Ai No Kiseki von Emma_Frost (Wunder der Liebe) ================================================================================ Kapitel 21: Nerissas Geständnis ------------------------------- Als Haruka erwachte, fühlte sie sich steif und unbehaglich. Sie kam sich vor, als habe sie auf einem harten Steinfußboden übernachtet. Alles tat ihr weh. Sie stöhnte leise und reckte sich. Ihr Blick fiel auf Michiru, die sich inzwischen zur Wand gedreht hatte. Alles, was von ihr zu sehen war, waren ihre türkisfarbenen Locken, die unter der Bettdecke hervorschauten. Haruka stand auf und dehnte sich erst einmal richtig. Sie gähnte anhaltend und fragte sich, wie sie es geschafft hatte, in dieser unbequemen Haltung auf der Bettkante einzuschlafen. Sie erinnerte sich, daß sie noch lange wach gewesen und die schlafende Michiru in ihren Armen gehalten hatte, bis sie dann auch eingeschlafen war. Draußen fuhr ein Auto vorüber, unten im Haus bellte Fiffi in den höchsten Tönen, und Mrs. Tenô schien mit jemandem zu telefonieren. Vom Haus der Meios her kam sanfte Keyboardmusik. Yaten war also schon aufgestanden. Seiya trainierte sicher auch schon, und Taiki schief bestimmt noch, während Setsuna das Frühstück richtete. Sie alle schienen überhaupt keine Probleme zu haben, ihr ganzes Leben schien ruhig und friedlich zu verlaufen, während Haruka sich dauernd mit irgendwelchem Kram herumschlagen mußte. In diesem Augenblick empfand sie das Leben als verdammt ungerecht. „Hmmm....“, murmelte Michiru aus ihren Kissen heraus und richtete sich auf. „Ruka, bist du hier?“ Haruka trat an das Bett. „Ja, ich bin hier, Michie“, sagte sie. „Hast du gut geschlafen?“ „Ich fühl mich, als hätte ich die ganze Nacht kein Auge zu getan“, murmelte Michiru und schüttelte ihren Lockenkopf. Sie gähnte. „Deine Mutter war gestern abend hier und hat dir ein paar Sachen gebracht“, berichtete Haruka und erzählte von ihrem Gespräch mit Mrs. Kaiou. Michiru nickte. „In Ordnung. Ich bin froh, daß mein Vater sich beruhigt hat. Er wird jetzt wahrscheinlich auf eine seiner endlosen Geschäftsreisen gehen und wenn er zurückkommt, wird er so tun, als wäre nie etwas gewesen.“ Er klang verbittert. „Dein Vater hat... nicht sehr viel Zeit für dich, nicht wahr?“ fragte Haruka vorsichtig. „Nein“, erwiderte Michiru knapp und gab Haruka damit deutlich zu verstehen, daß sie nicht darüber sprechen wollte. Haruka beschloß, sie etwas alleine zu lassen. Sie ging ins Badezimmer und machte sich für die Schule fertig. Als sie, ihre Mappe unterm Arm, in die Küche trat, saß Michiru am Küchentisch und rührte in einer Kaffeetasse. Vor ihr stand eine unberührte Schale mit Cornflakes. „Gehst du heute zur Schule?“ fragte Haruka, obwohl sie die Antwort wußte. „Nein“, murmelte Michiru geistesabwesend. Haruka warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Sie war ohnehin schon viel zu spät dran, da kam es auf die paar Minuten auch nicht mehr an. Sie holte sich eine Tasse aus dem Schrank und schenkte sich Kaffee ein. Dann setzte sie sich Michiru gegenüber. „Du kannst Nerissa nicht ewig aus dem Weg gehen“, meinte sie. Michiru antwortete nicht. Sie schob ohne aufzusehen Haruka die Schüssel mit den Cornflakes zu. „Hier. Die kannst du essen. Ich hab keinen Hunger.“ „Nein, danke“, sagte Haruka ungeduldig. Schon beim Gedanken daran, am frühen Morgen etwas zu essen, wurde ihr schlecht. Sie seufzte. „Michiru, es hat doch keinen Sinn, wenn du vor allem davonläufst!“ „Tu ich ja gar nicht“, murmelte sie. „Ich brauch nur etwas Abstand.“ „Ja, aber irgendwann wirst du wieder in die Schule gehen müssen, und dann... siehst du sie wieder. Und schon fängt alles wieder von vorne an.“ Gereizt sah Michiru auf. „Willst du mir Vorwürfe machen oder was? Hör auf, mir auf die Nerven zu gehen. Im Übrigen solltest du dich beeilen, die Schule hat schon lange angefangen, und du hast in der ersten Stunde den Kurs bei Mrs. Ishigama.“ „Danke für den Tip“, erwiderte Haruka ärgerlich, stand auf und verließ ohne ein weiteres Wort die Küche. Schlechtgelaunt machte sie sich auf den Weg zur Schule. Als sie auf den Parkplatz fuhr, sah sie Nerissa über den Hof gehen, eine Zigarette in der Hand. Na die kommt sich auch wer weiß wie cool vor mit ihrem Glimmstengel, dachte Haruka. Kurz entschlossen parkte sie den Wagen auf dem nächsten freien Parkplatz und stieg aus. Als Nerissa an ihr vorüberging, ohne sie zu sehen – besser gesagt, ohne sie sehen zu wollen – vertrat sie ihr den Weg. Nerissa blieb stehen und strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Sie wirkte sichtlich nervös, wenn sie das auch durch einen Zug an ihrer Zigarette vertuschen wollte. Aber die coole Geste mißlang, und sie fing an zu husten. „Geh mir aus dem Weg“, knurrte sie und wollte an Haruka vorbeigehen, aber Haruka hielt sie fest. „Wohin denn so eilig?“ fragte sie mit falschfreundlicher Stimme. „Soweit ich weiß, hast du eine Freistunde. Also werden wir mal ein paar Takte miteinander reden, Nerissa.“ Nerissa warf ihre Zigarette auf den Boden und trat mit der Fußspitze darauf. „Ich wüßte nicht worüber“, erklärte sie kühl. „Ach nein?“ spottete Haruka, und ihr Blick war eisig. „Dann will ich dir mal auf die Sprünge helfen. Ich sage nur: Michie.“ Nerissa wurde sichtlich blaß. Offensichtlich hatte sie weder gewußt, daß Haruka eingeweiht war, noch daß sie wußte, daß es aus war zwischen ihr und Michiru. „Ich sehe, du weißt, wovon ich spreche“, sagte Haruka zufrieden. Nerissa verschränkte die Arme. Ihre blauen Augen funkelten böse. „Du nervst!“ erklärte sie böse. „In der Tat?“ grinste Haruka. „Das ist gut. Und ich werde dich jetzt so lange nerven, bis du bereit bist, mit mir zu sprechen.“ „Ich glaube nicht, daß ich dir eine Erklärung schuldig bin“, erwiderte Nerissa hochmütig. „Du wärst die allerletzte, der ich irgendwas erklären würde.“ Es klang verächtlich. Haruka hätte ihr am liebsten eine runtergehauen, aber sie bezwang sich. „Ich sehe, du magst mich genauso wenig wie ich dich“, bemerkte sie ruhig. „Aber beantworte mir trotzdem eine Frage: Bin ich schuld daran, daß du mit Michiru Schluß gemacht hast?“ Entgeistert starrte Nerissa sie an, dann lachte sie laut heraus. „Ha, bei dir piept´s wohl! Hast du nen Knall oder was!? Ich hab mich einfach... in ne andere verliebt, das ist alles.“ Haruka sah sie scharf an. Nerissa hatte sie nicht angesehen, als sie das gesagt hatte. Und sie schien sich unbehaglich zu fühlen. „Nerissa, du lügst“, stellte sie fest. „Was fällt dir ein!“ brüllte Nerissa und ballte die Fäuste. Sie sah aus, als wolle sie sich auf Haruka stürzen und ihr die Augen auskratzen. Haruka erwiderte nichts, sondern fixierte sie nur mit zusammengekniffenen Augen. Nerissa wurde es unter diesem Blick sichtlich ungemütlich. „Okay“, gab sie zu, „das war nicht alles die Wahrheit. Aber das geht dich nichts an!“ „Nein? Da bin ich aber ganz anderer Meinung“, widersprach Haruka. Sie senkte ihre Stimme zu einem unangenehm drohenden Ton. „Michiru hatte einen Riesenärger Zuhause – deinetwegen. Sie hat stundenlang geweint – deinetwegen. Sie will vorerst nicht mehr zur Schule gehen – deinetwegen. Und sie wohnt jetzt bei mir – auch deinetwegen. Und du sagst, das geht mich nichts an?“ „Sie... wohnt bei dir?“ stieß Nerissa überrascht hervor. „Ja, sie wohnt bei mir, vorübergehend“, erzählte Haruka. „Ich habe nicht die Absicht, dir die ganze Geschichte zu erklären, nur soviel: Es geht ihr ziemlich dreckig, und wenn du schon ihr nicht Wahrheit sagst, dann sag sie mir, damit ich ihr irgendwie helfen kann!“ Nerissa schien einen Augenblick lang zu zögern. Sie hatte wohl ein ziemlich schlechtes Gewissen. Schließlich griff sie mit zitternden Händen in ihre Rocktasche und holte ein Päckchen Zigaretten hervor. Sie klemmte sich eine zwischen die Lippen. „Hast du Feuer?“ nuschelte sie. „Nein, hab ich nicht.“ Nerissa ging in die Knie, stellte ihre Schultasche auf den Boden und kramte darin herum, bis sie ein Feuerzeug mit goldenem Monogramm fand. Nachdem sie sich mit zitternden Händen die Zigarette angesteckt hatte, packte sie ihre Sachen wieder zusammen. „Ich warte“, sagte Haruka und klopfte ungeduldig mit ihrem Fuß auf den Boden. Nerissa packte sie am Arm und zog sie mit sich. „Okay, okay, ich erzähl´s dir, aber kein Wort zu Michie! Laß uns in den Park gehen.“ Im Park setzte sich Nerissa unter einen Baum ins Gras, während Haruka sich gegen den Stamm lehnte. Sie beobachtete, wie Nerissa ihre Zigarette rauchte und dabei immer nervöser wurde. „Los jetzt, ich warte!“ drängte sie. Nerissa seufzte. „Du verrätst Michie nichts?“ „Nein.“ „Schwörst du es?“ „Ja, ja, ich schwöre, aber jetzt red endlich!“ fauchte Haruka ungeduldig. „Gut“, sagte Nerissa und lehnte ihren Kopf gegen den Baumstamm. „Ich habe Michiru gesagt, daß ich mich in eine andere verliebt hätte und deswegen mit ihr Schluß machen würde.“ „Soweit bin ich informiert, ja. Aber das ist ja offensichtlich nicht der Fall.“ Neugierig sah Haruka sie an. Nerissa schluckte und drehte die Zigarette zwischen den Fingern. „Nun“, sagte sie gedehnt, „gewissermaßen stimmt das schon – nur...“ „Nur was?“ drängte Haruka ungeduldig. „Ich meine, ja, ich habe mich verliebt, aber...“ „Schön, du hast dich verliebt. Soweit sind wir schon. Aber was ist es, das Michiru nicht wissen darf?“ Nerissa starrte auf ihre Schuhe. „Sie darf es niemals erfahren“, flüsterte sie. „Es würde ihr nur weh tun, und das will ich nicht.“ „Du hast ihr schon verdammt weh getan, merkst du das nicht?“ „Natürlich. Aber wenn sie das erfährt, dann...“ Hatte sich Haruka getäuscht oder hätte Nerissa eben beinahe wirklich zu weinen begonnen? „Wenn sie was erfährt?“ fragte sie etwas freundlicher. Nerissa warf die Zigarette ins Gras und schlang die Arme um ihre Beine. „Daß ich mich nicht in ein Mädchen, sondern in einen Jungen verliebt habe.“ Haruka war einen Moment lang baff. Daran hätte sie nicht einmal im Traum gedacht. Sie mußte Nerissa recht geben – damit wäre Michiru wirklich nicht klar gekommen. Zumindest nicht im Moment. „Du sagst ja gar nichts“, murmelte Nerissa, und es klang beinahe hilfesuchend. „Es geht mich ja auch nichts an“, erwiderte Haruka. „Du kannst tun und lassen, was dir gefällt. Mir ist das völlig schnuppe. Ich will nur, daß Michiru nicht mehr so schrecklich leidet.“ „Wirst du’s ihr erzählen?“ „Natürlich nicht.“ „Ja dann...“ Nerissa wollte aufstehen, zögerte aber und blieb sitzen. Sie sah Haruka an. „Haruka, warum?“ „Warum was?“ „Warum tust du das alles für Michiru? Warum bist du so nett zu ihr und kümmerst dich so um sie? Ich meine, ihr kennt euch doch erst seit so kurzer Zeit. Warum also?“ Weil ich sie liebe, dachte Haruka, verdrängte das aber sofort wieder und antwortete statt dessen: „Es stimmt. Ich kenne Michie erst seit ein paar Monaten, aber sie ist die Einzige, die mich versteht und die... nein, egal. Michiru und ich sind einfach sehr gute Freundinnen geworden. Punkt. Das ist alles.“ „Aber...“ „Nichts aber“, erklärte Haruka schroff. Sie hatte keine Lust, großartig zu erklären, daß Michiru sie von Anfang an verstanden und so akzeptiert hatte, wie sie war. Daß sie immer für sie da gewesen war. Und daß es umgekehrt genauso war. Nerissa würde das wohl nicht verstehen, und selbst wenn doch, so ging es sie trotzdem nichts an. Nerissa schwieg eine Weile. Dann sah sie Haruka an. „Glaubst du, Michie kann mir verzeihen?“ fragte sie fast schüchtern. „Irgendwann vielleicht“, antwortete Haruka nach kurzem Nachdenken. „Aber bestimmt nicht so schnell. Und ich warne dich, Nerissa, laß sie bloß in Ruhe und komm nicht in ein paar Wochen wieder bei ihr angekrochen!“ „Sicher nicht“, erklärte Nerissa auf ihre übliche überhebliche Art und Weise – aber Haruka hörte die Unsicherheit deutlich heraus. Schritte näherten sich, und ein Mädchen tauchte zwischen den Bäumen auf. Sie schwenkte ihre Schulmappe. Als sie Nerissa entdeckte, blieb sie stehen. „Ach, hier steckst du, Neri, ich hab dich schon überall gesucht!“ rief sie. „Komm schnell, wir verpassen unseren Kurs!“ „Ja, ich komme“, antwortete Nerissa, stand auf und klopfte sich den Rock ab. „Auf Wiedersehen“, sagte Haruka betont höflich, aber wie erwartet würdigte Nerissa sie keines Blickes mehr, sondern ging neben dem Mädchen her in Richtung Schule. „Was wolltest du denn bei der!?“ hörte Haruka das fremde Mädchen flüstern. Nerissa zog die Augenbrauen hoch. Sie blieb stehen, holte eine Puderdose aus der Tasche und fing an, umständlich ihre Wangen zu pudern. „Ich?“ sagte sie. „Gar nichts. Sie hat mir nur etwas von Michiru ausgerichtet. Das ist alles.“ Sie sagte das in einem Tonfall, der wohl bedeuten sollte Nur eine Nichtigkeit, weißt du. Mit Gesindel wie der gibt sich ein anständiges Mädchen nicht ab. „Ach so“, sagte das Mädchen, und sie verschwanden aus Harukas Blickfeld. Haruka zuckte die Schultern. Sie war das vom Internat her gewöhnt und störte sich nicht daran. Sie verließ den Park und schlug die Abkürzung über den Lehrerparkplatz zum Haupteingang der Mugen Gakuen Schule ein, als ihr Mrs. Ishigama entgegenkam. Auch das noch, dachte sie seufzend. Mir bleibt aber auch gar nichts erspart! Die Lehrerin blieb in einiger Entfernung stehen. Sie konnte Haruka nicht leiden, und das beruhte auf Gegenseitigkeit. „Na sowas“, sagte sie und hob eine Augenbraue. „Miss Tenô, kommen Sie heute auch noch zum Unterricht? Wer hätte das gedacht! Wo waren Sie in der ersten Stunde? Für den Fall, daß Sie Ihren Stundenplan noch immer nicht auswendig können – Sie hätten Mathematik gehabt. Also, wo waren Sie?“ „Wer weiß, vielleicht hatte ich ja was wichtigeres zu tun“, erwiderte Haruka ungerührt und ließ sie einfach stehen. „Das wird ein Nachspiel haben!“ donnerte Mrs. Ishigama. „Das unerlaubte Fernbleiben vom Unterricht ist eine Sache, und unverschämtes Benehmen gegenüber Lehrkräften eine andere! Ich werde beides Dr. Tomoe melden!“ Muß der eine Telefonrechnung haben, dachte Haruka, während sie die Lehrerin geflissentlich ignorierte. Scheint ja den ganzen Tag über nichts besseres zu tun zu haben, als am Telefon zu hängen und sich über Schüler bei deren Erziehungsberechtigten zu beschweren. Na, soll er doch! Wenn er nichts besseres zu tun hat...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)