Ai No Kiseki von Emma_Frost (Wunder der Liebe) ================================================================================ Kapitel 8: Die Entschuldigung ----------------------------- In den nächsten Tagen ging Haruka allen aus dem Weg. Ihre Tante, die ihr ständig Vorhaltungen wegen ihres Betragens in der Schule machte, ging ihr tierisch auf die Nerven, und sie mied sie, wie sie nur konnte. Meist trieb sie sich nach der Schule bis spät am Abend irgendwo in der Stadt herum oder fuhr mit dem Motorrad ziellos durch die Gegend, nur um Michiru nicht zu begegnen. Sie hatte die Nase gestrichen voll. Natürlich merkte sie, daß Michiru das Gespräch mit ihr suchte, aber viel zu schüchtern war, um sie von sich aus anzusprechen. In der Mittagspause, wenn Haruka allein an einem Ecktisch in der Cafeteria der Mugen Gakuen Schule saß und mißmutig auf ihren Hamburger starrte oder in ihrem Salat herumstocherte, dann konnte es sein, daß Michiru mit ihrem Tablett von der Theke kam und eine Weile zögernd zu ihr herübersah, als wüßte sie nicht, ob sie sich trauen sollte, sich zu ihr zu setzen oder nicht. Haruka verzog keine Miene. Sie war entschlossen, niemanden mehr an sich heranzulassen. Was Freundschaften letzten Endes brachten, hatte sie ja im Schwimmbad gemerkt. Einmal schien Michiru tatsächlich auf sie zugehen zu wollen, als just in diesem Moment Nerissa Goku am anderen Ende der Cafeteria auftauchte und ihrer Freundin winkte, zu ihr zu kommen. Natürlich war Michiru zu Nerissa gegangen, und die beiden hatten sich an einen Fenstertisch gesetzt und sich unterhalten, während sie ihre Pommes gegessen und die Cola getrunken hatten. Haruka machte auch Ausflüge in die nähere Umgebung mit ihrem Wagen, bis sie eines Tages ein Problem mit ihrem Auspuff bekam. Sie versuchte, es selbst zu reparieren, aber als ihre Tante sie in der Garage dabei erwischte, wie sie an dem Auto herumwerkelte, rief diese sofort einen Mechaniker an. Die Firma holte den Wagen ab und nannte Haruka einen Termin, wo sie ihn in Kameda´s Garage in der Stadt abholen konnte. Jack Kameda, dem die Garage gehörte, fand Gefallen an dem jungen Mädchen, das ihm so viele Fragen über die Autos stellte, und so verbrachte Haruka immer öfter ihre Nachmittage in der Werkstatt und ließ sich von Jack zeigen, wie man die großen und kleinen Probleme mit seinem Wagen in den Griff bekam. Sie half, so gut sie konnte, und es war ihr egal, wenn ihre Tante sich aufregte, wenn sie abends schmutzig, verschwitzt und mit lauter Ölflecken auf der Kleidung nach Hause kam. Sie hatte etwas gefunden, das ihr wirklich Spaß machte. Eines Nachmittags war sie wieder auf den Weg zu Kameda´s Garage, diesmal um endlich ihren eigenen Wagen abzuholen. Außerdem wollte sie Jack fragen, ob sie ihn auch weiterhin besuchen kommen und ihm zur Hand gehen durfte. Allerdings hatte sie heute wohl kaum die richtige Kleidung zum Arbeiten an. Da sie mit dem Bus in die Stadt fahren mußte, um dann mit dem Wagen zurückzufahren, hatte sie auf ihre alten Overalls verzichtet und sich für eine weiße Hose, ein schwarzes T-Shirt und ein ockergelbes Sakko entschieden. An einer Kette um ihren Hals hing ein schweres, goldenes Kreuz. In der Stadt traf Haruka auf Michiru und Nerissa, die eben zusammen aus einer Edelbotique kamen. Nerissa zog eine Augenbraue hoch, und ihr rosafarbener Rock schwang beim Gehen leicht um ihre langen, schlanken Beine. Michiru, die einen langen schwarzen Rock und den schulterfreien weißen Rollkragenpullover trug, lächelte schüchtern und fuhr sich mit der Hand durch die türkisfarbenen Locken. „Hallo“, grüßte sie. Nerissa drehte sich nach ihr um und runzelte die Stirn. Eigentlich hatte Haruka vorgehabt, den Gruß zu ignorieren. Aber dann tat ihr Michiru irgendwie leid. Außerdem wollte sie Nerissa ärgern. „Hallo“, sagte sie mit soviel Freundlichkeit, wie sie aufbringen konnte, nickte Michiru kurz zu und ging dann weiter. Sie hörte, wie Nerissa hinter ihrem Rücken etwas unfreundliches über sie sagte, konnte aber nicht verstehen, was. „Da fällt mir ein, ich muß noch ein paar Besorgungen machen... für meine Mom“, sagte Michiru, ohne darauf einzugehen. Haruka hörte, wie Nerissa etwas sagte wie „Ich muß leider gehen, Michie-Chan“, und dann war sie zu weit weg, um noch etwas zu verstehen. Ich habe noch nie so ein eingebildetes Mädchen getroffen wie diese Nerissa, dachte Haruka, während sie in die Seitenstraße abbog, die zur Garage führte. Von Internat her bin ich ja allerlei gewohnt, aber das schlägt dem Faß den Boden aus! Sie überquerte eine kleine Brücke und schlenderte die Straße entlang. Bald schon konnte sie das Schild mit der Aufschrift Kameda´s Garage erkennen. Aber mit einem Mal kam es ihr so vor, als würde sie verfolgt. Sie blieb stehen und wandte sich um, aber da war niemand. Kopfschüttelnd ging sie weiter bis zur Garage. Mr. Kameda, ein stämmiger älterer Mann Mitte Vierzig, lag auf einem Rollbrett unter einem Wagen und schraubte daran herum. „Mr. Kameda?“ fragte Haruka. „Guten Tag!“ Überrascht sah Mr. Kameda auf. „Ach, Sie sind es!“ Er lächelte. Haruka war ihm sichtlich ans Herz gewachsen. „Stör ich gerade?“ „Aber nein! Würden Sie bitte warten, bis ich fertig bin? Es dauert nicht mehr lange!“ „Gut!“ Haruka wandte sich nach einem Wagen um, der in der Nähe der Tür stand. Da bemerkte sie, wie sich seitlich des Tores ein Schatten auf dem Asphalt abzeichnete; so als würde jemand neben dem Torpfosten lehnen. Als sie ein Stück eines langen schwarzes Rockes erkennen konnte, wußte sie, wer es war. Kaiou Michiru. Unwillkürlich mußte Haruka grinsen. Offenbar hatte Michiru beschlossen, Nägel mit Köpfen zu machen und war ihr nachgegangen. Sie trat die Toröffnung, lachte und fragte: „He, du! Wie lange willst du dich eigentlich noch da hinten verstecken?“ Michiru sprang mit einem Satz in die Höhe, als Haruka aus der Garage geschlendert kam. Sie wurde rot und starrte auf ihre Schuhe. „Woher hast du gewußt, daß ich hier bin?“ fragte Haruka, obwohl sie es sich denken konnte. „Ich bin dir nachgegangen“, erwiderte Michiru und ihr hübsches Gesicht verfärbte sich um eine Nuance röter. Unwillkürlich mußte Haruka grinsen. „Das dachte ich mir“, sagte sie. Michiru senkte den Kopf, so daß ihre Locken ihr Gesicht verhüllten. „Haruka, ich... ich wollte... wollte sagen... wegen neulich im Schwimmbad, das mit Nerissa... tut mir leid“, stammelte sie unsicher. Haruka lehnte sich gegen den Torpfosten. „Ach, Michiru“, sagte sie. „Du bist es doch nicht, die sich entschuldigen muß.“ „Aber du bist sauer auf mich, das merke ich doch!“ widersprach Michiru und hob den Kopf. Ihre meerblauen Augen schillerten und funkelten im Sonnenlicht. „Du bist mir die ganze letzte Zeit über aus dem Weg gegangen.“ Haruka nickte. „Ja, stimmt. Ich war auch wütend auf dich. Ich war auf alle wütend. Tut mir leid, wenn ich jetzt wieder so anfange, aber Nerissa und ich werden bestimmt keine Freundinnen werden. Sie ist mir zu arrogant und unverschämt.“ „In Wahrheit ist sie ganz anders“, versicherte Michiru. „Ich weiß auch nicht, was sie gegen dich hat. Zu mir ist sie immer sehr nett. Es tut mir leid, wenn du einen anderen Eindruck von ihr bekommen hast, Haruka. Sie ist manchmal etwas schwierig, das stimmt. Vielleicht liegt es an ihrem Sternzeichen. Sie ist Wassermann, und ihr Aszendent ist Löwe.“ „Das sagt natürlich einiges“, spottete Haruka. „Ich bin auch Wassermann, aber deshalb führe ich mich noch lange nicht so auf.“ „Ach nein?“ fragte Michiru nur. „Na ja, jedenfalls nicht so“, sagte Haruka. „Laß uns nicht darüber streiten, das ist doch sinnlos“, meinte Michiru nur. „Ich wollte mich nur entschuldigen.“ Haruka sah sie an. „Für Nerissa, ja? Kann sie das nicht selbst machen? Du mußt dich nicht entschuldigen. Du hast nichts getan.“ „Doch. Ich hätte dir zu Hilfe kommen müssen. Ich wäre ja auch gerne mit dir zusammen auf dem Motorrad zurück gefahren. Aber ich wollte Nerissa nicht kränken.“ Sie hielt inne. „Dafür hab ich dann dich gekränkt. Und das tut mir leid.“ Sie schien es ernst zu meinen. Haruka sah sie nachdenklich an. Es stimmte, sie hatte sich durch Michirus Verhalten verletzt gefühlt. Immerhin war sie mit Michiru zusammen ins Schwimmbad gegangen, und sie hatten viel Spaß zusammen gehabt. Nerissa hatte sie gestört, hatte sie unterbrochen, war ausfällig und beleidigend geworden. Und trotzdem hatte Michiru zu Nerissa gehalten. Sie war nicht mit Haruka zurückgefahren, sondern war bei ihrer besten Freundin geblieben. Haruka hatte nicht verstanden, warum. Selbst eine Freundschaft hatte doch ihre Grenzen – oder? Nun, sie konnte das natürlich nicht beurteilen. Sie hatte nie Freunde gehabt. Aber allein schon ihr logischer, unbestechlicher Verstand machte ihr klar, daß da was falsch gelaufen war. „Haruka?“ fragte Michiru schüchtern und riß sie aus ihren Gedanken. „Ja?“ „Bist du mir noch böse?“ Es klang reichlich kleinlaut und zurückhaltend. Offenbar war sich Michiru sehr wohl bewußt, daß sie nicht gerade auf die feine Art gehandelt hatte. Normalerweise hätte Haruka sie jetzt zum Teufel geschickt. Sie wäre mit ihr umgegangen wie mit den Mitschülerinnen im Internat oder irgendwelchen anderen Leuten, die vorne herum nett und freundlich taten und von denen sie genau wußte, daß sie hintenherum über sie lästerten. Aber etwas in ihr hinderte sie daran, und sie sagte sich, daß Michiru es eigentlich nicht nötig hätte, sich bei ihr zu entschuldigen. Schließlich hatte sie Nerissa und sicher noch eine Menge anderer Freundinnen. Da könnte es ihr im Grunde völlig egal sein, was mit Haruka war. Aber scheinbar war es ihr nicht egal. Es schien ihr sogar eine Menge daran zu liegen, sich mit Haruka zu versöhnen. „Warum?“ fragte Haruka nur. Michiru sah sie erstaunt an. „Warum was?“ wollte sie wissen. „Warum entschuldigst du dich? Ich meine, es könnte dir doch ganz egal sein, ob ich jetzt sauer bin oder nicht.“ Michiru sah sie an. „War die Frage ernst gemeint?“ erkundigte sie sich fassungslos. „Ja, natürlich“, antwortete Haruka. „Ich verstehe das nicht. Warum machst du das, Michiru?“ „Wie kannst du fragen! Natürlich weil mir an deiner Freundschaft liegt, Ruka!“ rief Michiru aus. Haruka brauchte einen Moment, um damit klarzukommen. Michiru hatte von Freundschaft gesprochen. Und sie hatte sie „Ruka“ genannt. „Was ist?“ fragte Michiru irritiert, als Haruka nichts darauf erwiderte. „Nichts“, murmelte Haruka, die nicht recht wußte, wie sie jetzt reagieren sollte. „Aber hast du das eben wirklich ernst gemeint? Weißt du, so etwas, das hat noch niemand zu mir gesagt. Und „Ruka“ hat mich auch noch niemand genannt.“ Michiru errötete. „Tja, dann bin ich eben die Erste“, lächelte sie verschämt. „Mir ist das nur so rausgerutscht. Tut mir leid, wenn dir das unangenehm ist.“ „Nein, es ist mir nicht unangenehm“, versicherte Haruka. „Nur so ungewohnt. Aber Michiru... was du über die Freundschaft gesagt hast...“ „Magst du denn nicht mit mir befreundet sein?“ fragte Michiru enttäuscht. „Ich hatte immer den Eindruck, daß du gern mit mir zusammen bist. Und daß wir uns gut verstehen.“ Haruka lächelte. „Das tu ich ja auch. Es ist nur ein verdammt komischer Gedanke, auf einmal eine Freundin zu haben. Ich hatte nie eine Freundin.“ „Dann sind wir jetzt also... Freundinnen?“ fragte Michiru schüchtern. „Und du bist mir nicht mehr böse?“ „Nein, ich bin dir nicht mehr böse“, versicherte Haruka. „Und wenn du das wirklich willst, dann können wir auch Freundinnen sein. Aber ich warne dich, ich bin ein schwieriger Mensch.“ „Schon, aber... ich bewundere dich, und zwar gerade deswegen“, widersprach Michiru sofort. „Weißt du, du bist völlig frei und von niemandem abhängig. Und du bist immer ehrlich mit deinen Gefühlen und stehst zu dir selbst.“ „Aber da irrst du dich! Das stimmt nicht! Ich laufe immer vor allem weg!“ „Das glaube ich nicht“, beharrte Michiru. „Du versuchst nur, deinen Traum zu verwirklichen. Ich kann nichts falsches darin sehen.“ Überrascht sah Haruka sie an. Das hatte noch nie jemand zu ihr gesagt. Alle hatten immer nur an ihr herumgemeckert und versucht, etwas aus ihr zu machen, was sie nicht war. Aber dieses Mädchen hier, Kaiou Michiru, nahm sie so, wie sie war. Sie akzeptierte sie, mochte sie und bewunderte sie. Es erstaunte sie, aber es machte ihr auch Mut und gab ihr Selbstvertrauen. „Danke“, sagte sie rauh. Michiru sah sie an und lächelte. Sie hatte verstanden. Mr. Kameda kam aus der Garage. „Miss Tenô?“ fragte er. „Ihr Wagen ist fertig. Sie können ihn mitnehmen.“ „Danke, Mr. Kameda.“ Haruka zögerte, aber dann gab sie sich einen Ruck und fragte, ob sie nicht ab und zu vorbeikommen und Mr. Kameda zur Hand gehen könne. Der Mechaniker lachte. „Ja, natürlich. Ich freue mich immer, wenn ich Sie sehe. Ich habe noch nie ein Mädchen gekannt, das so viel von Autos, Motoren und Technik verstanden hat wie Sie. Kommen Sie nur immer, wann Sie wollen. Ich kann professionelle Hilfe gut gebrauchen.“ „Danke.“ Haruka grinste ein wenig verlegen. So viele Komplimente hörte sie selten, aber es tat gut. Mr. Kameda schob seine Mütze in den Nacken und blickte Michiru an. „Ihre Freundin?“ fragte er. Haruka wandte sich nach Michiru um und sah sie an. Dann lächelte sie. „Ja“, sagte sie leise. „Meine Freundin.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)