Ai No Kiseki von Emma_Frost (Wunder der Liebe) ================================================================================ Kapitel 19: Gefühle ------------------- Haruka hatte geglaubt, mit diesen merkwürdigen Gefühlen irgendwie klarzukommen. Sie war es gewohnt, daß sie Gefühle auf Kommando abschalten konnte. Aber aus irgend einem Grund wollte ihr das jetzt nicht mehr gelingen. Sie gab sich Mühe, an etwas anderes zu denken als an Michiru, aber das war fast unmöglich. Wenn sie merkte, daß sie schon wieder an die Freundin gedacht hatte, ärgerte sie sich über sich selbst und wurde launisch, aggressiv und unkonzentriert. Ihre Leistungen in der Schule sanken stark ab, und Mrs. Tenô hatte mehrmals das Vergnügen, sich darüber mit Dr. Tomoe unterhalten zu dürfen. Sie versuchte, Haruka zur Rede zu stellen, aber ihre Nichte war dermaßen patzig und unverschämt, daß Mrs. Tenô es schließlich aufgab. Selbst Jack Kameda merkte, daß mit seiner sonst so eifrigen Helferin etwas nicht stimmte. Haruka war bei ihrer Arbeit in der Werkstatt so unaufmerksam, daß ihr ständig Fehler unterliefen. Er versuchte, mit ihr darüber zu sprechen. „Hören Sie, Miss Haruka, wenn Sie in Schwierigkeiten stecken, dann können Sie ruhig mit mir darüber sprechen, ich werde Ihnen helfen, wie ich nur kann“, sagte er eines Tages zu ihr, als sie vor der Garage an der Straßenabsperrung lehnten und ihr Mittagsbrot aßen. „Danke, aber mir geht es gut“, erwiderte Haruka schroff und wischte sich ihre fettigen Finger an ihrem ölverschmierten Overall ab. Jetzt fängt der auch noch an, dachte sie mißmutig. „Das sehe ich“, entgegnete Mr. Kameda trocken. „Aber so geht es nicht weiter! Haben Sie vielleicht Liebeskummer?“ Haruka stöhnte. „Wie kommen Sie denn darauf?“ fauchte sie patzig. „Ah, ich seh schon, ich liege mit meiner Vermutung gar nicht mal so weit daneben“, grinste Jack und schob seine Schirmmütze in den Nacken. „Na los, Miss Haruka, raus mit der Sprache! Wer ist er?“ „Verdammt, ich habe keinen Liebeskummer!“ fauchte Haruka. Sie fragte sich, warum man sie nicht einfach in Ruhe ließ. Aber nein, jeder mußte seinen Senf dazugeben! Plötzlich sehnte sie sich zurück nach der Stille und der Unpersönlichkeit ihrer Internatsschule und nach der Zeit, in der es noch keine Kaiou Michiru gegeben hatte. „Und ich habe doch recht“, behauptete Mr. Kameda. „Gerade jetzt denken Sie an Ihren Freund, nicht wahr? Man sieht es Ihnen an.“ „Sparen Sie sich Ihren blöden Kommentar“, fauchte Haruka. Obwohl, es war nicht der Kommentar, der sie störte. Das war ihr egal. Ihr war es schon immer egal gewesen, was andere über sie dachten. Es war einfach die Tatsache, daß sich jemand in ihre Angelegenheiten mischte und sich über sie lustig machte. Oder steckte hinter Jacks Worten mehr? „Ich kann nicht viel dazu sagen“, fuhr Mr. Kameda fort. „Wenn Sie nicht drüber reden wollen, dann lassen Sie’s eben. Wichtig ist Ihre Arbeit, und die ist im Moment alles andere als perfekt. Sie waren schon mal besser, Lady. Nur damit Sie es wissen.“ „Ich weiß“, knurrte Haruka. „Schön, dann gehen Sie jetzt zu Ihrem Angebeteten und bringen Sie das ins Reine, sonst kann ich Sie hier nicht länger als Mechanikerin beschäftigen.“ Er sah ernst aus, als er sprach, aber seine Augen zwinkerten. Haruka stand kurz vor dem Explodieren. Wieso zum Teufel gingen ihr nur alle so auf die Nerven? Sie konnte sich gerade noch beherrschen. „Entschuldigen Sie, ich muß jetzt gehen“, sagte sie nur, drehte sich um und machte sich auf den Weg zum Parkplatz, wo sie ihren Wagen abgestellt hatte. Was haben die alle nur? fragte sie sich. Kameda Jack und Meio Setsuna – seh ich denn wirklich so aus, als habe ich mich verknallt? Ausgerechnet ich? So ein Blödsinn aber auch! Am nächsten Tag schien die Sonne. Es war ein typischer schöner Maitag. Haruka zog sich ihren Motorradanzug an und beschloß, zu dem Aussichtspunkt auf die Hügel zu fahren, wo sie Michiru damals gefunden hatte, als diese den Krach mit ihren Eltern gehabt hatte. Der Weg war nicht allzu weit, und sie hatte Glück, es war niemand dort. Sie stieg vom Motorrad, nahm ihren Helm ab und ging zum Geländer hinüber. Ihr Blick schweifte über die Stadt, die von der mittäglichen Sonne beschienen wurde. Von hier aus sahen die Autos wie kleine Spielzeuge aus, und die Fußgänger und Häuser wie Teile einer Spielzeugstadt. Im Stadtviertel Minato-Ku ragte der Tokio-Tower hoch über die Häuser, und ganz in der Nähe lag das neue Kaufhaus von Shinjuku. Am Strand konnte sie den Starlighttower sehen, an dessen metallener Spitze sich die Sonnenstrahlen brachen. Im Zentrum der Stadt war das riesige Hochhaus der Mugen Gakuen Schule sichtbar, das von der Größe her das Shinjuku-Kaufhaus überragte und beinahe so groß wie der Tokio-Tower war. Es war ein schöner Anblick, auf die Stadt herabzusehen. Haruka lächelte vor sich hin. Seit sie Michiru kannte, hatte sie einen richtigen Sinn für Romantik entwickelt. Sie wandte den Blick ein wenig nach rechts und konnte die in der Nähe gelegene Kreuzung Sendai Saka erkennen, die bei den fünf Hügeln lag. Dort befand sich der Hikawa Shinja, ein alter Tempel. Glockenklang rief gerade zum Beginn der Messe. Vögel zwitscherten, und es herrschte eine Idylle, wie Haruka es nie von einer Großstadt wie Tokio geglaubt hatte. Plötzlich fühlte sie, wie jemand neben sie trat und den Kopf an ihre Schulter legte. Sie fuhr erschrocken herum. Es war Michiru. Sie trug einen kurzen schwarzen Rock, ein weißes T-Shirt und darüber eine pinke Jacke. „Hallo“, sagte sie. Nicht, daß Haruka die plötzliche Berührung unangenehm gewesen wäre. Aber sie war fast etwas erschrocken darüber und außerdem unsicher, wie sie sich verhalten sollte. „Schöne Aussicht, nicht wahr?“ fragte Michiru träumerisch. „Hm“, antwortete Haruka unbestimmt. „Ich war mit meiner Mutter in der Stadt und hab sie gebeten, mich hier abzusetzen. Ich komme gerne hierher. Man kann an diesem Ort so schön träumen.“ „Findest du?“ Haruka wußte, daß sie sich gemein verhielt, aber sie konnte mit Michirus plötzlichen Überschwang nicht umgehen. Es dauerte immer eine Weile, bevor sie sich auf andere einstellen konnte. „Entschuldige“, murmelte Michiru und rückte von ihr ab. „Das ist dir unangenehm, stimmt’s?“ Haruka schüttelte den Kopf und fuhr ihr mit der Hand durch die Locken. „Unsinn. Du bist doch meine Freundin. Also red nicht solchen Quatsch.“ „Aber du hast dich so merkwürdig benommen eben“, verteidigte sich Michiru, während sie sich am Geländer abstützte. Haruka bedachte sie mit einem kurzen Seitenblick. „So, findest du? Ich frage mich, wer sich hier komisch benommen hat.“ Eine Weile schwiegen beide. Dann seufzte Michiru. „Hm, ich weiß“, gab sie zu. „Ich bin dir in letzter Zeit etwas aus dem Weg gegangen. Es tut mir leid, aber... ich habe meine Gründe.“ „Verrätst du sie mir?“ „Ich glaube nicht, daß das eine gute Idee wäre“, erwiderte sie schroff. „Klar“, murmelte Haruka. Sie kam sich zurückgewiesen vor. „Bist du böse?“ erkundigte sich Michiru, als sie den veränderten Ausdruck auf Harukas Gesicht bemerkte. „Ich wollte dich nicht kränken. Wirklich nicht. Aber ich dachte, es sei besser so. Für uns beide, Ruka-Chan.“ Ruka-Chan. Das klang so schön und vertraut, wenn Michiru das sagte. Haruka hatte sich nie viel aus ihrem Vornamen gemacht. Aber wenn Michiru ihn aussprach, so bekam er einen ganz anderen, viel schöneren Klang. „Ich bin nicht böse“, versicherte Haruka. „Warum sollte ich denn? Wenn du deine Gründe hast, dann hast du deine Gründe. Und ich glaube dir, wenn du sagst, es wäre keine gute Idee, darüber zu sprechen. Ich würde dir alles glauben, selbst wenn du behaupten würdest, dem Weihnachtsmann begegnet zu sein.“ Michiru grinste und fing an zu kichern. „Ach ja?“ prustete sie los. „So sehr vertraust du mir also?“ „Noch viel mehr“, erwiderte Haruka, und sie meinte es durchaus aufrichtig. „Ich vertraue dir voll und ganz, Michie.“ „Danke“, lächelte Michiru und errötete ein wenig. Die beiden blieben den ganzen Nachmittag an ihrem Lieblingsplatz und sprachen über alles mögliche. Sie lästerten über die Schule und Haruka erzählte von ihren Nachmittagen in Kameda´s Garage und ihrem Training auf dem Rennplatz, und Michiru berichtete, daß ihr Geigenspiel Fortschritte machte, daß sie ein neues Bild vollendet hatte und was Three Lights für ihre große Tournee im Winter geplant hatten. Es wurde Abend. Wie ein leuchtend roter Ball versank die Sonne hinter den Hügeln bei Sendai Saka. Minutenlang war der Hikawa Shinja in ein wunderschönes goldenes Licht getaucht. „Wahnsinn“, flüsterte Michiru ergriffen. „Das beeindruckt mich doch immer wieder. Ich komme oft hierher, um mir den Sonnenuntergang anzusehen. Solche bezaubernden Motive male ich auch am liebsten. Neulich habe ich diesen Ort Taiki gezeigt. Es hat ihm genauso gefallen wie wir. Wir haben die gleiche poetische Ader, pflegt unser Vater zu sagen. Wußtest du, daß Taiki Gedichte schreibt?“ „Ähem, nein“, murmelte Haruka. Eigentlich war es ihr egal, was für Hobbys Michirus Halbbruder hatte und ob er Sonnenuntergänge mochte oder nicht. Sie sah Michiru an, die direkt vor ihr stand und vom Licht der untergehenden Sonne angestrahlt wurde. Und wieder fiel ihr auf, wie schön sie war. „Was... ist?“ fragte Michiru irritiert. Überrascht sah Haruka hoch. „Äh, wie bitte? Was soll sein?“ „Du... starrst mich an“, murmelte Michiru und wurde rot. Haruka grinste verlegen und trat hastig ein paar Schritte zurück. „Ach, entschuldige“, stammelte sie. „Das ist eine dumme Angewohnheit von mir. Tut mir leid.“ „Nein, das... macht nichts“, sagte Michiru schnell. Sie sahen sich an, und wieder überkam Haruka dieses Gefühl, daß sie dabei war, jegliche Kontrolle über sich zu verlieren, wenn sie noch länger hier stehen und dieses verdammt hübsche Mädchen ansehen würde. Kaiou Michiru hatte wirklich eine Art, andere in ihren Bann zu ziehen! Es war irgendwie faszinierend, ja, beinahe schon unheimlich. „Alles okay?“ fragte Michiru leise. Haruka schloß die Augen. Wenn ich noch länger hier stehenbleibe, werde ich sie küssen, dachte sie verzweifelt. Was mach ich denn nur? „Ruka, bist du in Ordnung?“ Haruka riß sich zusammen. Sie warf den Kopf in den Nacken und blinzelte hinauf zum Himmel. Jetzt, wo sie nicht mehr in Michirus Augen sehen mußte, hatte sie sich wieder voll im Griff. „Entschuldige, aber ich muß jetzt gehen“, erklärte sie kurzangebunden. Verwirrt sah Michiru sie an. „Was ist denn los? Geht’s dir nicht gut?“ „Ich hab vergessen, daß ich heute ein spätes Training auf dem Rennplatz habe“, schwindelte sie. „Ich bin in Eile. Du kommst allein nach Hause?“ „Sicher, hier in der Nähe fährt in einer Viertelstunde ein Bus ab. Aber... aber...“ Haruka hörte nicht weiter zu. Sie hatte das Gefühl, gleich durchzudrehen, wenn sie jetzt nicht ging. Rasch lief sie zu ihrem Motorrad, setzte den Helm auf, stieg auf und gab Gas. Der Motor röhrte auf und auf dem stillen Hügel herrschte Lärm. Haruka riß den Lenker herum, und das Motorrad sauste den Berg hinunter davon. Sie warf einen Blick in den Rückspiegel. Weit hinter sich konnte sie Michiru ausmachen. Ihr Haar und ihr Rock wehten im Wind, die meerblauen Augen blickten traurig, und auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck, den Haruka nicht zu deuten wußte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)