Silent Reproach von sterekura ================================================================================ Kapitel 3: Silent Reproach III ------------------------------ „Ich muss mich entschuldigen. Dass diese Sache hier länger dauern würde, habe ich nicht angenommen.“ Simão lag nur in Boxershorts auf dem großen Bett und senkte sein Buch, um mich anzusehen. „Não me importa nada[7] – Urlaub in Spanien hat doch auch seine schönen Seiten.“ Ein Moment lang war ich mir sicher Ironie in seiner Stimme zu hören, aber das ehrliche Lächeln wischte meine Zweifel an seiner Aussage einfach weg. Simãos Geduld war wirklich phänomenal. „Ich werde mich beeilen, so gut ich kann.“ Wieder sah mein Freund von seiner Lektüre auf und schüttelte den Kopf. „Não custa nada a gente ajudar. Quando você acabar avisa me.[8]” Schon war er wieder in dem Buch vertieft. Es machte ihm sehr wohl etwas aus hier in Spanien – vor allem bei Raúl – zu sein, aber er tat einfach alles, um mir nicht das Gefühl zu geben, dass er wieder weg wollte. Simão war immer so zurückhaltend und stellte sich selbst nur an die zweite Stelle. Ihm war es egal, wenn sein Wille nicht oberste Priorität hatte. Dafür bewunderte ich ihn wirklich. Und genau deswegen versuchte ich – so oft ich konnte – seinen Willen über meinen zu stellen. Das funktionierte eigentlich auch ganz gut... außer es ging um Raúl. „Willst du noch länger da rumstehen und mich anstarren oder kommst du irgendwann einmal auch ins Bett?“ Grinsend hob Simão die Bettdecke ein Stück hoch, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Lachend riss ich mir praktisch das Hemd vom Körper und sprang neben ihm aufs Bett. „Meine Güte, pass auf, dass es nicht kaputt geht. Sei vor allem vorsichtig, dass du dir dabei nicht alle Knochen brichst“, frotzelte Simão und erntete für diese Frechheit eine Kitzelattacke meinerseits. Laut lachend oder eher nach Luft schnappend wand sich Simão unter mir und versuchte sich irgendwie zu wehren. Aber das war sinnlos, denn er konnte sich ja noch nicht einmal normal bewegen. Erst, als sein Gesicht einer gebräunten Tomate ähnelte ließ ich von ihm ab und legte mich neben den heftig atmenden Körper meines Freundes. „Wer sieht jetzt alt aus, hm?“ Simão streckte mir grinsend die Zunge heraus und stülpte mir dann ein Kissen auf das Gesicht. Er versuchte mich damit zu überwältigen, aber mit den 10 Zentimetern und 11 Kilogramm Unterschied zwischen uns war er mir in jeder Hinsicht unterlegen. Ich hatte keinerlei Probleme damit ihn unter der Decke und unzähligen Kissen zu begraben. „Das ist unfair“, meckerte Simão und brauchte eine halbe Ewigkeit, um sich wieder halbwegs zu befreien, da er sich unglücklicherweise irgendwo verfing und so ziemlich lustig rücklings aus dem Bett fiel. Die Stimmung hätte momentan nicht besser sein können. Doch, da ich hier durch jedes Möbelstück an Raúls Zustand erinnert wurde, trübte das ein wenig die lockere Atmosphäre. „Immer gehst du als Sieger hervor.“ Simão kletterte umständlich zurück ins Bett und seufzte sichtlich erschöpft. „Tja, ich bin eben der Ältere.“ Er lachte, während er die Augen verdrehte und mir einen kleinen Klaps auf die Schulter gab. „Du und dein ewiges Ich bin älter Geschwätz. Das allein kann es nicht sein. Gerade wegen deinem Alter sollte ich eigentlich gewinnen.“ Aha, jetzt wurde der Kleine auch noch frech. Na dann musste er wohl die Wahrheit erfahren. „Simi... ich wollte dir das niemals sagen, aber du bist einfach zu schwach und deswegen keine Konkurrenz für mich.“ Er zog eine Augenbraue hoch und gleichzeitig einen niedlichen Schmollmund. Kein anderer Mensch konnte gleichzeitig dermaßen skeptisch und trotzig aussehen. „Ist ja gar nicht wahr.“ Jetzt setzte er auch noch seinen traurigsten Hundeblick auf und zitterte absichtlich ein wenig mit den Lippen, um einen anbahnenden Tränenausbruch zu simulieren. Das war seine letzte Waffe, um mich weich zu kochen. Und es funktionierte immer wieder. Verdammt, ich hasste es, wenn er das tat. „Hör auf damit, du weißt genau, dass... ich diesem Blick nicht widerstehen kann.“ Ich flehte förmlich darum, dass er das sein ließ, aber Simão wusste natürlich, dass ich jeden Moment aufgeben würde. „Na gut, du bist nicht zu schwach.“ Augenblicklich waren die Tränen verschwunden und ein triumphierendes Lächeln zierte das schlanke Gesicht. „Wer hat jetzt die Oberhand, hm?“ Ich sah mich ein paar Mal im Raum um und sprang von einer Sekunde auf die Nächste auf meinen Verlobten, um ihn an den Handgelenken auf das Bett zu drücken. „Willst du die Antwort darauf wirklich wissen?“ Er grinste verschmitzt und versuchte kurz sich aus der Klammerung zu winden, aber entschied sich dann darauf mir lieber eine unverschämte Antwort ins Gesicht zu knallen. Typisch Simão Sabrosa eben. „Gegen 75 Kilogramm geballte Speckröllchen habe ich mit meinem durchtrainierten Körper und den kümmerlichen 64 Kilo natürlich keinerlei Chancen.“ Wenn er mir das nicht ungefähr alle zwei Tage vorhalten würde – also, wann immer ich ihn so festhielt – wäre ich jetzt ziemlich beleidigt. Trotzdem rächte ich mich an ihm, indem ich mit der Zunge über seine Wange fuhr und ihn wie ein Hund ableckte. Zwischen einigen Ieh, hör auf Schreien war sein helles Lachen zu hören und irgendwann rief er, außer Atem, dass ich aufhören sollte. Und ich tat, wonach er verlangte. Schwer atmend lag er nun neben mir und wischte sich den kleinen Schweißfilm von der Stirn, wobei ich einen ausgezeichneten Blick auf seine Tätowierungen an der Innenseite seines Unterarms hatte. Ich liebte seine Tätowierungen an beiden Unterarmen – nur leider wusste ich nicht, was sie bedeuteten und Simão wollte es mir auch nie sagen. „Das habe ich so sehr vermisst“, gestand er mir nach einer Weile schließlich und schmiegte sich an mich. Ich legte meinen Arm um ihn und konnte nur zu gut verstehen, was er meinte. Solche Momente voll ausgelassenem Lachen und Zärtlichkeit hatte es die letzten Monaten nicht gegeben. Ich musste mein Hotelzimmer während der Weltmeisterschaft mit Ricardo Carvalho teilen, was zwar nicht schlimm war – schließlich verstanden wir ziemlich gut –, aber dennoch nicht gerade das Glücklos unter den Zimmergenossen. Simão hatte es aber auch nicht gerade besser getroffen. Er musste das Zimmer mit Nuno Gomes teilen – einem meiner besten Freunde –, jemand, auf den Simão lange Zeit eifersüchtig gewesen war. Ich hasste das Lotterieverfahren bei der Zimmervergabe. Zum Glück war ich nicht mit Cristiano oder Helder auf ein Zimmer gekommen. Ich hatte nichts persönlich gegen sie, aber als Zimmerpartner wären sie mir zu quirlig und vor allem zu nervig gewesen. Da lagen wir also, endlich einmal zusammen und vor allem alleine in einem gemütlichen Bett. Aber leider auch in einem fremden Haus, einem anderen Land und mit einem großen Problem im Wohnzimmer. So hatte ich mir meinen Urlaub eigentlich nicht vorgestellt. „Luis?“, unterbrach eine müde klingende Stimme die angenehme Ruhe und ich senkte leicht den Kopf, um ihrem Besitzer in die Augen sehen zu können. Sie waren mittlerweile fast ganz schwarz – was meistens bedeutete, dass er erschöpft und müde oder sehr sauer war. „Du kannst Raúl doch helfen, oder?“ Er hatte es nicht im Sinne von Du hilfst ihm doch und dann verschwinden wir, so schnell es geht gefragt, was mich sehr beruhigte und ein wenig stolz auf meinen Freund machte. In Simãos Stimme war deutlich die Sorge um Raúl zu hören. Trotzdem wollte ich auch ihm nichts sagen, was ich nicht hundertprozentig selber glaubte. „Não quero criar falsas expectativas[9].“ Ein Arm legte sich um meinen Bauch und der warme Körper an meiner Seite schmiegte sich noch näher an mich heran. Ich konnte Simãos Herzschlag auf meiner Haut spüren und es überraschte mich, dass der so unregelmäßig war. „Wie sagte Iker heute? Wenn es jemand schafft, dann du. Confio em você[10].“ Er hatte die Worte geflüstert und kaum waren sie seinem Mund entdrungen fielen seine Augen zu und er glitt hinüber in die Traumwelt. Die letzten 24 Stunden waren auch sehr anstrengend für ihn gewesen. Ich strich ihm so lange durch seine kurzen, leicht gelockten Haare, bis ich schließlich selbst einschlief und mich in einem ziemlich wirren Traum wiederfand. ~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~ „Luis, du musst mir helfen!“ Irritiert drehte ich mich zu der Stimme um und sah Iker in dem schmalen Gang auf mich zurennen. Das durfte doch nicht wahr sein, gerade jetzt, wo ich mich auf den Weg machen wollte, um zum Finale nach Lissabon zu fahren. Wir hatten heute die Chance Europameister zu werden und Iker hielt mich auf. Wenn das nicht wichtig war, dann würde es was setzen. Meine Freundschaft zu ihm stand zudem momentan nicht gerade am Gipfel der Höflichkeit – kein Wunder, ich war noch immer sauer, dass er mir Raúl, vor etwas mehr als zwei Jahren, weggenommen hatte – aber ich wollte ihm fairerweise wenigstens ein paar Sekunden geben, damit er sich aussprechen konnte. „Was gibt es? Ich habe es eilig!“ Iker kam keuchend vor mir zum Stehen und holte tief Luft, bevor er mich an der Schulter packte und so kräftig zudrückte, als wollte er mir mein Schultergelenk durch die Haut ausreißen. „Raúl... er braucht deine Hilfe. Er spricht nicht mehr und ist vollkommen von der Rolle. Bitte, hilf mir.“ Ich sah ihn an, als sei das ein sehr schlechter Witz. Was es eindeutig auch war. „Sag mal, willst du mich verarschen? Das Gleiche hast du mir letzte Woche doch schon erzählt und da habe ich euch geholfen. Raúl geht es prima und er redet auch wieder. Verzieh dich jetzt, ich muss los“, wies ich ihn an, aber er machte keinerlei Anstalten, um mir aus dem Weg zu gehen. „Glaube mir, er braucht deine Hilfe. Du willst doch Raúl nichts abschlagen, oder?“ Damit hatte er mich genau da, wo er mich haben wollte. Raúl war meine größte Schwachstelle und das nutzte Iker schamlos aus, wenn es ihm gerade in den Kram passte. „Führe mich zu ihm“, meinte ich verärgert und Iker schnappte meine Hand, um mit mir zusammen den Gang entlang zu rennen. Ich wusste weder, wie lange wir liefen, noch wohin, aber plötzlich standen wir vor einer großen, schwarzen Tür. „Da drin ist er. Bitte hilf ihm.“ Ja, ja, schon gut. Wenn er das noch ein Mal sagte, würde ich ihm die Zunge herausreißen und sie zum Frühstück essen. Ich öffnete also die Tür und blickte in zwei stechende, fast schwarze Augen. So anklagend und böse hatte ich ihn noch nie gesehen. Aber die Frage, die mich beschäftigte war eher folgende: „Simão, was zum Teufel machst du hier? Ich sollte doch Raúl hier treffen.“ Ehe ich mich versah, flogen diverse Gegenstände nach mir – unter anderem auch ein Klappstuhl, der mich an der Schulter verletzte – und der kleine Mittelfeldspieler schrie sich die Seele aus dem Leib. Erst nach einer Weile verstand ich, was er da brüllte. „Aha, für Raúl gibst du also alles auf, ja? Du würdest sogar riskieren zum Finale zu spät zu kommen! Wieso verstehst du einfach nichts?“ Eine gute Frage. Denn ich verstand momentan mal gleich gar nichts mehr. Und, wie ich fand, auch aus gutem Grund. Warum ging mein Teamkollege wie eine Furie auf mich los, wo ich doch nur hier war, weil Iker darum gebeten hatte. Welche Rolle spielte Simão außerdem in der ganzen Geschichte? „Was ist, willst du dich nicht wehren? Oder erklären, was dich antreibt?“ Ich passte einen Moment nicht auf und konnte deswegen der Wasserflasche nicht schnell genug ausweichen. Sie traf mich mit voller Wucht am Kopf, was mich zu Fall brachte. „Simão, was soll das alles hier?“, fragte ich und griff mir an den Kopf, wo sich ein kleines Blutrinnsal bildete, das mein Gesicht erkunden wollte. Na ganz toll. Gerade mein Gesicht... „Was das soll? Oh Gott, kannst du dir das denn nicht denken?“ Meinem deutlich ratlosem Schweigen entnahm er, dass ich es anscheinend nicht konnte. Er blickte traurig zu Boden und kam dann auf mich zu. Irgendwoher holte er plötzlich ein Taschentuch und wischte mir das Blut aus dem Gesicht. „Warum würdest du für Raúl alles tun, für ihn alles aufs Spiel setzen? Weshalb kannst du nicht loslassen und dein Herz für jemanden öffnen, der dich um jeden Preis der Welt an seiner Seite möchte?“ Ich lachte auf und schlug seine Hand unwirsch aus meinem Gesicht. „Du willst wissen, warum? Weil ich ihn liebe, deswegen.“ Simão biss sich auf die Unterlippe, ließ gekränkt die Hand sinken und in seinen Augen bildeten sich Tränen. Er würde doch nicht anfangen deswegen zu heulen, oder? Ich meine, er wollte die Antwort doch unbedingt haben. Mein Teamkollege senkte traurig den Kopf und ging ein paar Schritte zurück. „Eu sabia que ia dizer isso[11].“ Bitte? Warum machte er dann solch einen Aufstand? Doch bevor ich etwas erwidern konnte sah ich, wie Tränen seine Wangen herunter liefen und um mich herum wurde plötzlich alles schwarz. ~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~ [07] Não me importa nada = Es macht mir nichts aus (PT) [08] Não custa nada a gente ajudar. Quando você acabar avisa me = Es kostet nichts zu helfen. Sag mir einfach Bescheid, wenn du soweit bist (PT) [09] Não quero criar falsas expectativas = Ich möchte keine falschen Hoffnungen wecken (PT) [10] Confio em você = Ich vertraue dir (PT) [11] Eu sabia que ia dizer isso = Ich wusste, dass du das sagen würdest (PT) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)