Watership Down von Nesuki (Schattengesicht) ================================================================================ Kapitel 7: Freiheit ist eine Illusion (Part 2) ---------------------------------------------- „Wo ist Fiver?“ Keine Antwort. „Woher kommst du wirklich?!“ Keine Antwort. „Wer hat dich geschickt?!“ Keine Antwort. Der General knurrte. Er war das ewige Schweigen des Rammlers endgültig leid. „Entweder du antwortest, oder du bekommst die Konsequenzen zu spüren, Fremder!“ Moss schubste Lee einmal so heftig an, dass es ihn von den Pfoten fegte. Der Bock stemmte sich wieder hoch und schüttelte sich den Staub aus dem Fell. Ruhig setzte er sich wieder genau auf die Stelle zurück, an der er vorher gesessen hatte und schaute mit entspanntem Blick zu General Woundwort hinauf. Wieder Schweigen. Wie aus heiterem Himmel entspannten sich plötzlich die Gesichtszüge Woundworts und es zeichnete sich tatsächlich so etwas wie ein Lächeln in seinem Gesicht ab. „Aber irgendwie amüsiert es mich…“ begann der General und neigte den Kopf „Du bringst es fertig, mit einem kleinen, schwächelnden Bock an Dutzenden von Wachen vorbei zu kommen, schaffst es aber nicht, im Wald mit einem einzigen Owsla fertig zu werden.“ Lee grinste. „Mir hat’s in Efrafa so gut gefallen. Ich wette, die Touristen rennen euch im Sommer die Bude ein“ er pausierte kurz, ehe er mit einem noch viel breiterem Grinsen fortfuhr „Und immerhin habe ich hier gearbeitet. Also dachte ich, ich komme mal eben zurück um zu kassieren!“ Woundwort lachte einmal laut auf. „Deinen Lohn wirst du schon noch bekommen!“ erwiderte er dem goldnen Rammler. Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: „Dennoch will ich dir ein letztes Angebot machen, das ich an deiner Stelle nicht leichtfertig abschlagen würde. Sag uns, wo du Fiver hingebracht hast. Oder gegebenenfalls wo Hazels Bau liegt und dir werden schlimme Schmerzen erspart bleiben.“ //Klar, ich habe nur auf dieses Angebot gewartet – Glaubt der das eigentlich selber, was der da verzapft?!// „Dann wird man mich wohl in Stücke reißen müssen...“ sagte Lee und wartete einen Augenblick, als niemand reagierte sprach er weiter: „Das heißt übrigens ‚Nein’!“ „Oh! Ich würde es mir aber wirklich noch mal überlegen...“ sprach der General von oben herab „Später wirst du dir noch wünschen, dich anders entschieden zu haben...“ „Welcher Teil von ‚Nein’ wurde nicht verstanden?“ gab Lee zynisch zurück, ohne eine Antwort zu erwarten. Das Maß war voll. Nun konnte sich auch Woundwort nicht mehr beherrschen. Er verengte die Augen und sah verachtend auf Lee herab. Dass er es überhaupt wagen konnte, so dermaßen dreist und respektlos vor dem hohen Rat zu sprechen, vor IHM zu sprechen. Eine Lee unbekannte Gestalt trat aus dem Schatten einer Ecke heraus. Im fahlen Licht sah Lee erst eine mit langen, scharfen Krallen besetzte Pfote, gefolgt von einem muskulösen Bein. Letztendlich trat vollends ein kräftiger Rammler aus dem Dunkeln. Die rotglühenden Augen des Bocks schienen ihn zu durchbohren. Sein breites Grinsen offenbarte ein Maul voller blendend weißer Zähne. Lee hatte ihn zwar noch nie zuvor gesehen, aber er gefiel ihm nicht. Es gefiel ihm nicht, wie sich der Rammler bewegte, so erhaben und zielsicher. Es gefiel ihm nicht, wie ihn der Rammler ansah und ihm gefiel nicht, dass er geradewegs auf ihn zukam. „Ich werde mich darum kümmern, General!“ ließ das Kaninchen mit rauchiger Stimme verlauten. Beim Klang seiner Worte sträubte sich Lees Nackenfell. Dem Goldbraunen war es ein Rätsel, wieso genau dieser Rammler so eine Unruhe in ihm auslöste. Vielleicht lag es an seinem Killerblick, vielleicht aber auch an seinem Geruch. Frischer, blutiger Geruch. Er ließ sich neben Lee nieder und fügte hinzu: „Soweit Sie nichts dagegen einzuwenden haben, versteht sich.“ Der General grinste. „Kurai, deine Dienste hätte ich so oder so in Anspruch genommen. Hilf dem Gedächtnis unseres Gasts doch etwas auf die Sprünge.“ //Kurai?// dachte Lee und musterte ihn von der Seite aus. „Mit dem größten Vergnügen, General!“ erwiderte Kurai auf Woundworts Worte und sah aus den Augenwinkeln zu Lee. Lee legte die Ohren an. In den feuerroten Augen Kurais war ein bedrohliches Funkeln zu erkennen. Und dennoch ging von ihnen eine Kälte aus, die Lee das Blut in den Adern gefrieren lies. So ein Blick war zuvor nie auf ihn getroffen. Kurai stand auf und ging einmal im Halbkreis um den goldenen Rammler herum. Dabei taxierte er sein Gegenüber ganz genau. Lee machte sich auf alles gefasst und senkte den Kopf. „Du willst also wirklich nicht reden, hm?“ harkte Kurai nach. „Ich bleibe bei ‚nein‘“ entgegnete Lee und verengte misstrauisch die Augen „Lieber lasse ich mich zu Tode foltern, als dass ich spreche!“ //Der hält sich anscheinend für ‘ne echt große Nummer. Als ob der mich auch nur ansatzweise verunsichern könnte!// versuchte Lee sich einzureden. Ein leises, finsteres Kichern erklang zu Lees Ohren. „Das hört sich gut an…“ Stutzig hob Lee eine Augenbraue und verstand nicht recht. „Das heißt übrigens nicht unbedingt, dass es dir auch so gefallen wird! Ich nehme sowas wörtlich...“ Kaum hatte er zu Ende gesprochen, trat Kurai auch schon nach Lee aus, dieser konnte jedoch um ein Haar ausweichen und rollte sich zur Seite. Als Lee grade registrierte, dass der Andere nach ihm ausgetreten hatte, spürte er auch schon einen heftigen Schmerz in der linken Flanke. Er spürte nur noch, wie er durch die Luft flog und wieder zu Boden kam. Murrend hob er den Kopf vom Boden auf und blickte sogleich in die blutroten Augen von Kurai, die ihn fixierten. Lee legte die Ohren an und sah aus den Augenwinkeln den Eingang eines Laufs. //Irgendwie komme ich hier schon raus!// dacht er und mit diesem Gedanken schleuderte er Kurai eine Ladung Sand ins Gesicht und spurtete los, in den Lauf und folgte ihm bis zum Ende. Er befand sich nun in einem etwas größeren Bau und legte die Ohren abermals an. //Verdammt! Lee, du Vollidiot!// fluchte er und ärgerte sich maßlos über sich selbst. In der Aufregung hatte er nicht einmal realisiert, dass dieser Lauf weder nach oben führt, noch dass keine frische Luft zu wittern gewesen war. Stattdessen war hier ein schwerer Geruch wahrzunehmen. Lee kam näher auf die gegenüberliegende Wand zu und fuhr mit der Pfote leicht an den Kratzern auf ihrer Oberfläche entlang. Er hielt inne, als er an einem dunklen Fleck ankam, in und neben dem ein paar Haare in der Erde fest hingen. Er schnupperte kurz daran und es dämmerte ihm. Die Haare und wahrscheinlich auch das längst getrocknete Blut stammten von Fiver. Dieser Kurai hatte den kleinen Bock so zugerichtet! Wie konnte man so dermaßen Spaß daran haben, auf anderen Kaninchen rumzuhacken?! „So ein kranker Bastard“ fluchte er leise. Ein leises, finsteres Lachen drang an sein Ohr. Wie unter Strom drehte er sich um und sah, dass Kurai den Bau betrat. „Wie ich sehe hast du den Weg ja ganz allein gefunden!“ sprach der Rammler höhnisch „Die meisten Kaninchen muss man vorher erst zweimal bitten, bis sie sich bequemen hier herunter zu kommen. Aber so nimmst du mir immerhin etwas Überzeugungsarbeit ab.“ //Mist! Hätte der Lauf nach oben geführt, wären natürlich auch Wachen dort postiert gewesen. Wieso hab ich daran nicht gedacht?! FRITH UND INLÉ! Wo bist du nur mit deinem Kopf, Hasenfuß?!// schoss es Lee durch den Kopf, wütend auf sich selbst. „Wärst du also so freundlich mir zu sagen, was der General hören will? Ich kann nämlich nicht versprechen, dass du später dazu noch mehr in der Lage sein wirst“ sprach Kurai, wobei Lee nicht abschätzen konnte, welche Antwort Kurai wohl besser gefallen würde. Er senkte den Kopf und erwiderte: „Bist du wirklich daran interessiert, dass ich dir sage, was dieser General wissen will?“ Er hielt inne und zwang sich zu einem Grinsen „Oder hoffst du in Wirklichkeit sogar, dass ich es dir nicht sage, damit du dich an mir austoben kannst?! Turnt es dich an, Kaninchen nieder zu machen, die kaum halb so groß sind wie du?! Macht es dir Spaß Kaninchen so etwas anzutun, was du mit Fiver angestellt hast?! Regt sich da unten irgendetwas bei dir?!“ endete der Goldbraune provozierend. Kurai tat für einen Moment so, als würde er ernsthaft überlegen „Zu deiner ersten Frage muss ich dir gestehen, dass ich dir da leider keine eindeutige Antwort geben kann.“ Sodann ließ er seine blanken Zähne aufblitzen und bewegte sich zielstrebig in Lees Richtung: „Für den Rest deiner Fragen, mein wissbegieriger, kleiner Freund, musst du mich wohl schon ein bisschen näher kennen lernen, damit du dir ein eigenes Bild machen kannst.“ „Perverser Bastard!“ knurrte Lee dem Rammler entgegen, tappte dabei aber, ohne es selber wirklich zu merken, einen halben Schritt zurück. Auf diese Worte reagierte Kurai nur mit einem kühlen Grinsen. Allein schon, dass Kurai nicht wirklich auf Lees Beleidigungen reagierte, provozierte ihn. Und er würde sich auf keinen Fall von diesem Rammler herumschubsen lassen. Der Goldbraune setzte zum Lauf an und rannte auf Kurai zu. Kurz bevor er ihn erreicht hatte, warf sich Kurai auf den Rücken, setzte seine Hinterläufe an Lees Bauch an und katapultierte ihn mit Wucht über sich hinweg. Der Rammler flog ein Stück und knallte hart gegen die Wand des Baus. Er spürte einen heftigen Schmerz, der von seiner rechten Flanke ausging und hob langsam den Kopf. Er öffnete die Augen und schaute schmerzverzerrt Kurai entgegen, der gemächlich auf ihn zukam. „Bisher habe ich jeden zum Reden gebracht“ begann er und schaute mit verengten Augen zu ihm nieder „Oder zum ewigen Schweigen. Wie man’s nimmt. Aber es wurde nie von mir behauptet, dass ich meine Arbeit nicht gewissenhaft erledigen würde“ fügte er noch hinzu. Der Owslafa beugte sich zu Lee hinunter und schaute ihm tief in seine stahlblauen Augen. Er betrachtete sein eigenes Spiegelbild darin, wie er es gerne in den Augen anderer tat, und grinste. Er legte eine Pfote fest auf Lees Nasenrücken ab, damit er den Kopf still hielt, mit der anderen Pfote strich er mit seinen Krallen leicht um Lees Auge herum. Lee dagegen, blieb einfach nur starr da liegen. Er fürchtete, Kurai würde ihm seine Krallen in den Augapfel rammen, wenn er sich jetzt heftig wehren würde. „Mir gefallen deine Augen. Weißt du, man sagt Augen seien das Fenster zur Seele. Vielleicht sollte ich deine Fenster mal öffnen und mir deine Augen als Dekoration in den Bau hängen!“ Das war eindeutig genug! Grade, als Lee spürte, wie sich Kurais krallen langsam unter die Haut seines unteren Augenlids bohrten, bäumte er sich fauchend auf. In dieser Bewegung schnitten sich die Krallen des schwarz-braunen Bocks automatisch ein und hinterließen blutige Spuren. Lee schlug nach Kurais Gesicht aus. Dieser wich gekonnt aus und riss Lee im nächsten Moment seitlich zu Boden. Kurai warf sich mit seinem vollen Gewicht auf Lee, der nun auf dem Bauch lag. Er setzte seine Krallen wieder knapp unterhalb Lees Auges an und sprach: „Du machst es wirklich spannend, Kleiner!“ Er grinste und schnitt erst flach, dann tiefer, in Lees Fleisch bis zum Hals hinab. Auf diesen verteufelt brennenden Schmerz hin gab Lee einen tiefen Laut von sich und versuchte aufzustehen. Kurai aber, hielt ihn fest am Boden. Aus den Augenwinkeln heraus erkannte Lee das markante Grinsen Kurais und wie er seine blutbefleckte Pfote langsam zu seinem Maul führte. Er fuhr genüsslich mit der Zunge darüber und schloss für einen Moment die Augen. „Du schmeckst gut. Da bekommt man glatt Appetit auf MEHR!“ ließ der Owslafa verlauten und öffnete blitzartig wieder die Augen. Als Lee sah, wie besessen sich die roten Augen auf ihn fixierten und in ihm bahnte sich allmählich Panik an. Wie konnte man so einen Geisteskranken nur frei herumlaufen lassen?! Lees Augen weiteten sich und er rief laut aus: „Du bist doch krank! Absolut krank!!!“ Er begann wie wild zu strampeln und versuchte sich zu befreien. Als er im Begriff war, aufzustehen, durchbiss Kurai das empfindliche Ohr des anderen Kaninchens. Der goldbraune Rammler schrie vor Schmerz laut auf und kniff die Augen fest zusammen. Panisch riss Lee seinen Kopf zur Seite, woraufhin das Ohr bis zum Rand eingerissen wurde. So robbte Lee ein Stück weit voran. Wäre er nicht ohnehin schon verletzt gewesen, hätte er dem Owslafa sicher noch ein paar mitgeben können. Aber in seinem Zustand hatte er keine Chance. Kurai musterte die Wunden, die Lees Körper schon gespickt hatten, bevor er angefangen hatte, sich mit ihm zu beschäftigen und fügte somit noch hinzu: „Kein Wunder, dass deine vorherigen Gegner nicht aufhören konnten dich zu beißen!“ Mit diesen Worten biss er Lee in den Nacken und zerrte ihn ein Stück weit in die Mitte des Baus. Lee fühlte sich wie in einem Karussell. Alles dreht sich um ihn herum. Er war taub für jedes Geräusch. Seine Beine fühlten sich an, als seien sie zu Eis erstarrt und er spürte, wie sein Blut in unglaublicher Geschwindigkeit durch seinen Körper zirkulierte. Das dröhnende Pochen in seiner Schläfe ließ sich kaum aushalten. Dass er hart auf dem Boden landete, nahm er kaum noch wahr. Er fühlte, wie sich das warme Blut seinen Weg vom Ohr durch sein Fell Richtung Erdboden bahnte. Spürte den ziehenden Schmerz, der von seinem Ohr ausging und den gesamten Körper zu durchfahren schien. Er stöhnte auf. Für einen Augenblick erschien ein gleißendheller Blitz vor seinen Augen, der alles um ihn herum in weißes Licht tauchte. Fest kniff er die Augen zusammen und öffnete sie wieder. Wie in einem Alptraum trat diese Gestalt wieder auf ihn zu. Mit jedem Schritt, den sie näher kam, wurde ihm kälter. Die unglaublich finstere Ausstrahlung schien man, wie Lee es sich einbildete, schon sehen zu können. Langsam schärfte sich sein Blick wieder und sein Verstand wurde wieder klarer. Dennoch wünschte er sich nichts anderes, als dass dieser Alptraum endlich aufhörte. Und er musste an Fiver denken. „Ich hatte für einen Moment auch schon befürchtet, du hättest jetzt schon schlapp gemacht. Das war auch bei dem kleinen Fuchs schon sehr spaßhemmend“ drang die Stimme Kurais mit enttäuschtem Unterton an Lees Ohr. Lee stemmte sich hoch und schaute dem anderen Rammler trotzig entgegen. „Bei Frith-!“ begann Lee, wurde allerdings von Kurai unterbrochen. „FRITH?!“ der Schwarzbraune lachte lauthals auf. Das finstere Gelächter hallte dröhnend von den Bauwänden zu Lees Ohren wider und er fürchtete, sein Kopf würde jeden Moment in 1000 Stücke zerspringen. „Frith. Wer ist Frith? Was ist Frith? Wo ist Frith? Du stehst grade tief im Schatten, Kleiner. Frith lebt stets im Licht.“ Lee knurrte daraufhin und sagte: „Du wirst mich nicht umbringen... Du DARFST mich gar nicht umbringen! Nicht, bevor ich die Informationen ausgespuckt habe.“ „Der Tod…“ begann der schwarzbraune Rammler erneut und blickte hinauf zur Bau-Decke, als würde er in die tiefe Ferne des Himmels sehen und fuhr fort „Der Tod gehört dazu. Irgendwann endet alles. Der Tag, die Nacht, das Leben... Warum sträubt man sich also dagegen? In Efrafa wird dein Leben eben etwas beschleunigt. Schade, dass die Kaninchen hier nie in den Genuss wahren Lebens kommen, wobei ihre Zeit hier so bitterkurz ist.“ „Wahren Lebens?“ fragte Lee stutzig nach und verengte ein Auge. „Was ist schon der Tod? Das Ende des Lebens. Aber was ist schon das Leben? Definieren wir es mit der einfachen Existenz. Aber was existiert wirklich? Du? Ich?“ Lee legte die Ohren. „Existieren kann nur etwas, das von irgendjemandem wahr genommen wird. Ein Land, das unentdeckt bleibt, kann für niemanden existieren, da es niemand kennt. Ein Kaninchen, das niemand kennt lebt nicht. Nicht wirklich. Ein Kaninchen, das von niemandem wahr genommen werden will existiert nicht“ philosophierte Kurai und seine Schnauze war Lees Ohr nun ganz nah „Nun? Was existiert für dich, Kleiner?“ fuhr er mit tiefer, rauchiger Stimme fort „Und für wen existierst du? Wäre dein Tod ein großer Verlust?" Lees Blick, der sich im Nichts verfangen hatte, wurde wieder klar und seine Nackenhaare sträubten sich. „Bilde dir nicht ein, du wärst unentbehrlich für Efrafa. Du bist schließlich nicht der Einzige, dem zufällig bekannt ist, wo Watership Down liegt!“ sprach Kurai erneut, seine Stimme klang lauter und bestimmt „Du wärst kein großer Verlust.“ Für einen Moment machte sich große Verwirrung in Lees Kopf breit, aber er fasste sich schnell wieder und versuchte sich über diesen wirren Gedankensalat hinwegzusetzen. Er erhob das Wort: „Spar dir deine kleinen Psychospiele! Die fruchten bei mir nicht!“ Nach diesen Worten wich der goldbraune Rammler ein Stück zur Seite. Keine Antwort. Grinsend trat der Owslafa wieder näher heran und in Lee breitete sich dieses ungute Gefühl erneut aus, das er für einige Momente verdrängt hatte. Er versuchte schnell auf die Beine zu kommen, wurde aber behände von Kurai unten gehalten. „Die Wunde hier an deiner Schulter ist sehr gut verheilt. Meinst du, es schmerzt sehr, wenn ich...“ Ein lauter, beinahe kreischender Schrei drang den Lauf hinauf zu den Ohren eines kastanienbraunen Kaninchens, welches grade die Ratshalle passierte. Es blieb stehen und lauschte. Immer und immer wieder diese verzweifelten Rufe, die einem das Blut in den Adern gefrieren ließen. Aber auf die Hilfeschreie, die heraufkamen, reagierte niemand. Keines der Kaninchen, die an der gegenüberliegenden Wand hockten. Campion schaute nur in eine Reihe von Gesichtern ignoranter Kaninchen. Die Owslas unterhielten sich, schauten weg, ignorierten die unüberhörbaren Laute. Er sah, wie zwei von ihnen den großen Ratsbau verließen und nur noch ein letztes Mal herschauten, dann waren sie verschwunden. Campion machte dieses Verhalten der Kaninchen in Efrafa krank. Efrafa machte ihn krank. Efrafa war krank! Jedenfalls in dieser Hinsicht. Man musste kein Genie sein um zu begreifen, was dort unten vor sich ging. Kurai ließ seinen Frust und seinen Sadismus wieder an einem vermeintlich wissenden Kaninchen aus. Zwar waren seine Methoden effektiv, allerdings äußerst brutal. Viele Kaninchen, die dieses Todesloch lebend verließen, waren ihren Lebtag lang nicht mehr sie selbst, waren verstümmelt, körperlich und geistig, gebrandmarkt für die Ewigkeit. Wie konnte man nur daneben stehen und so tun, als würde nichts passieren? Wie kann man vor so einer Wahrheit nur die Augen verschließen? Ihn widerten diese Owslas an. Aber er hatte Efrafa und dem General Treue geschworen. Und seine Loyalität war für ihn bindend. Sie würde durch nichts erschüttert werden, nicht einmal, wenn sein eigener Bruder dafür leiden musste. So verließ der Hauptmann die Ratshalle, ohne etwas gegen die Schreie zu unternehmen. Lee war am Ende. Sein Körper reagierte nicht mehr so, wie er es wollte. Er zitterte, hatte sich nicht mehr unter Kontrolle. Sein ganzer Köper wurde von Schmerz durchfahren. Pochender, intensiver Schmerz. Seine linke Schulter brannte und schmerzte stark. So stark, dass er nicht mehr auszumachen vermochte, wo er überall verletzt war. „Hast du genug?“ Lee hob seinen schweren Kopf und versuchte auszumachen, woher diese Stimme kam. Wieder sah er alles nur verschwommen. Er strengte sich an und erkannte nach und nach Kurai wieder, der so bequem vor ihm saß, als sei er selbst nicht krank im Geist und Lee gesund im Körper. „Du... Hund...“ hauchte Lee. Er sammelte all seine Kräfte und stemmte sich wieder auf die Beine. Zwar bebten seine Glieder, aber er stand. Lee tat sich unerwartet beständig. Er hielt einiges mehr aus als Kurai anfangs angenommen hatte. Dennoch setzte Kurai nur sein typisches, kühles Grinsen auf und gab sich unbeeindruckt. //Da habe ich ihn möglicherweise ein bisschen unterschätzt// dachte er. „Du bist ganz schön widerspenstig“ sprach Kurai und fuhr mit aufgesetztem Mitgefühl fort „Aber du wirst mir bestimmt nicht sagen, wo Hazels Bau liegt, hm?“ Der goldbraune Rammler war nun nicht in der Lage, einen sinnvollen Satz zu formulieren. Kurais Worte nahm er auch gar nicht mehr wirklich wahr. Er konnte nur annehmen, dass seine Worte nichts Gutes verhießen. Er stolperte einen Schritt vorwärts und spuckte Kurai verachtend ins Gesicht. Der Schwarzbraune zuckte nicht einmal mit der Wimper und wischte sich mit ruhiger Miene den Speichel aus dem Gesicht. Er grinste als er auf Lee hinunter zu Boden sah, dessen schnaufender Atem den feinen Staub, der den Boden bedeckte, hochwirbelte. „Das interpretiere ich mal als ‚nein‘!“ Er grinste und tat einen Schritt zu Lee vor. Er packte Lees Nase mit einer Pfote, wobei sich seine Krallen verankerten, zog in Richtung Nacken nach hinten und ließ die Schnauze des Bocks Richtung Decke recken, sodass sich sein Hals offenbarte. Lee war jedoch zu geschwächt um sich zu wehren und stöhnte nur leise auf. Wie im Fieber nahm er alles um sich herum wahr. Ihm war heiß und er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Kurais bunte Schemengestalt zeichnete sich nur zeitversetzt vor seinen Augen ab und je mehr er versuchte, den Rammler klar zu sehen, desto heftiger schmerzte sein Kopf. Der Goldbraune versuchte etwas zu sagen. Seine Mund formte die Worte, die er sprechen wollte, er vermochte es jedoch nicht, ihnen Klang einzuhauchen, und schloss erschöpft die Augen. Sein Peiniger war merklich amüsiert. „Hatte ich dir nicht versprochen, dass du am Ende sprachlos sein würdest?!“ Hallte seine Stimme lautstark von den Wänden wider. Kurai setzte seine Krallen an Lees Hals an. „Siehst du ihn schon? Siehst du das schwarze Kaninchen von Inlé?“ begann er grinsend „Ich sehe es jeden Abend. Und es ist mir immer wieder eine Freude – Und eine Ehre.“ Der Owslafa senkte den Kopf und ließ sein Grinsen breiter werden. „Aber weißt du, was die Wahrheit ist? ICH bin das schwarze Kaninchen!“ Black folgte den roten Spuren im Schnee. Sie sprang hoch und weit, landete aber immer wieder sanft auf dem weichen Untergrund. Alles um sie herum war schwarz, nur das Weiß des Bodens war der gleißende Kontrast hierzu. Sie horchte und blieb stehen. Doch dies hier war eine absolut geräuschlose Welt. Sie blickte zu dem pechschwarzen Himmel hinauf und beobachtete die erste Flocke, die Richtung Boden segelte. Sie landete direkt auf ihrer Nasenspitze. Aber sie war überhaupt nicht kalt. Auch nicht warm. Eher so, als wäre sie gar nicht wirklich da. Ein Windstoß brachte ihr Fell in Bewegung und aus dem finsteren Schatten des Windes trat eine ebenso pechschwarze Gestalt heraus. Black blickte in die feuerroten Augen eines perfekten Abbilds von ihr, welches ihr entgegen grinste. Das andere Kaninchen sprach, doch Black konnte nichts hören. Sie konzentrierte sich, starrte auf den Mund ihres Gegenübers aber sie konnte dennoch nichts verstehen. Sie sah nur, wie der heiße Atem rauchige Wolken schlug und sich anschließend das Maul zu einem verschrobenen Grinsen formte. Der Körper der Pseudo-Black verformte sich, schrumpfte kurz, wuchs dann jedoch wieder ins Unermessliche aufwärts und verschmolz mit dem Schwarz des Himmels. Die weiße Blesse verschwand. Das Ungetüm starrte auf sie herab mit eiskaltem, blutroten Blick und ihr schien es, als könne sie die Totengeister darin tanzen sehen. //Das schwarze Kaninchen von Inlé!// schoss es der schwarzen Marli sogleich durch den Kopf, da holte der Riese auch schon mit seiner gigantischen Pranke aus und schlug mit einem gewaltigen Donnern auf Black ein. Die Häsin schreckte auf und sah sich hastig um. Sie lag in einem der Owsla-Baus und sie war allein. Sie träumte selten solche Träume. Und sie war wirklich froh, dass sie das nur selten tat. Sie streckte einmal ihre Glieder und kratze sich hinterm Ohr. Ein Donner grollte und brachte die Erde zum Beben. Black setzte sich in Bewegung und folgte den Läufen bis zur Oberfläche. Es war Nacht und absolut windstill. Kaum ein Kaninchen war draußen, welches nicht draußen sein musste. Das schwarze Weibchen kletterte auf die höchste Wurzel, die aus der Erde des halb umgekippten, toten Baumes ragte. Dieser Baum war das Markenzeichen Efrafas und schon von Weitem zu sehen. Sie stellte sich auf ihre Hinterläufe und spitzte die Ohren. Es regnete nicht und der Boden war trocken, aber es donnerte und blitzte weit hinten bei den hohen Hügeln. Es war wirklich schön anzusehen, wie das funkende, dunkle Wolkenungetüm herumzog. Ein melodisches Summen drang an ihr Ohr „Wer wandert so weit über hohe Hügel?“ Sie hörte direkt hinter sich eine ruhige, männliche Stimme singen. „Schwebt so geräuschlos und ohne Flügel.“ Sie blickte über ihre Schulter nach hinten. „Niemals hier und niemals dort.“ Sie erkannte die Silhouette eines Rammlers, der auf einem etwas höher gelegenen, dicken Ast lag. „Und doch ist er an jedem Ort.“ Ein Blitz erhellte die Umgebung für einen Augenblick und Black konnte nun ausmachen, wer der Sänger war. Es war Kurai, Woundworts erster Mann, doch er würdigte sie keines Blickes. Stattdessen sah er nur hinaus in die Ferne, wo sich die dicken, schwarzen Wolken tummelten und deren Bewegungen nur durch die ständigen Blitze auszumachen waren. Das Lied, das er sang, war schon sehr alt. Black selbst kannte es nur aus ihrer Kindheit. Ihr war seine Gegenwart äußerst unangenehm, bewusst wurde ihr das, als ihr frischer Blutgeruch in die Nase stieg. Sie war grade im Begriff sich umzudrehen und wieder von der Wurzel herunter zu klettern als Kurai sodann ganz ohne Melodie weitersprach: „Und sie müssen alle mit ihm fort… weit fort…“ Kurai drehte seinen Kopf der Häsin zu und grinste: „Und sein Fell ist ebenso pechschwarz wie deines, kleine Rußkugel.“ Black schluckte und drehte sich aus Höflichkeit wieder vollends zu dem Rammler herum. „Wie meins, Sir?“ fragte sie nach. „Wusstest du, dass es keinen freien Willen gibt?“ fragte der Owslafa weiter, ohne auf Blacks Frage einzugehen. „Wieso keinen freien Willen? Man kann doch entscheiden, was man tut. Wenn man Durst hat, trinkt man“ entgegnete sie. „Zunächst sollten wir klären, über welche Art von ‚Willen‘ wir sprechen möchten“ begann der Rammler „Über die bloße Lebensaktivität, den Überlebenswillen kann man so sagen, oder reden wir über eine andere Art von ‚Willen‘ wie dem Vorhandensein einer Neigung, eines Sehnens oder Begehrens.“ Unsicher legte Black ein Ohr an und überlegte, ob es wirklich so klug war, mit einem Killer über freien Willen zu debattieren. Als nach einigen Augenblicken noch immer keine Antwort kam, sprach Kurai weiter: „Gehen wir also von der zweiten Variante aus. Alle Geschehnisse basieren auf früheren Ereignissen und Prägungen, das heißt, dass alles von vorn herein bestimmt ist und es nie eine Alternative gab. So wirst du jeden Bach meiden, wenn du schon einmal in einen tobenden Fluss gefallen bist.“ „Aber ich kann doch entscheiden, welche Sorte von Gras ich fresse“ antwortete die Häsin „Das macht doch den freien Willen aus, eben wenn man auch hätte anders handeln können.“ „Haha, eben das ist der Schein, junge Marli. Du wirst dich für jene Art von Gras entscheiden, mit denen du die besten Erfahrungen gemacht hast, so kommen wir wieder zurück auf die Prägung. Von einem wirklichen freien Willen könnte man also nur sprechen, wenn es zwischen dem Willen und den Motiven keine Verbindung gäbe.“ „Und wenn ich mich dann absichtlich für bitteres Kraut entscheiden würde?“ harkte Black nach, obwohl es ihr schon dämmerte, dass dies eine dumme Nachfrage war. „Die einzige Möglichkeit, einen wirklich freien Willen zu manifestieren, wäre, etwas zu tun, wozu es keinerlei Veranlassung gibt. Und da dies selbst die Veranlassung wäre, ist es unmöglich[1] “ begann der Owslafa „Theoretisch müsste deine Zwillingsschwester, wenn ihr stets zeitgleich dieselben Erfahrungen zu Teil wurden, genau so sein wie du“ Black wurde stutzig: „Das kann ich mir nicht vorstellen…“ „Dann denk‘ doch noch mal darüber nach und erzähle mir von deinen Überlegungen. Freiheit ist eine Illusion.“ _____________________ [1] Zitat: Torsten de Winkel Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)