Angel or Demon? von Akai-chan ================================================================================ #16: Geständnisse ----------------- Hidetos Verletzungen heilten nicht zuletzt durch Tetsus Pflege recht schnell und gut. Nach drei Wochen erinnerte nichts mehr an den kleinen Zwischenfall. Die beiden Freunde aßen morgens wie gewohnt miteinander, gingen gemeinsam zur Schule und lernten nachmittags zusammen. Hideto blieb auch wie bereits zuvor fast jede Nacht bei ihm. Sie verbrachten viel Zeit miteinander und durch diese Zeit wurde beiden erst richtig klar, dass sie tatsächlich mehr als nur Freundschaft für den jeweils anderen empfanden. Doch nun, da sich Tetsu alledem sicher war, sagte er Hideto weiterhin nichts davon. Da dieser widerrum davon ausging, dass Tetsu ihn nicht liebte, unternahm auch er keinerlei weitere Versuche, ihm irgendwie näher zu kommen. Langsam wurde es Herbst und das Wetter kälter, stürmischer und ungemütlicher. Der Sportunterricht wurde in die Hallen verlegt und die Winteruniformen wurden aus den Schränken geholt. Eines Morgens fühlte sich Tetsu ganz und gar nicht wohl. Schon beim Frühstück hatte er keinen Appetit und auch auf dem Weg in die Schule kam er sich so schlapp und energielos vor. Er hatte sogar das Gefühl, er würde jeden Augenblick im Stehen einschlafen. Auch später im Unterricht konnte er sich weder auf die Aufgaben noch auf die Stimme des Lehrers konzentrieren. Immer wieder fragte er sich, was nur mit ihm los war. Ihm war so furchtbar schwindelig und letztlich rutschte er vom Stuhl. Geistesgegenwärtig sprang Hideto neben ihm auf und fing den Sturz ab. Zunächst versuchte er, ihn anzusprechen, doch das brachte nichts. Er bemerkte auch, dass Tetsu offenbar hohes Fieber hatte, hob ihn auf die Arme und erklärte dem Lehrer, dass er ihn zur Schulschwester bringen würde. Dass Tetsu sehr blass gewesen war, war ihm schon heute Morgen aufgefallen. So schnell wie möglich verließ er also den Raum und eilte mit seinem Freund auf den Armen den Flur entlang. Noch bevor sie das Krankenzimmer erreicht hatten, war Tetsu wieder bei sich und sah sich ein wenig verwirrt um. "Du bist vom Stuhl gekippt und ich bring dich jetzt zur Schwester.", klärte Hideto ihn schnell auf. Tetsu nickte nur leicht und schloss müde wieder die Augen. Eigentlich hätte es ihn gestört, dass Hideto ihn trug, doch im Moment war er nicht sicher, ob er das auch allein schaffen würde. Die Schwester erkannte die Erkältung sofort und gab ihm ein fiebersenkendes Mittel, Nasenspray und andere Dinge mit, die sie für angebracht hielt, als sie ihn heim schickte. Strikte Bettruhe war nun angesagt. Sie bat Hideto, die Taschen aus dem Klassenzimmer zu holen und Tetsu zu begleiten. Darum ließ er sich natürlich nicht zweimal bitten. Nur wenige Minuten später waren sie auf dem Heimweg und kurz darauf brachte er Tetsu in sein Bett, damit er sich ausruhte und ein wenig schlief. Es war nur zu dumm, dass sein Onkel und die Tante noch immer - oder schon wieder? - auf Geschäftsreise waren. So blieb nur er selbst übrig, der sich um ihn kümmern konnte. Selbstverständlich würde er das gern für ihn tun. Immerhin hatte Tetsu schon so viel für ihn getan. Er wollte sich gern dafür erkenntlich zeigen. Es war nur so, dass er keine Erfahrung darin hatte, sich um eine erkältete Person zu kümmern. Was genau musste er denn tun? Was sollte er möglichst bleiben lassen? Wieder einmal verdammte er den Tag, an dem seine Mutter sie verlassen hatte und die Tatsache, dass er sich so wenig an sie erinnern konnte. Aber Schlaf war erst einmal ein guter Anfang, fand er. Und bis Tetsu wieder aufgewacht war, würde ihm schon etwas eingefallen sein. Nach kurzem Überlegen begann er, in Küche und Wohnzimmer nach etwas brauchbarem zu suchen. Er fand eine Packung, auf dem 'Erkältungstee' stand und beschloss, diesen gleich mal zu kochen. Als die Kanne fertig war, gab er noch etwas Honig hinzu. Irgendwann kam ihm auch wieder in den Sinn, dass man bei Erkältungen Reis- oder Hühnersuppe essen sollte. Doch wie bereitete man sie zu? So begab er sich auf die Suche nach einem Kochbuch und wurde bald darauf auch fündig. Als er das Rezept herausgesucht hatte, kontrollierte er, ob er alles da hatte, was er brauchen würde. Anschließend versuchte er sein Glück und es gelang ihm sogar. Darüber freute er sich so sehr und war irgendwie auch richtig stolz auf sich. Als er fertig war, sah er leise nach, ob Tetsu noch schlief. Ebenso leise betrat er das Zimmer, stellte eine Tasse Tee ab und kniete sich vorsichtig neben das Bett um ihn eine Weile zu betrachten. Es war zwar nur eine Erkältung, aber er machte sich Sorgen. Nach einem kleinen Moment strich er ihm ganz sacht durchs Haar. Schon oft hatte er wach neben ihm gelegen und ihn einfach nur angesehen. Es stand fest: Für ihn gab es kein schöneres, liebenswerteres Wesen auf der Welt. Ja, er hatte sein Herz an diesen Jungen verloren und wahrscheinlich würde er beinahe alles für ihn tun. Es machte ihn immer wieder traurig, dass Tetsu so ein schlechtes Bild von sich selbst hatte. Immer wieder überlegte er, was er dagegen tun könnte, doch es wollte ihm nichts einfallen. Als er nun wieder so neben ihm saß und in sein Gesicht sah, überkam ihn wieder die Erinnerung an ihren Kuss. Er wusste nicht, wie Tetsu das sah, doch er selbst hatte ihn sehr genossen. Allein der Gedanke daran brachte sein Herz wieder dazu, ein klein wenig schneller zu schlagen. Und wie immer kam ihm der Gedanke, er könnte ihn einfach küssen, wenn er schlief. Doch er hatte das bisher nicht getan und würde es auch jetzt nicht. Das wäre unfair und sowieso nicht dasselbe. Nein, er wollte zwar einen Kuss haben, doch wollte er ihn nicht stehlen. Er wollte ihn bekommen; aus freien Stücken. Und selbst, wenn das hieß, dass sie sich nie wieder küssen würden, wäre ihm das lieber. Kurz schüttelte er den Kopf über sich selbst. Natürlich würden sie sich nie wieder küssen. Warum sollten sie auch? Tetsu liebte ihn nicht. Warum nur quälte er sich selbst und machte sich immer wieder von Neuem Hoffnungen? Er wusste es nicht genau. Dabei sollte er doch inzwischen eigentlich ganz genau wissen, dass er nicht gerade ein Glückskind war. Eine Bewegung riss ihn aus seinen Gedanken. Tetsu regte sich und wachte langsam wieder auf. Hideto konnte nur hoffen, dass es ihm schon etwas besser ging oder zumindest der Tee, die Suppe und alles andere ihm helfen würden. "Hey...", sprach er ihn leise an, "Wie fühlst du dich?" Er versuchte, ihm nach Möglichkeit nicht noch mehr Kopfschmerzen zu bereiten. "Ganz ehrlich?", nuschelte Tetsu und rieb sich über die Augen, "Wie ausgekotzt..." Er drehte sich zu dem anderen um und sah ihn müde an. Hideto schob ihm die Tasse Tee zu. "Trink etwas.", riet er ihm, "Das wird dir gut tun." Stirnrunzelnd verbarg Tetsu das Gesicht kurz hinter der Decke. "Bitte.", bat Hideto, "Du willst doch sicher auch schnell wieder gesund werden." Seufzend richtete sich Tetsu langsam auf und nahm dann die Tasse. Kurz pustete er und trank dann. Hideto sah ihm dabei lächelnd zu. "Ich hab auch Suppe gekocht.", erzählte er ihm, "Möchtest du davon etwas haben?" Überrascht sah Tetsu ihn an. "Du hast Suppe gekocht? Ganz allein?", hakte er nach und Hideto sah ihn kurz beleidigt an. "Als wäre das so abwegig...", murrte er, "Warte, ich hol dir was." Damit war er auch schon aufgestanden und ging in die Küche. Tetsu sah ihm nach und seufzte nur leise. Wieder dachte er bei sich, wie niedlich Hideto doch eigentlich war, und ihm wurde warm ums Herz. Es tat gut zu wissen, dass jemand da war, der sich um einen kümmerte. Er trank noch ein paar Schlucke Tee, bis Hideto mit einer Schüssel Suppe wieder herein kam. Er aß alles brav auf, was Hideto widerrum sehr zu freuen schien. Es schmeckte auch gar nicht mal schlecht. "Danke...", krächzte Tetsu leise, als er die leere Schüssel wieder abstellte, "Hat gut geschmeckt." Kurz freute sich der Koch über das Lob, strich seinem Patienten dann aber wieder leicht über den Kopf. "Hauptsache, es hilft auch...", erwiderte er. "Wird es bestimmt.", meinte Tetsu zuversichtlich und legte sich wieder hin. Er fühlte sich so kraftlos und schlapp wie schon lange nicht mehr. Es musste ihn wirklich schwer erwischt haben. "Ich mach dir bestimmt Sorgen.", seufzte er müde, "Tut mir leid." Hideto schmunzelte bei dieser Aussage nur leicht. "Wir werden alle mal krank, nicht?", antwortete er einfühlsam, "Solange du nur bald wieder auf den Beinen bist, reicht mir das vollkommen." "Ich geb mir Mühe...", versprach Tetsu und schloss die Augen. So stand Hideto wieder auf und verließ das Zimmer, um ihm seine Ruhe zu lassen. Zwei scheinbar unendlich lange Stunden später schlurfte Tetsu aus seinem Zimmer zu Hideto in die Stube. Sein Freund stand sofort vom Sofa auf, als er ihn sah, und ging auf ihn zu. "Hey...", sprach er ihn vorsichtig an, "Ausgeschlafen?" Tetsu zuckte nur leicht mit den Schultern, nickte dann aber ein wenig. "Mehr oder minder, würd ich mal sagen..." Er versuchte, etwas zu lächeln und nicht ganz so fertig auszusehen, wie er sich fühlte. "Komm, ich mach dir nochmal Tee und Suppe warm.", schlug Hideto vor und zog ihn behutsam mit sich in die Küche. Dort setzte sich Tetsu an den Tisch. Sein Kopf tat furchtbar weh. Fast schon wünschte er, er möge doch endlich zerplatzen und sich nicht mehr nur so anfühlen, als würde er genau das jeden Moment tun. Er war nicht sicher, ob eine Erkältung schon einmal so schlimm gewesen war wie diese. Leise stöhnte er vor sich hin und rieb sich die Stirn. "Habt ihr irgendwo Kopfschmerztabletten?", erkundigte sich Hideto und sah ihn besorgt an, während er ihm eine Tasse warmen Tees hinstellte. Kurz überlegte der Gefragte. "Glaub schon...", murmelte er, "Kannst du mal im Spiegelschrank im Bad nachsehen?" Schon war Hideto auf dem Weg ins Bad und reichte ihm nur wenig später eine Tablette, die Tetsu nur allzu gern schluckte. Als er darauf wartete, dass sie ihre Wirkung entfaltete, und Hideto eine zweite Schüssel Suppe erwärmte, starrte er in seinen Tee. Er wusste nicht genau warum, aber er musste auf einmal wieder an den Tag zurückdenken, an dem Hideto "sein kleines Geheimnis" herausgefunden hatte. Er wusste, sein Freund fragte sich schon die ganze Zeit, was genau passiert war. Dass er sich doch irgendwie immer noch auch darum Sorgen machte. Und wenn er so darüber nachdachte, hatte er doch ein Recht darauf, es zu erfahren. Vielleicht nur ein kleines, aber immerhin ein Recht. Er war sein bester Freund und sie vertrauten sich gegenseitig. Sie sorgten sich umeinander. Sie kümmerten sich umeinander, wenn etwas war. Er konnte sich auf ihn verlassen. Und vielleicht war es nun endlich einmal an der Zeit, darüber zu sprechen. Er war nicht sicher, ob er dafür stark genug war, doch wollte er es auf einen Versuch ankommen lassen. "Wir waren an einem See...", begann er also ohne Erklärung plötzlich und starrte dabei weiter in seinen Tee. Hideto sah ihn nur fragend an, da er nichts mit dieser Information anzufangen wusste. "Es waren Ferien und sie hatten mich eingeladen, mitzukommen. Am Nachmittag baden gehen, abends am Lagerfeuer Geschichten erzählen und zelten. Das war der Plan. Bis zum Abend verlief auch alles wie geplant. Wir schwammen im See... Und hatten Spaß. Als es dann ein wenig später war, wurde das Lagerfeuer angezündet. Das war eigentlich auch schön. Warm... und alles." Spätestens an dieser Stelle war sich Hideto sicher, wovon er da sprach. Langsam setzte er sich ihm gegenüber an den Tisch und beobachtete ihn genauestens. Tetsu schien sich erst einmal wieder sammeln zu müssen. Er überlegte einen Moment, ob er einfach seine Hand halten sollte, doch da Tetsu sich mit beiden an seine Teetasse klammerte, ließ er es vorerst bleiben. "Naja...", seufzte Tetsu und zuckte ein wenig hilflos mit den Schultern, "Du kannst dir wahrscheinlich schon denken, was passiert ist." Er schloss kurz die Augen und versuchte, mit der Erinnerung irgendwie klarzukommen. "Ein... Ein Funke ist zu mir gesprungen. Ich hatte einen Pullover an und... und in diesem Augenblick stellte sich heraus, dass der sehr leicht entflammbar war. Ich... Ich brannte sofort. Ich hätte nie gedacht, dass das so schnell gehen kann. Aber es kann..." Er schlug die Augen wieder auf und sah Hideto an. Er wusste, er könnte jeden Moment in Tränen ausbrechen, versuchte jedoch, sich zusammen zu reißen. Anstatt seine Hand zu nehmen, stand Hideto nun wieder auf und umarmte ihn. Hilfesuchend krallte sich Tetsu an seinem Hemd fest. "Du kannst dir das nicht vorstellen.", flüsterte er mit zittriger Stimme, "Du kannst dir nicht vorstellen, wie weh das tut. Und die Angst. Ich hatte so wahnsinnige Angst..." Hideto versuchte, in jeder möglichen Art und Weise beruhigend auf ihn zu wirken, strich ihm leicht über den Kopf und sprach sanft auf ihn ein. "Ist schon gut...", sagte er leise, "Du musst das nicht tun. Du musst dich nicht dazu zwingen, mir das alles zu erzählen. Es ist in Ordnung." Doch Tetsu schüttelte den Kopf. "Ich zwinge mich nicht. Ich möchte es dir erzählen. Du möchte, dass du es weißt. Es ist nur eben... schwerer, als ich dachte." "Dann lass dir ruhig Zeit, ja?", bat Hideto, "Wir haben dafür alle Zeit der Welt. Ich kann solange warten, wie du willst." Kurz lächelte Tetsu etwas und nickte sacht. Er fragte sich, was er manchmal nur ohne ihn tun würde. "Danke...", sagte er leise und drückte ihn einen Moment an sich, "Aber da muss ich nun wohl durch. Ich meine... ich kann nicht ewig davor davon laufen und ich kann auch nicht ständig für jeden kleinen Schritt so lange brauchen. Mach dir keine Sorgen. Ich erzähle jetzt einfach schnell zu Ende und dann ess ich noch etwas von deiner Suppe und dann... Ich weiß nicht." Hideto bemerkte genau, wie nervös Tetsu eigentlich war, auch wenn dieser versuchte, das mit schnellem Gerede zu überspielen. Er erkannte es an der Art, wie Tetsu es gesagt hatte, wie er nach Worten suchte, wie seine Augen rastlos durch den Raum wanderten und wie seine Finger ganz leicht zuckten. Tetsu selbst war sich all dessen nicht im Geringsten bewusst. "Also...", begann er wieder, "Meine... ehemaligen Mitschüler sagen ziemlich erschrocken und geschockt aus, als ich da so... in Flammen stand und schreiend aufsprang. Wäre wohl auch schlimm, wenn nicht. Schätze ich mal..." Hideto nickte nur. "Ja, wäre es wohl...", bestätigte er leise. "Ich bin zum See gerannt.", erzählte Tetsu weiter, "Aber irgendwie kam es mir so vor, als ob er kilometerweit weg war. Es hat eine gefühlte Ewigkeit gedauert, bis ich ankam und ins Wasser gesprungen bin. In dem Moment war ich schon so verbrannt und alles war offen... Deshalb hat es auch weiter weh getan, als das Feuer aus war. Der See war nicht gerade klinisch rein, aber ich denke, Schmerzen hätte ich so oder so gehabt." Wieder holte er tief Luft, sah dann langsam mit feuchten Augen zu ihm auf. "Ich bin fast verrückt geworden, bis der Krankenwagen kam...", flüsterte er und nun kullerte ihm doch eine Träne über die Wange, "Verrückt... Du weißt nicht, wie sich das anfühlt. Wenn sich die Haut förmlich abschält. Und dahin schmelzt... Aber das ist auch gut so, denke ich. Das wünsche ich niemandem. Wirklich nicht." "Das glaube ich dir gern.", seufzte Hideto und drückte ihn einfach an sich. Das tat ihm alles so leid. Doch er sagte es nicht, da er sich schon vorstellen konnte, was Tetsu sagen würde. Das wäre nicht seine Schuld. Nachdem er die Geschichte nun gehört hatte, wusste er, dass es im Grunde niemandes Schuld war. Gern hätte er jemanden dafür bestraft, dass Tetsu so leiden musste. Aber vielleicht wäre es besser, ihm dabei zu helfen, dass er das nicht mehr musste. Er nahm sich fest vor, alles in seiner Macht stehende dafür zu tun. Und vielleicht sogar noch mehr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)