Lil' Tomb Raider I - Die Letzte der Sefim von HasiAnn ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Schottland - Chopin Mann, war das schon wieder ein lausiger Morgen. Der Regen trommelte an das Fenster und machte dabei einen Höllenlärm, so laut, dass sich ein zerzauster Wuschelkopf durch die Kissen wühlte, ein paar unverständliche Töne von sich gab und wieder unter der Decke verschwand. Das laute Plätschern am Fenster fuhr unablässig mit seinem Konzert fort und so sehr das Etwas unter der Decke auch versuchte, die Lautstärke zu ignorieren und weiter zu schlafen, es nützte alles nichts. Es war zum Verzweifeln. „Mh.......................“, nörgelte es unter der Bettdecke hervor. Eine Hand fuhr heraus, griff zwei-, dreimal ins Leere, bis es den Funkwecker auf dem Nachttisch erwischte. Zwei verschlafene Augen blickten auf die Ziffernanzeige. „Och nöööööö...“, ging die Nörgelei weiter. „Das is' doch nich' wahr, oder? War heute nicht Sonntag oder sowas in der Art? Kann man heute nicht eigentlich mal auspennen oder sowas in der Art??“ Die Decke flog zurück und zum Vorschein kam ein junges Mädchen. In ihrem zerknitterten, pinken Pyjama blieb sie noch ein paar Momente auf dem Bettlaken liegen, betrachtete die Deckenkacheln und spielte mit ihren langen, braunen, zerzausten Haaren, die ursprünglich mal in einem Zopf zusammengefasst waren, welcher aber die Nacht wohl nicht überstanden hat. „Heute is wieder so'n Scheiß-Tag.“ Das Mädchen, das sich gerade jammervoll aus dem Bett quälte war Mel. Ihr vollständiger Name war Lady Madjana Elisabeth Laurana Sefim. Ja, sie war eine Lady, eine original schottische Lady. Sie lebte, seit sie denken konnte, mit ihrem Vater auf einem riesigen Anwesen in der Mitte einer Einöde in Schottland. Das war nicht gerade das paradisischste Leben, das sich eine Siebzehnjährige vorstellen konnte, obwohl ein Haufen Knete, eine Menge Platz, ein Swimmingpool, eine Sauna, ein Butler, ein Reiterhof, noch eine Sauna und unzählige TV-Geräte natürlich sehr verlockend scheinen. Aber Mel war wohl der lebende Beweis dafür, dass Geld nicht glücklich machen kann. Das Anwesen des Sefim-Clans, das Chopin, wurde bereits seit Urzeiten von Generation zu Generation weiter gegeben und befindet sich auch genau aus diesem Grund mitten im Nirgendwo. Der nächst größere Ort war mehrere Hügel und Weiden entfernt. Es war auf dem Chopin zwar immer schön ruhig, aber der Kontakt zu anderen menschlichen Wesen war gleich Null für Mel. Freunde kannte sie so gut wie nicht und da sie nur ein Privatlehrer unterrichtete und ihr Vater mehr damit beschäftigt war, karitative Organisationen zu gründen und damit beschäftigter war, als der Weihnachtsmann kurz vor dem 25. Dezember, war der einzige Mensch, mit dem Mel noch irgendwie eine Beziehung aufbauen konnte, der Butler. Jones. Er sah zwar aus, wie der schlaksigste Türsteher aller Zeiten, aber er war ein guter Mensch, mit dem man immer gut reden kann und der Mel wo es nur geht zur Seiten steht. Aber momentan sah die Lage eher so aus, dass Mel Sonntag früh um halb sieben vom Regen geweckt wurde und nun nicht mehr einschlafen konnte. Is doch herrlich erfrischend. Wie dem auch sei. Das Mädchen wanderte durch ihr riesiges Schlafzimmer. Überall lagen verstreut Bücher über Mythologie und Geschichte. Ihr Privatlehrer legte sehr viel Wert darauf, aus ihr eine echte Lady zu machen, neben Mathe, Englisch und allen möglichen Naturwissenschaften, lehrte er sie höfliche Umgangsformen, Hauswirtschaft und wie man möglichst unauffällig und still vor sich hinsitzt und die Leute reden lässt, die sowieso mehr Ahnung haben, als sie. Ja, so ein Leben ist doch echt was feines für einen Teenager im hohen Alter. Doch Mel machte sich neben dem Unterricht noch über ein paar andere, für sie wichtigere Sachen schlau. Als sie am Fenster ankam fitzte sie den Haargummi aus ihren Haaren und starrte wütend den Regen an. Sie seufzte kurz. Dann band sie sich einen Pferdeschwanz, rieb sich die Augen und watschelte ins Bad. Ein Stockwerk tiefer saß Mels Vater bereits am Frühstückstisch und durchforstete die Zeitung. Ein Foto von ihm erschien auf der Titelseite mit der Kopfzeile: „Sefim-Oberhaupt errettet Dorf aus der Armut“. Lord Sefim schmunzelte zufrieden. „Sie stehen schon wieder auf der Titelseite?“, tauchte hinter ihm Jones mit einem Tablett auf, auf dem eine Kanne Tee und eine Tasse aus chinesischem Porzellan standen. „Wird es ihnen nicht langsam langweilig den Großteil ihres Besitzes mit den weniger Bevorteilten zu teilen?“ „Ich mache das nur, um meinem Ego etwas Gutes zu tun, mein lieber Jones.“, lächelte Lord Sefim. Beide Herren lachten. „Tee, Sir?“ „Ja, bitte.“ Daraufhin goss Jones etwas Tee in die Tasse und stellte sie auf den Tisch. „Ist die kleine Lady schon wach?“, Lord Sefim blickte von seiner Zeitung auf. Jones zuckte mit den Schultern. Doch ein langes und lautes: „JOOOOOOONES!!! EISTEE!!!!“ beantwortet seine Frage sofort. Der Butler rollte mit den Augen: „Und ich dachte, Mannour würde es langsam mal schaffen, ihr Manieren beizubringen.“ „Nur keine Sorge, Jones. Früher oder später wird auch sie es lernen. Lassen sie ihr Zeit.“ Jones verbeugte sich kurz, verließ dann die Küche und stieg die Stufen zu Mels Zimmer hoch. Doch so weit kam er gar nicht, da ihm das Mädchen bereits entgegen stapfte. „Schon gut, ich hol ihn mir selbst.“, murmelte die noch im Pyjama steckende Bettleiche. „Haben sie gut geschlafen, Lady Sefim?“ Daraufhin drehte sich das Mädchen zu ihrem Butler um, sah ihn mit erhobener Augenbraue an und meinte dann trocken und genervt: „Sehe ich denn so aus??“ Der große Herr schmunzelte nur, schüttelte dann den Kopf und machte sich auf in ihr Zimmer, um ihr Bett neu zu beziehen. „Morgen, Daddy.“, schleppte sich Mel in die Küche, ging auf direktem Weg auf ihren Vater zu. Naja, auf direktem Weg ist ein wenig untertrieben. Auf direktem Weg kann man in dieser Küche nirgendwohin kommen. Lord Sefim hat die Macke, ständig Leidenschaften für Artefakte zu entwickeln. In jeder noch so piepsligen Tonscherbe sieht er die Geschichte eines ganzen Volkes. Aus diesem Grund war so gut wie die gesamte Küche mit jeder Menge „Artefakte“ zugemüllt. Lord Sefim stellt seine Schätze gerne in die Küche, weil er einerseits in keinem anderen Zimmer inspiriert genug ist, sich mit den Teilen zu beschäftigen, wie er immer zu betonen pflegt. Andererseits regt sich Jones gerne drüber auf, wenn er den ganzen Kram erst mühsam zur Seite räumen muss, um in der Küche kochen zu können und Lord Sefim amüsiert das köstlich. Mel hingegen arbeitete sich an seltsam geformten Metallstücken und in Plastikbechern verstauten Schmutz vorbei zu ihrem Vater, um ihn zu knuddeln, wie sie es sonst auch immer tut. „Guten Morgen, mein Schatz. Hast du gut geschlafen?“ Mels Mine verfinsterte sich wieder. „Ja, ich habe herrlich geschlafen. So herrlich, dass ich das Aufwachen um halb sieben Uhr früh schon gar nicht mehr erwarten konnte.“, giftete sie. „Nimm's nicht so schwer. Wenn du erwachsen bist, wirst du sehen, dass es wichtigere Dinge gibt, über die man sich aufregen kann, als mal einen Tag nicht ausschlafen zu können. Setz dich und iss was.“ Das Mädchen setzte sich auf einen Holzstuhl, zog die Knie zu sicher heran und betrachtete den Esstisch. Jones war ein hervorragender Koch und wie er das Essen so liebevoll anrichtete war die reinste Freude fürs Auge. Aber heute war Mel irgendwie nicht nach essen. „Was ist? Magst du nicht?“ „Och, ne, Daddy. Hab' irgendwie keinen Hunger.“ „Was ist denn los?“, fragte ihr Vater besorgt und war schon wieder kurz, davor ein Fieberthermometer zu holen und den Notarzt und die Intensivstation zu benachrichtigen. „Ich weiß nicht. Mag heute nich'. Ich hab' irgendwie schlecht geträumt und das verdirbt mir gerade den Appetit.“ „Was hast du denn geträumt, Hase?“ „Weiß ich nicht mehr genau. Irgendwas mit einer Eule oder Habicht oder Geier. Auf jeden Fall war da 'n Vogel und an mehr kann ich mich nicht erinnern.“ Lord Sefim schaute kurz auf, blickte seine Tochter für einen Moment ernst an, doch sie sah es nicht, weil ihr Blick noch immer auf das viele Essen gerichtet war. Dann sah er wieder in seine Zeitung. „Ich glaube...“, murmelte er hinter dem Papier, „...dass du einfach mal ein bisschen Freiheit brauchst. Wie wäre es, wenn wir beide mal Urlaub machen?“ Sofort sah Mel ihren Vater hellaufbegeistert an. „Ist das dein Ernst??“, fragte sie, um sicher zu gehen, dass sie sich nicht verhört hat. „Ja, natürlich. Wir fahren zusammen wohin du willst.“ „Ich will nach Kambodscha.“, rief Mel ohne groß nachzudenken. Ihr Vater sah von der Zeitung auf, seine Tochter verdutzt an. „Was um alles in der Welt willst du denn in Kambodscha?“ „Ich hab da gerade was gelesen über einen Tempel, der erst vor Kurzem entdeckt wurde. Ich wollte mir das gerne mal ansehen.“ Lord Sefim lächelte. „Das ist meine Tochter. Neugierig und abenteuerlustig. Gut, abgemacht, sobald dieser Auftrag durch ist, fliegen wir zusammen nach Kambodscha.“ Mel freute sich schon jetzt riesig, doch dann registrierte sie diese Wort, das ihr Vater eben noch benutzt hatte. „Was denn für ein Auftrag?“, sie dachte schon, jetzt kommt er sicher wieder mit einem riesengroßen Projekt das mehrere Monate in Anspruch nehmen wird. „Diese Nacht kam ein Paket hier an. Es stammt von einer Frau aus London. Sie ist die Leiterin einer Abteilung zur Unterstützung von Randguppen. Sie hat mir irgendwas geschickt und will meine Meinung dazu wissen.“ „Was hat sie dir denn geschickt.“ „Ich weiß nicht. Ich hab' das Paket noch nicht aufgemacht.“ „Und warum nicht?“, fragte Mel ungläubig. „Man sollte den Tag mit einem guten Frühstück beginnen und nicht mit Arbeit.“ „Jaja, schon gut.“, sie wedelte mit der Hand. Sowas von konservativ. „Darf ich es dann aufmachen?“ „Na gut. Es steht im Fourier. Aber sei vorsichtig damit.“ Daraufhin stand Mel auf und trabte aus der Küche. Im Fourier stand dort ein kleines Paket auf einem Tisch. Neugierig begutachtete das Mädchen erst den in Papier eingewickelten Quader, dann öffnete sie ihn schnell. Hervor kam eine Schachtel. Als Mel sie öffnete, schoss urplötzlich ein kleiner Lichtblitz aus ihr. Eine Art winziger Kugelblitz. Die Kleine erschrak erst, doch dann sah sie dem Irrlicht verwundert hinterher. Es schien erst völlig sinnfrei durch die Gegend zu schwirren, als ob es blitzschnell einen Ausgang finden wollte. Mel war verwirrt und fragte sich, was das soll. Der Kugelblitz bewegte sich so schnell, dass Mel ihm sogar ein paar Mal ausweichen musste. Ihr wurde das langsam zu bunt und wollte sich das Ding schon schnappen. Es flog auf direktem Weg auf das Mädchen zu, doch als das Mädchen sich das Licht schnappen wollte, war es wie vom Erdboden verschluckt. Einfach weg. Nichts mehr zu sehen. Mel stand erst nur verdattert da. Es war still. Nein, es war sogar sehr still. Das fiel Mel plötzlich ganz deutlich auf. Irgendwie vermisste sie das Schlurfen von Jones in den Gängen oder das Geräusch, wie ihr Vater seinen Tee in der Küche trinkt. Es war irgendwie unnatürlich still. Wie die Ruhe vor dem Sturm. Doch dann ohne weiter Vorwarnung wurden die Fenster in der Decke im Fourier zerstoßen, Seile schlangen sich von ober herab. Die Fenster an den Wänden wurden zerschossen und die Tür des Haupteingangs aufgesprengt. Überall flogen Glassplitter, Steine und Staub herum, sodass Mel neben dem Schock der plötzlichen Ereignisse erstmal völlig im Dunklen tappte. Doch als sie sah, wie mehrere in schwarz gepanzerte Männer das Anwesen stürmten, erkannte sie die gefährliche Situation. Sie wusste zwar nicht, was die Männer wollten, doch sie wusste, dass sie sicher nicht gekommen waren, um ihren Vater um ein paar Spenden zu bitten. Das Mädchen nahm ihre Beine in die Hand, lief gedeckt im Staub und Schmutz davon und hoffte, dass sie noch unentdeckt war. Sie rannte die Treppen in das zweite Stockwerk nach oben. Unterwegs hörte sie von einem der Männer - vermutlich vom Anführer: „Durchsucht alles. Die Phiole muss hier irgendwo sein.“ Das Mädchen wusste nicht, was damit gemeint war. Sie wollte einfach nur so schnell wie möglich in ihrem Zimmer verschwinden. Doch kurz bevor sie ihre Tür erreichen konnte, hörte sie eine Stimme: „Wir haben hier jemanden.“ „Wer ist das?“, fragte der Anführer. Es wurde ruhig im unteren Stockwerk. Der Staub und die Aufregung legten sich. „Lord Sefim.“ Mel riss die Augen auf. Ihr Vater. Sie hatten ihren Vater. Sie kniete sich auf den Boden, rutschte an das Mamorgeländer heran und blickte nach unten ins Fourier. Dort stand ihr Vater in Mitten der Männer und blickte den Anführer böse an. „Aha, der berühmte Lord Sefim.“, meinte der Anführer. „Sie werden die Phiole nicht finden.“, sagte Mels Vater hart. Das Mädchen saß nur am Geländer, hatte furchtbare Angst, wollte ihrem Vater helfen, doch sie konnte vor lauter Angst nicht einmal mehr aufstehen. „Wir wissen, dass Mrs Towers ihnen die Phiole geschickt hat.“ „Sie sind falsch informiert worden. Die Phiole ist nicht hier.“ „Meine Männer durchsuchen noch immer ihr Anwesen. Früher oder später werden sie sie finden.“ Und genau in dem Augenblick tauchte hinter Mel einer der schwarzen Männer auf. Die Kleine erschrak furchtbar, doch bevor er irgendetwas verheerendes hätte anrichten können, wurde er von hinten mit einem Betäubungspfeil angeschossen. Der Mann kippte nach vorn und hinter ihm kam Jones zum Vorschein. „Jones!!“, flüsterte Mel ein wenig erleichtert. „Was ist hier los? Wer sind die?“ Der Butler kniete sich zur kleinen Lady runter und antwortete: „Ich weiß es leider auch nicht so genau. Diese Männer scheinen etwas zu suchen. Sie bleiben hier oben. Ich gehe in das Zimmer am Ende des Flurs und rufe die Polizei.“ „Nein!“, Mel zog an Jones Ärmel. „Du kannst mich doch jetzt nicht hier allein lassen!“ „Keine Sorge, Lady Sefim. Sie sind mutiger, als sie denken. Verlassen sie sich erstmal nur auf ihren Mut und dann sehen wir weiter.“ Mel gehorchte und blieb in ihrer Ecke hocken. Jones schlich sich den Flur entlang. Doch als er weg war, tauchte ein weiterer der Männer auf. Dieses Mal erschrak Mel nicht so sehr. Sie sah den Mann böse an. Dieser richtete seine auf Mel und rief: „Ich hab hier jemanden.“ Er wies sie an, aufzustehen. Das Mädchen zögerte erst, aber fast wie aus einem noch nie vorher dagewesenen Reflex, griff sie blitzartig nach dem Gewehr, das der Betäubte hatte fallen lassen, richtete sie auf den Schützen und drückte ohne zu zögern ab. Der Knall dröhnte in Mels Ohren und war lauter, als sie erwartet hatte. Die Wucht des Schusses stieß sie selbst ein wenig nach hinten. Sie hatte Mühe, sich dabei noch aufrecht sitzend zu halten. Dann hörte sie, wie die leere Patronenhülse auf dem Boden fiel und ein hallendes Klingen hinterließ. Kurz darauf sank der tote Körper des Schützen vor ihr auf die Knie und kippe zur Seite weg. Der Lauf des Gewehrs rauchte noch immer, als Mel auf ihr Werk sah. Sie atmete schwer und saß wie steif gefroren mit weit aufgerissenen Augen da. Nur langsam realisierte sie, was sie getan hatte. Sie hat jemanden getötet. Sie ist eine Mörderin. Ihr Schuss blieb natürlich nicht unüberhört. Sofort ging unten das Gekreische los, einige Männer stürmten die Treppe hinauf. Was sollte Mel jetzt tun? Sie werden sie sicher töten. Ohne mit der Wimper zu zucken werden sie sie töten. Dann besann sie sich. Töten oder getötet werden. Sie hatte die Waffe in der Hand und war mutig und entschlossen genug. Was blieb ihr anderes übrig? Entweder, sie lässt sich von diesen Idioten erschießen oder sie kämpfte sich einen Weg nach unten und rettet ihren Vater. Sie entschied sich für zweiteres. Herzklopfend stand sie auf. Zwei Männer waren nur noch ein paar Schritte von ihr entfernt. Sie drehte sich zu ihnen, griff fest an ihr Gewehr, damit die Wucht das Schusses sie nicht wieder nach hinten taumeln ließ und fing an zu feuern. Sie feuerte schnell und präzise, traf die zwei Kerle, die da die Treppe rauf stürmten. Rannte den folgenden Männern sogar entgegen. Es entbrannte ein Kampf zwischen ihr und den Männern, den sie unmöglich gewinnen konnte, doch sie biss die Zähne zusammen. Mit unglaublicher Durchschlagskraft – als hätte sie in ihrem Leben nie etwas anderes getan, als sich durch eine Horde Wildgewordener zu ballern – erreichte sie die Stufen und arbeitete sich nach unten durch. Im Fourier standen noch mal drei Männer und der Anführer. Die drei Männer kamen auf Mel zugestürzt. Der Anführer hingegen debattierte noch mit Mels Vater, doch in der Lautstärke, mit der die Schüsse fielen, konnte sie nicht verstehen, was der Anführer ihrem Vater da entgegen schrie. Das einzige, was sie erkennen konnte, war, wie der Anführer seine Waffe auf ihn richtete und einfach abdrückte... Mel schrie auf. Sie konnte nicht glauben, was sie sah. Haarscharf erwischte sie auch noch eine Kugel an der linken Schulter von dem letzten, der Männer, der noch übrige geblieben war. Als dieser sah, wie sein Anführer ging, folgte er ihm. Ein paar andere Kerle, die sich noch im Haus aufhielten, verschwanden auch. Das einzige, was zurück blieb, war Mel. Sie ließ schwer atmend ihr Gewehr fallen, trat langsam von den Stufen herunter auf ihren Vater zu. Er lag am Boden und rührte sich nicht. „Mel...“, kam dann doch ein schwacher Laut von ihm. Sie kniete sich zu ihm herunter und nahm seine Hand. „Ja, Daddy?“, fragte sie leise. „Diese Männer... Ihr Anführer heißt Lost... Er will die Phiole... Versuch eine Mrs Leena Towers zu finden... Sie wohnt in London...“ Mel verstand ihren Vater kaum. Er redete schwach und leise. In ihr regten sich tausende Emotionen und doch fühlte sich alles hohle und leer an, als ob man auf einem imaginären Kaugummi kauen würde, genau wissend, dass zu nix führt. „Daddy?“ „Ich bin... froh, dass du nicht weinst... Du siehst aus, wie deine Mutter...“, dann hauchte Lord Sefim nur noch ein paar Worte, die Mel nicht mehr hören konnte und schloss schließlich die Augen. Mel kniete nur stumm neben ihm. Ließ dann seine Hand los. Ein paar Momente saß sie noch so da. Es war still im Chopin. Ihr Kopf war völlig leer. Dann fingen ihre Gedanken langsam wieder an zu arbeiten. Ihr Vater war tot. Getötet von Lost. Das Chopin war ziemlich in Mitleidenschaft genommen worden. Überall lagen Trümmer und Scherben, Leichen. Mel selbst hatte getötet. Sie hat Menschen getötet. Und dann diese Phiole, hinter der alle her sind. Plötzlich merkte sie, dass sie noch etwas in ihrer Pyjamatasche stecken hatte. Sie zog die Schachtel hervor. Ihr war gar nicht bewusst, dass sie sie vorhin eingesteckt hatte. Sie öffnete die Schachtel. Zum Vorschein kam eine in viel Watte gepackte kleine, völlig verschlossene Glasflasche mit einer schimmernden, trüben Flüssigkeit darin. „Nach dieser Phiole haben also alle gesucht.“, sagte Mel, als sie hört, wie Jones hinter ihr heran trat. Er war gerade dabei eine Decke über den verblichenen Lord Sefim zu legen. „Aber warum ist nur jeder so scharf darauf? Was ist so besonders an ihr?“ „Lady?“, fragte Jones sichtlich verwirrt. „Ihr Vater ist gerade getötet worden.“ „Ich weiß, Jones. Aber Zeit zum Trauern ist offensichtlich nicht.“, sie schaute trotzdem traurig auf die mit einer Decke verhüllte Leiche ihres einzigen Verwandten. „Damit bin ich wohl die letzte aus dem Clan der Sefim.“ „Ich bedaure das alles zu tiefst, Lady. Kann ich etwas für sie tun?“ „Nein.“ Mel atmete einmal tief ein. „Es sei denn, sie können mir sagen, wo Mrs Leena Towers lebt.“ „Wie meinen?“ „Mein Vater sagte mir eben noch, dass ich mit ihr sprechen soll.“ „Und das wollen sie wirklich tun?!“, Jones wollte seinen Ohren nicht trauen. Saß vor ihm tatsächlich noch die kleine, verwöhnte Mel? „Jones, mein Vater wurde gerade erschossen und das alles wegen dieser kleinen Flasche. Ich will Antworten.“ „Das kann ich gut verstehen, Lady, aber meinen sie nicht, dass sie das lieber der Polizei überlassen sollten.“ „Nein! Es schien wie der letzte Wille meines Vaters. Ich nehme mich der Sache selbst an.“, Mel stand entschlossen auf. „Ganz wie sie meinen. Ihr Vater hat in seinem Büro eine Addressenkartei stehen. Vielleicht finden sie dort die Adresse von Mrs Towers.“ London – Leena Towers Büro „Hach... Großartig...“, fluchte Mel leise am Kaffeautomaten, der wieder mal so nett war, erst den Kaffee nach unten laufen zu lassen und danach den Becher in das Fach zu stellen. Sie schien vom Pech verfolgt. Nachdem ihr Vater gestorben war, haben die Polizisten mit ihr drei Stunden diskutiert, wie das alles passiert ist und vor allem, wie die Männerleichen da hin gekommen sind. Die Beamten wollten Mel nicht so recht glauben, dass ein kleines, siebzehnjähriges Mädchen solche Panzerschränke so präzise erschießen kann und dabei nur eine kleine Verletzung an der Schulter davonträgt. Irgendwann hat das Mädchen die Nerven verloren und sie alle raus geschmissen. Die Aufräumarbeiten am Chopin haben noch mal zwei Tage gedauert. Diese Schweine von Lost haben ziemlich viel zerstört. Wände, Decke, Fenster, Möbel. Alles haben sie kurz und klein gehauen, um an die Phiole zu kommen. Das Fourier hatte am meisten gelitten. Wahrscheinlich ist das Geländer und die Treppe noch immer in Arbeit. Selbst vor Mels Zimmer hatten diese Kerle keinen Halt gemacht. Sie ist nur noch wütender geworden, als sie gesehen hat, was sie mit ihren Kuscheltieren und ihrem Bett und ihren ganzen Klamotten gemacht hatten. Das war unverzeihlich. Da Mel ihrem Vater indirekt versprochen hatte, sich der Sache persönlich anzunehmen, musste sie sich die letzten Tage hier nach London durchschlagen. Für jemanden, der schon viel gereist ist, ist das kein Problem. Aber sie ist nicht so jemand. Die einzigen Reisen, die sie bisher unternommen hatte, waren Ferien mit ihrem Vater. Sie war noch nie allein auf einem Flughafen oder hat einen Fahrplan gelesen und das einzige, was sie bei sich trug, war ein bisschen Bargeld und die Phiole... Und eine Pistole. Seit dem Überfall auf das Chopin war die kleine Lady ein wenig paranoid geworden. Sie traute niemandem mehr und hat bei jedem Gespräch mit einem Fremden die halbe Hand an ihrer Waffe. Sie weiß zwar nicht so ganz, wie man sie bedient, aber Hauptsache erstmal haben. Damit fühlt sie sich wenigstens ein bisschen sicherer. Towers Abteilung in London zu finden war doch aufwendiger, als das Mädchen angenommen hatte. Sie musste ungefähr tausend Leute fragen, wo sie denn nun hin muss und mach das erstmal in England mit einem schottischen Akzent. Jeder guckt dich blöd an. Lange Rede kurzer Sinn, die junge Lady Sefim befand sich nunmehr im Wartezimmer vor Mrs Towers Büro und hätte den Kaffeeautomaten am liebsten aus dem Fenster geschmissen. Ihr war der Kaffeefleck auf dem Teppich nunmehr peinlich, aber Mrs Towers Sekretär hat das nicht mitbekommen. Er war zu sehr in seine Arbeit vertieft. In dem Moment öffnete sich die Tür zum Büro. Eine junge Frau trat heraus. Mel drehte sich um und sah die Frau an. Sie war sehr groß, hatte unheimlich lange Haare und einen festen Blick. Mel dachte schon, sie sei Towers, aber da hatte sie sich geirrt, denn die Frau ging geradewegs an ihr vorbei und aus dem Wartezimmer, während der Sekretär sagte: „Lady Madjana Sefim. Sie können jetzt rein gehen.“ „Danke.“ „Mrs Towers? Leena Towers?“, fragte Mel leise hinter der geschlossenen Tür stehen bleibend. „Ja? Sie sind?“, fragte die ältere, äußerst ordentlich gekleidete Frau hinter dem Schreibtisch. „Meine Name ist Lady Madjana Sefim, vom Sefim-Clan aus Schottland.“ Towers blickte auf. „Sefim? Sie sind die Tochter von Lord Harold Sefim?“ „Das ist richtig.“ Die Frau machte ein einladendes Gesicht. „Wie schön, dass ich Harolds Tochter endlich mal kennen lerne. Treten sie doch näher. Wie geht es ihrem Vater denn?“ Das Mädchen kam näher an Towers Schreibtisch. „Er ist tot.“, sagte sie knapp und ernst. „Tot?!“, Mrs Towers war sichtlich erschrocken darüber. „Und zwar deswegen.“, sie packte aus ihrem Rucksack die Phiole aus. „Sie haben meinem Vater diese Phiole zukommen lassen und keine paar Stunden danach brach ein schwer bewaffnetes Einsatzkomando in unser Anwesen ein. Sie haben so gut wie alles zerstört und meinen Vater getötet, doch die Phiole haben sie nicht bekommen.“ Mrs Towers starrte noch eine Weile auf die kleine Glasflasche und versucht das eben gehörte zu schlucken. „Ich will Antworten. Was ist so besonders an dieser Phiole? Sie haben meinem Vater geschrieben, er solle sie sich ansehen und ihnen seinem Meinung dazu sagen.“ „Tja, es tut mir leid, Lady. Ich kann ihnen da nicht weiter helfen. Ich weiß selbst nicht, was diese Phiole so wertvoll macht, dass man deswegen Menschen töten muss.“ „Woher haben sie denn die Phiole bekommen?“ „Meine Abteilung ist für den Schutz von Randgruppen zuständig, aber wir bekommen nur sehr wenig Fördergelder. Wir sind froh, wenn wir ein paar Spenden bekommen. Vor ein paar Tagen jedoch kam diese Phiole von einem anonymen Spender bei uns an. In seinem Schreiben stand, dass diese Phiole auf einer Auktion einen geschätzten Wert von mehreren Millionen Dollar einbringen würde. Bei einer solch großzügigen Spende wurde ich natürlich misstrauisch. Deswegen habe ich die Phiole deinem Vater geschickt. Er war interessiert an künstlerischen und historischen Gegenständen und hatte für Fälschungen einen Blick. Deswegen habe ich gehofft, dass er mir weiter helfen könne. Und jetzt ist er tot.“ „Haben sie bisher noch nicht herausgefunden, wer der Spender ist?“ „Nein. Er blieb absolut anonym und hat sich bis heute nicht mehr gemeldet.“ „Na schön. Danke für alles.“ Mel nahm die Phiole wieder an sich, drehte sich um und ging aus dem Büro. „Mein herzliches Beileid wegen ihrem Vater.“, rief Leena Towers ihr hinterher. Als die Tür ins Schloss fiel öffnete sich neben Towers Schreibtisch die andere Tür im Zimmer. Herein trat ein kräftiger Mann, dem man hätte zutrauen können, Bäume samt Wurzel aus der Erde zu reißen. „Warum haben sie ihr die Phiole nicht gleich weggenommen?“, fragte er wütend. „Halten sie ihre Klappe, Lost. Sie haben mit ihrem hirnlosen Geballer schon genug Schaden angerichtet. Dank ihnen ist wieder einer der Sefim drauf gegangen.“ „Er hat mich wütend gemacht.“, gab Lost Zähne knirschend zurück. „Jetzt ist nur noch ein Sefim übrig. Der letzte Sefim. Und der ist ausgerechnet ein Kind. Ein Kind, Lost. Ein dummes, kleines Kind. Sie wird das Banner nie finden.“ „Dann hättest du ihr doch wenigstens die Phiole wegnehmen können.“ „Sie allein nützt uns wenig. Wir brauchen das Banner und das kann uns nur ein Sefim besorgen.“ London - Caffe Da stand Mel nun auf der Straße mit nichts, außer einer Antwort, mit der sie nichts anfangen konnte. Was nun? Sie wusste es nicht. Es wäre wohl klug, einfach nur wieder nach Hause zu gehen. Sie stand mit leeren Händen da und hatte absolut keinen Plan, was sie jetzt tun soll. Was hielt sie noch hier? Doch vorerst schlurfte sie betrübt die Straße entlang, bis sie an einem Caffe vorbei kam und sich dachte, den vorhin verschütteten Kaffee ersetzen zu müssen. Also begab sie sich in das kleine Caffe und setzte sich auf einen freien Hocker an der Bar. „Einen Kaffee bitte.“, gab sie dem Barmann zu verstehen. Es war nicht viel los und so bekam sie ihren Kaffee relativ schnell, schlürfte an dem heißen Getränk und dachte nach. Sie kramte die Phiole aus ihrem Rucksack und betrachtete sie. Die Flüssigkeit darin schien so viskos wie Öl zu sein, hatte aber eine milchig trübe Farbe und glitzerte ein wenig im Licht. Was das wohl für eine Flüssigkeit war und warum diese Phiole wohl so wertvoll war. Vielleicht war es eine Wunderdroge. Oder eine neue Form von Bortox. Oder die wohlschmeckendste Substanz, die je erfunden wurde. Oder ein unheimlich wirkungsvoller WC-Reiniger. Oder eine energiespeichernde oder produzierende Flüssigkeit. Oder ein tödliches Virus. Mel rauchte der Kopf, je mehr sie darüber nachdachte. Doch während sie nachdachte, bemerkte sie nicht, wie sich eine Frau neben sie auf den Hocker setzte und ebenfalls einen Kaffee bestellte. Als der Barmann nickte und sich umdrehte, um dem Wunsch der Frau nachzukommen, zögerte sie nicht lange, packte Mel am Arm und zog sie raus auf die Straße, um die Ecke in eine leere Seitengasse. Das Mädchen wusste gar nicht, wie ihr geschah, folgte der Frau einfach und war sichtlich erschrocken, als sie ihr eine Waffe an den Kopf hielt. „Wo hast du die her?“, fragte sie hart. Mel wusste gar nicht, was diese Frau wollte. „Ich rede mit dir.“, wiederholte sie deswegen etwas lauter. „Diese Phiole!“, sie deute auf die Flasche, die Mel noch immer in den Händen hielt. Doch das Mädchen war so überrannt von der Situation, dass sie sich nicht rühren konnte, geschweige denn, etwas sagen konnte. Als die Frau merkte, dass sie so nicht weiter kam, nahm sie die Waffe runter, was Mel ein wenig erleichterte. „Nach dieser Phiole suche ich schon seit ein paar Tagen.“ Mel sah die Frau nur weiter verwirrt an. „Genau das ist der Grund, warum ich nicht gut mit Kindern zusammen arbeite. Komm, gehen wir wieder rein.“ Daraufhin ging die Frau voraus. Mel wunderte sich noch ein wenig, dann folgte sie ihr wieder in das Caffe. Drinnen setzen sich beide auf ihre Hocker. „Meine Name ist übrigens Lara.“, die Frau nahm ihren Kaffee und trank einen Schluck. „Lara?“, wiederholte Mel. „Ganz recht. Wie ist dein Name?“ „Lady Madj...“, sie wollte schon ihren vollständigen Namen sagen, doch dann dachte sie daran, dass sie diese Frau gar nicht kannte und darüber hinaus sie ihr gerade eine Waffe an den Kopf gehalten hat. „Nenn mich einfach Mel.“ „OK, Mel. Tut mir leid, dass ich dich gerade so sehr erschreckt habe. Das war nicht meine Absicht. Ich hab nur wegen dieser Phiole in den letzten Tagen so einiges auf mich nehmen müssen und jetzt sehe ich sie so einfach in den Händen eines kleinen Mädchens.“ „Die habe ich von meinem Großvater zum Geburtstag bekommen, als ich vierzehn Jahre alt wurde. Eigentlich gehört sie meiner Urgroßmutter, doch ihr Wunsch war es, dass ich sie mal bekomme. Es ist ein altes Familienerbstück.“ Lara sah zu Mel rüber und erhob eine Augenbraue. „Du brauchst nicht zu denken, dass ich Probleme damit habe, kleine Kinder zu erschießen. Ich räume jedem aus dem Weg, der versucht, mich von meinen Aufträgen abzubringen und Lügner gehören dazu.“ Mel schluckte kurz. Woher konnte diese Frau so genau wissen, dass sie gelogen hatte? „Es ist mein Beruf, nach seltenen und wertvollen Artefakten zu suchen. Ich karre sie ans Tageslicht, verkaufe sie an Museen und schreibe Bücher darüber. Damit verdiene ich mein Geld. Mein jüngster Auftrag ist es, diese Phiole zu finden. Der Leiter einer Ausgrabungsstätte in Venedig, Mr Pietro Tossa hat eine Tafel entdeckt, auf der diese Phiole abgebildet war. Vor zwei Wochen beauftragte er mich, die Phiole zu finden und zu ihm zu bringen. Ich fand sie wenig später in einem Familiengrab. Doch kurz darauf rief er mich aus Venedig erneut an und meinte, dass die Phiole gestohlen worden sei.“ „Weiß er denn, was die Phiole so wertvoll macht.“ „Das konnte er mir leider nicht sagen. Bei unserem letzten Telefongespräch wurde plötzlich die Verbindung unterbrochen. Seit dem habe ich nichts mehr von ihm gehört. Was er mir als letztes sagte, war, dass ich zuerst mit Leena Towers reden soll. Sie war eine der ersten, die sich brennend für die Phiole interessiert haben. Aber als ich sie danach fragte, sagte sie, sie habe noch nie etwas davon gehört, weder von einer Phiole, noch von einem Pietro Tossa. Ich konnte nicht weiter auf sie eingehen, da sie immer eine liebenswerte Leibwache von einem Kleiderschrank an ihrer Seite hat, gegen den ich keine Lust hatte anzutreten. Nicht jetzt und nicht hier. Ich hatte keinerlei weitere Anhaltspunkte, war wie der Teufel hinter der Seele die ganze Zeit der Phiole hinterher gejagt und bin verdammt schlecht gelaunt. Wenn ich dich also nun nicht als den eigentlichen Dieb abstempeln soll, obwohl du Beweisstück A in den Händen hälst, rate ich dir, mit der Wahrheit rauszurücken.“ Mel schaute die brünette Frau eingeschüchtert an. Sie machte keine Anstalten einer gewalttätigen Handlung, sie saß nur ganz ruhig da, doch die Kraft in ihrer Stimme und die Bestimmtheit, mit der sie redete, machten Mel Angst. „Wie du vielleicht mitgekriegt hast, war ich direkt nach dir in Towers Büro und habe mit ihr gesprochen. Von ihr habe ich die Phiole ja erst bekommen. Vor ein paar Tagen hat sie sie meinem Vater geschickt, mit der Bitte, sie sich doch mal genauer anzusehen und auf seine Echtheit zu überprüfen. Doch kurz nachdem das Paket in unserem Anwesen ankam, stürmte ein Kommando herein, tötete meinen Vater und wollte die Phiole an sich reißen. Doch die Männer haben sie nicht bekommen. Sie dachten wohl, sie sei nicht bei uns. Deswegen sind sie wieder abgezogen. Aus diesem Grund war ich eben bei Towers. Ich habe sie gefragt, woher diese Phiole kommt. Sie meinte, sie habe sie von einem anonymen Spender erhalten.“ „Leena lügt in beiden Fällen. Sie weiß ganz genau, was die Phiole bedeutet und ich bezweifle, dass sie sie von einem sehr spendablen Anonymen bekommen hat.“ „Was macht dich so sicher?“ „Instinkt. Nach Jahren mit Korruption, Lügen und Intrigen kriegt man ein Gespür dafür.“ „Und was machen wir jetzt?“ Lara trank ihre Tasse leer. „Wir?!“, sie lachte. „Wir machen überhaupt nichts. Du gibst mir die Phiole und fährst dann brav nach Hause. Du hast doch sicher noch Hausaufgaben zu machen, Kleine.“ OK, das war unfair, aber Mel ließ nicht locker. „Halt mal die Luft an. Mein Vater ist tot und er ist wegen diesem Ding gestorben. Ich habe ihm versprochen, dass ich herausfinde, was es damit auf sich hat.“ „Na und? Mein Vater ist auch wegen einem blöden Artefakt gestorben.“ „Und hast nicht auch versucht herauszufinden, wozu dieser Tod nötig war?“ Lara schwieg plötzlich betroffen. „Du hast doch bestimmt auch versucht, in seinem Tod einen Sinn zu sehen und ihn womöglich noch zu rächen.“ „Das ist lange her.“ „Komm schon! Hilf mir.“, bettelte Mel. „Nein!“, Lara blieb hart. „Wieso denn?“ „Deswegen! Du bist ein Kind, falls du es noch nicht mitbekommen hast. Ein kleines Kind. Du bist unerfahren, ungebildet, untrainiert und hast keine Ahnung, worauf du dich einlässt.“ Das war Mel zu viel. Sie zog die Pistole aus ihrem Rucksack und feuert in die Decke des Caffes. Alle drehten sich erschrocken zu ihr um. „Jetzt lass mich dir mal was erzählen, Schwester. Vor einer Woche stürmte frühs halb sieben ein Einsatzkommando in mein Haus, zerschoss alles, was nicht niet- und nagelfest war UND was niet- und nagelfest war, tötete meinen Vater und stellte sich mir in den Weg. Und genau da habe ich den ersten Menschen in meinem Leben umgebracht, bevor er in der Lage war, mich zu töten. Ich habe zwar mein eigenes Leben retten können, aber nicht das, meines Vaters. Also erzähl mir nichts davon, dass ich nicht wüsste, worauf ich mich einlasse. Ich bin vielleicht nicht so stark oder erfahren wie du, aber ich bin mutig und entschlossen. Also entweder du nimmst mich mit oder du gehst mit leeren Händen, aber die Phiole bleibt bei mir!“ Ein wenig Putz rieselte von der Decke. Lara sah Mel finster an. „Bist du dir im Klaren darüber, dass auch du ganz schnell dein Leben verlieren könntest?“ „Durchaus.“ „Wehe, du bist mir ein Klotz am Bein. Wenn du Ärger machst, fliegst du mit der ersten Maschine in Richtung Heimat. Ich bestimme, was wir tun und ich erwarte, dass du das ohne Widerworte erledigst. Ich will nicht für zwei denken. Ich werde dich nicht wie Kind behandeln und verlange, Initiative und Selbstverantwortung. Klar?“ „Sicher.“, Mel sah Lara genauso ernst an. Die junge Frau überlegte noch einen kurzen Moment. „Dann lass uns gehen.“, sie gab sich jedoch geschlagen und nahm Mel mit. Bevor sie das Caffe verließen, legte Mel dem Barmann noch einen Fünfzig-Pfund-Schein auf die Theke. „Das ist für den Schaden. Tut mir leid.“, entschuldigte sie sich und rannte Lara hinterher aus dem Caffe. „Und was tun wir jetzt?“, fragte sie Lara, als sie wieder auf der Straße waren. „Ich denke, wir sollten versuchen, mit Pietro wieder in Kontakt zu treten. Wir bringen ihm die Phiole zurück. Er wird mittlerweile bestimmt auch herausgefunden haben, wozu das Ding gut ist. Dann hast du deine Antwort und ich meinen Job erledigt.“ „OK, wie ist seine Adresse, damit wir ihm die Phiole schicken können und wie ist seine Telefonnummer, damit ich mit ihm reden kann?“ Lara lachte daraufhin. „Haha.... Wo denkst du hin? Es gibt zwei gute Gründe, warum man immer persönlich bei jemanden aufkreuzen sollte: erstens ein Telefonat könnte immer abgehört werden und zweitens könnte man die Informationen durch Gewalt oder Erpressung aus demjenigen herauskriegen, den man fragt, falls das nötig würde.“ Mel schluckte. Diese Frau war offenbar skrupelloser, als sie aussah. „Das heißt, wir fliegen nach Venedig.“ „Nach Venedig?! Ich hielt mich ja schon für verrückt, als ich von Schottland hier her gefahren bin, nur um mit einer Lügnerin zu reden. Aber von hier nach Venedig is' ja 'ne halbe Weltreise.“, Mel schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Hatte ich nicht gesagt, dass du keine Widerworte geben sollst? Gewöhn dich besser an lange Reisen. Die werden wir absofort öfter unternehmen müssen. Wir starten sofort.“ „Sofort? Aber ich dachte, ich könnte nochmal nach Hause, um ein paar Sachen zu holen.“ „Was für Sachen willst du denn holen?“ „Naja, meinen Ausweis, ein Foto von meinem Vater, Klamotten zum Wechseln, Proviant...“ „Vergiss es, Kleine.“, unterbrach sie Lara. „Das sind alles Dinge, die dir nur verloren gehen können. Das einzige, was wir brauchen werden, sind ein paar gute Waffen, ein bisschen Verbandszeug und eine Taschenlampe.“ „Das ist alles?“ „Ganz genau. Wir machen eine kurzen Abstecher zu mir. Dann packen wir dich ein. In etwa einer Stunde dürften wir in der Luft sein.“ London – Laras Haus Laras Haus war nicht größer oder prächtiger, als das von Mel. Nur das Grundstück drum herum war ein bisschen größer. Als Lara und Mel das Gebäude betraten, kam ihnen sofort ein alter Butler entgegen. „Miss Croft. Ich wusste gar nicht, dass wir heute Besuch haben.“ „Das ist Mel, Winston. Sie hilft mir im Fall Phiole.“ „Ah, ich verstehe.“, Winston verbeugte sich kurz vor dem Mädchen und schlurfte dann wieder in ein Nebenzimmer. Mel selbst blieb in der Empfangshalle stehen und sah sich um. Sehr viel Platz hier, aber das war sie alles schon vom Chopin gewohnt. „Kommst du bitte.“, rief Lara. „Sofort.“, antwortete ihr Mel und ging die Stufen nach oben, bog dann links ab. Während sie den Gang entlang lief, öffnete sich plötzlich neben ihr eine Tür, hinter der es laut piepste. Ein verschlafener Kopf schob sich durch die Tür. Dicke Augenringe starrte Mel verdattert an. „Lara?!?“, fragte er das Mädchen. „Meine Güte, du bist aber klein geworden. Was ist mit dir passiert? Im Trockner auf die falsche Stufe gestellt?“ „Uaahh...“, erschrak sich Mel. „Lara, da ist was hinter der Tür und es starrt mich an.“ Lara kam daraufhin aus einem Nebenzimmer und schmunzelte. „Zip, mein Engel.“, meinte sie. „Oi, zwei Laras. Eine große und eine kleine. Fantastisch. Jetzt kann ich auch noch einen kleinen Simon basteln.“ Lara verdrehte die Augen. „Das ist Zip.“, meinte sie zu Mel. „Er ist mein Computerfachmann.“ „Aber warum sieht er so aus, als habe er für Monate in Jauche gelegen?“ „Er ist ein Genie und Genies sind furchtbar exzentrisch. In Zips Fall dreckig. Lass uns gehen.“ Lara ging voraus und Mel folgte ihr. Dieser Zip war ihr unheimlich. Wenn der 'n Genie is, dann ist sie ne Superheldin, dachte sie sich. „Hier, zieh das an.“, Lara warf Mel ein paar Klamotten hin. „Warum kann ich nicht die Sachen anbehalten, die ich schon anhab.“ „Zu unpraktisch. Was hätten wir da? Hochhackige Stiefel, in denen man nicht schnell rennen oder klettern kann, einen Rock, der einem bei wehendem Wind die Sicht versperren kann und eine Bluse, mit der man sich überall verheddern kann.“ „Einleuchtend.“, sie zog daraufhin die Wanderstiefel, die Hotpen und ein knallenges, weißes Shirt an. „Na, da wird sich Meister Proper aber freuen.“ „Du musst dir deine Haare zusammenbinden. Rumflatternde Haare machen sich auf einer Mission nicht gut, auch wenn es noch so toll aussieht. Zopfhalter findest du auf dem Tisch da.“ Mel schaute auf den kleinen Tisch in der Ecke des Zimmers, nahm sich einen Haargummi und machte sich einen Pferdeschwanz. Sie schüttelte ihren Kopf, um zu überprüfen, ob ihr ihre Haare nicht mehr ins Gesicht fliegen. Klappte wunderbar. „Hier, leg den um.“ Mel war sichtlich verdutzt, als ihr Lara einen Waffengürtel gab. „Bist du sicher?“ „Natürlich. Du hast doch selbst gesagt, dass du schon einmal mit einer Waffe geschossen hast. Allerdings sollten wir dich neu ausrüsten. Was hast du da? Eine Pistole? Oje, damit kannst du vielleicht die Dosen von Vetter Jimmys Zaun schießen, aber keinen wirklich Schaden anrichten. Ich geb dir die hier.“ Lara reichte dem kleinen Mädchen eine recht ansehnliche Waffe, die viel größer war, als ihre Pistole. „Das ist eine Desert Eagl, oder einfach DE. Ihr Durchschlagskraft ist stärker, als die von Pistolen und ihre Reichweite auch wesentlich höher.“, sie drehte sie Waffe nach unten. „Munition einfach hier unten reinstecken, durchladen, zielen, abdrücken. Ganz einfach.“ „Klar.“, Mel versuchte gescheit und erfahren auszusehen, doch innerlich hatte sie Schiss davor, eine solche Waffe zu benutzen. Mit kleinen Pistolen oder einer Schrotflinte umzugehen, war eine Sache, aber eine ganze andere war diese DE. Aber gut, wenn Lara meint, dass es in Ordnung so ist, dann wird sie sich schon etwas dabei denken. Sie selbst zog sich ebenfalls um. Sie stieg aus ihren Jeans und T-Shirt, zog sich eine Hotpen, ein Tanktop und ihre Stiefel an. Dann legte sie sich auch noch einen Waffengürtel um. „Was sind das für Waffen?“, fragte Mel. „Magnums. Aber das sollte dich jetzt erstmal nichts angehen. Benutz du nur brav deine DE, dann wird dir nix passieren. Und noch etwas, was beim Schießen sehr wichtig ist. Du darfst niemals zögern zu schießen oder darüber nachdenken, ob das OK ist. In manchen Fällen solltest du nicht mal darauf warten, bis dein Gegner dir einen Grund gibt und das Feuer eröffnet. Wenn du das mit mir durchstehen willst, dann ist in dieser Mission jeder dein Gegner. Töten oder getötet werden und ich will garantiert nicht getötet werden und du sicher auch nicht. Also beim Schießen niemals zögern.“ „Verstanden.“ Lara packte noch ein paar Sachen in ihren Rucksack und setzte ihn auf. Mel tat es ihr gleich und setzte ihren Rucksack ebenfalls auf. „Hm... Ich weiß nicht. Dein Rucksack scheint mir etwas zu lasch.“, sie ging an einen Schrank, kramte dort ein wenig drin herum und zog einen kleinen schwarzen Rucksack heraus. „Nimm lieber den.“ Während Mel all ihr Zeug in den kleinen Rucksack räumte, erklärte Lara: „Dein Gepäckstück muss fest am Körper sitzen. Beim Rennen darf es nicht hin und her rutschen. Das behindert nur. Zieh die Riemen richtig fest. Das Teil muss so eng wie nur möglich am Körper sitzen.“ Mel tat, wie ihr aufgetragen. In diesem Augenblick kam Zip herein. Er blickte blöd, rieb sich die Augen und kreischte dann: „Oh, mein Gott!!! Lara hat einen Zwilling!!!“, und er rannte Hals über Kopf davon. Er hatte Recht. Nun standen da zwei Mädchen und sie unterschieden sich nur noch in der Körpergröße und ihrer Frisur. Als hätte Lara einen Klon. „Wow, na los, lass uns endlich aufbrechen.“, quietschte Mel. „Auf nach Venedig. Ich hab Lust, ein paar Freaks in den Hintern zu treten.“ „Oje.“, Lara griff sich an den Kopf. „Ich habe ein Monster erschaffen.“ Kapitel 2: ----------- Venedig – Zentrum Lara und Mel stiegen aus der Chartermaschine, in der sie nunmehr ein paar Stunden verbracht hatten. Sie befanden sich auf einem kleinen, privaten Landeplatz, nahe des Zentrums von Venedig. Es war heiß hier, unheimlich stickig und die Luft war feucht. Doch weiterhin war es sehr friedlich hier. „Weißt du denn, wo die Ausgrabung von Pietro ist?“, wandte sich Mel zu ihrer Linken. „Nein, weiß ich leider nicht. Ich weiß nicht mal eine grobe Richtung. Damals hatte ich Pietro den Phiole nicht persönlich übergeben. Er hatte eine gute Freundin zu mir geschickt. Ich würde sagen, wir gehen erstmal in Richtung Stadtmitte und fragen uns durch.“ Die beiden liefen direkt in das Zentrum von Venedig. Schien nicht viel los zu sein. Die Straßen waren fast völlig leer. In den Kanälen schwappten ein paar Gondeln an den Steg. „Is ja wie ausgestorben hier.“, meinte Mel und versuchte sich mit der Hand ein wenig Luft zuzufächeln. „Wenn es so heiß ist, wie an diesem Tag, geht man nicht gern auf die Straße. Sieh mal.“, Lara deutete auf einen Kerl, der an einer Straßenecke stand. „Willst du den etwa anquatschen?“ Der Kerl war gute eins achtzig groß und ein Schrank von einem Mann. Doch bevor Lara von irgendetwas abzubringen war, war sie bereits vorn weg gelaufen und hatte den Typen schon längst in ein Gespräch verwickelt. Mel stand nur verdattert da. Hatte die Frau denn vor nichts Angst? „Hey, du!“, sprach sie den kräftigen Kerl an. „Hey du hat einen Namen.“, giftete der zurück. „Schon gut. Ich wollte nur kurz fragen, ob du einen gewissen Pietro Tossa kennst.“ „Wer will das wissen?“, fragte der Kerl unfreundlich, gab sich einen Schubs von der Wand weg. „Jemand mit einer Magnum in der Tasche und sehr wenig Geduld. Scheint so, als ob du weißt, wer Pietro ist.“ „Klar, weiß ich das. Jeder in Venedig kennt Pietro.“ „So berühmt?“ „Wenn man auf der Titelseite steht, ja.“ „OK, danke, das war's schon. Mach's gut.“, mit diesem Worten drehte sich Lara um, ging an Mel aber vorbei. „Kommst du.“, meinte sie noch, ohne sich umzudrehen. Sie sah sich um, erblickte einen Mülleimer und wühlte darin herum. „Was soll denn das? Wenn du was zu essen willst, können wir doch was kaufen.“, sagte Mel angewidert. „Aha!“, folgte daraufhin und Lara zog aus dem Papierkorb eine Zeitung. „Am Sonntag kriegt man so schlecht eine Zeitung.“ „Und was soll das jetzt?“ Lara entknitterte die Zeitung und sofort lachte die beiden das Titelblatt an: „Ausgrabungsleiter ermordet – Pietro Tossa gestern früh in seinem Labor ermordet aufgefunden“ „Da hast du deine Antwort.“ „Pietro ist tot? Wie sollen wir jetzt etwas über die Phiole herausfinden?“ „Hingehen, gucken, Leute anquatschen. Merk's dir doch endlich mal.“, die junge Frau nahm das Titelblatt, faltete es, steckte es in ihren Rucksack und warf den Rest wieder weg. „Du siehst immer nur die Grenze, aber du siehst nie über den Tellerrand hinaus. Pietro ist tot und bis hier hin geht es nicht mehr weiter für dich. Aber es gibt sicher Leute, die ihn kennen, die etwas wissen könnten oder Dinge am Tatort, die uns helfen könnten.“ „Aber wie kommen wir denn zum Tatort. Wenn er gestern dort ermordet wurde, wimmelt es da sicher von Polizisten.“ „Dafür gibt es immer noch Plan B.“ „Plan B??!“ Lara holte daraufhin eine ihrer Magnums raus und zwinkerte Mel zu. Venedig – Tatort, Pietro Tossas Haus In der Zeitung stand die ganze Adresse, wo der Mord stattgefunden hatte. Es war ein kleines, ländliches Haus am Stadtrand, mit Dachgiebel, Fachwerk und allerlei Ranken umwachsenen Hauswänden. Es war immer noch heiße und stickig. Doch die Vögel zwitscherten und ein laues Lüftchen wehte. Außerhalb des Zentrums war es eben nicht mehr ganz so drückend. Lara und Mel versteckten sich gerade hinter ein paar Kisten in sicherem Abstand zu dem Haus und beobachteten, was da drinnen vor sich ging. „Hm, da stehen ein Haufen Wachposten um das Haus, aber ich kann durch die Fenster niemandem IM Haus entdecken. Warum dann so viele Wachposten? Was bewachen die?“ „Viel wichtiger ist, wie wir darein kommen.“ Beide flüsterten miteinander. „Ein Frontalangriff ist unmöglich. Wir bieten viel zu viel Angriffsfläche und die Wachposten sind mir zu sehr in der Überzahl. Wie komme man da rein.“, Lara überlegt. Mel überlegte auch, obwohl sie davon ausging, dass der jungen Frau vor ihr der perfekte Einfall kommen würde. Doch dann plötzlich kam ihr selbst der zündende Gedanken. „Also, halte mich für blöd, aber was ist, wenn wir rein schwimmen?“ „Wie meinst du das?“ „Die Gebäude von Venedig sind doch wegen der vielen Überschwemmungen auf Holzpfählen gebaut, die in Ton und Sand gerammt wurden. Man kann erkennen, dass das Haus schon sehr alt ist, weil es mit Ranken regelrecht zugewachsen ist. Im Laufe der Zeit wird viel von Ton und Sand durch Erosion im Wasser abgetragen und wenn man das Haus nicht irgendwann noch einmal restauriert hat, kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit sich von unten in das Haus graben, vorausgesetzt, man kann so lange die Luft anhalten.“ Lara sah Mel verdutzt an, jauchzte dann: „Das ist es. Warte hier.“, sprang in den nächsten Kanal und schwamm los. Mel sah gar nicht mehr, wo Lara eigentlich hinschwamm. Die junge Frau tauchte an der Kanalwand entlang auf das Haus zu. Dort angekommen holte sie noch einmal kurz Luft. Dann tauchte sie unter und entdeckte sofort einige von der Erosion freigelegte Holzpfeiler. Es war perfekt. Noch ein paar Mal musste sie mit den ihren Händen den Sand nach oben hin wegschaufeln, bis sich ein Luftloch unter dem Haus gebildet hatte. An dieser Stelle war das Holz so morsch, dass sie sich einfach nur am Sand unter sich abstützen und die morschen Bretter nach oben drücken musste. Eins zwei fix war ein Loch im Boden, durch das Lara in das Haus schlüpfen konnte. Als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte, sah sie sich um. Keine Wachen. Positiv. In dem Raum lag viel Staub und Dreck. Überall lagen Gesteinsbrocken herum, Tonscherben und anderer wichtig aussehender Krimskrams, den Pietro wohl aus der Erde geschaufelt haben muss. Dies hier war offensichtlich sein Labor. Es stank allerdings nach Blut und Verwesung. Als Lara um den Tisch herum ging, entdeckte sie dahinter einen riesigen Blutfleck. Hier wurde der Ausgrabungsleiter umgebracht. Aber von wem und warum? Aber zunächst wollte Lara diese Steintafel suchen, von der ihr Tossa beim Telefonat erzählt hat. Sie musste eine ganze Weile suchen, viel in diesem Labor war der reinste Schrott. Tossa war offensichtlich in seine Arbeit verliebt. Nach einer Weile des Herumkramens entdeckte Lara die Aufzeichnungen das Forschers. Ein kleiner Stapel zusammengetackterter Notizzettel. Das könnte später noch nützlich sein. Und unter den Notizzetteln lag sie. Die Steintafel mit einer Abbildung der Phiole. Doch kaum hatte sie sie aufgehoben, polterte plötzlich etwas die Treppe herunter. Es war ein Wachmann, der Lara wohl gehört haben muss. „Hey, Finger weg, von der Tafel.“, ohne weitere Wort, zog er sofort seine Waffe und feuerte auf die junge Frau. Diese flüchtete mit einem Satz hinter den Labortisch. In Deckung zog sie ihre Magnums, atmete noch einmal ein und machte sich bereit. Wenn sie jetzt feuert, wird das sicher das ganze Haus hören und alle Wachmänner werden hier runter kommen. Das bedeutet, der Weg zurück durch das Loch wird versperrt sein, weil das Schwimmen viel zu lange dauern würde und die Männer draußen schon auf sie mit gezogenen Säbeln warten würden. Also gibt es nur einen Weg: Frei schießen. Von draußen hörte Mel die Schüsse. Sie beobachtete auch, wie alle bis auf einen Wachposten ins Haus liefen. Sie wusste, dass Lara allein gegen diese ganzen Kerle keine Chance haben würde. Jetzt oder nie. Das Mädchen nahm ihren ganzen Mut zusammen, blieb noch hinter den Kisten und zielte auf den einen Wachposten, der noch vor der Tür stand. Sie drückte ab. Ein astreiner Volltreffer. Sie war glücklich über den Erfolg, aber lange ließ sie das nicht auf sich beruhen, sondern stand auf und rannte in das Haus. Drinnen blieb sie erstmal im Flur in Deckung und arbeitete sich voran. Da kam ihr auch schon der erste Wachmann entgegen, den sie sofort erschoss. Ein zweiter kam hinterher. Scheint so, als sei ihre Schießerei auch nicht unbemerkt geblieben. Sie zielte, feuerte und erwischte den Kerl, bevor er sie treffen konnte. Sie rannte in die Richtung, aus der die Männer gekommen waren, doch weit kam sie nicht. Lara kam ihr entgegen gerannt. „Raus hier!“, schrie sieh und rannte an Mel vorbei. Diese folgte ihr. Hinter ihr tümmelten sich noch drei übrige Wachmänner. Einer bekam den Rucksack von Mel zu fassen und zerrte sie an selbigem nach hinten. Doch dabei öffnete sich nur die Lasche, es gab einen Ruck und die Phiole purzelte heraus. Mel merkte das sofort, drehte sich um und wollte die Phiole ergreifen, doch ein Wachmann war schneller als sie. Aber als er die Phiole berührte, um sie aufzuheben, durchfuhr ihn auf einmal ein kräftiger Stromstoß. Er schrie auf, ließ die Phiole fallen und sank tot zu Boden. Mel noch sichtlich perplex hob die Phiole schnell auf und machte sich auf dem schnellsten Weg nach draußen und weg von diesem Ort. Venedig – Hinterhaus von Margunt „Wow, ich wusste ja, dass es heftig wird, aber so heftig... Mein lieber Scholli.“, meinte Mel völlig außer Atem. Sie setzte sich zu Lara an den Tisch. Sie beide waren im Hinterhaus eines Gasthauses, das einer Frau Namens Margunt gehörte. Sie und Lara kannten sich entfernt. Sie war es, die damals die Phiole von Lara entgegen nahm, um sie Pietro zu bringen. Deswegen konnten sie und Mel hier eine Weil wieder Luft holen. Vor allem Mel, weil sie sich bei dem Gehetze in Tossas Wohnung verletzt hatte. Eine Kugel muss sie gestreift haben. Jedenfalls ist sie gerade von Margunt umsorgt worden und steht mehr oder weniger auch schon wieder aufrecht. Die Ereignisse der letzten Stunden waren doch sehr aufregend für sie. Sie hätte nicht damit gerechnet, dass das alles so extrem hart wird. Todesangst zu haben ist auch eine Lebenserfahrung. Es ist zwar keine schöne, aber immerhin. Wenn Mel ehrlich zu sich wäre, würde sie sich sicher sagen, dass sie aufhören will. Mal ehrlich. Menschen erschießen, um sein Leben rennen, um die Welt reisen, nur mit dem nötigsten Leben und Antworten hinterher jagen, die wahrscheinlich gar nicht existieren, ist das das richtige für ein siebzehnjähriges Mädchen, das gerade ihren Vater verloren hat? Der Psyche des Mädchen wurde ganz schön mitgespielt, aber so sehr sie sich auch anstrengte, sie konnte das Gefühl nicht unterdrücken, zu wissen, dass ihr das alles auch irgendwie gefällt. Lara war ein netter Mensch, auch wenn sie manchmal ein wenig prüde war und Mel lieber erstmal ins kalte Wasser springen lässt, bevor sie ihr etwas erklärt, aber das hatte was für sich. Mel konnte schon fast zusehen, wie sie selbst stärker und erfahrener wurde. Die Ereignisse härteten sie ab. Früher hätte sie bei so einer Schusswunde noch nach ihrem Daddy geschrien. Aber Daddy ist nicht hier. Niemand ist hier und Lara wird so ein verzogenes Gör sicher nicht in den Arm nehmen, um sie zu trösten. Mel ist sozusagen völlig auf sich allein gestellt. Sowas macht einsam, aber sie denkt nicht daran, aufzugeben. Das war sie ihrem toten Vater schuldig. Aber vielleicht waren es auch gar nicht die Antworten, die sie zu finden hoffte, was sie motivierte. Vielleicht war es ja die Rache. Lara saß konzentriert an dem Tisch in der Zimmermitte, die Steintafel vor sich liegend. Die Tafel war etwa so groß, wie ein Originalbuch von Blake und auch etwa genauso dick. Sie war wohl aus Marmor herausgemeiselt worden. Neben ein paar seltsamen Schriftzeichen waren auf der Tafel noch kleine Bildchen und viele Verzierungen. Lara studierte die Tafel angestrengt mit Hilfe von den Notizzetteln aus Tossas Labor. Mel hingegen begutachtete den Raum. Es war ein einfaches Zimmer mit verlehmten Wänden, Holzmöbeln, die vom Zahn der Zeit schon ein wenig gezeichnet waren. In den Regalen standen ein paar Krüge und Schüsseln, Bettlaken und Kissen. Auf dem Boden lag ein riesiger Teppich, auf dem der Tisch und vier Stühle standen. Durch das Fenster fielen die letzten warmen Sonnenstrahlen vom Tag. „So, wie ich das sehe...“, meinte Lara nach längerem Grübeln. „wusste Pietro mehr, als ihm lieb war. Er hat durch diese Tafel eine Menge Fakten herausgefunden.“ „Was denn?“, nunmehr setzte sich auch Mel an den Tisch. „Hier steht, dass die Phiole die Essenz des Lebens enthält. Wer sie in beiden Händen hält und auseinander bricht, verleiht jeder Seele, die ihn berührt Unsterblichkeit, außer sich selbst.“ Mel holte die Phiole aus ihrem Rucksack. „Na wundervoll. Ewiges Leben. Das wäre doch was. Spielen wir Stein, Schere, Papier, um herauszufinden, wer von uns beiden die Phiole aufbricht?“ Lara sah Mel an und erhob eine Augenbraue. „Hast du überhaupt eine Ahnung, wie verheerend ein ewiges Leben sein kann oder wie verheerend es in den falschen Händen sein kann?“ „Aber wir sind doch die guten?“ „Menschenhände sind für fremde Mächte IMMER die falschen Hände, ganz egal, auf welcher Seite du stehst. Glaub's mir. Außerdem gibt es einen Haken an der Sache. Nur du kannst die Phiole zerbrechen.“ „Nur ich? Wieso? Traust du dich nicht? Gag gagagagagag....“ Die englische Lady schüttelte den Kopf, richtete dann ihren Blick auf die Phiole auf dem Tisch, streckte ihre Hand in dieser Richtung. Kurz bevor sie die kleine Glasflasche erreichen konnte, glühte die Flüssigkeit darin auf und schoss einen kleinen Stromstoß in Laras Hand, welcher sich in einem Blitzen äußerte. „Was war das?“, fragte Mel geschockt. „Hier steht, dass nur Blutsverwandte der Sefim die Phiole berühren können.“ „Wie bitte?! Sefim? Ich stamme vom Sefim-Clan. Der Sefim-Clan ist in Schottland nicht weit verbreitet. Um genau zu sein, nach dem Tod meines Vaters bin ich die letzte aus dem Sefim-Clan.“ „Dann bist du die einzig verbliebene, die die Phiole noch öffnen kann. Und irgendjemand weiß das.“ „Lost muss etwas damit zu tun haben. Vielleicht steckt er hinter der ganzen Sache.“ „Lost?“, fragte Lara. „Lost ist der Anführer des Sturmtrupps, die das Chopin – mein Anwesen – zerstört haben und er ist auch der, der meinen Vater getötet hat.“ „Vermutlich ist er scharf auf die Unsterblichkeit.“ „Aber wenn das so ist, hätte er mich doch einfach nur entführen müssen und mich zwingen müssen, die Phiole zu zerbrechen.“ „Nein-nein, so leicht ist das nicht. Hier steht weiter, dass die Phiole noch zu etwas anderem gut ist. Ein kleiner Glaubensorden im 15. Jahrhundert, dessen Mitglieder sich selbst die Achi nannten, entdeckte das Geheimnis der Phiole. Die Essenz des Lebens ist nicht für Menschen bestimmt, sondern für einen Achiyalatopa.“ „Einen was??“ „Ein Achiyalatopa. Hier steht leider nicht, was genau das ist, aber offensichtlich war es ein Wesen, dass mit Hilfe eines Textes, welcher auf einem Banner steht, zum Leben erweckt werden konnte. Das Banner aber taugt nur in Verbindung mit der Phiole etwas. Warum genau, steht hier auch nicht.“ „Nicht zu vergessen, dass man dieses Banner erstmal finden muss.“ „Das wäre eine Katastrophe. Stell dir vor, Lost findet das Banner und er weiß von den Achi. Wenn ich nur genau wüsste, wozu dieser Achiyalatopa gut ist. Auf jeden Fall wird Lost danach sicher nicht mehr zögern, dich einzusacken, wenn er das jetzt nicht schon längst vor hat. Das heißt also im Klartext, wir müssen das Banner finden und es zerstören.“ „Warum mache ich nicht gleich die Phiole kaputt, dann hätten wir das ganze Problem überhaupt nicht.“, Mel griff sich die Glasflasche und war schon bereit, sie auf den Boden zu schmeißen, doch Lara hielt sie auf. „Nein, bist du wahnsinnig!!! Wenn du die Phiole zerbrichst, wird so viel Energie freigesetzt, dass es dich sofort in Stücke reißen würde.“ „Oh. Was is das denn für'n Schwachsinn? Ein Sefim ist der einzige, der die Phiole halten und zerbrechen kann, aber er selbst hat nichts vom ewigen Leben und stirbt dabei auch noch. Warum eigentlich ausgerechnet die Sefim? Warum ausgerechnet meine Familie? Was ist an uns so besonders?“ „Das kann ich dir leider auch nicht sagen. Manchmal wird in einer Familie etwas vererbt, ohne dass man selbst etwas davon mitbekommt.“ „Wo finden wir überhaupt das Banner?“ „Laut Tossas Aufzeichnungen, ist er sich sicher, in seinen Ausgrabungen fast darauf gestoßen zu sein. Irgendwo liegt der Eingang in einem unterirdischen Tempel der Achi.“ Venedig – Ausgrabungsstätte Mitten in der Nacht schlichen sich Lara und Mel zu der Ausgrabungsstätte, an der Pietro gearbeitet hatte. Die Luft war jetzt kühler und frischer, als in der heißen Sonne. Es war schon fast angenehm, aber in der staubigen Grube war es dennoch dreckig, feucht und kalt. „Was ist eigentlich mit schlafen?“, fragte Mel. „Keine Sorge, die Angst wird dich wach halten.“ „Herzlichen Dank.“, das war ja 'ne Aussage. Die beiden suchten nach einem Hinweis auf einen Eingang, doch den musste man in der Dunkelheit und dem kleinen Licht einer Taschenlampe erstmal finden. Aber das Problem löste sich von ganz allein, als die Phiole in Mels Rucksack anfing zu glühen. Das Mädchen holte sie hervor. Das Glühen wurde stärker oder schwächer, je nachdem, wie sie sich zu einem bestimmten Punkt an der einen Wand drehte. „Dort muss der Eingang sein.“, Lara holte eine Schaufel, die noch immer da lag. Nach Tossas Tod ist die Ausgrabungsstätte wohl noch nicht leer geräumt worden. Sie nahm die Schaufel und grub sich damit horizontal in die Wand, an der das Leuchten der Phiole am stärksten war. „Die Phiole reagiert mit Sicherheit auf das Banner, das sich dahinter befindet.“ Nicht lange und Lara stieß auf etwas hartes. Der letzte Dreck wurde zur Seite gekarrt und da kam sie zum Vorschein. Eine verzierte Marmortür, mit der Phiole auf der Vorderseite. Schwerfällig aber mit aller Kraft drückten beide die dicken Türen auf. Ein lauer Luftzug strömte kurz aus dem dunklen Tunnel heraus, dessen Ende nicht zu erkennen war. „Ladys first.“, meinte Lara. Doch genau in diesem Moment knackste es hinter ihnen. Mel und Lara standen wie angewurzelt da. Sie sahen über sich aus dem Loch. An jenem Rand standen rings herum mehrere in schwarz gepanzerte Männer, in ihrer Mitte stand Lost. In seiner Hand hielt er eine blutige Steintafel. Wie es aussah, hatte er wohl Margunt getötet und die Tafel gestohlen. Doch zunächst rührte sich erstmal nichts weiter. „Das ist Lost.“, flüsterte Mel, als sie den großen Mann am Rand erkannte, was durch die Dunkelheit etwas länger dauerte. „Das da ist Lost???“, versicherte sich Lara. Ihr ging damit plötzlich ein Licht auf. „Die Typen sind in der Überzahl.“, antwortete Mel nicht auf Laras Frage. „Ich weiß. Nimm die Notizen von Tossa aus meinem Rucksack, finde das Banner und zerstöre es.“ „Und du?“ „Ich bleibe hier und halte diese Typen auf, so lange es geht. Du musst dich also beeilen.“ „Ich kann das nicht allein.“, wimmerte Mel. „Muss ich dich schon wieder an unsere Vereinbarung erinnern. Ich will keine Widerworte hören. Du tust, was ich dir sage.“ „Aber...“ „Du bist die einzige, die das Banner finden kann. Wenn du es nicht zerstörst, wird Lost Beihilfe leisten, um den Achiyalatopa wieder zu erwecken und wer weiß, was dann passiert. Ich hatte schon oft mit Größenwahnsinnigen zu tun und wie ich das sehe, wird das hier die ganze Welt mit sich reißen, also tu gefälligst, was Erwachsene dir sagen.“ Mel überlegte noch kurz, aber das war völlig ohne Belangen. Sie würde Lara nie von ihrem Vorhaben abbringen können. Mal ganz davon abgesehen, dass sie recht hatte. Mel war jetzt die einzige, die eine größere Katastrophe noch verhindern konnte. Also tat sie, wie ihr aufgetragen und so verschwand sie im Tunnel. Lara hingegen zog ihr Magnums, bereit für einen Kampf, den sie unmöglich gewinnen konnte. Am Rand des Loches richteten daraufhin ebenfalls alle ihre Waffen auf sie. Das war ihr Anlass genug, ihre Magnums wieder sinken zu lassen und sich kampflos geschlagen zu geben. London – Leena Towers Versteck Begleitet von mehreren Männern und natürlich von Lost betrat Lara einen weiten und hohen Saal. Die Decke war so hoch und so wenig beleuchtet, dass sie gar nicht vom Boden aus erkennbar war. Die Wände waren alle mit Metall verkleidet und durch die lange Fahrstuhlfahrt zuvor war sich Lara sicher, sich mehrere Stockwerke unter der Erde befinden zu müssen. In der Halle ragten noch fünf Säulen nach oben, die sich aber auch irgendwann in der Dunkelheit der Höhe verloren und nur erahnen lassen konnten, wie hoch sie wirklich waren. Der Trupp, der Lara umschloss blieb nunmehr stehen. Nur Lost schritt noch ein paar Meter weiter. „Mrs Towers. Hier ist sie.“, sagte er. Aus einem seperaten Raum hinter einer Panzerglaswand trat Leena Towers heraus. „Leena.“, sagte Lara knapp. „Überrascht, Lady Croft?“ „Nicht wirklich. Ich wusste, dass sie mich in ihrem Büro vorgestern angelogen hatten. Und als mir klar wurde, wer ihr hirnamputierte Assitent da ist, war ihre Lüge mehr als offensichtlich.“ Leena kam auf Lara zu. „Ich verstehe nicht, was sie meinen.“, sagte diese unschuldig grinsend. „Sie wussten schon immer um das Geheimnis der Phiole und was man mit ihr bewirken kann. Als sie von Tossas Fund hörten und dieser sich weigerte, ihnen seinen Fund zu überlassen, haben sie ihn getötet, um an die Phiole zu kommen. Ich dachte noch anfangs, Lost wäre der durchtriebene Dieb und sie nur eine Marionette in diesem Spiel. Aber nun erkenne ich, dass sie der machthungrige Psychophat sind.“ „Bravo. Ich bin beeindruckt. Es freut mich zusehen, dass auch sie endlich die Macht der Phiole erkannt haben, auch wenn es ihnen nicht sehr lange etwas nützen wird.“ „Sagen sie doch einfach, was sie wollen.“ „Ich will ihre kleine Freundin und sie servieren sie mir gerade höchst persönlich auf dem Silbertablett.“ „Ich bin also nur ihr Köder. Aber das wird nichts nützen. Ich habe Mel gesagt, sobald sie das Banner findet, soll sie es zerstören.“, meinte Lara gewissenhaft „Ach, und sie glauben tatsächlich, dass diese kleine Göre das auch tun wird?“ „Was meinen sie?“ „Es ist doch offensichtlich, dass das Mädchen keinerlei Erfahrung mit der Gefährlichkeit von solchen Mächten hat. Nein, sie wird diese Macht erkennen und weil sie ihre Mentorin so lieb hat, wie sie sie mit ihnen teilen wollen. Sie wird mir quasi ins offene Messer laufen.“ „Sie meinen also, Mels Unerfahrenheit ist ihre Achillesferse.“ „Ganz recht. Diese dumme Göre wird mir das Banner liefern, sich selbst und die Phiole frei Haus.“ „Deswegen haben sie sie sich nicht einfach geholt. Nur ein Blutsverwandter der Sefim kann die Phiole berühren. Als Lost Mels Vater bei dem sinnlosen Versuch, sich das Teil zu holen, erschossen hat, hat er dummer Weise den letzten Sefim ausgelöscht, dem sie noch zu getraut hätten, dass er die Phiole finden kann. Aber übrig blieb nur ein kleines Kind. Sie wollten, dass Mel die Drecksarbeit für sie erledigt.“ „Ich schickte Lord Sefim damals die Phiole mit der Gewissheit, er würde seinem Fanatismus für Artefakte folgen und das Banner finden. Sie haben Recht. Lost hat wirklich verdammten Mist gebaut, als er den alten Sefim erschoss.“, Leena sah wütend zu ihrem Assisten hinüber. „Aber als die kleine Mel in mein Büro kam, war sie so Feuer und Flamme, dem Wunsch ihres Vaters nachzukommen. Einer solche Motivation darf man doch nicht im Weg stehen.“ „Und jetzt wollen sie sie, um den Achiyalatopa wieder zu erwecken.“ „Richtig. Mit dem Text kann man den Achiyalatopa wieder erwecken und mit der Essenz des Lebens mache ich ihn unsterblich.“ „Es gibt da nur eine Sache, die sie nicht bedacht haben. Woher nehmen und nicht klauen?“, Lara lächelte sicher. Doch Leena war sich ihrer genauso sicher und grinste ebenfalls. „Bilden sie sich nicht ein, Lady Croft, dass ich dieses ganze Tächtel-Mächtel veranstalten würde, ohne die nötigen Zutaten.“, mit einem kleinen Wink mit der Hand deutet die Dame nach oben. Laras Blick folgte ihr. Lost stellte in dem kleinen Kontrollzimmer das Licht in den oberen Stockwerken der Halle an. Es wurde hell und zunächst geblendet vom Licht, konnte Lara nicht fassen, was sie dann sah. Über ihrem Kopf weit in der Höhe schwebte ein riesiger Vogel, etwa so groß wie ein LKW und sein Gefieder schien aus tausenden von Klingen zu bestehen. Der Achiyalatopa rührte sich jedoch nicht. Er schien in einem schwebe-artigen Zustand zu schlafen. Fasziniert und gleichzeitig erschrocken starrte Lara den Vogel an. „Sehen sie, Lady Croft. Es ist alles vorbereitet. Alles was noch fehlt ist das Banner, die Phiole und der letzte Sefim und genau das wird mir ihre kleine Freundin aushändigen.“ „Aber was haben sie davon?“, löste sich Laras Blick endlich von dem gigantischen, schlafenden Vogel. „Das ist etwas, was ich noch nicht herausfinden konnte. Was haben sie von einem unsterblichen, unkontrollierbaren Monster.“ „Die Achi wussten es ganz genau. Sie haben so lange mit dem Biest experimentiert, bis sie die Lösung hatten. Wenn man sich vom unsterblichen Achiyalatopa fressen lässt, wird man ein Teil davon. Man verschmilzt mit ihm. Man wird sozusagen eine neue Rasse von Mensch, mit so unglaublicher Macht, dass man die Menschen als dominante Spezies ablösen kann.“ „Ich wusste es. Schon wieder ein Größenwahnsinniger, der die Weltherrschaft will.“ Venedig – Tempel der Achi Mel kam es wie eine Ewigkeit vor, wie sie da den langen Tunnel entlang rannte, in der Hoffnung, am Ende den Tempel der Achi zu finden. Und trotzdem machte sie sich mehr Gedanken darüber, wie es wohl Lara geht, ob sie schon tot ist. Tausend Fragen schossen ihr durch den Kopf, aber in erster Linie muss sie sich darauf konzentrieren, das Banner zu finden. Momentan war es noch sehr leicht. Sie folgte einfach dem Glühen der Phiole. Es dauerte noch eine Weile, bis der Tunnel endlich heller wurde und Mel langsam aber deutlich brennende Fackeln erkennen konnte, was ihr natürlich ein wenig schleierhaft war, denn wie können Fackeln seit dem 15. Jahrhundert brennen? Sie blieb am Ausgang des Tunnels erst einmal stehen, einerseits um Luft zu holen, andererseits um die vor ihr sich erstreckende Tempelhalle zu bewundern. Die gesamte Halle, der Boden, die Wände, die Decke, Die Säulen, die Bänke. Alles war aus Marmor. Die Achi legten damals wohl sehr viel Welt auf ein verziertes Äußeres des Tempels. Fasziniert von dem Glanz und der Sauberkeit des Tempels betrat Mel den Marmorboden. Ihre Schritte hallten lange in der riesigen Halle nach. Überall leuchtete der Marmor, angestrahlt vom Licht der Fackeln, die an den Wänden befestigt waren. Der Anblick dieses Tempel verschlug ihr fast die Sprache. Links und rechts an den Wänden waren so eine Art von verzierten Toren eingehauen, die aber nirgendwohin führten, als hätten die Achi einen Tunnel graben wollen und nach der Pforte einfach aufgehört. Wozu waren diese Tore gut? Mel trat durch einen Torbogen in der Halle. Sie schritt an ein paar kleinen Bänken vorbei, die alle in die Mitte der Tempelhalle zeigten. Dort entdeckte das Mädchen einen kleinen Obelisk hinter einem Altar. Als sie näher trat, bemerkte sie, wie die Phiole, die sie noch immer in ihrer Hand hielt nun am stärksten leuchtete und sogleich erblickte sie das Banner auf dem Altar liegen. Es war ein zerfetztes Stück Stoff, mit der Phiole als Aufstickung und auch das Abbild eines schwarzen Vogels war darauf zu erkennen. Darunter war ein kleiner Abschnitt, auf dem etwas in merkwürdigen Buchstaben geschrieben stand. Es war wie eine fremde Sprache, doch Mel verstand alles klar und deutlich, was da stand. „Die Heiligkeit der Ewigkeit erlangt der, der gibt, was er bekommt“ Na schön, Mel verstand zwar die Worte, aber sie verstand den Sinn nicht. „Ein Sefim hat es gewagt, die Heiligkeit unseres Tempels zu betreten.“ Mel schrak mit einem Mal auf, als sie eine fremde Stimme hinter sich hörte. Sie klang rau und zitternd, aber trotzdem tief und furchteinflößend. Das Mädchen drehte sich blitzschnell herum und zog dabei sofort ihre DE. Doch sie zielte auf etwas anderes, als sie erwartet hatte. Vor ihr stand kein Söldner von Lost. Da stand ein Mann in ein zerfleddertes Gewandt gekleidet, dass dem Banner in Muster und Farbe ähnelte. Er sah schwach und klapprig aus, als ob er gleich in sich zusammen fallen würde. „Wer sind sie?“, fragte Mel. „Ich bin der letzte Achi.“, ertönte wieder diese tiefe Stimme. „Das letzte Achi? Aber die haben doch im 15. Jahrhundert gelebt? Wie kannst du...?“, doch die Frage beantwortete sie sich gleich selbst. „Du bist unsterblich?...“, versicherte sie sich leise bei dem Mann. „So ist es. Durch die Essenz des Lebens bin ich unsterblich geworden.“ „Und du lebst schon seit 500 Jahren hier unten?“ „So ist es. Ich habe mir die Bürde auferlegt, unser Heiligtum, den Tempel der Achi, vor Eindringlingen zu beschützen.“ Mel schrak zurück und richtete sofort wieder ihre Waffe auf den Achi. „Wenn das so ist, hab' ich schlechte Nachrichten. Ich brauche das Banner, um die Welt zu retten und ich werde es jetzt mitnehmen, ob Ihnen das passt oder nicht.“ „Du wirst mit dem Banner nichts anfangen können, Sefim.“ „Warum nicht?“, sie nahm ihre Waffe fragen wieder runter. „Weil du nicht weißt, wie man die Phiole benutzt.“ „Natürlich weiß ich das. Einfach aufbrechen. Ich würde dann sterben, aber der, der mich dabei berührt wird unsterblich.“ Der Mann schüttelte grinsend den Kopf. Dann blickte er Mel finster an. Unter seinem Gewandt holte er ein Schwert hervor und ging damit schreiend auf Mel los: „Die Heiligkeit der Ewigkeit erlangt der, der gibt, was er bekommt!!!“ Mel war daraufhin so erschrocken, dass sie Mühe hatte, der schnellen Klinge des Achi auszuweichen. Sie hatte noch nicht einmal Zeit, mit der DE wieder auf ihn zu zielen. Sie war viel mehr damit beschäftigt, den Hieben des Schwertes davon zulaufen. Der Achi jedoch blieb erbarmungslos an dem Mädchen dran, jagte sie durch die gesamte Tempelhalle. Er schrie dabei immer wieder diese Wort: „Die Heiligkeit der Ewigkeit erlangt der, der gibt, was er bekommt.“ Mel war völlig verwirrt und schon fast komplett außer Atem, doch sie versuchte sich zusammen zu reißen. Wenn dieser Achi diese Worte ständig wiederholte, müssen sie einen tieferen Sinn haben, außer den, den Achiyalatopa wieder zu erwecken. Doch was bedeuten sie denn dann? Das war für Mel eine verflucht schwere Aufgabe. Dem Achi ausweichen und über seine Worte nachdenken. Ihr kam schon eher in den Sinn, ihre Waffe zu benutzen, doch dann erinnerte sie sich, dass der Mann ewiges Leben besitzt. Den wird man sicher nicht so einfach erschießen können. Deswegen war die Idee, mit dem über seine Worte nachdenken vielleicht doch besser. Doch so sehr sich Mel auch anstrengte, sie wurde aus diesem einen Satz nicht schlau. Und die Zeit wurde allmählich knapp. Nicht nur, dass Mel die Kraft verließ, wenn sie nicht bald mit der Suche nach Lara anfangen kann, wird es verdammt eng. Ihr fehlte Lara. Sie war ihr in der Zeit, in der sie zusammen waren – und das waren gerade mal zwei Tage – ans Herz gewachsen. Sie war wie ein Mentor zu ihr. Ohne sie, hätte es Mel niemals bis hier hin geschafft. Lara stand Mel die ganze Zeit zur Seite, opferte sich letztendlich sogar für sie. Mel wollte jetzt das gleich für sie tun. In dem Augenblick stoppte der Achi abrupt in seinem Kampf, steckte seine Waffe weg. Mel registrierte das, blieb verdutzt stehen und drehte sich zu ihm um. Der Mann kniete sich vor sie. „Sefim. Die Achi und die Sefim waren lange Zeit verfeindet. Seit wir entdeckt hatten, welche Macht uns die Essenz des Lebens gab, wurden wir von den Sefim gejagt. Sie vereitelten unsere Pläne, so gut es ihnen möglich war und sie stellten sich uns ein Leben lang in den Weg. Dennoch konnten sie unser Geheimnis nie erfassen. Dennoch konnten sie unser Werk nie erkennen. Dennoch konnten sie unsere Macht nie begreifen. Dennoch konnten sie uns nie verstehen. Ich war beauftragt, die Sefim, die es wagen, den Tempel zu betreten, ohne zu zögern zu töten. Doch nun erkenne ich, dass der erste Sefim in der Lage war, die wahre Bedeutung der Essenz zu begreifen.“ Mel hörte verwirrt, aber aufmerksam zu. „Die Achi sind immer davon ausgegangen, jeder Zeit mit der Ignoranz der Sefim rechnen zu können. Doch du hast mir das Gegenteil bewiesen und da ich als einziger der Achi übrig bin, entscheide ich, dir das Banner und die Essenz zu überlassen. Mein Tod hätte schon vor 423 Jahren eintreten müssen. Die Aufgabe meiner Ewigkeit ist nun erfüllt. Somit sterbe ich.“, kaum hatte der Achi diese Worte ausgesprochen, zog ein starker Wind auf. Der Mann zerfiel mit einem Mal zu Staub, der vom Wind aus dem Tempel getragen wurde. Alles, was er zurück ließ, war das Banner und eine völlig verwirrte Mel, die nicht glauben konnte, dass sie ein fünfhundert Jahre altes Rätsel endlich gelöst hatte. „Die Heiligkeit der Ewigkeit erlangt der, der gibt, was er bekommt.“, murmelte sie. Es war so einfach. Sowie das Mädchen wieder zu Besinnung kam, rannte sie los, schnappte sich das Banner und machte sich auf dem schnellsten Weg zum Flughafen. Venedig – Ausgrabungsstätte Doch als sie aus dem langen, dunklen Tunnel wieder in der Ausgrabungsstätte von Pietro herauskam, wurde sie bereits erwartet. Ein gutes Dutzend bewaffneter Männer standen um die Eingangstür herum. Einerseits machte Mel das Angst, weil sie wusste, dass diese Typen keine Geschichts- und Geologie-Fanatiker waren. Andererseits war ihr klar, dass sie von Lost geschickt wurden und sie sie somit auf direktem Weg zu Lara bringen würden. Was dann passiert? Das wusste Mel ziemlich genau. Ein Plan ist immerhin ein Plan. Wenn man denkt, man sei an eine Grenze gestoßen, muss man einfach nur über den Tellerrand hinaussehen. Wenigstens das hatte sie von Lara gelernt. Die Phiole in ihrem Rucksack glühte. London – Leena Towers Versteck Zwei von Losts Männern „begleiteten“ Mel in Leenas Labor. Das Mädchen hatte einen festen Blick, sie war ernst und konzentriert, aber es ließ sich nicht leugnen, dass sie Angst hatte. Alles hing jetzt an ihr und ihrem Plan. Die Männer blieben stehen und Mel ebenso. Sie entdeckte bereits auf der anderen Seite der Halle ein paar Männer, die um Lara standen und ihre Waffen auf sie richteten. Es war offensichtlich, dass das eine Falle werden sollte, aber trieb Mel nicht vom festen Gedanken an ihren Plan ab. Allerdings versuchte sie ihre Sorge um ihre Mentorin hinter meinem finsteren Pokerface zu verstecken. „Soso, der letzte Sefim. Schön, dass du es dann doch geschafft hast, vorbei zu schauen.“, Leena Towers kam auf Mel zu, hatte ein argwöhnisches Grinsen auf dem Gesicht und schien sich ihrer Sache überaus sicher. „Ich habe ihnen doch gesagt, Lady Croft, diese Göre wird mir die Weltherrschaft persönlich ins Haus liefern.“ „MEL! Gib ihr bloß nicht das Banner und die Phiole.“, rief Lara. „Ja, mir war natürlich klar, dass deine Kindergartenerzieherin versuchen würde, dir ins Gewissen zu reden, Miss Madjana.“ Mel regte sich gar nicht, sondern sah nur böse zu Leena auf. „Aber für den Fall sind meine Wachmänner ja da. Solltest du dich weigern, mir das Banner, die Phiole und deine Dienste auszuhändigen, wird die liebe Lady Croft leider sterben müssen.“ Das Mädchen sah kurz rüber zu Lara, die ihren Kopf schüttelte. Doch Mel deutete ihr mit einem kleinen Nicken, dass sie wohl doch irgendwie einen Plan hatte. Als ob Mel mit Lara geistig reden würde, sagte sie ihr, sie hat einen Plan und sie soll ihr vertrauen. Die junge Frau schien das verstanden zu haben. Daraufhin sah Mel wieder zu Leena. „Darf ich nun um die Sachen bitten.“, befahl Leena ungeduldig. Doch Mel rührte sich nicht. „Propter!“, Leena sah zu einem der Männer, der daraufhin seine Waffe an Mels Kopf hielt. „Du hast gehört, was sie gesagt hat. Tu es!“, befahl er ihr. Das Mädchen atmete noch einmal durch. Dann ließ sie ihren Rucksack sinken und holte die Phiole und das Banner heraus. „Na also.“, Mr Towers ergriff sofort das Banner, stellte sich in die Mitte der Halle unter den Achiyalatopa und las die fremden Worte darauf vor. Sie sprach laut und deutlich in der fremden Sprache, die sie sicher nicht einmal verstand. Als sie fertig war, passiert erstmal nichts. Es blieb ruhig. Doch ein paar Augenblicke später, zuckte der riesige Vogel mit einem Flügel, ganz kurz. Dann ein weiteres Zucken. Schneller hintereinander, als versuche er, ein eingeschlafenes Körperteil wieder wachzurütteln. Dann öffnete er ganz langsam seine Augen. „Ja... ja...“, murmelte Leena siegessicher. Der Vogel breitete seine Flügel aus, holte tief Luft und ließ einen ohrenbetäubenden Schrei los, der die Wände wackeln ließ. Alle, bis auf Leena, hielten sich die Ohren zu. Langsam sank der Achiyalatopa auf den Boden, stand nun genau vor Leena. „Wohl an, Wesen aus längst vergangener Zeit. Ich habe dich wieder erweckt. Ich bin deine Meisterin. Lass mich ein Teil von dir werden, auf das ich dich für immer beherrschen kann.“ Und als ob der Vogel sie tatsächlich verstanden hätte, zögerte er nicht lange, beuge sich blitzschnell nach unten und verschlang Leena Towers. Dann wurde es wieder ruhig. Doch mit einem Mal schrie der Vogel erneut auf, lauter und länger als zuvor. Er wand sich, schlug mit den Flügeln und fing an, zu leuchten und zu strahlen. Aus ihm drang ein Licht, das so hell war, dass alle sich in der Halle befindlichen Menschen die Augen zuhalten mussten. Alle bis auf Mel. Sie beobachtete den Achiyalatopa. Ihr war das ganze Schauspiel nicht geheuer, aber sie ließ sich trotzdem nichts anmerken. Noch immer hatte sie ihren Plan im Hinterkopf, obwohl sie langsam zweifelte, ob der Plan aufgehen würde. Der Achiyalatopa hingegen, strahlte noch immer und schien nun zu schrumpfen. Er wurde immer kleiner und kleiner. Die Flügel wurden dünner, die Beine länger. Offensichtlich nahm er eine menschliche Gestalt an. Das Leuchten hörte schließlich auf und tatsächlich, aus ihm hatte sich eine fast drei Meter große, menschliche Gestalt geformt, mit grau-grüner Haut. Die Gestalt sprach mit Leenas Stimme widerhallend zu Mel: „Ich bin nun mächtiger, als jeder Mensch auf der Welt. Ich bin der Pionier einer neuen Rasse Mensch, einer perfekten Rasse Mensch, die über die andere, jämmerliche Rasse herrschen wird. Es fehlt nur noch die Unsterblichkeit. Komm, mein Kind. Die Phiole.“ Mel tat ein paar Schritte auf die verwandelte Leena zu. Sie hatte unheimliche Angst vor diesem riesigen Menschen. Schließlich blieb sie stehen. Leena kniete sich zu ihr runter und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Ich danke dir, mein Kind, dass du dich für meine Macht opferst. Es ist fast schade, dass du dabei sterben bist. Nun denn. Fang an. Zerbrich die Phiole.“ Mel sah noch einmal zu Leena auf. Dann drehte sie ihren Kopf zu Lara, aber was sie in ihren Augen sah, konnte sie nicht so ganz ausmachen. Lara wusste, dass wenn Mel die Phiole selbst zerbrechen würde, würde die freigesetzte Energie sie töten. Sie wollte nicht, dass das passiert. Mel hatte ihr zwar gedeutet, ihr zu vertrauen, aber welchen Plan konnte sie haben, der so bomben-sicher ist, dass sie ihr vertrauen konnte. Oder wollte Mel sich gar opfern? Lara war der Gedanke nicht geheuer. Mel war zwar einfach so in ihr Leben gestolpert, ohne Vorwarnung und ohne Rückfahrschein. Sie dachte, das Mädchen wäre ihr wohl für immer ein Klotz am Bein. Diese Göre war weinerlich, verzogen und hilflos. Aber im Laufe der Zeit hatte sie sich doch zu einer richtigen kleinen Kämpferin gemausert. Es ist fast so, als hätte Lara schon ihr Leben lang nach einer Möglichkeit gesucht, ihr ganzes Wissen und ihre Erfahrung an irgendjemanden weiter zu geben. Jetzt hatte sie endlich so jemanden gefunden. Und den war sie nun im Begriff zu verlieren. Das Mädchen nahm die Phiole in beide Hände. So gesehen wären das jetzt ihre letzten Minuten auf Erden. Aber es hatte sich gelohnt. Sie hatte herausgefunden, worum ihr Vater sie gebeten hatte und wenn sie jetzt drauf geht, sieht sie ihn vielleicht wieder. Das ist zwar kein Trost, aber irgendwie ist es ein Trost. Mit einer knappen Handbewegung, brach sie die Phiole entzwei. „NEEEEEEEEEEEEEEEIIIINNNN!!!!“, schrie Lara völlig von Sinnen, nutze dem Umstand des gleißenden Lichtes der Flüssigkeit, die aus der zerbrochenen Phiole floss, drängelte sich aus der Wachmännermeute heraus, rannte auf Mel zu, packte sie, riss ihr die Phiole aus den Händen und warf sich und Mel auf den Boden. Die Erde fing an zu beben, Leena schrie auf, doch Lara und Mel rührten sich nicht. Es dauerte nicht lange, dann hört das Beben auf. Lara sah nach unten. Vor ihr lag Mel. Sie rührte sich nicht. Lag einfach nur regungslos da. „Nein, Mel...“, flüsterte sie. Von allen Missionen, die sie bisher bestritten hatte, von allen miesen Typen, die ihr was vorgemacht hatten, um ihr Vertrauen zu erschleichen, von allen korrupten Machthungrigen, die ihr das Leben schwer gemacht hatten, war das hier das emotionsmäßig schlimmste, was ihr je passiert war. Sie wollte es nicht glauben. Mel ist tot. „Nein bin ich nicht...“, hechelte Mel, atmete einen kräftigen Zug Luft ein und hustete ihn gleich wieder raus. Lara riss die Augen auf. „Wie kannst du nicht tot sein? Die Phiole sollte doch...“ „Jaja, die Phiole sollte mich umbringen. Ich weiß.“, das Mädchen öffnete die Augen. „Ich sagte doch, ich habe einen Plan. Und wenn ich richtig lag, dann wird auch dies hier funktionieren.“, sie stand auf und sah nach hinten. Leena war ja noch immer da und grinste über's ganze Gesicht. „Endlich. Unsterblichkeit!“, freute sie sich. „Die Welt gehört mir.“ „Hey, Turteltäubchen!“, rief Mel. Daraufhin sah Leena sie böse an. „Du wagst es, einen Gott zu beleidigen?“ Doch Mel ließ sich davon wenig beeindrucken. „Ach, Gottchen, krieg dich mal wieder ein.“ Selbst Lara war doch ein wenig verdutzt. „Weißt du überhaupt, was die Worte bedeuten, die du da geschwafelt hast, als du den Achiyalatopa geweckt hast?“ „Selbstverständlich. Es waren heilige Wort, die mir die Pforte zur absoluten Macht eröffnen.“ „Aber du hast keine Ahnung, was diese Worte wirklich bedeuten.“ Leena schwieg. „Das dachte ich mir schon. Manchmal sollte man über den Tellerrand hinaus sehen. Diese Worte waren in einer alten Sprache verfasst und bedeuten: Die Heiligkeit der Ewigkeit erlangt der, der gibt, was er bekommt. Mit anderen Wort, du wirst nur dann unsterblich, wenn du zuvor eine selbstlose Tat begehst.“, das Mädchen zog ihre DE. „Und ich bezweifle dass die absolute Weltherrschaft zu einer selbstlosen Tat zählt.“ Leenas Gesicht wurde immer länger. Sie begriff, worum es ging, doch zu spät. „Nein, Madjana....“ Mel zielte: „Bye Bye, Pussycat...“, schoss und traf Leena direkt zwischen den Augen. Diese schrie kurz auf, ein gleißendes Licht erfüllte den Raum und so schnell es gekommen war, war es auch wieder dahin und Leena mit ihr. Wow, wenn das mal kein Sieg an sich wäre. „Du hast es geschafft. Ich bin stolz auf dich.“, kam Lara auf Mel zu. „Du hast so eben die Welt gerettet. Damit steht es Mel gegen Lara eins zu fünfundsiebzig.“ „Haha, du bist ja auch schon 'n bisschen länger im Geschäft, als ich, Oma.“ „Wieso bist du durch die Phiole nicht gestorben?“ „Nunja, wie ich sagte. Die Heiligkeit der Ewigkeit erlangt der, der gibt, was er bekommt. Als ich die Phiole zerbrochen hatte, bist du auf mich zugerannt und hast mich berührt, noch während die Flüssigkeit aus ihr herausfloss. Du hast die Unsterblichkeit erlangt, weil du mich retten wolltest. Eine selbstlose Tat. Und diese selbstlose Tat bestand darin, mir dein Leben zu geben. Du hast quasi deine Unsterblichkeit auf mich übertragen.“ „Aber jetzt müsstest du doch auch unsterblich sein.“ „Wäre das schön. Nein, die Phiole hat zu viel meiner Lebensenergie aus mir herausgesaugt. Deine Unsterblichkeit hat das nur kompensiert. Ich bin genauso lebendig und genauso sterblich wie du.“ „NA, DAS WOLLEN WIR DOCH GLEICH MAL TESTEN!!!“, schrie Lost, der gerade aus dem Kontrollraum gestürzt kam, seine Waffe zog und auf Mel richtete. Lara zog ihrerseits ihre Waffe, doch Lost sagte: „Das würde ich lieber lassen, Fräulein. Ich kann aus zwanzig Meter Entfernung den Kopf einer Stecknadel zerschießen und jetzt ziele ich genau auf den Kopf deiner kleinen Freundin.“ Er kam langsam auf Mel zu, bis er schließlich vor ihr stehen blieb. „So Püppchen. Dann grüß mal fein deinen Vater.“ „GRÜSS IHN DOCH SELBST!“, schrie Mel, sprang blitzschnell aus Losts Schussbahn, zog ihre DE und schoss zielsicher. „Du hast echt viel von mir gelernt.“, meinte Lara zufrieden. „Ich hatte die beste Lehrerin. Und mit rauchenden Colts gehe ich sicher nicht unter.“ „Alles in Ordnung?“ „Hm? Naja. Ich habe mich gerade an dem Menschen gerächt, der meinen Vater ermordet hat. Ich hatte gehofft, es fühlt sich besser an.“ „Rache ist mit Sicherheit nie ein guter Grund jemanden zu töten. Sieh über den Tellerrand hinaus. Es gibt bessere Gründe, als Rache.“ „Zum Beispiel?“ „Die gute Absicht.“ Daraufhin verließen Lara und Mel das Labor. By MayaAnn 01.07.06 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)