Angel or Demon? von Akai-chan ================================================================================ #7: Ein Schritt nach vorn ------------------------- Nach einigen Stunden hatten sie die Insel im Süden des Landes mithilfe eines kleinen Schiffes endlich erreicht. Die Überfahrt hatte Tetsu jedoch auf der Toilette verbringen müssen, da er leicht seekrank geworden war. Die Erleichterung, nach scheinbar endloser Zeit wieder festen Boden unter den Füßen spüren zu können, stand ihm förmlich ins Gesicht geschrieben. Dieses war allerdings noch ein wenig blass, was Hideto noch immer leichte Sorgen bereitete. "Geht es wieder...?", erkundigte er sich nach Tetsu's Befinden, als sie das Schlusslicht der Gruppe aus Schülern bildeten, welche auf das Hotelgebäude, in dem sie die nächste Woche verbringen würden, zulief. Tetsu nickte nur kurz. "Hai, alles okay!", lächelte er bestätigend, "Ich bin nur froh, dass wir auf Kyushu leben, sonst hätte ich das vielleicht mehr als ein Mal ertragen müssen... Aber danke, es geht schon wieder. Nur keine Sorge!" Das nächste Lächeln von Seiten Tetsu's beruhigte den Blonden dann doch wieder und auch er nickte. Gleich darauf streckte er die Hand nach Tetsu aus, wuschelte ihm kräftig über den Kopf, was die schwarzen Haare zu allen Seiten abstehen und dessen Besitzer etwas geschockt und irritiert dreinschauen ließ, und lief grinsend und etwas kichernd mit der Reisetasche über der Schulter weiter voraus. Tetsu allerdings war aufgrund dieser unerwarteten Handlungsweise stehen geblieben und starrte Hideto sprachlos hinterher. So ein durchgeknallter Krauz... Was sollte das denn jetzt werden? Also wirklich, Hideto war manchmal einfach unmöglich! Dennoch musste Tetsu schmunzeln... Aber vielleicht wäre es besser, wenn er nicht weiter darüber nachdenken würde, sondern es einfach kommentarlos hinnehmen würde. Höchst wahrscheinlich steckte da sowieso kein tieferer Sinn dahinter... In diesem Moment drehte sich Hideto wieder zu ihm um, nickte ihm zu. "Jetzt komm schon!", wurde Tetsu immer noch grinsend aufgefordert. Mit einem leichten Seufzer und einem mit einem Lächeln begleiteten Kopfschütteln kam er eben dieser Aufforderung nach, ging langsam auf den Wartenden zu und zog dabei seinen Koffer hinter sich her. Eine knappe Dreiviertelstunde später hatten sie ein Zimmer mit zwei Betten zugeteilt bekommen und packten ihre Sachen aus. Tetsu hatte es sich auf dem Boden bequem gemacht, während Hideto seine Tasche auf das Bett gestellt und sich daneben gesetzt hatte. Noch bevor der Blonde fertig war, hatte er sich der Jacke und des Hemdes der Schuluniform entledigt, stand nun halbnackt im Raum und wischte sich den Schweiß mit dem Handrücken von der Stirn. Tetsu hatte sich schlagartig umgedreht, als er die Klage des Anderen über die hohen Temperaturen vernommen und dessen Hände an der Oberbekleidung gesehen hatte. Es war völlig klar gewesen, dass Hideto sich hatte ausziehen wollen. Er konnte es nicht. Nein, Tetsu konnte sich immer noch keine anderen Menschen ansehen, wenn sie in irgend einer Form ihre Körperteile entblößten! Er konnte diesen Anblick nicht ertragen. Aber noch viel weniger konnte er seinen eigenen Anblick Morgen für Morgen im Spiegel des Badezimmers ertragen. Mit einem bitteren und gequälten Lächeln saß er wie ein Häufchen Elend auf dem Zimmerboden und starrte die weiße Wand an, die rein zufällig in seinem Blickfeld lag. Hideto hatte er den Rücken zugekehrt... "Willst du dich nicht auch etwas ausziehen?", Tetsu zuckte erschrocken zusammen, als der Blonde ihn wieder aus seinen Gedanken riss, "Oder zumindest was leichteres an... Es ist echt verdammt heiß hier!" Hideto war auf seinen Zimmergenossen zugegangen, musterte ihn nachdenklich. Tetsu war schon wieder so komisch... Das gefiel ihm nicht im Geringsten! "Ach nein... Es ist eigentlich ganz angenehm so...", erhielt er als einzige Antwort. Na toll... Er lief hier vor Wärme fast weg und Tetsu schien ein wandelnder Kühlschrank zu sein. Der immer noch auf dem Boden sitzende hatte unterdessen wieder damit begonnen, stumm in seinen Sachen zu wühlen und sah ihn nicht weiter an. Auch Hideto schwieg noch einen Augenblick, bevor er sich wieder schulterzuckend umdrehte und die Schuluniform seufzend in die hinterste Ecke des Schrankes verbannte und etwas davon murmelte, dass Tetsu nur ja nicht wieder zusammen brechen solle. Er wollte das wirklich nicht nochmal mit ansehen müssen! Da Hideto gerade aus der Balkontür hinaus sah, bemerkte er nicht, dass sich Tetsu auf seine Sorge hin doch zu ihm gedreht hatte. Außerdem war er zu dem Schluss gekommen, dass er nicht sein ganzes Leben lang die Augen vor nackter Haut verschließen konnte. Je eher er sich wieder daran gewöhnte, desto besser... Nun starrte er dem Blonden unentwegt auf den unbekleideten Rücken, bracht im ersten Augenblick kein Wort über die Lippen und konnte dir Augen nicht mehr abwenden. Dass er von dem Anblick, der sich ihm bot, so fasziniert war, dass sich sein Herzschlag etwas verschnellert hatte, fiel ihm erst ein paar Sekunden später auf, als er sich wieder einigermaßen gefasst hatte. "Du... hast ja ein Tattoo auf dem Rücken!", er hatte auch seine Stimme wieder gefunden. Allerdings war ihm auch nichts besseres eingefallen, als Hideto etwas zu sagen, was dieser sehr wahrscheinlich eh schon wusste. Er fand das ja selbst dumm, aber was sollte er schon machen? Wenigstens hatte seine Aktion den Effekt, dass sich Hideto wieder zu ihm gewandt hatte. Tetsu, der selbst immer noch auf dem Teppich des Zimmers hockte, sah ihn von unten herauf etwas schüchtern lächelnd an. Anfangs hing sein Blick mehr am Gesicht und vor allem an den Augen des Blonden. Dieses Dunkle, Tiefgründige nahm ihm schon wieder beinahe den Atem... Langsam sah er sich dann auch den Rest an, musste dabei schlucken und spürte doch einen Stich im Herzen. "Ja, hab ich...", antwortete Hideto nun ebenfalls lächelnd und mit einem ähnlichen Standardsatz, setzte sich anschließend leicht grinsend vor ihn hin, "Hast du das denn noch nicht gesehen?" Ein fragender und zum Teil verwunderter Blick traf Tetsu, woraufhin sich dessen Augen etwas weiteten. "Ich... also... Ich hab da nie so drauf geachtet...", erklärte er schnell. Ja, er hatte mehr darauf geachtet, ihn gerade NICHT anzusehen... Wenn die anderen Schüler in der Umkleide waren, war Tetsu schon längst in der Halle oder auf dem Sportplatz. Nach dem Unterricht ließ er sich dafür umso mehr Zeit mit dem Umziehen - solange bis jeder andere den Raum verlassen hatte. Immer, wenn Hideto wieder bei ihm war und sich umziehen wollte, fand Tetsu irgend einen Grund, das Zimmer zu verlassen - und wenn es nur eine neue Kanne Tee war, die er aufsetzen würde. Er hatte inzwischen gute Methoden entwickelt, um perfekten Oberkörpern, wie ihn Hideto ganz eindeutig besaß, aus dem Weg zu gehen. "Aber gibt das denn keinen Ärger mit den Lehrern...?", versuchte er sofort ein bisschen vom Thema abzulenken. Und es funktionierte, er erntete ein verschwörerisches Grinsen. "Tja, ich bin auch gespannt, was unser Pauker dazu sagen wird, wenn er das sieht. Bis jetzt hat er nicht den Hauch einer Ahnung!" Tetsu schwieg, blinzelte sein Gegenüber nur etwas irritiert und zum Großteil komplett verständnislos an. "Sag mal... willst du unbedingt von der Schule fliegen!?", empörte er sich etwas lauter in der Tonlage, "Ich meine, was soll sowas? Legst du es denn unbedingt darauf an?" Doch Hideto zuckte nur kurz mit den Schultern. "Und wenn schon...?", meinte er vollkommen gleichgültig, "Was soll das hier denn schon bringen?" Bei diesem Satz - oder besser bei dieser Frage - platzte Tetsu der Kragen. Kurzerhand griff er nach einer der langen, blonden Strähnen, zog Hideto so unter dessen Schmerzensbekundungen und Bitten, Tetsu möge doch damit aufhören, zu sich. Allerdings dachte er nicht mal im Traum daran, ihn wieder loszulassen. "Was das bringen soll?", seine Stimme zeigte eindeutig, dass er im Augenblick keine Widerrede oder etwas in der Art dulden würde, bis er fertig wäre, "Ich glaub, ich spinne! Klar, Schule ist vielleicht nicht immer so spannend, seh ich ja auch so! Aber da müssen wir eben durch, ob wir wollen oder nicht. Hast du auch schonmal daran gedacht, was danach kommen soll? Was mal aus dir werden soll? Klar, du kannst dir immer wieder irgendwelche Neben - oder Aushilfsjobs suchen, aber du weißt genauso gut wie ich, dass die nicht unbedingt gut bezahlt werden, oder? Wie willst du da bitte deinen Lebensunterhalt verdienen, erklär mir das mal! Auch, wenn ich grade wie die Lehrer oder Erwachsenen klinge, aber damit kannst du dir einfach kein richtiges Leben aufbauen, es GEHT nicht. Das ist genau genommen eine ganz einfache Rechenaufgabe... In unserer heutigen GEsellschaft braucht man nun mal einen ordentlichen Abschluss um einen ordentlichen und ordentlich bezahlten Job zu bekommen. So traurig das auch ist, aber wir leben hier in einer Leistungsgesellschaft. Wer diese Leistungen nicht bringt, geht unter, das IST so! Du solltest so schnell wie möglich mal in deinen Kopf bekommen... Und wenn du auf dein Glück spekulieren willst, dass dich schon irgendwann ein ganz lieber Mensch aufnimmt, dir Arbeit gibt und so weiter, weil er dich ach so nett und sympathisch findet, dann wünsch ich dir viel Geduld - du wirst sie dringend brauchen! Solche Menschen gibt es nicht, oder nur sehr wenige zumindest... Die meisten sind doch viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Jetzt sei doch mal ehrlich zu dir selbst: So wie jetzt wirst du nicht dein ganzes Leben lang weitermachen können..." Hatte er das nicht eben noch zu sich selbst gesagt? Und jetzt spielte Tetsu hier den Oberlehrer... Aber er ließ sich nicht weiter aufhalten, sondern redete munter weiter auf den Anderen ein. "Willst du denn irgenwann mal als Penner auf der Straße enden? Aber immerhin, ein Penner mit bemaltem Rücken, echt großartig! Mensch, Hideto! Das KANN so nicht weiter gehen! Wach endlich mal auf und werd dir bewusst, dass du dir so dein ganzes Leben versauen kannst! Und wenn du nicht als Penner endest, dann doch zumindest als einer der vielen, die den ganzen Tag unzufrieden mit sich und ihrem Leben sind, nur noch rummaulen und das Lächeln schon längst verlernt haben. Ist das deine Vorstellung davon, wie deine Zukunft aussehen soll, ja? Na, dann tust du mir leid..." Tetsu hielt kurz inne, ließ seine Worte wirken. Das Haar hatte er zwar immer noch in der Mangel, jedoch nicht mehr so, dass es dem Besitzer jener Haare weiter weh tat. "Hideto...", sprach er nun wieder etwas leiser und weicher, "Ich verbiete dir hiermit, dein Leben einfach so wegzuschmeißen, verstanden!? Du darfst dich nicht von der Schule schmeißen lassen und mich da wieder ganz alleine lassen... Ich meine... Du bist der Einzige, mit dem ich mich verstehe, mit dem ich mich anfreunden konnte... Bitte..." Sein letztes Wort war nicht mehr als ein kaum hörbares Hauchen gewesen, als er Hideto in diesem Moment wieder frei gelassen hatte. Dieser sagte noch immer nichts, richtete sich nur etwas zögerlich auf. Er hob den Blick wieder, sah Tetsu an und entdeckte etwas in dessen Gesichtsausdruck, das ihm einen Stich versetzte. War es Traurigkeit? Verzweiflung? Hilflosigkeit? Er wusste es nicht richtig zu deuten, aber genau dieser Ausdruck war es, was ihn dann doch etwas nachdenken ließ. War ihm die Schule wirklich so egal, wie er behauptete? Wieso ging er dann aber noch jeden Tag hin? Er hatte in seinem ganzen Leben noch nicht eine Stunde geschwänzt... Außerdem stimmte es, was Tetsu gesagt hatte: Er war wirklich der Einzige, mit dem der Schwarzhaarige auskam. Wenn er jetzt abbrechen oder die Lehrer zu sehr provozieren würde, wäre der Andere für den Rest seiner Schulzeit sehr wahrscheinlich allein in den Massen an Schülern. Und wenn Hideto GANZ ehrlich zu sich war, dann freute er sich irgendwie auf jeden Tag, jede Stunde, ja sogar auf jede einzelne Minute, die er mit Tetsu verbringen konnte. Er wollte ihn nicht allein lassen. Er wollte ihn niemals missen müssen... Tetsu sah ihn immer noch bittend und wie ein kleines Reh an. Hideto war immer wieder aufs Neue überrascht, wie süß er sein konnte und rang sich ein kleines Lächeln ab, bevor er nickte. "Ist okay...", murmelte er nur kurz, "Ich hab verstanden. Ich lasse dich bestimmt nicht allein, das verspreche ich dir!" Auch Tetsu lächelte wieder dankbar und nickte ebenfalls. Wie sehr er sich freute, hätte er niemals in Worte fassen können, so groß und vielseitig war dieses Gefühl... Für einen Augenblick verspürte er sogar den Impuls, den Blonden zu umarmen. Er überlegte: Sollte er es tun oder nicht? Kurz schluckte er, gab sich dann aber einen Ruck und legte die Arme um Hideto's Oberkörper. "Arigatô...", nuschelte er leise und ließ sofort wieder von dem Anderen ab. Zu lange musste es ja auch nicht sein... Dennoch hatte die Zeit ausgereicht, um seine Wangen wieder eine leichte, rötliche Färbung angenommen haben zu lassen... Eine Frage beschäftigte Hideto dann aber doch noch. "Sag mal...", sprach er sein Gegenüber wieder an, "Wie gefällt es dir eigentlich...?" Wieder begegnete Tetsu einem Grinsen, als er Hideto wieder ansah. "Du meinst das Tattoo...?", fragte er vorsichtshalber nochmal nach, stellte aber aufgrund des darauf folgenden Nickens fest, dass seine Vermutung richtig gewesen war. Nun konnte er sich seinerseits ein kleines Grinsen auch nicht weiter verkneifen und bedeutete dem Blonden mit einer Handbewegung, dass er sich umdrehen sollte. Dem wurde auch gleich Folge geleistet und er konnte sich wieder die dunklen Linien ansehen, die in die Haut eingestochen worden waren. Er rückte etwas näher, streckte etwas zögerlich die Hand aus. Tetsu war sehr unsicher, als seine Fingerspitzen die glatte Haut berührten und er die Konturen langsam und vorsichtig nachzog. "Engelsflügel...", murmelte er nachdenklich, "Bist du denn ein Engel...?" Wieder lächelte er sanft vor sich hin, den Blick noch immer auf dem Bild haltend. Hideto lachte leise auf diese Frage hin. "Bin ich ein Engel...?", wiederholte er sie grübelnd, "Vielleicht bin ich auch nur ein Dämon, der vorgibt ein Engel zu sein, damit ich arme, unschuldige Menschen wie dich in die Falle locken kann..." Den Kopf hatte er wieder Tetsu zugewandt und sah ihn über die Schulter hinweg an. Tetsu erwiderte den Blick und zog eine Augenbraue hoch. "Verstehe...", meinte er in fast gleichgültigem Ton, meinte es aber nicht so. Wieder suchte er die Augen des Blonden nach etwas ab, das ihm vielleicht bei der Antwort geholfen hätte. Doch er fand nicht wirklich etwas... "Ich schätze, dann werde ich das wohl in nächster Zeit herausfinden, meinst du nicht...?", wieder folgte ein Lächeln auf seine Frage - von beiden. "Hai...", war alles, was Hideto noch sagen konnte. Sie sahen einander weiter an und die Welt um sie herum blendete sich zum wiederholten Male aus... Hosted by Animexx e.V. 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