Kannst du es fühlen? von -Ayla- (Atemu x Yugi) ================================================================================ Kapitel 1: Der neue Referendar ------------------------------ 1. Der neue Referendar Ein halbes Jahr später. Yugi saß in der letzten Reihe, wie immer, wenn sie Mathe hatten. Seit einem halben Jahr waren sie alle in der 12. Klasse und hatten nun ein Kurssystem, was zur Folge hatte, dass der Mathe- Grundkurs das einzige Fach war, das sie vier noch zusammen hatten. Auch die sonstigen Pflichtfächer hatten sie nicht zu viert, da jeder durch die Wahl unterschiedlicher Fächer seinen individuellen Stundenplan hatte. Er hatte sich die hinterste Reihe ausgesucht, weil er sich dort gut hinter seinen Vordermännern verstecken konnte und es nicht weiter auffiel, wenn er nicht aufpasste. Und er war seit geraumer Zeit in jedem Fach nur körperlich anwesend. Er hatte es satt, weiterhin zur Schule zu gehen, wollte sich nur noch zu Hause verkriechen, hatte an nichts mehr Spaß, erst recht nicht mehr an Duell-Monsters. Er hatte das Deck, das er gemeinsam mit Atemu zusammengestellt hatte, in die unterste Schublade seines Schrankes verbannt. „Hör mal, Alter, so kann es doch nicht weitergehen!“ meinte Joey in der Fünfminutenpause ärgerlich zu ihm. „Seit Atemu weg ist, verschließt du dich ganz vor uns. Außerdem sind deine Zensuren voll im Keller, wenn du so weitermachst, kannst du eine Ehrenrunde drehen. Dabei warst du doch früher einer der Klassenbesten.“ „Versteh uns nicht falsch, wir vermissen ihn auch.“ warf Téa ein. „Aber du solltest mit irgendjemandem über deine Gefühle reden. Vielleicht fällt es dir dann auch leichter, dem Unterricht zu folgen. Wir machen uns echt große Sorgen. Dein Abitur steht auf dem Spiel.“ „Mit uns kannst du doch reden!“ meinte Tristan ernsthaft. Doch alles, was die drei ernteten, war ein gelangweilter Blick. Ein Blick, mit dem er auch die Lehrer beachtete. Nur dem Wohlwollen einiger Lehrer, die seine Leistungen von früher noch kannten, war es zu verdanken, dass er nicht schon nach dem ersten Halbjahr in der 12 auf Grund einer 00 auf dem Zeugnis eine Klassenstufe zurückgestuft worden war. Doch wenn er sich nicht bald fing, würden auch diese Lehrer nichts mehr tun können, da sein Zeugnis nur so von vieren und fünfen wimmelte, auch in den Wahlfächern. „Wir haben auch einen guten Freund verloren! Vergiss das nicht!“ rief Joey aufgebracht. „Aber wir reißen uns zusammen! Wir wollen dir Halt geben, aber zum Dank ignorierst du uns!“ Yugi starrte nur den Lehrer an, der die Tafelanschrift wieder abwischte. „Mann, Yugi! Denk nach!“ Er fühlte, wie Joey ihm einen leichten Schlag auf den Hinterkopf versetzte, aber es war Yugi total egal. Ohne Atemu hatte sein Leben doch eh keinen Sinn. Seinetwegen könnte Joey ihn auch gleich erschlagen. Er hatte keine Lust mehr, zu leben. „Joey, Tristan, würdet ihr euch bitte wieder nach vorne drehen?“ bat der Lehrer und setzte dann seinen Unterricht fort. Nach der Stunde packte Yugi schnell seine Sachen weg. Danach hatte er Leistungskurs Geschichte, das einzige Fach, das ihn noch etwas reizen konnte, neben Ägyptisch, da er es sehr interessant fand, was in Japan zu der Zeit geschehen war, als Pharao Atemu gelebt hatte. Da er seinen Freunden entfliehen wollte, drängte er sich an den anderen Schülern vorbei zu seinem Versteck auf dem Pausenhof, denn nun war erst einmal große Pause. Doch Joey war heute sehr schnell gewesen, denn zum ersten Mal hatte er Yugis Versteck ausgemacht, indem er ihm wie ein leiser Schatten gefolgt war. „Ach hier gammelst du immer rum!“ Yugi wandte ihm demonstrativ den Rücken zu, darauf gefasst, nun den Rest der Pause Joeys Standpauken ungehört über sich ergehen zu lassen. Nach der Pause begleitete Joey Yugi sogar noch bis zu dem Raum, in dem Yugi nun Geschichte haben würde und redete unentwegt auf ihn ein, obwohl er wusste, dass Yugis Ohren auf Durchzug standen. Als es zum zweiten Mal klingelte, verabschiedete er sich, ohne überhaupt eine Erwiderung zu erwarten. Yugi betrat den Raum und setzte sich auf seinen Platz. Hier hatte er leider keinen der hinteren Plätze mehr ergattert, da er gleich zur ersten Stunde zu spät gekommen war und da war ihm nur noch ein Platz in der zweiten Reihe direkt am Mittelgang geblieben. Der Junge packte Buch und Heft aus und hob auch nicht den Kopf, als der Lehrer eintrat, sondern beschäftigte sich eingehend mit seinem Mäppchen. „Wir haben zum neuen Halbjahr einen neuen Referendar. Er wird für die Einzelstunde freitags den Unterricht übernehmen. Das ist Herr Yamito.“ stellte der Lehrer vor. „Hallo.“ grüßte der Referendar die Klasse und Yugi blieb fast das Herz stehen. Diese Stimme kannte er doch! Oder war es nur Einbildung? Sein Herzschlag setzte wieder ein und begann, heftig gegen seinen Brustkorb zu hämmern. Vorsichtig hob er den Kopf. Vorne, neben Herrn Shimizu, stand der Referendar und ließ den Blick über den Kurs schweifen. Er hatte eine große Statur, war schlank, hatte eine schwarze Igelfrisur mit pinken Spitzen und einigen blonden hoch stehenden Strähnen und unverkennbar violette Augen. Er trug Bluejeans, ein schwarzes Hemd und eine blaue Jeansjacke – also genau die Farben, die Yugi bedingt durch seine Schuluniform immer trug. Yugi klappte der Unterkiefer herab. Vor ihm stand Atemu, gar kein Zweifel! Am Liebsten hätte er laut gejubelt und gejuchzt, während er noch immer leicht ungläubig zusah, wie der Referendar durch den Mittelgang, nur eine Handbreit an ihm vorbei, schritt, um sich auf einen Stuhl hinter der Klasse zu setzen, um selbst dem Unterricht zu folgen. Nicht nur Yugis Augen folgten ihm, sondern er drehte den ganzen Körper mit, um den Referendaren genau beobachten zu können. Doch dann fiel ihm auf, wie dämlich es aussehen musste, dass er den anderen so offen anstarrte und er drehte sich blitzschnell wieder nach vorne. Er hörte das Blut in seinen Ohren rauschen und Fragen begannen in seinem Kopf aufzublühen als hätte jemand ein Feuerwerk entzündet. Wieso war er noch immer hier? Wieso hatte er einen eigenen Körper? Wieso war er plötzlich Lehrer? An seiner Schule? Und ausgerechnet für Geschichte! Aber er hatte doch gesehen, wie Atemu das Tor durchschritten hatte und das gleißend weiße Licht betreten hatte. War es überhaupt Atemu? Er war an ihm vorbei gegangen, ohne ihm mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als den anderen Schülern auch. Dabei waren sie doch die besten Freunde! Aber er war so froh, dass Atemu wieder da war, dass er nun wusste, dass es seinem Freund gut ging. Dennoch beschloss er, sich erst einmal zurückzuhalten und abzuwarten, was der Andere tun würde. „Die freiwilligen Essays, die ihr über die Geschichte schreiben solltet, könnt ihr natürlich auch Herrn Yamito zur Korrektur abgeben.“ fuhr der Lehrer fort, doch Yugi konnte gar nicht anders, als ständig an den jungen Mann zu denken, der nun während der gesamten Geschichtsstunden hinter ihnen sitzen würde. Nach dem Unterricht packte Yugi seine Sachen betont langsam weg, während die anderen Schüler schon aus dem Saal stürmten. Auch dieses Mal hatte er dem Unterricht nicht folgen können, er war zu aufgeregt bei dem Gedanken gewesen, dass Atemu ihn von hinten beobachten könnte. Als Yugi endlich aufstand war er mit den beiden Erwachsenen und einer Mitschülerin, die Herrn Shimizu noch eine Frage stellte, alleine. Er ging nach vorne und überlegte fieberhaft, wie er ein Gespräch mit Atemu anfangen sollte, denn dieser machte keinerlei Anstalten dazu. Normalerweise fiel es ihm nicht schwer, mit einem alten Freund zu reden, aber er wollte sich nicht blamieren, wenn Shimizu zufällig mithören würde. Draußen auf dem Gang wurde er plötzlich von Atemu überholt. Yugi war ihm wohl zu langsam gewesen. Er drehte noch nicht einmal den Kopf, als er an Yugi vorbeiging, als würden sie sich gar nicht kennen. Yugi blieb kurz stehen, um ihm nachzusehen. Offensichtlich war ihm noch etwas eingefallen, weshalb er sich beeilen musste. Yugi seufzte. Die erste Gelegenheit, wieder mit ihm zu sprechen, hatte er ungenutzt verstreichen lassen. Er beschloss, die anderen auf dem Schulhof aufzusuchen und ihnen davon zu berichten. Vermutlich musste er sie dort suchen, wo sie sich früher immer in den Pausen getroffen hatten, bei den dreien hatte sich in dem halben Jahr wahrscheinlich nichts gravierend geändert. Und tatsächlich, sie standen an ihrem Stammplatz und unterhielten sich. Yugi lächelte und trat schnell auf sie zu. Als Joey sah, dass Yugi sich endlich mal wieder nach einem halben Jahr der Abwesenheit zu ihnen gesellte, unterbrach er das Gespräch und sah Yugi freundlich lächelnd an. „Er ist wieder da! Er ist Geschichtsreferendar an unserer Schule!“ platzte es freudig aus Yugi heraus. „Moment mal! Von wem redest du da?“ hakte Joey sichtlich verwirrt nach und auch Téa und Tristan sahen neugierig drein. „Atemu! Er unterrichtet hier!“ verkündete Yugi die neue Nachricht. Joeys Gesicht verfinsterte sich. „So ein Schwachsinn! Ich glaube, du drehst jetzt völlig durch! Du solltest dir Hilfe suchen, ich will dich nicht irgendwann in der Klapse besuchen müssen!“ „Aber er ist es wirklich!“ Yugis Lächeln wich von seinem Gesicht. Wieso wollte Joey ihm nicht glauben? „Wer sollte es sonst sein? Er sieht so aus wie er, hat die gleiche Stimme und kleidet sich auch so!“ „Atemus Kleidung hatte sich wohl eher nach deiner Kleidung gerichtet!“ warf Tristan ein. „Selbst wenn deine Beschreibung stimmt, wer sagt denn, dass er es wirklich ist? Hat er denn irgendwas zu dir gesagt?“ kam Téa ihm entgegen, doch Yugi schüttelte den Kopf. „Ich glaube dir alles, Yugi, aber das sicherlich nicht!“ rief Joey aufgebracht. „Ich bin zwar froh, dass du wieder mit uns redest und deinem Lächeln vorhin nach zu urteilen, sind deine Gefühle noch nicht gänzlich abgestorben, aber das geht jetzt eindeutig zu weit!“ „Ihr werdet es ja sehen!“ erwiderte Yugi ärgerlich. Ihm stiegen Tränen der Wut und der Verzweiflung in die Augen. Warum, verdammt noch mal, wollten ihm seine Freunde nicht glauben? „Téa hat doch morgen Geschichtsgrundkurs bei Shimizu? Wenn Shimizu sein betreuender Lehrer ist, wird er sich auch den Unterricht des GKs ansehen!“ Yugi machte auf dem Absatz kehrt und lief davon. Er suchte wieder die von Pflanzenranken überwucherte Bank am anderen Ende des Schulhofs auf, die so selten benutzt wurde, dass es der Hausmeister noch nicht einmal für nötig hielt, sie von dem Gewächs zu befreien. Der Junge hockte sich auf das marode Holz, zog die Beine an und umfasste sie mit beiden Händen. Er versuchte, sich zu beruhigen und seine Situation objektiv zu überdenken. Wenn sich jemand anderes über ein halbes Jahr so verhalten hätte wie er und dann mit einer solchen Nachricht angerannt käme, hätte er ihm geglaubt? Nein, vermutlich nicht, er hätte ihn für geistesgestört erklärt. Yugi atmete tief durch und schloss die Augen. Mit dieser Erkenntnis war auch seine Wut allmählich verraucht. Er legte den Kopf auf seine Knie und wartete auf das Klingelzeichen. Yugi hatte nun als nächstes Englisch – auch einer seiner LKs. Neben seinem Buch, dem Heft und dem einsprachigen Wörterbuch packte er auch seinen Notizblock aus. Sobald der Unterricht angefangen hatte, machte er sich Gedanken für einen Geschichtsessay, den er in der nächsten Stunde bei Atemu, nein, er musste sich korrigieren: bei Herrn Yamito abgeben würde. Vielleicht würden sie so ins Gespräch kommen. Erst einmal musste er ein Thema ausknobeln. Doch da er nicht aufgepasst hatte, wusste er nicht genau, bei welchem Thema sie überhaupt waren. Er hatte zwar immer fleißig mitgeschrieben, aber ohne überhaupt zu registrieren, worum es eigentlich ging. Heimlich zog er nun unter dem Tisch sein Geschichtsheft aus der Tasche, bedacht darauf, von der Lehrerin nicht gesehen zu werden. Er blätterte kurz und überflog das Geschriebene, stellte aber fest, dass er nicht viel damit anfangen konnte – es ging um den Angriff auf Pearl Harbor und seine Folgen. Er beschloss, dass er sich ein Thema aussuchen würde, dass nicht zum momentanen Unterricht gehörte, und was würde sich besser eignen, als sein Lieblingsthema Ägypten? Wenn er Atemus Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollte, dann musste er sich ein Thema überlegen, bei dem er sich bestens auskannte, um sich keine Fehler zu leisten und sich keiner Blöße zu unterziehen. Nachdem er das für sich geklärt hatte, steckte er das Heft wieder weg und richtete kurz seine Aufmerksamkeit auf den Unterricht. Schnell schrieb er ein paar Vokabeln ab und begann dann mit seinen Stichpunkten zu seinem Essay. Er hatte schon eine halbe Seite mit engen Notizen versehen, als ihm siedend heiß klar wurde, wie peinlich es ihm vor Atemu wäre, die Stufe wiederholen zu müssen. Seine ständige geistige Abwesenheit im letzten Halbjahr war sicherlich keine Glanzleistung gewesen. Wenn er sich nun nur in Geschichte anstrengen würde und die anderen Fächer weiterhin schleifen ließ, wäre das kein allzu großer Unterschied zu vorher und Joey würde Recht behalten. Und da Shimizu sicherlich nicht auch den nächsten Leistungskurs Geschichte übernehmen würde, stünden die Chancen sehr schlecht, Atemu noch so häufig zu sehen, wenn er sitzen blieb, wie jetzt. Hastig klappte er den Block mit den Notizen zusammen. Er schnappte sich die Kopie mit dem englischen Text, der schon zum größten Teil vom Kurs besprochen worden war und las ihn jetzt zum ersten Mal durch. Den Rest der Doppelstunde richtete er seine Aufmerksamkeit ganz auf die Lehrerin und deren Unterricht, wobei ihm nur allzu deutlich wurde, dass er einiges, was er im vorherigen Halbjahr verpasst hatte, würde nachholen müssen. Und das vermutlich in allen Fächern, wobei Englisch noch das kleinste Problem war, da schon vor der 12. Klasse sämtliche Grammatik abgehakt war und es fast nur noch um Textverständnis und Vokabeln ging. Die Grammatik wurde nur noch wiederholt und er wusste, dass es im Abitur hauptsächlich darauf ankam, einen Text zu verstehen, Fragen dazu zu beantworten und seine eigene Meinung zum Ausdruck zu bringen. Er war froh, kein naturwissenschaftliches Fach als Leistungskurs gewählt zu haben, denn da stünde er jetzt vermutlich vor einem großen Problem, denn diese mussten sicherlich viel auswendig lernen, außerdem bauten die Themen – außer vielleicht in Biologie – sicherlich aufeinander auf. Aber seine Fächerkombination hieß auch, dass er in Mathematik würde ins Mündliche gehen müssen. Während er nach dem Unterricht einpackte, verzog er darüber das Gesicht. Aber da Téa ein Mathegenie war, würde sie ihm das bis zum Abi sicher noch alles beibringen können und ihn auch als Test abfragen. Denn Aufgaben stumm an der Tafel vorrechnen für die Mitschüler und vorrechnen und alles mündlich erklären, was man tat, das war ein großer Unterschied, befürchtete er. Yugi schwenkte sich seinen Rucksack auf den Rücken und verließ den Klassenraum. Draußen wurde er schon ungeduldig von Joey und Tristan erwartet. „Ich glaube, du hattest Recht.“ kam Joey gleich zur Sache. „Recht gehabt womit?“ entgegnete Yugi und sah von Joey zu Tristan und wieder zurück. „Wir hatten doch gerade Politk-LK.“ begann Tristan. „Wir haben einen neuen Referendar.“ „Jep, er scheint wirklich Atemu zu sein, selbst wenn er uns nicht kannte. Oder vielleicht erkannte. Wie dem auch sei, er ist wohl Politik- und Geschichtsreferendar. Hat bei uns hinten drin gesessen, ab nächste Woche Donnerstag übernimmt er den Unterricht für die Einzelstunde.“ erzählte Joey während sie den Gang entlang schlenderten, sich für das Gespräch extra Zeit nehmend. „Habt ihr denn mit ihm geredet?“ erkundigte Yugi sich. „Du meinst, außerhalb des Kurses? Nein, aber Joey hat ihn in unsere Diskussion hineingezogen. Kamata war nicht sonderlich begeistert darüber, aber er war echt gut.“ erklärte Tristan. Kamata war der Lehrer und bei den Schülern schon immer unbeliebt gewesen. Er blieb stehen. „Hör mal, wir müssen uns bei dir entschuldigen.“ Yugi nickte. „Schon gut.“ „Wir müssen nur irgendwie herausfinden, weshalb er noch hier ist und was er überhaupt noch von uns weiß. Vielleicht ist sein Gedächtnis ja schon wieder gelöscht worden, als er in diesem Grab durch das Tor gegangen ist.“ Joey mit nachdenklichem Gesichtsausdruck war sehr selten. „Vielleicht ist er aber einfach nur Atemus Wiedergeburt.“ sprach Tristan einen Gedanken laut aus. „Wir werden ihn jedenfalls näher kennen lernen. Basta. Punkt. Aus.“ erklärte Joey. „Aber nicht so auffällig.“ Von Joey schwante Yugi böses. Joey schnaubte. „Ich will ja nicht irgendwann von den anderen als Lehrerfreund verschrien werden. Nein, das wird schon unauffällig über die Bühne gehen. Außerdem wirst größtenteils du das machen müssen.“ Er legte kumpelhaft einen Arm um Yugis Schultern. „Immerhin hattest du von uns immer den besten Draht zu ihm.“ Am Nachmittag, nachdem Yugi mit Mittagsessen fertig war, packte er wieder seinen Block aus, um weiter an seinem Essay zu feilen. Er hatte sich entschlossen, Pharao Atemu nicht zu erwähnen, schließlich wurde der in keinem Geschichtsbuch erwähnt, sondern sich an die altbekannten Könige zu halten. In seinem Zimmer standen genug Bücher über Ägypten herum, die ihm helfen konnten. Außerdem hatte auch sein Großvater eine beachtliche Sammlung an Büchern und sonstigen Forschungsergebnissen zu Hause, die er sicherlich würde benutzen können. Den Anfang machte er mit Ramses III. Nach einer Stunde war sein vierseitiger Essay fertig und er konnte sich seinem Geschichtsheft widmen, um das Verpasste nachzuholen. Er las es sich durch und ging danach runter zu seinem Großvater in den Spieleladen. Während er Regale einräumte erzählte er Großvater nebenbei von seinem Schultag. Er hatte seinem Großvater schon lange nicht mehr geholfen und ihm auch ebenso lange nichts mehr erzählt. Sein Großvater wusste zwar nicht, was während des letzten halben Jahres in seinem Enkel vorgegangen war, aber er unterbrach ihn nicht sondern freute sich über dessen Redeschwall. Yugi erwähnte auch den neuen Referendaren, ging aber nicht näher darauf ein. Die Türglocke schellte und als Yugi den Kopf hob, sah er, dass Téa den Verkaufsraum betreten hatte. Als sie ihn entdeckte, ging sie geradewegs auf ihn zu. „Hallo!“ Téa blickte auf die Ware in seinen Händen hinab. Sie wusste nicht, was sie nun sagen sollte. Yugi ließ ihr Zeit und verstaute das, was er in der Hand hielt. „Ich habe gerade davon gehört.“ rückte Téa schließlich heraus. „Ich will mich persönlich bei dir entschuldigen. Mit so etwas habe ich, um ehrlich zu sein, nicht gerechnet. Ich hätte dir gleich glauben sollen.“ Yugi wusste sofort, wovon sie sprach und winkte ab. „Ich glaube, ich hätte mich genauso verhalten. Es ist mir ja selbst nicht gerade leicht gefallen, es zu glauben, als ich ihn selbst gesehen hatte.“ „Sind wir wieder Freunde?“ fragte Téa hoffnungsvoll und hielt ihm die Hand hin. Yugi ergriff sofort ihre Hand. „Waren wir es irgendwann nicht?“ lächelte er. Téa erwiderte das Lächeln zaghaft. „Ich bin gespannt, ob ich ihn morgen auch mal sehen werde.“ Am Freitagmorgen fühlte Yugi sich wie gerädert. Er hatte fast nicht geschlafen. Dementsprechend war er extrem müde, als er frühstückte. Er war so nervös, als müsse er heute selbst seine erste Unterrichtsstunde halten. Dabei war es unwahrscheinlich, dass Atemu, Herr Yamito, wirklich noch nie eine Unterrichtsstunde gehalten hatte. Er hatte es wahrscheinlich schon während des Studiums tun müssen, um sich überhaupt zu qualifizieren und er wusste auch nicht, ob er nicht im Laufe der Woche in einer anderen Klasse den Unterricht gehalten hatte. Am Vortag hatte Yugi sich eingehend alle Themen der vergangenen Stunden angeguckt und sich so gut vorbereitet, als hätte er eine Prüfung. Er wollte Herrn Yamito helfen, denn er ging davon aus, dass es die anderen in dem Kurs ausnutzen würden, dass er noch keine Namen kannte und dass er ein Frischling war. Yugi selbst wollte sich so oft wie möglich melden. Vielleicht würde der Referendar sich dann auch seinen Namen schneller merken können. Was es womöglich erleichtern würde, mit ihm ins Gespräch zu kommen und ihn näher kennen zu lernen. Sein erster Essay, den er ihm am Vortag in die Hand gedrückt hatte, hatte ihm nicht zu einem Gespräch verholfen, denn es hatten ihm noch einige andere ihre Essays in die Hand gedrückt, er war regelrecht belagert gewesen, vor allem von Mädchen. Am Rande hatte er mitbekommen, dass Herr Yamito offensichtlich schnell zum Mädchenschwarm avanciert war, und das nicht nur in ihrem Kurs. Er war sehr gespannt, wie Herr Yamito sich als Lehrender geben würde. In seinen Vorstellungen war Yamito nicht besonders streng und hatte noch nicht die Härte von älteren Lehrern und das Einschläfernde der alten Lehrer. Aber er würde sich bestimmt sehr gut in seinem Fach auskennen und ein offenes Ohr für seine Schüler haben. Soweit die Vorstellung. Hastig verließ er das Haus. Jetzt galt es erst einmal, zwei Stunden Bio und zwei Stunden Japanisch über die Bühne zu bringen. Einziger Lichtblick war wohl, dass er wenigstens Japanisch zusammen mit Téa hatte, so konnten sie sich noch etwas unterhalten. Er hatte sich vorgenommen, sie zu fragen, wie sie sich Atemu als Lehrer vorstellte. Wahrscheinlich würde für die Erörterung dieser Frage heute viel Zeit drauf gehen. Pausen mit allen dreien seiner Freunde und in seinem Kopf. Als er in die Schule kam, hetzte er gleich zum Biologie-Hörsaal. Hastig kramte er sein Heft hervor, um alles noch mal durchzugehen. Er hatte sich zwar alles gestern Abend im Bett angesehen, aber sicher war sicher. Es war sehr viel Zeit für die Geschichtsvorbereitung draufgegangen, deshalb war es spät geworden, bis er sich hatte auf Biologie konzentrieren können. Und seine Vorahnung bewahrheitete sich: Er wurde mündlich abgefragt. Im Gegensatz zur Erwartung der Lehrerin beantwortete Yugi alle Fragen. Die Lehrerin verbarg erst gar nicht ihr Erstaunen darüber, hatte er die beiden letzten Male, als sie ihn an die Reihe genommen hatte, nur fünfen kassiert. Diesmal bekam er eine 11 und er seufzte erleichtert. Wenn das mal kein gutes Ohmen für den Rest des Tages war. Er ging wieder zu seinem Platz und machte sich daran, die Blutgruppenaufteilung, die Besonderheiten und die Vererbung abzupinseln. In der großen Pause traf er dann auf die anderen. Er war sehr hibbelig, was auch die anderen spürten. Auf Nachfrage von Téa antwortete er: „Ich fühle mich, als müsste ich in der fünften Stunde Unterricht halten.“ Joey lachte. „Mach dir doch darum keinen Kopf! Ihr teilt euch doch nicht mehr euren Körper. Außerdem wird er das schon meistern!“ Somit war das Gespräch schon auf dem Thema, das sie auch für diese Pause nicht mehr loswurden. In Japanisch beruhigte Yugi sich allmählich und er wurde gelassener. Während zwei seiner Mitschüler einen Dialog aus der Lektüre vorlasen, döste er vor sich hin. Die Nacht war für ihn keineswegs erholsam gewesen. Er war erst um eins eingeschlafen, mindestens fünf mal zwischendurch wach, wovon er einmal, seinem Gefühl nach zu urteilen, bestimmt eine Stunde wach gelegen hatte. Und dann heute Morgen wieder um 7 Uhr aufstehen. Zum Glück wohnte er im Zentrum von Domino, also hatte er keinen allzu langen Schulweg. Nach der zweiten Schulhofpause ging er ausnahmsweise gleich beim ersten Schellen hoch in den zweiten Stock. Normalerweise hatten es sich die Oberstufenschüler angewöhnt, sich erst zum zweiten Klingeln zu bequemen, das Schulgebäude zu betreten, das war cooler. Außerdem war so gut wie kein Lehrer wirklich pünktlich, die hielten alle noch im Lehrerzimmer Kaffeekränzchen. Als Yugi am Saal ankam, war noch kaum jemand da. Die Mitschüler die da waren, standen in kleinen Grüppchen zusammen und unterhielten sich über das Gesprächsthema Nummer eins dieser Pause: die Erwartungen an den neuen Referendaren. Der war auch pünktlicher, als Shimizu normalerweise, hatte diesen aber im Schlepptau. Er sperrte den Klassensaal auf und ließ die Schüler an ihm vorbei eintreten. Yugi betrat als einer der Letzten der ersten Schülerwelle den Saal. „Ähm, warte mal.“ Er drehte den Kopf. War er gemeint? Herr Yamito hielt ihm eine Hand voll Blätter hin. „Könntest du die verteilen?“ Yugi nahm die Blätter entgegen und warf einen Blick darauf. Es waren die Essays, die er zurückgeben wollte. Der Referendar war schnell, er hatte scheinbar alle innerhalb eines Tages korrigiert. Als er wieder aufblickte um noch etwas zu sagen, hatte Herr Yamito sich schon der Tafel zugewendet. Yugi seufzte innerlich, stellte seinen Rucksack an seinen Platz und begann mit dem Austeilen. Dann betrachtete er seinen eigenen Essay. Er hatte gesehen, dass auch Yamito mit Rotstift korrigierte, doch in seinem Essay fand er keine Korrekturen, nur ein Plus als Bewertung, worüber er sich sehr freute, denn für die Essays gab es nur drei Bewertungen: Minus, Kringel und Plus. Außerdem wurde jeder Essay im Notenbuch vermerkt. Nach und nach trudelte auch der Rest der Schüler ein. Herr Yamito stellte sich noch einmal namentlich vor und begann dann gleich mit dem Unterricht. Yugi folgte jedem seiner Sätze aufmerksam. Herr Yamito war sehr gelassen, falls er nicht doch nervös war, so ließ er es sich in keinem Fall anmerken. Als Herr Yamito die Überschrift für das heutige Tafelbild anschrieb, war Yugi etwas überrascht von der eigentlich ganz gut lesbaren Schrift; er hatte, nun ja, neuzeitliche Hieroglyphen erwartet. Nach der Stunde, während deren Yugi sich häufig gemeldet hatte, wie erwartet war die Mitarbeit der anderen dürftig gewesen, ging Yugi nach vorne, um seinen neuen Essay – diesmal über Tut-ench-Amun – abzugeben. „Habt ihr schon gehört, nächste Woche fällt Sport aus, da Atemu dann sein Einstandsduell hat.“ erzählte Joey auf dem Weg zur Turnhalle. „Der arme Gegner.“ „Wisst ihr denn, wer der Gegner sein wird?“ wollte Yugi wissen und betrat die Umkleidekabine. „Das wird am Montag in der ersten großen Pause ausgelost.“ erklärte Tristan. „Wenn er Glück hat, darf er gegen den Direktor antreten.“ „Zu blöd, dass er gegen einen Lehrer antreten muss, Yugi oder ich wären bessere Gegner.“ erklärte Joey und begann, sich umzuziehen. „Ich glaube, mir ist lieber, wenn ich ihm mal zugucken darf. Bisher haben wir uns immer zusammen duelliert.“ erwiderte Yugi und zog seine Sportsachen an. „Ja, aber dann könnte er doch trotzdem gegen mich antreten.“ beharrte Joey. Nachdem der Lehrer ihn darum gebeten hatte, nahm er sich das Netz mit den Fußbällen und trug es mit sich in die Halle. „Seien wir doch ehrlich: du hättest sowieso keine Chance!“ belehrte Tristan ihn. Wenn es um das Duellieren ging, war Joey noch nie realistisch gewesen. OK, er war viel besser als noch ganz am Anfang, aber jeder würde ein reines Monsterdeck schlagen können. „Na warte!“ rief Joey und warf einen der Bälle auf Tristan, dem dieser geschickt auswich. „Wie dem auch sei, hat es einer der Lehrer je in einem Turnier weit gebracht? Nein. Also wäre jeder Schüler ein besserer Gegner für den Pharao als einer unserer ach so tollen Lehrer.“ „Ich muss Joey ausnahmsweise zustimmen!“ mischte sich ihre Mitschülerin Masayo kichernd ein. „Herr Yamito wird sowieso gewinnen!“ Die anderen Mädchen um sie herum stimmten in ihr Kichern ein. „Ach, am Besten, ihr gründet einen Fanclub!“ fauchte Joey sie ärgerlich an. Masayo blinzelte. „So schlecht ist die Idee gar nicht mal!“ Joey verdrehte genervt die Augen. „Versteh einer die Frauen!“ Was er nicht mitbekam war, dass Masayo ihn noch immer anstarrte, als ihre Freundinnen sich schon längst abgewandt hatten und sich auf die Holzbänke entlang der Wand setzten. „Mathe ist ja noch komplizierter, als ich gedacht habe!“ stöhnte Yugi montags. Er hatte nicht geahnt, dass alles, was er erst noch wiederholen musste, auch für das Thema relevant sein würde, das sie gerade durchnahmen. Es wurde Zeit, dass er sich nach einem Nachhilfelehrer umsah. „Ach, keine Sorge, das schaffst du schon! Du warst doch früher so gut! Und das Angebot mit der Nachhilfe steht noch!“ beruhigte Téa ihn. Ihr war von Anfang an klar gewesen, dass er Hilfe gebrauchen könnte, nachdem er quasi ein halbes Jahr verpasst hatte. Yugi sah sie an. „Am Besten, wir fangen heute Mittag an! Sonst schiebe ich es nur vor mir her!“ „Klar, du kannst nach der Schule gleich mit zu mir kommen! Meine Mutter freut sich sicherlich, wenn sie für einen mehr kochen kann.“ erklärte Téa. Yugi schüttelte den Kopf. „Ich will deiner Mutter keine Umstände bereiten!“ „Ach Unsinn, sie kocht doch so gerne! Je mehr Leute sie verköstigen kann, desto besser!“ lächelte Téa. „Wenn wir noch etwas von der Verlosung mitbekommen wollen, sollten wir uns mal ranhalten!“ mischte Joey sich leicht verärgert ein. „Es hat doch gerade erst geklingelt. Die werde schon nicht gleich am Anfang der Pause in den Lostopf greifen, dann wäre ja die Spannung futsch!“ erwiderte Tristan. „Wie will man denn während einer 15minütigen Pause Spannung aufbauen?“ fragte Joey skeptisch. „Indem man ankündigt, dass Yugi den Gegner ziehen wird und der noch nicht da ist!“ erläuterte Tristan und zwinkerte Yugi zu. Yugi blieb stehen. „Weißt du etwas, das ich nicht weiß?“ „Sag nur, du weißt das noch gar nicht?“ wollte Téa erstaunt wissen. Als sie Joeys verwirrtes Gesicht sah, fügte sie hinzu: „Aber du scheinst nicht der einzige zu sein, der nichts davon wusste!“ „Sagt mal, wo habt ihr denn eure Augen, wenn ihr morgens ans schwarze Brett geht?“ stichelte Tristan. „Noch halb zu!“ konterte Joey. „Außerdem interessieren mich nur die Freistunden!“ Er sah Yugi an. „War heute nicht am schwarzen Brett.“ erklärte dieser kleinlaut. Er sollte Atemus Gegner auslosen. Ihm wurde etwas flau im Magen. Alle Schüler der Schule würden ihm dabei zusehen. Und wie viele Schüler besuchten diese Schule? Annähernd 1.000. Wenn er sich duellierte hatte er manchmal ebenso viele Zuschauer, oder sogar mehr, aber dann war er wenigstens abgelenkt, er konzentrierte sich dann alleine auf das Duell. Aber bei den letzten Turnieren hatte er immer noch Atemu bei sich gehabt, der ihm die Nervosität genommen hatte. Selbst wenn er auch heute neben Yugi stehen würde, helfen konnte er ihm diesmal nicht. Yugi, Téa, Tristan und Joey betraten die große Aula und blickten zur Bühne hoch. Der Direktor, Herr Shimizu und Herr Yamito standen schon dort und überblickten die Menge. Joey kämpfte eine Schneise durch die Schülermenge, die anderen drei brauchten ihm nur noch zu folgen. Als der Direktor Yugi entdeckte, winkte er ihn zu sich auf die Bühne. Yugi war noch immer nicht wohl bei der ganzen Sache, aber er fügte sich in sein Schicksal. Er begrüßte den Rektor, der ihm gleich zuflüsterte, dass er erst auf sein Zeichen warten sollte, bis er seine Hand in die Lostrommel steckte. Der Junge stellte sich neben Shimizu und warf einen Blick auf Atemu. Dieser schien aber nur Augen für die Schülermenge zu haben, von denen er sicherlich nicht allzu viele kannte, doch die Lehrerkollegen und potentiellen Gegnern würdigte er keines Blickes. Yugi war sich nicht so sicher, ob das daher rührte, dass er die meisten Kollegen schon kannte, oder aber daher, dass er sich sicher war, jeden der Lehrer schlagen zu können. Plötzlich, als hätte er auf ein Stichwort gewartet, drehte Atemu sich um. „Hallo, Yugi!“ Er lächelte ihn freundlich an und zwinkerte ihm zu. Yugi wurde vor Verlegenheit etwas rosa im Gesicht. Dass der Referendar sich schon seinen Namen merken konnte. Auf der anderen Seite waren seine Duelle ja oft genug im Fernsehen übertragen worden. Doch ob der Neue sich so sehr für das Duellieren interessierte, wusste er nicht. Yugi musste sich immer wieder vor Augen halten, dass er vermutlich gar nicht Atemu war und ganz andere Interessen haben könnte. Er grüßte zurück. Der Rektor ergriff das Mikrophon, mit dessen Hilfe er zunächst die lauten Schüler zur Ordnung rief. Er kündigte die Auslosung an und gab Yugi dann ein Zeichen. Dieser trat vor und traute sich gar nicht, in die Gesichter vor der Bühne zu sehen, dafür war er zu nervös. Langsam und bedächtig zog er den Loszettel aus der Trommel und reichte ihn dann an Rektor Kamekura weiter. Dann stellte er sich wieder vor den braunen Samtvorhang, neben Shimizu und Yamito. Kamekura entfaltete das Stück Papier und warf einen Blick darauf. Danach las er laut vor: „Die Gegnerin ist Frau Haruna Shibata.“ Yugi hatte von der Bühne aus alle Lehrer im Blick. Einige männliche Lehrer hatten schon bei dem Wort ‚Gegnerin’ lange Gesichter gezogen und jetzt konnte er erkennen, wie eine Lehrerin einen kleinen Freudentanz aufführte. Er verzog das Gesicht. Haruna Shibata war eine sehr schöne, schlanke Frau mit langen schwarzen Haaren und ebensolchen Wimpern. Sie könnte glatt als Modell arbeiten und zum Leidwesen der Schüler wusste sie dies auch. Ihr ständiger Begleiter waren nämlich Schminkkoffer, Maniküre- und Pediküreset. Ihren Schülern hingegen konnte sie nichts beibringen, denn sie wusste nicht, wie man da machte. Sie war auch noch sehr jung, erst das zweite Jahr an dieser Schule, also kaum älter als Herr Yamito selbst. Er drehte den Kopf, um zu sehen, was sein alter Freund von diesem Los hielt, aber dessen Miene war unergründlich. „Er hat noch nicht einmal mit der Wimper gezuckt!“ berichtete Joey ihm später, als Yugi die Bühne verlassen hatte. „Das kann ja was werden! Hoffentlich quatscht sie nicht allzu viel bei dem Duell!“ So gut die Lehrerin auch aussah, so nervig und penetrant war ihre Stimme, denn sie war sehr hoch und schrill. Téa nickte zustimmend. „Ich hab jetzt Geschichte. Shimizu hält Shibata zwar noch ein Gespräch, aber Yamito ist weg. Ich wette, er geht schnurstracks zu unserem Saal. Vielleicht hält er heute unsere Stunde.“ meinte Yugi schon fast hoffnungsvoll. Wenn er eines schon am Freitag in Yamitos erster Stunde erkannt hat, dann die Tatsache, dass Yamito besser unterrichtete als die Schlaftablette Shimizu. Und dieser sollte die Schüler gut durchs Abi bringen! Yugi runzelte die Stirn. Er kannte Shimizu schon so lange als weniger guten Lehrer, dass die Freitagsstunden bei Yamito schon jetzt bei ihm als Lichtblick galten. Als er zum Geschichtssaal kam, war dieser schon aufgeschlossen und zu seinem Leidwesen musste er feststellen, dass Herr Yamito sich schon einen Stuhl genommen und ihn an die Rückwand des Saales gestellt hatte. Yugi setzte sich seufzend. Am nächsten Morgen lief Yugi in zügigem Tempo über den Lehrerparkplatz zum Haupteingang. „Hey, Yugi! Hattest du die ersten beiden Stunden auch frei?“ Yugi drehte den Kopf und sah gerade noch, wie Herr Yamito einen Schlüsselbund wegsteckte. „Sind wohl heute beide etwas spät dran!“ „Ja, ich war heute noch im Krankenhaus.“ Als er Yamitos verwirrtes Gesicht sah, setzte er hastig hinzu: „Ich habe Medizin für meinen Großvater geholt.“ „Ach so.“ Yamito nickte. Er schien sich schon Sorgen gemacht zu haben. „Tut mir Leid, Yugi, ich muss ganz schnell zum Lehrerzimmer! Man sieht sich!“ rief er und rannte schon im Sauseschritt die Treppe hoch. Da es eh bald klingeln würde, folgte Yugi ihm, allerdings in einem sehr gemächlichen Tempo. Téa erwartete ihn schon im Foyer. „Na, du Langschläfer! Gut geschlafen?“ Yugi lächelte. „Du brauchst gar nicht neidisch zu sein! Dank Ägyptisch habe ich heute bis zur zehnten Stunde Unterricht, während du nach der 7. schon faulenzen kannst!“ erklärte er. Aber nicht einmal in Kunst würde er sich ausruhen können, denn heute würde die Lehrerin sicherlich wieder ein Bild analysieren. „Ich hab ja gleich noch Geschichte.“ meinte Téa fröhlich. Yugi zog eine Augenbraue hoch. „Darüber scheinst du dich ja sehr zu freuen!“ stellte er fest. „Ja, seit Herr Yamito dabei ist! Nur leider wird er bei uns wohl nie unterrichten.“ erwiderte Téa seufzend. „Das wirst du schon überstehen!“ grinste Yugi frech. Der Ägyptischkurs war sehr klein und vor allem auf Yugis Drängen entstanden. Er hatte einen Lehrer, der Halbägypter war, überredet, einen solchen Kurs anzubieten. Ursprünglich hatten auch Téa, Tristan und Joey daran teilnehmen wollen, aber dann waren Joeys Philosophiekurs, Tristans Informatikkurs und Téas Klavierstunden auf die gleiche Uhrzeit gefallen und so kam es, dass der Kurs nur 5 Teilnehmer hatte. Da Herr Al Faysal sich über jeden, der Ägyptisch lernen wollte, gefreut hatte, hatte er beschlossen, den Kurs dennoch stattfinden zu lassen. Er war auch einer jener seltenen Exemplaren von Lehrern, die sich um die Schüler kümmerten und einem auch etwas beibringen konnten, ohne gleich mit der Brechstange anzusetzen. Der Lehrer trat ein. „Wir haben ab heute einen neuen Schüler.“ Yugi hob den Kopf und ihn traf fast der Schlag. Hinter seinem Lehrer stand kein geringerer als Herr Yamito. „Einige von euch werden ihn sicherlich kennen. Das ist Herr Yamito.“ stellte er vor und dieser nickte zur Begrüßung in die Runde. Yugi konnte es kaum fassen, als Herr Yamito sich dann auch noch auf den freien Platz neben ihm setzte. „Hallo, Yugi.“ flüsterte er und lächelte dabei verschmitzt. Er nahm Heft und Stift aus der Tasche und legte es vor sich auf den Tisch. „Als ich hörte, dass es hier einen Ägyptischkurs gibt, habe ich Herrn Al Faysal überredet, dass ich daran teilnehmen kann. Ich bin nämlich ein kleiner Ägyptenfan. Deshalb fand ich deine Ägyptenessays bisher auch sehr ansprechend.“ Er zwinkerte seinem Nachbarn zu. Yugi nickte. Also zumindest eine Parallele zu Atemu. „Du kannst froh sein, dass du mir diese Essays abgegeben hast, ich glaube, Shimizu wäre nicht sonderlich begeistert über Essays, die nichts mit dem durchgenommenen Thema zu tun haben.“ erklärte er weiter. „Herr Yamito, würden sie bitte an die Tafel kommen.“ Es war keine Frage sondern ein Befehl. „Wie?“ Herr Yamito sah äußerst verwirrt drein. „Sie scheinen sich ja sehr gut mit Ihrem Nachbarn zu verstehen, aber Sie haben mich gebeten, Sie wie alle anderen Schüler zu behandeln. Und als Ihr Lehrer kann ich es nun einmal nicht dulden, dass Sie meinen Unterricht stören. Also werden Sie jetzt an der Tafel ein kleines Diktat schreiben.“ erläuterte Al Faysal. „Oh.“ Ohne einen weiteren Kommentar stand Herr Yamito wieder auf und ging zur Tafel. Dort nahm er sich ein Stück Kreide und stellte sich in Position. Da er so was noch aus seiner Schulzeit kannte, ging er davon aus, dass der ganze Kurs mitschreiben musste und so klappte er die Tafel auf, um auf der Rückseite zu schreiben. Dabei machte er, wie Yugi fand, kein allzu glückliches Gesicht. Sie alle hatten nun schon ein halbes Jahr Ägyptisch, wie das bei Atemu aussah, wusste er nicht. Wenn es tatsächlich seine erste Stunde war, dann war es mehr als gemein, ihn vor der Klasse vorzuführen, denn dann würde seine Anschrift sicherlich nur so vor Fehlern strotzen. Der Lehrer begann, den vorgesehenen Text vorzulesen und in der eifrigen Stille war zu hören, wie Herr Yamito die Kreide leise über die Tafel führte. Nach dem Diktat klappte Herr Yamito den Tafelflügel wieder nach vorne und setzte sich wieder auf seinen Platz. „Jeder korrigiert den Text seines Nachbarn, d.h. du, Yugi, kommst an die Tafel, um Herrn Yamitos Text zu korrigieren.“ erklärte Al Faysal und sah Yugi erwartend an. Diesem wurde augenblicklich flau im Magen. Er sollte den Text seines Geschichtslehrers vor der Öffentlichkeit verbessern? Und, fast genauso schlimm, Herr Yamito würde sich sein Heft vornehmen? OK, seine Geschichtsessays gab er auch immer dem Referendar ab, aber die waren fein säuberlich und möglichst fehlerfrei herausgearbeitet. Bei einem Diktat, auf das er nicht im Geringsten vorbereitet gewesen war, sah das schon weitaus anders aus. Zögerlich stand er auf und nahm von Herrn Al Faysal ein Stück rote Kreide entgegen. Er wagte gar nicht, sich umzudrehen und Herrn Yamito anzusehen. Der Junge ging den Text vor sich durch und unterstrich die Fehler, derer gar nicht einmal so viele vorhanden waren. Hatte er sich Ägyptisch schon selbst beigebracht oder war er zuvor Schreibweise und Aussprache mit Herrn Al Faysal durchgegangen? Als er fertig war, legte er die Kreide beiseite und setzte sich wieder. Herr Al Faysal ging nun ebenfalls Herrn Yamitos Text durch, um sicherzugehen, dass Yugi keine Fehler übersehen hatte und unterstrich zwei falsche Wörter. Als Herr Yamito Yugi wieder sein Heft zuschob, hatte er genau die beiden Wörter, bei denen Yugi auch an der Tafel die Fehler übersehen hatte, unterstrichen. Da Yugi es ebenfalls falsch im Kopf gehabt hatte, hatte er auch Herrn Yamitos Fehler nicht als solche erkannt. „Du bist gut!“ erklärte Herr Yamito anerkennend nickend. Und als könne er Yugis Gedanken lesen, fügte er hinzu: „Keine Sorge, alles was hier passiert, wird sich nicht auf unseren gemeinsamen Geschichtsunterricht auswirken.“ Damit wandte er seine Aufmerksamkeit wieder auf den Lehrer. „Hatten Sie denn schon mal Ägyptischunterricht?“ fragte Yugi nach dem Unterricht, froh wieder Zeit zum Sprechen zu haben, denn nach dem Diktat hatte keiner der beiden mehr sonderlich große Lust verspürt, noch mehr Zorn des Lehrers auf sich zu ziehen. „Sie haben doch bei dem Diktat schon ganz gut mitgehalten.“ lobte er. Oder war er ins Fettnäpfchen getreten und die Wortwahl war total daneben? Er biss sich auf die Unterlippe. „Hier, Herr Yamito, meine Unterlagen.“ Ihre Mitschülerin Naoko hielt Herrn Yamito ihr Heft hin und sah ihn erwartungsvoll lächelnd an. „Damit Sie alles nachholen können.“ „Danke, aber Yugi hat mir schon sein Heft gegeben.“ lehnte Yamito ab. Yugi riss die Augen auf. Er hatte dem Referendar keineswegs sein Heft gegeben. „Ach so.“ Das Mädchen zog enttäuscht von dannen, nicht ohne Yugi noch einen giftigen Blick zugeworfen zu haben. Doch was konnte der denn dafür? „Entschuldige, dass du herhalten musstest.“ Herr Yamito seufzte. „Die ganzen Mädels … Herr Yamito hier, Herr Yamito da - ich muss dem Einhalt gebieten. Nichtsdestotrotz könntest du mir dein Heft geben.“ Er lächelte leicht. Yugi schien es, als wüsste Atemu genau, dass er ihm nichts abschlagen konnte. Er reichte ihm sein Heft. Herr Yamito schloss seine Tasche und hängte sie sich über die Schulter. „Um auf deine Frage zurückzukommen: Ich habe versucht, mir Ägyptisch mit Hilfe einer CD-Rom anzueignen.“ Sie verließen den Klassensaal als letztes. „Dann habe ich aber bemerkt, dass das nicht so ganz das ist, was ich mir darunter vorgestellt habe. Selbststudium ist nicht so ganz mein Fall. Eigentlich müsste man dabei am Ball bleiben, wenn man nur hier und da mal was lernt, weil man immer vorschiebt, keine Zeit zu haben, dann klappt das nie. Und genauso war das auch bei mir. Da mache ich jetzt lieber professionellen Unterricht mit.“ erklärte Yamito ganz offen. Yugi nickte. Er konnte sich auch nicht vorstellen, genug Disziplin zu haben, eigenständig eine Sprache zu lernen. „Waren sie denn schon mal in Ägypten?“ „Schon mehrfach. Es ist faszinierend, immer nur von einem Land zu lesen und sich dann irgendwann selbst dort vorzufinden. Das Land ist faszinierend.“ entgegnete Yamito. „Und selbst?“ Sie verließen das Schulgebäude und Yugi begleitete ihn noch über den Lehrerparkplatz. „Ja, einmal. Wir haben uns die Grabstätte eines Pharaos angesehen.“ Yugi zog es das Herz zusammen, als er daran dachte. Er warf dem anderen einen Blick zu. Unglaublich, wie ähnlich sich die beiden sahen. Und offensichtlich waren auch die Interessen ähnlich. Yamito hielt an und Yugi besah sich die beiden Autos, bei denen sie nun standen; ein roter Toyota und ein blauer Mitsubishi. Doch dann fiel ihm etwas auf, das er zuvor übersehen hatte, denn dazwischen stand ein Motorrad, auf das Herr Yamito nun zuging. „Sie fahren Motorrad?“ Yugi runzelte skeptisch die Stirn. „Ja.“ Bei genauerer Betrachtung konnte man seine Jacke tatsächlich als Motorradjacke identifizieren. Plötzlich hatte er einen Helm in der Hand und wandte sich Yugi wieder zu. „Du bist wohl auch der Meinung, dass das doch viiiiel zu gefährlich ist?“ Er grinste. „Das macht doch den Reiz aus.“ „Hm.“ machte Yugi nur und beäugte das Gefährt kritisch. Yamito setzte seinen Helm auf, saß auf und startete den Motor. „Man sieht sich.“ Er klappte das Visier runter und brauste schon davon. Yugi sah dem Referendar gedankenverloren nach. Natürlich war er etwas besorgt, den man las ja oft von toten Motorradunfallopfern. Viel zu wenig Blech drum herum. Und dann noch im Winter, da war es doch noch gefährlicher. Aber es war wohl eine Leidenschaft von Herrn Yamito. Er schüttelte seufzend den Kopf und sah auf die Uhr, wobei er feststellte, dass er rennen musste, wenn er seinen Bus noch erreichen wollte. „Na, schon gespannt auf das Duell?“ Téa und Yugi waren gerade vor dem Japanischraum angekommen und mussten warten, bis die Lehrerin kommen würde. „Naja, seine Art, sich zu duellieren kenne ich ja im Grunde schon. Er wird nur ein komplett anderes Deck haben. Darauf bin ich mehr gespannt.“ erklärte Yugi. „Und ob er die Geschichtsstunde halten wird oder ob er die Zeit lieber nutzt, sich auf das Duell vorzubereiten.“ „Es ist doch nur ein reines Freundschaftsduell. Wieso sollte er sich da vorbereiten?“ wollte Téa wissen. „Man merkt doch, dass du kaum Erfahrung hast. Man muss sich auf jedes Duell gewissenhaft vorbereiten. Aber die Wetten stehen sowieso zu seinen Gunsten. Keiner traut der Shibata einen Sieg zu.“ Yugi folgte der Lehrerin in den Klassenraum und ging zu seinem Platz. Téa schnaubte. „Gerade weil Shibata in allem schlecht ist, was sie anpackt, wird es für Yamito doch ein Leichtes sein, sie auch ohne Vorbereitung zu schlagen.“ „Ich weiß nicht so recht. Selbst ich als erfahrener Duellant würde mich vorbereiten wollen.“ erklärte Yugi und sah Téa an, die schon irgendwas schrieb, sobald sie ihr Heft auf dem Tisch hatte und noch ehe die Lehrerin ihren Unterricht begonnen hatte. Er lehnte sich neugierig zu ihr rüber, um lesen zu können, doch sobald er eine günstige Position erreicht hatte, blätterte Téa um. Der Junge hatte nur noch erkennen können, dass ein loses Blockblatt in dem Heft lag, dass sie eifrig beschrieben hatte. „Und Atemu sicherlich auch.“ „Ja, vielleicht, aber es ist ja nicht so, dass er wieder die Welt retten muss. Er sollte es mal locker angehen und sich aus Spaß duellieren.“ Téa wandte den Kopf in Yugis Richtung. Dieser verzog das Gesicht. „Jedes Duell ist Training für den Ernstfall. Außerdem, wer sagt denn, dass wir nicht auch Spaß am Duellieren hatten, wenn die Existenz der Welt auf dem Spiel stand?“ „Und dieses ‚Spaß haben’ ist wirklich nicht nur eine Floskel für Joey gewesen?“ kam die Gegenfrage postwendend. „Nein, natürlich nicht. Er war oft zu verkrampft. Wenn er lockerer war, klappte es viel besser.“ erläuterte Yugi. „Sicherlich, Atemu und ich haben uns oft den Kopf zerbrochen, aber während der Duelle waren wir hochkonzentriert und hatten trotzdem Spaß dabei. Es ist wie beim Hochleistungssport. Große Konzentration und Anstrengung, aber mindestens ebenso viel Spaß. Oder nimm deine Klavierstunden. Geht es dir da nicht genauso? Du hast doch sicherlich auch bei den schwersten Stücken Spaß.“ Téa nickte. „Ja, kann sein. Aber er hatte doch sicherlich auch gestern genügend Zeit.“ Yugi wiegte den Kopf. „Naja, ich weiß nicht, wie schwer es ist, den Unterricht für einen Leistungskurs vorzubereiten. Shimizu wird ihm kaum alles vorkauen.“ Joey drängte ein paar 5. und 7.Klässler mit dem Ellbogen zur Seite. Diese murrten, wurden aber von ihm ignoriert. Immerhin wollte er einen guten Blick auf das Duell haben. Die drei anderen folgten ihm, aber weniger rabiat und entschuldigten Joeys Verhalten. Selbst bei dieser klirrenden Kälte und Schnee war der schuleigene Sportplatz proppenvoll. Es wimmelte nur so von Schülern, die sich dieses Duell um keinen Preis entgehen lassen wollten. Die Kontrahenten standen in der Mitte des Feldes. Frau Shibata schien sich noch einmal eingehend mit ihrem Deck auseinanderzusetzen, wohingegen Herr Yamito es wieder vorzog, die Schüler rings umher zu betrachten. „Hat er die Geschichtsstunde denn gehalten?“ erkundigte Téa sich. „Ja, hat er.“ entgegnete Yugi und warf einen Blick auf Yamito. „Er scheint das Duell nicht ernst zu nehmen.“ stellte Tristan fest. „Wieso sollte er auch?“ entgegnete Téa. „Das Duell wird kurz sein.“ Yugi sagte nichts dazu. Er beobachtete Herrn Yamito und versuchte, aus dessen Verhalten schlau zu werden. Es passte so gar nicht zu dem Bild, das er sich von Atemu gemacht hatte. Mittlerweile hatte Joey angefangen, mit Téa und Tristan zu diskutieren, ob er das Duell nun ernst nahm, oder nicht. Er hatte Atemu in Schutz genommen. Joey sah Yugi an. „Sag du doch auch mal was!“ „Ich weiß nicht… Atemu hat sich immer auf alle Duelle vorbereitet. Auch wenn er immer mich gegen Téa und Tristan hat spielen lassen. Vielleicht ist er es ja auch gar nicht.“ sprach er seine Vermutung aus. Seine Freunde sahen ihn schweigend an. Das war sogar wahrscheinlicher, als sie wahrhaben wollten. Sie alle hatten einen sehr guten Freund verloren. Ein Knacken ertönte aus den Lautsprechern und der Direktor ergriff das Wort. Er begrüßte alle Schüler und auch die Teilnehmer, bevor er das Duell, nachdem das Deck gemischt worden war, für eröffnet erklärte. Frau Shibata brachte den ersten Zug an und Yugis Aufmerksamkeit wurde in den Bann des Duells gezogen. Schon nach ein paar Zügen war klar, was Yugi geahnt hatte. Yamitos Deck war ganz auf Ägypten ausgelegt: Steinerne Pyramide, Wandelnde Mumie, Pharaonengrab. Obwohl Yamtio seit seinem ersten Zug hochkonzentriert war, schien es nicht so, als wolle er das Duell schnell beenden. Allerdings hatte Yugi nicht damit gerechnet, zwei alte Bekannte auf dem Feld zu sehen. „Greif an, Ägyptischer Schwarzer Magier!“ rief Herr Yamito und sein Monster fügte dem Gegner einen beträchtlichen Schaden zu. Yugi riss die Augen auf. Der Ägyptische Schwarzer Magier sah Mahad viel ähnlicher, als es Yugis normaler Schwarzer Magier tat. Auch war er nicht violett sondern sandfarben gekleidet. Bei seinem nächsten Zug rief Herr Yamito dann das Ägyptische Schwarze Magiermädchen auf und nun war klar, dass Yamito nur darauf gewartet hatte, seine besten Karten zu zeigen und zu vereinigen. Ab diesem Zeitpunkt war das Duell so gut wie gelaufen. „Das war ein guter Zug, Mann! Aber ich habe auch nichts anderes erwartet.“ meinte Joey und sah gespannt dem Ende des Duells entgegen, das auch gleich folgte. Nun kamen die Schüler in Feierlaune. Niemand hätte es dieser Schreckschraube von Lehrerin gegönnt, zu gewinnen, aber mit Yamito als Sieger waren alle einverstanden. „Das war ein gutes Duell, am Freitag.“ begann Yugi montags vor der Geschichtsstunde ein Gespräch mit Herrn Yamito. Dieser wandte sich Yugi etwas verblüfft zu. „Findest du? Ich habe mich schon zwei Jahre lang nicht mehr duelliert. Ich hatte eher das Gefühl, als sei ich eingerostet. Dabei duelliere ich mich eigentlich gerne.“ „Und warum haben Sie sich dann zwei Jahre nicht mehr duelliert?“ fragte Yugi verwundert. Doch dann rief er sich in Erinnerung, dass auch er als leidenschaftlicher Duellant es geschafft hatte, nach Atemus Abschied über ein halbes Jahr nicht sein Deck anzurühren. Und auch nachdem er nun glaubte, Atemu wieder gefunden zu haben, hatte er sich nicht mehr duelliert. Herr Yamito sah ihn eine Weile stumm an, als müsse er überlegen, was er sagen sollte. „Ähm, Entschuldigung, wenn die Frage zu privat ist, dann müssen Sie natürlich nicht antworten.“ stammelte Yugi verlegen und wurde deshalb etwas rot im Gesicht. „Nein, schon gut. Wir haben nur ein paar Zuhörer.“ Sie saßen gemeinsam in einem anderen Klassenraum als sonst, weshalb Yugi diesmal direkt vor dem Referendar saß und warteten, dass Shimizu endlich eintraf. Der war zu spät. Nachdem Yamito das gesagt hatte, sah Yugi sich unauffällig um und konnte sehen, wie ein Mädchen sich hastig wieder richtig nach vorne drehte und wie die Ohren eines anderen Mädchens knallrot wurden. Herr Yamito senkte die Stimme zu einem Flüstern herab und beugte sich etwas näher zu Yugi. „Vor circa zwei Jahren hatte ich einen Unfall.“ Er machte eine kleine Pause. Als Yugi etwas sagen wollte, kam er ihm zuvor. „Nein, nicht mit dem Motorrad. Jedenfalls habe ich 1 ½ Jahre im Koma gelegen und war anschließend ein halbes Jahr in der Rhea, um alles wieder zu lernen. Ich konnte mich zwar an alles erinnern, meine Schulzeit, mein Studium, aber ich konnte nur unartikuliert sprechen und mich kaum bewegen. Es war ein hartes Stück Arbeit, wieder auf die Beine zu kommen. Deshalb habe ich mich nicht duellieren können.“ Yugi schlug das Herz bis zum Hals, während er hastig im Kopf zurückrechnete. Vor ca. zwei Jahren hatte er das Milleniumspuzzle zusammengesetzt. Sein Herz begann Purzelbäume zu schlagen. Vielleicht… „Yugi?“ drang eine Stimme wie aus einer anderen Zeit an sein Ohr. „Ist dir nicht gut? Du bist plötzlich blass geworden. Also wenn dich der Unfallausgang geschockt hat – ich lebe ja noch.“ Yugis Aufmerksamkeit fand den Weg zurück zu Herrn Yamito. „Nein, es geht mir gut.“ „Deshalb bin ich mitten im Schuljahr in mein Referendariat eingestiegen. Was gar nicht so einfach war.“ fuhr der Ältere fort. „Aber dafür werde ich gleich ins kalte Wasser geworfen. Frau Asai geht in 6 Wochen in den Schwangerschaftsurlaub, weshalb ich dann gleich eigenverantwortlichen Unterricht übernehmen muss. Da hier die Geschichts- und Politiklehrer so knapp sind, hat man mich vermutlich genommen, um den Personalmangel zu überbrücken.“ In genau diesem Augenblick betrat Herr Shimizu den Klassensaal und entschuldigte sich für die Verspätung. In der Fünfminutenpause ging Yugi schnurstracks zum Chemiesaal, wo Joey und Téa gerade Unterricht hatten und erzählte ihnen alles aufgeregt. „Und du meinst, da gibt es einen Zusammenhang?“ Die beiden hatten aufmerksam zugehört und Joey wiegte nun nachdenklich den Kopf. „Ich weiß nicht so recht…“ „Wir Asiaten glauben doch an die Widergeburt, also die Seelenwanderung von einem Körper in den nächsten. Wieso soll es dann nicht möglich sein, dass die Seele auf Wanderschaft geht, wenn man im Koma liegt? Vielleicht hat sich Herrn Yamitos Seele dann irgendwie im Milleniumspuzzle verfangen.“ Er war die meiste Zeit der Geschichtsstunde sämtlichen Möglichkeiten gedanklich nachgegangen. „Ich werde es jedenfalls herausfinden.“ erklärte er wild entschlossen. „Und wie willst du das tun?“ harkte Joey nach. „Er scheint sich ja an nichts zu erinnern. Und die Komaforschung steht auch vor einem Berg mit Fragen.“ gab Téa zu bedenken. „Obwohl es natürlich schon cool wäre, Gewissheit zu haben.“ „Das weiß ich auch noch nicht. Aber ich werde mir etwas einfallen lassen.“ sagte Yugi bestimmt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)