein Blick wanderte wieder zu Aya, deren Wangen erneut eine leicht rötliche Färbung angenommen hatten. „Okay, Okay. Ich gebe es zu: Es gefällt mir, okay?“ Ein Grinsen breitete sich plötzlich auf ihrem Gesicht aus. „Aber bezahlen“, meinte sie frech, „tust du, Yuki.“ Schwungvoll drehte sie sich zu Jey um. Eine Weile sah sie ihn einfach nur an. Dann machte sie plötzlich ein paar Schritte auf ihn zu und fiel ihm um den Hals. „Danke.“, sagte sie nur. Sie hatte ihren Kopf auf Jeys Schulter gelegt. Etwas erstaunt blickte dieser zu Yuki, bevor er schließlich seine Hände auf ihren Rücken schob. Er lachte leise. „Hab ich doch gerne gemacht.“, erwiderte er und schob sie ein Stück von sich weg. „Das nächste Mal kannst du uns ruhig vertrauen.“ Ein Grinsen lag auf seinen Lippen. „Wir sind Männer, wir werden schon wissen, was bei einer Frau gut aussieht.“ Aya stand da und starrte ihn an. Ein etwas perplexer Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. Yuki lachte. „Jetzt komm schon…“, meinte er immer noch lachend. „Wenn sie schon mit dir reden wollen, dann sollen sie auch nicht warten.“ Er reichte Jey die Hand und wandte sich dann wieder zur Tür. „Danke, noch mal!“, sagte sie mit fröhlicher Stimme und folgte dann Yuki. ~†~ Ich folgte Yuki nach draußen auf die Straße. Ich musste zugeben, als ich mich das erste Mal im Spiegel gesehen hatte, habe ich schon einen kleinen Schock bekommen. Ich sah aus wie Sie. Wie Liv. Oder nein… Sie hatte natürlich immer noch dieses übermenschlich Schöne, das ich niemals haben würde und von dem ich auch nicht wusste, woher es nun kam. Doch ich musste sagen: Ich sah wirklich gut aus. Und das hatte ich eigentlich noch nie so von mir behauptet. Ich schob meine Hände tief in die Manteltaschen. Ich konnte einfach nichts anderes tun als Lächeln. Es ging einfach nicht. „Yuki?“, fragte ich schließlich, als ich zu dem Schwarzhaarigen aufgeholt hatte. „Wer von euch ist auf die Idee gekommen? Du doch bestimmt oder?“ Ich war natürlich neugierig, wessen Vorschlag es war. Hatte Yuki etwa bemerkt, dass ich Liv angestarrt hatte? Oder war es einfach nur eine spontane Eingebung von Jey gewesen, weil er meinen Musikstil kannte? Ich wusste es wirklich nicht. Yuki sah mich nicht an, was mich etwas wunderte. Er ging schweigend zum seinem Auto und stieg ein. Eine Weile blieb ich etwas verwirrt stehen und schüttelte leicht den Kopf. Dann öffnete ich die Tür und ließ mich auf den Beifahrersitz fallen. „Hey, antworte mir!“, forderte ich und sah ihn etwas irritiert an. So schlimm konnte die Antwort doch wohl nicht sein. Ich schlug die Autotür hinter mir zu. Ohne ein weiteres Wort ließ Yuki den Motor an. Ich kannte ihn sonst nicht so… So nachdenklich… Er schien abwesend und vollkommen in seinen eigenen Gedanken versunken. Ich schnallte mich an. Immer noch sagte er nichts. Nicht einmal das Radio lief. So herrschte eine unerträgliche Stille. Ich versuchte nicht noch einmal ihn anzusprechen, denn scheinbar nahm er mich überhaupt nicht wahr. „Sag mal, was denkst du, worüber wollen deine Eltern mit dir sprechen?“, fragte er plötzlich. Jetzt verschlug es mir die Sprache. Genau das hatte ich mich nämlich auch schon des öfter gefragt, seit dem ich die SMS gelesen hatte. Mein Lächeln war zusammen mit meiner guten Laune schlagartig verschwunden. Ich hatte vollkommen vergessen, dass ich ihm ja eigentlich eine Frage gestellt hatte, auf die ich immer noch keine Antwort erhalten hatte. „Ich…. Ich weiß es nicht.“, gab ich etwas verunsichert zu. Seine Ernsthaftigkeit ließ mich nach der eben noch so ausgelassenen Stimmung etwas erschauern. Ich verstand nicht, warum er das Thema so abrupt gewechselt hatte. Vor allem, woher sollte ich den wissen, über was meine Eltern mit mir reden wollten? Wenn ich es wissen würde, dann müsste ich nicht zu ihnen fahren, um mit ihnen zu reden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)