Ai No Kiseki von Emma_Frost (Wunder der Liebe) ================================================================================ Kapitel 31: Die Entscheidung ---------------------------- Als Haruka aufwachte, war von dem schrecklichen Sturm nichts mehr zu hören. Die Sonne schien zum Fenster hinein und ließ ihre hellen Strahlen durch das Zimmer tanzen. Die Vögel zwitscherten, und ein kleiner bunter Schmetterling flatterte gegen die Scheibe. Haruka sah auf Michiru herunter, die sich in ihren Arm gekuschelt hatte. Sie konnte nur einen Schwall langer türkisfarbener Locken von ihr ausmachen, mehr nicht. Offenbar schlief sie fest, wie ihre tiefen, regelmäßigen Atemzüge verrieten. Haruka lächelte und fuhr ihr mit der Hand durch das wirre Haar. Michiru. Beherrscherin der See. Meine Freundin. Das Mädchen, das ich mehr als alles andere liebe. Sie lächelte bei dem Gedanken vor sich hin. Sie dachte an die Nacht, die sie miteinander verbracht hatten... angefangen im Badezimmer zwischen alle den brennenden Kerzen, und dann später vollendet hier im Schlafzimmer... Michiru rührte sich nicht. Sie schlief tief und fest. Haruka wagte es nicht, sich zu bewegen, denn sie fürchtete, sie aufzuwecken. Während sie so da lag, gingen ihr all ihre Momente der Einsamkeit durch den Kopf, die sie im Internat erlebt hatte. Einsamkeit... oh ja, sie konnte sehr gut verstehen, was Einsamkeit bedeutete... Haruka stand mit einem Basketball in der Hand in der Turnhalle und versuchte, ein paar gute Körbe zu werfen. Ihre Klassenkameradinnen sahen zu ihr herüber. „Schaut mal“, sagte eine von ihnen. „Haruka gibt schon wieder damit an, daß sie so gut im Basketball ist. Darauf ist sie wohl sehr stolz! Wie eingebildet sie doch ist!“ „Sie trägt ihre Nase ganz schön hoch“, fügte eine andere hinzu. Sie hatte nicht das Glück, in einer heilen Familie geboren worden zu sein... Haruka saß allein im Gras und aß ihr Vesper. Sie hörte deutlich, wie hinter ihrem Rücken über sie getuschelt wurde. „Sie hat sich schon wieder mit einem geprügelt und ihn verletzt!“ „Bestimmt fliegt sie jetzt von der Schule!“ „Sie ist so wild!“ „Niemand will was mit ihr zu tun haben!“ Keine Freunde... ganz allein... Haruka verließ das Schulgebäude. Sie fühlte mehr, als sie es sah, daß ihr alle nachsahen. „Haruka ist so unnahbar“, wurde getuschelt. „Genau. Sie hat immer was anderes vor.“ „Aber mit uns gibt sie sich nie ab.“ „Bestimmt hat sie irgend ein Geheimnis!“ „Welches wohl?“ Und alle brachen in ein schallendes Gelächter aus... Unverständnis... keiner hatte sie je verstanden... Haruka stieg vom Motorrad und nahm ihren Helm ab. In ihrem rotweißen Motorradanzug, auf dessen Rücken in dicken schwarzen Letter ihr Name – Tenô – stand, wirkte sie mehr denn je wie ein Junge. Sie tat, als bemerke sie die Mädchen nicht, die sich hinter einem Baum versteckten und über sie tuschelten. „Da ist sie!“ „Man sagt, sie fährt richtige Rennen auf ihrem Motorrad!“ „Ja, angeblich hat sie schon mehrere Preise gewonnen! Ich kann sie nicht leiden, sie ist so arrogant und noch dazu steinreich!“ „Schau nur, wie sie aussieht! Wie ein Mann!“ „Vielleicht ist sie ein verkleideter Junge?“ „Sie prügelt sich ständig mit irgend jemandem!“ „Komm, wir gehen lieber wieder! Sie macht mir Angst!“ Haruka hielt mit ihren traurigen Gedanken inne. Liebe leuchtete in ihren Augen, als sie Michiru ansah. Aber jetzt, jetzt hat alles ein Ende! dachte sie glücklich. Wenn sie mich jetzt sehen könnten! Ich bin nicht länger einsam und allein. Und das dank ihr... Kaiou Michiru... Und wieder schweiften ihre Gedanken in die Ferne... Seiya... ihr bester Freund... Haruka saß auf ihrem Handtuch am Pool und las in ihrem neuen Manga von EVA, während Michiru, Setsuna, Seiya, Yaten und Taiki auf dem Rasen Frisbee spielten. Die Sonne schien knallig heiß vom Himmel herab, und sie schwitzte, obwohl sie nur einen Badeanzug trug und unter einem Sonnenschirm saß. Seufzend blätterte sie eine Seite ihres Mangas um. Da rannte plötzlich Seiya zu ihr hin, riß ihr den Manga aus der Hand und schrie: „Was soll das? Jetzt wird nicht gelesen, jetzt spielen wir Frisbee! Los, worauf wartest du, steh auf!“ Haruka lächelte. „Ja“, antwortete sie. „Ich komme ja schon!“ Setsuna... wie eine ältere Schwester... Erschöpft ließ sich Setsuna ins Gras sinken und strich sich ermattet mit der Hand über die Stirn. Sie hatte den ganzen Nachmittag an ein paar neuen Entwürfen für ihren Designkurs gearbeitet und war nun fix und fertig. „Oh man“, meinte Haruka mitleidig und setzt sich neben sie, „du hast heute aber wieder ganz schön hart gearbeitet, was?“ Überrascht sah Setsuna auf. „Das ist das erste Mal, daß du das bemerkst!“ lachte sie. Yaten und Taiki... zwei gute Kumpels... Haruka saß im Gras und wollte gerade in ihren Reisball beißen, als sich Yaten und Taiki neben sie sinken ließen. „Mmh!“ machte Taiki und leckte sich die Lippen. „Der Reisball sieht gut aus... Er schmeckt bestimmt sehr lecker!“ „Natürlich“, erwiderte Haruka. „Glaubst du, ich würde ihn sonst essen?“ Yaten lachte und kniff ein Auge zusammen. „Ganz allein?“ fragte er grinsend. Michiru... die große Liebe... Haruka brachte das Motorrad zum Stehen und riß sich den Helm vom Kopf. Ihre dunklen Augen blitzten, als sie daran dachte, wie sie das Motocross-Rennen mit Abstand gewonnen und sogar den Rennprofi Yamada abgehängt hatte. „Wahnsinn“, meinte Michiru bewundernd. „Das war einsame Spitze! Wenn du so weiter machst, wirst du noch richtig berühmt, Ruka!“ „Taaadaaa!“ Lachend stieg Haruka vom Motorrad und wirbelte ihre Freundin im Kreis herum. Sie strahlte über das ganze Gesicht. „Was sonst?“ fragte sie ausgelassen. Haruka fühlte sich sehr glücklich und zufrieden wie schon seit langer Zeit nicht mehr. Sie fühlte sich so frei, als wäre sie der Wind und niemand könne ihr mehr etwas anhaben. Michiru begann sich zu bewegen. Sie murmelte etwas vor sich hin, hob den Kopf und gähnte lang und anhaltend, während sie sich die verschlafen die Augen rieb. „Guten Morgen, Langschläferin“, sagte Haruka liebevoll. Michiru hob den Kopf und blinzelte sie müde an. Ihre blauen Augen wirkten noch sehr verschlafen, aber sie sah glücklich aus und lächelte. „Dann war es also doch kein Traum?“ fragte sie leise. Haruka mußte lachen. „Seh ich so aus?“ fragte sie zurück. „Nein“, murmelte Michiru und rutschte näher zu ihr heran. „Du, Ruka... habe ich dir heute schon gesagt, daß ich dich liebe?“ Haruka strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn und beugte sich zu ihr hinunter, um sie zu küssen. „Nein, hast du nicht“, flüsterte sie. „Aber ich glaube es dir auch so!“ „Ruka!“ Michiru schlang ihre Arme um ihren Hals und drückte sie so fest an sich, daß Haruka beinahe die Luft wegblieb. Sie erwiderte die Umarmung, und als sie dann Michirus weiche Lippen auf den ihren spürte, hatte sie das Gefühl, noch nie in ihrem Leben so glücklich gewesen zu sein. Wenig später standen sie auf und zogen sich an. Michirus Kleidung war über Nacht getrocknet, und Haruka suchte sich ihre weiße Hose, das schwarze T-Shirt und das ockergelbe Jackett aus dem Schrank hervor. Während Michiru auf der Bettkante saß und ihre langen Locken bürstete, bis sie ihr seidig über die Schultern herab fielen, trat Haruka an das Fenster. Draußen herrschte das schönste Wetter, und nichts deutete mehr auf die Schrecken der Nacht hin. „Es ist wieder das allerschönste Wetter“, bemerkte sie. „Der Sturm hat keine Spuren hinterlassen. Als sei nichts gewesen.“ „Solche Stürme gibt es hier manchmal“, sagte Michiru. „Aber so einen schlimmen wie diesen habe ich noch nie erlebt!“ Die beiden gingen hinunter und zogen überall die Rollos hinauf. Als sie zur Glastür kamen, erkannten sie erst die Verwüstung, die der vom Blitz gespaltene Baum angerichtet hatte. Er war auf den Rasen gefallen und hatte einen Teil der Gartenstühle und Blumentöpfe und eine Luftmatratze unter sich begraben. Die Steinplatten, die sich gehoben hatten, als sich die Wurzeln gespannt hatten, bildeten einen einzigen Haufen aus Schutt und Geröll. Abgesprungene Äste und eine Menge Blätter und auch Grund und ganze Blumen lagen im Schwimmingpool. Ein kleiner Plastikblumentopf samt Inhalt verstopfte den Skimmer. Auf dem Rasen lagen lauter zerbrochene Gegenstände. „Ach du lieber Gott“, murmelte Michiru entsetzt. „Ich möchte gar nicht erst wissen, wie es bei uns drüben aussieht!“ „Bestimmt nicht schlimmer als hier“, murmelte Haruka. Sie hoffte nur, ihre Tante würde sie nicht für die Verwüstung verantwortlich machen oder gar zum Aufräumen verdonnern. Andererseits – sie war im Moment so verdammt glücklich, daß ihr alles egal war. Sie beschlossen, unten zu frühstücken. Haruka ging hinaus, um nach der Post zu sehen und kam mit der Nachricht zurück, daß das Telefon wieder funktionierte. Mrs. Tenô hatte angerufen und sich besorgt erkundigt, ob alles in Ordnung war. Als Haruka ihr von der Verwüstung im Garten berichtet hatte, hatte sie ausgesprochen gelassen reagiert und nur gemeint, sie würde irgendeine Aufräum-Firma damit beauftragen, alles wieder in Ordnung zu bringen. Außerdem hatte sie sich erkundigt, ob Michiru hier wäre, da deren Eltern sie zu Hause nicht hatten erreichen können. Haruka bejahte, und nach dem sie noch kurz mit Michirus Mutter gesprochen hatte, kehrte sie ins Eßzimmer zurück. Michiru hatte den Tisch gedeckt und war gerade mit Kaffeemachen und Brotschneiden beschäftigt. Sie sah auf, als Haruka eintrat, und lächelte sie an. Haruka erwiderte ihr Lächeln. „Deine Mutter läßt dir sagen, daß sie heute nachmittag um ca. sechzehn Uhr zurück sein werden“, richtete sie aus. „Danke“, erwiderte Michiru. „Ich hoffe nur, daß es bei uns nicht so schlimm aussieht wie bei euch. Wenn unser Wintergarten beschädigt ist... nicht auszudenken!“ „Es wird schon nicht so schlimm sein.“ Sie setzten sich an den Eßtisch und frühstückten gemütlich. Als Michiru erfuhr, daß Mrs. Tenô eine Aufräum-Firma anstellen wollte, lachte sie. „Das ist typisch für sie“, meinte sie. „Aber da sie das nötige Kleingeld hat... warum nicht? So wie ich meine Eltern kenne, werden wir alles selbst aufräumen.“ Sie verzog das Gesicht. „Wenn du schön lieb zu mir bist, kann ich dir ja helfen“, grinste Haruka und zwinkerte ihr zu. Michiru lachte. „Das muß ich mir erst noch überlegen“, rief sie, während sie nach der Erdbeermarmelade griff. Es klingelte an der Tür. Überrascht sah Haruka auf. „Wer kann das sein?“ überlegte sie. „Für den Postboten ist es zu spät und für meine Tante zu früh.“ „Vielleicht ist es Setsuna oder ihre Mutter, die sich erkundigen möchte, ob wir den Sturm gut überstanden haben“, mutmaßte Michiru. Haruka stand auf und ging hinaus zur Tür. Es klingelte wieder, diesmal etwas ungeduldig. Möglich, daß es Setsuna oder Mrs. Meio waren. Zu den anderen Nachbarn hatte Haruka ja kaum Kontakt. Aber als sie die Tür öffnete, sah sie sich jemandem gegenüber, mit dem sie nicht im Traum gerechnet hatte – Goku Nerissa nämlich. „Du!?“ stieß sie verblüfft hervor. Nerissa wirkte wie immer reichlich eingebildet. Sie trug ihren hochnäsigsten Gesichtsausdruck zur Schau, hatte sich die Haare ordentlich zusammengesteckt und trug ein elegantes Sommerkleid. Haruka überlegte, ob sie ihr sagen sollte, daß sie mit ihren beiden Halsketten und den vielen Ringen und Armreifen und den langen Ohrgehängen wie ein aufgeputzter Christbaum aussah, unterließ es jedoch, um nicht gleich einen Streit heraufzubeschwören. „Das ist ja nun keine besonders freundliche Begrüßung“, beschwerte sich Nerissa. „Du könntest ruhig etwas höflicher sein.“ „Halt den Mund und sag mir lieber, warum du mich beim Frühstück störst!“ knurrte Haruka. Sie fragte sich, warum sie keine zwei Minuten mit Nerissa zusammen sein konnte, ohne sich über sie zu ärgern. „Ich möchte zu Michiru“, erklärte Nerissa hoheitsvoll. Haruka lehnte sich gegen den Türrahmen. „Weißt du was?“ schlug sie ihr gönnerhaft vor. „Jetzt gehst du mal zur Klingel und schaust, was für ein Name auf dem Schild steht. Bestimmt nicht „Kaiou“. Du scheinst dich in der Tür geirrt zu haben, meine Liebe.“ „Das glaube ich kaum“, erwiderte Nerissa mit der gleichen zuckersüßen Höflichkeit. „Ich war bereits drüben bei den Kaious, aber da hat mir niemand die Tür aufgemacht, und die Nachbarin schlug mir vor, ich solle es doch mal hier probieren, da ihr beide ja in letzter Zeit anscheinend unzertrennlich seid.“ Haruka hatte keine Lust, Nerissa hereinzulassen. Am liebsten hätte sie ihr die Tür vor der Nase zugeschlagen. Aber sie war Michirus Besuch, nicht ihrer. „Was willst du von ihr?“ fragte sie mißtrauisch. Nerissa verschränkte die Arme und schob ihr Kinn vor. „Ich wüßte nicht, was dich das angeht“, zischte sie. „Also, ist Michiru jetzt hier oder nicht?“ Haruka wußte nicht, was sie tun sollte. Sie hatte keine Ahnung, ob Michiru mit Nerissa sprechen wollte oder nicht. „Michiru ist...“, begann sie, als im Flur Schritte ertönten und Michiru mit ihrer Kaffeetasse in der Hand zu ihnen trat. „Ich bin hier“, sagte sie ruhig. Nerissas Augen leuchteten. „Michie! Das ist gut, daß ich dich treffe. Ich war schon bei dir drüben, aber es hat mir niemand die Tür...“ „Ich weiß“, sagte Michiru. „Ich stehe schon eine ganze Weile im Flur und höre euer Gespräch – nein, besser gesagt Gezanke – mit an.“ Nerissa wirkte fast ein wenig schuldbewußt. „Oh, tut mir leid. Aber sobald ich mit ihr zusammen treffe, fange ich mich an, über sie zu ärgern.“ Sie deutete mit angewidertem Gesichtsausdruck auf Haruka, die sich auf eine der Treppenstufen gesetzt hatte. „Geht mir genauso“, sagte Haruka kurz angebunden. „Was willst du?“ fragte Michiru betont freundlich, aber distanziert. „Ich...“, Nerissa stockte und warf Haruka unter gerunzelten Brauen einen bösen Blick zu, der wohl soviel heißen sollte wie Hau ab. „Also, ich...“ „Ja?“ „Bitte, tu dir keinen Zwang an“, grinste Haruka. Nerissa stemmte die Arme in die Hüften. „Mußt du eigentlich immer zu allem deinen Senf dazugeben?“ fauchte sie. „Dich hat überhaupt keiner gefragt!“ „Ob du’s glaubst oder nicht, aber das ist mir gerade mal total egal“, erwiderte Haruka vergnügt. Nerissas blaue Augen funkelten böse. Offenbar fiel ihr kein passender Konter mehr ein, denn sie deutete anklagend auf Haruka und verlangte barsch: „Sorg dafür, daß sie verschwindet, oder ich sage kein Wort mehr! Ich hätte dich nämlich gern allein gesprochen, Michiru.“ Zögernd stand Haruka auf, aber Michiru schüttelte den Kopf. „Haruka bleibt hier“, sagte sie bestimmt. „Ich habe keine Geheimnisse vor ihr.“ „Aber...“ „Sie bleibt.“ Haruka warf Nerissa einen triumphierenden Blick zu, den sie mit eisiger Verachtung quittierte. Haruka mußte feststellen, daß sie und Nerissa wohl niemals Freundinnen werden würden. Dafür waren sie einfach zu unterschiedlich. Nerissa schien sich dazu entschlossen zu haben, Haruka nicht weiter zu beachten. Sie trat auf Michiru zu. „Michie-Chan... ich habe einen schrecklichen Fehler gemacht“, sagte sie hilflos. „Zwischen mir und Tsubasa ist es aus. Ich habe unsere Verlobung gelöst. Ich gebe zu, ich war fasziniert von ihm, ja, vielleicht sogar tatsächlich ein wenig verknallt, aber das mit uns, das war doch etwas ganz besonderes, und ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen. Wie soll ich es sagen, Michie-Chan...? Ich... ich liebe dich noch immer, und ich wünsche mir nichts mehr, als daß wir wieder zusammenkommen. Du liebst mich doch auch noch, oder? Es tut mir leid, daß ich dir weh getan habe, aber ich war wie geblendet von Tsubasa und seinem Reichtum und seinem Charme... für mich gab es nichts anderes mehr als ihn, und ich habe nicht darüber nachgedacht, was ich tat, als ich mich von dir getrennt habe. Ich bitte dich, mir zu verzeihen und zu mir zurückzukommen. Bitte, Michie-Chan!“ Sie holte tief Luft und sah Michiru mit einem fast ängstlichen Ausdruck in ihren Augen an. Haruka fühlte, wie ihr schlecht wurde. Angst schnürte ihr die Kehle zu. Angst, Michiru zu verlieren. Wenn sie Nerissa auch nicht leiden konnte, so mußte sie ihr doch zugestehen, daß sie Michiru aufrichtig liebte. Das konnte Haruka in ihren Augen ablesen. Und es schien ihr wirklich leid zu tun mit Tsubasa. Wenn Michiru sich also für Nerissa entschied, dann würde ihr, Haruka, nichts anderes übrigbleiben, als den beiden viel Glück zu wünschen. Michiru war blaß geworden. Auch sie erkannte die Tragweite des Augenblicks. Ein Wort von ihr würde über ihre Zukunft entscheiden. Da war Nerissa, für die sie sich entscheiden konnte – und da war Haruka, mit der sie die Nacht verbracht hatte. Das Meer und der Wind werden eins... the sea and the wind become one... Haruka sah Michiru an. Sie begegnete wieder diesem faszinierend schönen Blick aus den leuchtenden meerblauen Augen, die sie stets an den Ozean erinnerten. Und auf einmal... auf einmal hatte sie keine Angst mehr. „Michie-Chan... du sagst ja gar nichts...“, murmelte Nerissa, und das klang nicht mehr so strahlend selbstbewußt wie vorhin. Michiru ging an ihr vorbei und streckte Haruka die Hand hin. Haruka ließ sich von ihr hinaufziehen. Sie standen nebeneinander und fühlten, daß sie zusammengehörten. Der Wind und das Meer... „Michie-Chan...“, flüsterte Nerissa. Es klang fast flehentlich. Michiru senkte den Kopf. Leicht schien es ihr nicht zu fallen. Immerhin war sie sehr lange mit Nerissa zusammen gewesen und hatte sie wohl immer noch sehr gern. Aber es war keine Liebe mehr, es war Freundschaft. „Nerissa, ich... es tut mir leid, aber... ich habe mich bereits entschieden... für Haruka.“ Sie sprach diese wenigen Worte so unbeteiligt wie möglich aus, aber Wärme und Liebe klangen trotzdem unüberhörbar in ihnen mit. Nerissa wich zurück. Mit wildem Haß in den Augen starrte sie Haruka an. „Nein!“ schrie sie. „Das kann nicht sein! Bitte, Michie, sag, daß das nicht wahr ist! Selbst wenn nicht ich... ich meine, nicht ausgerechnet sie!“ „Doch, Nerissa“, lächelte Michiru. „Ich liebe Haruka. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Ich kann mir ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen.“ Haruka lächelte sie an. Etwas schöneres hätte sie nicht sagen können. Nerissa starrte sie noch immer sprachlos an, dann drehte sie sich auf dem Absatz um und stürzte zur Tür. Auch ohne daß Haruka es sehen konnte, wußte sie, daß sie weinte. „Neri, warte!“ rief Michiru. „Das ändert doch nichts an unserer Freundschaft... Neri! Nerissa!“ Aber Nerissa hörte nicht. Sie stürzte hinaus und schlug die Tür mit einem Knall hinter sich zu, der sich noch schlimmer anhörte als der Donner gestern nacht. Sie ist egoistisch, dachte Haruka. Aber dann schalt sie sich selbst wegen ihrer Gedanken. Nerissa hatte geweint, als sie davongelaufen war. Das bewies, daß sie durchaus zu tieferen Gefühlen fähig war – und daß sie Michiru tatsächlich geliebt hatte. Michiru seufzte. „Es tut mir leid“, flüsterte sie. „Nein, Michie-Chan, das muß es nicht“, tröstete Haruka. „Sie wird vielleicht einige Zeit brauchen, aber sie wird darüber hinwegkommen. Nerissa ist stark, das weißt du doch. Sie wird es begreifen und verstehen, glaub mir.“ Michiru nickte nachdenklich. „Ja, du hast recht. Wenn im September die Schule wieder beginnt, dann können wir alle einen neuen Anfang machen. Und bis es soweit ist, Ruka-Chan, werden wir einfach nur glücklich sein, ja?“ „Ja“, lächelte Haruka. „Das werden wir!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)