Callboys von Stoechbiene (ZoxRo (LyxKa, SaxNa)) ================================================================================ Kapitel 1: Erinnerungen: Happy Birthday --------------------------------------- Hey! Wie versprochen hier die erste meiner beiden FFs, die ich in nächster Zeit bei Mexx online stellen will. Diesmal spielt ein Teil der Handlung in der Vergangenheit (Kapitel Erinnerungen) und der andere Teil in der (unserer) Gegenwart. Hoffe es wird nicht zu kompliziert, aber für Fragen egal welcher Art stehe ich immer gerne zur Verfügung, ebenso für Kritik o.ä. Viel Spaß beim Lesen! Eure Stoechbiene 1. Zorro Erinnerungen: Happy Birthday „Sei froh, daß heute dein Geburtstag ist, Zorro. Andernfalls würde ich jetzt eine Revanche von dir verlangen, die du dein Lebtag nicht vergessen würdest. Aber an deinem Ehrentag verzichte ich ausnahmsweise mal darauf, immerhin sollst du heute Abend auf deiner Geburtstagsparty, die wir bei Kaya zu Hause für dich organisiert haben, als ganzer Mann erscheinen. Sechzehn wird man schließlich nicht alle Tage.“ Stumm mustere ich Kuina, frage mich auch gleichzeitig, weshalb sie mir diesen mehr als albernen Vortrag hält, nur weil ich sie vorhin im Training klar besiegt habe. Es war zwar nicht das erste Mal, doch mein Sieg war eindeutig gewesen. Und jetzt stehe ich hier in ihrem Zimmer, angespannt, denn ich weiß nicht, was sie mit dieser ganzen Sache bezweckt. Warum hat sie mich hierher bestellt? Das alles hätte sie mir doch auch unten in der Trainingshalle erzählen können. Manchmal verstehe ich sie einfach nicht. „Findest du mich schwach? Sei ehrlich.“ „Was? Nein! Du bist wahnsinnig geschickt und schnell, hast Ausdauer.“ „Aber es genügt nicht mehr, um besser zu sein als du.“ „So sehe ich das nicht, denn nach wie vor bist du mein stärkster Kontrahent, nur…nur habe ich in letzter Zeit den Eindruck, daß…du ein wenig unkonzentriert bist. Lenkt dich was ab?“ „Wie recht du doch hast.“ Nanu, keine Kopfnuß? Verwundert mustere ich ihre Gestalt wie sie zum Fenster geht und auf die kahle Winterlandschaft hinausblickt. „Du hast dich sehr verändert, bist nicht mehr der kleine Wicht, der mit Verbissenheit versucht sich gegen alles und jeden zu behaupten. Aus dir ist ein richtiger junger Mann geworden, Zorro. Na ja, fast.“ Muß sie so etwas zu mir sagen? Sie weiß doch nur zu gut wie peinlich mir alles ist, jede Bemerkung zu meiner Person, besonders aus ihrem Mund. „Gefalle ich dir?“ Augenblicklich schießt mir das Blut in den Kopf, bin ich diesem Thema doch bis jetzt immer gekonnt ausgewichen, auch wenn eh jeder weiß, daß ich in sie verknallt bin. Aber sie ist zwei Jahre älter als ich, besitzt ein eigenes kleines Auto und nicht zu vergessen, sie ist die Tochter meines Meisters und somit tabu für jedes männliche Wesen in diesem Sonnensystem. „Du sagst ja gar nichts.“ Wieder kommt sie auf mich zu, stellt sich direkt vor mich, wobei ihre schwarzen Augen meine fixieren, so wie sie dies oft vor einem Kampf tut. Aber hier? „Hat es dir…die Sprache verschlagen?“ Ein leises Rascheln, zarte Seide die fällt, um noch zartere Haut zu entblößen. „Zeig mir, daß du ab heute ein richtiger Mann bist…. Happy Birthday, Zorro.“ Kapitel 2: Das Geburtstagsgeschenk ---------------------------------- Hey! Ja, das letzte Kap war mehr als kurz, aber das scheint bei mir das Erste-Kapitel-Syndrom zu sein *g*. Dafür ist dieses dann doch ein gutes Stück länger geworden und dreht sich endlich um die eigentliche Handlung der FF. Solltet ihr Fragen haben, dann immer raus mit der Sprache. @4Kolibris: Was in meinem Kopf so alles vorgeht weiß ich manchmal selbst nicht *g*. Aber die FF soll schon etwas länger werden. @peach06: Was genau fandest du denn am ersten Kap verwirrend? Aber schön, daß du dennoch weiterlesen willst. Vielleicht wird die Story ja noch besser, bemühe mich. @heroeumel: schön, daß du auch wieder dabei bist. @carpe noctem: *dich knuddel* @ninja_saphira: Danke für das Lob *freu* 2. Robin Das Geburtstagsgeschenk „Wo fahren wir heute Abend eigentlich hin, Nami?“ „In einen Club, schließlich hattest du vor zwei Wochen Geburtstag und ich hatte keine Zeit für dich. Außerdem lässt du dich bald von deinem Macker scheiden und allein das ist in meinen Augen schon Grund genug ein Fass aufzumachen. Und was wäre ich zudem für eine Freundin, wenn ich dich nicht ab und zu aus deinem Mauseloch zerren würde, bevor du ganz vereinsamst. Deshalb habe ich uns auch zwei schnuckelige Jungs organisiert, die uns ein wenig den Abend versüßen sollen.“ „Sag nicht, dass du wieder ein paar deiner Ex-Freunde aufgewärmt hast?“ Das hätte mir jetzt gerade noch gefehlt, schließlich haben Nami und ich einen gänzlich verschiedenen Geschmack was Männer anbelangt. Sie steht auf diese flippigen Partyhengste und ich…keine Ahnung! Versager? Ehebrecher? „Nein, keine Sorge, diesmal habe ich mir etwas besonderes ausgedacht. Aber lassen wir uns doch einfach überraschen.“ „Überraschen?“ „Ja, schließlich weiß ich auch nicht, mit wem wir uns treffen werden.“ „Etwa ein Blind Date?“ „So ähnlich.“ Sie hat schon wieder dieses entschuldigende Lächeln auf den Lippen, was meist nichts Gutes verheißt. „So ähnlich? Geht es vielleicht ein bisschen genauer?“ „Na ja, es sind Callboys.“ „Was?!“ Geschockt starre ich sie an, kann ich doch einfach nicht glauben, was sie gerade gesagt hat. „Reg dich ab.“ „Abregen? Ich will mich aber nicht mit einem Typen treffen der für Geld alles tut, egal ob mit Mann oder Frau!“ „Ich sagte Callboys, nicht Stricher. Außerdem brauchst du keine Angst zu haben, er wird dir nichts tun, schließlich habe ich für dich einen der harmlosen Variante geordert. Allerdings bedeutet das auch, dass du definitiv allein heute Nacht schlafen wirst.“ „Soll das etwa heißen, du willst mit einem dieser Kerle…. Hältst du das für eine gute Idee?“ „Nein, natürlich nicht. Es ist viel besser so wie du darauf zu warten, bis der Prinz auf dem weißen Pferd vorbeireitet. Wann hast du dich das letzte Mal amüsiert? Warst du in den vergangenen Jahren überhaupt schon einmal auf einer Party gewesen, von diesen Spießerveranstaltungen deiner Nachbarn mal abgesehen?“ „Mach mich doch fertig.“ „Das machst du schon von ganz allein. Mensch Robin, ich will dir doch nur helfen. Und wenn dir der Abend nicht gefallen sollte, ist doch egal, kostet dich ja nichts außer ein paar Stunden deiner Zeit, die du sonst mit irgendeinem alten Buch verbringen würdest.“ „Na schön,“ resigniert hebe ich ein wenig die Arme. „Schon besser. Also, hier ist dein Anhänger, denn daran erkennst du deine Verabredung.“ „Aha.“ Merkwürdiges Ding. Sieht aus wie ein Silberstab, nur dass ein Stück zu fehlen scheint. „Die andere Hälfte trägt Mr. Unbekannt und wenn ihr euch trefft, steckt ihr beide Teile zusammen und dann kannst du auch seinen Namen darauf vollständig lesen. Siehst du, auf meinem steht Ma. Vielleicht heißt er Mario oder Maurice?“ „Ein R.“ „Solange es kein Z für Zero ist, kannst du zufrieden sein.“ „Nein, mein zukünftiger Ex-Mann hat bevorzugt seine Sekretärinnen bestiegen und dazu bediente er sich wohl kaum eines Anhängers.“ „Das wirst du eher wissen als ich, ob er nicht doch besser zu einem Hilfsmittel greifen sollte.“ „Laß uns nicht über ihn reden, okay? Ich bin froh, dass ich ihn bald los bin.“ „Das ist die richtige Einstellung!“ „Das macht sieben Doller und achtzehn Cent, die Damen.“ Nami drückt dem Taxifahrer etwas Geld in die Hand und wir steigen aus. Ein riesiges Gebäude ragt vor mir in die Höhe aus dem laute Musik und Stimmengewirr dringen, die sich mit dem Straßenlärm hier draußen vermischen. Dutzende von Leuten drängen sich am Eingang vor dem zwei muskelbepackte Kerle stehen, welche die Ausweise kontrollieren. „Komm, wir gehen durch den Seiteneingang.“ „Geht das denn so einfach?“ „Nur wenn man wie wir eine besondere Eintrittskarte hat.“ Sie zeigt kurz auf den goldenen Anhänger in ihrer Hand und zieht mich mit sich. Und wie sie sagte, kommen wir ohne zu warten und größere Kontrollen in den Club, oder zumindest in einen Nebenraum davon. Aber in meinen Augen wäre der Ausdruck Baggerschuppen passender, habe ich bis jetzt doch nur aufgetakelte Weiber und breitbeinig laufende Typen gesehen. Aber da muss ich wohl durch, außerdem gehe ich mir mit meiner schlechten Laune ja schon selbst auf den Wecker. Zudem versucht mir Nami einen Gefallen zu erweisen, da könnte ich wirklich etwas aufgeschlossener sein. Und wenn wir schon mal beim Thema sind, Nami hat natürlich nichts besseres zu tun als gleich auf zwei Typen zuzugehen und einem von beiden frech in den Hintern zu kneifen. Die traut sich was! Aber entgegen meinen Erwartungen sieht dieser ihren kleinen Übergriff nicht als Grund, um selbst bei ihr Hand anzulegen. Er lächelt sie charmant an, verweist sie dabei aber an seinen Begleiter, der auf mich auch einen weniger abgeneigten Eindruck macht, denn ihm scheint zu gefallen, was er sieht. Nami hingegen wirkt im ersten Moment überrascht, entschuldigt sich aber gleich darauf mit einem Lächeln. Sie weiß offensichtlich mit so einer Situation umzugehen. Ich dagegen wäre vor Scham im Erdboden versunken. „Da hab ich mich doch glatt am Geburtstagsgeschenk für meine Freundin vergriffen! Entschuldige. Aber so weiß ich wenigstens, dass du ein echter Third bist, wenn auch ein sehr süßer.“ Kess zwinkert sie ihm zu, ehe sie sich dem nächsten Objekt der Begierde zuwendet, einem schwarzhaarigen Muskelpaket. Er entspricht meines Erachtens absolut Nami’s Geschmack, Sunnyboy, Sommersprossen und ein freches Blitzen in den Augen. Sein Hemd steht halb offen, so dass man seinen durchtrainierten Oberkörper sehen kann sowie eine längere Goldkette. Automatisch werfe ich einen kurzen scheuen Blick auf meine eigene Verabredung, den jungen Mann, den Nami so frech begrüßt hat. Aber ich merke recht schnell, dass ein flüchtiger Augenkontakt mit ihm genügt, um einen zweiten riskieren zu wollen. Außerdem ist es doch mehr als albern seine Verabredung nicht anzusehen bloß weil sich in mir die Befürchtung ausbreitet, jeder könnte mit dem Finger auf mich zeigen, da es sich bei ihm um einen bezahlten Callboy handelt. Er wirkt ein bisschen jünger als Nami’s Begleiter, vielleicht siebenundzwanzig, höchstens. Und er hat grüne Haare und schwarze Augen! Irgendwie bizarr. „Wenn ich uns kurz vorstellen dürfte, das ist mein Freund Ryo und ich bin Marc.“ eröffnet schließlich die Sommersprosse das Spiel, dessen Regeln mir gänzlich unbekannt sind. Nami scheint sich dagegen bestens damit auszukennen, was doch langsam den Verdacht in mir weckt, dass dies nicht ihre erste Verabredung mit einem Callboy ist. Sie greift in Marc’s Hemdausschnitt und fischt das andere Ende ihres Anhängers heraus, das dieser an der Kette um seinen Hals befestigt hat. Sie steckt die beiden Hälften zusammen und entgegnet ihm gut gelaunt: „Ich bin Nami und das ist meine Freundin Robin, der ich mit diesem Abend eine kleine Freude bereiten will. Sie ist ein wenig schüchtern, aber ihr helft mir doch sicherlich dabei dies zu ändern, oder?“ Na toll, jetzt bin ich bereits als Langweilerin abgestempelt, bevor ich auch nur einen Ton gesagt habe. Ich krame nach dem Silberanhänger, den Nami mir vorhin im Taxi gegeben hat und taste mit den Augen verstohlen Ryo’s Körper nach dem Gegenstück ab. Er wird es ja hoffentlich nicht als Bauchnabelpiercing tragen. „Darf ich?“ Ertappt! Doch erleichtert stelle ich fest, dass mein Gegenüber seinen Teil des Anhängers lediglich an einer Silberkette an seiner engen schwarzen Hose trägt. „Kommt, ich will endlich feiern!“ Nami hakt sich bei diesem Marc ein und die Beiden eilen voraus, während ich nicht weiß, wie ich mich Ryo gegenüber verhalten soll. Ich kenne ihn nicht, folglich möchte ich auch nicht Arm in Arm mit ihm durch die Gegend laufen. „Gehen wir? Sonst hat uns deine Freundin gleich abgehängt.“ Erfreut stelle ich fest, dass er keinerlei Anstalten zeigt mir auf die Pelle rücken zu wollen und so laufen wir einfach nebeneinander den beiden anderen hinterher. Ich bin froh, dass er meine Distanziertheit zu akzeptieren scheint. Zu Beginn dieses merkwürdigen Abends fühlte ich mich völlig fehl am Platz, denn Discos gehörten noch nie zu den Orten, von denen ich mich besonders angezogen fühlte. Aber inzwischen habe ich meine Meinung geändert, denn wie ich feststellen musste, ist mein Begleiter nicht nur gutaussehend und charmant, nein, man kann sich mit ihm auch prima über Gott und die Welt unterhalten. Außerdem versteht er etwas von guten Cocktails, denn noch keinen den ich auf seine Empfehlung hier getrunken habe, hat mir nicht geschmeckt. Gut, normalerweise geht man nicht in so einen Laden, um zu erzählen, aber mir ist nun mal nicht nach wildem Herumgehopse, bei dem man sich meist eh nur blaue Flecken einfängt, weil ja jeder andere glaubt, allein auf der Tanzfläche zu sein. Aber zum Glück gibt es auch hier eine Etage, die nur für das leibliche Wohl reserviert ist. Nami und Marc tingeln gemeinsam von einer Tanzebene zur nächsten, wobei sie gelegentlich bei uns vorbeikommen, um sich auszuruhen und etwas zu trinken. So wie im Moment gerade. „Hey Robin, du kannst ja richtig was vertragen!“, kichert mir Nami ins Ohr, ist sie doch schon ziemlich stark angeheitert. „Wir wollen uns auch gleich verziehen“, flüstert sie hinterher, woraufhin ich sie ein wenig irritiert ansehe. „Es ist doch erst halb zwölf.“ „Dummerchen. Ich hab ja auch noch was anderes vor, etwa schon vergessen? Du kannst mit Ryo von mir aus noch erzählen, bis die hier den Laden schließen, das ist dir überlassen.“ „Nami, willst du wirklich…“ „Mach dir keine Sorgen um mich, ist schließlich nichts dabei.“ Sie drückt mir einen Kuss auf die Wange, ehe sie wieder von ihrem Platz aufsteht und mir zum Abschied zuzwinkert. Auch Marc gibt seinem Freund ein Zeichen, so dass dieser ihm zunickt. Ich habe ein ungutes Gefühl! „Sie hat dich wohl ein bisschen mit dem Abend überrumpelt, wie?“ „Ein bisschen ist gut. Zudem versteht sie nicht, dass ich mir Sorgen um sie mache, immerhin…na ja sie kennt Marc doch gar nicht. Früher war sie mir ihren Discobekanntschaften auch zufrieden gewesen.“ „Aber meinst du nicht, dass es so für sie sicherer ist?“ „Weshalb?“ „Nehmen wir an du angelst dir einen Mann, weil du ein Abenteuer für eine Nacht suchst. Woher kannst du dir sicher sein, dass er sich an die Regeln halten wird?“ „Ich merke schon, in diesem Metier kenne ich mich überhaupt nicht aus.“ „Deshalb hat Nami für dich auch einen Third ausgesucht, folglich mich, und für sich selbst einen Second.“ „Seid ihr nicht beide einfache Callboys?“ Da mein Blick immer fragender zu werden scheint, meint er mit einem charmanten Lächeln auf den Lippen: „Ich erkläre es dir. Callboys teilt man grundsätzlich in drei Kategorien ein, First, Second und Third Class. Diese wiederum unterteilen sich in zwei bis drei Untergruppen, je nach Agentur, für die sie arbeiten. Die unterste Kategorie wäre ein Third Class dritten Grades, so nennt man die Anfänger, die erst mit den Regeln vertraut werden müssen, folglich stehen sie für eine Frau auch nicht zur Verfügung. Generell werden wir Thirds zu Tänzern ausgebildet, vom einfachen Standardtanz bis zu Breakdance, House und was weiß ich noch alles. Aber abgesehen davon besteht unsere Hauptaufgabe darin, ein guter Begleiter zu sein. Ein Third zweiten Grades unterscheidet sich von dem eines ersten Grades lediglich durch den Schulabschluss, den er hat.“ „Darf ich dann vermuten, dass du ein Third Class ersten Ranges bist?“ „Gut erkannt. Deshalb ist meine Nummer auch die 311.“Er kramt den Stick aus seiner Hosentasche und zeigt mir die kleine eingravierte Zahl. „Und was machst du als Third anders als Marc, der ein Second ist?“ „Kurzum, ich werde nicht dafür bezahlt, dass ich mit meinen Kundinnen schlafe. Ein Third ist zum Ansehen da, ein Second zum Anfassen, aber nur bedingt.“ „Bedingt? Wie soll das gehen, wenn man mit jemandem…schläft?“ Gott, komm ich mir blöd vor! „Siehst du die Beiden dort drüben in der Ecke? Er ist mit Sicherheit ein Second. Sie fummeln aneinander rum, aber mehr nicht, denn sich zu küssen ist nicht erlaubt.“ „Ach so. Ist denn noch mehr nicht erlaubt?“ „Ja, aber so genau weiß ich darüber nicht Bescheid, ist schließlich nicht meine Liga. Keinerlei Einschränkungen gibt es bei den Firsts, aber eine Nacht mit denen kostet ein kleines Vermögen.“ „Darf ich dich etwas fragen, etwas persönliches?“ „Fragen darfst du alles und ich entscheide dann, ob ich dir darauf antworte oder nicht.“ „Warst du auf dem College?“ Verblüfft sieht er mich an, dann nickt er. „Sport und Informatik waren meine Hauptfächer.“ „Und warum arbeitest du dann für diese Agentur?“ „Manchmal ist die einfachste Antwort, die richtige.“ „Du bist jung und brauchst das Geld?“ „So in etwa.“ Kurz muss ich lachen, aber nicht nur aufgrund seiner Worte, sondern auch, weil er mir einfach sympathisch wird. Ich habe nicht den Eindruck, dass er Storys erfindet, um mich davon zu überzeugen, was für ein toller Hecht er doch ist. „Und was ist mit dir? Nein, lass mich raten. Du bist sehr belesen, wobei du den Schwerpunkt auf aktuelle politische Themen, aber auch Geschichte und Völkerkunde legst. Vielleicht hat es sogar mit deinem Beruf zu tun? Dazu habe ich den Eindruck, dass du bis vor kurzem in festen Händen warst, denn du kennst dich in der Welt der Singles nicht aus, zudem ist die Haut an deinem rechten Ringfinger noch ein bisschen blass, was auf einen Ring schließen lässt.“ Meine Augen werden von Satz zu Satz größer, denn dieser Typ scheint mich besser zu kennen als es mein Ex-Mann je tat. „Stimmt, ich lebe von meinem Mann getrennt und in zwei Monaten ist er dann nur noch mein Ex-Mann. Zudem bin ich Dozentin für Archäologie und Völkerkunde an der U.C. Los Angeles. Hat dir das dein siebter Sinn verraten oder hast du meinen Lebenslauf gelesen?“ Bienchens kleine Cocktailrunde: Hier stelle ich euch immer zwei Cocktails vor, einen mit und einen ohne Alkohol. Dabei versuche ich ein wenig die Charas oder Situationen auf andere Art und Weise darzustellen. Hoffe es gefällt euch! Los Angeles Angelina 4cl Scotch Whisky 4cl Orangensaft 2cl Zitronensaft 10 Ananaswürfel 1 Ei Eiswürfel 1 Spritzer Vermouth Sweet 2 Spritzer Himbeer- oder gestoßenes Eis Erdbeersirup Kapitel 3: Ich bin nicht ich ---------------------------- HI! @Silja: Danke für das Lob, hoffe natürlich, dass dir das neue Kap ebenfalls gefallen wird. @--Ninja--: Ja, Robin sollte sich wirklich eine Scheibe von Nami abschneiden, aber darum geht es ja u.a. in dieser FF. Ich bemühe mich um mehr Absätze! @heroeumel: Was soll ich sagen? Ich freue mich immer etwas von dir zu hören. Merci! @peach06: Ja, Kuina lebt zum Zeitpunkt von Zorro's Erinnerungen noch und sie wird auch eine kleine, aber entscheidende Rolle spielen. Ansonsten steht mein Lieblingspairing natürlich im Vordergrund. @Manuskript: Erstens bin ich sehr erfreut darüber, dass du mir einen Kommi schreibst, obwohl du ZoXSa Fan bist, aber diese FF nicht unter das Genre Shonen-ai fällt. Die Zwei sind nur sehr gute Freunde. Sanji taucht bald auf und wird später in der FF immer wichtiger. Zweitens möchte ich mich für das Lob bedanken. @4kolibris: Wie man auf solche Ideen kommt? Wenn ich das nur wüsste...bin eben einfach ein verrücktes Huhn. Viel Spaß beim Lesen! LG Stoechbiene 3. Zorro Ich bin nicht ich Ein neues Treffen, eine neue Lüge. Mein Handtuch fällt, ebenso meine wahre Identität. Der alte zurückgezogene Zorro verliert an Bedeutung, wird ersetzt durch sein anderes Ich, den Schönling Ryo, nach dem die Frauen verlangen. Wie lächerlich dieses Spiel doch ist! Ich werfe einen Blick in meinen Kleiderschrank, sehe Unmengen von Klamotten, die alle nicht ich ausgesucht habe, zumindest nicht freiwillig. Was Kuina dazu gesagt hätte? Wahrscheinlich so etwas wie: „Stell dich nicht so an, siehst doch chic aus. Außerdem werde ich jede andere Frau verprügeln, die dich anstarren sollte!“ Sie war so verrückt, aber dafür liebte ich sie. Wäre sie doch nur noch bei uns, dann wäre diese ganze Scheiße nie passiert. Aber ich darf nicht daran denken, muss stur dem Weg folgen, auch wenn mich das noch so sehr ankotzt. Ich werfe einen Blick auf die E-Mail, die mir die Agentur zu jedem Treffen schickt, in der die wichtigsten Daten für mich enthalten sind, sofern unser Dummerchen am Empfang nicht wieder alles durcheinandergebracht hat. Aber hier schließe ich eigentlich aus, dass Cindy Mist gebaut hat, denn Elena ist eine meiner Stammkundinnen, folglich kenne ich ihre Vorlieben. Schwarze enge Klamotten und endloses Abhängen in irgendwelchen Discos. Wenn ich es mir recht überlege, sehen so die meisten meiner Verabredungen aus. Ich takle mich auf als hätte mich ein verrückter Designer optisch vergewaltigt, nur um mich dann mit einer Frau zu treffen, die mir mit den Augen wieder die Klamotten vom Leib reißt. Aber solange es nur bei den Blicken bleibt, bin ich ja schon zufrieden. Noch ein wenig Haargel, Parfum und meine Jacke, der Stick, meine Busfahrkarte und schon bin ich ein anderer. Jemand, der ich nie sein wollte. Die Luft ist schlecht, die Musik zu laut für das Soundsystem, doch hier auf der Tanzfläche vergesse ich das Ganze für einen Moment. Jetzt kann ich mich frei bewegen, ausdrücken, einfach ich sein, auch wenn ich spüre, wie Elena versucht mich anzutanzen, nein zu provozieren. Und ich spiele dieses Spiel mit ihr, gaukle ihr mein Interesse vor, während ich ihr gleichzeitig aus dem Weg gehe. Es ist ein Balanceakt zwischen ja und nein, Begierde und Ablehnung, Illusion und Wirklichkeit. Ich schlüpfe für sie in die Rolle des Mannes, den sie haben will, aber kommt sie mir zu nah, bemühe ich mich darum ihrer Offensive geschickt auszuweichen. Dabei darf sie sich aber nicht abgelehnt fühlen, sonst bekomme ich Ärger mit meiner Chefin, wenn man sie so nennen will, und das möchte ich nun wirklich nicht. Doch sobald eine gewisse Grenze überschritten wird, bleibt mir gar keine andere Wahl als deutlicher zu werden und das versteht dann sogar meine Chefin, wenn ich es denn richtig anstelle. Und nun ist so ein Moment gekommen, wie ich ihn bestimmt schon dutzendfach erlebt habe. Gegen enges Tanzen habe ich nichts einzuwenden sofern mir die Frau sympathisch genug ist, aber ich kann es gar nicht leiden, wenn man mir dabei an die Wäsche geht oder sich wie hier an meiner Hose zu schaffen macht. Ich bin Third und kein Second, das ist für keine meiner Verabredungen ein Geheimnis, aber dennoch kommt es oft vor, dass man mir mehr als eindeutige Angebote unterbreitet. „Sag mal Süßer, wie wäre es, wenn wir von hier verschwinden würden und uns anderweitig amüsieren gehen?“ Spätestens wenn ein Treffen an diesem Punkt angelangt ist, weiß ich, weshalb mich dieser Job so ankotzt. Es ist nicht deshalb, weil ich mit mehreren verschiedenen Frauen unterschiedlichen Alters ausgehe, sie unterhalte, mit ihnen flirte, sondern weil sie alle nach einer gewissen Zeit aus unseren Treffen ein horizontales Abenteuer werden lassen wollen. Viele meiner Kollegen, falls man sie denn so nennen kann, gehen darauf ein, schlafen mit einer Fremden, ohne Gefühl, ohne Liebe, nur mit dem Körper, rein mechanisch. Aber ich kann das nicht, ekle mich davor. Für mich gab es immer nur eine Frau, meine Frau, der ich das Versprechen gab, nur sie zu lieben, von ganzem Herzen, mit Leib und Seele. Zwar ist mir schmerzlich bewusst, dass sie tot ist und ich hoffentlich nicht ewig Single sein werde, aber dennoch habe ich das Gefühl, dass ich Kuina betrügen würde, wenn ich auf eines dieser billigen Angebote eingehen würde, auch wenn ich das Geld brauchen könnte. Behutsam bringe ich Elena wieder auf Distanz, während ich ihr fest in die Augen sehe und bestimmt den Kopf schüttle. „Weißt du eigentlich, wie gemein das ist, Ryo? Lächelst mich an auf deine süße Art und Weise, zeigst mir wie attraktiv du bist, lässt mein Herz höherschlagen, aber meine Sehnsucht erfüllst du mir nicht. Ich nehme dir das nicht übel, aber mir genügt es nicht mehr dich nur anzusehen. Es war eine schöne Zeit mit dir, aber wir sollten uns nicht mehr treffen.“ Der Bus, der von Downtown zum Stadtrand fährt, ist völlig überfüllt, so dass ich nur einen Stehplatz im Mittelteil ergattern kann. Aber ich muss auch nicht unbedingt sitzen, solange ich mich an einer der Querstangen an der Decke festhalten kann, genügt mir das. Die Nacht ist zum Glück vorbei, wenn auch anders als geplant. Gut, ich wusste, dass Elena nicht lockerlassen und sie mich heute wieder nach einem Second-Treffen fragen würde, war schließlich nicht das erste Mal. Also habe ich ihr einen Second empfohlen, nämlich Ace, so wie es von mir verlangt wird. Teilnahmslos blicke ich aus dem Fenster, fiebere aber gleichzeitig dem Moment entgegen aus der Öffentlichkeit zu verschwinden, mich auf die gemütliche Couch zu legen und noch ein wenig fernzusehen, auch wenn vermutlich eh nur Schund läuft. Doch meine Vorfreude wird jäh unterbrochen, als ich wieder diese Blicke auf mir spüre. Wie ich das hasse! Es ist mir egal, wenn mich jemand mustert, von mir aus auch kurz anstarrt, aber sobald ich regelrecht fühlen kann wie fremde Augen mich ausziehen, Knopf für Knopf jede schützende Faser einzeln von meiner Haut reißen, möchte ich ausrasten! Immerhin ist es mein Körper und ich will allein darüber entscheiden, wer ihn sehen oder gar berühren darf, zumindest soweit dies meine eingeschränkte Freiheit zulässt. Im Grunde kann ich froh sein, dass man mich nicht dazu zwingt als Second zu arbeiten, denn das würde ich nicht durchstehen. Aber wie lange das noch so sein wird, ist ungewiss, denn früher oder später wird man mich bestimmt dazu nötigen, um Profit daraus zu schlagen. Alvida. Diese aufgetakelte Primadonna weiß nur zu gut, dass sie die Macht dazu hat mich zu allem zu zwingen, was ihr in ihrem kranken Gehirn so vorschwebt. Dennoch tut sie es nicht. Die Gründe dafür sind mir nur teilweise bekannt, aber vielleicht ist das auch besser so. Zum einen bin ich ihr Vorzeigemann unter uns Thirds, besonders wenn es darum geht einer Frau aus besten Kreisen einen seriösen Begleiter an die Seite zu stellen und zum zweiten bin ich der Ansprechpartner für die Jungs in der Agentur, wenn es Probleme gibt. Damit schlägt sie sich nämlich nicht gerne rum. Endlich hält der Bus mit quietschenden Bremsen an meiner Haltestelle, so dass ich diesen aufdringlichen Blicken entkommen kann. Zufrieden atme ich die Frühlingsluft ein, während ich gewohnt schnellen Schrittes durch die Straßen gehe. Ein paar Betrunkene torkeln an mir vorbei, grölen dabei irgendwelche Gassenhauer, aber ich beachte sie nicht weiter. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehen auch ein paar Prostituierte, die um diese Uhrzeit auf einen schmierigen Freier warten, nur um sich von dem Geld am Leben halten zu können. Stumm nicke ich zwei von ihnen zu, denn würde ich etwas zu ihnen sagen, würde man sofort aufmerksam auf uns werden und sie könnten dadurch den ein oder anderen Kunden verlieren. Sally ist schon lange dabei, kennt die Szene, während Nicki ein ganzes Stück jünger ist als ich. Ich bezweifle, dass sie achtzehn war als sie anfing anzuschaffen, aber das interessiert niemanden. So gesehen kann ich dankbar darüber sein, dass ich nicht an ihrer Stelle bin, sondern durch die Agentur wenigstens halbwegs anständige Kundinnen habe und ihnen auch nicht meinen Körper verkaufen muss. Ich schließe die Haustür auf, betrete den modrig riechenden Flur und eile die beiden Treppenabsätze zur Wohnung hoch. Leise öffne ich die Wohnungstür, aber ich bin noch nicht ganz drin als ich sehe, dass im Wohnzimmer noch Licht brennt. Ob Ace mal wieder vor dem Fernseher eingeschlafen ist? Wäre ja nicht das erste Mal. Und kaum betrete ich besagtes Zimmer, sehe ich meinen Mitbewohner mit offenem Mund leise schnarchend auf dem Sofa liegen, die Füße auf dem Tisch. Aber das ist nicht der Grund, weshalb in mir der Wunsch wächst, ihm eine zu verpassen. „Warum bist du nicht im Bett, junger Mann?“ Augenblicklich stoppt das lärmende Geräusch aus dem Fernseher, als mein vierjähriger Sohn von der PlayStation ablässt und zu mir aufsieht. „Hallo Papa!“ Wie ein Gummiball hüpft er herum und kommt auf mich zugeeilt, so dass ich ihn hochhebe. „Ich hab ganz viele Sternchen gefunden! Und den Löwen hab ich auch besiegt!“ „Ganz ruhig, du bist ja völlig überdreht. Geh dir die Zähne putzen, okay?“ „Ja!!“ Ich setze ihn wieder auf den Boden und wundere mich über seine Begeisterung. Aber als ich die Spielkonsole ausschalte, wird mir auch klar warum der Kleine nachts um drei noch so munter ist. Cola. In einer ruppigen Bewegung fege ich Ace die Beine vom Tisch, so dass er unter einem letzten Grunzen aufwacht. „Was?! Hey Zorro, was geht?“ „Was geht? Sag mal, tickst du nicht mehr ganz richtig? Es ist drei Uhr nachts und Diego spielt Videospiele, während du vor dich hin schnarchst! Außerdem weißt du ganz genau, dass er keine Cola trinken darf!“ „Ey Mann, tut mir leid, bin einfach eingepennt. Außerdem hab ich das als Kind auch immer getrunken, hat mir nicht geschadet.“ „Da wäre ich mir nicht so sicher. Du bist echt verantwortungslos.“ „Und du ein Spießer.“ „Diego ist noch ein kleiner Junge, das weißt du genau!“ „Ist ja gut, Mama. Spiel nicht immer die Glucke, ist ja ätzend.“ Damit scheint für ihn die Diskussion beendet zu sein und er verzieht sich in sein Zimmer. Typisch, auf ihn ist echt kein Verlass. Aber einen Babysitter zu finden ist nun mal schwer. Ich ziehe meine Jacke aus und gehe ins Bad, um nach meinem Sohn zu sehen. Aber anstatt sich die Zähne zu putzen, versenkt er lieber die Seife im Waschbecken. Ich sehe schon, das wird eine lange Nacht werden, wenn der Knirps einen Colarausch hat. Manchmal könnte ich Ace wirklich umbringen! Bienchens kleine Cocktailrunde Fallen Angel Peppermint on Ice 1 Spritzer Angostura 150ml Milch Saft einer Zitrone/Limette 2 El Pfefferminzsirup 4cl Gin 400g Pfefferminzeis Eis frische Minzzweige 2 Spritzer grüner Crème de Menthe Kapitel 4: Erinnerungen: Peinliche Momente ------------------------------------------ Hey! Schön, daß euch meine FF so gut gefällt und daß ihr euch auch über Diego's Erscheinen so freut. Die Charakterbeschreibungen aktualisiere ich von Zeit zu Zeit, wenn jemand neues dazugekommen ist. Viel Spaß weiterhin! LG Stoechbiene @peach06: Du liegst mit deinen Vermutungen richtig! Warum Zorro und Diego bei Ace wohnen wird erst in einem späteren Kap erklärt, aber ich vergesse es nicht. @Miss_Puma_D_Ace: Schön, daß dir Diego gefällt. Manche kenne ihn ja schon, aber hier kannst du ihn auch in Action erleben. @Heroeumel: Zorro haßt seinen Job wirklich, aber die Hintergründe dazu gibt's erst später. @cada: Voilà, hier ist die Fortsetzung! XD @Silja: Ähm...liest du das Kap trotzdem, auch wenn Diego da nicht drin vorkommt? Aber im nächsten tollt er wieder rum, versprochen! @Jet-chan: Noch ein Diego-Fan? @Jen-chan: Ich beeil mich ja! @4Kolibris: Oh, da hab ich dir wohl unbeabsichtigt einen Gastauftritt verpaßt. Aber interessant, wofür du dein Geld ausgibst XD @CDTini: Cool, mal wieder von dir zu hören. 4. Zorro Erinnerungen: Peinliche Momente „Zum Abschluss des heutigen Trainings werdet ihr noch ein paar Runden im Park laufen, damit ihr eure gute Kondition nicht verliert, klar?“ „Ja, Meister!“, rufen wir alle wie aus einem Mund und joggen auch schon los. Überall riecht es nach frisch gemähtem Gras und die Luft ist süß und warm. Ich trainiere gern, mag dieses Gefühl, wenn sich meine Muskeln spannen unter der Kraft eines Schwerthiebes. Nichts ist derart befreiend! Aber heute würde ich auch einfach gern ein bisschen den freien Tag genießen. Ob Kuina wohl Zeit hat? In den letzten Wochen mussten wir Beide viel für die Schule lernen, sie sowieso, weil bald ihre Abschlussprüfungen stattfinden. „Lahme Ente!“. höre ich sie nur brüllen, ehe sie geschwind an mir vorbeirennt. Na warte! Ich beschleunige meine Schritte und hole sie ein, so wie sie es auch sicherlich beabsichtigt hat. Weit vor dem Verfolgerfeld können wir in Ruhe reden, ohne dass es jemandem auffällt, schließlich denken die anderen, wir liefern uns wie immer ein Wettrennen. Weit gefehlt! „Hast du gleich Zeit?“ „Ja, muss erst um neun wieder im Heim sein.“ „Schön, du lahme Ente!“ Und wieder rennt sie vor. Hat die was genommen? Wie Kuina es vorgeschlagen hatte, habe ich zuerst mit ihr die Trainingshalle aufgeräumt und bin anschließend duschen gegangen, wobei ich mir Zeit ließ, damit die anderen möglichst schon gegangen waren. Jetzt ist keiner mehr da und wie so oft sitze ich nun hinter dem Haus auf der Terrasse und warte auf sie. Wir halten es geheim, dass wir zusammen sind, denn erstens würde ihr Vater mich umbringen und zweitens hätten bestimmt meine Erzieher im Heim ein Problem damit, wenn sie erfahren würden, dass ich mit einem zwei Jahre älteren Mädchen eine Beziehung habe. Kuina hat auch selbst gesagt, dass sie zwar schon sehr lange um meine Gefühle für sie wusste, aber diese erst an meinem sechzehnten Geburtstag erwidern durfte, sonst hätten wir ernsthafte Schwierigkeiten bekommen können, schließlich galt ich davor als minderjährig. „Na, fertig?“ „Ja.“ Ich sehe sie an, ihre dunklen Augen, die mich sanft fixieren. Manchmal kann ich mein Glück kaum fassen, dass wir wirklich zusammen sind, schließlich ist sie die Tochter meines Meisters und ich ein einfacher Junge aus dem Waisenhaus. Sie setzt sich vor mich, streicht mir durchs Haar, dass es mich kribbelt. „Paps ist eben weggefahren, Karten spielen mit seinen Freunden“, haucht sie mir auf die Lippen, aber noch bin ich unentschlossen sie zu küssen. Stell dich nicht so an! Schimpfe ich mich selbst in Gedanken und rücke ein Stück näher zu ihr hin. Zögernd berühre ich mit meinen Lippen ihre Wange, küsse sie leicht, ehe ich weiterwandere. Ihre heißen Lippen empfangen meine, necken sie. Sie küsst so gut! Unsere Zungen treffen sich, tanzen, spielen, lassen mich nicht genug kriegen von ihr. Auch meine Hände tasten sich vor, langsam, will ich doch nichts Falsches tun, ihr lediglich meine Liebe zeigen. Sie trägt wieder diesen Yukata aus Seide, den sie auch an meinem Geburtstag an hatte. Allein der Gedanke daran lässt mich erröten, wie sie vor mir stand, ihren zarten Körper enthüllte und mir ihre Liebe schenkte. Seitdem sind wir ein Paar, wenn wir auch kaum Zeit für uns allein haben. Ich ziehe sie näher an mich ran, will sie so schnell einfach nicht mehr loslassen. Meine Hände gleiten von ihren Schulterblättern zu ihrer Taille, spüre wieder einmal, wie zierlich sie trotz ihrer Stärke ist. Ich arbeite mich weiter vor und spüre dabei sofort, wie ihr Kuss drängender wird, obwohl ich ihre Brust noch nicht erreicht habe. Für einen Moment spiele ich sogar mit dem Gedanken sie ein wenig hinzuhalten, nur um zu sehen, wie sie darauf reagiert, aber das würde ich selbst keine Sekunde aushalten! Also wandern meine Hände weiter nach oben, bis ich ihre sanften Rundungen an meinen Handflächen spüren kann. Wie Musik klingt ihr sanftes Seufzen, so dass ich ein wenig Druck ausübe. Ihre Hände legen sich auf meine, verstärken den Druck um ein Vielfaches, entlocken ihr ein leises Stöhnen, wodurch sich unser Kuss löst. Ihre Wangen sind leicht gerötet, ihre Augen glitzern verträumt, dass ich sie erneut küssen muss. Sie lässt von meinen Händen ab und öffnet die Verschnürung ihres Kimonos, dass ich keinen Augenblick zögere und meine Hände unter die Seide schiebe, um in den Genuss ihrer zarten Haut zu kommen. Ich drücke mich ein wenig gegen sie, so dass sie ohne Worte versteht, dass sie sich hinlegen soll. Bereitwillig kommt sie meiner stummen Aufforderung nach, zieht mich mit sich nach unten. Doch gerade als ich anfange mutiger zu werden, kommt sie mir zuvor. Sanften Druck übt ihre Hand auf meinen Schritt aus, über den sie auffordernd streicht, was nicht ohne Folgen bleibt. Unsere Lippen trennen sich und ich sehe ihr kesses Lächeln, was sie mir aufgrund meiner wachsenden Erregung schenkt. „Lass uns nach oben gehen….“ Zu mehr als einem Nicken bin ich nicht fähig, ist mein ganzes Ich doch nur von einem Gedanken erfüllt: Kuina! Sie will aufstehen, doch ich halte sie auf, indem ich sie auf meine Arme hebe. Überrascht sieht sie mich an, aber ich antworte nur: „Das wollte ich schon immer mal tun, dich über die Schwelle tragen.“ Mit großen Augen sieht sie mich an, aber ich antworte ihr nicht, sondern laufe mit ihr auf meinen Armen ins Haus zu ihrem Zimmer, weiß ich doch selbst nicht, weshalb ich ihr das verraten habe. Aber kaum befinden wir uns in ihrem Reich, ist das wieder vergessen, denn hier können wir ungezwungen sein. Behutsam lege ich sie auf ihr Bett, lasse mich aber dabei von ihr mit auf die Matratze zerren. „Zieh dein Shirt aus…“ wispert mir ihre heiße Stimme ins Ohr, dass es mich prickelt. Gefangen vom Rausch der Gefühle komme ich ihrer Aufforderung nach, will ich sie doch spüren, überall. Nervös bin ich, nicht zuletzt, weil sie halbnackt vor mir liegt. Doch ich unterdrücke meine Nervosität, will ihr zeigen, dass ich trotz meines Alters Reife besitze. Meine Hände schieben den Kimono über ihre Schultern, gewähren freie Sicht auf ihren Körper, der mich magisch anzieht. Sie ist so wundervoll, zart und doch übt sie eine Macht auf mich aus, die ich nicht in Worte fassen kann. Vielleicht ein bisschen wie eine Droge, meine Droge, meine Liebe. Tief atme ich den süßen Geruch ihrer Haut ein, will ihn mir merken, verinnerlichen, ganz tief in meinem Herzen. Meine Lippen kosten von ihrem Hals, ihrer empfindsamen Brust, der kitzeligen Haut ihres Bauchnabels. Sie kichert leise. Vorsichtig schiebe ich meine Finger unter ihren Slip, den ich beginne langsam nach unten zu ziehen. Meine Lippen folgen dem kleinen Stückchen Stoff, hauchen einen Kuss auf ihren Venushügel. Spürbar geht ein Zucken durch ihren Körper, so dass ich zu ihr aufsehe. Sie ist ein wenig rot im Gesicht, was mich leicht grinsen lässt. Eine winzige Schwachstelle an meiner sonst so starken Schwertkämpferin. Erneut küsse ich die empfindsame Haut, necke sie mit meiner Zunge, während ich sie ganz ausziehe. Ihre Finger gleiten durch mein Haar, verraten mir ihr Wohlgefallen. Ob ich weiter gehen soll? Ein wenig spreize ich ihre Beine, um sie besser erkunden zu können. Ohne Scheu zeigt sie sich mir, atmet erregt schnell ein und aus, führt mich so unbewusst in die Position, die ihr am besten gefällt. Inzwischen krallt sie sich regelrecht in mein Haar, nicht schmerzhaft, aber fordernd. Ich gehe wieder auf Abstand zu ihr, will ihr in die Augen sehen, doch ungeduldig wie sie ist, kommt sie mir entgegen, drückt mir ihre heißen Lippen auf, während ihre Hände an meiner Hose herumzerren. Kaum, dass alle Klamotten von uns aus dem Bett geflogen sind, komme ich in den wahnsinnig schönen Genuss ein Gefangener ihrer langen Beine zu sein. So viele Tage ist es her, dass wir zuletzt miteinander geschlafen haben, uns spüren konnten. „Ich liebe dich, Kuina“, wispere ich in ihr Ohr, ehe ich es sanft liebkose. Ihre Hände wandern meinen Rücken hinab, kann ihre Fingernägel spüren, sanft kratzend, sich steigernd. Der trommelnde Rhythmus unserer Herzen treibt das Spiel voran, lässt uns die Welt vergessen. „Kuina, weißt du was das für komische Geräusche…!“ Erschrocken zucken wir zusammen, starren wie gebannt zur Tür, in der ihr Vater steht. Shit! Gehetzt starren wir uns an, ehe mein Meister sich mit einem Räuspern von uns abwendet und die Tür hinter sich schließt. „Das hat uns gerade noch gefehlt…“ murmelt Kuina, während wir uns vorsichtig voneinander lösen, um uns wieder anzuziehen. Schweigend schlüpfen wir in unsere Klamotten, ehe wir das Zimmer verlassen. Ein ungutes Gefühl breitet sich in meiner Brust aus, denn dass uns jetzt eine Standpauke erwartet, dürfte außer Frage stehen. „Hältst du zu mir? Ich meine, egal was kommt?“ Im ersten Moment bin ich über ihre Worte erstaunt, doch dann lächle ich sie an und entgegne ihr: „Kuina, ich…. Du weißt, dass du mir diese Frage nicht zu stellen brauchst, denn die Antwort darauf ist klar.“ Sie nickt wissend, ehe sie mir einen flüchtigen Kuss gibt. „Dafür liebe ich dich.“ Ich drücke kurz ihre Hand, dann treten wir hinaus in den Garten, wo ihr Vater schon auf uns zu warten scheint. Schweigend steht er da, den Blick starr auf den kleinen Springbrunnen gerichtet, der leise vor sich hinplätschert. „Die Zeit vergeht viel zu schnell, meine Kinder. Gerade war ich noch ein junger Vater, jetzt muss ich mit ansehen, wie meine Tochter erwachsen wird. Ich habe es mir ja fast gedacht, das mit euch beiden, aber die Realität ist doch um einiges härter. Ihr solltet nur…seid bitte vorsichtig mit dem was ihr tut, ja?“ „Es tut mir leid, Paps. Wir hätten es dir sagen sollen, aber…es tut mir ehrlich leid.“ „Schon gut. Außerdem war doch klar, dass für dich nur jemand in Frage kommen würde, der dir im Schwertkampf das Wasser reichen kann. Allzu viele Möglichkeiten gibt es da ja nicht.“ Bienchens kleine Cocktailrunde: Lime’n’Lemon Hour Lime and Lemon Cooler 2cl Eierlikör 1 Eiweiß 1cl Wodka 3-4 El Zucker 1cl Limettensirup 2 Limetten, in Achtel geteilt Eis 1 Zitronengrasstengel, gehackt Zitronenlimonade 4 Eiswürfel 1 Limettenspirale 120ml Wasser 4 Limettenscheiben Sodawasser Kapitel 5: Freunde ------------------ 5. Zorro Freunde Es war kurz vor zwölf als der Kleine und ich endlich aufgestanden sind. Zum Glück ist Wochenende, sonst hätte ich wieder mit Diego’s Kindergärtnerin Stress gekriegt. Die geht mir eh so auf den Sack! Ich schüttle diesen Gedanken ab, denn den Tag brauche ich mir nicht auch noch selbst zu verderben, reicht schon, dass ich gleich in die Agentur muss. Aber zuerst darf ich den Fragebogen über den gestrigen Abend ausfüllen. Wo wir waren, wie lange, was wir gemacht haben und ob nicht aus dem Third ein Second-Treffen wurde. Nerv! Aber das muss sein, damit die Kundin auch nur das bezahlen muss, was sie bekommen hat, denn so wie ich muss auch sie einen Fragebogen ausfüllen. Ich ergänze noch die Tatsache, dass Elena zukünftig auf ein Treffen mit mir verzichten will, da sie lieber mit einem Second ausgehen möchte, dann bin ich damit auch schon wieder fertig. Eigentlich ist genau das meine Aufgabe, auf längere Frist eine Kundin an einen Second oder First weiterzugeben, denn daran verdient Alvida ja mehr. Geldgieriges Weibsbild! „Bin fertig!“ Ich hebe den Blick und sehe zu Diego, der mich mal wieder zu imitieren versucht. Er hat seine schwarze Jeans angezogen und dazu eines meiner Hemden, was ihm natürlich zehn Nummern zu groß ist und er es deshalb in Kniehöhe zusammengebunden hat. Durch den viel zu weiten Hemdkragen kann ich Krümelmonster erkennen, das breit lachend auf Diego’s T-Shirt abgebildet ist. Die absolute Krönung ist allerdings mein Bandana, das er sich dreimal um den Oberarm gewickelt hat. Maskenball, ich komme! „Zieh das Hemd aus.“ „Warum?“ Ich verkneife mir das Lachen und antworte ernst: „Weil das nicht so passend ist, wenn wir Sanji nachher besuchen. Siehst du, ich trage auch kein Hemd.“ „Okay.“ Ich packe die Unterlagen ein, schnappe mir meine Jacke und eile in den Flur, wo auch Diego bereits mit seinem kleinen Rucksack wartet. Er freut sich immer riesig, wenn wir Sanji besuchen gehen und auch ich freue mich darauf, denn wir haben ihn schon eine Weile nicht mehr gesehen, bestimmt fast zwei Wochen. Doch bevor wir ins Baratie gehen, um Sanji ein bisschen von seiner Arbeit abzuhalten, muss ich noch in die Agentur. Warum die ausgerechnet den Namen Midnight Love trägt verstehe wer will, denn mit Liebe hat dieser Job wenig zu tun. Wir betreten das mehrstöckige Gebäude durch den Hintereingang, denn das Foyer ist gut besucht, wie so oft am Wochenende. Mein Privatleben geht diese Frauen nichts an, folglich dürfen sie meinen richtigen Namen nicht wissen und schon gar nicht, dass ich Vater bin. Wir laufen den hellerleuchteten Flur entlang, vorbei am Archiv, diversen Zimmern und Kammern. Ich hasse dieses Gebäude und Gott weiß warum! Hier drin endete meine Freiheit, ließ mich zum Sklaven dieser Scheinwelt werden. „Gut, dass du kommst!“ Überrascht blicke ich in das Gesicht meines etwas jüngeren Gegenübers, der ein wenig abgespannt wirkt. „Hallo, Ray!“ „Hallo Diego, du bist ja auch da. Schön, dass du uns mal wieder besuchst.“ „Kommst du auch mit zu Onkel Sanji?“ „Nein, ich habe leider keine Zeit. Ein anderes Mal bestimmt.“ „Ja, gut.“ Ein wenig enttäuscht ist Diego schon, denn er mag Ray unheimlich gern. „Ist etwas passiert, weil du so nervös bist?“, frage ich schließlich dazwischen. „Alvida ist mal wieder kurz vorm Explodieren, weil sie den Verdacht hat, dass einer der Jungs sie bescheißt.“ „Third?“ Er nickt. „Außerdem wurde Jeremy von dem eifersüchtigen Ehemann einer seiner Klientinnen verprügelt. Er befindet sich noch bis morgen im Krankenhaus, aber nur zur Beobachtung. Die Jungs haben natürlich jetzt Angst und da dachte ich, ich frag dich mal, ob du uns nicht ein paar Tipps geben könntest, wie wir uns besser verteidigen könnten, falls wir in eine ähnliche Situation geraten sollten.“ „Warum nicht. Aber was sagt Alvida dazu?“ „Sie ist ausnahmsweise mal von der Idee begeistert und stellt es dir frei an welchem Nachmittag du uns in die Mangel nehmen willst.“ „Nächste Woche Mittwoch?“ „Gut, ich kümmere mich darum, dass es alle erfahren.“ „Kannst du den Fragebogen für mich mitnehmen? Dann muss ich Cindy nicht sehen, die nervt mich.“ „Geht klar!“ Und schon rennt er weiter. Ich bin froh, dass Ray sich mittlerweile derart gut hier eingelebt hat, denn zwischenzeitlich habe ich mir richtige Sorgen um ihn bereitet. Außerdem ist es auch meine Aufgabe mich um ihn zu kümmern, denn hier in der Agentur ist jeder Callboy der sogenannte Pate eines anderen, also in diesem Fall ich von Ray. Mein Pate ist niemand anderes als ein First Class ersten Grades, Mihawk Falkenauge. Dass er so wie ich auf Schwertkampf steht kommt mir ganz gelegen, auch wenn ich ihm diese riesige Narbe auf meinem Körper zu verdanken habe. Erleichtert verlassen Diego und ich das Gebäude wieder auf demselben Weg, wie wir gekommen sind. Je weniger Zeit ich dort verbringen muss, desto besser. Wir steigen in den nächsten Bus quer durch Downtown, bis zur Meile der besten Hotels und Restaurants, unter denen sich auch das Baratie befindet. Aber auch hier schleichen wir uns durch den Hintereingang, denn in diesem Aufzug haben wir im Speisesaal nichts zu suchen. Von einer der Seitengassen aus gelangen wir direkt zum Liefereingang und von dort in die Küche, in der fleißig mit Töpfen und Pfannen hantiert wird. Weiße Kochmützen tummeln sich wie ein Bienenschwarm um die zahlreichen Kochstellen und erfüllen den Raum mit dem köstlichsten Essensgeruch, den ich kenne. Ein paar bekannte Gesichter huschen an mir vorbei, bis ich bei Jeff, dem Restaurantbesitzer, angekommen bin. Und wo der ist, ist mein bester Freund bekanntlich auch nicht weit. „Na Jungchen, da seid ihr ja endlich!“, lacht er mich an, während er Diego hochhebt. „Und du, kleiner Grashüpfer, hast du großen Hunger mitgebracht?“ „Ja, Opa!“ „So ist es richtig.“ „Er ist immer noch mein Patenkind!“ Energisch hat der blonde Koch hinter ihm die Hände in die Hüften gestemmt und funkelt seinen Chef gespielt beleidigt an. „Anstatt dich hier so aufzuplustern, könntest du lieber den Tisch im Pausenraum für uns decken.“ „Was glaubst du denn, was ich bis eben getan habe, alter Mann?“ So geht das immer zwischen den beiden. Wenn sie sich nicht gegenseitig foppen können, sind sie tot unglücklich. „Dann lass du dich wenigstens umarmen. Außerdem siehst du heute verdammt chic aus.“ „Wieso denn?“ Sanji drückt mich an sich, lässt dabei seine Hände aber über den Spalt freier Haut zwischen meiner Hose und dem Longsleeve gleiten. „Das liegt doch nur daran, dass ich fast ausschließlich Hüfthosen besitze, die total eng und knapp sind. Du kennst doch Alvida’s Vorlieben“, antworte ich Sanji leicht genervt. „Wohl wahr, aber in diesem Fall bin ich wenigstens einmal mit ihr einer Meinung.“ Ich verdrehe nur kurz die Augen und folge Jeff, der mit Diego schon mal vorgegangen ist. Man kann nicht behaupten, dass Sanji schwul wäre, aber manchmal ist er ganz schön anhänglich. Ich führe das auf unsere gemeinsame Zeit im Heim zurück, denn damals hat er das ab und zu auch getan, mich einfach umarmt oder sich nachts sogar zu mir ins Bett gelegt, weil er Angst vor dem Alleinsein hatte. Im Gegensatz zu mir kannte er schließlich seine Eltern und ihr Verlust traf ihn hart. Er war vor ihrem Tod nie allein gewesen und ein Waisenhaus kann nun mal keine Familie ersetzen. „Und, schläfst du heute Nacht bei mir, Diego?“ „Ja!“ Und ehe sich Sanji versieht, hängt ihm der kleine Racker am Hosenbein. Ich bin froh darüber, dass Kuina und ich uns damals für die richtigen Paten für unseren Kleinen entschieden haben, nämlich Sanji und Kaya. Abwechselnd passen sie auf ihn auf, wenn ich meist am Wochenende bis tief in die Nacht unterwegs bin. Ohne ihre Hilfe hätte ich ein riesiges Problem. Bienchens kleine Cocktailrunde: Wie Sanji und Diego XD Freedom Fighter Little Prince 6cl Sloe Gin 2cl Aprikosensaft 2cl Crème Yvette 2cl Zitronensaft 2cl Zitronensaft 4cl Apfelschorle 1 Eiweiß 1 Zitronenschalenstreifen gestoßene Eiswürfel gestoßene Eiswürfel Kapitel 6: Feine Gesellschaft? ------------------------------ Hey! Endlich ein neues Kap und diesmal auch wieder mehr von ZoxRo! Tut mir leid, daß die beiden bis jetzt so selten aufeinander getroffen sind, aber die Rahmenhandlung ist eben doch recht wichtig, außerdem muß sich Robin erst mit dem Gedanken anfreunden, sich mit einem Callboy zu treffen *g*. @_summer_: Danke für das Lob. Hoffe, dieses Kap wird dir ebenfalls gefallen. @Miss_Puma_D_Ace: Ja, Robin's "Auftritt" war längst überfällig, aber hier ist sie ja endlich wieder. @cada: Ich finde einfach, daß Sanji und Zorro als Freunde gut zusammenpassen. Aber wer hat gesagt, daß sie sich immer einig sind? *g* @4Kolibris: Die Sache mit dem Heim erklär ich später vielleicht noch mal ausführlicher, aber sicher bin ich mir noch nicht. @peach06: ZoxRo kommt anfangs leider ein bißchen kurz, aber es ist eben nicht leicht zwei Menschen aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten und Berufen zusammen zu bringen. Außerdem ist da ja auch noch Diego und Robin's Ex-Mann. @Silja: Ein Diego-Fanclub? *rot werd* Aber schön, daß du den Kleinen so magst, schließlich ist er nur aus meinem, zuweil kranken, Gehirn entsprungen. @KintaroOe: Nochmals Danke für das Lob! 6. Robin Feine Gesellschaft? Callboys. Eine merkwürdige Art und Weise seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Früher habe ich nie auch nur einen Gedanken an dieses Thema verschwendet, aber seitdem ich selbst einen kennengelernt habe, kann ich ein gewisses Maß an Neugier nicht leugnen. Wenn ein Mann einer Frau Geld für ein Treffen oder gar eine sexuelle Gefälligkeit bezahlt, wird dies zwar nicht gerne gesehen, aber irgendwie dennoch akzeptiert. Eine Art Kavaliersdelikt. Und umgekehrt? Ich glaube allein die Tatsache, dass eine Frau einen jüngeren Freund haben könnte, ist bereits problematisch. Warum? Mein ach so toller Noch-Ehemann hat mich wegen einer Sekretärin verlassen, die beinahe zehn Jahre jünger ist als er, die dreißig folglich noch nicht überschritten hat. Keiner seiner Kollegen zeigt deshalb mit dem Finger auf ihn, bekommt stattdessen anerkennend von ihnen auf die Schulter geklopft, weil er so ein toller Hecht ist. Pah! Mir hat man gesagt, dass ich mir eh keine Mühe zu geben bräuchte jemanden kennenzulernen, schließlich sei ich zu alt und alle guten Männer in meinem Alter bereits vergeben. Was soll das? Ich bin doch nicht alt, nur weil ich mir keine Haarspangen mehr ins Haar stecke und meinen Ausweis fälschen muss, um in irgendeinen Club reingelassen zu werden. Bei aller Liebe, aber ich bin froh, dass ich auf eigenen Beinen stehe und nicht meinen Daddy um ein paar Kröten anhauen muss, wenn ich mir irgendetwas kaufen möchte. Aber dem nicht genug, muss mir meine Haushälterin Conchita doch permanent unter die Nase reiben, wie zufrieden ich nach dem Treffen mit meinem Blind Date aussah. Gut, es hat mir wirklich sehr gefallen, war mal was anderes, aber weshalb sollte ich für ein paar nette Worte Geld ausgeben? „Morgen findet doch die Dinnerparty bei ihren Lieblingsspießern statt, oder?“ „Sie meinen bestimmt die McIntyres, Conchita?“ „Wen denn sonst? Tratsch auf höchstem Niveau.“ Ich muss unweigerlich lachen, denn Conchita hat absolut recht. Josephine McIntyre ist bekannt für ihren schamlosen Tratsch, nimmt sie doch kein Blatt vor den Mund. Sie weiß einfach über alles und jeden Bescheid, so dass man es hin und wieder mit der Angst zu tun bekommen kann, will man schließlich nie selbst Teil ihrer detaillierten Erzählungen werden. „Und mit wem werden sie hingehen, Mrs. Sandman?“ „Allein, da brauche ich mir wenigstens keine Bemerkungen bezüglich der Wahl meines Begleiters anzuhören.“ „Als ob das jemals vorgekommen wäre, tauchen sie doch immer allein auf. Zuerst wurden sie deshalb bemitleidet, weil ihr Mann kein Interesse an ihren gesellschaftlichen Aktivitäten zeigte, jetzt, da man sie für vereinsamt und arbeitswütig hält. Wäre mal an der Zeit für neuen Gesprächsstoff zu sorgen, finden sie nicht?“ „Man hält mich für vereinsamt und arbeitswütig? Wie nett! Was kommt denn als nächstes?“ „Na ja, da ich recht guten Kontakt zu den Hausangestellten der McIntyres pflege, ist mir diesbezüglich natürlich einiges bekannt.“ „Und das wäre?“ „Es geht so in die Richtung vertrocknete Rosine, die eh keinen mehr abbekommt, weil sie nicht weiß, was Männer wollen.“ „Das wird ja immer besser!“ Diese Tratschtanten! „Zeit zurückzuschlagen?“ „Sehr witzig! Wie denn, Conchita?“ „Ich denke, das wissen sie besser als ich.“ „Nein, das kommt nicht in Frage! Ich kann doch nicht…. Nein, das geht nicht!“ „Jetzt stellen sie sich nicht so an, schließlich wären sie nicht die erste, die sich einen Mann für einen Abend bestellt, von einer Nacht wage ich gar nicht zu sprechen.“ „Welche der ach so feinen Damen hatte was mit einem Callboy?“ Jetzt bin ich doch neugierig! „Diese Information ist nur für Frauen, die wissen was Männer wollen.“ „Das ist Erpressung!“ Ich weiß, Conchita meint es gut. Sie kümmert sich nicht nur um Ordnung bei mir zu Hause, sondern sie sorgt sich auch um mein Seelenleben. Schon immer und meistens hat sie ja recht mit ihren Ratschlägen. Also habe ich bei dieser Agentur angerufen, wenn es mich auch Überwindung gekostet hat, und mir eine Begleitung für die Dinnerparty geordert. Was für ein Fehler! Wenn man in eine solche Agentur geht und wie ich keine Stammkundin ist, füllt man zuerst einen Fragebogen aus, so dass der passende Mann für die jeweilige Kundin gefunden werden kann. So weit so gut. Allerdings scheint die Empfangsdame, die besagten Wisch auswertet, leicht bis total unfähig zu sein! Jedenfalls ist diese Ausgeburt eines Neandertalers mit Dreitagebart nicht, nein absolut nicht das, was ich auf diese Party mitnehmen kann. Bloß diese blondgefärbte Schnepfe mit den falschen Fingernägeln kapiert das nicht! „Hören sie mir doch endlich einmal zu! Danny mag ja ein netter Kerl sein, aber er ist nicht die Art von Begleitung, die man auf eine Dinnerparty mitnimmt.“ „Dann gehen sie halt woanders hin, Spießerpartys sind eh out.“ „Es ist wohl meine Angelegenheit, wohin ich gehe, egal wie in oder out es auch sein mag!“, entgegne ich genervt. „Zicken sie hier nicht so rum, nur weil Danny ihrem Geschmack nicht entspricht. Aber er ist wirklich ein exzellenter Lieb-“ „Das interessiert mich nicht die Bohne!“ ich platze gleich! „Was ist denn hier los, Cindy?“ „Die Kundin ist unzufrieden, weil ihr Danny nicht gefällt.“ „Darum geht es überhaupt nicht!“ Langsam wird mir das zu bunt! Überrascht mustert mich die fremde Frau, die sich zu uns gesellt hat. Sie ist schlank und groß, mit dunkelbraunem fast schwarzem Haar, das ihr in leichten Locken bis über die Schultern reicht. „Wo ist der Fragebogen, Cindy?“ „Hier, Lady Alvida.“ Aha, das ist also die Besitzerin der Agentur. Irgendwie habe ich sie mir anders vorgestellt. Sekunden verstreichen, ehe ein vernichtender Blick ihrerseits diese Cindy trifft. „Die Dame hat ausdrücklich nach einem Third Class Treffen verlangt, zudem sollte er sich mit gesellschaftlichen Gepflogenheiten auskennen und da vermittelst du sie ausgerechnet an Danny? Er ist Second Class dritten Ranges, aber hier benötigen wir Third Class ersten Ranges und davon haben wir genau zwei.“ Sie tippt geübt eine Nummer ins Telefon, sagt nur: „Dein Date ist geplatzt. Zieh die neuen Klamotten an, in zehn Minuten Abfahrt.“ Nachdem dieses einseitige Gespräch beendet ist, sieht sie mich erneut an, lächelt dabei aber zufrieden. „In einer Viertelstunde ist ihr Ersatz da. Danny, du übernimmst die andere Dame. In einer Stunde musst du im Mexican’s sein, also ab mit dir.“ Nervös blicke ich auf meine Armbanduhr, auch wenn ich weiß, dass ich noch genügend Zeit habe und mir keine Sorgen zu bereiten brauche zu spät zu kommen, aber ich mag es nun mal nicht, wenn eine Sache nicht nach Plan verläuft. „Ihr Anhänger für heute Abend. Und entschuldigen sie bitte die Unannehmlichkeit.“ „Das kann passieren. Ich hoffe nur, mit dem Ersatzmann habe ich mehr Glück.“ „Keine Sorge, einen besseren Third als ihn gibt es nicht“, versichert mir Lady Alvida. „Na dann.“ Ich nehme den goldenen Anhänger entgegen, bis ich den darauf eingravierten Namen lesen kann. Ryo. „Ich hätte da mal eine Frage.“ „Ja?“ „Gold, ist das nicht die Farbe der Seconds? Und bei Ryo handelt es sich doch um diesen jungen Mann mit den grünen Haaren, richtig?“ „Sie kennen ihn?“ Sie wirkt überrascht. „Ja, er war meine erste und bislang einzige Verabredung dieser Art“, antworte ich wahrheitsgemäß. „Waren sie unzufrieden mit ihm?“ „Nein, ganz und gar nicht. Um ehrlich zu sein hatte ich gehofft heute mit ihm ausgehen zu können.“ „Warum haben sie das bei ihrer Order nicht gesagt?“ „Das habe ich, aber ihre Mitarbeiterin meinte, dies sei nicht möglich, sie würde entscheiden wer der Richtige für den Job wäre.“ „Darum werde ich mich kümmern und wegen dem Anhänger, das ist Ryo’s Ersatzstick, denn der Silberanhänger befindet sich ja zur Hälfte bei der Dame, mit der Danny sich jetzt trifft. Sie brauchen also keinerlei Bedenken zu haben, dass Ryo sein gutes Benehmen vergisst und über die Stränge schlägt.“ Die große Glasschiebetür öffnet sich, lässt eine frische Brise, aber auch einen gutaussehenden jungen Mann herein. Ich erkenne ihn sofort wieder, dieses markante Gesicht, der dunkle Teint, dieser alles durchdringende Blick und nicht zuletzt sein grünes Haar, das frech mit ein wenig Gel gestylt ist. „Guten Abend, Robin. Alvida, Cindy.“ Er erinnert sich an meinen Namen? „Ich will sehen!“ So nett seine Chefin eben noch zu mir war, so herrisch benimmt sie sich im Moment Ryo gegenüber. Doch er verzieht keine Miene, öffnet lediglich seinen Mantel, den er in einer galanten Bewegung über seine Schultern gleiten lässt und über die Theke des Empfangs wirft. Zum Vorschein kommt das, was man allgemein als direkten Hormonschub bezeichnet. Kann eine Hose noch enger sein? Der schwarze Stoff klammert sich regelrecht an seine Hüftknochen, aus Angst herunterzurutschen. Sein Oberteil schmiegt sich perfekt an seinen Körper, präsentiert stolz jeden Muskel, dass wohl niemand Zweifel daran hegt, dass er auch weiß sie einzusetzen. Aber mindestens genauso interessant ist meines Erachtens wie diese Alvida um ihn herumschleicht. Es hat etwas hinterhältiges an sich, das mich doch ein wenig beunruhigt. „Das solltest du öfters tragen. Aber jetzt geh, eine Dame lässt man nicht länger als nötig warten.“ „Sagen sie mal, Robin, wo haben sie nur diesen süßen Kerl an Land gezogen? Der ist ja eine Augenweide!“ „Wen? Ach sie meinen Ryo. Wir haben uns in einem Nachtclub kennengelernt.“ Und das ist nicht einmal gelogen. „So,“ antwortet Josie McIntyre gedehnt. „Diese jungen Früchtchen werden auch immer kesser, aber die Konkurrenz schläft nun mal nicht, besonders für einen Callboy.“ Das hat ja nicht lange gedauert, bis man mir auf die Schliche gekommen ist, aber so schnell? Na ja, da Josie diejenige war, die selbst schon die Dienste eines solchen Mannes, zudem Second, beansprucht hat, lag die Vermutung nah, dass sie mich zuerst durchschauen würde. Also lächle ich verlegen und bete um Erlösung. „Wurde auch langsam mal Zeit, dass sie wieder einen Mann an sich ranlassen. Nichts ist schlimmer als diese einsamen Nächte, in denen man sich nach den starken Armen eines richtigen Mannes sehnt, der weiß –“ „Ähm, Ryo ist ein Third.“ Augenblicklich stoppt Josie’s Redeschwall, wobei sie mich merkwürdig ansieht. Es ist eine Mischung aus Überraschtheit und Unglaube, die sie auch sofort verbal zum Ausdruck bringt: „Ein Third? Dieser Knackarsch ist nur zum Ansehen da? Das ist nicht ihr Ernst? Das kann nicht ihr Ernst sein. Herrgottchen Liebes, tun sie sich das bloß nicht an!“ „Was meinen sie?“ „Passen sie auf ihr Herz auf, nicht dass sie sich in diesen Kerl verlieben, das brächte nur Unglück.“ „Verlieben? Ich bitte sie!“ Unweigerlich muss ich lachen, ist diese Vorstellung doch zu absurd. „Glauben sie mir, nur weil sie keine zwanzig mehr sind, sind sie nicht immun gegenüber dem anderen Geschlecht. Dafür ist man nie zu alt, ich auch nicht, obwohl ich bereits die vierzig erfolgreich hinter mir gelassen habe.“ „Na schön, aber was hat das damit zu tun, dass Ryo ein Third ist?“ „Ganz einfach. Welche Frau verliebt sich schon in einen Kerl, mit dem sie im Bett war? Da kann ein Second noch so reizvoll aussehen, spätestens beim zweiten oder dritten Mal hat man genug von ihm, weil man spürt, dass es nicht echt ist. Bei einem Third allerdings geht die Phantasie gerne mal ihre eigenen Wege, deshalb ist man auch nie enttäuscht von ihm, weil er nur eine Illusion ist, mehr nicht.“ „Ich glaube, meine Illusion bringt mir gerade einen neuen Drink.“ Ich gebe mir nicht den Hauch von Mühe um zu vertuschen, für wie albern ich ihr Geschwätz halte. „Spotten sie nur, aber vergessen sie meine Worte nicht.“ Sie geht, endlich! „Hier Robin, dein Baileys.“ „Danke, Ryo.“ Für einen Moment stehen wir schweigend da, nippen an unseren Getränken, während das Geschnatter der anderen Gäste uns umgibt. Ich weiß, dass sie hauptsächlich über meinen Begleiter und mich tratschen, denn die Blicke die sie uns zuwerfen sind deutlich zu spüren, zumal die Damen dieser falschen Gesellschaft nur zu genau Ryo begutachten, um nicht zu sagen anstieren. Da fragt man sich doch, wer hier eigentlich die vertrocknete Rosine ist. „Laß uns gehen, ja?“ Wissend lächelt er mich daraufhin an, scheint er sich doch hier ebenfalls alles andere als wohl zu fühlen. Die Blicke folgen uns und wenn ich es nicht besser wüsste würde ich sagen, dass sie sich sogar hier draußen vor der Tür in unsere Rücken bohren. „Falls ich je wieder auf die Idee kommen sollte zu so einer heuchlerischen Veranstaltung gehen zu wollen, erschieß mich bitte.“ „So schlimm?“ „Diese Tratschtanten! Für die bist du doch ein gefundenes Fressen, Ryo.“ „Ach und du etwa nicht? Außerdem bin ich es gewohnt, dass man sich wilde Geschichten über mich erzählt, deren Wahrheitsgehalt verschwindend gering ist.“ „Stört dich das denn nicht?“ „Inzwischen amüsiere ich mich eher darüber. Man bekommt im Lauf seines Lebens so viele Affären und Liebschaften angedichtet, dass man noch nach dem Tod beschäftigt wäre, wären sie alle real. Du siehst, es bringt eh nichts sich darüber aufzuregen.“ „Wenigstens können die Herrschaften diesmal nicht behaupten, ich sei eine vertrocknete Rosine….“ Zwar habe ich diesen Satz mehr zu mir selbst gesagt, während ich über mein Handy die Nummer der Taxizentrale wähle, aber ich kann an Ryo’s Gesichtsausdruck erkennen, dass er mich verstanden hat. Ich richte meine Aufmerksamkeit wieder auf mein Mobiltelephon, denn am anderen Ende meldet sich eine verschlafen klingende Frauenstimme, die wenig interessiert meinen Worten lauscht. Bin ja eh nur ich. „Wie hast du das gemeint?“ kommt auch prompt die Frage von Ryo, kaum dass ich das Gespräch mit der Taxizentrale beendet habe. „Ist nicht so wichtig….“ „Ach nein?“ Seine Stimme ist sanft, aber es liegt etwas in ihr das mich wissen lässt, dass er mich durchschaut hat. Aber das scheint er bereits seit der ersten Minute unseres ersten Zusammentreffens zu haben. „Denkst du, ich bin zu alt für einen Neuanfang? Sei ehrlich.“ „Nicht zu alt, sondern zu zurückgezogen. Wovor versteckst du dich, Robin?“ Für einen Moment starre ich einfach nur die Straße an, kämpfe mit mir, ob ich dieses Gespräch mit ihm wirklich führen soll, aber andererseits habe ich eh nichts zu verlieren. „Weißt du, es ist eine Sache jemanden zu treffen ohne dabei allzu viel von sich selbst preiszugeben, aber eine andere jemandem sein tiefstes Inneres anzuvertrauen.“ „Als ob es nicht schwer genug war die erste große Liebe zu finden und zu erobern, aber ein zweites Mal scheint nahezu unmöglich.“ Zwar lächelt er, aber die bittere Traurigkeit seiner Augen zeigt die wahren Gefühle, die er bei diesem Satz empfindet. Er ist doch erst so jung! Aber ich werde ihn nicht darauf ansprechen, dafür scheint mir das Thema zu privat. „Gehen wir zwei einsamen Krieger noch etwas unternehmen?“ „Da sag ich nicht nein, schließlich ist es noch nicht einmal Mitternacht. Worauf hat die Dame denn Lust?“ „Lach jetzt nicht, aber ich habe Hunger.“ „Das zeichnet eine gute Dinnerparty aus, kaum ist sie vorbei, gehen die Gäste erst einmal etwas richtiges Essen. Also, was schwebt dir vor?“ „Nach diesem New-Age-ohne-Kalorien-Fraß könnte ich alles mögliche essen, Hauptsache niemand stellt sich neben mich und erzählt mir etwas über kosmische Schwingungen, die mein Wohlbefinden stärken, nur weil irgend so ein Guru im Fernsehen das behauptet hat. Zudem, na ja könnte ich einen dieser leckeren Cocktails vertragen.“ „Da ist wohl jemand auf den Geschmack gekommen, wie? Ich habe da auch schon eine Idee, wo wir hingehen könnten. Kennst du das Stars?“ „Nein.“ „Dann wird es Zeit.“ Inzwischen ist das gelbe Taxi eingetroffen, in das wir einsteigen und Richtung Downtown fahren. Normalerweise sehe ich bei diesen Fahrten aus dem Seitenfenster, betrachte die unzähligen Lichter die näher kommen. Aber heute gilt meine Aufmerksamkeit meinem jungen Begleiter, nicht zuletzt aufgrund seiner Attraktivität. „Ist es üblich, dass euch diese Alvida vorschreibt, was ihr anziehen sollt?“ „In gewisser weise schon, denn sie bestimmt in welchen Läden wir unsere Klamotten kaufen dürfen, außerdem stehen die Ladenbesitzer in engem Kontakt mit ihr. Aber eine Klientin kann genauso gut entscheiden wie ihr Begleiter zu dem Treffen erscheinen soll.“ „Als Dschungeltarzan oder in der Badehose?“ „Ersteres war zum Glück noch nie der Fall, aber in der Badehose schon mehrmals.“ „Du bist doch ein Third, ist da eine Badehose nicht etwas wenig?“ „Sagen wir mal, es ist das Minimum, das ich anbehalte.“ „Kommt das oft vor? Ich meine, schließlich ist das doch ein eher ungewöhnliches Erscheinungsbild, oder nicht?“ „Einmal die Woche besuche ich eine rüstige alte Dame in ihrer Villa, um durch ihren Pool zu schwimmen.“ „Wie? Sie bezahlt dich dafür, dass du ein paar Runden in ihrem Pool drehst?“ „Ja.“ Das Taxi hält in einer der zahlreichen Seitenstraßen abseits der sogenannten Discomeile in Downtown, an einem mir unbekannten Ort also. „Dreizehn Doller zehn.“ brummt der Fahrer, worauf Ryo ihm den goldenen Stick vor die Nase hält. Zuerst hielt ich diesen Anhänger für eine Art Hundemarke, so wie man sie beim Militär verwendet, aber inzwischen weiß ich, dass man ihn auch als Kreditkarte verwenden kann, denn jeder Stick besitzt eine eigene Registriernummer. Mein junger Begleiter steigt aus, während ich dem Klang seiner Schritte auf dem Asphalt lausche, bis er auf meiner Seite des Wagens angekommen ist, um mir die Tür zu öffnen. „Mir bräuchten sie für eine Nummer kein Geld zu zahlen, Herzchen. So gut wie der Kleine bin ich allemal.“ raunt mir der bärtige Mann hinter dem Lenkrad zu. „Wenn sie Ärger wollen, sagen sie nur Bescheid.“ Total perplex sehe ich vom Taxifahrer, der diesen wenig amüsanten Spruch von sich gegeben hat, zu Ryo, der mir die Wagentür aufhält. „Reg dich ab, Jungchen. Wir erledigen bloß alle unseren Job.“ Ich ergreife Ryo’s Hand, um aus dem Taxi zu steigen und um diesen Typen loszuwerden. Was sich manche Leute so alles einbilden? Was sollte diese Aktion eben überhaupt? Warum denkt jeder sofort ans horizontale Gewerbe, wenn er einen Callboy sieht? Gut, ich muss ganz still sein, denn mein erster Gedanke ging in die selbe Richtung, als mir Nami das Treffen mit Ryo schenkte. Doch er ist schon ein ansehnliches Geschenk gewesen, das muss man zugeben. Und jetzt treffe ich mich sogar freiwillig mit ihm. Aber es tut mir gut auszugehen, einfach ein bisschen unter Leute zu kommen. Ich glaube wirklich, dass ich mich zu sehr hinter meinen Büchern verstecke. Ein leiser Gong reißt mich aus meinen Gedanken und erst jetzt bemerke ich, dass wir uns in einem schicken Fahrstuhl befinden. Alles verspiegelt. Die Tür öffnet sich automatisch, gibt den Blick auf einen weiten runden Saal frei. Es herrscht gedämpftes blaues Licht, einzig das Spiegelglasgebilde in der Mitte wirkt wirklich hell, aber auch alles in Blau gehalten. Es scheint eine Art Bar zu sein. „Und?“ „Wow! Ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt.“ „Dann warte mal ab, bis du alles gesehen hast.“ Er führt mich an der Theke vorbei zu einem der Tische, grüßt aber dabei ein paar der Barkeeper, die freundlich zurück grüßen. Er scheint hier bekannt zu sein. Gut, das wird er in den meisten Kneipen sein, schließlich wird er sich dort am häufigsten aufhalten. Dennoch wirkt mir das Lächeln der Barmänner sehr freundschaftlich, auch das der Bedienung, die an uns mit einem schwarzen Tablett in der Hand vorbeieilt. Wir setzen uns einander gegenüber an einen Tisch, wieder rund, aber nicht blau sondern silbern. Dafür ist die Sitzbank mit blauem Samt bezogen und führt nahezu einmal um den Tisch. „Und jetzt schau nach oben.“ „Nach oben?“ „Ja, nur zu.“ Etwas zögerlich hebe ich den Kopf, aber als ich über mir durch das Glasdach den sternenklaren Nachthimmel sehe wird mir bewusst, dass wir uns in einem Hochhaus befinden. Anscheinend habe ich mich innerlich zu sehr über den Taxifahrer aufgeregt, als irgend etwas zu registrieren. Peinlich. „Leider hat man nicht jeden Tag einen so schönen Ausblick.“ bemerke ich, während ich noch immer nach oben sehe. „Das ist nicht weiter tragisch, denn dann wird einfach die Zwischendecke eingefahren und auf der sind blau fluoreszierende Sterne abgebildet.“ Ich senke meinen Blick, ist es doch unhöflich permanent nach oben zu starren. „Geniale Idee. Der Name Stars ist gerechtfertigt.“ „Das stimmt. Was möchtest du denn trinken?“ „So wie du grinst, hast du doch bereits eine Idee, also überlasse ich dir die Bestellung, Ryo. Aber wehe du vergisst das Essen, denn sonst bin ich gleich abgefüllt.“ „Zum Essen einen Kir für dich und einen Green Devil für mich. Anschließend solltest du einen Mudslide trinken. Diesen Cocktail wollte ich dir schon bei unserem ersten Treffen empfehlen, aber leider gibt es den nur in wenigen guten Bars.“ „Bei mir gibt es nur gute Drinks, das versteht sich von selbst.“ Vor unserem Tisch steht eine Frau, die uns freundlich zuzwinkert. Sie könnte ein paar Jährchen älter sein als ich, hat mahagonifarbenes Haar und übt auf mich den Eindruck aus, als hätte sie in ihrem Leben bereits viel erlebt. Sie und Ryo umarmen sich, nachdem sie sich frech neben ihn gepflanzt hat. „Ich bin June, mir gehört der Laden.“ Auffordernd hält sie mir quer über den Tisch ihre Hand entgegen, so dass ich keinen Moment zögere und diese Geste annehme. „Robin, sehr erfreut.“ Sie mustert mich kurz, ehe sie sich wieder Ryo zuwendet: „Was kann ich für euch zwei Süßen tun?“ „Mein Lieblingsessen für Zwei, einen Kir und einen Green Devil.“ „Dann geh und bring mir einen Gloom Chaser.“ „Bin ich hier die Bedienung?“ „Nein, aber ich will sehen, wie du dich mit deinem süßen Hintern auf den Weg zur Bar begibst.“ „Als ob dich das interessieren würde.“ Dennoch steht er auf und kommt ihrer Aufforderung nach. Er hat wirklich einen süßen Hintern. „Sie scheinen ihm sympathisch zu sein.“ „Wie kommen sie darauf?“ antworte ich, denn der Sinn hinter dieser Frage bleibt mir verborgen. „Weil er normalerweise nie eine seiner Kundinnen mit hierher bringt.“ „Das sagen sie sicherlich nur so.“ „Nein, denn ich halte nichts von Heuchlerei. Deshalb lass ich auch nur Leute auf Empfehlung hier rein, selbst wenn das den Gewinn schmälert, aber ich möchte mich nur noch mit netten Menschen abgeben.“ „Eine gute Einstellung. Aber wird man denn gar nicht kontrolliert?“ „Haben sie den Türsteher nicht gesehen?“ „Nein, ich war derart in Gedanken, weil ich mich so über diesen unfreundlichen Taxifahrer aufgeregt habe, dass ich ihn wohl nicht bemerkt habe.“ „Callboys stehen bei anderen Männern logischerweise nicht hoch im Kurs und da reagieren sie schon mal ungehalten, besonders einem Second oder First gegenüber.“ „Ach deshalb hat er mich angemacht, weil er dachte, Ryo sei ein Second, schließlich konnte er ja nicht wissen, dass der goldene Stick nur Ersatz ist.“ „Ersatz trifft es nicht so ganz.“ „Wie meinen sie das, June?“ „Kennen sie Alvida?“ „Ja, ich hab sie heute kennengelernt.“ „Wenn es nach ihr ginge, müsste unser Süßer als Second arbeiten, aber da er sich für sie um die Probleme der anderen Callboys kümmert, gewährt sie ihm das Privileg ein reiner Third zu sein.“ „Mir gegenüber hat sie sich zwar freundlich verhalten, aber zu Ryo war sie komisch. Sie hat ihn angesehen, als wäre er…“ „Ein Stück Fleisch.“ „Ja…. Genauso habe ich es empfunden. Es war mir unangenehm, aber sie schien das nicht zu stören.“ „Sie stört sich an gar nichts, außer wenn der Umsatz nicht stimmt, aber darüber kann sie sich wohl nicht beklagen.“ „Hier, die Damen.“ Ryo gesellt sich wieder zu uns, bewaffnet mit drei unterschiedlichen Cocktails. „Jessy wollte dich wohl nicht mehr gehen lassen, oder sehe ich das falsch?“ „Nein, da liegst du richtig, June.“ Ich genieße diesen schönen Abend, das leckere Essen, die phantasievollen Cocktails und nicht zuletzt die nette Gesellschaft. June hat mir zum Abschied sogar einen kleinen blauen Stern geschenkt, die Eintrittskarte zum Stars. Bienchens kleine Cocktailrunde: Sorry, diesmal sind beide mit Alk. ^^’ Kir Green Devil gestoßenes Eis Limettensaft 4cl Crème de Cassis Zucker Weißwein 2cl weißer Rum 1 Zitronenschalenspirale 1cl Blue Curacao 2cl O-Saft Eis 1 Limettenscheibe Kapitel 7: Zwischen Schein und Sein ----------------------------------- Ein neues Kapi, eine neue Kundin XD Aber lest selbst, wie Zorro sein Geld verdient. @Jet-chan: Cool, daß du die Cocktails auch ausprobierst. Diesmal gibt es auch wieder zwei neue. Die Sache mit dem Anhänger ist so. Es gibt drei verschiedene: Silber (Third), Gold (Second) und Bergkristall (First). Zum einen ist es eine Art Erkennungszeichen des Callboys und zum zweiten eine Kreditkarte (wie im letzten Kap beschrieben). Zorro ist Third, folglich ist sein Anhänger silbern, aber Alvida wollte ursprünglich, daß er als Second arbeitet, weshalb er auch einen Goldanhänger besitzt. Wie es genau dazu kam wird in einem späteren Kap erklärt. @cada: Sorry, aber Diego ist wieder nicht dabei, aber im nächsten Kap, großes Indianderehrenwort!! @_Summer_: Ich hab das Stars extra so gestaltet, wie ich mir eine Cocktailbar wünschen würde. Hoch über den Wolken und nicht für jedermann zugänglich. @Heroeumel: Du beschämst mich immer mit deinem Lob *rotwerd* @peach06: Ja, Zorro und Robin passen einfach zusammen! Mal sehen, was ich mit den beiden noch alles so anstellen werde XD @Silja: Ähm…du machst mich sprachlos! Aber wie ich schon zu Cada sagte, Diego kommt erst im nächsten Kap wieder vor. Und was unser Lieblingspairing betrifft, die beiden werden sie auf jeden Fall wiedersehen, nur wann ist die Frage. (Robin ist ein bißchen schüchtern XD) @Miss_Puma_D_Ace: So viel Lob, das hab ich gar nicht verdient! Fühl mich ja schon wie Chopper ^^’ Ansonsten arbeite ich weiter an meinen Kaps und hoffe, sie werden dir auch weiterhin so gut gefallen. @bloody_sunlight: Noch ein Diego-Fan? Ich glaube, mit dem Kleinen hab ich echt was angerichtet, schließlich hüpft er schon seit mehr als einem Jahr auf Mexx rum. Aber es freut mich sehr, dass dir meine FF so gut gefällt! Viel Spaß mit dem neuen Kap! LG Stoechbiene 7. Zorro Zwischen Schein und Sein Wie jeden Dienstag bringt mich ein Taxi nach Beverly Hills, ins Reich der Luxusvillen und großen Autos, bei den Reichen und Schönen. Es ist ein warmer Tag, die Sonne scheint und der kühlende Meereswind hat sich eine Auszeit genommen. An meinem Ziel angekommen steige ich aus dem gelben Fahrzeug, die Rechnung geht direkt vom Taxiunternehmen an die Kundin, zu der ich unterwegs bin. Wenn man wie sie eine kleine lokale Berühmtheit ist, geht das ohne Probleme. Zu klingeln brauche ich nicht, gehe einfach durch den Garten um die große weiße Villa herum zur Terrasse. „Guten Tag, Mrs. Chevalier!“ Graue Augen fixieren meine, blitzen schließlich erfreut auf als sie mich erkennen. „Wie immer überpünktlich, mein lieber Ryo.“ „Am besten gebe ich ihnen ihre Herztabletten jetzt schon, nicht dass sie mir aus dem Rollstuhl kippen.“ Mein Blick wandert zu dem rüstigen Herrn, der mit einem Wasserglas in der Hand durch die Terrassentür zu uns ins Freie tritt. „Wissen sie, Dr. Littman, einen schöneren Tod kann es für eine alte Dame wie mich nicht geben.“ „Sie sollten sich lieber schonen, meine Liebe, dann wartet noch ein langes Leben auf sie.“ „Ein langes Leben voller Einsamkeit und Langeweile. Was soll mir das bringen? Da erfreue ich mich lieber an der Schönheit der Jugend.“ Über den Joystick lässt sie ihren Rollstuhl ein Stück nach vorne fahren, beachtet ihren Arzt einfach nicht länger. Ich kenne den Ablauf der Nachmittage die ich hier schon verbracht habe auswendig, denn sie verliefen im Grunde alle gleich, ohne Ausnahme. „Warten nicht noch ein paar senile Mütterchen auf sie, Doc? Ich für meinen Teil würde jetzt gern in Ruhe die Anwesenheit meines Besuchs genießen.“ Was für eine Art mit anderen Menschen umzugehen. Na ja, soll nicht mein Problem sein, habe genug eigene. „Außerdem brauchen sie sich keine Sorgen um mein Herz zu machen, Ryo wird garantiert nicht alle Hüllen fallen lassen, so wie ich ihn kenne. Ein Callboy mit Prinzipien.“ „Es ist ihre Entscheidung, Mrs. Chevalier. Wir sehen uns aber nächste Woche wieder.“ Er stellt das Glas auf den weißen runden Tisch neben meine Klientin und nickt mir zum Abschied zu, ehe er uns allein lässt. Das Spiel beginnt erneut. Mrs. Chevalier ist meine treueste Stammkundin, die ich jede Woche einmal in ihrer Luxusvilla besuche, seit ich diesen Job ausübe. Logischerweise unterscheiden sich die Treffen mit ihr gegenüber den der anderen, die ich sonst so habe, schließlich ist Mrs. Chevalier über sechzig und an den Rollstuhl gefesselt. Ich stelle meinen Rucksack auf den Boden, während ich leise tief ein- und ausatme, um mich auf das bevorstehende Spektakel vorzubereiten. Schnell verdientes Geld, aber es fällt mir selten leicht. Mein Blick wandert zu dem Swimmingpool, der sich breit und tief vor der Terrasse erstreckt. Auch hierfür wurde nur das beste Material verwendet und selbst das Wasser ist nicht gechlort, sondern mit Ozon versetzt. Die alte Dame weiß eben was sie will und auch wie sie es bekommt. Langsam gehe ich auf sie zu, wobei wir uns schweigend ansehen. Mein Gesicht wirkt sicherlich fröhlich, während mein Innerstes erstarrt ist. Ich lasse meine Hand von meinem Bauch abwärts wandern, tiefer, Stück für Stück bis zum Ansatz meiner Jeans und auch an Mrs. Chevalier’s Blick kann ich erkennen, dass sie in Gedanken meiner Hand folgt. Der erste Knopf – offen. Der zweite und dritte folgen. Gebannt sieht sie mir zu wie ich meine Hose öffne und dabei einen winzigen Ausblick auf die schwarze Badehose gewähre, die ich darunter trage. Hotpants. Als ob ich freiwillig so etwas anziehen würde. Kaum einen Schritt von ihr entfernt bleibe ich stehen, so wie ich es immer tue. Ich verschränke meine Arme und beginne mir langsam das Shirt über den Kopf zu ziehen. In Gedanken zähle ich die Sekunden die ich dafür reserviert habe mich zu entkleiden, denn die ganze Aktion soll ja weder zu schnell noch zu langsam vonstatten gehen. Als ich anfing als Callboy zu arbeiten fiel es mir äußerst schwer auf Frauen zuzugehen, sie anzusprechen oder mich gar für sie auszuziehen, aber inzwischen habe ich einen Weg gefunden, der mir die ganze Angelegenheit erheblich erleichtert. Egal was ich tue, was auch immer man von mir erwartet, ich stelle mir dabei stets vor, dass Kuina sich an meiner Seite befindet. Auch jetzt sehe ich ihr Lächeln vor mir, ziehe mich nur für sie nahezu ganz aus. Doch diesmal unterbricht Mrs. Chevalier meinen Tagtraum, denn ich spüre eine ihrer kalten Hände auf meinem entblößten Bauch. Ich gewähre mir selbst wieder freie Sicht auf meine Gegenüber, indem ich mir das Shirt nun ganz über den Kopf ziehe und es zu Boden gleiten lasse. Zwar kann ich es absolut nicht leiden wenn mich jemand einfach so antatscht, aber ich habe inzwischen genug Erfahrung in diesen Dingen, um zu wissen was ich tun muss, um die Distanz zwischen meiner Kundin und mir wahren zu können. „Wir haben doch nicht etwa die Spielregeln vergessen, oder?“ sage ich neckisch, dass sie kichern muss. „Einer alten Dame wie mir kann das schon mal passieren, zudem wenn sie abgelenkt ist. Dein Körper ist ein Geschenk des Himmels, Ryo, und die Narbe zeigt, dass du weißt ihn einzusetzen.“ Einen Moment mustert sie noch meine Augen, ehe sie ihre Hand zurückzieht und ich mich weiter ausziehe. Nur in der Badehose bekleidet wende ich mich von ihr ab, spüre ihren Blick aber weiterhin auf mir ruhen. Doch ich befinde mich in Gedanken bereits wieder in einer anderen Welt, in der Welt, in der noch alles in Ordnung ist. Ich knie mich auf den von der Mittagssonne gewärmten Sandsteinboden am Pool und lasse eine Hand durch das kühle Wasser gleiten. Da fällt mir ein, mit Diego könnte ich auch mal wieder schwimmen gehen, ist schließlich schon ein Weilchen her seit dem letzten Mal. Ich lasse etwas von dem kühlen Nass in mein Gesicht tropfen, spüre es über meinen Hals zu meiner Brust und zu meinem Bauch rinnen. Mit der nassen Hand fahre ich mir durch die Haare, ehe ich aufstehe und weiter um den Pool gehe. An der Seite gegenüber der Terrasse bleibe ich stehen und blicke zu Mrs. Chevalier, die mir schweigend zusieht. Einen Moment lasse ich noch verstreichen, nehme wenige Schritte Anlauf und wage einen Hechtsprung ins kühle Nass. Augenblicklich verstummen die Geräusche um mich herum, spüre lediglich das erfrischende Wasser an meinem Körper entlang gleiten. Ich zögere den Moment des Auftauchens hinaus, genieße die Ruhe, bis ich schließlich die Wasseroberfläche durchbreche und wieder frei atmen kann. Peu à peu schwimme ich eine Bahn nach der anderen als wäre ich allein in diesem paradiesischen Garten, stünde nicht unter der Beobachtung zweier Augen. Ich gehe gern Schwimmen und weder am Strand noch im Schwimmbad ist man unbeobachtet, warum sollte es mich also jetzt stören? Ein letztes Mal tauche ich unter, bevor ich zum Beckenrand schwimme und mich aus dem Wasser hieve. Die Sonne hat in der Zwischenzeit ihren Weg fortgesetzt, so dass es in dem Garten nicht mehr allzu heiß ist. Ein leises Klingeln durchzieht die Luft ehe Mrs. Chevalier’s Hausmädchen erscheint und uns Tee und Kuchen serviert. Nur vom Feinsten versteht sich. Mir würde es schon reichen, wenn ich beim Einkaufen nicht jeden Cent umdrehen müsste oder dreimal zu überlegen bräuchte, ob ich mir etwas leisten kann oder nicht. „Ich habe übrigens noch eine Kleinigkeit für dich.“ Auffordernd hält mir meine Gegenüber ein schwarzes Etui entgegen, das ich im ersten Moment doch etwas erstaunt mustere. „Nimm es ruhig, ich habe es extra für dich bringen lassen.“ Unentschlossen greife ich danach und öffne die Box. Eine Sonnenbrille. Nun gut, im ersten Moment klingt das banal, billig, vielleicht sogar einfallslos, aber nicht diese hier. „Das kann ich nicht annehmen.“ entgegne ich deshalb. „Natürlich kannst du, mir würde sie nicht stehen. Oder gefällt dir das Modell nicht? Ich habe mich extra darüber informiert was dem aktuellen Zeitgeist entspricht, aber nicht zu aufgetragen wirkt, schließlich bist du hübsch genug um dich nicht hinter irgendeinem Accessoire verstecken zu müssen.“ Erneut blicke ich auf das Geschenk in meiner Hand; eine Sonnenbrille von Prada. Was die wohl gekostet haben mag? Ich will es lieber nicht wissen. Behutsam hole ich sie aus ihrer Schachtel, falte die Bügel auseinander und setze sie mir auf. Was für ein Gefühl! Man merkt sofort, dass dies kein billiges Exemplar ist, so wie meine alte Sonnenbrille. „Dir kann man einfach alles anziehen, du siehst immer gut damit aus. Nur bei wenigen Menschen ist das so, Ryo.“ Bienchens kleine Cocktailrunde: Alkohol ist allgegenwärtig *g* Illusions Swimming Pool 2cl Wodka Eis 2cl Malibu 2cl Wodka 1cl Midori 2cl weißer Rum 1cl Blue Curacao 2cl Kokoscreme Eis 2cl Sahne O-Saft 6cl Ananassaft 1 Melonenecke Blue Curacao zum Dekorieren Kapitel 8: Sorgenkinder ----------------------- @Chibi-Robin: *Keks geb, weil du erster warst* Zorro würde bestimmt auch eine Plastiksonnenbrille für kleine Kinder stehen ^^’ @Swuena: Schön, daß dir die FF gefällt! Und was das Pairing betrifft, so kann ich dir nur voll und ganz zustimmen! @Jet-chan: Hatte eine geile Sonnenbrille von Prada in der Stadt gesehen und da ich zu der Zeit gerade dieses Kap geschrieben habe, hab ich sie einfach in die FF eingebaut. Leider habe ich kein Bild davon gefunden. @Miss_Puma: (dein vollständiger Name ist mir zu lang ^^’) Robin’s Gefühle bezüglich Ryo sind im Moment ja auf dem Stand, daß sie ihn akzeptiert und keine Angst mehr vor ihm hat. Zorro dagegen sieht sie als eine seiner Kundinnen, die eher zu der netteren Sorte Mensch zu gehören scheint. Viel wissen die beiden schließlich noch nicht von einander. Ich muß selbst erst einmal sehen, wie sich die ganze Angelegenheit so entwickelt. @4Kolibris: So, so, du scheinst dich aber recht gut in der Szene der Callboys auszukennen. Ich möchte gar nicht so genau wissen, wofür du immer dein Taschengeld ausgibst XD! Aber du hast schon recht, mit dem was du sagst. Allerdings möchte ich doch die kleine Andeutung wagen, daß in der Agentur, für die Zorro arbeitet, so einiges anders läuft. Lies einfach weiter, wenn es dich interessiert. @cada: Hier ist Diego, wie versprochen! Aber wehe dir, du gibst ihn mir nicht wieder zurück! @Silja: DU HAST VULNERABLE SIEBEN MAL GELESEN!?! UND MANCHE KAPS NOCH ÖFTERS!?! *tot umkipp* Womit hab ich diese Ehre verdient? @Heroeumel: Ich spar auch schon, für meinen persönlichen Poolboy XD Aber wie ich schon zu Miss Puma sagte, es ist noch zu früh, als daß sich die beiden für einander interessieren könnten. Es soll also weiterhin spannend bleiben. 8. Kaya Sorgenkinder Heute Nacht wird Diego unser Gast sein. Das kommt hin und wieder schon mal vor, wenn auf ihn keiner aufpassen kann, weil sein Vater arbeiten muss. Arbeiten ist dafür zwar nicht das richtige Wort, aber wie soll man das sonst nennen? Er geht abends aus dem Haus um Geld zu verdienen. Nennt man das nicht arbeiten? Auch wenn die Tätigkeit eher fragwürdig ist. Als er mir damals vor etwas mehr als drei Jahren von diesem Job erzählte, bin ich aus allen Wolken gefallen, aber eher weniger wegen des Jobs, sondern wegen dem Grund, weshalb er ihn angenommen hat. Das Leben ist nicht gerecht. So tun mein Mann Lysop und ich alles was in unserer Macht steht, um den beiden zu helfen. Diego ist mein Patenkind und Zorro der Mann meiner besten Freundin. Aber seit Jahren ist sie tot und so habe ich mir geschworen für die zwei da zu sein, wann immer es in meiner Macht steht. „Na, was willst du denn essen?“ „Ein kleines Würstchen….“ Lysop und ich haben spontan im Garten unseres Häuschens den Grill angeworfen, um Diego so auch mal wieder etwas neues zu bieten, denn bei ihm zu Hause ist kein Platz für einen Grill. „Willst du auch Salat?“ Er antwortet mir nicht. Statt dessen kann ich dabei zusehen, wie seine Mine von Sekunde zu Sekunde trauriger wird. „Was ist denn mit dir, mein Schatz?“ Doch er schweigt. „Hey, willst du mir nicht erzählen, was dich bedrückt?“ Ich streiche ihm durch sein weiches Haar, denn ich möchte nicht, dass mein kleiner Liebling traurig ist. Er ist mir so sehr ans Herz gewachsen, dass es mich stets selbst schmerzt, wenn ihn etwas bedrückt. „Tante Kaya?“ „Ja?“ „Was ist ein Ehebrecher?“ Verdutzt halte ich für eine Sekunde die Luft an, frage mich dabei aber gleichzeitig, wie ein kleiner Junge wie Diego es ist, auf so ein Wort kommt? „Ähm…stell dir vor da ist ein Mann und der kommt und nimmt mich mit, so dass dein Onkel Lysop alleine ist. Das ist ein Ehebrecher.“ Oder so ähnlich. „Wieso willst du das wissen?“ „Weil die das im Kindergarten sagen, dass Papa ein Ehebrecher ist.“ Und schon fließen die ersten Tränen. Ich drücke den Kleinen an mich und erwidere: „Dein Papa ist ein ganz lieber Mensch, der würde so etwas nie tun. Die anderen Kinder wollen dich nur ärgern.“ „Miss Shepard hat das gesagt.“ Miss Shepard. Ich erinnere mich noch genau an den Tag als Zorro vom ersten Elternsprechtag im Kindergarten zurückkam. Diego war gerade mal drei und bis zu diesem Zeitpunkt ging der Kleine recht gerne dorthin, hatte auch ein paar nette Freunde gefunden. Zorro saß danach den ganzen Abend allein bei uns in der Küche und hat sich das kleine Foto seiner Kuina angesehen, das er normalerweise im Geldbeutel mit sich trägt. Da wusste ich bereits, dass etwas vorgefallen war. Ich kenne Zorro nun schon seit der Junior-High-School und immer wenn ihn etwas bedrückte, zog er sich zurück. Er war nie sehr redselig, aber manchmal konnte er regelrecht verstummen. Ich glaube, an diesem Abend weinte er. Ohne Tränen und einsam. Er hat mir erst am nächsten Morgen verraten, dass die gute Miss Shepard ihm wohl gerne etwas näher gekommen wäre, er aber dankend darauf verzichtet hatte. Zorro war schon immer bei den Mädels seiner Klasse und auch denen der jüngeren Jahrgangsstufen beliebt gewesen, schließlich sah er damals schon recht gut aus, aber für ihn gab es nur Kuina. Am Anfang habe ich ihn deshalb belächelt, immerhin war sie zwei Jahre älter als er und selbst heiß umschwärmt von diversen Jungs. Aber er hatte sich gegen alle anderen durchgesetzt und sie für sich gewonnen. Und seit diesem Tag waren die beiden eine eingeschworene Einheit, bis zu ihrem Tod. Aber plötzlich kommt diese Kindergärtnerin, schon hübsch aber nicht unwiderstehlich, und will sich ihm an den Hals werfen. Sie konnte von Glück reden, dass Kuina zu diesem Zeitpunkt nicht mehr lebte, die hätte ihr sonst die Hölle heiß gemacht. Jedenfalls seit Zorro Miss Shepard’s Angebot auf ein horizontales Abenteuer ablehnte, intrigiert sie gegen ihn. Kein Wunder also, dass er bei den anderen Eltern nicht gern gesehen ist und auch die Kinder ihn und seinen Sohn meiden, von ein paar wenigen Ausnahmen mal abgesehen. Ich drehe mich auf die Seite, starre auf die schwach im Dunkeln leuchtenden Zeiger meines Weckers, nur um festzustellen, dass es kurz nach halb vier ist. Einen Augenblick überlege ich noch, dann schäle ich mich langsam aus meiner Decke und stehe auf. Nahezu blind taste ich mich zur Tür vor, aber ich kenne den Weg inzwischen auswendig. Von Lysop ist nur ein gleichmäßiges Atmen zu hören, folglich schläft er tief und fest. Ob ich mal nach Diego sehen sollte? Doch gerade als ich mich dem Gästezimmer zuwenden will, lässt mich ein leises Klicken innehalten. Unwillkürlich beschleunigt sich mein Herzschlag ein wenig, während meine Ohren gespannt lauschen. Schon wieder. Ein Frösteln durchzieht meinen Körper, aber dennoch nehme ich all meinen Mut zusammen und schleiche die dunkle Treppe nach unten. Alles still. Dunkel und ruhig liegt der Flur vor mir, kein Hinweis auf das Klicken. Was war das nur? „Bist du nicht müde?“ Erschrocken stolpere ich nach vorne, taumle, habe ich doch ganz vergessen, dass ich auf der untersten Treppenstufe stehen geblieben bin. Wild fuchtle ich mit den Armen, bis ich das Geländer gerade noch rechtzeitig zu fassen bekomme, bevor ich eine Bruchlandung hinlege. Schweig still, mein Herz! „Musst du mich so erschrecken!“ zische ich leise, als ich den Übeltäter schemenhaft in der Dunkelheit erkennen kann. „Entschuldige, aber das gleiche könnte ich auch zu dir sagen.“ „Hast ja recht. Setzen wir uns noch ein wenig ins Wohnzimmer?“ Wie immer antwortet er nicht mit Worten, sondern geht einfach zum Zeichen seiner Zustimmung voraus und schaltet schon mal das Licht in besagtem Zimmer an. Ein wenig blinzle ich, einerseits wegen dem hellen Licht, andererseits wegen Zorro’s Aufmachung. Ich gehe ihm hinterher und lümmle mich auf das Sofa, während er sich mit dem Rücken gegen die Fensterbank lehnt. Auf mich wirkt er stets sehr fremd, wenn ich ihn in diesen Klamotten sehe. Fremd und unnahbar. Früher trug er immer dunkle Jeans und ein Shirt sowie Turnschuhe, schlicht eben. Und jetzt? Schwarze enge Lederhosen, die an den Seiten geschnürt sind, dazu ein schwarzes Hemd, wobei man sagen muss, dass nur zwei Knöpfe in der Mitte geschlossen sind, und schwarze Bikerstiefel. Damals hätte ich jedem einen Vogel gezeigt der behauptet hätte, Zorro würde einen auf Aufreißer mimen. So kann’s gehen. „Mit wem hast du dich heute getroffen?“ „Christine.“ „Die Stewardess?“ „Ja. Wenigstens rückt die mir nicht auf die Pelle.“ Ich nicke und werfe einen Blick auf die Wanduhr. Kurz vor vier. „Miss Shepard hat wohl zu Diego gesagt, dass du ein Ehebrecher wärst. Ich hab ihm aber erklärt, weshalb du das nicht sein kannst, mach dir also keine Sorgen.“ „Diese blöde Kuh! Ich mach drei Kreuze wenn Diego in zwei Jahren in die Schule kommt, obwohl die Lehrer nicht unbedingt besser sein müssen.“ „Da hast du leider Recht.“ Bienchens kleine Cocktailrunde: The Babysitter Kiwi Dream 4cl Kokoslikör 150ml Milch 2cl Crème de Cacao Saft von 2 Limetten ½ Kugel Vanilleeis 2 Kiwis geschält & gewürfelt Cola 1 EL Zucker geraspelte Schokolade 400g Vanilleeis 4 Kiwischeiben 2 Limettenschalenstreifen Kapitel 9: Erinnerungen: Eine Art der Herausforderung ----------------------------------------------------- Hey! Das Kap ist leider recht kurz geworden, sorry, aber dafür wird das nächste wieder etwas länger, mit Diego und es wird auch nicht allzu lange auf sich warten lassen. LG Eure Stoechbiene 9. Zorro Erinnerungen: Eine Art der Herausforderung Ich muss mich mehr konzentrieren! Dies ist der letzte Kampf am heutigen Tag, der Kampf gegen mich selbst, die drohende Erschöpfung, die Niederlage. Schweiß perlt auf meiner Stirn, rinnt meine Schläfen hinab, meine Augen sind müde, meine Arme schwer wie Blei. Es kostet mich mit jedem Hieb mehr Kraft meine Konzentration nicht zu verlieren, einfach Herr der Lage zu bleiben. Doch mein Gegner ist nicht zu unterschätzen! Schnell, gewandt, clever. Er ist nicht umsonst mein Meister. Aber dieses Jahr beim Weihnachtsturnier des Dojos muss ich ihn einfach schlagen, das habe ich mir selbst geschworen! Ich bin achtzehn, trainiere täglich mehrere Stunden und ich habe ein festes Ziel vor Augen. Wenn ich es jetzt nicht schaffe ihn zu besiegen, wann dann? Hart treffen die Bambusschwerter aufeinander, drücke fest dagegen, versuche meinen Gegner in die Knie zu zwingen, doch er hält mit gleicher Kraft dagegen. In diesem Moment gibt es keine Freundschaft, keinen Meister, keinen Schüler, nur der Wille zum Sieg. Ich verringere den Druck ein wenig, versuche eine Finte, mein Ego platzt sonst. Wissentlich lasse ich mich in die unterwürfige Position lotsen, gaukle eine kurze Schwäche vor, nur um die Überraschtheit meines Kontrahenten zu nutzen, um noch stärker zurückzuschlagen. Unsere Waffen reiben übereinander, ein letztes Aufbäumen, Stille. Nur mein Puls dröhnt in meinen Ohren. Erst das dumpfe Geräusch als das Shinai meines Gegenübers auf dem Boden landet, holt mich langsam in die Realität zurück. Es passiert mir oft, dass ich beim Kämpfen mit den Gedanken derart abschweife, dass ich nichts weiter als meinen Gegner und seine Waffe wahrnehme, vielleicht noch einen Teil von mir selbst. Die Welt um mich herum wird unwichtig, versinkt hinter einem grauen Schleier des Vergessens. Kämpfen liegt mir nun mal im Blut, bedeutet mir sehr viel, aber eben dann doch nicht alles. Tief atme ich ein und aus, versuche meinen Herzschlag zu beruhigen, ehe ich meine eigene Waffe senke. Was für ein geiler Tag! Aber die härteste Prüfung liegt erst noch vor mir. Kaum ist ein Kampf vorbei, wartet schon die nächste Herausforderung auf mich. Aber ich muss Stärke beweisen, sonst kann ich diesen Kampf nicht gewinnen. Noch immer bin ich innerlich aufgewühlt, will mein Puls sich nicht besänftigen und so wie ich mich kenne, wird das auch noch ein Weilchen dauern. Ich ziehe mir mein Bandana vom Kopf und fahre mir damit kurz über das Gesicht, bevor ich es an meinem Oberarm befestige. Es muss eh wieder gewaschen werden. Ein letztes Mal schimpfe ich mich an diesem Tag einen verrückten Idioten, dann lasse ich mich auf die Knie sinken, lege das Shinai auf den Boden und verneige mich. „Meister?“ „Alles in Ordnung mit dir, mein Junge?“ In all den Jahren in denen ich ihn nun schon kenne, hat sich Kuina’s Vater kaum verändert. Egal ob er einen Sieg erringt oder eine Niederlage einstecken muss, er lächelt immerzu, sieht stets das positive. Allein diese Tatsache lässt ihn in meinen Augen zu einem wahren Meister werden. „Mir geht es gut. Danke für den fairen und schönen Kampf.“ „Ich muss dir danken, du bist ein ausgezeichneter Kämpfer geworden, Zorro.“ „Danke, Meister. Aber ich möchte sie um etwas bitten und es ist mir ernst damit. Und glauben sie mir, ich werde dafür kämpfen, egal wie lange und was es mich kosten wird, aber ich gebe nicht auf.“ Er nickt mir zu. „So sprich.“ „Ich möchte sie um die Hand ihrer Tochter Kuina bitten.“ Scheiße bin ich nervös! Bitte jetzt keinen Schweißausbruch oder gar einen roten Kopf bekommen. Ganz ruhig!! Aber das leise Gemurmel der anderen Teilnehmer trägt nicht gerade dazu bei, dass ich mich entspanne. „Es ist dir also ernst?“ „Ja.“ „Du weißt, dass du dann für sie verantwortlich bist, sie versorgen und beschützen musst?“ „Ja.“ „Gut. Aber meinst du nicht, du solltest besser sie fragen?“ Ich nicke und sehe auf. Aber ich komme gar nicht dazu ein Wort zu sagen, denn im selben Moment fällt mir meine Freundin auch schon um den Hals. „Kuina, willst du –“ Nie schmeckte ein Kuss von ihr süßer als in diesem Moment, zeigte sie mir so sehr ihre Zuneigung und Liebe. Ich bin der glücklichste Mensch auf Erden! „Ja…natürlich…!“ Fest drücke ich ihre zierliche Gestalt an mich, will sie nie wieder loslassen. So fühlt sich also das pure Glück an, wie es durch meine Adern pulsiert, mich regelrecht schweben lässt. Seit Tagen war mir flau im Magen, allein wegen dieser winzigen, aber dennoch so bedeutenden Frage. Doch meine Ängste, sie würde ablehnen oder ihr Vater mich rauswerfen, waren unbegründet. Wir werden heiraten! Und ich verspreche, ich werde immer für sie da sein. Bienchens kleine Cocktailrunde: Christmas Cocktail Heavenly Days 1 Zuckerwürfel 4cl Haselnußsirup 1 Spritzer Brandy 4cl Zitronensaft 2 Spritzer Cranberrysaft 1Tl Grenadine Champagner Mineralwasser Himbeeren zur Deko Kapitel 10: Ich will so sein wie du ----------------------------------- So, damit mir nicht wieder irgendwelche Klagen kommen, Entzugserscheinungen auftreten o.ä. spielt in diesem Kap auch wieder der kleine Diego mit.^^ @Miss_Puma: Keine Sorge, du kommst noch zu deinen Kaps, versprochen! @Silja: Ich hoffe, die Diegoportion ist groß genug *g* Viel Spaß beim Lesen! LG Eure Stoechbiene 10. Zorro Ich will so sein wie du Heute ist einfach geiles Wetter! Man merkt langsam, dass Frühling ist und das muss man ausnutzen. Nicht dass es im sonnigen L.A. jemals wirklich kalt wird, aber ich mag es nun mal, wenn es draußen richtig heiß ist. Ich schlendere die Straßen entlang, kenne den Weg schon im Schlaf. Vorbei an der Videothek, dem Feinkostladen, einem kleinen Brunnen, dem Gemüsehändler, einfachen Häusern, diversen Reklametafeln. Bunt gemischt. An meinem Ziel angekommen halte ich kurz inne, atme leise tief ein und betrete schließlich das Gebäude. Die Wände sind farbig bemalt, zeigen das Tier für die jeweilige Kindergartengruppe. Zuerst kommen die Mäuse, dann die Schäfchen, die Bärchen und zuletzt die Häschen. Mein Blick gleitet über die Garderobe und ich erkenne an den fehlenden Jacken, dass bereits ein paar der Kinder von ihren Eltern oder Kindermädchen abgeholt wurden. Je weniger ich von diesen Leuten begegnen muss, um so besser. So wie diese Menschen mich meiden, so meide ich sie. Für mich gibt es wichtigeres als darüber nachzudenken, ob mich irgend ein feiner Pinkel leiden kann oder nicht. Ich werfe einen Blick durch die Tür der Häschengruppe und erblicke sofort meinen Sohn, der zusammen mit seiner besten Freundin Leonie vor einem der Fenster auf dem Boden sitzt. Die beiden scheinen in ein Gespräch vertieft zu sein, wobei ich mich frage, was Kinder in ihrem Alter wohl wichtiges zu bereden haben. Warum ist Playmobil besser als Lego? Ich pfeife leise durch die Zähne, ein Geräusch, das Diego sofort erkennt. Flink kommen die beiden Kinder auf mich zugeeilt und plappern beide gleichzeitig drauf los, dass ich Mühe habe zu folgen. Leonie’s Vater arbeitet als Hafenarbeiter in den Docks und ist hier in etwa genauso wenig beliebt wie ich. Zwar wird immer behauptet Schwarze hätten es genauso einfach wie Weiße, aber dem ist noch heute nicht so. „Holt eure Jacken, damit wir gehen können.“ „Es ist aber heiß.“ Wirft Leonie ein und ich nicke. „Das stimmt, aber mitnehmen müssen wir sie trotzdem.“ Die beiden Flöhe holen ihre Sachen, Diego die Jacken und Leonie ihre kleinen Taschen. Die Zwei sind schon drollig. Aber lange währt meine Freude nicht, spüre ich doch wieder diesen stechenden Blick auf mir, oder eher auf meinem Hintern. Ich brauche mich nicht umzudrehen um zu wissen, wer mich derart ansieht. Es ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Miss Shepard, Diego’s Kindergärtnerin. Sie ist noch immer sauer auf mich, weil ich sie habe abblitzen lassen und das sieht sie als Grund genug Diego zu schikanieren. Leider bin ich dagegen ziemlich machtlos, denn wer glaubt schon einem Callboy mehr als einer Kindergärtnerin? Deshalb ignoriere ich sie meistens, bevor sie wieder ein paar ihrer anzüglichen Bemerkungen fallen lassen kann. Diese blöde Ziege! Sie kapiert einfach nicht, dass ich den Sunnyboy bloß spiele, aber in Wirklichkeit ein anderer bin. Es ist für mich kein Spaß zu Flirten oder jeder Frau hinterher zu sehen, so wie man es sich gern über mich erzählt. Aber diese Tatsache ist für die wenigsten wohl nachvollziehbar. Es gibt sogar Tage, da erschrecke ich vor mir selbst wenn ich mich im Spiegel sehe. Ein Fremder blickt mir dabei stets entgegen, aufgetakelt wie ein Pfau, der nichts weiter als irgendwelche Weiber im Kopf hat. Leonie und Diego eilen voraus, während ich ihnen hinterhergehe, um sie nicht aus den Augen zu verlieren. Es ist wieder Zahltag im Hafen und da dort jeder Arbeiter sein Geld bar bekommt, kann sich die Prozedur schon ein bisschen in die Länge ziehen. An diesen Tagen hole ich Leonie mit vom Kindergarten ab und wir treffen ihren Vater dann meist später im nahegelegenen Park. Auch heute sind wir wieder auf dem Weg dorthin, aber natürlich nicht ohne vorher einen neugierigen Blick in Diego’s Lieblingsschaufenster zu werfen. Es gehört zu einer Galerie und dort hängt ein Gemälde eines kleinen Piratenschiffes im Sonnenuntergang. Mein Sohn liebt dieses Bild und immer wenn wir dort vorbeigehen muss er nachsehen, ob es noch an seinem Platz ist. Der Park ist nicht sehr groß, aber gerade deshalb nicht so stark besucht, was ich sehr an ihm schätze. Es gibt eh viel zu wenig ruhige Plätze in einer Stadt wie dieser. Ich lasse mich auf eine der Bänke fallen und sehe den Kindern beim Spielen zu. Schaukeln, Rutschen, Wippen. Wie gerne wäre ich auch so unbeschwert, wenigstens an einem Tag in meinem Leben. Aber permanent sitzt mir die Angst im Nacken, die Angst vor meiner eigenen Hilflosigkeit. „Wir haben Hunger!“ Unweigerlich muss ich grinsen, hab ich mir doch so etwas beinahe schon gedacht. Ich krame aus meinem schwarzen Rucksack belegte Brote, zwei Äpfel und ein paar Kekse hervor sowie eine Thermoskanne mit kaltem Tee. Die Beiden spachteln auch gleich los, während ich die Äpfel mit meinem Taschenmesser in gleichmäßige Schnitze schneide. „Hallo!“ Alle Blicke richten sich auf die Person, die offensichtlich nach uns gerufen hat. „Dad!“ Leonie springt auf und rennt ihrem Vater entgegen. Steve ist ein paar Jahre älter als ich und lebt von seiner Frau getrennt, die sich lieber ihrer Drogensucht hingibt als ihrer Familie. Er hat es auch alles andere als leicht. Wir begrüßen uns wie sooft per Handschlag, vielleicht wie es gute Kumpels tun. „Du bist früh dran.“ „Erstaunlich, wenn man bedenkt wie lange sich die Lohnauszahlung hinziehen kann, aber heute konnten wir pünktlich Feierabend machen. Ich wünschte, ich hätte einen besseren Job, dass ich Leonie selbst hätte abholen können, so wie andere Väter.“ Seufzend setzt er sich zu uns und nimmt sich eines der Brote. „Wer wünscht sich das nicht?“ entgegne ich ihm schließlich und nehme mir selbst ein Apfelstück. „Na du kannst dich doch nicht beschweren. Ständig läufst du in den schicksten Klamotten rum, alle Frauen drehen sich nach dir um und du hast keine Rückenschmerzen, weil du schwer heben musst.“ „Auf diese Sorte Frau kann ich gerne verzichten, die sich nach mir umdreht. Außerdem stell dir das mal nicht so glamourös vor, schließlich sind die Frauen nicht immer jung und hübsch. Siehst du meine neue Sonnenbrille? Die hat mir eine alte Dame im Rentenalter geschenkt und das nicht, weil ihr meine Augen gefallen. Außerdem bist du ein freier Mensch, vergiss das nicht.“ „Aber was ist das für ein Leben, den ganzen Tag über im Dreck zu wühlen für ein paar lausige Kröten?“ „Das gleiche, wie am moralischen Morast zu ersticken und so zu tun als hätte man Spaß daran.“ „Vielleicht hast du recht, aber wenigstens für einen Tag würde ich gerne mal mit dir tauschen. Als einfacher Arbeiter lernt man doch keine anständige Frau kennen.“ „Als anständig würde ich meine Bekanntschaften ebenfalls nicht bezeichnen, denn früher oder später wollen sie doch nur mit mir ins Bett.“ „Immerhin.“ Ich schüttle nur den Kopf und wende meine Hauptaufmerksamkeit wieder den beiden Kindern zu. Inzwischen scheint ihnen der Sandkasten zu langweilig geworden zu sein und auch die Rutsche hat ihren Reiz verloren. Im Gegensatz zu dem Springbrunnen! Ich ahne ja schon, wer gleich wieder pudelnass sein wird. Es gibt zwei Dinge, mit denen kann man Diego einfach nicht allein lassen: Malfarben und Wasser! Ich stehe folglich von meinem Platz auf und laufe in großen Schritten zu den beiden Wasserratten. Aber zu spät, sein T-Shirt ist bereits von Wasserflecken übersät und wenn mich meine Augen nicht im Stich gelassen haben, steht er sogar mit den Füßen im kühlen Nass. Dieser kleine Wasserfloh! Bevor er sich allerdings dazu entschließen kann auch noch ein paar Schwimmübungen zum besten zu geben, packe ich ihn an den Armen und hebe ihn hoch. „Aber Papa!“ „Man geht nicht in einem Brunnen schwimmen.“ „Wieso?“ „Weil ein Brunnen kein Planschbecken ist.“ Ich stelle ihn mit den Füßen auf die Parkbank und ziehe ihm sein Shirt aus, bevor er sich erkältet. Hose, Schuhe und Socken müssen auch dran glauben, hat der Bengel doch tatsächlich seine ganzen Klamotten durchnässt. Ein enttäuschender Blick in meinen Rucksack erinnert mich daran, dass ich für ihn ja gar keine Sachen zum Wechseln dabei habe, nicht mal ein T-Shirt wie sonst immer. Also bekommt er mein Hemd, was ihn auch augenblicklich wieder fröhlicher stimmt. Zwar sieht es jetzt aus als würde er ein Nachthemd tragen, aber bei einem kleinen Jungen ist das nicht weiter schlimm. Ich packe die inzwischen leere Thermoskanne wieder ein und ziehe den Rucksack auf. „Wir sehen uns, Steve.“ „Ja, spätestens beim Elternsprechtag im Kindergarten.“ „Erinnere mich nicht daran!“ Ich setze Diego auf meine Schultern, schließlich kann er ohne Schuhe wohl kaum über den dreckigen Asphalt laufen. „Tschüss, Leonie!“ ruft er noch, bevor wir uns auf den Nachhauseweg begeben. Zu Fuß dauert es etwa dreißig Minuten bis wir daheim ankommen, aber der Bus ist auch nicht viel schneller. Unterwegs fallen wir natürlich auf und nicht selten kommt es vor, dass die ein oder andere Frau mir zuzwinkert oder sogar eine kleine Bemerkung fallen lässt. „Du Papa, warum hat die Frau eben so gegrinst?“ „Na weil du heute so chic aussiehst.“ „Ja, cool!“ Bienchens kleine Cocktailrunde Spring in the air Muddy Puddle 2cl Gin Saft von ½ Zitrone 2cl Limettensirup Saft von ½ Orange 1cl grüner Chartreuse fein gestoßenes Eis 1 Limettenschalenstück Cola 1 Orangenscheibe Kapitel 11: Vater und Tochter ----------------------------- Hey, ihr Leseratten, es geht weiter! @Konami: Danke für deinen Kommi, ist schön, daß mal wieder was von dir zu hören. @cada: Schön, daß dir die Beziehung zwischen Zorro und seinem Sohn so gut gefällt, ich versuche mir mit den beiden auch immer viel Mühe zu geben. @Silja: Gott sei Dank ohne Einhörner und weiße Nachthemden *g* @heroeumel: Danke für deine hundert Kommis (alle zusammen gezählt), die du mir inzwischen bestimmt schon geschrieben hast!! @peach06: Mal sehen, wahrscheinlich taucht Leonie noch mal auf. @Miss_Puma: Diego kann man sich schon ausleihen, aber der ist momentan bei Raschka, mußt dich also mit ihr einigen XD @Jet-chan: An der "lieben" Kindergärtnerin wirst du noch deine Freude haben, soviel kann ich dir jetzt schon versprechen. Viel Spaß beim Lesen! LG Eure Stoechbiene 11. Robin Vater und Tochter „Robin! Mensch, wo steckst du denn schon wieder?“ „Ich bin hier im Bad!“ rufe ich zurück. Mein Vater leidet unter Herzinsuffizienz im zweiten Stadium, was ihn allerdings nicht davon abhält derart rumzubrüllen. Seit knapp einer Woche liegt er nun schon im Krankenhaus, weil er sich eine Nierenentzündung eingefangen hat, was bei einer schwachen Herztätigkeit sofort doppelt ins Gewicht fällt. „Komm her!“ Ich drehe den Wasserhahn ab und begebe mich zu ihm, bevor er noch das ganze Haus zusammenschreit. „Was gibt es denn, Vater?“ „Sieh nur, ich hatte Recht! Ha, der Wert meiner neuen Aktien ist um dreiundzwanzig Prozent gestiegen! Die Investition hat sich gelohnt!“ Ihm geht es auch immer bloß ums Geld. Seit ich ihn kenne redet er nur über Wertpapiere, Fonds, Gewinne, Prozente und Investitionen. Manchmal glaube ich, meine Mutter ist an einem Börsenkoller gestorben und nicht an den Folgen einer zu spät erkannten Lungenentzündung. Mein Vater wird ihr wohl kaum Liebe und Respekt entgegengebracht haben, kann ich mir zumindest nicht vorstellen. Das einzige was ihm lieb ist sind seine Finanzen. Wie haben es die beiden überhaupt geschafft mich zu zeugen? An dem Tag muss mein Vater wohl ein exorbitantes Geschäft über die Bühne gezogen haben, anders kann ich mir das nicht erklären. Frei nach dem Motto: Wenn ich an einem Tag so viel Geld verdienen kann, kann ich auch mal über meine Alte steigen. Es gibt wirklich Dinge, über die man besser nicht nachdenken sollte, sonst bekommt man nur Alpträume davon. „Was willst du denn mit dieser Gießkanne?“ „Die Blumen gießen, die dir deine Besucher und Geschäftspartner geschenkt haben.“ antworte ich, während ich mich um die Pflanzen kümmere. „Ach, sollen sie doch verrecken!“ „Die Blumen oder deine Geschäftspartner?“ frage ich zurück, kenne ich doch seine herrische Art. „Seit wann gibst du mir solche Antworten?“ „Weißt du, manchmal merkt man eben doch, dass ich deine Tochter bin.“ Jetzt grinst er. Selten, dass er das tut, aber im Moment kann ich tatsächlich die blinkend weißen Zähne seines teuer sanierten Gebisses sehen. „Du bist und bleibst eben eine waschechte Nico. Apropos, wie geht deine Scheidung voran? Ich hoffe, du läßt dir von Zero kein Geld aus der Tasche ziehen, ihr hattet schließlich einen Ehevertrag.“ „Den du entworfen hast. Was bereitest du dir also Sorgen?“ „Weil du leider auch die Tochter deiner Mutter bist. Sie war immer so nachgiebig! Viel zu weich! Aber sie konnte den besten Erdbeerkuchen backen. Als ob wir dafür nicht Personal gehabt hätten! Na ja, so war sie eben.“ Wieder verschanzt er sich hinter seiner Zeitung, beachtet mich nicht länger. So kenne ich meinen Vater, nur niemanden hinter die eigene Fassade blicken lassen. Aber manchmal erwische ich ihn dennoch dabei, wie er sich das Bild seiner verstorbenen Frau über dem Kamin ansieht. Wahrscheinlich ist auch er nur einsam, schließlich starb sie als ich noch ein kleines Kind war. „Ich hab mir was überlegt. Sobald deine Scheidung über die Bühne ist, wirst du nach Santa Monica ziehen.“ „Nein, wieso sollte ich?“ Wie alt bin ich denn? „Unterbrich mich nicht! Zero wird an das Geld wollen, außerdem trau ich dem Typen nicht, das weißt du! Dort bist du einfach sicherer….“ „Dad…“ Ich weiß nicht, was ich sagen soll. „Ich habe ein riesiges Grundstück direkt am Strand gekauft und das Haus ist so gut wie fertig. Dort hast du genug Platz für deine Bücher und Bilder. Außerdem willst du doch nicht behaupten, dass es dir in deiner dunklen Altbauwohnung gefällt, oder? Das reinste Loch! Was schaust du denn so? Du bist immerhin meine Tochter. Wer glaubst du denn wird sonst mal mein Vermögen erben?“ Ich hab’s geahnt! „Außerdem findest du dort vielleicht endlich einen anständigen Kerl. Aber keinen dieser Surfbordträger! Die haben doch alle bloß Luft im Sack! Zu meiner Zeit hätte man solchen Grünschnäbeln das Fell über die Ohren gezogen! Auch schon egal, Hauptsache dieser Zero verschwindet endlich. Pah, sein Name ist Programm, die größte Null auf Erden!“ „Dad, lass gut sein, ja?“ „Ich will dir mal was sagen.“ Hört der mir überhaupt zu? „Das wichtigste ist nicht sein Aussehen, oder wieviel Geld er hat, auch wenn ein bisschen Zaster nicht schaden kann, sondern dass er weiß was er will und Mut im Herzen trägt. Den Mut zu dir zu stehen, egal was kommen mag. Du hast schließlich nur das Beste verdient, meine Kleine. Und jetzt will ich einen Kaffee! Stark und nicht wieder dieses Gebräu ohne Koffein, das man hier serviert bekommt!“ Warum muss mein Vater nur so unbeständig mit seinen Launen sein? Das hält doch kein Mensch aus! „Denk an dein Herz.“ „Ach, scheiß auf mein Herz! Die Pumpe läuft, aber etwas Sprit täte ihr ganz gut.“ „Gut, dann steh doch auf und hol dir deinen Kaffee.“ Ein wenig zornig funkeln mich seine Augen an, aber ich kenne diese Masche von ihm. Damit kann er womöglich seine Geschäftspartner einschüchtern, aber bei mir funktioniert das schon lange nicht mehr. „Dann gib mir halt so einen ollen Tee!“ Geht doch. „Aber nach Santa Monica ziehst du trotzdem! Dieser Fettsack von Zero soll nämlich nicht glauben, dass er ständig bei dir auftauchen kann, um dir Geld abzuknöpfen. Außerdem schaffst du es vielleicht sogar noch vor meinem Tod mir einen Erben zu schenken. Nicht auszudenken, sollte der Staat eines fernen Tages mein sauer verdientes Geld kriegen. Die bauen nur Waffen davon!“ Heute bleibt mir echt nichts erspart! „Und wie läuft meine Galerie? Ich hoffe, du hast keines meiner Kunstwerke unter seinem Wert verkauft!“ „Alles bestens. Außerdem ist es inzwischen meine Galerie und ich entscheide, was ich verkaufe und wieviel ich dafür verlange. Aber ich kann dich beruhigen, es ist noch alles an seinem Platz, Dad.“ Bienchens kleine Cocktailrunde: Rolls-Royce Cherry Blossom gestoßenes Eis 2cl Brandy 1 Spritzer Orangenbitter 1,5cl Cherry Brandy 4cl Vermouth Dry 1 Spritzer Grenadine 2cl Dry Gin 1 Spritzer Curacao 2cl Scotch Whisky 1Spritzer Zitronensaft Eis Kapitel 12: Erinnerungen: Vater werden ist nicht schwer ------------------------------------------------------- So, da bin ich auch schon wieder! Mal wieder ein Kap über die Vergangenheit, aber das nächste handelt dann auch von unserem Lieblingspairing, versprochen! Dann noch etwas allgemeines, das im letzten Kap viele missverstanden haben. Santa Monica gehört zum Großraum von LA. Die Strände haben dort ja verschiedene Namen (ein weiterer wäre z.B. Venice Beach). Also macht euch darum keine Sorgen ^^' @Miss_Puma: Das Kap dürfte in deinem Sinne sein. Und wie gesagt, zum Thema ZorroXRobin das nächste mal mehr. @Silja: Was soll ich dir sagen, wir tratschen lieber *g* @cada: Ich wollte Robin's Dad mal etwas anders darstellen und mir gefällt er so. Ob es was neues von Diego gibt? Sieh selbst! @Shiloa: Wie gesagt, durch einen Umzug wäre Robin nicht aus der Welt. @4Kolibris: Ja, Mr. Zero alias das Krokodil ist hier mit Robin's Noch-Ehemann gemeint. Aber dazu später mehr. Wie ich meine Kaps schreibe? Das ist sehr unterschiedlich. Generell erstelle ich mir stichpunktartig einen Zeitplan über die geplanten Abläufe und die Kaps ergeben sich dann von allein, aber eben nicht immer chronologisch. Dieses Kap ist auch schon ein wenig älter. @peach06: Ich habe bewusst Robin's Vater etwas exzentrischer dargestellt, der seine Sorge um seine Tochter einfach nicht anders zum Ausdruck bringen kann. @Konami: Wow, du machst dir ja schon richtige Gedanken. Aber laß dich am besten überraschen. Ich mag Robin's Vater auch *g*! @heroeumel: Ja, das muß wirklich der zig-tausendste Kommi gewesen sein. Danke! *dich drück* So, aber jetzt viel Spaß beim Lesen!! LG Eure Stoechbiene P.S.: Für die besten Kommischreiber der Welt! 12. Zorro Erinnerungen: Vater werden ist nicht schwer „Zorro? Zorro, bist du wach?“ Ich brumme ein Ja in mein Kissen, träume aber weiter. „Ich glaube, es ist soweit.“ Wer soll soweit sein? Das Frühstück? Der Tee? Das Baby? Das Baby! Ruckartig richte ich mich auf, starre wie ein Idiot auf meine Hände und rechne in Gedanken die letzten Monate durch. An Ostern haben wir Kuina’s Vater erzählt, dass wir Eltern werden. An unserem zweiten Hochzeitstag hatte meine Süße schon ein Bäuchlein. Inzwischen ist es Winter und ich nenne sie liebevoll meinen kleinen Medizinball, während sie ungeniert Unmengen von Lebkuchen futtert, dabei ist Weihnachten noch ein Weilchen hin. Und jetzt ist es mitten in der Nacht, keine Ahnung wie spät oder früh, und meine Kleine sagt einfach, dass es jetzt soweit ist. Jetzt! Tief durchatmen! „Okay. Du ziehst dich an, während ich deine Tasche hole.“ Hastig springe ich auf, falle aber erst einmal der Länge nach hin. Fängt ja gut an. „Bleib ruhig Zorro, noch habe ich ja lediglich leichte Wehen, also kein Grund Panik zu schieben.“ Leise steht sie auf und verschwindet im Bad. Wieso kann die nur so ruhig bleiben? „Was ist passiert?! Geht’s jetzt los?!“ Wie die Ausgeburt eines Schreckgespenstes taucht mein Schwiegervater im Türrahmen auf, lediglich den Bademantel über seinen Schlafanzug geworfen und die Brille auf der Nase. Mit offenen Haaren sieht er immer wie ein altausgedienter Rockstar aus. Kuina und ich wohnen bei ihm, denn das Haus ist groß und außer uns hat er niemanden. Zudem verdienen wir beide nicht genug, um uns etwas eigenes suchen zu können. Kuina arbeitet im Dojo, während ich kurz vor meinem Collegeabschluss stehe, nur gelegentlich einen Aushilfsjob als Barkeeper habe. Aber selbst wenn wir genug Geld hätten, sollen wir ihn denn einfach allein lassen? „Ja, es geht los.“ antworte ich ihm und stehe auf. Keine fünf Minuten später haben wir uns zu Dritt in Kuina’s alten Fiesta gezwängt und fahren los. „Wir sollten über den Freeway und dann hinten bei dem Sportzentrum vorbeifahren, Zorro.“ „Nein, besser über die Stadt, das ist kürzer.“ „Nein, glaub mir, der andere Weg ist schneller.“ „Unsinn, außerdem können wir in der Stadt notfalls schneller Hilfe holen.“ „Aber-“ „Könntet ihr zwei endlich damit aufhören?! Wir fahren über die Stadt, basta!“ Unwirsch schlägt Kuina mit der Hand aufs Armaturenbrett, verzieht aber im nächsten Moment kurz das Gesicht. Bestimmt eine weitere Wehe. Wenn ich ihr doch nur helfen könnte. Aber mehr als Autofahren ist im Augenblick wohl nicht drin. Die Strecke bis zum Krankenhaus zieht sich wie Kaugummi. Am liebsten würde ich ja in die nahegelegene Uniklinik fahren, aber unsere Krankenkasse schreibt eben das etwas außerhalb gelegene California General Hospital vor. Kuina wird auf dem Beifahrersitz neben mir immer unruhiger und wenn mich nicht alles täuscht, geht es nun doch schneller los als wir dachten. Warum dauert diese blöde Fahrt nur so lange? Endlich kommt das graue Hochhaus in Sicht, so daß ich noch ein wenig mehr Gas gebe. Der kleine Wagen rast auf den Parkplatz direkt gegenüber vom Eingang und kommt mit einem Ruck zum Stehen. Hastig steige ich aus, drücke aber noch schnell meinem Schwiegervater die Autoschlüssel in die Hand. Er kann den Wagen abschließen, Kuina braucht mich jetzt. Ich zerre die Beifahrertür auf und sehe in ihr blasses Gesicht. „Zorro, ich kann nicht aufstehen.“ murmelt sie matt. Ich schnalle sie los und hebe sie aus dem Fiesta. Sie ist wesentlich schwerer als früher, aber dennoch nicht der Rede wert. Ich laufe durch das große Glasdrehkreuz zur Anmeldung, wo eine sichtlich verschlafene Dame hinter einem Aktenordner sitzt. „Entschuldigen sie bitte, aber meine Frau bekommt ein Baby und zwar jetzt.“ spreche ich die mir unbekannte Empfangsdame an. „Füllen sie zuerst die Formulare aus.“ Ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen knallt sie ein Klemmbrett auf die Theke und kritzelt weiter in ihren Unterlagen herum. „Hören sie, wir –“ „Zuerst ausfüllen!“ Barsch unterbricht sie mich, sieht mich aber noch immer nicht an. Kuina krallt sich unterdes immer stärker an mir fest, bis ich plötzlich spüre wie mein Unterarm feucht wird und ein leises Prasseln zu hören ist. Shit! „Was zum Henker treiben sie da eigentlich?!“ Wütend starrt mich diese unhöfliche Krankenhausangestellte an, bis sie endlich merkt was passiert ist. „Oh Gott, die Fruchtblase ist geplatzt!“ ruft sie erschrocken. Der Kandidat hat hundert Punkte! Hektisch ruft sie über das Haustelephon Hilfe, die auch keine Minute später kommt. Dann geht alles ganz schnell. Wir werden in einen relativ kleinen Raum geschickt, wo ich Kuina auf eine Liege lege. Und während sich in meinem Kopf sämtliche Atemtechniken der Geburtsvorbereitungskurse versammeln, wirr durcheinander versteht sich, die Hebamme irgendwas von pressen erzählt und ein Arzt altkluge Bemerkungen vom Stapel lässt, dazu dämliche Witze reißt, höre ich schon das Schreien meines Sohnes. Und was soll ich nun tun? Mein Blick wandert zu Kuina, deren Hand ich noch immer halte und mustere sie. Sie sieht müde aus, aber auch glücklich. Vorsichtig streiche ich ihr ein paar Haare aus dem Gesicht und küsse ihre Stirn. „Kannst du unseren Kleinen sehen?“ Ich strecke mich ein wenig, um besser etwas erkennen zu können, aber bis auf einen winzigen Fuß ist alles durch den Rücken der Hebamme verdeckt. Aber endlich reicht sie uns den Kleinen, der doch ein wenig unzufrieden wirkt, weil er aus seinem warmen Nest gerissen wurde. Unfassbar wie klein seine Finger sind und erst die Fingernägel! „Schau mal, er hat deine Haarfarbe.“ wispert mir Kuina zu und ich nicke. „Ein echter Lorenor.“ Ich drücke meiner Süßen einen Kuss auf ihre Lippen, bin ich doch einfach unsagbar stolz auf sie. „Wie soll denn ihr Sohn heißen?“ unterbricht uns die Hebamme. „Diego.“ Bienchens kleine Cocktailrunde: Like Lightning Baby Bellini 2cl Wodka 4cl Pfirsichsaft 2cl Kümmellikör 2cl Zitronensaft Eis Apfelsprudel Tonic Water 1 Rispe rote Johannisbeeren Kapitel 13: Sexy Car -------------------- Wie von mir versprochen, hab ich ein ZoXRo Kap für euch! Aber wundert euch bitte nicht, daß ich an so einer Stelle aufhöre, das ist pure Absicht! Und ausnahmsweise mal nicht Silja’s Schuld. *g* @Sydney: Ich hoffe, an diesem Kap wirst du auch deinen Spaß haben. @Silja: Walte deines Amtes! Ach ja, ich hab der Tussi aus dem Krankenhaus (letztes Kap) einfach ihre Punkte geklaut! @cada: Ja, die Einschübe stellen schon so eine Art FF in der FF dar (toller Satz^^’). Wer den Namen ausgesucht hat? Ich weiß noch nicht, ob ich das irgendwo einbaue, mal sehen. Und das mit Santa Monica kann ja nicht jeder wissen. @heroeumel: Hoffe, dein Laptop (Schlepptop oder Notebook?) funktioniert wieder! Schön, daß dir das letzte Kap gefallen hat. @Shiloa: was heißt hier, du bist das Gegenteil von allwissend? Das glaub ich nicht! Und wie gesagt, die Sache mit Santa Monica muß man nicht wissen. @4kolibris: Warum Kuina stirbt? Tja, ich verrat es dir! ... Aber erst ein paar Kaps später! *g* @die Frau mit dem langen Namen: Wie ich es versprochen habe, das Kap über Zorro und Robin. Auf das nächste mußt du auch nicht wieder zehn Kaps warten, das gibt’s ein bißchen früher. @peachy: Was mit Kuina passiert ist, kommt noch, also keine Angst, du hast nix überlesen. Und jetzt viel Spaß beim Lesen! *euch knuddel* Eure Stoechbiene 13. Zorro Sexy Car Die Sonne verschwindet langsam hinter den Häuserfassaden, taucht selbst die grauen Straßen von Los Angeles in ein goldgelbes Licht. Viele der kleinen Läden haben bereits geschlossen, nur die großen Geschäfte sind rund um die Uhr für ihre Kundschaft da. So beobachte ich still das bunte Treiben, sehe den Menschen zu wie sie ihren Beschäftigungen nachgehen und halte dabei nach Robin Ausschau. Wir haben als Treffpunkt einen großen öffentlichen Parkplatz ausgewählt, denn sie war nicht gewillt mir zu verraten wo wir heute Abend hingehen werden. Zudem wollte sie mich nicht in der Agentur abholen, schließlich läuft man dort doch hin und wieder Gefahr einem bekannten Gesicht über den Weg zu laufen und als Dozentin der hiesigen Universität könnte das doch ihrem Ruf schaden. Außerdem fühle ich mich immer wie eine Hure, wenn ich dort auf eine meiner Kundinnen warte, folglich kommt mir dieser Treffpunkt recht gelegen. Ein silbergrauer BMW Geländewagen fährt langsam an mir vorbei, aber nur wenige Schritte, bis der Wagen zum Stehen kommt, jedoch nicht allein durch Bremsen, sondern hauptsächlich durch Abwürgen des Motors. Wenn da ein Männerherz kein Mitleid mit dem Wagen bekommt, dann weiß ich es auch nicht. Die Fahrertür öffnet sich ein Stück und Robin streckt ihren Kopf ins Freie. „Sorry, aber mit dem Auto stehe ich auf Kriegsfuß.“ Sie lächelt verlegen. „Warum kaufst du dir dann kein anderes?“ „Das ist der Wagen meines Vaters, mein eigener befindet sich nämlich wie so oft in der Werkstatt.“ „Was hast du angestellt?“ Automatisch muss ich grinsen, was sie ein wenig auf die Palme zu bringen scheint. „Nichts! Ständig ist etwas anderes kaputt. Zuerst irgend so ein Teil am Getriebe, dann eine Sonde am Katalysator, die Scheibenwischer funktionierten zwischenzeitlich gar nicht und jetzt will das Teil nicht mal mehr anspringen, dabei ist der Wagen erst drei Jahre alt.“ „Wenn du mich fragst, Robin, solltest du dein Auto verkaufen und statt dessen lernen mit einem Schaltwagen umzugehen.“ „Woher weißt du, dass das hier ein Schaltwagen ist?“ „Weil es in meinen Augen ein Ding der Unmöglichkeit ist ein Auto mit Automatikgetriebe abzuwürgen.“ „Oh.“ Ich gehe näher zu ihr hin und werfe einen kurzen Blick ins Innere des Wagens. Luxusausstattung, versteht sich. „Wo gehen wir eigentlich hin, wenn ich fragen darf?“ „Na ja, ich wollte nach Venice Beach raus fahren zu einer Strandparty, aber jetzt haben sie im Radio gerade gesagt, dass der Strand gesperrt ist, weil letzte Nacht und auch noch heute Morgen ganz viele Algen und Dreck an Land gespült wurden.“ „Schade. Und was unternehmen wir jetzt?“ „In Pasadena soll zur Zeit ein Jahrmarkt sein, aber ich habe keine Ahnung ob sich die Fahrt dorthin lohnt.“ Sie zuckt unschlüssig mit den Schultern. „Probieren wir es aus.“ Auf einem Rummel war ich ja schon ewig nicht mehr, besonders weil es einfach viel zu teuer ist. Ich steige auf der Beifahrerseite ein und los geht die Fahrt, oder sollte ich Quälerei sagen? Wo hat die Frau nur ihr Feingefühl gelassen? Zum Glück ist die Autobahnauffahrt nicht weit, so dass der Wagen in Ruhe über den Asphalt gleiten kann, zumindest nachdem ich ihr den Tipp gegeben habe endlich in den fünften Gang zu schalten. „Was ist denn hier los?“ Stotternd kommt der Wagen zum Stehen, auch wenn Robin ihn diesmal nicht abgewürgt hat. Vor uns erstreckt sich eine riesige Autoschlange, die reinste Blechlawine. „Ein Stau.“ murmle ich vor mich hin und werfe dabei einen Blick auf meine Armbanduhr. Kurz überlege ich noch, dann schalte ich das Radio ein. Robin sieht mich zwar daraufhin fragend an, sagt aber nichts dazu, so dass ich in Ruhe der Durchsage zuhören kann. „…auf der Stadtautobahn von Downtown nach Pasadena ereignete sich ein schwerer Unfall. Ein LKW-Fahrer verlor in einer Kurve die Kontrolle über seinen Sattelschlepper und durchbrach die Mittelleitplanke. Mehrere nachfolgende Autos kollidierten mit dem Vierzigtonner, so dass die Autobahn in beiden Richtungen einige Stunden gesperrt werden musste, um die Überlebenden und Verletzten zu bergen. Durch das erhöhte Verkehrsaufkommen wegen des Volksfestes in Pasadena ist der Stau inzwischen zwölf Kilometer lang.“ Ich schalte das Radio wieder ab und sehe aus dem Fenster. „Da vorne ist eine Ausfahrt, Robin. Fahr am besten auf den Standstreifen, sonst stehen wir noch ewig hier.“ „Meinst du wirklich?“ „Ja, oder hast du Lust die nächsten drei oder vier Stunden hier zu verbringen? Also ich nicht.“ Sie nickt, setzt den Blinker und…na ja, losfahren kann man das nicht nennen, eher hoppeln. Die Sonne ist inzwischen ganz untergegangen, nur ein orangeroter Streifen am Horizont ist übriggeblieben. Ich versuche mich ein wenig auf die Landschaft zu konzentrieren, aber Robin’s Fahrstil löst bei mir schon fast körperliche Schmerzen aus. „Sag mal, hast du deinen Mann auch immer so hart rangenommen?“ Neugierig schiele ich zu ihr rüber und muss amüsiert grinsen, als ich ihre roten Wangen sehe. „Also…das ist…das ist doch was ganz anderes…“ „Als was? Autofahren?“ Ich beobachte mit einem Hauch von Vergnügen, wie sie sich unsicher auf die Unterlippe beißt und dabei fast schon gebannt in den Außenspiegel blickt. Grob schaltet sie gleich zwei Gänge runter als wir abbiegen, so dass der Motor ein lautes Brummen von sich gibt und das Krachen im Getriebe mir durch Mark und Bein geht. „Ich habe ja nichts gegen ein bisschen Härte einzuwenden, aber das hier ist beinahe schon sadistisch. Halt bitte kurz an, ja?“ Verlegen nickt sie und fährt an die Seite. Zum Glück ist auf der Landstraße heute nichts los. „Entschuldige bitte, ich bin eine miserable Autofahrerin. Mein Vater hat wohl recht, wenn er sagt, dass ich froh sein kann, dass ich mir die ganzen Taxifahrten leisten kann, denn mein Fahrstil sei lebensgefährlich.“ Sie wirkt richtig traurig und verletzt. Schön, sie ist wirklich keine gute Autofahrerin, aber deshalb muss man ihr nicht gleich den Kopf abreißen. „Das ist der Wagen deines Vaters, richtig?“ „Ja. Er ist zur Zeit krank und hat mir solange das Monstrum geliehen.“ „Hey, spiel nicht mit seinen Gefühlen! Schließlich kann er nichts dafür, dass er als Offroader zur Welt gekommen ist.“ Demonstrativ lege ich meine Hände aufs Armaturenbrett und sehe sie an. „Das ist doch bloß ein Auto!“ „Ich merke schon, du musst noch viel lernen, Robin, und am besten fangen wir gleich damit an.“ Jetzt wird sie ja schon wieder rot! Zweideutige Witze scheint sie nicht gewohnt zu sein. Dann wollen wir doch gleich mal testen, wie weit wir bei ihr gehen können. Langsam lasse ich meine Hand zwischen die beiden Sitze gleiten und löse unsere Sicherheitsgurte. Erschrocken zuckt sie zusammen, als sich der Gurt begleitet von einem leisen Surren zurückzieht, doch erst als ich auch noch über ihre Beine hinweg zur anderen Seite ihres Sitzes greife, um ihren Sitz nach hinten zu rücken, wirkt sie regelrecht beunruhigt, wenn nicht sogar verängstigt. Es kommt nicht oft vor, dass eine meiner Kundinnen derart schüchtern ist, eher dass sie mir bedingt durch ihr großes Selbstbewusstsein zu aufdringlich werden, aber sie wirkt eher wie ein Schulmädchen. Dabei war sie doch mal verheiratet, wenn ich mich recht entsinne. Ihr Mann muss sie aber sehr vernachlässigt haben, andernfalls würde sie meine dummen Sprüche lockerer sehen. Ich beuge mich weiter zu ihr rüber, ganz nah, bis ich kurz vor ihrem Ohr innehalte und flüstere: „Zieh bitte deine Schuhe aus, denn jetzt zeig ich dir wie man richtig viel Spaß hat…beim Autofahren.“ Jede Tomate würde vor Neid erblassen, wenn sie Robin’s Gesichtsfarbe sehen könnte! Aber ich amüsiere mich nicht länger über sie, sondern entledige mich selbst meiner Schuhe. Ohne Vorwarnung klettere ich zu Robin auf den Fahrersitz und bevor sie auch nur ein Wort Einspruch erheben kann, sitzt sie schon auf meinem Schoß. „Ähm…Ryo, was…? Ich meine, ich verstehe nicht…” „Bleib ganz ruhig, ich werde nichts tun, was du nicht willst, okay? Ich will dir lediglich zeigen, wie du sicherer im Umgang mit diesem Auto wirst.“ Sie nickt. Zuerst schnalle ich uns beide an, auch wenn das zu zweit ein bisschen merkwürdig ist. „Stell deine Füße auf meine und schon kann es losgehen.“ Ich starte den Wagen, lege den ersten Gang ein und fahre los. Bei jeder Bewegung die ich ausführe, nehme ich Robin’s Hand damit sie schaltet oder lenkt. Es dauert ein Weilchen bis sie ruhiger wird, nicht mehr verkrampft das Lenkrad umklammert. „Jetzt du. Gang einlegen, Gas geben und ihn langsam kommen lassen.“ Sie wird schon wieder rot. „Hör genau hin, er sagt dir schon, wie er es gerne hat. Pass auf. Zuerst gibst du Gas, er wird lauter und unruhig, also schaltest du einen Gang höher, schließlich möchtest du wissen was er kann und ihn nicht gleich bis ans Limit treiben.“ „Du willst mich doch nur ärgern…“ nuschelt sie leise, ehe sie in den nächsthöheren Gang schaltet. „Möglich.“ Zwar ist die Landstraße nicht im besten Zustand, aber wir kommen gut voran und durch die kleine ‚Fahrstunde’ ist die Fahrt sogar sehr unterhaltsam. Robin scheint ebenfalls langsam Gefallen daran zu finden, denn inzwischen zeigt die Tachonadel die erlaubte Höchstgeschwindigkeit und dümpelt nicht länger wie eine altersschwache Schnecke vor sich hin. „Sind wir etwa schon da, Ryo?“ „Sieht ganz so aus.“ Schon von weitem ist das hellerleuchtete Riesenrad zu sehen, sowie die Scheinwerfer und Spotlights diverser Attraktionen. Wir parken den Wagen etwas abseits, so haben wir es später leichter wieder von hier weg zu kommen. Doch bevor Robin aus dem X5 steigen kann, nehme ich ihre Hände und lege sie aufs Armaturenbrett. „Und jetzt sag ihm, dass er der beste und tollste überhaupt ist.“ „Warum?“ „Weil wir Männer das danach hören wollen.“ Zuerst wirkt sie mehr als irritiert und ist sichtlich am überlegen, ob ich sie nicht verarschen will, aber dann überlegt sie es sich doch anders. „Danke mein Großer, ich freu mich schon auf die Rückfahrt.“ Sie klopft kurz auf die Armatur und lächelt dabei wie ein kleines Mädchen. Bienchens kleine Cocktailrunde: Golden Cadillac Commodore 2cl Triple Sec 8cl Rye Whiskey 2cl Galliano 2cl Limettensaft 2cl Sahne 2 Spritzer Orangenbitter Zucker (nach Geschmack) Eis Limettenschalenstreifen Kapitel 14: Die Nacht zum Tag ----------------------------- Ein frohes neues Jahr!!!!!! Ich hoffe, ihr seid alle gut reingekommen und die Nachwirkungen des Jahreswechsels sind nicht allzu schlimm *g* @aisa25: ja, so eine Fahrstunde bei Zorro hat schon was... @cada: da es sich um eine ZoXRo FF handelt, wird Robin den kleinen Diego irgendwann auch mal kennenlernen, aber das kann dauern... @silja: eindeutig zweideutige Sprüche sind die besten *g* Aber daß Robin Zorro's wirklichen Namen nicht kennt, hat ja seine Gründe, auch wenn du es nicht magst. Irgendwann, eines fernen Tages, ändert sich das vielleicht... @shiloa: nein, doof bist du wirklich nicht! Und was so auf dem Rummel los war, das kommt erst später *g* @miss_pumi: Danke für das süße Bild!! Das paßt wirklich sehr gut! @peach06: klar, Robin's Verhalten ist schon etwas anders als im Anime/Manga, aber die FF hat ja auch an sich nichts mit dem Original zu tun. Außerdem...nein, das verrate ich jetzt noch nicht. Und was auf dem Rummel war, kommt auch erst später, sorry. @Konami: schön, daß dir das letzte Kap so gut gefallen hat, aber wie gesagt, mit dem Rummel geht es jetzt leider nicht weiter. @heroeumel: es lebe die gute alte Technik^^'. Hoffe, dieses Kap gefällt dir, auch wenn es jetzt anders weitergeht. Wünsche euch viel Spaß beim Lesen, besonders denen, die sich auf ein weiteres Diego-Kap gefreut haben! LG Stoechbiene 14. Ace Die Nacht zum Tag Die gestrige Nacht war beschissen und selbst das ist noch eine zu nette Beschreibung für das letzte Treffen. Ich habe gelernt mich zurückzuhalten, meine Bedürfnisse und Wünsche auf ein Minimum zu reduzieren, aber hin und wieder frage ich mich dann doch, wie wenig wir Callboys eigentlich wert sind. Ein Stück Vieh das sogar dann noch lächelt, wenn man es zutiefst erniedrigt. Aber im Inneren sieht es anders aus, bei jedem von uns. Man möchte schreien, toben und manchmal sogar töten. Aber man lächelt, denn die Strafe für Ungehorsam ist tausendmal schlimmer als jede Erniedrigung. Also habe auch ich gelächelt. Mein schönes, falsches Lächeln. Dabei war ich nichts weiter als eine schnelle Nummer, eine kurze Befriedigung wilder Triebe. Es ist nun mal mein Job Frauen zu umgarnen, sie auszuführen und am Ende ins Bett zu kriegen. Ich war noch nie ein Kind von Traurigkeit gewesen, war bereits als Teenager als Ladykiller verschrien, folglich hat sich für mich nicht wirklich viel im Leben verändert, solange die Damen nicht allzu alt und einigermaßen attraktiv sind. Ältere Frauen haben nämlich durchaus ihren Reiz. Sie sind weniger schüchtern und sie wissen was sie wollen, trauen sich auch mal die Führung im Bett zu übernehmen, schließlich lassen auch wir Männer uns gerne mal verwöhnen. Nur wenn ich diese arroganten Weiber vögeln soll, die sich selbst für absolut unwiderstehlich halten, dabei sind sie hässlich wie die Nacht, dann könnte ich kotzen. Kein Mensch ist perfekt, weder äußerlich noch charakterlich, und wenn man das weiß, hat man eine gesunde Einstellung, um diesen Job auszuüben. Aber über manchen Makel lässt sich eben nur schwer hinwegsehen und damit meine ich jetzt nicht die allgemeinen Figurprobleme. Wie bei meinem letzten Treffen. Ich traf mich mit dieser Frau in einem unscheinbaren Café in der Stadt, so wie sie es vorgeschlagen hatte. Sie war gut fünfzig Jahre alt, adrett gekleidet und an Charme schien es ihr auch nicht zu fehlen. Meine Meinung über sie änderte sich jedoch recht schnell, denn sie war alles andere als nett und freundlich. Normalerweise ist es üblich, dass man sich zuerst ein bisschen näher kennenlernt, etwas gemeinsam unternimmt, sei es nun ein Discobesuch oder der Gang ins Theater, aber sie wollte nur den Sex. Sie zerrte mich regelrecht ins nächstbeste Motel, in dem sie bereits im Vorfeld ein Zimmer gemietet hatte und dann ging alles ganz schnell. Ich sollte mich ausziehen und aufs Bett legen, was ich auch tat. Sie kontrollierte und ich gehorchte. Im Grunde war ich nur ein Objekt, mit dem sie sich selbst befriedigte, denn anfassen durfte ich sie nicht. So lag ich in diesem winzigen Motelzimmer, sie auf mir und mit sich selbst beschäftigt, starrte an die weiße Decke und lächelte. Was blieb mir auch anderes übrig? Abhauen? Besser nicht. Erst ihre schallende Ohrfeige ließ mein Gesicht wie eine Maske erstarren, denn wütend darf man gegenüber einer Kundin nun mal nicht werden. Ich sei ein Schlappschwanz, hat sie gesagt. Man hat mir ja schon viel an den Kopf geworfen, üble Beleidigungen, wenn ich Kundinnen darauf hinweisen musste, dass sie nur das Recht auf einmal Sex haben, schließlich bin ich Second und kein First. Doch meine Männlichkeit hat bis dahin noch keine beleidigt. Dabei konnte die Alte froh sein, dass ich überhaupt in Stimmung gekommen bin, so unverschämt wie die war. Jedenfalls hat sie mich anschließend nackt vor die Tür gesetzt, so dass ich mich am helllichten Tag mitten auf dem Parkplatz anziehen musste. Aber wenigstens war danach das Treffen beendet, denn ich weiß nicht, wie lange ich mich noch unter Kontrolle hätte halten können. Diese…! Leise höre ich meine Zimmertür quietschen und ich kann mir schon denken, was mir nun wieder bevorsteht. An Schlaf ist jetzt nicht mehr zu denken, aber da ich eh die ganze Zeit nur über diese blöde Zicke nachdenke, komme ich ohnehin nicht zur Ruhe. „Was ist denn, Diego?“, frage ich in die Dunkelheit, während ich blind nach dem Schalter meiner Nachttischlampe taste. Ein leises Klicken und schon ist es hell genug in meinem Zimmer, dass ich den Mini-Zorro im Schlafanzug sehen kann. Ich hätte nie gedacht, dass sich Vater und Sohn so ähnlich sein könnten. „Ich will zu meinem Papa.“ Ich hab’s befürchtet! „Er ist arbeiten“, brumme ich und richte mich auf. Was tue ich jetzt bloß? Wenn Diego weint, ist er meist nur schwer zu beruhigen und kann auch ganz schön nerven. Es ist ja nicht so, dass ich den Knirps nicht mag, aber mir ist das einfach zu anstrengend ständig auf ihn aufzupassen. Er quengelt, kritzelt alles voll oder veranstaltet Wasserschlachten im Badezimmer oder wahlweise in der Küche. Nicht dass mich das stören würde, aber Zorro sieht das eben nicht gerne und hält mir dann immer ellenlange Vorträge. Er hat wohl einfach nur Angst um den Kleinen und wenn ich ehrlich bin, wundert mich das kein Stück. Gemütlich stehe ich von meinem Bett auf, wobei ich Diego hochhebe. Dieses Fliegengewicht! Außerdem ist er ein kleiner Kuschelbär und furchtbar anhänglich. So wie Ruffy früher. Was der Kerl wohl gerade treibt? Ich hoffe, dass er sein Leben besser im Griff hat als ich. Inzwischen bin ich in die Küche marschiert, denn in meinem Zimmer hängen eindeutig zu viele Playboyposter, was selbst in meinen Augen nichts für den Zwerg ist. Planlos krame ich in den Küchenschränken herum, während Diego wie ein Klammeräffchen an mir hängt. Noch immer kullern Tränen über seine Wangen, höre ihn leise schniefen, aber wenigsten quengelt er nicht. Oh, Muffins! Ein begeistertes Grinsen stiehlt sich aufgrund meiner Entdeckung in mein Gesicht, denn nichts geht über einen kleinen Mitternachtsimbiss! Allerdings gehören die Zorro…. Und letzte Woche habe ich schon seine Kekse entwendet, von seiner Zahnpasta geklaut, die Marmelade…. Er wird nicht begeistert sein. Ich könnte mich auch anziehen und einkaufen gehen. Gut, es ist mitten in der Nacht, die Straßen voller unangenehmer Typen und ich hab den Kleinen an der Backe. Im Grunde ist es eigentlich egal wofür ich mich entscheide, Zorro wird so oder so motzen. „Warst du schon mal einkaufen, wenn es draußen ganz dunkel ist?“, frage ich den Knirps mit gespielt naiver Stimme, um ihn wenigstens ein bisschen für mein Vorhaben zu begeistern. Doch er schüttelt nur traurig den Kopf. „Dann probieren wir das jetzt aus. Vielleicht finden wir ja etwas, womit wir deinen Papa überraschen können. Na, was meinst du?“ Er nickt. Das wäre schon mal erledigt, aber zuerst müssen wir uns noch anziehen. Eigentlich ist es ganz schön aufwendig einzukaufen, aber jetzt kann ich schlecht einen Rückzieher machen. Im Bad finde ich zum Glück Diego’s Trainingsanzug, den er sich auch selbst und sogar zügig anzieht. Zorro ist wohl doch keine schlechte Mama, wie mir scheint. Bei dem Gedanken muss ich unweigerlich grinsen, während ich selbst in meine Jeans und den Pulli von gestern schlüpfe. Ich schreibe noch eine kurze Nachricht für Zorro, falls er unerwartet früher nach Hause kommen sollte, dann sind wir auch schon unterwegs. Das hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich je mit Diego weit nach Mitternacht auf dem Weg zum Supermarkt sein würde. Selbst tagsüber eine seltsame Vorstellung. Doch der Kleine läuft brav neben mir her, wirkt sogar zufrieden. Vermutlich überlegt er sich gerade, was er seinem Vater mitbringen oder er selbst abstauben könnte. So ist wohl jedes Kind. Mein Blick schweift umher, denn ungefährlich ist dieses Viertel nun wirklich nicht. Sollte dem Knirps etwas zustoßen, wird Zorro mich umbringen…und danach würde er sich selbst richten, da bin ich mir sicher. Diego ist sein Leben und das ist mehr als eine einfache Floskel. Surrend teilen sich die beiden Glasschiebetüren vor uns, so dass wir den Supermarkt betreten können. Ich komme oft spät in der Nacht her, um mir Bier oder auch härtere Drinks zu kaufen, aber nie, um Lebensmittel zu besorgen. Ich werde ja noch richtig zivilisiert! Gut gelaunt schnappe ich mir einen Wagen und schlendere durch die Reihen, dabei den Junior stets im Schlepptau. Was will ich eigentlich haben? Klar, Muffins! Am besten gleich zwei Packungen. Wahllos werfe ich verschiedene Sachen in den Einkaufswagen, meist Fertigprodukte und Süßigkeiten. Vom Kochen habe ich absolut keine Ahnung und wenn Mama Zorro mir nicht gelegentlich etwas von seinem Essen abgeben würde, bestünde mein Speiseplan wohl nur aus Fertiggerichten. Diego schleppt derweil verschiedene Sachen an, wobei ich gelegentlich nicke, so dass er sie in den Wagen legt, oder aber den Kopf schüttle und er sie wieder an ihren Platz bringt. Ich gebe zu, manche von den Dingen kenne ich gar nicht. Und was will er jetzt mit dem Mehl? Sein strahlendes Gesicht mit den leuchtenden Augen lässt mich jedoch innehalten und ihn fragend ansehen. Verlegen grinst er und nuschelt irgendetwas unverständliches vor sich hin. „Du musst schon lauter reden.“ „Waffeln.“ „Und wozu brauchst du dann das Mehl?“ Jetzt bin ich es, der fragend angesehen wird. Aber da ich für frische Waffeln zum Frühstück töten würde, nicke ich lieber Diego zu, denn vielleicht weiß er ja wirklich, was Zorro für die Dinger alles braucht. An der Kasse trifft mich fast der Schlag, aber dann fällt mir zum Glück noch ein, dass ich ja eine Rabattkarte besitze und schon haben sich meine Nerven wieder beruhigt. Gemütlich laufen wir zwei müden Krieger zurück nach Hause, denn Diego sieht alles andere als fit aus. Für einen Knirps wie ihn ist das Nachtleben nun mal nichts, aber dafür wird er sofort einschlafen, sobald wir wieder Zuhause sind. Doch das wird noch einen Moment dauern, denn ich laufe einen kleinen Umweg, um nicht am Straßenstrich vorbei zu müssen. Erstens gibt es dort öfters Prügeleien zwischen Freiern und Zuhältern, zweitens verkehren dort auch Drogendealer und drittens habe ich jetzt weiß Gott nicht den Nerv mich von einem Junkie mit einer Spritze bedrohen zu lassen. Am besten ist es für die eigene Gesundheit, wenn man sich möglichst unauffällig verhält, andernfalls kann es ganz schön ungemütlich werden. Im Treppenhaus falle ich beinahe über unseren Nachbarn, der auf der untersten Stufe der Treppe hockt und dort offensichtlich seinen Rausch ausschläft. Vermutlich hat ihn seine Frau wieder einmal rausgeworfen, weil er betrunken nach Hause gekommen ist. Man, mit der Ziege möchte ich auch nicht verheiratet sein, die hat mehr Haare auf den Zähnen als jede Schwiegermutter. Außerdem behauptet sie immer, Zorro und ich würden hier eine Art Stundenhotel betreiben und hat deshalb auch schon mal das Jugendamt wegen Diego auf den Plan gerufen. In diesem Fall konnten wir von Glück reden, dass wir für Alvida arbeiten. Sie kann sein wie sie will, aber wenn ihre Jungs in echten Schwierigkeiten stecken, tut sie was sie kann. Natürlich auch dies nicht ohne Hintergedanken, weiß sie doch nur zu gut, dass ihr andernfalls Zorro den Dienst verweigern würde. Wenn man vom Teufel spricht…. In der Küche steht er neben dem Kühlschrank, wartet offensichtlich darauf, da der Wasserkocher endlich seinen Dienst erfüllt. Bei dem alten Teil kann das aber dauern. Zorro kann nur unwesentlich eher als wir hier angekommen sein, denn er trägt noch dieselben Klamotten, die er anhatte, als er heute Abend los ging. Allerdings hängt an seinem Bein schon wieder der Zwerg, sichtlich erfreut seinen Daddy wiederzuhaben. Doch Zorro schickt ihn ins Bad, damit er seinen Schlafanzug anzieht. Jetzt gibt es garantiert ein Donnerwetter! Soll ich auf Durchzug schalten, oder mich lieber gleich entschuldigen? „Ich weiß, ich hätte nicht-“ „Schon gut, ich weiß doch, dass du eigentlich besseres zu tun hast, als auf Diego aufzupassen. Es ist ja nichts passiert.“ Hat er was genommen? Eine geraucht? Zuviel getrunken? „Willst du auch einen Tee?“ „Äh…ja, warum nicht.“ Noch immer bin ich leicht irritiert, schließlich habe ich ein ganz anderes Verhalten von ihm erwartet. Ich folge ihm ins Wohnzimmer, wo er Teekanne und Tassen auf den Tisch stellt, ehe er sich auf dem Sofa niederlässt. „Und, wo warst du?“ frage ich ihn und setze mich derweil auf den Sessel ihm gegenüber.“ „In Pasadena auf dem Volksfest.“ „Unfair! Wieso kriegst du immer die tollen Jobs und ich die Weiber mit dem Dachschaden?“ „Woher soll ich das wissen? Aber ich habe dir auch gebrannte Mandeln mitgebracht, als kleine Entschädigung. Sie liegen auf deinem Nachttisch.“ „Geil! Da sag ich nicht nein. Aber wir haben dir auch was mitgebracht.“ „Ach ja?“ Er wirkt schon wieder skeptisch. Na ja, er kennt mich inzwischen gut genug, um zu wissen, dass ich dabei meist einen Hintergedanken habe. „Ja, Mehl.“ „Lass mich raten. Du willst morgen Waffeln zum Frühstück.“ „Es war ganz allein Diego’s Idee!“ „Natürlich und du wärst total dagegen, wenn ich morgen Waffeln backen würde.“ „Waffeln!“, ruft der Knirps dazwischen und schon kommt er angerannt und hüpft Zorro auf den Schoß. Ich gebe zu, mir wäre es zu stressig, der Job und ein Kind, zumal ich mich noch zu jung für solch eine Verantwortung fühle, aber wie Zorro das wegsteckt, ist schon beeindruckend. Natürlich weiß ich, dass es nicht immer so ist, er oft mit den Nerven am Ende ist, weil er einfach keinen Ausweg mehr aus dieser Lage sieht. Aber heute scheint es ihm gutzugehen. Ich gönne mir einen Schluck von dem warmen Tee und beobachte dabei zufrieden, wie Diego in den Armen seines Vaters einpennt. Hab ich es nicht gesagt? Damit wäre wohl endlich Ruhe eingekehrt. „Dein Treffen war okay?“, frage ich schließlich, denn dieses Thema ist nicht für die Ohren von kleinen Wichten bestimmt. „Ja. Wie gesagt, wir waren in Pasadena und sind von Stand zu Stand gelaufen, haben erzählt, gelacht, eben einfach ein bisschen Spaß gehabt.“ „Sie scheint wohl nett zu sein, oder?“ „Bis jetzt, aber es war auch erst das dritte Treffen.“ Wir wissen beide, dass Frauen mindestens genauso heimtückisch sein können wie Männer, weshalb wir nicht ganz so euphorisch reagieren, bloß weil eine Frau mal nett zu uns ist. „Vielleicht hast du ja eine neue Stammkundin gefunden. Alvida wäre sicherlich begeistert.“ „Abwarten, schließlich dachte ich ja nach unserem ersten Treffen, dass sie nie wieder in der Agentur auftauchen würde, weil ihr die ganze Angelegenheit einfach zu peinlich ist. Du weißt doch noch, als wir zusammen diese Verabredung hatten. Du mit dieser orangehaarigen Wetterfee und ich mit ihrer Freundin.“ „Die?!“ Jetzt bin ich aber baff! „Alter, die musst du aber schwer beeindruckt haben, schließlich machte die einen total verklemmten Eindruck.“ „Entweder das oder ihr ist einfach nur langweilig. Aber solche Frauen sind mir tausendmal lieber als diese aufdringlichen Discomäuse, die mir früher oder später nur an die Wäsche wollen.“ „Ist doch nichts dabei. Außerdem würdest du gut hundert Piepen mehr pro Maus verdienen, wenn du sie nicht nur ausführen, sondern auch flachlegen würdest. Du hast eh kaum Geld für dich.“ „Niemals. Lieber würde ich mir das Essen abgewöhnen, als deinen Job zu haben. Meinst du etwa ich weiß nicht, dass ihr Seconds euch unter der Hand Geld zustecken lasst, wenn die Frauen gerne etwas mehr hätten?“ „Na und?“ „Na und? Du schläfst mit irgend so einem Weib ohne Gummi, nur weil du auf das Geld aus bist? Was ist, wenn du dir was einfängst, AIDS oder Hepatitis? Hast du daran schon mal gedacht?“ Schützend, aber wohl eher aus Reflex, hat er seine Arme enger um Diego gelegt, der friedlich trotz unserer Diskussion auf seinem Schoß schläft. Es geht Zorro nicht um sich selbst, das weiß ich, aber dennoch verärgert er mich mit seiner Übervorsichtigkeit. „Kann dir doch egal sein, ich bin nur für mich allein verantwortlich!“ „Ach ja? Und was ist mit Ruffy? Hast du ihn endlich mal angerufen? Du weißt genau, dass du sehr wichtig für ihn bist. Also sei nicht so verdammt stur und denk zur Abwechslung mal nach.“ „Oh Verzeihung, Mr. Collegeabsolvent, dass ich nicht so verantwortungsbewusst bin wie ihr es seid. Aber ganz ehrlich, auf so ein Balg kann ich gut und gerne verzichten!“ Das war mies, aber andernfalls würde ich ihm sonst eine reinschlagen. „Besser so, schließlich kannst du ja nicht einmal für dich selbst sorgen.“ Er steht auf und läuft an mir vorbei, doch aus Wut packe ich ihn am Arm. Ich weiß eigentlich gar nicht, was ich damit bezwecken will, aber er lässt mir keine Zeit darüber nachzudenken. Fest hat er mich mit seiner freien Hand am Kragen geschnappt und aus dem Sessel gezerrt. So kenne ich ihn gar nicht. Böse funkeln mich seine Augen an, die sonst so dunkel und undurchschaubar sind. Ich weiß nicht, wer von uns beiden rein körperlich der stärkere ist, aber ich weiß, dass er in Bezug auf Diego unberechenbar sein kann. „Hör auf dir selbst etwas vorzumachen, du bist kein Kind mehr, Ace!“, zischt er mir zu, ehe er mich wie einen nassen Sack in den Sessel zurückfallen lässt. Perplex sehe ich ihm nach und streiche in Gedanken schon mal die Aussicht auf frische Waffeln zum Frühstück. Das hab ich ja mal wieder toll hinbekommen. Bienchens kleine Cocktailrunde: Fireman’s Sour Seeing Red 4cl weißen Rum 2cl roter Wodka 3cl Limettensaft 2cl Pfirsichbrand 1El Grenadine 6cl Cranberrysaft 1Tl Zuckersirup gestoßenes Eis Eis Sodawasser 3-4 gefrorene Cranberries Kapitel 15: Du oder ich ----------------------- Hi! Hier bin ich wieder mit einem neuen Kap für euch! @miss_puma: ob Ruffy direkt in der ff vorkommen wird, weiß ich selbst noch nicht so genau, mal sehen. Und wie viele Kaps ich noch schreiben werde kann ich dir auch nicht sagen, aber 10-15 könnten es noch werden. @Jet-chan: Ace bekommt schon noch seine Waffeln, keine Sorge. XD @peach06: Über das Date zwischen Robin und Zorro wirst du später noch ein paar Details erfahren, jetzt geht es mehr um Zorro. Danke übrigends für das Kompliment! @cada: Diesmal etwas mehr Text als beim Drabble *g* und Diego kommt auch wieder vor. @Shiloa: Ob es in dieser ff ein Kap aus Diego's Sicht geben wird, weiß ich noch nicht, hatte aber daran gedacht. Hängt wohl hauptsächlich davon ab, wie die Storyline sich letztendlich entwickelt. @Silja: Es lebe die Hintsuche!!!! Diesmal wirst du dich aber mit Diego begnügen müssen. @Sydney: Hatte echt Bedenken, ob ich Ace's Charakter getroffen habe. Aber ich finde auch, daß man die Nebencharaktere eine ff nicht vergessen sollte. @Heroeumel: Du bist echt mein Hero, mein Kommi-Hero *ggg*. Ace war eine Herausforderung, aber ich freue mich sehr, dass er dir so gefallen hat, wie ich ihn beschrieben habe. @aisa25: Danke! Es werden auch noch einige Kaps kommen, versprochen! 15 Zorro Du oder ich Meine Decke rutscht. Wo will sie nur hin? „Papa?“ Erklärung gefunden! Ich brumme ein leises: „…ja…“, ehe ich den Arm hebe, so dass Diego zu mir ins Bett krabbeln kann. Er klettert über mich drüber, zerrt an meinem Arm, damit ich ihn umarme, erst dann gibt er Ruhe. Kuina und ich haben ihn oft zu uns ins Bett geholt, als er noch ein Baby war. Er war so winzig, dass er fast nicht zu sehen war zwischen den weißen Laken. Sie wäre sicherlich stolz auf ihn, könnte sie sehen, wie groß er inzwischen ist. Vielleicht sollten wir heute ihr Grab besuchen gehen, ich hatte letzte Woche schon keine Gelegenheit dazu. Manchmal schäme ich mich regelrecht ihre letzte Ruhestätte aufzusuchen, weil ich nicht weiß, wie sie über meine jetzige Situation urteilen würde. Anstatt zu studieren, wie ich es vor hatte, ziehe ich nachts mit fremden Frauen um die Häuser. Kein Wunder, dass man Diego im Kindergarten so mobbt. Wie soll ich nur jemals aus dieser beschissenen Lage kommen? Ich sehe auf meinen kleinen Sohn, der müde zurück blinzelt. Doch wie es bei Kindern in diesem Alter oft der Fall ist, ist er in der nächsten Sekunde auch schon wieder putzmunter. „Waffeln?“ „Quälgeist“, entgegne ich, muss aber dennoch grinsen. „Papa, bitte! Bitte, bitte!“ Inzwischen liegt Diego mehr auf mir und piekt mir mit dem Zeigefinger in die Wange, damit ich endlich aufstehe. Na schön, vorher lässt er mich ja doch nicht in Frieden. Wir haben für Ace ein paar Waffeln aufgehoben und sie auf den Küchentisch gestellt, damit er sie nicht übersieht, falls ihn der Hunger irgendwann in die Küche treiben sollte. Ich weiß nicht, was ihn gestern wieder geritten hat, dass er so ausfallend wurde, aber wirklich böse bin ich nicht mehr auf ihn. Vermutlich war er einfach noch wegen dieser Frau genervt, die ihn so mies behandelt hat. Das schlimmste daran ist aber immer, dass man sich nicht zur Wehr setzen darf. Alvida würde sonst ausrasten. Gott weiß was für eine Strafe demjenigen bevorstehen würde, der sich nicht an die Regeln hält. Da fällt mir ein, ich muss noch wegen einem der Jungs mit ihr reden, obwohl ich mir wahrlich besseres vorstellen kann. Diego und ich steigen aus dem Bus aus und laufen die wenigen Meter bis zum Friedhof. Der Grashüpfer eilt ein wenig voraus, schwingt dabei fröhlich seine kleine Gießkanne, will er doch Ausschau nach ein paar Eichhörnchen halten. Für ihn ist der Friedhof eine besondere Art von Spielplatz voller Geheimverstecke und bunter Blumen. Am Brunnen füllt er die Gießkanne, ehe wir zum Grab gehen. Ich war gerade mal einundzwanzig als ich zum ersten Mal hier war, meine Frau und ihr Vater beerdigt wurden. Stumm stand ich da und sah in das tiefe Erdloch, in das man die beiden Toten hinabließ. Die Leere in mir war unfassbar groß, mein Glück zerbrochen wie Glas. Ein Autounfall nahm mir meine Träume, meine Liebe, mein Leben. Doch das tragischste daran ist sicherlich, dass man Kuina hätte retten können. Ihr Wagen war eine Böschung heruntergerast, weil ein anderes Auto sie geschnitten hatte. Der Fiesta überschlug sich mehrfach, wobei mein Schwiegervater aus dem Sitz geschleudert wurde, durch die Windschutzscheibe flog und sich beim Aufprall das Genick brach. Kuina hatte mehr Glück, zumindest während des Unfalls. Doch der Fahrer des anderen Wagens beging Fahrerflucht, ließ sie verletzt im Autowrack liegen, rief nicht einmal einen Krankenwagen. An diesem Abend wartete ich vergebens darauf, dass sie vom Einkaufen nach Hause kommt, mich anlächelt und sich mit Diego und mir ein paar nette Stunden macht. Eigentlich hatte sie sogar vorgehabt Diego zum Einkaufen mitzunehmen, aber wie das Schicksal manchmal so spielt, kam es Gott sei Dank nicht dazu. Ich war mit ihm beim Kinderarzt wegen einer Impfung gewesen, aber das Wartezimmer war dermaßen voll, dass ich es nicht rechtzeitig nach Hause schaffte, so dass sie und mein Schwiegervater allein losfuhren. Kinder scheinen wirklich einen besonderen Schutzengel zu haben. Ich knie nieder, zupfe das bisschen Unkraut aus der Erde, das sich in der letzten Woche gebildet hat. Kaum zu glauben, dass hier zwei Menschen begraben liegen, die mir so viel bedeutet haben. „Noch mehr Wasser?“ Fragend hebe ich meinen Blick, war ich doch zu sehr in meine Gedanken vertieft gewesen als zu merken, dass Diego bereits einen Teil der Blumen gegossen hat. Ich nicke und schon springt er los. Aus dem Augenwinkel beobachte ich ihn, während ich weiter Unkraut jäte. Vielleicht hat Ace ja Recht wenn er sagt, dass ich überängstlich bin, aber andererseits ist Diego das einzige was mir noch geblieben ist. Würde ich ihn verlieren, würde mein Leben keinen Sinn mehr ergeben. Früher habe ich es nie verstanden, wenn Eltern mit ihren Kindern schimpften, wenn diese etwas angestellt hatten, heute weiß ich was es heißt Vater zu sein, aus Sorge fast den Verstand zu verlieren. Nie wieder möchte ich dieses Gefühl erleben müssen, die Ungewissheit spüren. Leise plätschert das Wasser aus dem roten Gießkännchen auf die dunkle Erde, bis Diego mal wieder seine närrischen Fünfminuten hat, wie so oft, wenn er mit Wasser spielt. Statt über die Blumen leert er den Rest über meine Hand, nur um anschließend wie eine Kichererbse loszulachen. Ich schnappe mir den kleinen Racker, kitzle ihn am Bauch, dass er vor Lachen beinahe schon den Tränen nahe ist. „Kuina freut sich bestimmt, wenn sie euch so lachen sieht.“ Es gibt nur eine Person, die sich nahezu unbemerkt an mich heranschleichen kann und das ist Falkenauge! „Onkel Mihawk!“ Ich lasse meinen Sohn los und erhebe mich, schließlich weiß ich, was sich gehört. „Besuchst du auch die Mama?“ „Natürlich. Schau, ich habe ihr auch etwas mitgebracht.“ Er gibt Diego zwei weiße Nelken und nickt ihm auffordernd zu. „Kannst du sie zu den anderen in die Vase stellen?“ „Ja, ich bin schon groß!“ Für einen kurzen Augenblick sehen wir meinem Sohn zu wie er sich als Hobbygärtner bemüht, erst dann frage ich: „Weshalb bist du wirklich gekommen?“ Eigentlich kenne ich die Antwort bereits und sie gefällt mir nicht. „Alvida möchte dich sehen.“ „Das beruht allerdings nicht auf Gegenseitigkeit.“ Er grinst wissend, ehe er mir entgegnet: „Ich kenne dich inzwischen gut genug, um deine Antworten bereits zu wissen, bevor du sie ausgesprochen hast. Aber was erzähle ich das jemandem, der das gleiche über mich sagen könnte.“ Ich nicke nur kurz. Von den Jungs in der Agentur weiß wirklich niemand so viel über mich wie Mihawk. Aber im Moment habe ich ganz andere Sorgen. Treffen mit Alvida sind nämlich nie unproblematisch, das weiß ich leider nur zu gut. „Und was ist mit Diego?“ „Keine Sorge, ich habe bereits Ray angerufen, er wird sich so lange um den Junior kümmern.“ „Na schön.“ Eine andere Wahl habe ich eh nicht. „Komm Diego, und vergiss deine Gießkanne nicht.“ Er nickt und folgt Mihawk und mir zum Osteingang des Friedhofs. Schon von weitem kann ich die schwarze Stretchlimousine erkennen, die im Schatten der Bäume parkt. Manche würden sich sicherlich darüber freuen mit so einem Auto chauffiert zu werden, ich dagegen verbinde nicht nur angenehme Momente mit diesem Wagen, weil er mich zu sehr an seine Besitzerin erinnert. Großspurig. Für Diego jedoch stellt die ganze Angelegenheit ein einziges Abenteuer dar. Neugierig wühlt er in den Fächern, drückt irgendwelche Knöpfe, bis ihn Mihawk auf das Geheimversteck mit den Pralinen aufmerksam werden lässt. Eine davon kostet allein fünf Dollar, aber die beiden futtern, als wären es billige Süßigkeiten aus dem Supermarkt. Für solche Dinge bin ich im Augenblick viel zu nervös und das sicherlich auch nicht ganz grundlos. Langsam rollt die Limousine in die Tiefgarage der Agentur, lässt zusehends das beklemmende Gefühl in meinem Herzen wachsen, das sich seit Beginn dieser Autofahrt dort ausbreitet. Wie ich solche Momente doch hasse! Am schlimmsten ist dabei die Ungewissheit, das nagende Gefühl der Hilflosigkeit. Schweigend betreten wir den Aufzug, in dessen Spiegelwänden ich unsere Gesichter betrachte, die durch die Halogenlichter ungewöhnlich blass wirken. Einzig Diego’s rotes Gießkännchen sticht hervor, als einziger Farbklecks in dieser tristen Szene. Surrend öffnen sich die Türen in der obersten Etage, geben den Blick frei auf blauen Teppich und weißgetünchte Wände. Ich nehme Diego an der Hand, während ich Mihawk zum Aufenthaltsraum folge. Wie erwartet sitz dort bereits Ray an einem der Tische und liest sichtlich gelangweilt in einer Sportzeitschrift, wohl um die Zeit totzuschlagen. Als er uns jedoch kommen hört, hebt er grüßend die Hand, was Diego als unmissverständliche Geste an ihn deutet, sofort auf Ray’s Schoß zu klettern. Wenigstens ist der Kleine so abgelenkt und ich muss mir keine unnötigen Sorgen um ihn bereiten, während meines Gesprächs mit Alvida. Ich hoffe bloß für mich, dass sie heute einen guten Tag hat. Einen letzten Blick werfe ich auf meinen Sohn, der seinem momentanen Babysitter gerade etwas über Pralinenberge vorschwärmt, ehe ich zusammen mit Mihawk Alvida’s Büro aufsuche. Die Tür steht offen, so dass wir ungehindert eintreten können. Wie eine Diva thront meine Chefin in ihrem teuren Ledersessel, während ihr gegenüber die drei Männer auf dem Sofa einen eher weniger glücklichen Eindruck auf mich ausüben. Aber ich kenne auch wirklich niemanden, der freiwillig in diesem Büro seine Zeit verbringt, bedeutet das doch meist nichts Gutes. „Du bist ein Schatz, Mihawk. Im Gegensatz zu manch anderen hier ist auf dich eben Verlass.“ Galant erhebt sie sich, nimmt sich die Zeit uns zu zeigen, wer hier das Sagen hat. „Und du? Kann ich auch dasselbe von dir behaupten?“ Auffordernd sieht sie mich an, scheint ihre Geduld doch bereits stark strapaziert zu sein. „Hab ich dich jemals enttäuscht?“, entgegne ich deshalb, weiß ich doch nur zu gut, was sie hören will. „Das kommt ganz darauf an.“ Ihre Hände wandern über meine Schultern, ziehen mich in ihre Umarmung, wobei sie es sich erwartungsgemäß auch nicht nehmen lässt, ihr Becken kess gegen meins zu drücken. Wie ich diese Spielchen doch verabscheue! Aber es wäre äußerst unklug von mir ihr das zu zeigen, auch wenn sie es garantiert sowieso weiß. Deshalb umarme auch ich sie und flüstere in ihr Ohr: „Als Third ist es mir strikt untersagt, mich mit hübschen Damen einzulassen, das verstehst du doch sicherlich, oder?“ „Du bist ein Schlingel, mein Süßer. Aber nun gut, schließlich bist du nicht deshalb hier.“ Sie lässt mich wieder los, Gott sei Dank, denn ihr süßliches Parfum hat doch bereits empfindlich meine Nase gekitzelt, so dass es garantiert nicht mehr lange gedauert hätte, bis ich hätte niesen müssen. „Es geht um folgendes. Schon seit geraumer Zeit beschleicht mich das ungute Gefühl, dass ihr Thirds mich versucht zu bescheißen, zumindest der ein oder andere von euch. Du bist für die Jungs verantwortlich, Zorro, also rede, wenn du etwas weißt. Und versuch ja nicht mich für dumm zu verkaufen, denn ich habe schon so eine Ahnung, wer von euch fünf das schwarze Schaf ist! Leider fehlen mir die Beweise, eure Akten sind einwandfrei.“ „Manchmal ist es genau das“, entgegne ich ihr, während ich selbst einen prüfenden Blick auf Joey, Brian und Luke werfe. Ich bin mir sicher, dass es einer der drei sein muss, der heimlich seine Dienste als Second anbietet und Alvida somit um eine Menge Geld prellt, denn dass Ray so etwas nicht tun würde, steht für mich außer Frage. Und offensichtlich auch für Alvida, sonst würde er jetzt nicht auf Diego aufpassen, sondern wie wir hier in diesem Zimmer sein. „Was willst du damit sagen?“, fragt Joey dazwischen, wobei seine Augen nervös zwischen Alvida und mir hin und her blicken. Doch ich ignoriere ihn und wende mich wieder direkt an unsere Chefin: „Ich habe Cindy um Akteneinsicht gebeten, aber bis jetzt blieb mir nur abzuwarten.“ Sie rollt auf meine Antwort hin lediglich mit den Augen, drückt mir aber gleich im nächsten Moment fünf Hefter in die Hand. Unaufgefordert setze ich mich an den Couchtisch und beginne sorgfältig in den Akten zu lesen. Dabei gibt es für mich keinen Unterschied zwischen meinem eigenen Ordner und denen der Jungs, schließlich will ich mir nicht nachsagen lassen, dass ich voreingenommen wäre. Doch meine Suche nach Indizien oder gar Beweisen für einen Betrug währt nicht lange, schließlich habe ich mir bereits seit geraumer Zeit überlegt, wie ein Third die Agentur bescheißen könnte, ohne dass es großartig auffällt, schließlich hegt Alvida diesen Verdacht gegen uns bereits etwas länger. Allzu viele Möglichkeiten gibt es eigentlich auch nicht, schließlich werden wir ständig kontrolliert, ebenso unsere Termine und unser Erscheinungsbild. Um jemanden folglich einer solchen Tat überführen zu können, versetzt man sich am besten in dessen Lage. Wie würde ich versuchen Alvida zu hintergehen? Die Antwort darauf ist ganz einfach. Am besten gar nicht! Ich überfliege den nächsten ausgefüllten Fragebogen, wobei ich gedanklich ein bla bla anhänge, schließlich steht ja immer dasselbe drin. Aber halt! Ich blättere ein paar Seiten zurück und finde tatsächlich einen Fragebogen, auf dem das gleiche geschrieben steht, Wort für Wort, sogar die Schrift ist die gleiche. Wie kann das sein? Ich blättere weiter, wobei ich über diese mädchenhaft geschwungene Schrift weitere male stolpere, nur der Name der Kundin variiert. Damit dürfte wohl klar sein, wer hier ein falsches Spiel mit uns treibt. Schon clever die Fragebögen zu kopieren, schließlich musste sich so weder er noch seine Kundin eine Geschichte ausdenken, die sie auf eben einem solchen Fragebogen zu verfassen hatten. Er hätte nur auch bitte schön so clever sein sollen und nicht stets den selben Bogen zu kopieren. Idiot, nur wegen ein paar lausiger Dollar. Aber egal wessen Ordner es auch sein mag, wen ich jetzt verraten muss, ich habe keine andere Wahl. Eine kurze Verschnaufpause gönne ich mir noch, dann schlage ich den Hefter zu und lese den Namen, der dort geschrieben steht. Luke Wood, alias David, Nummer 323, Third zweiten Grades. Wortlos sehe ich ihn an und an seinem musternden Blick erkenne ich, dass er in meinen Augen nach Hinweisen sucht, ob ich ihn nun durchschaut habe oder nicht. „Man Alter, du wirst doch nicht ernsthaft mich beschuldigen wollen, oder? Ich bin gar nicht der Typ für so was.“ „Zorro beschuldigt niemanden umsonst, das weißt du, mein lieber Luke.“ Auch wenn Alvida’s Stimme ruhig klingt, so spüre ich doch, dass sie innerlich kocht. Ein kurzer Wink von ihr genügt und ihre beiden Bodyguards, die bis eben wie zwei brave Hündchen vor der Tür gewartet haben, betreten den Raum. Panikartig springt Luke von seinem Platz auf und schreit schon fast: „Ich war’s nicht! Los, sag es ihnen, Zorro!“ Aber er war es, also schweige ich. „Du verfickter Hurensohn! Du hast doch bloß Angst, dass sie dir deinen Rotzbengel wegnehmen!! Wichser!!“ „Und warum hast du nicht an deine Schwester gedacht?“ Zwar habe ich nicht laut gesprochen, aber er hat mich dennoch verstanden. Jeder der Jungs hier hat einen triftigen Grund, weshalb er diesem Job nachgeht, ohne Ausnahme. Widerstandslos lässt Luke sich abführen und selbst die anderen beiden verlassen das Büro. Am liebsten würde auch ich gehen, weg von diesem bedrückenden Ort, doch leider sieht es nicht danach aus, als würde Alvida dem zustimmen. „Luke, also. Ich hätte ihn ja für klüger gehalten, aber er ist eben nicht umsonst bloß ein Third zweiten Grades.“ Sie lässt sich wieder in ihrem Sessel nieder, schlägt die Beine übereinander und sieht Mihawk und mich prüfend an. „Ich darf dir übrigens gratulieren, du hast dir eben zweitausend Dollar verdient, aber ich nehme an, die soll ich dir gutschreiben, nicht wahr?“ Ich nicke zustimmend, denn alles andere wäre Geldverschwendung. „Schön. Aber damit du nicht ganz mit leeren Händen nach Hause gehst, habe ich noch eine Kleinigkeit für dich, Herzchen. Mihawk, wärst du so nett?“ Sie deutet kurz auf ihren Schreibtisch, ehe sie sich wieder mir zuwendet. Das Grinsen in ihrem Gesicht gefällt mir gar nicht, aber ändern kann ich daran ohnehin nichts. So wehre ich mich auch nicht als ich Mihawk’s Hände spüre, die sich unter mein Shirt schieben. Zwar steht er hinter mir, kann ihn nicht ansehen, aber ich weiß auch so, was er vorhat. Wortlos hebe ich meine Arme, spüre wie der Stoff meines Longsleeves nach oben geschoben wird, immer weiter, bis ich mit freiem Oberkörper dastehe. Alvida’s Blick wandert an mir hinab, doch anders als sonst bleibt sie sitzen, sieht mich nur an. Ich lasse mir von Mihawk ein neues Oberteil überstreifen, hauteng, wie könnte es auch anders sein, eben ganz nach Alvida’s Geschmack. Pechschwarz mit einem silbernen Drachen darauf gestickt. Auch wenn es leicht durchsichtig ist, der Stoff hauchdünn, so nehme ich nicht an, dass es billig war. „Gut siehst du aus, wie immer.“ Ich sage nichts dazu, wäre eh sinnlos und würde meine Gegenüber höchstens noch unnötigerweise verärgern. „Schneller!“ Erleichtert muss ich grinsen, denn dieser Ausruf kann nur von meinem Sohn stammen. Wir wenden unsere Aufmerksamkeit dem Flur zu, denn noch immer steht die Bürotür offen. Und was wir sehen, ist ein Bild für die Götter! Auf allen Vieren krabbelt Ray an uns vorbei, während auf seinem Rücken Diego sitzt und über das ganze Gesicht lacht. Wie schafft es dieser kleine Racker nur immer jeden für seinen Unfug zu begeistern und mir zu zeigen, dass das Leben trotz aller Umstände schön sein kann? Bienchens kleine Cocktailrunde: End of the road Death in the afternoon 6cl Gin 2 Eiswürfel 2cl Crème de Menthe 2cl Pernod 2cl Pastis trockener Champagner Eis Kapitel 16: Über Männer und Noch-Ehemänner ------------------------------------------ 16. Robin Über Männer und Noch-Ehemänner Wo hab ich nur den Autoschlüssel hingelegt? Mal überlegen. Ich bin mit Dad’s Wagen zur Galerie gefahren, habe im Innenhof geparkt und bin wie gewohnt zuerst in mein Büro gegangen. Mein Blick huscht über meinen Schreibtisch, aber von dem Schlüssel fehlt jede Spur. Was hab ich damit nur angestellt? „Wenn das nicht meine hübsche Frau ist.“ Was will der denn hier? „Zero, was verschafft mir diese zweifelhafte Ehre?“ Gott, lass mich schnell diesen Schlüssel finden, damit ich endlich von hier weg kann! Außerdem wird Nami sonst auf mich warten müssen. „Darf ich dich nicht besuchen? Immerhin sind wir verheiratet.“ „Noch. Außerdem kommst du immer nur dann zu mir, wenn du was willst.“ „Na und? Sonst will ja kein anderer Kerl was von dir, also spiel dich nicht so auf.“ Genervt rolle ich mit den Augen, suche aber eifrig weiter nach dem Autoschlüssel. „Sag was du willst und dann verschwinde endlich!“ Er lacht dreckig. Wie ich das hasse! Das hat er früher schon getan, mich so verspottet. Habe ich denn nicht das Recht mich zu wehren? „Bloß weil du dich von einem Callboy flachlegen lässt, heißt das nicht, dass du bei der Männerwelt noch Chancen hättest.“ Woher weiß er von Ryo? „Da staunst du, was? Tja, da wir noch immer Eheleute sind, ließ mich der Typ auf der Bank einen Blick auf deine Kontoauszüge werfen und da fielen mir natürlich sofort die Überweisungen an eine dieser Agenturen auf. Hätte ja nie gedacht, dass du dich auf so einen dahergelaufenen Schönling einlassen würdest. Du musst ganz schön verzweifelt sein. Und er erst! Aber es ist ja bekannt, dass diese Typen sich nur mit euch alten Schachteln abgeben, weil sie dazu gezwungen werden. Freiwillig würde so einer dich doch niemals anfassen!“ Wieder lacht er, dreckig und gemein. „Halt den Rand! Du weißt überhaupt nichts, also geh wieder zurück zu deinem billigen Flittchen und lass dir von ihr deinen kleinen Freund küssen, was anderes kann die ja nicht! Und nur damit du es weißt, ich bezahle niemanden dafür, dass er mit mir schläft, das hab ich nicht nötig!“ Gott, bin ich wütend! „Ach nein?!“ „Nein! Wir treffen uns, gehen aus, das ist alles! Aber im Grunde kann dir das ja an deinem Arsch vorbeigehen!“ Wütend und entschlossen zugleich trete ich Zero entgegen und deute zur Tür. Ryo, steh mir bei! „Raus, aber sofort.“ Ich muss nicht mehr schreien, er weiß auch so, dass das Maß voll ist und ich die Polizei rufen würde, sollte er nicht endlich verschwinden. „Du bist ganz schön armselig, Kleines.“ „Du willst mit mir doch nicht wirklich darüber diskutieren, wer von uns beiden hier der Versager ist, oder?“ Ich glaube, das hat gesessen. „Ich hab schon verstanden, ich bin hier unerwünscht!“ „Das wäre ja das erste Mal, dass du was auf Anhieb kapiert hast.“ Damit wende ich mich von ihm ab, schließlich bin ich noch immer auf der Suche nach… Da ist er ja! Direkt neben dem Telefon. Stimmt, als ich reinkam hat es geklingelt, weil Nami angerufen hat, um unsere Verabredung zu bestätigen. Ich schnappe mir mein Handtäschchen, dann bin ich auch schon weg. Zero kann mir mal den Buckel runterrutschen! Gut gelaunt steige ich in den BMW, starte den Motor und fahre raus auf die Straße. Die Klimaanlage voll aufgedreht, ebenso das Radio, so muss das sein! Übermütig schalte ich einen Gang höher, fühle mich gut, frei, ungebunden. Ich wollte Zero schon immer mal stärker gegenübertreten, habe es mich aber bis heute nie getraut. Er ist nicht zu unterschätzen und es wäre nicht das erste mal gewesen, dass ihm die Hand mir gegenüber ausgerutscht wäre, aber heute hatte ich keine Angst vor ihm. Ich habe mir einfach vorgestellt wie Ryo wohl in so einer Situation reagieren würde. Sein Blick wäre stechend und allein durch seine muskulöse Erscheinung würde es sich jeder dreimal überlegen, es sich mit ihm zu verscherzen. Und er kann super gut Autofahren! Oh, ich bin ja schon am Ziel, war wohl zu sehr in Gedanken. Gekonnt parke ich den Wagen, schnappe mir meine Tasche, vergesse dabei aber nicht liebevoll über das Armaturenbrett zu streichen. „Du bist der Beste und du warst wundervoll!“ Danke, Ryo! Oh man, wenn mich jetzt jemand sehen könnte! „Was treibst du denn da?“ „Oh, hallo Nami! Nichts, wieso?“ Sie wirkt kritisch. Energisch hat sie die Fahrertür aufgerissen, wobei sie mir einen komischen Blick zuwirft. „Na ja, ist auch schon egal, Hauptsache ich krieg endlich was zu essen.“ Ich steige aus dem Wagen und betätige die Fernbedienung, ehe ich mit Nami unser Lieblingsbistro betrete. Jeden Mittwochnachmittag treffen wir uns zu einem kleinen Plausch unter Frauen, essen eine Kleinigkeit und lästern ein bisschen. „Man, war das heute ein beschissener Tag! Zuerst herrschte im ganzen Sender Stromausfall, weil irgend so ein Penner das Netz überlastet hat, dann war das endlich geklärt, kommt unser Oberboss vorbei und macht einen auf gute Freunde. Dabei hat der Typ nur Luft zwischen den Ohren! Wenn unser Team vom Wetterdienst nicht so flexibel wäre, könnte er sich selbst überlegen, ob morgen die Sonne scheint!“ Sichtlich genervt blättert Nami in der Speisekarte rum, während sie ihrem Frust weiter freien Lauf lässt. „Und dann dieser aufdringliche Till, der die Sportnachrichten moderiert! Ich könnte mich so aufregen!“ „Was heißt hier du könntest?“ „Ach!“ Mit Elan klappt sie die Karte wieder zu und trommelt statt dessen ungeduldig mit den Fingernägeln auf der Tischplatte rum. „Was darf es sein, die Damen?“ „Die Lasagne und ein Glas Rotwein!“ Man, Nami ist wirklich geladen. „Für mich den Gartensalat und ein Mineralwasser. Danke.“ Die Bedienung verschwindet, so dass ich mich wieder meiner besten Freundin zuwende. „War es denn wirklich derartig schlimm?“ „Ach, keine Ahnung, bin einfach nur ein bisschen genervt. Und wie läuft es bei dir? Endlich geschieden?“ „In zwei Tagen ist die Scheidung unter Dach und Fach.“ „Nimmst du auch wieder deinen Mädchennamen an?“ „Natürlich! Sandman klingt immer so nach Schlafmütze.“ Sie nickt. „Und was treibt dein Vater? Lebt der alte Zausel eigentlich noch?“ „Also wirklich, so schlimm ist er nun auch wieder nicht.“ „Du weißt genauso gut wie ich, dass ich den Haudegen mag, auch wenn er immer so unnahbar tut. Außerdem ist er ein spitzen Finanzberater!“ In dieser Beziehung sind sich die beiden einig. „Er liegt noch im Krankenhaus, aber am Montag wird er entlassen. Er will unbedingt, dass ich mir einen Mann fürs Herz suche. Er schafft es immer wieder mich zu überraschen.“ „Sieht ihm eigentlich gar nicht ähnlich, aber vielleicht wird er auf seine alten Tage hin endlich ein bisschen sensibler. Und, hast du schon einen Kandidaten im Blickfeld?“ Frech zwinkert sie mir zu, denn neben Geld sind Herzensangelegenheiten ihr größtes Hobby. Sie würde wirklich jeden verkuppeln, wenn man sie denn lassen würde. „Nein, woher soll ich den denn haben?“ „Lass mich raten. Du hockst entweder den ganzen Tag in der Uni-Bib oder in deiner Galerie rum, anstatt mal auszugehen.“ „So extrem ist es nun auch nicht. Hin und wieder gehe ich schon aus.“ „Ach ja? Mit wem denn?“ „Mit Ryo.“ „Ryo?“ fragend sieht sie mich an, bis sich ein wissendes Grinsen in ihr Gesicht schleicht. „Etwa der grünhaarige Callboy mit dem süßen Hintern? Da war meine Idee zu deinem Geburtstag also doch nicht so schlecht gewesen! Allerdings ist er weder ein Mann fürs Bett noch fürs Herz, aber immerhin ein Anfang.“ „Ich glaube, vorerst genügt es mir mit einem Mann auszugehen, dem ich zu nichts verpflichtet bin.“ „Da hast du recht. Man trifft sich, verbringt ein paar nette Stunden miteinander, aber du kannst dir sicher sein, dass er sich nicht in dein Privatleben einmischen wird.“ ‚Du bist eine gute Autofahrerin, lass dir bloß nie etwas anderes einreden.’ Das hat er zu mir auf der Rückfahrt von Pasadena gesagt. Ich muss auch zugeben, durch ihn habe ich einiges dazugelernt. Er ist wirklich sehr nett. Auch als wir auf dem Volksfest waren, hat er für mich am Schießstand ein neues Smartphone gewonnen, weil mein altes Handy reif für den Schrott war. Irgendwie ist er schon süß. „Hörst du mir überhaupt zu?“ „Entschuldige Nami.“ ich lächle verlegen. „Warst du in Gedanken etwa gerade bei ihm?“ „Was redest du da? Zero ist endgültig Geschichte!“ „Ich habe eigentlich Ryo gemeint, nicht diesen Versagen, der sich noch als dein Ehemann bezeichnet. Also, was ist?“ „Ob ich an Ryo denke? Na ja, gelegentlich vielleicht mal schon, er ist eben sehr nett.“ „Nett sind diese Jungs doch alle.“ „Das finde ich nun gar nicht.“ „Sag bloß, du warst auch schon mit anderen Callboys aus?“ „Diese unterbelichtete Empfangsdame hat mich einmal versehentlich an einen Second Class dritten Grades vermittelt. Er war mir total unsympathisch, deshalb habe ich mich beschwert und bin wieder mit Ryo ausgegangen.“ An diesem Abend sah er einfach nur g… Nein, daran denke ich jetzt besser nicht! „Ein d.f.g.?“ „Was soll das sein, Nami?“ Heimlichtuerisch beugt sie sich über den Tisch zu mir vor und flüstert: „Das ist die Abkürzung für dumm fickt gut. Wusstest du das nicht?“ Sie lehnt sich wieder zurück. „Wie kannst du so was sagen?“ „Weil es so ist! Ein Callboy ersten Grades hat mindestens einen Collegeabschluss vorzuweisen, zweiten Grades Highschool und bei einem Typen dritten Grades kann man froh sein, wenn er in der Grundschule nicht hocken geblieben ist.“ „Ist das bei jedem Status so?“ „Man, du gehst mit einem Callboy aus, aber du weißt überhaupt nicht Bescheid. Ryo ist Third ersten Grades, wenn ich mich recht entsinne, d.h. er sieht nicht nur gut aus, sondern hat auch was auf dem Kasten. Außerdem sind gerade die Thirds dieser Agentur dafür bekannt, dass sie ausgezeichnete Begleiter sind. Mir ist mal zu Ohren gekommen, dass Alvida eigentlich ihre Thirds zu Seconds werden lassen wollte, weil sie der reinste Chaotenhaufen waren, aber seit ein paar Jahren sind die Jungs heiß begehrt. Ryo wird schon so einiges zu bieten haben, vielleicht sogar Dinge, von denen du noch gar nichts weißt.“ „Na und, geht mich doch auch überhaupt nichts an.“ „Ist ja egal. Aber mal was anderes, kommst du auf meine Party?“ „Hast du denn endlich einen Termin gefunden, Nami?“ „Nein, ich will nur sicher gehen, dass du dich nicht wieder davor drückst. Darfst auch in netter Begleitung erscheinen!“ Frech zwinkert sie mir zu, liebt sie es doch einfach mich zu necken. „Nein, wenn ich kommen sollte, dann aber allein. Die anderen würden ihn nur wie ein Stück Vieh anstarren.“ „Na und? Er ist Callboy, für ihn ist das nichts neues.“ „Er ist ein Mensch mit den gleichen Rechten wie wir alle, kein Zuchtbulle.“ „Ach ja?“ Kapitel 17: Mitternachtsschach ------------------------------ 17. Zorro Mitternachtsschach „So. Und nun?“ Wie spät ist es eigentlich? Drei Uhr? Vier Uhr? Ich habe keine Ahnung, aber das ist im Augenblick eh unwichtig. Es ist Freitagnacht, oder Samstag in der Früh? Im Grunde jedenfalls viel zu dunkel für so ein Spiel. Einzig eine Laterne einige Meter von uns entfernt spendet genug Licht, so dass wir nicht über die Spielfiguren stolpern. Schach im Stadtpark. Wessen Idee war das überhaupt? Meine oder Robin’s? Nachdem wir uns im Stars einige Cocktails zu Gemüte geführt haben, mehr als sonst jedenfalls, sind wir durch die Straßen gelaufen und haben uns über Nonsens unterhalten, einfach nur rumgealbert, bis wir im Stadtpark gelandet sind, weil wir uns vor der Polizei verstecken wollten. Von uns beiden hatte nämlich keiner große Lust verspürt die Nacht in der Ausnüchterungszelle zu verbringen. So hockten wir eine Weile im Gebüsch, kicherten vor uns hin und warteten darauf, dass die beiden Cops wieder Leine zogen. Als wir nach unbestimmter Zeit wieder unser Versteck verlassen hatten, sind wir auf dieses übergroße Schachspiel gestoßen. Die Figuren waren alle umgefallen, lagen wild durcheinander, so dass wir still beschlossen hatten das Spiel wieder aufzubauen. Aber als wir uns dann so gegenüberstanden, unsere Reihen fertig formiert, ließen wir es auf eine Partie ankommen. „Ist das Pferdchen nicht süß?“ Robin scheint heute mehr als angetrunken zu sein, denn sie ist ausgelassen wie ein Kleinkind. „Wo hüpfen wir denn jetzt hin, mein Pferdchen? Ja, da lang!“ Sie führt ihren Zug aus, doch ich wage zu bezweifeln, dass sie noch weiß, was sie tut. Aber Hauptsache wir haben Spaß! Auch ich rücke mit meinem Turm vor, was ihr gar nicht in den Kram zu passen scheint. „Nein, das geht nicht!“ Unruhig tippelt sie mit ihrem Fuß, ehe sie die zündende Idee zu haben scheint. Sie eilt auf das Spielfeld, schnappt sich die Dame und ruft: „Schach! In drei Zügen bist du erledigt, Süßer!“ „Ach ja?“ Langsam gehe ich auf sie zu, sehe ihr direkt in die leicht glasigen Augen, ehe ich sie mit dem Zeigefinger ein wenig von mir schubse. „Da gibt es nur ein Problem.“ „So? Aus der Zwickmühle musst du es erst einmal schaffen wieder rauszukommen.“ Sie grinst. „Es sind aber meine Figuren, du bist Weiß.“ Sie glaubt mir nicht. „Das ist doch auch weiß!“ Sie hebt die Figur hoch und schleppt sie zur Laterne. „Ach, Scheiße!“ Gott, ist die Frau süß verplant! Wütend lässt sie die Dame fallen und rennt mir nach. „Du sollst mich nicht auslachen, Ryo!“ Ich renne voraus, aber nicht allzu weit, denn mit ihren hochhackigen Schuhen ist sie wesentlich langsamer als ich. „Bleib stehen!“ „Wieso sollte ich? Ich kann schließlich nichts dafür, dass du dich selbst ausgetrickst hast!“ Wir rennen weiter, mitten über eine große Wiese, umgeben von völliger Dunkelheit. Mein Ziel sind die Laternen auf der gegenüberliegenden Seite, denn es ist nie ungefährlich in diesen Parks, erst recht nicht im Finstern. Aber dennoch ist es schön sich derart frei zu bewegen, die klare Luft der Nacht zu atmen. Es sind diese Albernheiten, die meine Treffen mit Robin so anders sein lassen. Keine Discobesuche, keine Partys, kein wildes Nachtleben im eigentlichen Sinne. Eine wohltuende Abwechslung. Inzwischen ist es heller um mich geworden, spendet die Laterne doch reichlich Licht, um das sich diverse Motten scharen. „Die Schuhe bringen mich um“, meint Robin ein wenig außer Atem, aber sie lächelt. Irgendwie scheint sie heute besonders guter Laune zu sein. Und keine Sekunde später steht sie barfuß vor mir. „Willst du durch das Kneipbecken laufen?“ frage ich sie deshalb. „Ist hier eins?“ „Klar.“ Auch ich entledige mich meiner Schuhe, stopfe die Socken rein, dann packe ich Robin an der Hand. „Das können wir nicht tun, das ist sicherlich verboten“, wispert sie mir zu, zeigt aber keinerlei Anstalten umzukehren. „Aber Schachspielen im Dunkeln ist erlaubt, oder wie?“ Sie kichert. Langsam gehe ich voraus, betrete zuerst das kühle Nass, das zwar kaum bis zu den Knöcheln reicht, aber dennoch seine Wirkung nicht verfehlt. „Das ist ja eisig!“, ruft sie erschrocken aus, aber ich lasse sie nicht zurück. Da muss sie nun durch. Doch im nächsten Moment kichert sie schon wieder. „Wenn Nami mich jetzt so sehen könnte! Sie würde sich totlachen!“ „Noch mehr als du?“ „Bäh!“ Sie streckt mir die Zunge raus, ehe sie aus dem Becken eilt. Verrücktes Huhn. Ich folge ihr, sammle aber noch schnell unsere Schuhe ein, bevor wir sie hier vergessen. Gut, ich bin auch betrunken, aber Robin übertrifft sich heute selbst. Und ihr Alkoholpegel erst! Inzwischen haben wir den Park hinter uns gelassen, doch sie hüpft noch immer summend vor mir her. Was ist nur der Grund für ihre Ausgelassenheit? Am Alkohol allein kann es nicht liegen. „Oh nein!“ Was hat sie denn jetzt schon wieder? „Ich hab meine Schuhe vergessen!“ „Meinst du die hier?“ Ich trete neben sie und halte ihr ihre Schuhe entgegen. „Du bist ein Schatz!“ Sie umarmt mich kurz, dann ist sie wieder quirlig. „Ich hab Hunger. Und das um diese Uhrzeit!“ Sie sieht sich um. „Da gehen wir hin! Los!“ Auf Drogen scheint sie auch nicht zu sein, aber anders kann ich mir ihren Zustand kaum erklären. Doch es ist schön mal etwas unbekümmerter zu sein, nicht Angst haben zu müssen in Bedrängnis zu geraten. Wir betreten, wohl bemerkt noch immer barfuß, eine kleine Snackbar, in der kaum drei Leute sind und nehmen auf einer der Bänke Platz. Ganz schön klein der Laden, aber es riecht schon mal lecker. „Hier gibt es die besten Sandwiches in der ganzen Stadt. Paolo kennt mich, schließlich komme ich fast jeden Tag zu ihm, um etwas zu essen.“ Sie streckt ihren Arm in die Luft, zeigt mit den Fingern eine Vier und eine Fünf, anschließend eine Zwei. Der Typ hinter dem Tresen nickt, ehe er offensichtlich in die Küche verschwindet. Eigentlich eine coole Art, die Bestellung aufzugeben. Wir ziehen unsere Schuhe wieder an, wobei wir fast mit den Köpfen zusammengestoßen wären, weil wir, warum auch immer, nebeneinander am Tisch sitzen, nicht wie sonst uns gegenüber. „Tut mir leid, wenn ich so aufgedreht bin, aber seit heute Mittag bin ich endlich wieder eine freie Frau. Mein Mann ist jetzt zum Glück nur noch mein Ex-Mann und er kann sich nicht mehr in meine Angelegenheiten einmischen.“ Sie strahlt regelrecht vor Erleichterung. „Glückwunsch.“ „Danke.“ Ich frage mich, was für ein Mann das sein muss, der sie nicht mehr haben will. Bloß weil sie keine zwanzig mehr ist? Aber jeder weiß doch, dass Frauen ab dreißig so ihren ganz eigenen Reiz haben und man als Mann ja auch nicht jünger wird. Außerdem gibt es jüngere Frauen als sie, die sich sicherlich wünschten, sie hätten Robin’s Aussehen und Charme. Sanji würde zudem sagen, dass wenn man im Bett ein echtes Erlebnis sucht, man keine Frau unter dreißig dafür in Betracht ziehen sollte, die sind dafür noch nicht erfahren genug. Sanji und seine Weisheiten... „Na, so spät noch unterwegs?“ An unserem Tisch ist dieser Typ erschienen, dem Robin zuvor ihre Bestellung hat zukommen lassen. Paolo, der Name passt nicht, denn er ist blond, wenn auch gefärbt. Und dieses rosa Hemd erst. Obwohl, das ist ja zur Zeit in. Aber ohne mich, in so einen Fetzen kriegt mich Alvida nicht! Robin und dieser Aushilfsmacho reden noch ein bisschen, ehe er sich wieder verdünnisiert. Nett, dass er mich ignoriert hat. Aber besser so, als wenn er den eifersüchtigen Hammel wie viele Männer gespielt hätte, die sich mit einem Callboy konfrontiert sehen. „Los, probier!“ Ich nicke und nehme mir eins der Sandwiches, die in schöne Dreiecke geschnitten sind. „Gut!“ „Sag ich doch.“ Wieder grinst sie, während sie weiter isst. Ein Weilchen schweigen wir, doch je länger dieser Zustand anhält, desto nachdenklicher wird Robin’s Mine. „Stimmt etwas nicht?“, frage ich sie schließlich, denn ich kann ihr ansehen, dass sie etwas auf dem Herzen hat. „Nein,…es ist nichts.“ Sie wendet ihren Blick von mir ab, nimmt sich erneut eines der Sandwiches, beißt aber nicht hinein. Kurz zögere ich noch, ehe ich mich dazu entschließe das Thema wieder aufzugreifen: „Du hast doch was. Erzähl schon, ich verrate es auch keinem.“ Ein wenig lächelt sie wieder. „Na ja, es ist…albern, total albern, aber…“ „Es scheint dich dennoch zu beschäftigen.“ Sie nickt. „Wir vereinbaren einen Deal, okay? Sollte diese Sache wirklich total albern sein, lachen wir einfach darüber und vergessen sie anschließend, aber wenn etwas an der Sache dran ist, reden wir darüber.“ „Na gut.“ antwortet sie zwar, aber sie ringt noch mit den Worten. „Es ist so. Mein Ex-Mann kam vor ein paar Tagen zu mir, keine Ahnung was er wollte, vermutlich mich zur Weißglut treiben, und musste mir sofort unter die Nase reiben, dass er herausgefunden hat, dass ich mich mit einem Callboy treffe, folglich dir. Er konnte wohl irgendwie einen der Bankangestellten dazu überreden, ihn einen Blick auf meine Kontoauszüge werfen zu lassen. Jedenfalls hat er mich deshalb ausgelacht und gemeint, dass einer…alten Schachtel wie ich es bin ja gar nichts anderes übrig bleiben würde und…dir ja auch nicht, weil…weil…man dich dazu zwingen würde. Ich sagte ja, dass es albern ist.“ Fahrig fährt sie sich mit einer Hand durch ihr Haar, denn offensichtlich ist es ihr peinlich. Was soll ich da sagen? Im Grunde weiß sie über mich Bescheid, aber es liegt an mir ihren Verdacht nicht zu erhärten, sondern zu zerstreuen. Die Gründe, weshalb ich diesen Job angenommen habe und ihn noch immer ausübe, gehen niemanden etwas an, keine meiner Kundinnen und schon gar nicht sie. So wie ich Robin einschätze würde sie anfangen sich Sorgen um mich zu bereiten, obwohl es ihr eigentlich egal sein könnte. Doch ich lasse mir meine Gedanken nicht anmerken, lächle ihr stattdessen aufmunternd zu und meine: „Was für einen Grund könnte es schon für jemanden wie mich geben, sich zu diesem Job zwingen zu lassen?“ „Deswegen sag ich ja, dass es total albern ist, denn mir würde kein einziger Grund einfallen, der überzeugend genug wäre, um jemanden zu etwas derartigem zwingen zu können. Aber jetzt bin ich wenigstens beruhigt, denn das hättest du nicht verdient, Ryo.“ Kapitel 18: Erinnerungen: Gefangen ---------------------------------- 18. Zorro Erinnerungen: Gefangen Das Pochen wird stärker, besonders rechts. Eigentlich ist es fast schon ein Stechen. Penetrant, bohrend, quälend. Nahezu blind taste ich mit meiner Hand danach, befühle die schmerzhafte Stelle an meiner Schläfe. Doch recht schnell beende ich mein Tun, denn dadurch wird es nur noch schlimmer. Tief atme ich durch, was sich eher wie ein leidvolles Stöhnen anhört, ist meine Kehle doch einfach zu trocken. Mein Arm fällt zurück auf die Matratze, streift dabei aber eher unbeabsichtigt eine andere Person. Wo bin ich? Noch völlig benebelt öffne ich die Augen, blinzle, bis ich etwas erkennen kann. Grau. Um genau zu sein, eine graue Wand. Ich drehe meinen Kopf nach links, aber keine zehn Zentimeter vor meinem Gesicht der selbe Anblick. Was ist nur passiert? Doch ein ebenfalls gequältes Seufzen reißt mich aus meiner Starre und erinnert mich an die ominöse Gestalt, die neben mir liegt. Hektisch drehe ich meinen Kopf nach rechts, was ich aber sogleich bereue. Der Schmerz in meinem Kopf verwandelt sich augenblicklich in einen scharfen Speer, der sich dort fest zu bohren scheint. Verflucht! „Zorro?…Wo sind wir?“ Trotz meines wenig erfreulichen Zustands erkenne ich Sanji, der nicht weniger fertig aussieht, als ich mich fühle. Dabei waren wir doch gestern gar nicht aus um etwas zu trinken, lediglich spazieren mit Diego… Diego! Panisch richte ich mich auf, klettere trotz meiner dröhnenden Kopfschmerzen über Sanji, um aufstehen zu können, nur um im nächsten Augenblick wie ein nasser Sack beinahe hinzufallen. Angenehm kühl fühlt sich die Betonwand an, an die ich mich mit der Stirn gelehnt habe, bevor ich zusammenklappen konnte. Vor meinen Augen tanzen bunte Lichter, explodieren wie tausend Glühbirnen, befindet sich mein Kreislauf doch noch immer im Keller. Trotzdem habe ich keine Zeit auszuruhen, ich will zu Diego. Wieso ist er nicht bei mir? Ich drehe mich um, so dass ich nun mit dem Rücken an der Wand lehne und mich besser umsehen kann. Aber bis auf ein altes Waschbecken und das schmale Bett, auf dem Sanji noch immer wie ein Häufchen Elend liegt, ist nichts zu sehen. Gut, die geschlossene Stahltür, aber ob mich das beruhigen sollte? Wie sind wir nur hierher gekommen? Sanji und ich waren spazieren, wobei ich Diego im Easyrider sitzen hatte; eine Art Tragegurt für Babys. Kinderwägen sind mir zu unpraktisch, außerdem wird man ständig von irgendwelchen Leuten in der Stadt angerempelt und das wollte ich mir ersparen. Momentan bin ich eh sehr leicht reizbar, denn Kuina’s Tod raubt mir nach wie vor jede Nacht den Schlaf, auch wenn sie bereits seit fast vier Monaten nicht mehr lebt. Die Bank hat mich aus dem Haus geworfen, schließlich war der Kredit noch nicht bezahlt und nach dem Tod meines Schwiegervaters hat sie eben ihr Recht gefordert. Seitdem stehe ich vor dem Nichts. Letzte Woche konnte ich zwar damit anfangen Bewerbungen zu schreiben, da mein Abschlusszeugnis vom College endlich eingetroffen ist, aber bis jetzt habe ich noch keine Antwort erhalten. Doch im Grunde kann ich froh sein, dass Sanji mich und den Kleinen bei sich aufgenommen hat, auch wenn er selbst nur in einer einfachen Zweizimmerwohnung lebt. Aber wo befindet sich mein Sohn im Moment? Ich muss ihn finden, sonst… Unruhe durchzieht meinen Körper, so dass ich mich trotz der Schwindelgefühle von der Wand abstoße. Mein Weg führt mich zu dem Waschbecken, an dem ich erst einmal den Wasserhahn aufdrehe und etwas trinke. Tut das gut! „Lass mich auch mal...“ höre ich Sanji murmeln, so dass ich zur Seite rücke. Jetzt geht es mir besser, zumindest körperlich. Aber ich muss etwas unternehmen, Diego finden, denn ohne ihn ist mein Leben keinen Pfifferling mehr wert. Außerdem braucht er mich doch, ich bin schließlich sein Vater und er ein kleines, hilfloses Baby! Angespannt tastet mein Blick die Wände ab, sucht eine Fluchtmöglichkeit, bis ich etwas entdecke. Ein wenig unsanft schiebe ich Sanji meinen Ellenbogen zwischen die Rippen, was ihm ein deutlich hörbares Fluchen entlockt. „Man, mir geht’s schon beschissen genug, also hör auf mit dem Scheiß!“ Doch anstatt ihm zu antworten, hebe ich lediglich kurz meinen Arm und deute an die Zimmerdecke. Sichtlich genervt folgt er meinem Blick, bis auch er meine Entdeckung sieht. Eine Kamera. „Wo sind wir hier nur gelandet?“ murmelt er, während er sich mit einer Hand durch die Haare fährt. Gebannt starren wir auf das blinkende Aufnahmegerät, aber wohl keiner von uns beiden verspricht sich davon wirklich eine Antwort. „Sie haben uns also doch erwischt.“ „Wer?“ „Diese Typen, denen wir im Park begegnet sind. Hast du das etwa vergessen, Grüner?“ Nachdenklich sehe ich ihn an, aber ich weiß wirklich nicht mehr, was geschehen ist. Wir waren doch nur spazieren, liefen durch diese kleine Grünanlage… Diego hat geschrien! Ich wollte ihn beruhigen, aber…Sanji rief, ich solle weglaufen, was ich auch tat und auf einmal…nur noch Schmerz. Nachdenklich fasse ich mir an den Hinterkopf, doch was ich dort fühle, irritiert mich nur noch mehr. „Sanji, was ist das?“ Kritisch beginnt er in meinen Haaren herumzuwühlen, bis er kurz scharf die Luft zwischen den Zähnen einzieht. „Du hast eine Platzwunde, die aber genäht wurde.“ „Erinnere ich mich vielleicht deshalb nicht?“ „Möglich.“ Er beginnt auch seinen Kopf abzutasten, aber er scheint unverletzt zu sein. „Was hast du da am Arm?“ Ich kann gar nicht so schnell reagieren, wie er mich packt und an meinem linken Arm herumzerrt. „Lass los!“ „Findest du es etwa nicht merkwürdig, dass deine Reflexe im Moment schlechter sind als die eines alten Mannes? Man hat uns sicherlich Schlafmittel oder ähnliches verabreicht. Sieh dir nur deinen Arm an, der Arzt muss ein absoluter Dilettant gewesen sein.“ Tatsächlich, ich habe einen riesigen Bluterguss, aber Sanji auch. Doch das hält ihn keineswegs davon ab weiter an mir herumzuzerren, bis er auf einen weißen Verband an meinem rechten Fuß stößt. An sich kann es schon mal passieren, dass man umknickt, wenn man vor seinen Verfolgern fliehen will, aber dass Sanji den gleichen Verband an der absolut gleichen Stelle hat, ist schon mehr als verdächtig. Niedergeschlagen gehe ich wieder zum Bett, auf das ich mich fallen lasse. Es riecht modrig. Aber was interessiert mich der Gestank eines alten Bettes, die Platzwunde an meinem Kopf, wenn das wichtigste in meinem Leben nicht mehr bei mir ist. Diego darf einfach nichts passiert sein! Kleine Tränen versammeln sich in meinen Augen, doch ich zeige sie nicht, verbiete ihnen das zu tun, was sie in den vergangenen Monaten zu oft getan haben; meine Hilflosigkeit zeigen. So drehe ich mich auch auf die Seite, als Sanji neben mir auftaucht, will ich doch mit meinem Schmerz und meiner noch viel größeren Sorge allein sein. Aber wie es für ihn nun mal so typisch ist, gönnt er mir diese kleine Auszeit nicht, sondern umarmt mich einfach. „Sei nicht so stur“, flüstert er in mein Ohr, so dass ich weiß, dass er mich mal wieder durchschaut hat. Gibt es jemanden, der mich besser kennt? Ich glaube nicht. „Ich hab genauso viel Angst um Diego wie du, aber bis jetzt haben wir noch jede Situation gemeistert und auch bei dieser wird es nicht anders sein. Ich lass dich nicht im Stich, das weißt du genau, also gib dir einen Ruck und versuch das Beste daraus werden zu lassen.“ Ich nicke und drehe mich wieder auf den Rücken, so dass wir uns ansehen können. „Niemand wird dir den Kleinen wegnehmen, das verspreche ich dir.“ Er lächelt mir aufmunternd zu und auch ich bemühe mich dieses zu erwidern. Und mit dem Lächeln beginnen die ersten Tränen zu fließen. Kapitel 19: Erinnerungen: Unfreiwillige Entscheidung ---------------------------------------------------- 19. Zorro Erinnerungen: Unfreiwillige Entscheidung Seit Stunden sitzen wir nun schon in diesem trostlosen Raum, wissen weder ein noch aus. Kahle Betonwände starren uns an, bieten uns keinerlei Fluchtmöglichkeit, denn an der Stahltür brauen wir unser Glück erst gar nicht zu versuchen. Wenn wir wenigstens wüssten, was man mit uns vorhat. Außerdem quält mich die Frage, wo sich Diego im Augenblick aufhalten könnte und ob es ihm gut geht. Die Sorge um den Kleinen bringt mich noch um den Verstand! Erst das leise Quietschen der schweren Tür reißt uns aus unserer Lethargie, ebenso der Anblick dreier Gestalten. Zwei Männer, die je eine Pistole auf uns gerichtet halten und eine Frau. Doch obwohl sie unbewaffnet zu sein scheint, wirkt sie auf mich wesentlich bedrohlicher als ihre Begleiter. „Wünsche wohl geruht zu haben, meine Herren.“ Der Spott in ihrer Stimme ist kaum zu überhören. „Wer sind sie? Was wollen sie überhaupt von uns?“ Sanji zeigt sich wie so oft unbeeindruckt, auch wenn ich das leichte Zittern in seiner Stimme gehört habe. Ich kenne ihn gut, wahrscheinlich weiß ich deshalb schon instinktiv, dass er nur den Coolen spielt. „Nicht so stürmisch, mein Süßer, eins nach dem anderen. Fest steht allerdings, dass ihr zwei ein hübscher Fang seid.“ Ratlos sehen Sanji und ich uns an, haben wir doch absolut keine Ahnung davon, was man eigentlich von uns will. Natürlich quält mich die Frage nach Diego, seinem Verbleib, aber im Gegensatz zu Sanji ziehe ich es vor zu schweigen, um nicht angreifbar zu sein, man weiß schließlich nie, was in den Köpfen anderer vor sich geht. „Eigentlich ist die Sache ganz einfach, Jungs. Ihr zahlt eure Schulden, dann seid ihr wieder frei.“ „Was für Schulden?“, stellt Sanji die berechtigte Gegenfrage, ein wissendes Lächeln ist die Antwort darauf. „Eine schöne Eigentumswohnung in Downtown, wenn auch klein, ist nicht gerade billig und als Koch nur schwer finanzierbar. Oder welcher Collegestudent kann schon die Beerdigung seiner Frau plus Schwiegervater bezahlen? Und was ist mit den Kosten, die durch den Unfall verursacht wurden? Eine Menge Geld.“ Hart schlucke ich, bevor mir noch eine bissige Bemerkung rausrutscht. Woher zum Teufel hat dieses Weib ihre Informationen? „Da sie offenbar so gut über uns Bescheid zu wissen scheinen, wird ihnen auch nicht entgangen sein, dass es bei uns nicht viel zu holen gibt.“ „Deshalb werdet ihr auch für mich arbeiten, als Gegenleistung dafür, dass ich euch eure Gläubiger vom Hals geschafft habe.“ „Und wenn nicht? Wir haben sie schließlich nicht darum gebeten.“ „Du Blondie, hast gar keine andere Wahl, während ich deinem Kumpel einen Deal vorzuschlagen hätte.“ Ihr Grinsen wird breiter, hinterhältiger, so dass das ungute Gefühl in meinem Magen nur noch schlimmer wird. „Er kann gehen, wenn er will. Allerdings muss er mir dazu seinen Jungen als Gegenleistung überlassen.“ „Wo ist er?!“ Meine Selbstbeherrschung ist dahin. Wütend will ich dieses Weib am Kragen packen, notfalls aus ihr herauspressen wo sich mein Sohn befindet, doch das Klicken, als ihre beiden Begleiter ihre Waffen entsichern, lässt mich innehalten. „Sieh es ein, Jungchen, entweder du arbeitest für mich oder du verkaufst das Kind.“ Zornig balle ich meine Hände zu Fäusten, um nicht die Kontrolle über mich zu verlieren, denn diesen Gefallen will ich ihr nicht tun. „Nein. Entweder ihr gebt mir meinen Jungen, oder ihr könnt mich auf der Stelle über den Haufen schießen.“ Entschlossen blicke ich ihr in die Augen, spüre aber im nächsten Moment den kalten Stahl einer Handfeuerwaffe an meiner Schläfe. Ich habe keine Angst vor dem Tod, nur davor, nicht mehr für meinen Sohn da sein zu können, wenn er mich braucht. „Zorro, sei kein Narr!“ Sanji packt mich am Arm, doch ich schiebe ihn von mir. Es ist allein meine Entscheidung. „Meinst du nicht, dass du etwas zu vorlaut bist?“, entgegnet mir die Fremde wenig beeindruckt. „Ich sagte entweder oder, etwas anderes kommt für mich nicht in Frage.“ „Na schön. Dann wirst du mir auch sicherlich verraten können, weshalb ich dich nicht auf der Stelle sterben lassen sollte?“ „Tut mir leid, aber das kann ich nicht. Hier und jetzt entscheidet sich mein Schicksal. Leben oder Tod.“ Sie lacht amüsiert auf, aber zum ersten Mal habe ich den Eindruck, dass es ein ehrliches Lachen ist. „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, du bist der Zwilling von einem meiner Jungs. Weißt du, daß mir ein kinderloses Ehepaar fünfzigtausend für den kleinen Hosenscheißer geboten hat? Eine Menge Geld, wie ich finde. Sie würden ihn mitnehmen nach Brasilien und niemanden würde es interessieren, woher sie ihn haben. Beruhigend, wenn man im Geld schwimmt, nicht wahr?“ Sie legt ihre Hand auf den Arm des Kerls, der mir noch immer seine Waffe and den Kopf hält und schickt ihn nach draußen. „Ihr werdet für mich arbeiten, ist das klar?! Ich will mein Geld wieder, jeden Cent und die Zinsen natürlich auch.“ „Welche Art von Arbeit soll das sein?“, mischt sich nun auch wieder Sanji in das Gespräch mit ein, dem doch ein wenig die Farbe aus seinem ohnehin schon blassen Gesicht gewichen ist. „Ihr werdet als Callboys arbeiten.“ „Was?!“ Ist das Ihr Ernst? „Welcher Status?“ Wie kann Sanji nur so ruhig bleiben?! „Second natürlich.“ Wovon reden die beiden überhaupt? Doch mein Gedankengang wird jäh unterbrochen, als dieser Typ von eben wieder zurückkommt, doch diesmal in Begleitung eines weiteren Mannes, dessen Anwesenheit mich in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Ich kenne ihn nur zu gut und weiß, dass er mit allen Wassern gewaschen ist. Falkenauge! Doch das schlimmste an der Situation ist sicherlich, dass er Diego auf dem Arm hält. Der Kleine hat geweint, das erkenne ich sofort! „Als wir uns das letzte Mal begegnet sind, lagst du blutend am Boden, aber ich wusste, dass dich das nicht von deinem Weg, einer der besten Straßenkämpfer zu werden, abbringen würde, Zorro. Jetzt bist du ein junger Vater und als solcher steht für dich das Wohl deines Kindes an erster Stelle, so wie es sein sollte. Also überleg dir gut, was du nun gedenkst zu tun.“ Ich hätte eigentlich nicht gedacht, dass sich Falkenauge noch an mich erinnert, schließlich liegt unser Kampf etwa zwei Jahre zurück und ich war nur einer von vielen, die ihn damals herausforderten. Eine alte, wenn auch verbotene Leidenschaft von Kuina und mir war es an Duellen teilzunehmen, die mit echten Waffen ausgetragen wurden. Ihr Vater hätte uns umgebracht, wenn er je dahintergekommen wäre! Aber eben bei einem dieser Turniere trat ich im Endkampf gegen Falkenauge an und verlor auf schmerzliche Art und Weise gegen ihn. Die Narbe auf meinem Oberkörper zeugt noch heute davon. Danach verschwand er spurlos, doch ich glaubte nicht den Gerüchten um ihn, dass er umgekommen sei. Er ist in meinen Augen einfach nicht der Typ, der so schnell unterzukriegen ist. Und wie es scheint, hatte ich mich nicht getäuscht. „Gib mir meinen Jungen!“, knurre ich wütend. „Wirst du tun, was man von dir verlangt?“ Ein abfälliges Schnauben meinerseits, ehe ich mich zu einer Antwort durchringen kann: „Wie du selbst gesagt hast, steht für mich das Wohl meines Kindes an oberster Stelle, folglich habe ich keine andere Wahl.“ „Versprich es.“ „Ich verspreche es dir und du weißt, dass ich mein Wort halten werde.“ Er nickt. Für Diego würde ich sogar durch die Hölle gehen, sollte man es je von mir verlangen. Trotzdem, im Moment gibt es wenigstens einen kleinen Lichtblick, darf ich meinen Sohn doch endlich wiederhaben. Behutsam drücke ich den Grashüpfer, wie Sanji ihn nennt, an mich, der daraufhin fröhlich mir entgegenlacht. Was würde ich nur ohne den Kleinen tun? Kapitel 20: Zwischen Illusion und Wirklichkeit ---------------------------------------------- 20. Robin Zwischen Illusion und Wirklichkeit Ich liebe das Stars! Es ist wie eine Oase in der Wüste, ein Schatz im Armenviertel. Allein wenn ich das Gebäude betrete, und ja, inzwischen kenne ich auch den Türsteher, umfängt mich ein gutes Gefühl. Die Menschen dort sind freundlich und keiner von ihnen verbreitet so etwas wie Unruhe oder Hast, als würde die Zeit in dieser Bar anderen Gesetzen folgen. Die Türen des Aufzuges öffnen sich und ich betrete den Ort, auf den ich mich schon die ganze Woche gefreut habe. Keine Studenten, die mir Löcher in den Bauch fragen, keine Professoren mit Profilsneurose und keine verrückten Künstler, die mir ihre Werke andrehen wollen. Zielstrebig gehe ich auf meinen Lieblingsplatz zu, vorbei an der blaubeleuchteten Bar, um dort auf Ryo zu warten. Diesmal haben wir uns direkt hier verabredet, denn ein anderer geeigneter Treffpunkt ist mir ehrlich gesagt nicht eingefallen. Außerdem besitze ich ja meine eigene Eintrittskarte, diesen kleinen blaufluoreszierenden Stern. Ich setze mich an einen der freien Tische und werfe automatisch einen Blick nach oben an die Decke. Die Sicht ist frei auf den noch nicht ganz dunklen Abendhimmel, doch einzelne Sterne sind schon erkennbar. Ob dieser helle Stern vielleicht die Venus ist? Sie ist schließlich ein Abendstern. „Na, heute allein unterwegs?“ Ich wende meinen Blick wieder dem Hier und Jetzt zu, nicht dem Himmelszelt, und sehe direkt in June’s freundliches Gesicht. „Nein, ich bin wie immer mit Ryo verabredet“, antworte ich nicht minder freundlich. „Ach so.“ Sie lässt sich gegenüber von mir am Tisch nieder und zündet sich eine Zigarette an. „Ich dachte nur, weil du heute so schick angezogen bist.“ „Ich? Na ja, ich wollte nicht immer die graue Maus sein“, antworte ich wahrheitsgemäß. Leider neige ich ein wenig dazu mein Aussehen zu verstecken. Aber so chic ist das Kleid, das ich trage, nun auch wieder nicht. Gut, es hat Spaghettiträger und ist nicht ganz knielang, aber ansonsten eher einfach schwarz gehalten. „Ich hoffe, Ryo ist nicht zu spät dran oder soll ich ihn kurz anrufen?“ „Nein, das brauchst du nicht, June. Wir sind erst in etwa zehn Minuten verabredet, aber Zuhause war er mir ein wenig zu langweilig. Und auf Arbeiten habe ich auch wenig Lust, es ist schließlich Wochenende.“ „Dir scheint es bei uns zu gefallen, wie?“ „Ja, es ist wirklich sehr schön hier.“ „Apropos schön, deine Verabredung scheint gerade eingetroffen zu sein.“ Ich sehe an ihr vorbei Richtung Aufzug, aus dem gerade Ryo steigt. Aber ich bin nicht die Einzige die ihn ansieht, viele der Gäste mustern ihn. Es ist eben nicht nur sein Aussehen, das ihn zu einem echten Blickfang werden lässt, sondern auch seine kühle, selbstbewusste Art, wenn er einen Raum betritt. „Hey Süßer, hier sind wir!“, ruft ihm June zu und fuchtelt wild mit den Armen. Sie ist schon ziemlich verrückt. Auch ihr Kleidungsstil ist etwas gewöhnungsbedürftig und erinnert ein wenig an eine Frau aus dem Rotlichtmilieu. Glitzertop mit tiefem Ausschnitt, wobei sie froh sein kann, dass ihr Busen nicht rausfällt, dazu ein schwarzer Stretchmini, bei dem man ihre Strapse sehen kann, wenn sie die Beine übereinanderschlägt. Nicht zu vergessen ihre Knie hohen Stiefel mit extra hohen Absätzen. Da sieht man mal wieder, wie man sich in einem Menschen täuschen kann, wenn man ihn nur nach seinem Aussehen beurteilen würde, denn June ist einfach nicht der Typ Frau, den man sich unter einer Laterne vorstellen kann. „Hallo, ihr zwei.“ Galant setzt Ryo sich zu June auf die Bank, während er mir ein Lächeln schenkt. Ich weiß nie, wie ich ihn begrüßen soll, denn ihm die Hand zu geben wäre zu unpersönlich und eine Umarmung zu viel des Guten. Eine unangenehme Situation, an die ich mich einfach nicht gewöhnen kann. „Was darf ich euch zu trinken bringen? Oder wollt ihr dort weitermachen, wo ihr das letzte Mal aufgehört habt?“ An June’s Grinsen ist deutlich erkennbar, dass sie es unheimlich witzig fand, dass ich bei unserem letzten Treffen unbedingt jeden Cocktail auf der Karte ausprobieren wollte. Weit bin ich allerdings damit nicht gekommen. Ich erinnere mich daran, dass ich am nächsten Morgen erst sehr spät aus den Federn gekommen bin und von Schachfiguren geträumt habe. „Na schön!“, antworte ich dennoch, ignoriere aber dabei das leicht peinliche Gefühl in mir. Die müssen mich echt für eine Schnapsdrossel halten! „Und, was haben wir heute noch so vor? Wieder eine Runde Schach im Stadtpark?“ „Grins nicht so frech! Und selbst wenn, diesmal würdest du mich nicht so leicht schlagen, Ryo.“ „Willst du es auf eine Partie ankommen lassen?“ „Vielleicht.“ Wenn er nicht so süß wäre, würde ich mich doch glatt herausgefordert fühlen. „Wovon redet ihr eigentlich? Seid ihr etwa auch schon ohne Cocktails besoffen?“ June blickt von ihrem elektronischen Eingabegerät auf, das hier in der Bar anstelle eines Notizblocks verwendet wird. „Robin schmust nur gerne mit Schachfiguren, besonders der Springer hat es ihr angetan.“ „Verräter!“, zische ich leise, auch wenn ich es Ryo nicht wirklich übelnehme. „Ihr habt doch echt einen Knall und zwar alle beide.“ „Zum Glück bist du völlig normal, June.“ „So normal wie es eben geht, in dieser verrückten Welt.“ Sie zuckt mit den Schultern und grinst uns lieb an. „Na, steht heute mal wieder ein größeres Besäufnis an der Tagesordnung?“ Ja, ja, wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Deshalb antworte ich Jessy nicht auf ihre kleine Stichelei, sondern rücke ein Stück zur Seite, so dass sie sich neben mir auf der Bank niederlassen kann. Doch außer einer frechen Bemerkung hat sie uns auch unsere Drinks mitgebracht, so dass ich beim Anblick der liebevoll dekorierten Gläser schon wieder ins Schwärmen komme. Ich glaube, ich habe meine Vorliebe für Cocktails entdeckt! Jessy ist die Mitbesitzerin des Stars, denn allein könnte June so eine Bar sicherlich nicht finanzieren, zumal sie ja nicht jede Person als Gast willkommen heißen. Ihr Kleidungsstil ist ähnlich wie der ihrer Freundin, allerdings besteht ihr Top nur aus einem feinen engmaschigen Netz, so dass wirklich jeder sehen kann, dass sie nichts darunter trägt. Ich persönlich würde mich das jedenfalls nicht trauen, aber das ist eben jedem selbst überlassen. Ich wende mich wieder meinem Cocktail zu und probiere einen Schluck. Tödlich gut!! „Scheint genau dein Geschmack zu sein, wie ich sehe“. meint June zu mir und hebt selbst ihr Glas. „Ja, ist nicht zu verachten.“ Allerdings scheint der Drink sehr hochprozentig zu sein. Ach egal. Ich möchte mich einfach entspannen und diesen Abend genießen, außerdem muss ich mich vor niemandem rechtfertigen. Jessy ist inzwischen wieder davongeeilt, während wir drei uns über vergangene Alkoholexzesse unterhalten. Ich merke schon, gegen June und Ryo bin ich ein absolutes Waisenkind. Zwar war ich während meiner Studienzeit alles andere als abstinent, doch einen Filmriss hatte ich noch nie. June dagegen scheint mal eine Phase durchgestanden zu haben, in der ihr Alkohol sehr wichtig war. „Hier, die neue Runde!“ „Ich habe noch nicht mal diesen hier leer!“, protestiere ich. „Die kleine Pfütze wirst du doch wohl schnell schaffen“, entgegnet mir Jessy, so dass ich mich ranhalte. Es folgen zwei kleinere Shots, Cocktails die man in einem Zug leer trinkt, und ich weiß schon jetzt, dass die ihre Wirkung sicherlich nicht verfehlen werden. Wann habe ich heute das letzte Mal überhaupt was gegessen? Eine gute Grundlage wäre nämlich nicht verkehrt. „Los, komm!“ „Wohin?“ Fragend blicke ich in die drei Gesichter, die mich bittend ansehen. „Na, tanzen“, antwortet mir Ryo und streckt mir seine Hand entgegen. „Ich kann aber nicht tanzen wie in einer Disco!“ „Ich weiß, und Autofahren kannst du auch nicht.“ Ohne meinen Einspruch auch nur näher zur Kenntnis zu nehmen, zieht Ryo mich von der Bank und schiebt mich Richtung Tanzfläche. Oh wie peinlich! June und Jessy dagegen legen los wie nichts, als würden keine fremden Leute um uns herumsitzen und uns zusehen. Hinzu kommt, dass ich die Musik nicht kenne, weil ich eh nur ganz selten Radio höre und somit nicht auf dem Laufenden bin. Schalte ich dagegen einen der Musikkanäle im Fernsehen ein, sehe ich nur abgewrackte Typen mit ihren Händen rumfuchteln und unzählige Frauen dazu mit dem Hintern wackeln. Singt dann zwischendurch mal eine Frau, hat die ebenfalls nichts Besseres zu tun, als mir ihren Hintern zu zeigen. Was interessiert mich das? Wo sind die Musikvideos, in denen sich hübsche Männer ausziehen? Gott, ich bin verrückt! Und besoffen dazu. Ryo hat es währenddessen doch geschafft mich zur Tanzfläche zu bewegen, wo June und Jessy bereits wild am tanzen sind. Die beiden könnten glatt aus solch einem Video entsprungen sein, so wie die abgehen. „Na los, zeig mal was du kannst.“ Ryo tanzt mich ein bisschen an, doch mir ist das zu peinlich. „Nein, bitte nicht.“ Doch er lässt nicht locker. Statt dessen nimmt er meine Hände und vollzieht ein paar merkwürdige Drehungen mit mir. Das heißt ich glaube, dass sie merkwürdig sind, habe ich doch absolut keinen Schimmer vom Tanzen. Klar, Walzer, Tango, Rumba, Samba, Cha-Cha-Cha und wie sie alle heißen, aber wenn es darum geht allein das Tanzbein zu schwingen, dann bin ich doch recht schnell aufgeschmissen. Das Lied wechselt und diesmal glaube ich sogar es zu kennen. Es handelt sich dabei zwar um eines dieser moderneren Songs, aber ganz so neu ist es nun auch wieder nicht. Es ist von diesen drei dunkelhäutigen Frauen, die ich eigentlich ganz gut finde. Wie hieß die Band noch gleich? Doch weiter darüber nachdenken kann ich nicht, denn Ryo wirbelt mich herum, dass ich in seinen Armen lande, zumindest verkehrt herum, denn er steht hinter mir. Ein wenig muss ich kichern, denn seine Körperwärme greift prickelnd auf mich über. Das kitzelt! Und ich glaube, ich bin voll. Nein, ich weiß es! Langsam fange ich an mich zu bewegen, nur ganz leicht. Es ist mehr wie ein pulsieren, reines fühlen, mehr nicht. Ich spüre seine Hüfte an meinem Po, den sanften Rhythmus, begleitet von seiner Hand, die auf meinem Bauch liegt. Hitze ist in mir, ebenso Sehnsucht. Als ich noch eine Jugendliche war, habe ich oft von so einer Situation geträumt, doch meine Schüchternheit isolierte mich. Es bedarf also erst ein paar Jährchen und dem Zutun von Alkohol, bevor ich mich fallen lassen kann, wie mir scheint. Aber so ist das wohl eben, wenn man sich selbst hinter Normen und Regel versteckt. Bloß nicht auffallen! Ich lehne meinen Kopf zurück, spüre seine Schulter und seinen sanften Atem an meinem Ohr. Wie in Trance passe ich mich ihm an, lege sogar eine Hand auf seine, denn in meinem tiefsten Inneren will ich nicht, dass er aufhört. Er soll mich entführen, meine Sinne betören und mir eine Dummheit entlocken. Aber ist diese ganze Sache an sich nicht eine Dummheit? Ryo ist nichts weiter als eine Illusion, nicht der Mann, der mich nach Hause bringen wird, um mich dort in seinen starken Armen die Zeit vergessen zu lassen. Ob Josie McIntyre also doch Recht hatte? Aber selbst wenn, es spielt im Endeffekt keine Rolle. Er gibt mir das wofür ich ihn bezahle und jeder weitere Schritt wäre mir ohnehin zu viel. Ich brauche noch Zeit, um mir jemand neues zu suchen, den ich lieben kann. Ryo würde mir zwar gefallen, aber er ist wie die Frucht im Paradies; Verboten und doch so verlockend. Kapitel 21: Erinnerungen: Destiny --------------------------------- 21. Zorro Erinnerungen: Destiny Sanji ist nun schon seit einer Weile weg, Stunden bestimmt. Stunden die einfach vergehen, ohne dass etwas passiert. Wo man ihn bloß hingebracht hat? Ob es ihm gut geht? Eigentlich kümmert es mich ja wenig allein zu sein, schließlich war ich als Kind meist ein Einzelgänger, aber im Moment wünsche ich mir meinen besten Freund einfach an die Seite. Zu zweit sind wir stärker, schwerer zu brechen, aber das wissen diese Leute hier sicher. Sie werden uns ohnehin nicht grundlos voneinander getrennt haben. Langsam gehe ich im Zimmer auf und ab, wiege Diego dabei in meinen Armen, wird es doch allmählich Zeit für sein Mittagsschläfchen. Am besten wird es sein, wenn ich mich zusammen mit ihm hinlege, denn außer dumm vor mich hinzustarren habe ich eh nichts zu tun, so wie bereits seit Tagen. Wie lange wir wohl schon hier gefangen gehalten werden? Und weshalb habe ich das untrügliche Gefühl, dass es noch eine Weile so sein wird? When darkness falls leaving shadows in the night don’t be afraid you’re not alone You can come with us I see passion in your eyes run with us we are free „Ein singender Daddy also.” Überrascht blicke ich zur Tür, habe ich doch nicht mit Besuch in meiner Zelle gerechnet. Eine Frau, dreißig bestimmt, mit hochhackigen Stiefeln und Bomberjacke. Wer das wohl ist? Krachend fällt hinter ihr die Tür ins Schloss und ich höre, wie jemand den Schlüssel umdreht. „Na ja, ich hatte schon schlimmere Typen.“ Sie stakst auf mich zu und wirft einen neugierigen Blick auf Diego und mich. „Der ist ja niedlich. Allerdings ein bisschen zu klein für den Job.“ Sie grinst. Callboy. Kann man das überhaupt als Job bezeichnen? Bin ich nicht eher ein Gefangener? Ich lege Diego in das kleine Bettchen, das man uns gebracht hat, seit ich den Kleinen wieder bei mir haben darf. Er schläft zum Glück. „Komm, je eher wir die Sache hinter uns bringen, desto besser.“ „Die Sache?“ „Welche Farbe?“ „Was…?“ Hab ich was nicht mitbekommen? „Jetzt glotz nicht so, sondern sag mir deine Lieblingsfarbe.“ „Blau.” Sie seufzt. „Dunkel oder hell?“ „Dunkelblau.“ „Hab ich mir gedacht“, murmelt sie, doch scheint sie mehr mit sich selbst zu reden als mit mir. Was will sie hier eigentlich? Doch spätestens in dem Moment, als sie sich unter den Rock greift und ihren Slip auszieht, kenne ich die Antwort. „Komm her, oder hast du vor Wurzeln zu schlagen?“ Scheiße, irgendwas läuft in meinem Leben zurzeit mächtig schief! Aber egal was noch passieren mag, ich muss durchhalten, Diego zuliebe. „Ich bin übrigens Destiny, falls es dich interessieren sollte.“ Noch während sie mir das erzählt, öffnet sie den Reißverschluss ihrer Jacke, beachtet mich dabei jedoch nicht wirklich. „Alvida meint, ich soll dich ein bisschen testen. Ist eigentlich gar nicht mein Job, aber Jazz hatte gute Argumente. Man, dafür sind eigentlich die Neuen zuständig, aber was soll’s. Los, zeig mal was du hast.“ Sie lässt ihre Bomberjacke zu Boden fallen und enthüllt den Blick auf ein geschnürtes Top, das kaum etwas von ihrem Oberkörper bedeckt. Ich halte mich ja nicht für spießig, aber wenn Kuina so rumgelaufen wäre, hätten wir auf jeden Fall Stress miteinander gekriegt. Aber das wäre sicherlich nie vorgekommen, ganz im Gegenteil. Sie hasste Kleider und Röcke, liebte eben den praktischen Kleidungsstil. Was nicht heißen soll, dass sie nicht wusste, wie sie mich rumkriegen konnte, denn bloß weil sie sich nach außen hin bedeckt hielt, hieß das nicht, dass sie es zu Hause ebenfalls war. Warum nur musste sie so jung sterben? „Schläfst du?“ Ein wenig erschrocken blicke ich auf und sehe direkt in Destiny’s Gesicht. „Man, wo haben die dich denn aufgegabelt? Egal komm.“ Sie nimmt meine Hand und zieht mich Richtung Bett. Einen Moment lang kann ich sie nur stumm mustern, denn so wirklich realisiere ich noch gar nicht, was um mich herum geschieht. Doch als sie mir einen Schubs gibt und ich auf dem Bett lande, wird mir klar, dass ich etwas unternehmen muss und zwar schnell. „Bleib liegen!“ „Aber-“ „Glaub mir, ich hab auch keinen Bock, aber das hier ist nun mal alles andere als ein Höflichkeitsbesuch.“ Sie drückt mich zurück auf die Matratze und nimmt selbst auf meinen Oberschenkeln Platz. „Es geht ganz einfach. Du hältst still, während ich sehe, was du kannst, okay?“ Ich habe nicht den Eindruck, dass sie wirklich darauf wartet, ob ich nun damit einverstanden bin oder nicht, denn ihre Hand befindet sich bereits in meiner Hose und spüre sie darin rumwühlen. Unweigerlich zucke ich zusammen, als die mein Glied umfasst, aber sie scheint damit keine Probleme zu haben. „Immerhin braucht man keine Lupe“, murmelt sie und zerrt weiter an mir rum. Soll ich mich jetzt etwa erregt fühlen? Wenn ja, hab ich ein Problem. Ob sich Sanji in der gleichen Lage befindet? Aber selbst wenn, er sieht das bestimmt lockerer als ich. „Hör zu, Kleiner. Entweder du sagst jetzt deinem Freundchen, dass er aus seinem Tiefschlaf erwachen soll, oder da draußen werden ein paar Typen recht ungemütlich, kapiert?“ Sie ist genervt, das ist nicht zu übersehen. „Wieso tust du das?“, frage ich statt dessen zurück, was sie noch mehr zu nerven scheint. „Weil ich so unheimlich scharf darauf bin für abgewichste Typen die Beine breit zu machen.“ „Ja, das ist nicht zu übersehen.“ Überrascht sieht sie mich an, doch im nächsten Moment lächelt sie. „Du bist ein Idiot, weißt du das?“ „Wenigstens scheine ich nicht der einzige hier zu sein.“ Sie zieht ihre Hand zurück und blickt mir fest in die Augen. „Pass auf, Herzchen. Wenn es nach mir ginge, könntest du dich weiterhin um den Kleinen kümmern und ich würde mir mit der Kreditkarte meines Vaters eine kleine Kneipe kaufen. Leider habe ich seit Jahren keinen Kontakt mehr zu meinen Eltern und du sicherlich einen verdammt guten Grund, weshalb es für dich besser wäre zu tun, was man von dir verlangt.“ Sie hat recht. Im Prinzip spielt es überhaupt keine Rolle, ob ich nun gewillt bin mit ihr zu schlafen oder nicht, denn tun muss ich es dennoch. Und dafür war ich nun auf dem College? Habe gelernt für meinen Abschluss, nur um als männliche Hure zu enden? Ganz toll. Sollte ich irgendwann sterben, werde ich Gott für dieses beschissene Schicksal verklagen! „Na schön, aber tu mir bitte den Gefallen und lass nicht den Feldwebel raushängen, darauf stehe ich nicht besonders“, entgegne ich ihr. „Sorry, ich hab ganz vergessen, dass du keiner meiner normalen Kunden bist.“ Sie lächelt entschuldigend. Ich mustere sie ein wenig und streiche ihr die Haare aus dem Gesicht. Blond, allerdings gefärbt, wie mir scheint. „Was hast du da am Auge?“ „Nichts!“ Sie schlägt meine Hand weg, doch auch wenn sie sich selbstbewusst gibt, sie ist es nicht wirklich. „Jazz’ gute Argumente?“ „Was geht es dich an?!“ „Nichts, aber wenn wir schon widerwillig miteinander schlafen müssen, können wir auch über unfreiwillige Veilchen reden.“ „Das geht dich trotzdem nichts an. Also los, zieh dich aus.“ Kapitel 22: Erinnerungen: Warum? -------------------------------- 22. Sanji Erinnerungen: Warum? Warum? Das ist die zentrale Frage. Warum hilft Mihawk Zorro? Warum hat er ihn nicht schon damals einfach umgebracht, als er mit seinem Schwert auf ihn losging, ihm diese riesige Wunde zufügte, von der noch heute die lange Narbe auf seinem Oberkörper zeugt? Ich werde diesen Moment nie vergessen. Das Blut das unaufhörlich floss, die dunkle Lagerhalle, die Austragungsort dieses gefährlichen und zudem verbotenen Straßenkampfes war. Mir ist fast das Herz stehen geblieben, so schockiert war ich. Hinzu kam die Angst, die panische Angst wieder jemanden zu verlieren der mir nahesteht, denn nach meinen Eltern wollte ich nicht auch noch meinen besten Freund beerdigen lassen müssen. Wegen einer Dummheit! Straßenkämpfe sind illegal, zudem extrem gefährlich! Und alles für einen Titel, den eh bloß die Szene kennt. Bis heute kann ich es nur schwer nachvollziehen, wieso er sich auf dieses ungleiche Duell eingelassen hatte. Kuina und er standen kurz vor ihrer Hochzeit und er hatte nichts Besseres zu tun, als sich beweisen zu müssen. Aber da seine zukünftige Frau sogar noch stolz auf ihn zu sein schien, verkniff ich mir jeglichen Kommentar, obwohl dieser sture Esel sich dazu auch noch partout weigerte einen Arzt aufzusuchen. Stattdessen musste die arme Kaya herhalten, ihn notdürftig zu flicken, dabei stand sie damals erst am Anfang ihres Medizinstudiums. Selbst jetzt ist sie noch nicht ganz fertig, denn die Medizin ist ein großes Gebiet und nicht leicht zu erlernen. Aber heute gilt es einen ganz anderen Kampf zu bestreiten, auch wenn es fraglich ist, ob wir daraus als Gewinner hervorgehen können. Wie konnten wir überhaupt erst in diese Lage kommen? Von jungen Mädchen, die zur Prostitution gezwungen werden, hört man gelegentlich ja schon mal in den Nachrichten, aber von Männern? Wir sind längst keine sechzehn mehr, keine Teenies die von Zuhause abgehauen sind, weil ihnen nichts dümmeres eingefallen ist oder weil sie es dort wirklich nicht mehr aushielten, sondern gestandene Männer! Ich habe meine Lehre als Koch schon vor Jahren beendet und arbeite in einem der nobelsten Restaurants der Stadt, kann somit guten Gewissens behaupten etwas aus meinem Leben gemacht zu haben. Zorro war nicht weniger faul, hat seinen Collegeabschluss geschafft und wartet jetzt eigentlich nur noch auf die Antworten diverser Universitäten an denen er sich beworben hat, um endlich studieren zu dürfen. Zudem kümmert er sich liebevoll um seinen kleinen Sohn, der noch nicht mal ein Jahr alt ist, ganz zu schweigen davon, dass er vor wenigen Monaten erst Kuina verloren hat. Warum? Warum hat man ausgerechnet uns ausgewählt und warum habe ich den leisen Verdacht, dass uns gar nichts anderes übrigbleiben wird als zu tun, was man von uns verlangt. Gut, Zorro hat einen verdammt guten Grund, weshalb es besser für ihn wäre, wenn er tut was man von ihm verlangt. Er könnte es nicht ertragen, wenn er auf Diego’s Kosten seine Freiheit zurückgewinnen würde, das weiß ich. Auch ich könnte es nicht verantworten, wenn er den Kleinen wildfremden Menschen überlassen würde, die sich mit ihrem Geld ein Kind erkaufen wollen. Allein der Gedanke daran ist abschreckend! Ob Mann, Frau oder Kind, allein die Geldsumme entscheidet darüber ob frei oder käuflich. Apropos käuflich. Zorro muss heute zu seinem ersten Treffen, wobei er noch von Glück reden kann, dass sein Erzrivale sich dermaßen für ihn einsetzt. Ob dieser wohl ein schlechtes Gewissen ihm gegenüber hat? Jedenfalls ist dieser in das Zimmer gestürmt, in dem sich Zorro mit dieser Nutte befand und hat die beiden getrennt, bevor sie sich an die Wäsche sind. Schade eigentlich, ein kleines Abenteuer hätte dem Grünen sicherlich nicht geschadet, ihn vielleicht sogar ein bisschen von seiner Trauer um Kuina abgelenkt. Aber andererseits ist es wohl doch so am besten wie es jetzt ist, wenn man mal davon absieht, dass man uns nötigt als Callboys zu arbeiten. Unvorstellbar für mich, absurd wenn ich dabei an Zorro denke. Aber wie bereits erwähnt, diesem Mihawk scheint es nicht egal zu sein, was aus seinem Erzfeind wird, obwohl er sich dazu mit Alvida anlegen musste. Sie war wenig begeistert davon als sie erfuhr, dass ihr arrangiertes Schäferstündchen zwischen Destiny und meinem Freund ohne ihre Erlaubnis abgesagt wurde. Dennoch willigte sie ein, dass Zorro sich bei einem Treffen als Third beweisen dürfe; anscheinend glaubt sie nicht an seinen Erfolg. Doch ich bete regelrecht dafür, dass er diese Aufgabe mit Bravour meistert, würde es die ganze Angelegenheit für ihn doch um einiges erleichtern. Als Third zu arbeiten ist schließlich um einiges angenehmer als sich als Second durchzuschlagen. Man muß sich zwar ebenfalls stets freundlich und überaus zuvorkommend verhalten, allerdings bleibt es einem als Third erspart mit seinen Kundinnen schlafen zu müssen. Warum kann ich nicht auch so viel Glück haben, um mich als Third beweisen zu dürfen? Schließlich bin ich ein Meister darin hübschen Frauen mit Komplimenten zu schmeicheln. Gut, ich bin auch ganz gerne mal auf ein prickelndes Abenteuer aus, aber ich erwarte als Gegenleistung eigentlich nicht von den Damen, dass sie mir als kleines Dankeschön Geld unter das Kopfkissen legen. Und von einer jungen hübschen Frau kann bei Zorro’s Verabredung ebenfalls nicht die Rede sein, eher von einer betuchten Rentnerin, die einen netten Zeitvertreib sucht. Angeblich soll sie schon bei diversen anderen Agenturen nach hübschen Männern Ausschau gehalten haben, aber keiner hätte ihr so richtig zugesagt. Dabei klingt es doch auf den ersten Blick nicht sonderlich schwierig für sie ein paar Runden in ihrem Pool zu schwimmen. Allerdings gibt es in Amerika, und das obwohl es sicherlich das Land ist in dem die meisten Familien ihren eigenen Swimmingpool besitzen, viele Menschen die nicht schwimmen können! Selbst beim Militär gehört es nicht zur Grundausbildung, dabei ist es doch nicht allzu schwierig zu lernen sich halbwegs über Wasser halten zu können. Aber besagte Dame wird sicherlich mehr sehen wollen als nur das alberne Planschen eines Nichtschwimmers. Zorro war mal Mitglied im Schulschwimmteam, auch wenn er nie an einem Wettbewerb teilnehmen konnte, weil sein Hauptaugenmerk eben dem Kendo galt und das schon genug seiner Zeit beanspruchte. Aber vielleicht lässt ihn gerade dieser Umstand zu einem idealen Kandidaten für dieses Treffen werden. Ich wünsche es mir für ihn. Für ihn und für Diego. Den letzten Zug meiner Zigarette atme ich tief ein, halte einen kleinen Moment die Luft an, ehe ich den blaugrauen Rauch wieder aus meinen Lungen blase. Kaum an der frischen Luft und schon rauche ich wieder. Ich werde bestimmt nie davon loskommen. Aber wie heißt es so schön: Ein Laster braucht der Mensch. Aber was nützt mir mein Laster, wenn ich doch bloß ein Gefangener bin? Zwar bräuchte ich mich nur mit Diego auf dem Arm zur Hintertür rausschleichen und zu Jeff ins Restaurant flüchten, aber von Erfolg wäre dieser Fluchtplan nicht gekrönt. Man hat jedem von uns einen Peilsender in den Fuß implantiert, so dass Alvida uns jederzeit an jedem Ort aufspüren lassen kann. Wie Gefangene ohne Fesseln. Doch ans Aufgeben ist nicht zu denken! Eines Tages werden wir wieder frei sein, selbst wenn es ewig dauern sollte bis wir genug Geld erarbeitet haben, um uns freikaufen zu können. Das wichtigste ist, dass wir nicht aufgeben werden. Egal wie lange es dauert, egal was uns noch alles erwarten mag, wir halten das durch. Und bis dahin wird es weder einen Zorro noch einen Sanji geben, nur Ryo und Sammy. Nimm dich in Acht, Alvida! Kapitel 23: Etwas Neues zum Dessert ----------------------------------- 23. Robin Etwas Neues zum Dessert Ich hasse ihn. Ich hasse ihn zutiefst! Wieso habe ich den Kerl eigentlich geheiratet? Wütend werfe ich mein schnurloses Telefon auf das Sofa und lasse mich in einem Moment der absoluten Wut dazu hinreißen besagtem Gerät den Mittelfinger zu zeigen. Als ob es etwas für meinen Zorn könnte, mal abgesehen davon, dass es eigentlich nicht meine Art ist mich derart gehen zu lassen, egal ob ich nun alleine bin oder nicht. Hätte Dad ihn mir damals doch bloß nicht vorgestellt und wäre ich doch bloß nicht zu blind gewesen zu merken, dass es Zero nie wirklich um mich, sondern lediglich um mein Vermögen ging. Aber jemand musste schließlich seine Schulden bezahlen. Vermutlich waren die auch nur ein Resultat seines exorbitanten Frauenverschleißes, Treue ist schließlich ein Fremdwort für ihn. Aber im Gegensatz zu heute war er am Anfang unserer Ehe wenigstens relativ schlank, nicht so ein unförmiges Ungetüm wie jetzt. Ich bezweifle, dass er ohne Spiegel überhaupt noch seine Füße sehen kann, von anderen Körperteilen ganz zu schweigen. Einfach nur widerlich! Aber was interessiert es mich? Soll er doch so viel essen bis er platzt, dann hätte die Welt ein Problem weniger. Aber einen Fettfleck mehr! Doch das hilft mir im Augenblick leider auch nicht weiter, denn selbst wenn er eines schönen Tages platzen sollte, um den heutigen Abend komme ich nicht drum herum, andernfalls will er mich auf Unterhalt verklagen. Mich! Der ist doch nicht mehr ganz dicht! Zero hat in seinem ganzen Leben noch keinen ehrlichen Cent verdient, er war alles andere als ein guter Ehemann und nun fordert er mich auf für ihn zu sorgen? No way! Um acht Uhr soll ich im Baratie sein, damit er und ich über die Details reden können und mein Scheckbuch solle ich ebenfalls mitbringen, so seine Worte. Ausgerechnet das Baratie! Das ist mein Lieblingsrestaurant und das weiß Zero nur zu genau! Denkt er etwa ich bin schneller klein zu kriegen, bloß weil er mir ein Essen bezahlt? Der wird sich wundern! Und er braucht auch nicht zu glauben, dass er mich mit seinem Superblondchen ärgern kann, das er mitbringen will. Die rauche ich doch in der Pfeife! Ich nehme wieder den Telefonhörer an mich, atme kurz tief durch, ehe ich eine mir nur allzu bekannte Telefonnummer eintippe. Einmal ein Freizeichen, dann: „Ja bitte, sie wünschen?“ „Heute Abend die 311“, antworte ich und blicke dabei ein bisschen nervös durch die Terrassentür nach draußen in den Garten. Aus einem mir unerfindlichen Grund ist es mir noch immer peinlich in dieser Agentur anzurufen, obwohl ich das inzwischen schon mehr als einmal in meinem Leben getan habe. „Tut mir leid, schon reserviert.“ Mist. Aber halt! „Auch für 3718?“ „Einen kleinen Moment bitte.“ Das Gespräch wird unterbrochen. Und nun? Ein wenig flehend sehe ich auf die silberne Clubkarte die ich gestern per Post bekommen habe. Dass es je so weit kommen würde…. Endlich klingelt das Telefon und doch etwas ungeduldig nehme ich das Gespräch an: „Ja?“ „311 steht ihnen heute Abend zur Verfügung, Miss Nico.“ „Sehr gut! Sagen sie ihm bitte, er wird um halb acht vor dem Kennedy-Denkmal abgeholt.“ „Haben sie außerdem noch einen Wunsch?“ „Was für einen Wunsch sollte ich denn noch haben?“ „Je nachdem wohin sie gedenken heute Abend zu gehen, haben sie vielleicht eine besondere Vorstellung davon, wie Ryo gekleidet sein soll.“ „Ach so. Wir gehen essen in ein Restaurant der gehobeneren Klasse, allerdings sollte er deshalb nicht zu konservativ gekleidet sein.“ „Ich werde ihren Wunsch weiterleiten. Einen schönen Abend noch.“ „Ja, danke.“ Ich beende das Gespräch per Knopfdruck und lege den Hörer auf den Couchtisch, direkt neben die silberne Karte. Jetzt bin ich also schon offiziell Ryo’s Stammkundin und habe damit sogar vor anderen Kundinnen ein Vorrecht auf ihn. Ein wenig überrascht über mich selbst bin ich schon, schließlich habe ich mich beim ersten Treffen mit ihm mit Händen und Füßen gegen Nami’s verrückte Idee gewehrt und nun freue ich mich über jede sich bietende Gelegenheit ihn sehen zu können. Wahrlich verrückt. Gut gelaunt verlasse ich mein Wohnzimmer, um durch den Flur über die Treppe ins obere Stockwerk zu gelangen. Das Haus ist wirklich riesig, das Dad für mich hier in Santa Monica hat bauen lassen. Wäre Conchita nicht mit mir hierhergezogen, so würde ich mir sicherlich verlassen vorkommen, zumal die wenigsten Räume eingerichtet sind. Aber es ist auch spannend in ein neues Zuhause zu ziehen, denn alles ist noch so neu und ungewohnt. Selbst wenn ich aus dem Fenster blicke sehe ich nicht mehr die Skyline der Stadt, sondern auf der Ostseite die prachtvollen Villen mit den gepflegten Gärten und auf der Westseite das Meer. Manchmal glaube ich, ich schätze zu wenig mein Glück das ich habe, schließlich ist es nur wenigen Menschen gegönnt so zu leben wie ich im Moment. In meinem Schlafzimmer angekommen ziehe ich zuerst meine Hausschuhe aus, ehe ich einen kritischen Blick in meinen Kleiderschrank werfe. Und wieder lautet die wenig beliebte Frage: Was könnte ich bloß anziehen? Meinen Nadelstreifenanzug, das wäre ganz gut. Ich entledige mich meiner gemütlichen Hauskleidung, bis ich nur noch in Unterwäsche dastehe und schlüpfe in die Hose meines Anzuges. Will ich mich wirklich so mit Ryo treffen? Ich meine, immerhin habe ich mich schon die ganze Woche auf ein Wiedersehen gefreut und nun will ich meinen Anzug anziehen, den ich normalerweise eher in der Uni trage, wenn ich eine meiner Vorlesungen halte? Keine allzu gute Wahl. Ich ziehe die Hose wieder aus, lasse den Blick über die Kleiderbügel schweifen, die mir alle mehr oder weniger das gleiche zeigen. Wie kann man als Frau nur so wenige Kleider besitzen, die zum Ausgehen geeignet sind? Wohl ein ziemlich eindeutiges Anzeichen dafür, dass ich mit meiner Arbeit verheiratet bin, oder? Ich schlüpfe schnell in eine Jeans, ein unifarbenes Top dazu und eile nach unten, wobei ich eher aus einem Reflex heraus meine Handtasche an mich nehme, bevor ich über den Seitenausgang in die Garage eile und in meinen BMW steige. Dad war so überrascht gewesen, als ich ihn mit seinem X5 vom Krankenhaus abgeholt habe, dass er nicht einmal dazu gekommen ist über meinen Fahrstil zu lästern. Sogar im Gegenteil, er hat mich gelobt! Jedenfalls darf ich sein Auto behalten, er hat eh noch zwei andere und die wollen auch mal gefahren werden. Geübt schalte ich einen Gang runter, denn die näherkommende Ampel zeigt rot. Der Wagen wird langsamer, ich bremse und komme an der Haltelinie zum Stehen. Mein Blick schweift umher, bis er an dem leuchtenden Rot der Ampel haften bleibt. Wohin will ich jetzt eigentlich fahren? Klar, zum Einkaufen. Aber ob das so eine gute Idee ist? Immerhin ist es doch sonst auch nicht meine Art Hals über Kopf aus dem Haus zu rennen, nur um sich schnell noch etwas zum Anziehen zu kaufen, besonders dann nicht, wenn ich dafür eigentlich gar keine Zeit mehr habe. Doch die Ampel schaltet um auf grün, so dass mir im Endeffekt nichts anderes übrig bleibt als weiterzufahren. Ich muss wohl verrückt geworden sein. Aber andererseits kann ich mich ja wohl schlecht mit Ryo treffen und dabei wie eine alte Oma aussehen. Okay, das ist übertrieben, aber dennoch verspüre ich innerlich den Wunsch mich heute ein wenig für ihn chic zu machen. Oh Gott, am besten gar nicht drüber nachdenken! Zielsicher biege ich in die kleine Tiefgarage meines Lieblingsmodegeschäfts ein, fahre über die schmale Rampe ein Stockwerk tiefer, wo mich auch gleich jede Menge freie Parkplätze anlächeln. Praktisch, dass man mit dem Auto in die Garage fahren kann und mit dem Fahrstuhl direkt ins Innere des Geschäfts. So verliert man nicht einmal bei schlechtem Wetter die Lust aufs Einkaufen. In der Damenabteilung angekommen, schaue ich mich geübt um, erkenne sofort die neue Dekoration für die diesjährige Sommermode, wobei ein schwarzes Abendkleid meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Aber ob das passend wäre? Ich will schließlich nicht overdressed im Baratie aufkreuzen, Ryo hält mich sonst für übergeschnappt. „Miss Nico, schön sie zu sehen.“ Überrascht lasse ich mir von dem Eigentümer die Hand schütteln und frage mich dabei, woher der Kerl weiß, dass ich wieder meinen Mädchennamen angenommen habe. „Was führt sie zu uns?“ „Ich bin zum Dinner ins Baratie eingeladen worden und suche dafür noch die passende Abendgarderobe. Ob sie mir dabei wohl behilflich sein könnten?“ Ich war in meinem ganzen Leben noch nie dafür bekannt gewesen spontan zu sein, umso überraschter war ich von mir selbst, als ich mir vorhin doch dieses teure Abendkleid gekauft habe. Einfach so! Ein kleines schwarzes, wie es so schön heißt. Trotzdem oder gerade deswegen komme ich mir nun doch ein wenig albern vor, denn im Grunde ist es nicht üblich sich einfach ins Auto zu setzen, um sich noch schnell ein passendes Outfit für den Abend zu besorgen, das man anschließend auch gleich in besagtem Laden anbehält, da man nicht einmal mehr die Zeit dazu hat noch schnell nach Hause zu fahren und sich vernünftig umzuziehen. Zudem ist mir mitten in meinem Kaufrausch eingefallen, dass ich gar nicht die passenden Schuhe dabei habe. Aber was wäre das Catwalk für eine Boutique und Mr. Hawkins für ein Modezar, wenn ich dort nicht die passenden Riemchensandalen gefunden hätte. Manolo Blahnik, kann ich nur sagen! Doch neues Outfit hin oder her, es bewahrt mich nicht davor, dass ich ungemein nervös bin. Zum einen natürlich deshalb, weil ich die Auseinandersetzung mit Zero fürchte, kann er doch sehr gemein werden und zum anderen, weil ich Ryo nicht vor den Kopf stoßen möchte. Was er wohl denken wird, wenn er meinen Ex-Mann sieht? Immerhin könnte er dadurch auch den Eindruck bekommen, dass ich ebenfalls eine herrschsüchtige Person bin. Doch nun hilft mir alles Zögern nichts, denn das Kennedy-Denkmal liegt bereits in Sichtweite und meine Begleitung für den heutigen Abend ebenfalls. Ich könnte natürlich auch einfach an Ryo vorbeifahren, so dass er nie erfahren würde, was für einen schrecklichen Menschen ich einst geheiratet habe, aber andererseits soll Zero endlich keine Macht mehr über mich haben und mir erst recht nicht länger einen schönen Abend verderben können. Ryo steht heute für mich im Mittelpunkt, Zero dagegen nie mehr! Ich bremse den Wagen ab und komme in einer kleinen Haltebucht zum Stehen. Ryo scheint mein Auto inzwischen zu kennen, aber schließlich war es auch er gewesen, der mir den Umgang mit dem Offroader beigebracht hat. Er öffnet die Wagentür und allein sein Lächeln genügt mir, um mich besser zu fühlen. „Hallo Robin.“ „Hey.“ Er steigt zu mir ins Auto, erfüllt den kleinen engen Raum mit seinem berauschenden Aftershave. Ein Umstand, der diesen Sommerabend noch heißer werden lässt und der mich stark an mein letztes Jahr auf der Highschool erinnert, als ich unglaublich in den Cousin meiner damals besten Freundin verliebt gewesen war. Sinnlose Schwärmerei, aber wenn ich jetzt so darüber nachdenke, ist es im Augenblick doch genau das gleiche. Ryo ist unerreichbar für mich, im Prinzip sogar für jede Frau, aber gerade dieser Umstand lässt die ganze Angelegenheit unheimlich prickelnd erscheinen. Aber begehrt man nicht immer am meisten das, was man nie erreichen kann? Ein wenig dumm komme ich mir vor, weil ich vor knapp einer Stunde noch eifrig damit beschäftigt war mich für Ryo herauszuputzen und nun denke es wäre besser gewesen, wenn ich die graue Maus geblieben wäre. Meine Laune erlebt einen weiteren Dämpfer, als ich den X5 auf den kleinen Privatparkplatz hinter dem Baratie lenke und dort bereits Zero’s Auto stehen sehe, das wohlbemerkt ich ihm vor drei Jahren zum Geburtstag geschenkt habe. Möge Gott ihn verfluchen! Kaum habe ich den Wagen geparkt und den Motor abgestellt, will ich aussteigen, doch Ryo hält mich sanft, aber dennoch bestimmend am Arm zurück. „Ich weiß zwar nicht genau was du vor hast, aber lass mich dir sagen, dass man für den Augenblick des Gegenangriffs stets den richtigen Moment abwarten sollte, schließlich willst du doch als Sieger den Platz verlassen, oder?“ Perplex halte ich inne, blicke in diese tiefschwarzen Augen und weiß, dass egal was heute Abend passieren wird, ich nicht allein dastehen werde, nicht wie damals, als Zero mich verlassen hat. „Du hast ja recht. Ich bin einfach viel zu aufgedreht.“ „Keine Sorge, ich lass dich nicht im Stich.“ Aufmunternd lächelt er mir zu, ehe er aussteigt und mir die Wagentür aufhält. „Danke.“ Als wäre es das natürlichste auf der Welt hake ich mich bei Ryo ein und betrete an seiner Seite das Nobelrestaurant. Ich bin viel zu selten hier, aber allein ist es eben nur halb so schön. „Guten Abend, die Herrschaften.“ „Guten Abend. Wir sind auf Einladung von Mr. Sandman hier.“ Meinem schrecklichen Ex-Mann, hätte ich beinahe hinzugefügt, aber das hätte dem netten Herrn sicherlich die Sprache verschlagen. „Wenn sie mir bitte folgen würden.“ „Gern.“ Der blonde junge Mann führt uns zu einem stilvoll gedeckten Tisch, an dem zwei weniger stilvoll aussehende Personen bereits Platz genommen haben. Ryo, ganz Gentleman, bietet mir zuerst einen Stuhl an, ehe er sich neben mich setzt. „Heute dein Spielzeug dabei?“ Zero grinst mich breit an, doch ich antworte nur: „So ein Zufall, das gleiche wollte ich dich gerade fragen.“ Ohne einen Blick in das Gesicht meines Gegenübers zu werfen, weiß ich doch auch so, dass er verärgert ist, bestelle ich mir ein Glas Mineralwasser und studiere eingehend die Speisekarte. Ob ich mir heute etwas Besonderes gönnen sollte? Warum eigentlich nicht, schließlich wird Zero bezahlen. „Bist du sicher, dass du noch in der Lage sein wirst auch nur einen Bissen zu essen, wenn ich mit dir fertig bin? Obwohl, vielleicht ist es deine letzte vernünftige Mahlzeit, bevor ich dich auseinandernehme.“ Zero lacht gehässig, doch das schlimmste ist sein Blick, mit dem er mich bedacht. Er nimmt mich nicht ernst, belächelt mein ganzes Auftreten, weil er sich mir gegenüber überlegen fühlt. Für ihn sind Frauen keine ernstzunehmenden Gegner, nur Gespielinnen. Wütend balle ich meine linke Hand unter dem Tisch zur Faust, bringt mich diese Art der Missachtung doch auf die Palme, was mein Ex-Mann leider nur zu gut weiß. Aber keinen Moment zu spät legt sich Ryo’s warme Hand auf meine und er raunt mir leise, aber für unsere Tischnachbarn dennoch hörbar zu: „Wenn das so ist, solltest du dir schon mal überlegen mit welchem Nachtisch du nachher gedenkst deinen Sieg zu feiern, Robin.“ Ich muss gestehen, es ist ein unglaublich befreiendes Gefühl, wenn man jemanden neben sich weiß, der auf derselben Seite kämpft wie man selbst oder zumindest wie in Ryo’s Fall so tut als ob. Aber daran möchte ich jetzt nicht denken. Nicht daran, dass ich vorhin in der Agentur um ein Date mit ihm gebeten habe, nicht daran, dass ich vor einer anderen Kundin das Vorrecht auf ihn bekommen habe und schon gar nicht, dass er später wieder aus meinem Leben treten wird, bis ich wieder diese Telefonnummer wähle, die ich inzwischen schon auswendig kann. „Du hältst dich wohl für besonders schlau, dabei bist du nichts weiter als eine männliche Hure! Halt also die Klappe, du darfst dich später mit der Alten befassen!“ Gott, ist mir das peinlich! Nicht nur deshalb, weil Zero viel zu laut spricht, sondern weil er Ryo auf eine Art und Weise angreift, die absolut unterstes Niveau ist. Das hat er nicht verdient! Doch entgegen meinen Erwartungen scheint sich mein Begleiter nicht sonderlich getroffen zu fühlen, denn er lacht keck in die Runde und meint: „Grobe Fehleinschätzungen haben einen voreiligen Mann schon oft den Sieg gekostet. Aber eine intelligente Frau braucht eh nicht darauf zu warten, dass ihr Gegner einen Fehler begeht, sie kennt auch so seine Schwachstelle und allein das wird ihn letztendlich zu Fall bringen.“ „Halt endlich deinen Rand, fürs Labern wirst du bestimmt nicht bezahlt!“ Sichtlich gereizt blick Zero nun wieder zu mir, schlägt mit der offenen Hand auf den liebevoll gedeckten Tisch, um somit wohl die Dringlichkeit seiner Worte besser untermauern zu können. „Das nächste Mal pfeifst du dein Schoßhündchen bitte selbst zurück, kapiert? Ich hab besseres zu tun, als mich mit diesem Pöbel abzugeben. Und nun zur eigentlichen Sache. Ich will zwei Millionen von dir und zwar ein bisschen plötzlich. Dein Alter hat genug Kohle auf dem Konto, mehr als er überhaupt zählen kann. Ein paar Milliönchen mehr oder weniger fallen da gar nicht ins Gewicht. Seine Münzsammlung würde mir übrigens ebenfalls gut gefallen, wenn du verstehst, was ich meine.“ Wieder dieses Lachen, doch ich höre es schon gar nicht mehr richtig. Worauf bildet sich dieser Kerl eigentlich etwas ein? Er hat weder das Recht dazu Ryo zu beleidigen noch meinem Vater Geld aus der Tasche ziehen zu wollen. Aber wie kann ich mich gegen ihn wehren? Es kann doch nicht sein, dass ich mich für den Rest meines Lebens von diesem Schmarotzer ausnehmen lassen muss, bloß weil er im Lauf der Jahre gelernt hat mich einzuschüchtern. Ich will das nicht länger! Unschlüssig taste ich nach meiner Handtasche, wühle blind darin herum, fühle mein Portemonnaie, mein kleines Necessaire, mein Scheckbuch und schließlich das, wonach ich gesucht habe; mein Handy. Ich ziehe das silberblaue Model hervor, drücke geübt ein paar Tasten und warte darauf, dass sich etwas am anderen Ende der Leitung tut. Endlich wird das Gespräch angenommen, wenn es auch nur eine Bandansage ist, aber um diese Uhrzeit ist das wenig verwunderlich. Schrill ertönt ein Piepsen an meinem Ohr, das Signal dafür, dass ich meine Nachricht hinterlassen kann: „Nico Robin hier. Dr. Marcs soll sich bitte die Unterlagen ansehen, die ich ihm habe zukommen lassen. Danke.“ Doch bevor ich auflegen kann, trifft mich ein harter Schlag ins Gesicht, dessen Wucht sich tief in meine Haut brennt. Mein Handy habe ich vor Schreck fallenlassen, bin ganz auf den Schmerz fixiert, der hoffentlich zum letzten Mal meinen Körper durchzogen hat. Ryo hatte recht; ich weiß, wie ich Zero zu Fall bringen kann und genau das werde ich auch tun, oder besser gesagt mein Anwalt, dem ich eben diese Nachricht auf den Anrufbeantworter gesprochen habe. Ein paar der Angestellten des Baratie scharen sich um unseren Tisch, führen Zero vor die Tür, verweisen ihn des Feldes, ebenso seine Begleiterin, die sich bis jetzt noch nicht einmal getraut hat den Mund zu öffnen, aber mein Ex-Mann wird sie bestimmt andernfalls auf seine ganz eigene Art zurechtweisen. Wo ist mein Handy? Stumm blicke ich mich um, halte Ausschau nach dem kleinen Gerät, bis es mir jemand vor die Nase hält. Es ist der blonde Mann, der uns an diesen Tisch geführt hat. „Haben sie das hier gesucht?“ „Ja, danke.“ Ich nehme mein Mobiltelefon wieder an mich, aber nicht ohne noch einen prüfenden Blick darauf zu werfen, ob es womöglich Schaden genommen hat. Aber es sieht nicht danach aus. Und was nun? Eigentlich ist der Abend gründlich im Eimer und das, obwohl ich mich im Baratie befinde, dem für mich besten Restaurant der ganzen Stadt. Vielleicht sollte ich nach Hause fahren, in meine gemütliche Jogginghose schlüpfen und einfach darauf hoffen, dass der morgige Tag besser wird als der heutige. Aber andererseits habe ich mich vorhin echt überwinden müssen, um dieses Kleid zu kaufen, allein dafür habe ich mir doch schon eine Belohnung verdient. Ja, ganz recht, eine Belohnung. „Meinst du, ein kleines Früchtesorbet wäre ein passendes Dessert zur Siegesfeier?“, frage ich deshalb meinen Begleiter, der mir auffordernd seine Hand entgegenhält und die ich dankend annehme. Ryo grinst mich schief an, wirkt sogar ein bisschen erleichtert. „Das wäre natürlich eine Möglichkeit, aber um deinen Sieg gebührend zu feiern, solltest du das Tiramisu probieren, das schmeckt hier Weltklasse.“ Ich lächle zurück und nicke. Ja, heute habe ich mir etwas Besonderes verdient. „Darf ich ihnen einen neuen Tisch anbieten?“ Nur äußerst ungern wende ich meinen Blick von Ryo ab, seinem süßen Lächeln, aber die Realität fordert meine Aufmerksamkeit in Form von umgeworfenen Gläsern und einer von Mineralwasser durchnässten Tischdecke. Zero ist wirklich ein Rüpel. „Ja, das wäre sehr nett“, antworte ich dem jungen Mann, auf dessen schicker Weste der Name Vinsmoke eingestickt ist. Ich kenne ihn ein wenig, er ist eigentlich der Oberkoch hier, aber er verbringt auch ganz gerne mal etwas Zeit im Saal bei den Gästen. Außerdem ist er ein ausgezeichneter Weinkenner. Ryo und ich folgen ihm zu einem etwas kleineren Tisch, beginnen einfach von vorne, als wäre das Geschehene eben nicht passiert. Gut gelaunt nehme ich die Speisekarte entgegen, blättere darin herum, bis ich bei den Desserts angelangt bin. Tiramisu zum Dessert? Vielleicht sollte ich wirklich den Schritt wagen und mein Leben neu beginnen. Kapitel 24: Kleiner Besuch -------------------------- 24. Robin Kleiner Besuch Heiße Himbeeren. Rot und fruchtig, süß und sanft, kombiniert mit kühlem Vanilleeis, das das Feuer der kleinen Früchte zu lindern weiß. Rot wie die Liebe, heiß wie die Sehnsucht…ich bin verrückt. Verrückt genug, um noch immer in dieser Erinnerung zu baden, als ich mit Ryo bis spät in die Nacht im Baratie saß und verschiedene Desserts ausprobierte. Keine französische Weinschaumsuppe zur Vorspeise, kein Chateaubriand als Hauptspeise, nur Desserts! Gemütlich saßen Ryo und ich an diesem kleinen runden Tisch, naschten von der Süße des Lebens, die mich meine Auseinandersetzung mit Zero geradezu vergessen ließ. Zumindest solange, bis ich am nächsten Morgen meinen Anwalt auf diesen Mistkerl hetzte. Er hat mich gedemütigt, mich in aller Öffentlichkeit geschlagen, aber das muss jetzt endgültig ein Ende haben. Niemand hat das Recht dazu mich derart minderwertig zu behandeln und ein Versager wie mein Ex-Mann schon gar nicht! Doch Ryo ließ mich meine Wut vergessen, verwandelte die Katastrophe in einen wunderschönen Abend, den ich mit allen Sinnen genossen habe. Meine Zunge kostete die süßen Leckereien, meine Ohren lauschten Ryo’s markanter Stimme, meine Augen blickten tief in seine, meine Nase badete im Duft seines Aftershave und meine Haut prickelte unter der Berührung seiner Hand an meinem Arm, als er mich am Ende aus dem Lokal führte. Es gibt Dinge, über die sollte man nicht nachdenken. Leicht gesagt, wenn man sich für den heutigen Abend wieder mit ihm verabredet hat, weil die Wiedersehensfreude einfach zu groß ist. Vielleicht ist es sogar ein bisschen mehr als das. Einen kleinen Moment zögere ich noch, ehe ich mein Handy aus meiner Handtasche hole und im Menü die Bildergalerie anwähle. In meiner Euphorie ließ ich mich gestern dazu hinreißen die Dessertvariationen zu fotografieren, aber auch ein Bild von mir und Ryo zu schießen. Stumm mustere ich das kleine Bild, das gedämpfte Licht im Hintergrund und frage mich dabei unweigerlich, wann ich das letzte Mal so fröhlich war? Ich meine wirklich fröhlich, von innen heraus, dass man es auch in meinen Augen sehen kann. Was hast du bloß mit mir angestellt, Ryo? Nachdenklich lasse ich den Blick schweifen, sehe dabei aus meinem Bürofenster in der Galerie, während ich das kleine Mobiltelefon vor mich auf die Schreibtischplatte lege. Heute ist wirklich ein schöner Tag, nicht zu heiß, aber trotzdem sommerlich. Kindergeschrei ist zu hören, fahrende Autos, ein bellender Hund…. Vielleicht bin ich nur albern. „Wo ist denn der Chef?“, höre ich eine kindliche Stimme im Vorraum fragen, so dass ich mich fast schon automatisch von meinem Schreibtischstuhl erhebe und in den Ausstellungsraum meiner Galerie gehe. Wer das um diese Uhrzeit wohl sein könnte? Normalerweise suchen mich Nachwuchskünstler auf, ein paar meiner Studenten oder Sammler auf der Suche nach Objekten, selten mal ein alter Freund meines Vaters, dem diese Galerie einst gehörte. Eigentlich habe ich heute gar keine Lust zu arbeiten, auch nicht Zuhause meinen Vortrag für meine Studenten an der U.C.L.A. vorzubereiten. Der Tag ist zu schön, um ihn auf diese Art und Weise zu verbringen, aber wer kümmert sich dann um die Bilder, schließlich kann ich meine Angestellte Mrs. McAuley nicht mit der ganzen Arbeit allein lassen, denn heute ist sie damit beschäftigt die Schaufenster neu zu dekorieren, hat somit wenig Zeit sich um die Besucher der kleinen Galerie zu kümmern. Kaum, dass ich den weitläufigen Verkaufsraum betrete, fällt mein Blick auf einen kleinen Jungen, gerade aus den Windeln, aber schon nach dem Chef verlangen. „Was kann ich für dich tun, kleiner Mann?“ Überrascht wendet er sich von Mrs. McAuley ab, wirkt auch ein bisschen verschüchtert, aber das registriere ich eher beiläufig. Grünes Haar lenkt meine Aufmerksamkeit auf sich, ebenso die nachtschwarzen Augen und sein dunkler Teint. Selbst die verlegene Art zu grinsen erinnert mich stark an einen Ryo im Miniaturformat. ‚Was für einen Grund könnte es schon für jemanden wie mich geben, sich zu diesem Job zwingen zu lassen?’ Ob das etwa…? „Ich wollte fragen, wo das Bild ist?“ „Welches Bild?“ Ich bin überhaupt nicht in der Lage einen klaren Gedanken zu fassen. Kann es wirklich sein, dass dieser Junge Ryo’s Sohn ist? Obwohl, da wäre er aber jung Vater geworden, außerdem kann diese Ähnlichkeit purer Zufall sein. „Das Bild mit dem Piratenschiff! Der Himmel ist ganz rot und das Meer auch!“ Sichtlich aufgeregt fuchtelt der Kleine mit den Armen, dass ich amüsiert lächeln muss. „Das ist in meinem Büro, weil ein Kunde es vielleicht kaufen möchte.“ Ist der Kleine niedlich! „Aber…“ Muss er mich denn jetzt so traurig ansehen? Das ist ja steinerweichend! „Warte mal kurz, ja? Bin gleich wieder bei dir.“ Hatte ich nicht mal ein Foto von dem Gemälde anfertigen lassen? Es ist zwar schon ein Weilchen her, aber es müsste dennoch irgendwo in meinem Büro liegen. Doch genau das ist auch das Problem, wo? Schnell durchsuche ich meine Schreibtischschubladen, krame in den Ablagefächern, ehe ich das Bild in einem Briefumschlag finde. Ich eile zu meinem kleinen Gast zurück, denn ich weiß ja nicht wieviel Geduld so ein Dreikäsehoch besitzt. Eher unbewusst sehe ich auf meinem Weg zu ihm aus dem großen Schaufenster auf die Straße, wo sich ganz viele kleine Kinder versammelt haben. Die gehen bestimmt alle in den Kindergarten ganz in der Nähe und waren im Park drei Blocks weiter. Die meisten von ihnen halten ein Eis in der Hand und amüsieren sich. Oh ja, Heidelbeere und Pistazie würden mir jetzt auch schmecken! Ich gehe vor dem Kleinen in die Hocke und zeige ihm das Foto. „Hast du das hier gemeint?“ „Ja!“ Er nickt freudig. „Weißt du was? Ich schenke dir das Bild, dann hast du dein eigenes Piratenschiff.“ „Danke…“ Verlegen reibt er sich mit einer Hand am Hinterkopf, dass ich nur perplex ein weiteres mal über seine Ähnlichkeit mit Ryo staunen kann. Aber in der nächsten Sekunde ist er wieder quirlig, öffnet sein dunkelblaues Kindergartentäschchen und holt ein gefaltetes Blatt Papier heraus. „Dann hast du auch dein eigenes Schiff!“ Auffordernd hält er mir den Zettel entgegen, den ich etwas zögernd annehme und auseinanderfalte: Das Piratenschiff! Zwar handelt es sich hierbei um eine simple Kinderzeichnung, aber erstens wurden dafür keine billigen Farben aus dem Supermarkt verwendet und zweitens bin ich über die treffende Farbwahl des kleinen Künstlers erstaunt. Er hat auch auf Details geachtet, die ich einem Kind seines Alters nie zugetraut hätte, wie zum Beispiel die richtige Anzahl an Personen an Bord oder den Totenkopf auf dem Hauptsegel. „Da steckst du ja, du kleine Wanze! Musst du immer Ärger machen?!“ Grob wird der Kleine von einer Frau am Arm gepackt und unwirsch zum Ausgang gezerrt. „Seien sie doch nicht so streng mit ihm, er wollte nur-“ „Pah! Eine Frau ihres Standes sollte sich nicht mit solchem Abschaum abgeben. Er ist genauso missraten wie sein Vater!“ „Papa ist-“ „Ein Ehebrecher!“ Kapitel 25: Ein Stück von dir ----------------------------- 25. Robin Ein Stück von dir Schon den ganzen Tag über muss ich an diesen Vorfall von heute Morgen denken, als dieser Junge zu mir in die Galerie kam und nach dem Gemälde fragte. Ob der Kleine wirklich Ryo’s Sohn ist? Aber wenn nicht, ließe sich die Ähnlichkeit nur schwer erklären. Und dann, dass diese Kindergärtnerin seinen Vater als Ehebrecher betituliert hat, was bei einem Callboy ja möglich wäre. Ich habe der Gruppe aus Kindern noch nachgesehen, als sie mit ihren Betreuerinnen weiterliefen, bis sie hinter der nächsten Straßenecke verschwunden sind. Die meisten lachten und waren fröhlich, nur der Kleine aber wurde gemieden, sogar von den anderen Kindern, bis auf ein dunkelhäutiges Mädchen. Beide aßen auch kein Eis. Diego. Dieser Name stand in der rechten unteren Ecke des Bildes in krakeliger Kinderschrift geschrieben. Diego und Ryo, könnte das sein? Gibt es wirklich eine Verbindung zwischen den beiden? Vielleicht wäre das ganz schön. Aber nun stehe ich vor meinem Kleiderschrank und weiß nicht, was ich zu meiner Verabredung mit Ryo anziehen soll; mal wieder. Irgendwie habe ich leichte Bedenken mich mit ihm heute im Stars zu treffen, auch wenn ich das inzwischen schon oft getan habe und es fast nichts mehr ungewöhnliches für mich ist. Ich verbringe gerne Zeit mit ihm, sehr gerne, und gerade deshalb möchte ich nicht, dass er böse auf mich ist, falls ich ihn auf besagten Vorfall anspreche. Unentschlossen zerre ich eines meiner Kleider vom Bügel, doch in Gedanken bin in noch immer am Hadern, ob ich ihm gegenüber nun eine Andeutung wagen soll oder nicht. Im Grunde geht es mich nichts an, aber wenn Diego wirklich sein Sohn ist, sollte er wissen wie dieser im Kindergarten behandelt wird. Doch wie könnte ich es geschickt anstellen? Womöglich ist es am besten einfach abzuwarten, eine Gelegenheit das Thema anzuschneiden ergibt sich oftmals von ganz allein. Das Klingeln an der Haustür und die Stimme von Conchita reißen mich aus meinen Gedanken, dass ich nur noch geschwind meine Handtasche schnappe und nach unten eile. „Da sind sie ja, ihr Taxi wartet.“ Ich nicke nur, während ich in meine Schuhe schlüpfe und hinauseile. Seit wann bin ich so chaotisch? Der Abend verläuft merkwürdig. Ryo ist zwar charmant wie eh und je, aber in seinen sonst so geheimnisvollen Augen kann ich diesmal aufrichtige Sorge erkennen. Wenn ich dabei an heute Morgen denke und Ryo wirklich der Vater vom kleinen Diego sein sollte, dann wundert mich das keineswegs. „Hast du Sorgen?“, sprudelt es schließlich aus mir heraus; unbedacht, wie ich es gelegentlich nun mal bin. Wo sind bloß meine Zurückhaltung und gute Erziehung geblieben? Doch das ist mir im Moment egal, denn fasziniert beobachte ich die beiden schwarzen Augen vor mir, die mich sowohl fragend als auch überrascht ansehen. Zudem scheint ihr Besitzer mit sich zu ringen, ob er nun eine Andeutung fallen lassen soll oder lieber nicht. Er versucht es auf die unverfängliche Art: „Wie kommst du darauf?“ „Weiß nicht, vielleicht haben mir das deine Augen verraten?“ Er lächelt kurz wissend. „Manche Dinge lassen sich eben schlecht kaschieren.“ Und nun? Was wollte ich mit meiner Frage eigentlich erreichen? Dass er mir frei von der Leber weg aus seinem Privatleben erzählt? Das geht mich nichts an. Wir treffen uns, weil ich ihn dafür bezahle, nicht weil wir Freunde sind. Diese Tatsache darf ich nicht vergessen. „Und was ist mit dir, Robin? Du wirkst ebenfalls ein wenig bedrückt, als hättest du etwas auf dem Herzen.“ „Schon…vielleicht.“ Schweigen. Bedrückendes Schweigen. „Gibst du mir einen kleinen Rat?“, greife ich das Thema erneut auf, denn nur um stumm meinen Cocktail zu trinken, hätte ich mich nicht mit Ryo verabreden brauchen. „Wenn ich kann, gern.“ Ich nicke kurz, denn auch wenn ich es selbst so gewollt habe, es ist dennoch für mich nicht einfach dieses Gespräch zu beginnen. Aber ich muss es einfach tun, denn im Grunde meines Herzens bin ich doch neugierig auf Ryo’s Reaktion. „Nehmen wir mal an, du befändest dich durch Zufall im Besitz einer Information, die eine Person aus deinem weiteren Bekanntenkreis betrifft, aber du bist dir nicht sicher, ob diese Information auch richtig ist. Was würdest du tun?“ Sein Blick hat etwas Analysierendes an sich, das ich selten bei einem Menschen gesehen habe, so als würde er meine Ehrlichkeit prüfen. „Willst du mir etwas sagen?“ Weshalb durchschaut er mich immer so schnell? „Na ja…“ Unruhig rutsche ich auf meinem Platz herum und rühre bestimmt schon zum tausendsten Mal mit einem Strohhalm meinen Drink um. Was antworte ich ihm jetzt am besten? „Bitte denk nicht, dass ich mich aufdrängen möchte oder einen Hintergedanken dabei hege, aber…“ „Robin, was ist passiert?“ „Heute Morgen…hat mir jemand ein kleines Geschenk gemacht.“ „Aber das ist doch etwas Schönes.“ „Schon…ach verdammt!“ Ich greife nach meiner Handtasche und hole die zusammengefaltete Kinderzeichnung hervor, die ich meinem Gegenüber reiche. Wortlos faltet er das Papier auseinander und in diesem Moment kann ich bereits erkennen, dass ich wohl mit meiner Vermutung Recht hatte. Er mustert mich schweigend, so dass ich mich dazu angehalten fühle die Situation zu erklären: „Ein kleiner Junge kam zu mir in die Galerie und hat nach einem Gemälde gefragt.“ Ich deute kurz auf die Zeichnung. „Er sah dir so ähnlich, die Haare und Augen, der Teint. Zuerst wollte ich dich auch gar nicht darauf ansprechen, dein Privatleben geht mich nichts an, aber da war diese Frau, vermutlich eine Kindergärtnerin, und sie zerrte ihn gewaltsam aus meiner Galerie. Sie hat ihm sicher weh getan. Ich wollte nur, dass du das weißt, falls…“ „Daher hat er also die blauen Flecken am Arm…“ „Hat er es dir denn nicht erzählt? Entschuldige, ich sollte nicht-“ „Schon gut, ich kann eh nicht leugnen, dass er mein Sohn ist, diesbezüglich hast du mich doch bereits durchschaut, nicht wahr?“ „Es tut mir wirklich leid.“ Ich traue mich kaum ihn anzusehen, auch wenn es wirklich nicht mein Verschulden ist. „Du kannst doch nichts dafür, weder für die Kindergärtnerin noch dafür, dass der Kleine mein Ebenbild ist oder dass du ihm begegnet bist. Manchmal ist selbst L.A. bloß ein Dorf. Wenigstens weiß ich jetzt, wer die nette hübsche Frau ist, die ihm das Foto geschenkt hat, wie er sagte.“ Bloß nicht rot werden! „Wir haben eher getauscht…“ nuschle ich verlegen. „Da hat er aber den besseren Deal ausgehandelt.“ „Ich habe ein Herz für begabte Nachwuchskünstler.“ Besonders wenn sie so klein und süß sind. „Du musstest ja auch nicht die Schweinerei vom Boden wieder entfernen.“ „Zum Glück nicht. Mit was hat er denn die Verwischungen für den Hintergrund vorgenommen?“ „Mit den Händen! Ich habe ihn anschließend einfach samt Malkittel in die Badewanne verfrachtet.“ Wieso kann ich mir das bei dem Knirps nur zu gut vorstellen? Ich fühle mich erleichtert, denn Ryo scheint nicht böse auf mich zu sein und dennoch… „Sie hat gesagt, du wärst ein Ehebrecher. Also, ich meine jetzt die Kindergärtnerin.“ Wut flackert kurz in Ryo’s Augen auf, die ich aufgrund dieser Anschuldigung nur zu gut verstehen kann. „Brünett? Schulterlanges Haar?“ Ich nicke. „Wundert mich nicht.“ „Wegen deinem Job?“ „Sagen wir eher, weil ich ihn nicht so ausübe, wie sie es gerne hätte.“ Dabei wirft er mir einen leicht anzüglichen Blick zu. „Das verstehe ich nicht, du bist doch ein Third…oder?“ „Eben, und das werde ich auch nicht für eine frustrierte Kindergärtnerin ändern.“ „Sie wollte mit dir…? Und dann?“ „Nachdem ich es ablehnte mit ihr am Elternsprechtag die Kuschelecke zu inspizieren, sagte sie mir deutlich, dass ich das mehr oder weniger bereuen würde. Dass man mich seitdem meidet ist mir völlig egal.“ „Aber sie lässt es an Diego aus, nicht wahr?“ Er nickt. „Ich habe versucht einen anderen Kindergartenplatz für ihn zu finden, aber es gibt nicht genügend Plätze in der Stadt, außer natürlich in einer privaten Tagesstätte, die kostet jedoch viel Geld.“ „Ehrlich gesagt habe ich mir über solche Dinge nie den Kopf zerbrechen müssen, denn ich habe keine Kinder.“ „Wieso nicht?“ Er wirkt ehrlich interessiert, also antworte ich ihm auch ehrlich: „Keine Zeit, außerdem war mein Mann immer dagegen. Kinder verursachen Dreck und kosten Geld, so seine Devise. Deshalb habe ich mich in meine Arbeit vertieft.“ „Du wolltest demnach also ein Kind?“ „Ja, aber ich habe mich damit abgefunden, dass ich nie eines haben werde. Und wie war es bei dir? War Diego geplant, schließlich bist du noch recht jung und den Kleinen schätze ich auf etwa vier Jahre.“ „Wenn es nach mir gegangen wäre, würde er diesen Sommer in die Grundschule kommen, aber die Vernunft hat gesiegt, denn die eigene Ausbildung geht vor.“ Ich nicke zustimmend, aber gleichzeitig frage ich mich, was aus Diego’s Mutter geworden ist, denn ich kann mir kaum vorstellen, dass sie es gut findet, dass der Vater ihres Kindes als Callboy arbeitet. „Sie ist bereits vor ein paar Jahren gestorben.“ Überrascht sehe ich auf, direkt in Ryo’s schwarze traurigen Augen. „Das hättest du mir nicht erzählen müssen.“ „Ich weiß.“ Kapitel 26: Lonley night ------------------------ 26. Robin Lonley night Nanu, was ist das denn? Und wie kommt das hierher? Müde taste ich nach dem Gegenstand der mir eben vom Bauch gerutscht ist, als ich mich auf die Seite gedreht habe und identifiziere ihn gleich als ein Stück Papier. Verschlafen blinzle ich mit den Augen, aber außer dem blauen Flimmern des Fernsehers das den dunklen Raum erfüllt, erkenne ich nicht wirklich viel. Wie spät es wohl ist? Bestimmt bereits weit nach Mitternacht, sonst wäre es nicht schon so dunkel, schließlich haben wir Sommer. Kraftlos lasse ich den Zettel in meiner Hand zu Boden gleiten, denn egal was darauf stehen mag, es hat Zeit bis morgen. Das hätte ich mir allerdings früher überlegen sollen, bevor ich mich mit Dad’s Geschäftspost auf meinem neuen Sofa niedergelassen habe, nur um wenig später darüber einzuschlafen. Was soll’s, jetzt lässt sich das eh nicht mehr ändern und ich muss mich morgen um die Bearbeitung der Briefe kümmern. Wenn mein Vater nicht so geizig wäre, würde er sich für ein paar Stunden in der Woche eine weitere Sekretärin einstellen, aber das könnte ja Geld kosten. Noch ein wenig benommen von meinem kleinen Nickerchen setze ich mich auf, fahre mir mit der Hand über die Augen, ehe ich einen zweiten Anlauf starte etwas erkennen zu wollen. Wie kleine Lämpchen schalten sich nacheinander meine Sinne ein, was ich allerdings fast schon wieder als unangenehm empfinde, dröhnt mir doch nun merkwürdige Karibikmusik aus dem Fernseher entgegen. Anscheinend ist die politische Diskussion über den Klimawandel bereits zu Ende und ich habe das wichtigste verschlafen. Typisch. Ein weiterer genauer Blick auf den Bildschirm, die leichtbekleideten Mädchen und die Männer mit den hässlichen Gesichtern, verrät mir unweigerlich, dass es sich bei diesem Streifen unweigerlich nur um einen dieser billigen Sexfilmchen handeln kann, die nachts die Fernsehwelt überfluten. Genervt taste ich nach der Fernbedienung, die ich schließlich zwischen den Kissen finde, um endlich diesen Schwachsinn abzuschalten. Ich frage mich, ob es auf dieser Welt einen halbwegs intelligenten Menschen gibt, der sich solch einen Film ansehen kann, ohne dabei seinen letzten Funken Verstand zu verlieren. Ich wage es stark zu bezweifeln. Von Müdigkeit getrieben verlasse ich mein Wohnzimmer, tapse nahezu blind durch das ungewohnte Territorium, schalte auch kein Licht an, bis ich im ersten Stock glaube mein Schlafzimmer gefunden zu haben, aber erst gänzlich davon überzeugt bin, als ich unter meiner Bettdecke liege. Zum Glück hatte ich mir die Zähne direkt nach dem Abendessen geputzt, denn dazu wäre ich im Moment nicht mehr in der Lage. Der Umzug in das neue Haus, die Vorträge, die ich an der U.C. halten muss, das alles war in letzter Zeit doch etwas viel für mich, besonders da mein Vater es als seine Passion anzusehen scheint mich dazu zu nötigen, für ihn die Buchführung zu erledigen. Wo bleibe dabei bitte ich? Was ist mit meinen Hobbys? Welche Hobbys eigentlich? Gut, ich lese sehr gerne und auch viel, aber manchmal wünsche ich mir doch, ich hätte wieder etwas Zeit zum Malen. Nur ein kleines Bild mit Tusche oder Kreide, nichts Besonderes. Doch, für mich ist es etwas Besonderes, nicht weil ich mich für talentiert halte, sondern weil es etwas besonderes ist Zeit dafür zu haben. Keine Verpflichtungen, kein Zeitdruck, nur die Kunst und ich allein auf weiter Flur. Na ja, Ryo dürfte auch dabei sein. Er könnte mir Model stehen, auch wenn ich mich bis jetzt mehr auf Stillleben konzentriert habe. Aber er muss dabei ja auch gar nichts sagen… Vergnügt grinse ich in die Dunkelheit, erfüllt mich dieser Gedanke doch einfach mit Zufriedenheit. Überhaupt fühle ich mich sehr wohl in Ryo’s Gegenwart, denn er vermittelt mir stets das Gefühl etwas Wertvolles zu sein. Ich wage mir auch einzubilden, dass wir uns wirklich sympathisch sind, er mir nicht nur nett zulächelt, weil es sein Job ist. Ob er wirklich für mich Model stehen würde? Ein wenig dabei mit mir flirten würde? Sein Hemd ausziehen? Ich ziehe die Decke höher, bis zur Nasenspitze, als müsste ich mich für mein Grinsen schämen. Vielleicht sollte ich das sogar, immerhin ist er jünger als ich und im Grunde sind wir uns fremd. Aber dennoch genießt er meine Sympathie. Allein der Geruch seines Parfums lässt mich die Sorgen eines Tages vergessen, schenkt mir eine wohlige Wärme, eine Art von Glück. Ja, ich bin wirklich glücklich in seiner Gegenwart und wen wundert es da, dass ich mir wünsche, er würde nur einmal für mich Model stehen. Sein Gesicht ist so markant, seine Hände elektrisierend. Ob ein von mir gezeichnetes Bild das überhaupt einfangen könnte? Dieses besondere an ihm? Dürer hätte das sicher gekonnt, Da Vinci, die wahren Virtuosen, doch sicherlich kein Dilettant wie ich. Und, da bin ich ehrlich, ein Bild von Ryo würde mir auf Dauer auch nicht genügen, denn es lächelt nicht zurück, es neckt mich nicht und es versetzt mich nicht in diesen wundervollen rauschähnlichen Zustand, den nur ein echter Ryo hervorrufen kann. Wenn wir reden, wenn wir lachen und er mich zu einer kleinen Dummheit verführt. Das soll er wieder tun. Wieder und immer wieder, nur mit mir. Fest wickle ich die dünne Decke um mich, stelle mir dabei vor es wäre er, wie er mich umarmt, ganz fest, verspricht bei mir zu bleiben. Wäre er doch nur hier…. Sehnsucht steigt in mir auf, erzeugt einen unangenehmen Druck in meinem Hals und ein Brennen in meinen Augen. Er soll hier sein, bei mir, bei mir ganz allein! Doch er ist Callboy, ein Third dazu, folglich wird es nie passieren, dass wir das Bett miteinander teilen. Und wenn ich ehrlich bin, so will ich auch keinen Mann bei mir und in mir wissen, der jede Nacht bei einer anderen verbringt, sie betört und ihr eine heile Welt vorgaukelt. Kann er nicht damit aufhören? Genügt ihm nicht eine Frau, auch wenn nur ich diese wäre? Wir könnten so viel zusammen erleben, entdecken…uns entdecken. Seine traurige Seite…seinen Körper…seine Leidenschaft…seine Macht…über mich…. Ob er diesen Wunsch ebenfalls hegt? Wenigstens ab und zu ein bisschen? Oder bin ich nicht sein Typ, nicht attraktiv genug? Immerhin ist er jünger als ich, ganze fünf Jahre. Bin ich nicht mehr begehrenswert? Wecke ich keine Fantasien mehr bei einem Mann? Einem Mann wie ihm? Ich würde es gern. Er soll nicht bloß meine Gedanken beherrschen, sondern ich auch seine. Kennt er dieses Gefühl überhaupt verrückt nach jemandem zu sein? Wie albern von mir so zu denken, denn bestimmt kennt er das. Ich habe es in seinen Augen gesehen als, er mir von Diego’s Mutter erzählte. Für einen winzigen Augenblick war er nicht cool und selbstbeherrscht, man konnte deutlich Schmerz in seinen sonst so klaren Augen erkennen. Ein tiefer Schmerz. Aber wie kann er dann diesen Job ausüben, sich verkaufen, wenn es doch in seinem Leben einst eine Frau gab, die er geliebt hat? Wieso? Und wieso beschäftigt mich das? Im Grunde wäre es besser für mich, ich würde Abstand nehmen und nur die Vorteile aus unseren Treffen ziehen, so wie es sein sollte. Doch ich bin kein berechnender Mensch, kann nicht so einfach eine klare Trennlinie zwischen Schwarz und Weiß ziehen, schließlich gibt es ja auch noch ganz viele Grautöne dazwischen und die gehören nun mal dazu; zumindest für mich. Deswegen mag ich auch diese billigen Filmchen nachts im Fernsehen nicht, weil das Leben eben nicht nur daraus besteht miteinander irgendwelchen Trieben zu folgen, sondern auch füreinander da zu sein, sich zu streiten, zu versöhnen. Weniger würde ich auch nicht haben wollen. Aber leider sind das alles Dinge, die mir Ryo nicht geben wird. Doch genau diese Tatsache treibt mir fast die Tränen in die Augen. Ich möchte bei ihm sein, ihn spüren, schmecken, lieben, aber auch mit ihm streiten, diskutieren und wieder mit ihm versöhnen, eben alle Grautöne mit ihm erleben. Doch was hindert uns? Sein Job? Die Verpflichtung gegenüber seinem Sohn? Dass er mich nicht liebt? Das Grinsen ist längst aus meinem Gesicht verschwunden und anstatt wie eine erwachsene Frau den Tatsachen ins Auge zu sehen, kämpfe ich gegen aufsteigende Tränen. Ich habe schon so lange nicht mehr geweint und ich möchte es auch jetzt nicht tun müssen. Rational gesehen gibt es dafür auch keinen Grund, nur wer erklärt das meinem Herz? Kapitel 27: Accrochage ---------------------- 27. Robin Accrochage Eine Accrochage von Sina Catrell in meiner kleinen Galerie. Nicht dass ich unbedingt ein Freund ihrer Photographien wäre, nein, aber wenn man im Zeitalter der Kurzlebigkeit in L.A. nicht in Vergessenheit geraten will, muss man hin und wieder auch ein paar Künstler zu sich einladen und deren selbsternannten Meisterwerke zur Schau stellen. Und Sina Catrell ist genau die richtige Kandidatin dafür, außerdem eine ehemalige Bekannte aus Collegetagen. Eine schrille Mitdreißigerin, die mit ihrer Kamera alles wichtige sowie unwichtige dieser Welt einfängt, wobei sie für ihren Erfolg auch nicht davor zurückschreckt ein paar älteren Männern den Bart zu kraulen, wenn man es so nennen mag. Doch heute hat sie mit ein paar jüngeren Exemplaren vorliebgenommen, drei um genau zu sein. Ryo, Marc und ein hochgewachsener Mann mit stechend gelben Augen. Was als netter kleiner Abend gedacht war, ist nun zu einer echten Härteprüfung für mich geworden. Zwar weiß ich nur zu genau, dass ich nicht Ryo’s einzige Kundin bin, aber ihn jetzt mit einer anderen an seiner Seite zu sehen, ist mehr als hart. Wie gern würde ich in diesem Moment einfach zu ihm rüber gehen, ihn fragen wie es ihm geht, nur um anschließend in einer endlosen Diskussion sich zu verstricken, die lediglich dadurch beendet wird, dass man uns aus einer Kneipe hinauskomplimentiert, weil Sperrstunde ist. Heute sieht es nicht danach aus als wäre so ein Tag. So versuche ich mich mit Smalltalk über Wasser zu halten, begrüße mir gänzlich fremde Leute, die wohl nur gekommen sind, um auch mal von sich behaupten zu können, dass sie eine Persönlichkeit wie Sina Catrell getroffen haben. Natürlich sind auch Kunstkenner unter ihnen, Sammler und Kritiker, aber auch der ein oder andere Klatschreporter. Doch sie sind alle zu einem undefinierbaren Brei aus Bedeutungslosigkeit verschmolzen, den ich nicht wirklich wahrnehme. Einzig Ryo sticht daraus hervor, was mir nur wieder allzu deutlich zeigt, dass mein Interesse an ihm bereits eine Form angenommen hat, die für keinen von uns beiden vorteilhaft ist. Ich rede jetzt nicht von meiner nächtlichen Sehnsucht mit ihm eine Nacht verbringen zu wollen, denn das wäre mir auf lange Sicht gesehen zu wenig. Ich möchte ihn nicht teilen müssen. Nicht mit Sina und auch nicht mit irgendeiner anderen Frau. Leider sieht die Realität ganz anders aus. Mit wie vielen Damen er wohl schon ausgegangen ist? Sie bezirzt mit seinem Charme, sie um den Finger wickelt allein durch sein Lächeln? Lässt er sie erahnen, wie stark seine Muskeln sind, die unter seinem Hemd verborgen liegen oder bin ich bis jetzt die Einzige, die ihm so nah sein durfte wie auf unserer Fahrt nach Pasadena? Oder beim Tanzen im Stars? „Miss Nico! Hab ich sie schon zu ihrer fabelhaften Ausstellung beglückwünscht?!“ Ein wehendes Sommerkleid, der Trägerin viel zu eng, dass es kaum in der Lage zu sein scheint ihren üppigen Busen davor zu bewahren herauszuhüpfen. Wie unattraktiv, aber wiederum so typisch für seine Besitzerin. Wie der Donner prallt sie gegen mich, umschlingt mich mit ihren stämmigen Armen, um mich wie ein kleines Mädchen an sich zu drücken. Eine Chance zum Ausweichen sehe ich leider nicht. Aber alles ist besser als hier stumm in einer Ecke zu stehen und den Mann anzustarren, der mein einsames Herz in seinen starken Händen hält. Glück oder Pech, dass er sich dieser Tatsache nicht bewusst ist? „Mrs. Winthers, sie hier?“ Natürlich ist sie hier, schließlich arbeitet sie für eines dieser Klatschblätter, die sogar darüber berichten würden, wenn der Hund von Arnold Schwarzenegger Verdauungsstörungen hätte. Aber eine echte Accrochage wäre nicht vollkommen, wäre sie nicht anwesend. Die Künstler suchen ihre Nähe, bemühen sich ihr zu gefallen, denn wer sie kennt, kennt ganz L.A. Und es wäre nicht das erste Mal, dass einer ihrer Artikel über die Zukunft eines aufgehenden Sternchens entscheiden würde. Dennoch ist sie mit Vorsicht zu genießen, denn so lieb sie im ersten Moment auch erscheinen mag, vielleicht sogar ein bisschen dümmlich aufgrund ihres Auftretens, mit ihrer Südstaatenschnauze hat sie noch jeden in die Knie gezwungen, der ihr im Weg stand oder meinte, sie nicht ernst nehmen zu müssen. „Schätzchen, wie geht es ihnen? Seit sie gegen ihren Mann diese gerichtliche Verfügung erlassen haben, ist gar nichts mehr von ihnen zu hören.“ „Das war doch erst letzte Woche.“ Ich ringe mir ein Lächeln ab, denn ich kann meine fehlende Begeisterung darüber, dass sie in meinem Privatleben herumschnüffelt, nur schwer verbergen. „Letzte Woche“, sie lacht, „das ist ja schon wieder eine kleine Ewigkeit her!“ Wieder drückt sie mich. „Ich bewundere ihre Gelassenheit.“ Wenn sie wüsste… „Sie sehen ein wenig betrübt aus. Aber dazu haben sie überhaupt keinen Anlass. Die Männer reißen sich sicherlich um sie, gelten sie doch als eine der begehrenswertesten Junggesellinnen dieser Stadt. Sie haben Geld, sind erfolgreich und ihre Figur könnte kaum aufregender sein. Oder wollen sie etwa andeuten, dass sie ihren Exmann vermissen?“ Amüsiert muss ich kurz auflachen, denn dass Mrs. Winthers einen stark ausgeprägten Hang zu Übertreibungen ihr Eigen nennt, ist kein Geheimnis. Aber ist es wirklich so offensichtlich, dass meine Gedanken in diesem Moment nicht fröhlicher Natur sind sondern davon überschattet werden, dass mein Herz sich bei jedem heimlichen Blick, den ich Ryo zukommen lasse, krampfhaft zusammenzieht? „Die letzten Tage waren ein wenig anstrengend, immerhin habe ich noch einiges mehr zu tun, als nur diese Galerie zu führen.“ Bewusst spiele ich mich ein bisschen auf, denn es ist nie klug sich in Anwesenheit der Presse eine kleine Schwäche zu erlauben, schließlich lauern diese Aasgeier nur darauf, um sich einen Vorteil zu verschaffen. „Robin, Darling, endlich treffen wir uns wieder! Wie geht es dir?“ Beschissen, du falsches Stück! Doch ich beiße mir auf meine Zunge, bevor mir diese doch recht unfreundlichen Wörter über die Lippen kommen. Außerdem geht es Sina nichts an, wie ich mich fühle, schon gar nicht, wenn sie Ryo an ihrer Seite stehen hat und ihn zusammen mit den anderen beiden Männern wie eine Trophäe präsentiert. Aber so war sie schon immer, seit ich sie kenne. Ein Küsschen links, ein Küsschen rechts. Auf ihre Frage nach meinem Befinden antworte ich erst gar nicht, war ohnehin nur eine ihrer Floskeln. „Ich wusste gar nicht, dass deine Galerie so bezaubernd ist. Was sich nicht alles mit dem Geld eines wohlhabenden Vaters erreichen lässt.“ „Tja, die einen haben einen wohlhabenden Vater, die anderen genügend Männer an jedem Finger.“ „Soll ich dir einen für heute Nacht ausleihen? Du siehst aus, als hättest du einen nötig.“ Schon immer haben wir uns mit kleineren Spitzfindigkeiten bekriegt, ließen die jeweils andere spüren was wir von ihr hielten, nämlich nicht sonderlich viel. Dennoch, absurder weise, war es gerade Sina gewesen, die mich dazu ermutigte meine eigenen Interessen zu bewahren und nicht als treusorgende Ehefrau mein Gehirn einem schleichenden Selbstmord zu unterziehen, wie sie es nannte. „Darf ich dir meine drei Begleiter vorstellen? Das sind Marc, Ryo und Pierre. Sind sie nicht zum Anbeißen?“ Soll sie doch- „Miss Catrell, wie aufregend, gleich drei gutaussehende Männer an ihrer Seite, aber sie waren ja schon immer dem Trend mindestens einen Schritt voraus“, flötet Mrs. Winthers dazwischen, dabei ist es doch mehr als offensichtlich, dass diese Klatschreportein sich an jede Kleinigkeit heftet, um daraus einen handfesten Skandal zu spinnen. Aber eben auch die Welt der Künstler ist zu einer Art eigenen Politik geworden, in der oft nicht der gewinnt der talentierter ist, sondern derjenige, mit dem besseren PR-Berater. Es ist kein Geheimnis, dass Sina eindeutig zu dieser Sorte Mensch gehört, denn allein auf ihr Talent könnte sie sich weiß Gott nicht verlassen. „Was sie nicht sagen!“ Wieder hallt dieses affektierte Lachen durch den Ausstellungsraum, als ob Sina an sich nicht schon peinlich genug wäre. Mir wäre so ein Auftritt unangenehm. Aber sie genießt nun mal die Bäder in der Menge von Schaulustigen und von denen gibt es hier mehr als genug. „Sie müssen wissen, als Frau gelangt man unweigerlich eines Tages an den Punkt, an dem man feststellt, dass ein Mann allein niemals ausreicht, um alle Bedürfnisse zu befriedigen. Sie wissen schon, wie ich das meine…“ Ekel, purer Ekel packt mich, schüttelt mein Innerstes, so dass mir schlagartig speiübel wird. Das darf nicht sein! Er…! „Entschuldigen sie mich bitte kurz, ja?“ Ohne eine Antwort von Sina oder gar Mrs. Winthers abzuwarten, dränge ich mich an den neugierigen Besuchern vorbei Richtung Toilette. Zwar lächle ich, aber es ist eine Maske, unter der sich tiefster Scham verbirgt. Wie konnte ich nur so naiv sein? Im Inneren des kleinen Raumes holt mich dann das ein, was mich draußen beinahe übermannt hätte. Tränen schießen mir brennend in die Augen, verursachen einen Schmerz, der bei weitem über das körperliche Empfinden hinausgeht. Wieso musste ausgerechnet Ryo hier auftauchen? Kraftlos stütze ich mich auf dem kleinen weißen Waschbecken ab, um mir selbst im Spiegel in die Augen blicken zu können. Was ist nur aus meinem Stolz geworden? Oder bin das gar nicht ich, der gerade eine einsame Träne über die Wange rollt? Doch, ich befürchte schon. Sex. Immer dreht sich alles um dieses kleine beschissene Wort! Was früher nur die höchste Form der Intimität zweier Menschen beschrieb, ist heute zu einer Art Volkssport geworden, nein schlimmer noch, zu einer olympischen Disziplin. Es ist ja schon ekelhaft genug, dass die Männer sich damit brüsten wie viele Frauen sie schon gehabt haben, aber dass nun die Frauen zum Gegenschlag ausholen, behagt mir gar nicht. Oder liegt es allein an Ryo? Ertrage ich den Gedanken einfach nicht, dass er mit einer anderen Frau als mir schlafen und dabei sogar Lust empfinden könnte? Oder weil er mich angelogen hat als er behauptete, als Third würde er niemals das Bett mit einer seiner Kundinnen teilen? Wieso musste es nur so weit kommen? Schnell fahre ich mir mit einer Hand über das Gesicht, beseitige notdürftig die Spuren meiner Niedergeschlagenheit, denn langsam wird es an der Zeit, dass ich wieder zur Ausstellung zurückkehre, auch wenn mir die Lust auf Gesellschaft vergangen ist. Aber die Toilette ist eben nur ein kurzfristiges Versteck, denn spätestens wenn die Schlange vor der Tür zu groß wird, werden die ersten stutzig werden. Als wäre nichts gewesen betrete ich den Ausstellungsraum, spiele die Unnahbare, meide es dabei aber tunlichst mich Sina und ihren drei Begleitern zu nähern. Ein wahrer Slalomlauf beginnt, führt mich vorbei an Aktfotos und Nachtaufnahmen, die ich nicht wirklich wahrnehme. Ich glaube auch nicht, dass es auf diesen Bildern etwas wirklich Interessantes zu sehen gibt, zumindest nichts was meine Aufmerksamkeit mehr verdient als der Mann, dem ich sie tunlichst nicht schenken möchte. Ich ziehe dieses bittere Spiel bis zum Ende durch, stürze mich selbst in pseudointellektuelle Konversationen mit anderen Künstlern, um die Zeit besser verdrängen zu können. Es gelingt mir auch hin und wieder, doch leider kreuzt Ryo allzu oft meinen Blick, versucht sogar den Blickkontakt mit mir zu halten, doch ich verweigere mich ihm. Er soll nicht sehen wie ich mich fühle, gar leide. Allein und betrogen. Geh doch endlich, verschwinde! Ich ertrage dieses erdrückende Gefühl kaum einen Moment länger. Ihn so nah zu wissen, doch ich muss so tun als wäre er ein Fremder für mich. Ein Fremder, nicht meine Versuchung und auch nicht der Vater vom kleinen Diego. Was ist mit ihm? Weiß der Kleine, was sein Vater für ein Spiel treibt? Dass er seinen Körper für ein paar lausige Dollar verkauft? Wofür? Dass er sich rühmen kann, was für ein toller Hecht er ist, so wie es alle Männer tun? Das hat der kleine Künstler nicht verdient! Eilig drücke ich mir kurz mit den Fingerspitzen gegen die Augenlider, bevor erneut Tränen sich zeigen können. Wie lange ich dieses Spiel noch durchhalte ohne dabei meinen Verstand zu verlieren; ich weiß es nicht. Dabei ist es so absurd, dass ausgerechnet ich mich in dieser Lage befinde. Früher habe ich gelacht über diese Art von Frauen, die sich wegen eines Mannes in tiefste Traurigkeit und Verzweiflung stürzten, heute ist mir nicht nach Lachen zumute. „Hast du das gehört? Sie hat eine Affäre mit drei Männern!“ „Ja, und dabei ist einer gutaussehender als der andere!“ Ich wünschte, ich hätte das nicht gehört. Warum spricht auch jeder darüber? Nicht nur diese beiden Frauen, die im Schutz der Menge verstohlene Blicke auf Sina und ihre drei Errungenschaften werfen, um sich das Maul darüber zu zerreißen. Morgen werden die Klatschspalten gefüllt sein mit Spekulationen...wie und wie oft... Ekelhaft! Die Menge zerstreut sich. Zuerst unmerklich, aber sobald die ersten gegangen sind, schließen sich ihnen immer mehr an, wie bei einem Rudel. Es soll mir auch recht sein, denn ich brauche Abstand. Keine Reporter, keine Künstler und noch viel entscheidender, keinen Ryo. Ich muss lernen ihn zu vergessen. Er drängelt sich an mir vorbei nach draußen, folgt Sina und den anderen beiden Männern, doch so teilnahmslos wie er sich gibt ist er gar nicht, denn ich spüre etwas kleines kühles, das er mir im Vorbeigehen in die Hand drückt. Doch ich warte noch einen Augenblick bis ich es mir ansehe, beobachte die weiße Limousine wie sie im Straßenverkehr verschwindet. Jetzt wird er mich betrügen. Betrübt betrete ich wieder den Ausstellungsraum, habe aber weder einen Blick für die übrig gebliebenen Gäste noch für Mrs. Winthers, die sich ebenfalls langsam verabschieden und auf den Heimweg begeben. Ich bin Mrs. McAuley äußerst dankbar, dass sie den Rest übernimmt, die Lichter im Ausstellungsraum löscht, die Türen abschließt und noch die Alarmanlage einschaltet, denn dazu fühle ich mich nicht mehr in der Lage. Ich möchte mich nur noch verkriechen und so schnell niemanden mehr in meine Nähe lassen. In meinem Büro angekommen lasse ich mich auf das kleine Sofa in der Ecke vor dem Fenster fallen, schließe für einen kurzen Moment die Augen, um wieder innere Kraft zu erlangen. Erst jetzt, wo ich mich in vollkommener Sicherheit wiege, öffne ich meine Faust und gebe frei, was Ryo mir im Vorbeieilen in die Hand gedrückt hat. Einen blaufluoreszierenden Stern. Kapitel 28: After Show ---------------------- 28.Robin After Show Oft ist es im Leben so, dass man unweigerlich an einen Punkt angelangt, an dem man sich entscheiden muss. Gehe ich links oder rechts. In diesem Fall wäre allerdings passender, gehe ich ins Stars oder fahre ich nach Hause. Der kleine blaue Stern ist zweifelsfrei die Eintrittskarte zum Stars, aber ist es auch ebenso zweifelsfrei eine Aufforderung von Ryo sich mit ihm zu treffen? Jetzt? Wie soll das funktionieren oder möchte er mir etwa beweisen, dass er sich an zwei Orten gleichzeitig aufhalten kann? Was steckt dahinter? ‚Hast du das gehört? Sie hat eine Affäre mit drei Männern!’ ‚Ja, und dabei ist einer gutaussehender als der andere!’ Wie kann er mir das bloß antun? Meine Gefühle zu ihm rücksichtslos mit Füßen treten. Gefühle, von denen er gar nichts weiß, die ich ihm aber vor wenigen Stunden am liebsten offenbart hätte. Mein Traum der vergangenen Nächte, nie existierte Zärtlichkeiten, die wir im Schutz einer heißen kalifornischen Nacht tauschten, die mich am Tag begleiten und verfolgen. Ein fiktives Stimmungshoch, niedergeschlagen von der harten Realität, in der andere Frauen diese intime Seite an ihm auskosten dürfen. Oder bin ich selbst schuld daran? Seit ich ihm das erste mal in diesem Nachtclub begegnet bin, als Nami ihn mir als mein Geburtstagsgeschenk vorstellte, verhielt ich mich ihm gegenüber distanziert. Er sollte nicht den Eindruck gewinnen, nein, niemand sollte den Eindruck gewinnen, dass ich im Grunde nichts weiter bin als eine dieser vereinsamten Ehefrauen, die sich nach Liebe und Geborgenheit sehnen und dies bei einem Mann suchen, von dem sie all dies höchstens für ein paar Stunden bekommen und dann auch nur unter der Voraussetzung, dass sie ihn dafür entsprechend entlohnen werden. Doch ich betonte immer wieder aufs Neue, dass ich lediglich mit ihm ausgehen wollte, weil ich keinen Gefallen daran fände allein um die Häuser zu ziehen, aber auf keinen Fall deshalb, weil mich die Sehnsucht beinahe um den Verstand bringt. Es war noch nie besonders klug, sich selbst etwas vormachen zu wollen. Und wenn ich schon einmal dabei bin mich selbst unter Anklage zu stellen, kann ich dies auch gleich bis zum bitteren Ende durchziehen. Früher oder später muss ich der Wahrheit ins Auge blicken, muss einsehen, dass es nicht bloß die Enttäuschung über Ryo ist, der mich mit einer anderen Frau betrügt, sondern vor allem die Tatsache, dass ich nicht einen Moment an der Aufrichtigkeit seiner Worte gezweifelt habe. Wie ein Schulmädchen hat er mich an der Hand gehalten und mich dabei nur das sehen lassen, was ich sehen wollte. Einen charmanten jungen Mann, der diesen Job allein aus einer Notlage heraus ausübt und nicht etwa deshalb, weil er eben wie alle Männer möglichst viele Frauen abschleppen will. Noch immer sitze ich auf meinem unbequemen Bürostuhl, hadere mit mir selbst, ob ich die Zügel, die mein Herz im Zaum halten, loslassen soll oder die absolute Vernunft den Kampf in mir gewinnen lasse, zurück nach Santa Monica zu fahren und Ryo für immer aus meinem Gedächtnis zu streichen. Mein Blick gleitet zu meinem Handy, nicht das erste Mal in den letzten fünf Minuten und sicherlich auch nicht das letzte Mal an diesem Abend. Es wird mich immer an ihn erinnern, an sein Lächeln, an sein verführerisches Parfum, diesen hypnotischen Blick und seine starken Arme, die mich an dem Abend in Pasadena hielten und mir Schutz vor den Menschenmassen boten. Die Zügel schmerzen, schneiden sich tief in mein Herz, das wild in meiner Brust schlägt, als wolle es ausbrechen. Es will zu ihm, sofort, egal wie schwierig der Weg dorthin auch sein mag und ungeachtet dessen, was dieses Treffen mir offenbaren wird, denn nichts ist schlimmer als die quälende Frage nach dem: Was wäre wenn…? Wenn ich nun nicht meine Handtasche geschnappt hätte, irgendwelche Dinge blind hineingepfeffert hätte und wie von der Tarantel gebissen auf die Straße geeilt wäre, um wild winkend ein Taxi zu bekommen? Hätte ich mich tagelang gefragt, ob er wirklich im Stars auf mich gewartet hat? Ob er mir zugelächelt und alle meine Sorgen beseitigt hätte? Der graugrüne Zwanzigdollarschein wandert von meiner Hand in die gebräunte Hand des Taxifahrers, der mich aufgrund des vielleicht doch etwas zu großzügigen Trinkgelds mit seinen blinkend weißen Zähnen anlächelt. Aber was interessiert mich ein Mann in einem gelben Auto, wenn vielleicht in meiner Lieblingsbar der Traum meiner schlaflosen Nächte wartet? Vielleicht aber auch nur. Vor der breiten Glasdrehtür halte ich einen kleinen Moment inne, straffe meine Schultern, fahre mir kurz durch die Haare, um mich schließlich der Herausforderung zu stellen. Wer weiß, was dieser Abend bringen wird? Aber egal was es auch sein mag, ich muss mich meinen eigenen Gefühlen stellen, keine Ausflüchte mehr. Hell blinkt der kleine Stern den Türsteher an, ehe er mir den Weg zum Aufzug freigibt. Ich habe Glück, muss nicht warten, denn die chromfarbenen Türen öffnen sich direkt vor mir und gibt eine Gruppe lachender Menschen, leider samt Alkoholfahne, frei. Ein eindeutiges Zeichen dafür, dass es doch schon recht spät geworden ist. Ich hoffe nicht zu spät... Erneut öffnen sich die Türen und das erste Mal seit meinem unplanmäßigen Aufbruch überfällt mich ein tiefes Gefühl der Scham. Was muss Ryo von mir denken, wenn er mich sieht? Wird er mich auslachen, weil ich ihm wie ein Lemming gefolgt bin? Oder liegt er inzwischen bei Sina im Bett und verschwendet keinen Gedanken mehr an mich? Zögerlich betrete ich den Raum, lasse meinen Blick zur Bar wandern, doch keine Spur von Ryo. Ob er…? „Hi, Süße!“ Schweig still mein Herz! „Musst du mich so erschrecken?“ Aber June lacht bloß. „Ganz cool bleiben, ist doch nichts passiert.“ Wieder lacht sie, offen und ungezwungen. Beneidenswert. „Hast du einen Rückfall?“ „Was für einen Rückfall?“, frage ich sie irritiert, lasse dabei aber meinen Blick beiläufig durch den Raum gleiten. Kein Ryo. „Na einen Spießerrückfall! Du bist angezogen wie das strenge Fräulein von der Nonnenschule.“ „Danke für die Blumen.“ „Keine Ursache. Aber jetzt komm, du siehst aus, als könntest du etwas Unterhaltung gebrauchen.“ Ich möchte mich nicht unterhalten, keine Witze reißen oder auf sonst irgend eine Weise so tun, als würde ich mich amüsieren, denn auch wenn ich mich in dieser tollen Bar befinde, die Sterne über mir glitzern, ich bin allein und keiner ist hier, um mein Herz zu erheitern. Dennoch nehme ich an der Bar Platz, nicke Jessy zu, die emsig damit beschäftigt ist schmutzige Gläser einzusammeln und in eine Durchreiche zu stellen, wo sie von einer eifrigen Hand in Empfang genommen und höchst wahrscheinlich gespült werden. „Erzähl mal, wo hast du gesteckt, dass du hier in diesem Aufzug erscheinst. Theater? Oper?“ An June’s Worten kann ich erkennen, dass sie in ihrem Leben wohl noch nie an einem dieser Orte war, denn dafür wäre ich in meinem dunkelblauen Nadelstreifenkostüm eindeutig underdressed, zumindest wenn man wie mein Vater sich nur mit Plätzen der gehobeneren Klasse begnügt. „Nein, ich war auf einer Ausstellung.“ Ich muss ja nicht verraten, dass ich diese Ausstellung organisiert habe, das ist unerheblich, zudem möchte ich June nicht eine weitere Bestätigung ihrer Worte, ich sei eine Spießerin, geben. „Egal ob Ausstellung oder Theater, das ist beides nichts für mich. Folglich ist es kein Wunder, dass ich dich für eine Spießerin gehalten hab, sorry.“ Trotz oder gerade wegen ihrer Worte muss ich dann doch kurz lächeln, denn obwohl June eindeutig älter ist als ich, wirkt sie oft ausgelassen wie ein Teenager auf mich. Im Hintergrund höre ich die leise Klingel des Fahrstuhls, die erneut die Hoffnung in mir weckt, dass Ryo auf dem Weg hierher ist. Möglichst unauffällig versuche ich einen Blick auf den Eingang zu erhaschen, aber das fällt gar nicht so leicht, wenn selbiger hinter meinem Rücken liegt. Ich riskiere es. Was hab ich schon zu verlieren? Ryo kann ruhig wissen, dass ich auf ihn warte. Das wird er ohnehin sofort merken, wenn er mich hier sitzen sieht. Wenn, denn der Aufzug ist leer, kam nur aus dem Erdgeschoß hier hochgefahren, um ein paar der Gäste nach unten zu bringen. „Hier, ein kleiner Muntermacher. Aber Vorsicht, der haut rein.“ Ich wende mich wieder June zu, die mir auffordernd ein kleines Glas entgegenhält. Zwei Flüssigkeiten, die sich wie Öl und Wasser zu trennen scheinen, doch ein genauerer Blick zeigt, dass die Grenze zwischen beiden stetig zu verwischen scheint. Wir prosten uns kurz zu, ehe jede von uns ihr Glas in einem Zug leert. Oh! Augenblicklich wird mir warm, brennt sich der Alkohol doch langsam meine Speiseröhre hinab. Was zum Teufel war da drin? „Lecker, oder?“ „Schon“, ich huste kurz, „aber eine kleine Vorwarnung wäre ganz nett gewesen.“ Wieder muss ich husten, doch June grinst nur kess. „Etwa Vorsicht Alkohol? Aber wenn das so ist, warne ich dich jetzt besser auch vor.“ Verschwörerisch zwinkert sie mir zu, bedeutet mir aber im selben Moment meine Aufmerksamkeit auf den Eingang des Stars zu richten. Kapitel 29: Hinter der Fassade ------------------------------ 29. Zorro Hinter der Fassade Die Flucht aus dem Leben, das man vor wenigen Augenblicken noch geführt hat. Verkleidet wie jemand, der etwas zu verbergen hat. Aber das habe ich ja auch. Die Rolle des Callboys ist beendet, nun gilt es unbemerkt die Bühne des Geschehens zu verlassen, denn für die sensationsgierigen Reporter soll die Illusion aufrecht erhalten bleiben, dass Sina Catrell sich mit drei attraktiven Männern amüsiert, ihre Spielchen treibt; als ob zwei dafür nicht ausreichen würden. Doch nun spiele ich eine neue Rolle, weniger schillernd und am besten unsichtbar. Bandana auf dem Kopf, Rucksack lässig über eine Schulter geworfen; wer vermutet hinter dieser Fassade ein bezahltes Frauenspielzeug? Hoffentlich niemand. Immerhin wurde an alles gedacht, soll doch keine Frau behaupten können Alvida würde nicht sämtliche Hebel in Bewegung setzen, um ihren Kundinnen jeden Wunsch zu erfüllen, egal welcher Art er auch sein mag. Zum Glück bin ich heute nicht mehr Teil eines solchen Wunsches. Mihawk und Ace dagegen…. Nun ich denke, sie werden noch eine lange Nacht vor sich haben. Und ich? Fest umschließen die Finger meiner linken Hand den Tragegurt meines Rucksacks, suchen Halt in einer Angelegenheit, in der ich auf mich allein gestellt bin. Kein Sanji der mir hilft, keine Kaya, kein Lysop. Unruhig wandert mein Blick zur digitalen Anzeige des Fahrstuhls, die langsam die Etagen abwärts zählt. Zu meinem Pech bin ich nicht allein in dem Lift, der eigentlich nur für das Personal oder schwere Lasten bestimmt ist. Zwar scheinen mich die beiden Zimmermädchen zu ignorieren, dennoch bevorzuge ich es, dass mich beim Verlassen einer Kundin so wenig wie möglich Menschen sehen. Hinzu kommt heute allerdings, dass ich nicht nur unbemerkt von hier verschwinden muss, sondern auch die bange Frage, ob gleich noch jemand auf mich warten wird. Als ich heute Abend mit Ace und Mihawk zu Sina in die große Limousine gestiegen bin und wir zu ihrer Ausstellung fuhren, da ahnte ich noch nichts davon, dass mir wenige Augenblicke später das Herz in die Hose rutschen sollte. Doch als das zwar alte, aber dennoch sehr gepflegte Haus in Sichtweite kam, vor dem ich schon so oft mit Diego stand und er sich wegen seines Lieblingsbildes die kleine Nase plattdrückte, betete ich, dass Robin nicht anwesend sein würde, sondern sie lediglich die Räumlichkeiten ihrer Galerie zur Verfügung gestellt hatte. Leider besaß ich soviel Glück nicht. Den ganzen Abend über musste ich sie ansehen, wann immer sich mir eine Gelegenheit dazu bot. Sah wie sie litt, weil sie der Situation offensichtlich ebenso wenig gewachsen war wie ich. So freuten sich zwar meine Augen sie zu sehen, doch mein Herz zog sich schmerzlich zusammen, weil mein Verstand ihm verbot nach Robin Ausschau zu halten, oder gar zu ihr zu gehen, um die ganze Angelegenheit aufzuklären. Nur zu gern hätte ich ihre Sorgen und Befürchtungen zerstreut, die Sina in ihr hervorgerufen hatte. Dennoch, oder gerade deswegen habe ich mich dazu hinreißen lassen Robin indirekt um ein Treffen zu bitten, mir eine Möglichkeit zu geben ihr zu zeigen, dass ich sie nicht belogen habe, sondern lediglich die Rolle von Sina’s Liebhaber spielte. Ob sie den kleinen blauen Stern auch als Einladung verstanden hat? Betrübt starre ich auf das kleine weiße Blechschild, dessen schwarze Buchstaben darauf hinweisen, dass Aufzüge im Brandfall nicht benutzt werden dürfen. Wie oft habe ich dieses Schild in den letzten Sekunden nun schon angestarrt, um mich selbst von meinen eigenen Gedanken abzulenken? Zwanzigmal? Ein Rumpeln, knarrende Türen, endlich bin ich angekommen! Dennoch zwinge ich mich zur Geduld, denn die beiden Frauen scheinen eindeutig im Tratschen schneller zu sein als beim Laufen. Außerdem würde ich nur ihre Aufmerksamkeit auf mich lenken, was ich tunlichst zu vermeiden versuche. Die Luft im Keller ist schwül und erfüllt vom Geruch aus Waschmittel, Schweiß und Heizöl. Selbst in einem Luxushotel gibt es also stinkende Ecken. Ein weiterer Beweis dafür, dass kein Extrem ohne das andere leben kann. Ein letzter Blick zurück, ehe ich durch den Lieferanteneingang ins Freie trete und über eine kleine Treppe hinauf zur Straße gelange. Tief atme ich die warme Sommernachtsluft ein, werfe noch schnell einen Blick auf meine Uhr, um die verbleibende Zeit abzuschätzen bis der Bus Richtung West-Downtown fährt. Wesentlich entspannter als noch vor wenigen Minuten gehe ich die Straße entlang, überquere selbige zügig als sich mir die Gelegenheit dazu bietet, um zur Bushaltestelle zu gelangen. Wenn der Bus pünktlich abfährt, brauche ich nur knapp zehn Minuten bis zum Stars, womit ich in etwa zum gleichen Zeitpunkt wie Robin ankommen müsste. Sie soll nicht unnötig auf mich warten müssen, sofern sie sich denn gerade auf dem Weg ins Stars befindet. Ich richte meinen Blick nach vorn, versuche zuversichtlich zu sein, denn Erfolg hat primär etwas mit der inneren Einstellung zu tun. Steht da etwa schon der Bus? Kann eigentlich gar nicht sein. Trotzdem überlege ich nicht lange und renne los, dränge mich an Fußgängern vorbei, doch das Glück scheint es heute wirklich nicht gut mit mir zu meinen, denn der Bus fährt ohne mich davon. Verdammt! Wütend werfe ich meinen Rucksack vor mir auf den Bürgersteig und würde am liebsten laut dazu fluchen. Womit habe ich es nur verdient, dass das Pech an meinen Fersen zu haften scheint? Und wieso ist dieser blöde Bus eigentlich schon losgefahren? Nach meiner Uhr hätte ich noch fünf Minuten Zeit gehabt. Der Blick auf meine Armbanduhr ist gleichsam ernüchternd wie ärgerlich, haben sich ihre Zeiger offensichtlich das letzte Mal vor über einer Stunde bewegt. Dieses Schrotteil! Wütend zerre ich an ihr herum, nur um sie im nächsten Moment in den nahegelegenen Mülleimer zu pfeffern. Die Uhr war eh vom Flohmarkt und nicht einmal die Batterie in ihr wert. Doch so schnell werde ich nicht aufgeben, Pech hin oder her, auch wenn es von Minute zu Minute unwahrscheinlicher wird, dass Robin noch auf mich wartet, doch ich will keinen Versuch ungenutzt lassen. Und falls sie mich versetzt hat muss ich ohnehin meinen Frust in Alkohol ertränken und wo wäre ich dafür besser aufgehoben als im Stars? Ein letzter Blick die Straße hinab, an deren Ende langsam die Rücklichter des Busses im Straßenverkehr untertauchen. Entschlossen schultere ich meinen Rucksack und begebe mich auf den Weg. Im gleichmäßigen Schritt Richtung Innenstadt, immer schneller, bis ich eher jogge als gehe. Doch der Weg ist weit, denn das Stars liegt gut versteckt in einer Seitenstraße und nicht wie das Hotel mitten im Herz der Stadt. Taxis fahren an mir vorbei und nur zu gern würde ich jetzt den Arm ausstrecken und mir eines heranwinken, damit ich möglichst schnell mein Ziel erreiche. Doch wovon soll ich den Fahrer bezahlen? Klar, das Geld in meiner Tasche würde ausreichen, um bis zum Stars chauffiert zu werden, allerdings brauche ich mein Geld für wichtigere Dinge, wie Essen und Kleidung. Diego wird sicherlich bald ein paar neue Hosen brauchen, so schnell wie der Kleine wächst und wovon soll ich die bezahlen, wenn ich mein Geld zum Fenster rauswerfe? Zügig laufe ich weiter, kürze den Weg ab, indem ich durch Fußgängerzonen gehe, doch mein rasches Vorankommen wird durch eine Gruppe junger Menschen gestoppt, die sich dicht vor dem Eingang eines Nachtclubs drängen und vergeblich versuchen hineinzugelangen. Einige von ihnen halten Plakate hoch, doch ich ignoriere sie weitestgehend. Vermutlich ist irgendeine Berühmtheit in dem Club abgestiegen, was in L.A. nun wirklich keine Seltenheit ist. Nur mühsam komme ich voran, kämpfe mich durch den Treibsand aus Menschen, bis ich am Ende der Menschentraube meine Freiheit wieder zurückerlange. Der ein oder andere dieser Fans wollte mich auch erst gar nicht passieren lassen, wohl aus Angst, ich würde ihm seinen Platz streitig machen wollen. Als ob ich nichts Besseres zu tun hätte. Die Stimmen werden leiser je weiter ich laufe und je näher ich dem Wolkenkratzer komme, in dessen obersten Etage das Stars thront. Wird auch Zeit, schließlich ist es beim Joggen nicht gerade von Vorteil einen Rucksack mit sich herumzutragen. Doch irgendwo musste ich ja meine Kleidung lassen, die ich zuvor auf der Ausstellung getragen habe, schließlich hätte ich ja wohl kaum in Designerkleidern heimlich durch den Lieferanteneingang verschwinden können, ohne dass ein Reporter auf mich aufmerksam geworden wäre. Eine alte Jeans und ein Shirt sind hierfür besser geeignet. Endlich, der Eingang liegt direkt vor mir. Ich weiß, eigentlich dürfte ich nicht hier sein, dürfte Robin nicht treffen, denn sollte Alvida von unserer Begegnung erfahren, dann ergeht es mir vermutlich wie Luke. Er muss nun als Second arbeiten, bekommt aber für ein ganzes Jahr nur das Gehalt eines Third. Dabei kann er von Glück reden, unsere Chefin schien Mitleid mit ihm gehabt zu haben. Im Grunde wäre es auch besser wenn ich weiterhin meiner Pflicht nachgehen würde, bis ich endlich Alvida die volle Summe zurückerstattet habe, die ich ihr schulde. Als Third wird das noch ein paar Jahre dauern, aber ich verkaufe meinen Körper nicht, auch wenn das bedeutet, dass ich weiterhin Alvida’s Sklave bin. Doch ich kann und will mir die Chance Robin zu treffen nicht entgehen lassen. Sie bringt mein Herz zum schlagen, schenkt mir Freude und Zuversicht. Dinge, die ich vor unserer ersten Begegnung aus meinem Leben verbannt hatte. Doch ganz so prekär ist die Lage nun auch nicht, immerhin hat meine Chefin im Stars absolutes Hausverbot. Jessy und June würden sie keine Sekunde in ihren Räumlichkeiten dulden, schon gar nicht nachdem was die beiden in der Vergangenheit erdulden mussten. Der Türsteher begrüßt mich mit einem Handzeichen, kennt er mich doch seit der Eröffnung des Stars und ich bin nicht gerade selten Gast hier. Zudem hat June mir uneingeschränktes Asyl eingeräumt, sollte ich je vor Alvida und ihren Männern fliehen müssen. Ich kann bloß hoffen, dass es nie soweit kommen wird. Der Aufzug ist da und wieder lasse ich mich von so einem elektrischen Blechkasten an einen anderen Ort bringen. Ob Robin bereits damit nach oben gefahren ist? Aber ich kann ihr Parfum nicht riechen, nur Zigarettenrauch und diesen typischen Geruch, wenn die Luft in einem Raum schon etwas verbraucht ist. Ob sie da ist? Und wenn ja, wird sie sich freuen mich zu sehen? Schenkt sie mir ein Lächeln? Dieses schüchterne Lächeln, das soviel Ehrlichkeit mit sich bringt, dass ich jedes Mal wenn ich es sehe kämpfen muss, um meine Fassade aufrechtzuerhalten. Robin bringt mich seit einiger Zeit immer wieder an diesen Punkt wo ich kurz davor bin ihr alles über mich zu erzählen. Weshalb ich diesen Job ausübe, was mit Kuina geschah und welche Lücke sie durch ihren Tod in meinem Leben hinterlassen hat und wie sehr es mich freut nun ihr begegnet zu sein, mich mit ihr unterhalten kann ohne dabei das Gefühl zu haben, dass sie es im Grunde nur auf ein Abenteuer in einem kleinen Hotelzimmer abgesehen hat. Inzwischen weiß ich auch recht viel über sie, habe sogar in meiner Freizeit ein wenig auf der Homepage der U.C.L.A. nachgeforscht, ob sie dort als Dozentin arbeitet. Für Archäologie und Völkerkunde, wie sie es mir bei unserem ersten Treffen erzählte. Und als ich ihr Bild auf dieser Homepage sah, mein Herz sich freute wie ein kleines Kind, ist mir zum ersten Mal bewusst geworden wie sehr ich von ihr fasziniert bin. Aber dabei blieb es ja nicht. Inzwischen freue ich mich so sehr auf unsere Treffen, dass ich ihnen regelrecht entgegenfiebere. Bei jeder anderen Kundin ist es eine Qual für mich zu den Treffen zu gehen, sträubt sich jede Faser in mir, doch bei ihr kann ich es kaum erwarten. Nach dem warum wage ich mich selbst nicht zu fragen, auch wenn die Antwort auf diese Frage wie ein Damoklesschwert über mir schwebt. Kapitel 30: Mangelnde Perfektion -------------------------------- 30. Robin Mangelnde Perfektion Ein Herz das rast, der Körper bebt vor Anstrengung, als wäre die Person ein weites Stück gerannt oder schnell gelaufen. Und obwohl ich die Augen nicht sehen kann, die Kleidung eine ganz andere ist, so weiß mein Herz doch sofort, dass es nur Ryo sein kann, der soeben die Bar betreten hat. Woher ich das weiß? Ich weiß es nicht, ich fühle es. Fühle wie mir warm wird, mein Körper wie von Hitze umfangen, meine Wangen sicher leicht gerötet. Aber auch eine Art Schamgefühl begleitet diesen Augenblick, denn auch wenn ich weiß wie ich fühle, niemand sonst tut es, oder? Er ist hierhergekommen um sich mit mir zu treffen, mit mir allein. Kein Telefonanruf bei einer Agentur war dafür vorher von Nöten, kein Gespräch mit einer dritten Person, um dieses Zusammenkommen zu arrangieren, Blicke allein genügten. Doch so schmeichelhaft dies im ersten Moment auch klingen mag, spätestens jetzt weiß auch er, dass er mehr als bloß eine nette Verabredung für mich ist, ich ihn nicht nur deshalb bezahle, weil ich nicht allein meine Freizeit verbringen möchte. Und was ist mit June? Sie weiß, dass er ein Callboy ist und jetzt eigentlich nicht hier sein dürfte. Sie mag augenscheinlich etwas überdreht und dadurch unaufmerksam wirken, aber diese Beschreibung wird ihr bei genauerer Betrachtung nicht gerecht. Und zuletzt bleibt auch noch die bange, aber hoffende Frage in mir zurück, ob Ryo aus eben dem gleichen Grund um dieses Treffen bat oder doch nur, um die Fronten zu klären. Oder will er lediglich dafür sorgen, dass er eine seiner Stammkundinnen nicht verliert? Wie viele mag er eigentlich haben? Eine? Fünf? Zehn? Spielt die genaue Zahl überhaupt eine Rolle? Ich mag ihn mir nicht vorstellen, umringt von vielen schönen Frauen, die ihn alle begehren und umgarnen. Ob er zu allen nein sagen kann? Hat er nicht auch seine Schwächen? Im Grunde ist er doch auch bloß ein Mann, nicht mein Mann. Aber selbst ein Eheversprechen ist ja heutzutage nichts mehr wert, das musste ich am eigenen Leib erfahren. Das kurze körperliche Vergnügen drängt alle anderen Wertigkeiten in den Hintergrund, als gäbe es nichts Wichtigeres. Ist es nicht so? Wie soll ich denn je wieder Vertrauen fassen können? Meine Befürchtungen bündeln sich zu einem Kloß in meinem Hals, nehmen mir die Luft zum Atmen, verstärkt durch das peinliche Gefühl in mir, dass Ryo längst wissen könnte, weshalb ich seiner Einladung ins Stars gefolgt bin. Idiotisch, nicht wahr? Bedingt es nicht die Logik der Dinge, dass er meinen geheimen Wunsch erst kennen muss, um diesen auch erfüllen zu können? Und trotzdem verhalte ich mich dermaßen irrational, dass ich mich selbst ohrfeigen möchte. „Na so was, wo kommt der denn so spät noch her? Er wird sich ja wohl kaum verlaufen haben.“ Irritiert blicke ich June ins Gesicht, die lässig an der Theke lehnt und mich frech angrinst. Ich fühle mich ertappt. Jetzt sind meine Wangen bestimmt mehr als bloß leicht gerötet. Als würde mein Gesicht brennen, so heiß fühlt es sich an. Dennoch gleitet mein Blick zurück zu Ryo, der unumgänglich auf mich zukommt und dabei sein schwarzes Kopftuch abzieht. Sein grünes Haar wirkt leicht zerzaust, so dass ich unweigerlich an den kleinen Diego denken muss und sich mir die Frage aufdrängt, wer gerade auf ihn aufpasst. Dass die beiden sich aber auch derart ähnlich sehen… Kleine Bilder schieben sich in meinen Kopf, Szenen die nie existierten, denen ich aber am liebsten glauben möchte. Ryo und ich, wir zwei allein, wie wir lachen und reden, unbefangen. Mal befindet sich Diego an unserer Seite, dann gehört die Szene wieder nur uns. Verspielt, intim, ernsthaft. Sehnsucht steigt in mir auf, die mich fast mein Umfeld vergessen und ihm entgegenlaufen lässt. Aber es ist mein Schamgefühl das mich zurückhält und die Ungewissheit wie er auf mein überstürztes Handeln reagieren würde. Zudem hege ich die Befürchtung, dass mir der Alkohol ein wenig die Sinne vernebelt hat. Oder ist es einfach nur der Anblick, der sich mir bietet? Breite Schultern, schmale Hüften, Muskelpartien in ihrer schönsten Form und eine Jeans, die zwar nicht mehr allzu neu ist, aber gerade deshalb sehr aufregende Unterbrechungen ihres Stoffes aufweist. Wie viele Löcher das wohl sind? Eins, zwei…drei…vier, fünf… „Hallo, mein Süßer! Was treibt dich so spät noch hierher?“ Übermütig springt June Ryo in die Arme und drückt ihm einen Kuss auf die Wange, ganz so, als hätte sie den lieben langen Abend nur darauf gewartet, dass er endlich zu ihr kommt. Und so langsam aber sicher keimt in mir der Verdacht, dass sie ihn besser kennt, als ich zuerst dachte. Nicht in dem Sinne, dass sie einmal mit ihm zusammen gewesen ist, aber es liegt eine besondere Art der Vertrautheit zwischen ihnen. Was sie wohl verbindet? „Komm und setz dich zu uns. Robin und ich gönnen uns gerade ein paar Drinks.“ Sie schiebt Ryo vorwärts, drängt ihn regelrecht sich zu uns an die Bar zu setzen; er folgt widerstandslos. Aber ich wäre auch sehr enttäuscht von ihm gewesen, hätte er mich nun ignoriert oder wäre auf unnötig große Distanz zu mir gegangen. Wir haben uns schon oft getroffen, haben über Gott und die Welt gesprochen, hatten Spaß, aber auch ernste Momente. Man kann sogar behaupten, dass wir uns recht gut kennengelernt haben, auch wenn ich weiß, dass Ryo im Endeffekt mehr über mich weiß als ich über ihn. Doch allein die Tatsache, dass ich seinen kleinen Sohn kennenlernen durfte, diese infantile Zeichnung auf meinem Schreibtisch nahezu jeden Tag betrachte, lässt mich hoffen, dass Ryo und mich ein wenig mehr verbindet als ein paar alkoholhaltige Drinks in einer Bar über den Dächern der Stadt. „Was darf ich euch zu trinken anbieten?“ June beugt sich weit über den Tresen, präsentiert freizügig ihr Dekolleté, dass ich einen Moment lang wie versteinert in ihren Ausschnitt starre. Muss sie sich derart schamlos gegenüber Ryo zeigen? Demonstrativ hebe ich meinen Blick und wende mich Ryo zu, der mich zu meinem Erstaunen ebenfalls direkt ansieht. Aber es ist mir nicht unangenehm hier mit ihm zu sitzen, unverhohlen in seine Augen zu blicken, in denen ich Erleichterung erkennen kann. Aber er wirkt auch ein bisschen erschöpft, die Haare leicht zerzaust, nicht perfekt gestylt wie sonst. Und wenn man es genau nimmt, so ist unser ganzes heutiges Zusammentreffen alles andere als perfekt. Zum ersten Mal seit langer Zeit war ich auf die Begegnung mit ihm nicht vorbereitet, konnte mich nicht für ihn zurechtmachen oder mir überlegen, wie ich den Abend zusammen mit ihm verbringen möchte. Dennoch sitzt er nun neben mir, gekleidet in zerrissenen Jeans und einem ärmellosen Shirt, das ebenfalls schon bessere Zeiten gesehen hat. Er wirkt wie ein Student, ungebunden und eigen, dass ich mich selbst kurz an meine eigene Studentenzeit erinnert fühle und ich mir wünsche, ich wäre ihm zu jener Zeit auf dem Campus begegnet. Hätte ich ihn damals schon gekannt, wäre ich vielleicht nie mit Zero zusammengekommen. Doch die Vergangenheit kann ich nicht mehr ändern, geschehen ist geschehen. Aber sowohl Gegenwart als auch Zukunft gehören mir, ich habe es in der Hand und ich möchte diese Chance nicht ungenutzt verstreichen lassen. Aber wie anfangen? Zumal wir nicht alleine sind, June ist schließlich ebenfalls noch da und erweckt in mir auch nicht gerade den Eindruck, als hätte sie es besonders eilig woanders hinzugehen. Ich möchte sie ja auch nicht vergraulen, sie ist eine liebenswerte, wenn auch verrückte Person mit dem Herz am richtigen Fleck, aber ein klein bisschen Privatsphäre wäre mir momentan einfach lieber. Zwar hat mir ihre vorherige Bemerkung deutlich gezeigt, dass sie hinter dem heutigen Treffen zwischen Ryo und mir mehr vermutet als es im ersten Moment den Anschein erweckt, so möchte ich sie dennoch nicht an diesem Gespräch teilhaben lassen. Es fällt mir schon schwer genug Ryo gegenüberzutreten, aber mit June als Zuhörer werde ich es mich wohl nie trauen ihn auf unser Verhältnis zueinander anzusprechen. Doch wie sooft im Leben nützt es nichts sich den Kopf bereits im Vorfeld zu zerbrechen, denn es kommt ohnehin anders, als man es sich vorher ausgemalt hat. Ryo verlässt den Platz neben mir, um sich hinter dem Tresen neben June zu lehnen, die mich noch immer erwartungsvoll ansieht. „Willst du heute den Barkeeper für uns spielen?“, meint sie aber schließlich zu ihm und grinst ihn frech von der Seite an. „Für dich nicht“, entgegnet er und grinst zurück, was sie für einen kurzen Augenblick zu irritieren scheint. Ist das Sorge in ihrem Blick? Doch er legt einfach seinen Arm um sie, zieht sie ein Stück näher an sich heran, dorthin, wo ich jetzt eigentlich gerne sein würde; nah an seinem Herzen. Leider scheint ihm am heutigen Abend jede andere Frau näher zu sein als ich. „Anstatt fremde Frauen anzuflirten, solltest du lieber zu Jessy gehen, bevor sie dir zu Hause wieder eine Szene macht. Du weißt doch, wie eifersüchtig sie sein kann.“ „Na gut, aber…“ Aufmerksam mustert June ihr Gegenüber, ehe sie sich dazu entschließt seinen Worten Folge zu leisten. Stumm blicke ich ihr nach, sehe wie sie sich zwischen den Tischen und Gästen zu ihrer Freundin durchschlängelt, aber nicht ohne sich noch einmal kurz zu uns umzudrehen. Habe ich das jetzt richtig verstanden, June und Jessy sind ein Paar? Ein bisschen beneide ich June in diesem Augenblick, denn im Gegensatz zu mir hat sie jemanden gefunden der sie liebt, der für sie da ist und ihr ein offenes Ohr leiht, wenn sie Sorgen hat. Es gibt nichts wertvolleres als einen Menschen an seiner Seite zu wissen, der den gleichen Weg beschreitet wie man selbst. Doch was tue ich? Verschenke mein Herz an einen Callboy, der für jede Frau gegen Geld ein nettes Lächeln übrig hat. Nicht gerade die idealen Voraussetzungen für eine ernsthafte Beziehung. Aber ich bin auch nicht gewillt so schnell aufzugeben, würde gerne wissen wie er denkt und fühlt, was hinter seiner Fassade steckt, denn ich möchte nicht glauben, dass ich ihm völlig egal bin, schließlich wird er nicht jeder seiner Kundinnen heimlich einen kleinen blauen Stern zustecken, während er sich gerade mit einer anderen trifft. Wieder sehe ich ihn an, beseelt von der festen Absicht endlich mit der Sprache rauszurücken. Doch meine Augen haften wie gebannt auf dem Shaker, den Ryo durch die Luft wirbelt, um ihn anschließend wieder aufzufangen; meine Gedanken wirbeln mit ihm. Rauf und runter, immer wieder, bis die Karussellfahrt in zwei schmalen hohen Gläsern ein Ende nimmt. Es wird das erste Mal sein, dass wir beide den gleichen Cocktail trinken, den sogar er für uns zubereitet hat. Banal, nicht wahr? Und vielleicht mag ja der Grund meines Hierseins ebenfalls banal erscheinen, aber ich möchte endlich Klarheit. Möchte keine Lügen, keine Tricks, keine Show, nur die reine Wahrheit, egal wie bitter sie auch sein mag. Aber allein schon die Möglichkeit, dass dieser Abend anders enden könnte als ich es mir gerne vorstellen würde, versetzt meinem Herzen einen Stich. Es mag egoistisch klingen und vielleicht ist es das sogar auch, aber ich möchte endlich wieder etwas mehr Spaß und Freude in mein Leben bringen und Ryo würde ich dabei gerne an meiner Seite haben. Doch wie sieht er das? Verstohlen beobachte ich ihn, sehe wie er wieder Ordnung schafft hinter der Bar, bevor er unsere Gläser hübsch arrangiert und wieder auf meine Seite des Tresens kommt und auch neben mir Platz nimmt. Stumm stoßen wir an, dann probiere ich. Alkoholfrei? „Ich dachte, für ein klärendes Gespräch wäre ein klarer Kopf am besten.“ „Ja…“ antworte ich leise, denn aus einem mir unbeschreiblichen Grund klingen seine Worte schon jetzt wie die Ankündigung meiner Niederlage. Meine kleine Seifenblase zerplatzt, ebenso wie das Bild von Ryo und mir in meinem Kopf. „Wird Sina dich nicht vermissen, solange du hier bist?“ Es klingt verletzt und ich fürchte, dass er das auch sofort bemerkt hat, ebenso wie die eigentliche Frage hinter meiner verbalen Trotzreaktion. „Niemand wird mich vermissen. Marc und Pierre widmen sich voll und ganz Sina Catrell, die Reporter vor dem Hoteleingang werden die passende Story für die morgigen Nachrichten dazu schreiben und ich habe mich wie ein Dieb in der Dunkelheit davongemacht. Oder glaubst du, dass ich jemandem in meinen Alltagsklamotten aufgefallen bin?“ Er seufzt. „Robin, hör zu. Dieser ganze Abend diente einzig und allein dem Zweck Sina’s Image ein wenig aufzupolieren und ihrer Karriere neuen Schwung zu geben. Morgen wird sich jeder an die schillernde Fotografin erinnern, die mit drei Männern ein Verhältnis hat, an ihre langweiligen Fotos wird dabei niemand denken. Aber ich hatte wenigstens gehofft, dass du dieses ganze Theater durchschauen würdest. Es tut mir leid, wenn dich mein Verhalten verletzt hat, aber in jedem Job gibt es nun einmal Dinge die man tun muss, auch wenn man persönlich nicht dahintersteht.“ „Wieso suchst du dir dann keinen anderen Job? Ryo, ich…ich ertrage das einfach nicht länger. Im Grunde war mir immer klar, dass ich nicht die einzige Frau bin mit der du dich triffst, aber heute Abend bin ich einfach an meine Grenzen gestoßen.“ „Bitte, versuch die ganze Angelegenheit objektiv zu betrachten, denn-“ „Ich kann in deiner Nähe aber nicht objektiv bleiben, es zerreißt mich innerlich! Jedes Treffen mit dir freut und betrübt mich inzwischen gleichermaßen. Zurzeit gibt es für mich nichts schöneres als mich mit dir zu treffen, mit dir zu reden, deine Nähe zu wissen, aber ich darf dabei nicht daran denken, dass du am nächsten Abend einer anderen gehören wirst.“ „Es tut mir leid.“ „Es tut dir leid. Hast du nichts anderes dazu zu sagen? War es das jetzt?“ Wie konnte ich nur so naiv sein und glauben, durch dieses Treffen würde sich mein Leben positiv verändern? „Was willst du hören?! Denkst du, wenn ich dir sagen würde, wie viel du mir bedeutest, wären alle Probleme aus der Welt geschafft?! Denkst du wirklich, dass es so einfach ist?!“ „Ryo, ich-“ „Ich habe es verdammt nochmal satt! Ryo hier, Ryo da! Ryo existiert nicht! Er ist lediglich eine Rolle die ich spiele. Am liebsten würde ich den ganzen Mist hinschmeißen und neu anfangen, aber…!“ Überrascht sehe ich in seine Augen, sehe seine Verzweiflung, aber auch tiefe Wut. Trotzdem scheint er sich darum zu bemühen seinen Gefühlsausbruch unter Kontrolle zu halten, doch die Erschöpfung ist ihm anzusehen. „Aber du warst doch auf dem College, du bist noch jung, du findest einen anderen, einen besseren Job.“ Er lächelt bittersüß. „Nichts wäre mir lieber…“ Niedergeschlagen wirkt sein Blick, ja seine ganze Körperhaltung, als hätte er sich selbst schon aufgegeben. Und das überrascht mich! Ryo wirkte auf mich immer selbstbewusst und zielsicher, als könne ihm niemand etwas anhaben. Doch nun sehe ich das Bild eines hilflosen jungen Mannes, der sein Leben alles andere als im Griff zu haben scheint. „Was sollte dich daran hindern? Alvida wird dich schlecht zwingen können, weiterhin für sie zu arbeiten.“ Es gibt verschiedene Blicke die man untereinander austauschen kann, von freudig bis traurig, enttäuscht oder zufrieden, und eben diese Art Blick, mit dem ich mich gerade konfrontiert sehe. Als hätte ich unerlaubt eine Grenze überschritten hinter der sich etwas befindet, dass ich nicht hätte sehen sollen. Etwas, das auch ich nicht erwartet hätte. Tausend Gedanken strömen gleichzeitig in mein Bewusstsein von denen ich dachte, ich hätte sie längst vergessen, weil ich sie nicht ernst genommen habe. Jetzt fordern sie dafür umso mehr meine Aufmerksamkeit. ~Du musst ganz schön verzweifelt sein. Und er erst! Aber es ist ja bekannt, dass diese Typen sich nur mit euch alten Schachteln abgeben, weil sie dazu gezwungen werden. Freiwillig würde so einer dich doch niemals anfassen!~ ~Er ist ein Mensch mit den gleichen Rechten wie wir alle, kein Zuchtbulle. - Ach ja?~ ~Was für einen Grund könnte es schon für jemanden wie mich geben, sich zu diesem Job zwingen zu lassen?~ Augenblicklich wird mir schlecht. Mein Kreislauf fährt Achterbahn, begleitet von Bildern, die meine schlimmsten Befürchtungen nur noch verstärken. Hilflos suche ich Halt am Tresen, aber woran festklammern? Ryo’s starke Hand an meinem Rücken, ein Blick in seine Augen, erst jetzt finde ich den Weg in die Realität wieder, sehe mich aber auch mit allen Tatsachen konfrontiert. Sie zu leugnen wäre jedoch zwecklos. „Warum hast du mir nicht gesagt, dass man dich erpresst?“, keuche ich fast. Es ist eine Sache etwas zu erahnen, aber eine andere sie auszusprechen. Und auch an dem Gesichtsausdruck meines Gegenübers ist deutlich zu sehen, dass ich einen wunden Punkt getroffen habe. Es ist also wahr… „Wovon…wovon redest du eigentlich?“ Sein Lächeln war noch nie so falsch wie in diesem Moment und das verletzt mich ein wenig, denn ich hatte gehofft, dass wir heute Abend ehrlich zueinander sein würden. Aber war das nicht bevor ich wusste, wie es um ihn steht? „Geht es Diego gut?“, frage ich ihn deshalb, möchte am liebsten die Wahrheit aus ihm herausziehen. Es ist ehrliche Sorge die mich dazu treibt und die mich auch gleichzeitig verletzt auf sein mangelndes Vertrauen reagieren lässt. „Was hat das mit ihm zu tun?“ Er stellt sich unwissend, aber an seinem kurzen prüfenden Blick den er mir zuwirft erkenne ich, dass ich recht habe. „Wir hatten schon mal die gleiche Diskussion, weil ich damals die Befürchtung hegte, dass du nicht freiwillig den Callboy spielst. Du hattest mich gefragt, was für einen Grund es geben könnte dich zu diesem Job zu zwingen, aber mir viel keiner ein. Jetzt sehe ich das ein bisschen anders, jetzt, da ich den kleinen Diego kenne. Ich könnte mir vorstellen, dass die Liebe zum eigenen Kind jeden in die Knie zwingt, ihn dazu bringt Dinge zu tun, die er sonst nie tun würde. Habe ich recht?“ Für einen kurzen Moment schweigt er, sieht mich nur prüfend an, ehe er sich entschließt mir eine Antwort zu geben: „Würde es etwas ändern, würde ich dir sagen, dass du recht hast?“ Kapitel 31: Wetterfühlig ------------------------ Ich glaube, mein Sadismus ist zurück. Ich hoffe, es gefällt euch ;) LG 31. Nami Wetterfühlig Sanfter Westwind, gerade richtig, um sich ein wenig von der schwülen Hitze des heutigen Tages zu erholen und vor allem, um ein Gläschen trockenen Rotwein auf der Dachterrasse zu genießen. Gemütlich lehne ich mich in meinem Liegestuhl zurück, strecke die nackten Füße aus, um es mir so angenehm wie möglich zu machen. Ich greife nach meinem Weinglas, schwenke ein wenig die rote Flüssigkeit darin, nur um in den vollen Genuss des duftenden Bouquets dieses herrlichen Merlots zu kommen. Hmm...perfekt. Vorsichtig nippe ich an dem rassigen Franzosen, schließlich soll mir kein Tröpfchen unprobiert entkommen. Ich merke schon, unter drei Gläsern Wein gehe ich heute Abend nicht ins Bett. Egal, morgen muss ich erst gegen Nachmittag im Fernsehsender sein. Mal sehen, ob die anderen auch ohne mich zurecht kommen. Nein, am besten gar nicht erst daran denken, das geht nun wirklich zu weit, schließlich habe ich Feierabend! Den ich mir wohlbemerkt mehr als verdient habe. Demonstrativ richte ich meinen Blick nach vorne, sehe über das Geländer hinüber zu den anderen Häusern. Zum Glück ist es heute Abend relativ ruhig, nicht wie in den letzten beiden Tagen, als in die Wohnung unter mir neue Mieter eingezogen sind. Zwar habe ich Verständnis dafür, wenn bei einem Umzug etwas mehr Lärm als üblich verursacht wird, aber dennoch bin ich froh, dass nun wieder Ruhe eingekehrt ist. Bohrmaschinengesänge und Hammerschläge gehören nun mal nicht gerade zu meiner Lieblingsmusik. Es klingelt. So viel zum Thema Ruhe. Einen Moment spiele ich sogar mit dem Gedanken einfach so zu tun als sei ich gar nicht zu Hause, aber da ich im Grunde meines Herzens ein neugieriger Mensch bin und es mir zudem nie verzeihen könnte, wenn ich jemandem die Tür nicht geöffnet hätte der ein dringendes Anliegen an mich hat, entschließe ich mich doch dazu nachzusehen. So stelle ich mein Weinglas zur Seite, ebenso die Aussicht auf einen Abend allein mit meinem Merlot und begebe mich zurück in meine Wohnung. Mit dem Gedanken hoffentlich keinen Vertreter vor der Haustür stehen zu haben, nehme ich den Hörer der Sprechanlage ab und frage gleichgültig: „Ja, bitte?“ „Ich bin es, Robin.“ Robin? Verdutzt blinzle ich die weiße Wand vor meinen Augen an, während ich weiter der Stimme meiner besten Freundin lausche: „Ich war zufällig in der Gegend und…hast du einen Moment Zeit für mich?“ „Klar, komm rauf!“, rufe ich in den Hörer und drücke beinahe gleichzeitig den Knopf, damit Robin den Hausflur betreten kann. Warum sie wohl vorbeigekommen ist? Sie sagte zwar sie sei zufällig hier, aber das kann ich mir aus verschiedenen Gründen nicht vorstellen. Zum einen ist sie ein Mensch der gerne die Dinge plant, die er unternimmt, d.h. sie ist eher wenig spontan und zum anderen, was sollte sie schon in dieser Gegend zufällig gewollt haben? Sie wird sich ja wohl kaum die Betonbauten angesehen haben, um dort nach verborgenen Kunstschätzen zu graben. Ich werde wohl einfach abwarten müssen, vielleicht ist sie ja doch aus einem ganz bestimmten Grund hier und nicht bloß zufällig. Es lebe meine Neugier! Das untrügliche Quietschen der Fahrstuhltür kündigt mir an, dass Robin auf meiner Etage angekommen sein müsste, dennoch werfe ich zuerst einen prüfenden Blick durch den Spion, ehe ich ihr die Tür öffne. Und wie ich sie da so stehen sehe wird mir klar, dass sie ganz sicherlich nicht rein zufällig hier ist. Ich umarme sie kurz zur Begrüßung bevor ich ein Stück zur Seite trete, um sie in meine Wohnung zu bitten. „Ich störe dich doch hoffentlich nicht.“ „Du doch nicht. Ich saß eh bloß auf der Terrasse und hab den Wind genossen.“ Sie nickt wissend. „Komm, setzen wir uns nach draußen. Möchtest du auch ein Gläschen Rotwein?“ Sie schüttelt aber lediglich leicht den Kopf. Ich kenne Robin nun schon seit der Highschool, als sie damals Schulsprecherin war und ich wie alle anderen Schüler sie für ihre Leistungen bewunderte. Und auch wenn sie ganze sechs Jahre älter ist als ich, haben wir uns damals schon gut verstanden. Sie half mir in der Schule, weil ich während meiner Pubertät lieber andere Dinge im Kopf hatte als zu Lernen. Aber, oh Wunder, sie hat das Wissen dennoch in meinen sturen Schädel bekommen, so dass es wohl nicht untertrieben wäre zu sagen, dass ich ihr zu verdanken habe was heute aus mir geworden ist; eine zugegebenermaßen recht erfolgreiche Wetterfee, wie mich meine Kollegen gerne nennen. Ich weiß auch nicht, weshalb ich mich damals von Nojiko breitschlagen ließ, ausgerechnet von der Schulsprecherin Nachhilfeunterricht anzunehmen. Vielleicht auch deshalb, weil Robin schon immer mehr wusste als man in einem einfachen Schulbuch finden konnte und es sich dabei auch um die wesentlich interessanteren Fakten handelte. Und auch jetzt, als Dozentin für Archäologie und Völkerkunde weiß sie ihre Studenten zu begeistern, so dass ihre Vorlesungen stets gut besucht sind. „Stör dich bitte nicht an meiner Unordnung, hatte leider weder Zeit noch Lust aufzuräumen.“ Entschuldigend lächle ich sie an, während ich sie gleichzeitig Richtung Dachterrasse schiebe, vorbei an meinen Karten und Zeichenutensilien. Dass ich aber auch einfach keine Ordnung halten kann. Eine Sache, die mir bis jetzt noch keiner beibringen konnte. Gemeinsam gehen wir nach draußen, denn wenigstens hier regiert das Chaos nur stellenweise und ich muss mich nicht ganz so für meinen Saustall schämen. Es wird allmählich doch unumgänglich sein, dass ich einmal gründlich aufräumen muss, so dass wenigstens für ein paar Tage wieder Ordnung herrscht. „Tee, Kaffee, Wasser?“ Doch Robin reagiert gar nicht auf mein Angebot, lässt sich stattdessen auf einem der Plastikstühle nieder, zusammengesunken wie ein Häufchen Elend. Und wenn mich meine Menschenkenntnis nicht trübt, zumal ich Robin auch schon etwas länger kenne, dann würde ich fast sagen, dass sie im Moment schwer mit sich kämpft nicht augenblicklich in Tränen auszubrechen. Ein seltenes Bild. Was mag wohl passiert sein? Immerhin ist normalerweise ein mittleres Erdbeben notwendig, um sie einzuschüchtern oder aber Zero! „Ist der Fettsack wieder bei dir aufgetaucht?“ Augenblicklich spüre ich einen kalten Luftzug im Nacken, so wie früher, als Nojiko mir stets einen kleinen Hieb auf den Hinterkopf gegeben hat, wenn mein Mund mal wieder schneller als jede Form des guten Benehmens war. Zum Glück kennt Robin mich gut genug um zu wissen, dass stets die Sorge um meine Freunde bzw. Familie Auslöser für derartige verbale Ausrutscher sind. Entschuldigend lächle ich sie an, merke aber schnell, dass sie mit ihren Gedanken woanders zu sein scheint. Unnatürlich groß wirken ihre traurigen Augen in ihrem müden Gesicht, als hätte sie tagelang nicht geschlafen. Vermutlich hat sie das auch nicht, nehme ich an, so dass unweigerlich die Wut wieder in mir aufsteigt. Sollte es Zero wagen sie je wieder zu belästigen…ich glaube, diesmal würde ich mich nicht beherrschen können und würde ihm sein dämliches Grinsen aus seiner Visage kratzen! Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern als Robin sich tagelang nicht blicken ließ, sich vergrub und ich schon dachte, ich hätte etwas falsches getan, sie beleidigt, bis ich dahinterkam, dass er sie geschlagen hatte und sie sich nicht auf die Straße traute. Zum Glück gehört sie nicht zu den Frauen, die sich das lange bieten lassen. Sie warf ihn raus, besonders da sie auch dahinter kam, dass er noch andere Frauen neben ihr…na ja, beglücken kann man nicht sagen, schließlich muss er dafür diese blauen Pillen nehmen. Oh, was bin ich heute wieder garstig! „Nami?“ „Ja?“ „Warst du schon mal verliebt? Ich meine wirklich verliebt, keine Schwärmerei.“ „Klar!“ Ich lache, schließlich bin ich dann meist noch chaotischer als sonst! „Du etwa nicht?“, frage ich sie und lasse mich in meinen Liegestuhl fallen. „Ich glaube nicht.“ Zum Glück sitze ich bereits, andernfalls wäre ich umgefallen. „Wie, du glaubst nicht? Du wirst doch schon mal in deiner Pubertät in irgend so einen Neandertaler zwei Klassen über dir verschossen gewesen sein!“ Sie schüttelt den Kopf und entgegnet mir: „Natürlich fand ich schon mal den ein oder anderen Mann…attraktiv, aber es war nie so stark, dass es mir den Boden unter den Füßen weggerissen hat. Weißt du, was ich meine?“ Ich fass es nicht! Das ist doch das normalste auf der Welt, direkt nach Essen und Trinken! Schlafen vielleicht noch, aber sonst? „Was war mit Zero? Ich für meine Bedürfnisse habe mich eh immer gefragt, wie du den heiraten konntest, wollte dir sogar schon eine Brille zur Hochzeit schenken. Liebe war es ja nun offensichtlich nicht.“ „Nein, es war…ich denke Einsamkeit.“ „Als ob nicht genügend andere Männer an dir interessiert gewesen wären.“ „Aber gezeigt hat es mir sonst keiner.“ Sie hat recht. Robin übersprang im Laufe ihrer Schullaufbahn mehrere Klassen, in der Grundschule angefangen! Sie promovierte mit Anfang zwanzig und war Ende zwanzig die jüngste Professorin im ganzen Bundesstaat, wenn nicht sogar in den ganzen Staaten. Aber Erfolg macht eben auch einsam. Sie hatte viele Neider und nicht selten wurde erzählt sie hätte ihren Erfolg durch Gefälligkeiten erlangt. Wer sie wirklich kennt weiß, dass das nicht wahr ist. Frauen, die sich hochgeschlafen haben, glänzen auch nicht vor ihren Studenten mit Wissen, eher mit einem tief ausgeschnittenen Dekolleté. Sie könnte sogar beides. „Und wie ist es jetzt?“ Ich traue mich kaum sie das zu fragen, sieht sie doch noch immer recht unglücklich aus. Dennoch scheint sie ja gerade deshalb zu mir gekommen zu sein, weil sie meinen Rat sucht. „Ich habe mich noch nie so leer gefühlt. Alles wirkt bedeutungslos, als würde ich nicht leben, sondern lediglich meine Zeit verschwenden. Das ist doch verrückt! Ich habe so viel erreicht, habe Erfolg der endlich auch anerkannt wird, aber… Verstehst du mich?“ „Du weißt doch, Männer und Wetter, das sind meine Spezialgebiete. Und jetzt komm her.“ Ich richte mich auf, schaffe Platz auf der Liege und bedeute ihr sich neben mich zu setzen. Heute werde ich für sie da sein. „Besser nicht, sonst fange ich noch an zu weinen.“ „Na und? Heute darfst du dich mal ausheulen. Na komm schon.“ Einen Moment zögert sie noch, aber die Last auf ihren Schultern scheint für sie allein zu groß zu sein, weshalb sie sich dennoch dazu durchringt sich neben mich zu setzen, um von mir in den Arm genommen zu werden. „Ich nehme nicht an, dass es sich bei dem Glücklichen um einen deiner Kollegen von der Uni handelt?“ Als ob ich die Antwort darauf nicht wüsste. Sie schüttelt den Kopf. „Es ist-“ „Nein, sag es nicht, ich weiß es auch so.“ Überrascht blinzelt sie mich an, dass ich schon wieder leicht grinsen muss. Es mag ja sein, dass sie älter und klüger ist als ich, aber in manchen Dingen mangelt es ihr einfach an Lebenserfahrung. „Weißt du, seit Wochen erzählst du mir bei unseren Mittwochstreffs von nichts anderem mehr als von Ryo. Ryo hat dies gesagt, Ryo hat das gesagt und so weiter und so fort. Und da du keinen anderen Mann mehr auch nur in die Nähe deines Herzens gelassen hast, war es nur eine Frage der Zeit, bis du erkennen würdest, dass du bis über beide Ohren in diesen Callboy verknallt bist.“ Sie nickt. „Hast du mit ihm darüber gesprochen?“ Wieder nickt sie und nun kann sie die Tränen nicht mehr aufhalten. Weinend halte ich sie im Arm, spüre ihre Schultern beben, dass ich selbst sogar die ein oder andere Träne weinen möchte. Es ist meine Schuld. Man spendiert keiner einsamen Frau einen muskelbepackten Womanizer, das bringt nur Unglück. Das nächste Mal schenke ich ihr wieder Blumen zum Geburtstag, da kann ich wenigstens nichts falsch machen! „Männer sind eben blöd, das weißt du doch.“ versuche ich es, doch sie schüttelt den Kopf. „Das ist es nicht.“ Langsam scheint sie sich wieder zu beruhigen, zumindest sehe ich keine neuen Tränen über ihr Gesicht rollen als sie sich von mir löst. Doch in ihrem Blick liegt etwas, das ich nur schwer deuten kann oder eher will. Zögert sie etwa? Ich meine in dem Sinne, dass sie überlegt mir die Wahrheit zu erzählen. „Sondern? Was ist es dann?“, bohre ich ein wenig nach, denn die Neugier hat mich gepackt. „Na ja,…also, es ist…“ Sicherlich hat mein ganzes Gesicht inzwischen die Züge eines einzigen großen Fragezeichens angenommen, bis mir ein Verdacht wie ein Pfeil in den Sinn schießt. „Habt ihr was miteinander!?“ Erschrocken über mein eigenes Stimmvolumen schlage ich mir die Hand vor den Mund, schließlich möchte ich auch nicht, dass meine Probleme durch die ganze Nachbarschaft gebrüllt werden. „Nein, nein…nur…“ „Nur was?“ Ich platze gleich vor Neugier! „Ich…“ Kurz sieht sie sich um, ehe sie entschlossen nach meinem Weinglas greift und einen großen Schluck daraus nimmt. Muss sie sich etwa Mut antrinken? „Jetzt lass dir nicht wieder jeden Wurm einzeln aus der Nase ziehen, Robin! Habt ihr euch wenigstens geküsst?“ Ein wenig wiegt sie ihren Kopf hin und her, hebt erneut das Glas, ehe sie antwortet: „Nein, das nicht, aber im Grunde hätten wir beide nichts dagegen gehabt.“ Und während sie ihre Verlegenheit in meinem Merlot ertränkt, beschleicht mich langsam ein Verdacht. „Ist er etwa ein Unfreier?“ Diesmal sieht sie mir fest in die Augen, versteckt sich nicht hinter dem langstieligen Glas, ehe sie nickt. „Ich dachte immer das Wort Unfreier stamme aus dem Mittelalter, aber im Grunde scheint dieses nie geendet zu haben. Nami, sei ehrlich, was weißt du darüber.“ Jetzt bin ich diejenige die zögert, aber Robin war ehrlich zu mir, so will ich es auch zu ihr sein, selbst wenn das bedeutet sie zu verletzen. „Sicher bin ich mir nicht, aber ich weiß, dass die Jungs vom Nachrichtenmagazin mal in diese Richtung recherchiert haben. Angeblich sollen die meisten dieser Callboys nicht freiwillig diesen Job machen. Es heißt, dass verschiedene Arten von Druckmitteln gegen sie eingesetzt werden würden, meist geht es wohl um Geld oder man bedroht sie, wie auch immer.“ „Aber warum geht keiner von ihnen zur Polizei? Als ich Ryo diesen Vorschlag unterbreitete sah er mich nur zweifelnd an.“ „Na ja, sagen wir mal bei uns im Sender lief es ähnlich.“ „Wie meinst du das, Nami?“ „Angeblich wurde nicht weiter nachgeforscht, nachdem unser Chef einen Anruf von ganz oben auf der Liste der Gesetzeshüter bekommen hatte und ihn kurz darauf eine sehr attraktive Frau besuchte. Wenn du weißt, was ich meine.“ „Du meinst, das ganze zieht weite Kreise?“ „Sehr weite Kreise.“ Wieder kann ich Tränen in Robin’s blauen Augen sehen, so dass ich mich beeile sie in den Arm zu nehmen. Ich wünschte, ich könnte ihr helfen. Na ja, vielleicht könnte ich sogar… Kapitel 32: Ratlos ------------------ Zuerst möchte ich mich bei euch entschuldigen, dass ich im vergangenen Jahr so wenige Kaps hochgeladen bzw. auch geschrieben habe. Ich hoffe, das ändert sich wieder. Immerhin, dies ist nicht das erste Kap das ich dieses Jahr hochlade und ich hoffe, es wird noch das ein oder andere folgen. Wenn nicht bei dieser ff, dann wenigstens bei einer der anderen beiden. Zum letzten Kap möchte ich sagen, dass ich verstehe, dass ihr etwas anderes erwartet hattet, ich übrigens auch, aber es wollte nicht so recht klappen. Nun hoffe ich aber, dass ich euch noch auf anderem Wege das präsentieren kann, was noch an diesem Abend passierte. Mal sehen. Dennoch, nicht in diesem Kap. Ich hoffe, ihr mögt es dennoch. LG Stoechbiene 32. Sanji Ratlos Wenn ich das Drehen des Schlüssels im Schloss höre, wie leise die Tür zu meiner Wohnung geöffnet und anschließend wieder geschlossen wird, dann erst beginne ich mich wirklich zu entspannen. Die Gewissheit, dass Zorro wohlbehalten zurückgekehrt ist, legt sich wie ein warmes Tuch um mein Herz. Dieser Job ist eben auch nicht ganz ungefährlich. Zum einen sind es die Männer, die den Callboys ganz gerne auflauern sobald sie herausgefunden haben, dass ihre Herzensdame sich mit einem solchen trifft, zum anderen sind es aber auch die Frauen, selbst die plötzlich gar nicht mehr lieb und nett sind, wenn sie nicht bekommen was sie wollen. Ich weiß wie es ist in solch einer Situation zu stecken; Alvida im Nacken, die nur an den Profit denkt und diese Frauen, die einen Callboy dazu drängen wollen ihnen mehr zu geben als vor dem Treffen vereinbart wurde. Es fällt nicht immer leicht nein zu sagen, trotz aller Prinzipien, denn das zusätzlich verdiente Geld ist ein weiteres winziges Stück, das die Freiheit ein klein wenig näherbringt. Nichts ist befreiender als Alvida das Geld auf den Tisch zu knallen, es ihr sprichwörtlich vor die Füße zu werfen und ihr anschließend zu sagen, dass sie zur Hölle fahren soll. Doch es gibt auch nichts Niederschmetternderes als dabei seinen besten Freund zurücklassen zu müssen. Ich hatte Glück, dass Jeff mich damals recht schnell auslösen konnte, auch wenn das für ihn bedeutete seinen Kredit, der auf dem Baratie lastete, aufstocken zu müssen. Natürlich würde ich jeden Cent mobilisieren den ich auftreiben kann, um Zorro ebenfalls freizukaufen, doch Alvida weiß um mein Vorhaben, weshalb sie Zorro’s Preis ordentlich in die Höhe treibt. Er ist ihr Vorzeigecallboy, attraktiv, gebildet, höflich, besitzt zudem Witz und Charme. Sie würde einen großen Verlust hinnehmen, der mit Geld kaum zu kompensieren wäre, sollte sie ihn eines Tages gehen lassen müssen. Die anderen Thirds blicken zu ihm auf, versuchen ihn sogar zu imitieren, denn dass er unter ihnen ihr Liebling ist steht außer Frage. So kann man zwar sagen, dass er von Glück reden kann nicht als Second arbeiten zu müssen, doch durch sein Engagement das er an den Tag legen musste, hat er sich selbst nahezu unentbehrlich werden lassen. Müde reibe ich mir über die Augen, möchte nicht länger diesen trübsinnigen Gedanken nachhängen, die mich ohnehin oft genug einholen. Mein Blick wandert zu den roten Ziffern meines Radioweckers die mir verraten, dass Zorro doch etwas auf sich warten lässt. Normalerweise braucht er nicht lange für umziehen und duschen, doch heute scheint er zu trödeln. Ob ich nach ihm sehen sollte? Einen Moment noch lausche ich der Stille, warte auf ein Geräusch das mir bestätigt, dass es Zorro gut geht, er sich vielleicht noch mit einer Flasche Bier vor den Fernseher gesetzt hat, um noch ein bisschen abzuspannen, doch nichts dergleichen dringt an mein Ohr. Möglichst leise erhebe ich mich von meiner Matratze, um Diego neben mir nicht zu wecken. Es reicht schon, wenn ich mich um einen Lorenor kümmern muss, zwei können mitunter recht anstrengend werden, besonders wenn einer von ihnen aus dem Schlaf gerissen wurde. Langsam tapse ich durch die Dunkelheit, betrete den kleinen Flur, in den ein schmaler Lichtstrahl aus dem Wohnzimmer fällt. Mein Appartement ist nicht allzu groß, etwas mehr als vierzig Quadratmeter, zwei Zimmer, Küche, Bad, ein kleiner Abstellraum, aber für einen überzeugten Single wie mich ausreichend. Als nach dem Tod von Kuina und ihrem Vater das Dojo auf die Bank überging um den Kredit auszulösen, nahm ich Zorro und Diego bei mir auf. Es war eigentlich eine recht nette Zeit, in der Zorro immer mehr in die Rolle einer jungen Mutter schlüpfte und ich als der Familienversorger arbeiten ging. Eine Patchworkfamilie der besonderen Art, könnte man sagen. Die Sache hatte nur einen Haken: Zorro benahm sich zwar mitunter wie eine Frau, aber er ist nun mal keine und wird vermutlich nie eine sein. Aber Zorro und ich lieben Frauen, keine Männer. Ich liebe ihren Duft, ihr Haar, ihre zarte Haut und natürlich all die schönen körperlichen Attribute, die sie von uns Männern unterscheiden. Zorro mag vielleicht den gleichen Brustumfang wie Pamela Anderson haben, aber das bestimmt nicht deshalb, weil er Körbchengröße E sein Eigen nennt, sondern er stahlharte Muskeln vorzuweisen hat. Ausgelöst durch meinen eigenen Vergleich ziert ein breites Grinsen mein Gesicht, das mich weiter dazu animiert beschwingt die Wohnzimmertür aufzudrücken, um Zorro mit einem freudigen: „Hallo, meine kleine Pamela!“ zu begrüßen. Doch die Worte bleiben mir sprichwörtlich im Halse stecken, als ich meinen Freund auf dem Sofa sitzend vorfinde. Auch wenn meine Augen sich noch nicht ganz an die Lichtverhältnisse angepasst haben, so lässt das wenige das ich sehe mich doch erahnen, dass nun eher mein Rat als mein Humor gefragt ist. Ein wenig blinzle ich, bis mein Blick wieder klar und deutlich wird. Kurz registriere ich Zorro’s leicht nasses Haar und seinen Short&T-Shirt-Look, eigentlich ein eindeutiges Indiz dafür, dass er auf dem Weg war sich schlafen zu legen. Etwas scheint ihn aufgehalten zu haben. Etwas? Eben die gleichen Gedanken die ihn immer plagen, wenn es um seinen Job geht. Für ihn stellt es jedes Mal eine enorme Überwindung dar zu einem dieser Treffen zu gehen und das, obwohl er sich nun schon vier Jahre mit diesem Thema konfrontiert sieht. Zudem wird das heutige Treffen bestimmt alles andere als angenehm für ihn gewesen sein. Zorro übt, trotz seiner Aversion, diesen Job äußerst gewissenhaft aus. Er ist eben in vielerlei Hinsicht ein Perfektionist, selbst wenn ihm sein eigenes Tun im Grunde widerstrebt. Aber gerade das ist auch der Grund, weshalb ihn diese Frauen so sehr begehren, weil er sich keine Schwächen erlaubt. Nun könnte man natürlich auf die Idee kommen und Zorro raten wollen sich bei seinen Verabredungen etwas weniger Mühe zu geben, doch wer Alvida kennt weiß sofort, dass sie dies nie zulassen würde. Es ist noch niemandem gut bekommen sich ihrem Befehl zu widersetzen und zu unserem Pech weiß sie ganz genau was zu tun ist, um Zorro gefügig zu halten. Folglich wird uns gar nichts anderes übrigbleiben, als ihr das Geld zurückzuzahlen. Schnell schiebe ich die trübsinnigen Gedanken zur Seite, denn wie soll ich jemanden aufheitern, wenn ich selbst niedergeschlagen bin? Ich verpasse mir geistig einen gezielten Tritt in den Hintern, ehe ich mich zu Zorro aufs Sofa lümmle und versuche ein Gespräch mit ihm anzufangen. Immerhin ist es nicht gewährleistet, dass er mir antworten wird. „Willst du darüber reden?“ Ein leises Brummeln, ein Seufzen, bevor mein Gegenüber murmelt: „Ich bin so ein Idiot.“ „Das mag dich jetzt vielleicht überraschen, aber das ist für mich keine Neuigkeit.“ Sein Blick verrät mir, dass ich ihn nerve. Gut so! Je unbeherrschter er wird, desto leichter ist es die Wahrheit aus ihm herauszubekommen. Außerdem verspüre ich nur wenig Lust dazu den Rest der Nacht damit zu verbringen ihm jedes Wort einzeln aus der Nase zu ziehen. „Was hast du angestellt, dass du dich selbst beleidigen musst?“ Er schweigt, doch er scheint über sein Problem reden zu wollen, andernfalls hätte er mich schon angeschnauzt. Vermutlich ringt er mit den Worten, scheint sich nicht sicher zu sein. Diesbezüglich ist Zorro ein waschechter Skorpion, vermutlich mit Aszendent Felsbrocken. Nur kein unnötiges Wort verlieren! Wörter stehen unter Naturschutz und der Umgang mit ihnen muss wohl überlegt sein! Zum Glück bin ich zu müde, um zynisch zu werden. „Manchmal kann ich es noch immer nicht fassen, dass Kuina tot ist, auch wenn ich schon so lange ohne sie zurechtkommen muss. Doch in letzter Zeit denke ich immer öfter über einen Neuanfang nach. Ich kann mich nicht ewig verkriechen, außerdem wird Diego mich irgendwann nicht mehr brauchen und was dann? Soll ich dann von einer Brücke springen und mir das Leben nehmen, weil ich keine Aufgabe mehr habe?“ Entsetzt starre ich ihn an, suche in seiner Mimik nach einem kleinen Hinweis darauf, dass er sich eben bloß einen Scherz erlaubt hat, aber ich finde keinen. „Ich möchte mein Leben wieder genießen, möchte Glück empfinden, ohne dabei Angst haben zu müssen, dass es mir jeden Moment wieder genommen werden könnte. Ich möchte nicht länger diese Rolle spielen, mich verstecken müssen. Wenn ich doch bloß einen Ausweg wüsste…“ Müde fährt er sich mit der Hand übers Gesicht, was ihn nur noch verzweifelter und hilfloser wirken lässt. Meine eigene Hilflosigkeit versetzt mir einen Stich. „Rein rechnerisch müsste ich noch etwas mehr als drei Jahre für Alvida arbeiten, um meine Schulden bei ihr zu tilgen. Sollte ich wirklich noch so lange den Callboy spielen müssen, könnt ihr mich hinterher in die Klappsmühle stecken.“ Entschlossen öffne ich meinen Mund, um Zorro zu widersprechen und ihn wieder aufzubauen, doch meine Worte verpuffen, noch bevor ich sie ausgesprochen habe. Es gibt nichts, dass ich für meinen Freund tun könnte und nett gemeinte Floskeln lassen eine ausweglose Situation nur selten besser werden. Fakt ist, Alvida will Geld sehen und das nicht gerade wenig. Es genügt ihr schon längst nicht mehr, dass Zorro ihr seine Schulden zurückzahlt, sondern sie verlangt von ihm außerdem die Summe die ein kinderloses Ehepaar für Diego geboten hatte. Hinzu kommt, dass diese alte Hexe nur zu gut weiß, dass Jeff und ich beabsichtigen Zorro so schnell wie möglich auszulösen, folglich für sie ein Grund mehr den Preis ordentlich in die Höhe zu treiben. Möge sie an ihrer Geldgier ersticken! Kapitel 33: Barkeeper --------------------- 33. Zorro Barkeeper Ich bin Jeff dankbar, dass er mich heute Abend für sich arbeiten lässt, das lenkt mich von meinen Problemen ab und auch das verdiente Geld kommt mir nicht ungelegen. Ich möchte Alvida so schnell wie möglich ihr Geld zurückzahlen, da kann ich jeden Cent brauchen. Jeder Tag, den ich weniger für sie arbeiten muss, ist ein Geschenk des Himmels. Der Großteil des Baratie wurde heute Abend für eine Festlichkeit gemietet, das heißt der hintere Saal und die kleine Terrasse mit angrenzendem Grünstreifen. Als Garten lässt sich dieses winzige Stückchen Rasen kaum beschreiben, hat doch sonst kaum eine Person mehr darauf Platz, wenn Jeff dort mit seinem dicken Bauch steht. Diego vielleicht, weil er unter dem Bauch steht. Dennoch kann nicht jedes Restaurant auf den Luxus „Blick ins Grüne“ zurückgreifen, immerhin leben wir in einer Großstadt. So war es auch kein Wunder, dass Jeff damals tief in die Tasche greifen musste, um dieses Gebäude zu erwerben, und dabei ist eine herkömmliche Immobilie schon kaum finanzierbar. Es gehört eben auch ein Quäntchen Glück dazu. Ich richte mein Augenmerk wieder auf Sanji, der uns in Gruppen einteilt. Gut, er hat mir vorhin schon verraten, dass ich an der Bar arbeiten werde, aber manchmal entscheidet er sich spontan für eine andere Lösung seines Personalproblems. Da das Baratie noch immer hoch verschuldet ist, Sanji’s Freikauf aus der Agentur spielte dabei nicht gerade eine kleine Rolle, arbeitet Jeff mit so wenig Angestellten wie nur möglich, andernfalls würde sich das Restaurant aufgrund der hohen Personalkosten kaum rechnen. Stehen aber wie heute große Feiern an engagiert er meist mich, sollte ich nicht gerade eine Verabredung haben oder anderweitig von Alvida in Beschlag genommen worden sein, oder Lysop, um kleinere Dinge für ihn zu erledigen. Lysop übernimmt dabei stets die Rolle des Parkwächters, d.h. er parkt die Autos der Gäste auf dem hauseigenen Parkplatz drei Häuser weiter und bringt sie auch wieder, sobald die Gäste es wünschen. Ein Service, den ein Nobelrestaurant bieten muss. Meine Aufgabe spielt sich meist an der Bar ab. Je nach Veranstaltung wird zur Begrüßung, oder nach dem Essen ein besonderes Getränk gereicht, das natürlich auch frisch zubereitet werden soll. Und die Kellner im Baratie sind zwar schnell und äußerst zuvorkommend, aber Barkeeper sind sie nun mal nicht. Diese Rolle fällt mir zu. Heute wird es Kir Royal zur Begrüßung geben und da die ersten Gäste bereits eintrudeln, bzw. der Gastgeber auch schon eingetroffen ist, habe ich alle Hände voll damit zu tun genügend Getränke vorzubereiten. Zwar ist ein Kir Royal keine große Herausforderung, aber es muss ja auch darauf geachtet werden, dass die Ränder der Gläser sauber bleiben. „Oh man, warum muss es heute so heiß sein? Das heißt für uns nur wieder doppelt so viel Arbeit“, meckert einer der Kellner, während er auf das nächste Tablett wartet. „Dann gibt’s bestimmt auch ein ordentliches Trinkgeld“, entgegne ich und reiche ihm das weiße Tablett. „Stimmt. Daran hatte ich nicht gedacht. Danke!“ Sichtlich fröhlicher zieht er von dannen, während ich schon wieder die nächsten Gläser fülle. Es wird sicherlich ein langer Abend werden. Aber egal, Geld ist Geld und wie bereits gesagt, ich kann jeden Cent brauchen. „Das werden ja immer mehr! Zum Glück bist du heute da, nicht wie letzte Woche.“ seufzt Carl. Er ist ebenfalls Kellner oder Ober, wie auch immer, und hat bei Jeff seine Ausbildung absolvieret, als dieser noch ein weitaus einfacheres Restaurant weiter außerhalb betrieb. Aber der junge Mann zeigte sich äußerst talentiert und interessiert, so dass Jeff ihm die weitere Ausbildung zum Ober ermöglichte. Und wenn ich das so sagen darf, beide haben diesen Entschluss nie bereut. Auch er erhält von mir ein neues Tablett mit Sektgläsern, in denen die dunkelrote Flüssigkeit in kleinen Perlen sprudelt. Ein letztes Zunicken, dann muss auch er zurück an die Arbeit. Im Grunde ist mein Job ein bisschen langweilig, zumindest zu Beginn eines solchen Abends, doch zu später Stunde verirrt sich meist der ein oder andere Gast zu mir, um sich in Ruhe einen Drink zu gönnen. So entstehen nicht selten interessante Gespräche und man lernt neue Leute kennen. Das käme mir heute Abend ganz gelegen, ich könnte etwas Abwechslung gebrauchen. Einmal tief durchatmen, schließlich wartet Arbeit auf mich. Sektgläser der Reihe nach nebeneinanderstellen, ein Teil Crème de Cassis hineinfüllen und mit Champagner auffüllen. Vorsichtig versteht sich, nicht dass etwas der kostbaren Flüssigkeit danebengeht. Zum Abschluss einen Zweig rote Johannisbeeren, die ich vorher in etwas Zucker gewälzt habe, ans Glas hängen, fertig. Und während ich gerade noch das letzte Glas auf das saubere weiße Tablett stelle, kommt auch wieder einer der Ober zurück, um Nachschub für die Gäste zu holen. Anscheinend sind schon viele Gäste eingetroffen und soweit ich Sanji folgen konnte, handelt es sich zwar nicht um eine große Gesellschaft, aber um dennoch mehr als vierzig Leute. Die nächsten Sektgläser sind beinahe fertig und ich bin froh, dass ich bereits am Nachmittag mit den Vorbereitungen für die Drinks und Cocktails begonnen hatte. Nicht wie schon einmal, als ich nicht genügend Gläser zur Verfügung hatte, weil man meine Arbeit schlicht und ergreifend vergessen hatte. Doch inzwischen kenne ich mich hier bestens aus und kann selbst dafür sorgen, dass ich genügend Gläser, Getränke, Früchte und Dekor zur Verfügung habe. Unzufriedene Gäste kann sich das Baratie nicht leisten und Jeff hat schon zu viel für mich getan, als dass ich ihn im Stich lassen würde. Und wieder heißt es Gläser, Crème de Cassis und mit Champagner auffüllen. Die gefüllten Gläser auf ein Tablett und den Johannisbeerzweig pro Glas nicht vergessen. Und das ganze wieder von vorn. Eine Weile verbringe ich auf diese Art meine Zeit, fülle Glas um Glas und reiche den Obern das Tablett. Hin und wieder bringt mir einer der Küchenhilfen saubere Tabletts und noch ein paar Gläser, bis mir Carl das Zeichen gibt, dass ich aufhören kann. Na ja, ganz aufhören natürlich nicht, denn wir sind erst beim Aperitif angelangt. Die Gäste werden nun Platz nehmen, es wird Wein gereicht, wobei sicherlich ein paar aus der Reihe fallen werden und ein Bier verlangen. Aber auch darauf bin ich vorbereitet. Geduldig blicke ich auf den kleinen LED-Monitor, auf dem die Getränkebestellungen angezeigt werden. Selbstverständlich wird im Baratie keiner der Ober mit einem dieser kleinen Eingabegeräte herumlaufen, wir befinden uns ja nicht in einer Bar, sondern hinter dem Saal befindet sich ebenfalls ein solcher Monitor, in den einer der Aushilfskräfte die Wünsche der Gäste anstelle der Kellner eingibt, diese haben schließlich noch genug mit dem Wein zu tun. Cola? Na ja, warum nicht. Ich bearbeite die erste Bestellung, zügig wie es sich gehört und stelle die Cola auf ein kleines schwarzes Tablett auf den Tresen. Denn während weiter Wein ausgeschenkt wird, werden die Weingläser der Gäste die keinen Wein trinken möchten, wieder vom Tisch genommen, um Platz zu schaffen. Außerdem weiß so der Ober der bei mir die Bestellungen abholt, welcher Gast sich für ein anderes Getränk entschieden hat. Ich merke schon, Sanji’s Arbeit färbt ganz schön auf mich ab. Inzwischen bereite ich die Biergläser vor. Zuerst mit Wasser ausspülen, dann zapfen. Nicht dass sie schmutzig wären, aber diese Prozedur gehört zu einem frisch gezapften Glas Bier wie Cocktails zu Robin. Nicht schon wieder! Ich hatte mir doch geschworen nicht mehr an sie zu denken. Aber wer sagt das bitte meinem Herz? Für einen kurzen Moment schließe ich die Augen, um meine Gedanken neu zu ordnen. Ich werde versuchen meine Gedanken einzig und allein auf meine heutige Aufgabe zu konzentrieren, das wird mich ablenken. Meine Aufmerksamkeit richtet sich wieder auf das Glas in meiner Hand. Stumm beobachte ich die schäumende Flüssigkeit, die sich langsam am Glasboden abzusetzen beginnt. Und weiter zum nächsten Glas. Sechs an der Zahl bereite ich vor und kaum dass ich mit dem Zapfen begonnen habe, erscheinen auch die ersten Bestellungen. Zum Glück erst zwei. Ich zapfe nach und bereite aber auch gleich neue Gläser vor. Ein gutes Bier braucht seine Zeit. Man kann es nicht einfach wie Limo ins Glas schütten und servieren. Zwei weitere Bestellungen erscheinen auf dem Display; schon wieder Cola. Ich hatte eigentlich nicht damit gerechnet, dass sich heute Abend Softdrinks einer solchen Beliebtheit erfreuen würden. Egal, das lässt meinen Job nur einfacherer werden. Bestellung nach Bestellung arbeite ich ab, lasse mir diverse Gläser von der Küchenhilfe bringen und versuche dabei nicht an Robin zu denken. Es fällt mir schwer. Sehr schwer. Sie hat sich auf eine Art in mein Herz geschlichen, auf die ich nicht vorbereitet war. Trotzdem fühlt sich ihre Nähe so gut an, auch wenn ich weiß, dass es falsch ist. Deshalb war die Entscheidung absolut richtig, dass wir uns nicht mehr treffen…dürfen. „Verzeihung, würde es ihnen etwas ausmachen mir kurz zu helfen?“ Ein hagerer Mann mittleren Alters lugt zur Tür herein und trotz seines adretten Erscheinungsbildes wirkt er auf mich sehr unsicher, oder treffender formuliert: ein Idiot. Einer dieser klassischen Akademiker die mit angelesenem Wissen nur so um sich werfen, aber nicht in der Lage sind sich selbst ein Spiegelei zuzubereiten. Lebensunfähig würde ich sagen. „Natürlich, was kann ich für sie tun?“ Routiniert passe ich meine Ausdrucksweise meinem Gegenüber an und komme hinter meinem Tresen hervor. „Leider ist mir ein kleines Missgeschick passiert.“ er lächelt etwas aufgesetzt, ehe er die Tür ganz öffnet und den Blick auf den angrenzenden Raum freigibt. Ich trete näher und folge mit den Augen der Richtung, die er durch eine kleine Geste vorgibt. Die Toiletten? „Sie werden doch sicherlich etwas zum Waschen hier haben, nicht wahr? Kümmern sie sich bitte darum, ich muss zum Professor.“ Und mit diesen verheißungsvollen Worten verschwindet er wieder. Ich sagte doch, ein Idiot! Eigentlich möchte ich gar nicht wissen, was er angestellt hat. Und dann natürlich abhauen und anderen die Arbeit aufhalsen, nur damit er der Geburtstagsrede dieses Professors lauschen kann. Sanji warnte uns ja bereits davor, dass die heutigen Gäste etwas anstrengend sein könnten, denn es wäre nicht das erste Mal, dass dieser Professor hier eine seiner Feiern abhalten würde und dabei stets gerne große Reden schwingen würde. Er hatte recht. Genervt halte ich Ausschau nach jemandem der mir helfen könnte, schließlich muss ich zu meinem Zapfhahn zurück und außerdem habe ich wirklich keine Lust etwas auszubaden, was ein anderer verbockt hat. Und je vornehmer sie tun, desto schlimmer sind sie! Unentschlossen stehe ich da, bin hin- und hergerissen, was ich als nächstes tun soll. Wie hat Jeff einmal gesagt? Egal was kommen mag, verlasst nie euren Posten und kümmert euch zuerst um eure primäre Aufgabe. Sollte dennoch etwas unerwartetes geschehen, ruft euch Hilfe. Und genau das werde ich jetzt auch tun. Was nützt es wenn ich nachsehen gehe, während die Gäste auf ihre Getränke warten? Das würde nur dem guten Ruf des Baratie schaden. Zügig kehre ich an meinen Arbeitsplatz zurück und werfe schnell einen Blick auf den Monitor. Keine großartige Veränderung, zum Glück. Nicht dass ich mit den ausstehenden Bestellungen nicht hinterherkomme. „Ryo, bist du das?“ Starr vor Schreck gleitet mir eines der Biergläser aus der Hand, doch das fehlende Klirren des Glases holt mich auf den Boden der Tatsachen zurück. So ein Mist! Zum Glück ist die Biertulpe ins Waschbecken geplumpst, so dass sie nicht zersprungen ist. Doch was kümmert mich ein gerettetes Bierglas, wenn große blaue Augen mich überrascht anstarren. „Robin!?“ Irritiert blicken wir uns an, hat doch keiner von uns mit dem Erscheinen des jeweils anderen gerechnet. Mal wieder. Aber vielleicht ist das so, wenn man sich nicht begegnen darf, dann geschieht es erst recht. „Arbeitest du hier?“ Zögernd setzt sie einen Fuß in den Raum, so dass ich sie nun ganz sehen kann. Sie trägt ein weißes Sommerkleid, es reicht nicht ganz bis zu den Knien und dazu diese hohen Schuhe, die sie auch getragen hat, als wir uns hier im Baratie mit ihrem Exmann getroffen haben. Ihre Beine wirken dadurch noch länger. Mein Blick wandert wieder an ihr hoch und erst jetzt bemerke ich den blutroten Fleck auf ihrem Kleid. Wie verliebt bin ich, wenn ich das erst jetzt bemerke? „Was ist passiert?“, frage ich sie direkt und eile auf sie zu. Mein Herz schlägt wild in meiner Brust, dass ich Mühe habe Ruhe zu bewahren. Der Drang sie umarmen zu wollen wird stetig größer. Aber es darf nicht sein! „Mein Kollege hat etwas überschwänglich mit einer kleinen Rede Professor Aoyama zum Geburtstag gratuliert und dabei mein Rotweinglas vom Tisch gefegt. Anscheinend werde ich im Baratie nur noch mit Gläsern beworfen.“ Süß ist ihr Lächeln, das sich in ihren Augen widerspiegelt. Einen Moment bin ich von ihrem Anblick noch gefangen, ehe ich mich von ihr losreißen kann. Was für ein wundervoller Mensch sie doch ist. „Setz dich doch kurz, ich habe sicherlich etwas Salz, um den Fleck zu entfernen.“ „Salz?“ „Ja. Das Salz zieht den Rotwein aus der Faser. Zwar nicht komplett, aber wenigstens gut genug, um bleibende Flecken zu verhindern.“ „Du bist der Experte.“ Wieder lächelt sie und folgt mir zur Bar. „Sekunde, ich muss erst nach meinen Bestellungen sehen.“ „Kein Problem“, antwortet Robin und lässt sich auf dem Barhocker nieder. Ein Blick auf meinen Monitor verrät mir, dass ich mich beeilen muss. Ich zapfe das Bier zu Ende mit dem ich begonnen hatte, bevor dieser Hampelmann mich unterbrach, und zapfe vier neue vor. Außerdem wurde schon wieder Cola geordert, was ich mangels Zeit gut finde. „Hier, das Salz“, wende ich mich wieder Robin zu und beobachte aus dem Augenwinkel, wie einer der Ober den Raum betritt, um die Getränke zu holen. „Kommst du klar?“, fragt er mich und nickt Robin höflich zu. „Die Lady wurde mit Wein bekleckert. Und bei euch?“ „Ich weiß, habe eben noch schnell die Tischdecken gewechselt. Alles wieder sauber, als wäre nichts gewesen.“ Und an Robin gewandt meint er: „Darf ich sie vielleicht zurück an ihren Platz begleiten? Die Rede ist schon in vollem Gange.“ „Danke, wegen mir brauchen sie sich keine Umstände zu machen, ich komme zurecht. Und was die Rede von Professor Aoyama betrifft, so denke ich nicht, dass ich etwas verpasse, wenn ich nicht sofort an meinen Platz zurückkehre.“ „Sagen sie Bescheid, falls sie Hilfe brauchen.“ Der Ober nimmt das Tablett und lässt uns allein. Großzügig verteile ich das Salz auf dem roten Fleck, halte dabei den Atem an, um nicht in die Reichweite ihres verlockenden Parfums zu gelangen, ehe ich wieder zu meinem Zapfhahn eile. Außerdem ist Arbeit immer eine gute Ablenkung. „Arbeitest du hier?“ höre ich Robin fragen, dass ich sie wieder ansehen muss. „Nur als Aushilfe. Ich kenne den Besitzer ganz gut und ab und zu spiele ich für ihn den Barkeeper. Natürlich nur solange mich die Agentur nicht braucht.“ „Deshalb kennst du dich so gut mit Cocktails aus.“ Für einen Moment schweigen wir, blicken uns dabei auch nicht an, denn was es zu sagen gibt, wurde bereits gesagt; als wir uns im Stars trafen. Sie gestand mir ihre Zuneigung, doch ich musste sie abweisen. Dennoch wäre es fast zu einem Kuss gekommen. Und wie gerne hätte ich sie geküsst! Unten auf der Straße als wir auf ihr Taxi warteten, sie sich ein letztes Mal an meine Schulter schmiegte, da hätte ich es fast getan. Die Welt um uns hatte ich schon beinahe vergessen, sah nur ihre großen blauen Augen und das Vertrauen, das in ihnen lag. Doch bevor es dazu kam ereilte uns beide dann doch die Vernunft, aber seit diesem Moment trage ich dieses Bild von uns beiden in meinem Herzen. Und es schmerzt. „Wie geht es dir? Ich meine…du weißt schon,“ setzt sie an, sucht erneut das Gespräch über ein Thema von dem ich wünschte, es würde mich nicht berühren. Nicht was Robin angeht, sondern dass Alvida ihren Callboys verbietet sich privat mit einer Frau zu treffen. „Es heißt immer, wir sollen versuchen an etwas anderes zu denken, falls wir je in eine solche Situation gelangen. Aber ich schaffe es einfach nicht. Ständig muss ich an unsere gemeinsame Zeit denken, z.B. als wir in Pasadena auf dem Volksfest waren, du dich bei mir eingehakt hattest, damit wir uns in diesem Getümmel nicht aus den Augen verlieren, da dachte ich wie schön es doch ist mit dir zusammen etwas zu unternehmen. Und ich wünschte mir zum ersten Mal, dass wir wirkliche Freunde wären“, antworte ich betrübt und starre dabei auf das Bierglas in meiner Hand, das sich langsam füllt. „Ich möchte nur dass du weißt, dass ich dir helfen werde, falls ich es kann und du mich lässt, solltest du je deinen Job ernsthaft aufgeben wollen.“ Ich höre wie sie aufsteht und blicke in ihre Richtung. „Oh je, ich habe total vergessen, dass ich Salz auf meiner Kleidung hatte!“ Eilig bückt sie sich, doch ich bin schon zu ihr geeilt, um ihr zuvorzukommen. Beinahe wären wir mit den Köpfen zusammengestoßen. „Lass mich das erledigen“, sage ich schnell und klaube mit einem feuchten Lappen grob das inzwischen rötliche Salz zusammen. Doch als sie ihre Hand auf meine legt, verharre ich wie festgefroren und gleichzeitig brennt ein riesiges Feuer in mir. „Darf ich dich wiedersehen?“ Ich sehe sie an. Sehe wieder ihre großen blauen Augen, ihre Wärme und auch die Schüchternheit, die sie zu verbergen versucht. Und ich kann nichts weiter tun als sie anzusehen und meine Gefühle für sie mit Gewalt zu unterdrücken. „Wieso sagst du nichts?“ „Weil…wenn Alvida dahinterkommt, dass…“ „Dass was? Wir uns sympathisch sind? Das wird sie sicherlich wissen, immerhin habe ich schon ein Vorrecht auf dich, so oft wie wir schon miteinander ausgegangen sind. Hör zu. Für mich ist diese Situation ebenfalls nicht einfach, aber ich möchte dich nicht verlieren, egal wie lange es dauern mag.“ Ein letztes Lächeln an mich, ehe sie sich erhebt und den Raum verlässt. Doch mein Herz hört nicht auf wie wild zu schlagen. „Ich dachte mir schon, dass es um diese Frau geht.“ Ich brauche mich nicht umzudrehen, ich kenne Sanji’s Stimme seit meiner Kindheit. Und es stört mich auch nicht, dass er nun weiß was mich seit Wochen quält, fühle mich sogar ein wenig erleichtert. So stehe ich auch auf und blicke in seine Richtung, wie er lässig im Türrahmen steht und schließlich zu mir rüberkommt. Kurz umarmt er mich, mustert prüfend meinen Blick, bevor er mich wieder loslässt. „Weißt du, als du damals ihren Ex-Mann vor die Tür gesetzt hast, nachdem er hier im Restaurant auf sie losgegangen ist, da wollte ich dich schon darauf ansprechen was in dich gefahren ist, aber als ich euch beide dann so zusammensitzen sah, da hätte ich eigentlich merken müssen, dass du sie mehr als bloß nett findest.“ Kapitel 34: Auf dem Weg zu dir ------------------------------ 34. Zorro Auf dem Weg zu dir Ich freue mich auf das heutige Treffen. Ich freue mich ehrlich und aus tiefstem Herzen. Natürlich nur deshalb, weil es ein Treffen mit Robin ist. Steht abends eine Verabredung an, versaut mir das mitunter den ganzen Tag, liegt wie ein Stein in meinem Bauch oder schwebt wie eine dunkle Wolke über mir. Und je näher der Zeitpunkt rückt, desto unleidlicher werde ich. Meist höre ich beim Duschen laute Rockmusik, um meine eigenen negativen Gedanken nicht ertragen zu müssen oder ich trinke ein Bier zur Beruhigung. Heute stehe ich vorm Kleiderschrank und überlege was Robin gefallen könnte. Selten, dass ich so eitel bin, aber dennoch möchte ich es. Es ist zwar nicht so, dass sie mich noch nie in verschlissenen Jeans und Turnschuhen gesehen hätte, aber heute soll es ein besonderes Treffen werden. Bei einem ersten Treffen mag man seinen Gegenüber ja noch mit Oberflächlichkeiten beeindrucken können, aber je besser man sich kennt, desto weniger spielen diese eine Rolle. Dennoch kann ich nicht leugnen, dass Robin’s Kleidungsstil immer mehr meinem Geschmack entspricht. Mit was sie mich wohl heute überraschen wird? Schließlich ist es keine gewöhnliche Verabredung wie sonst. Wir treffen uns in Santa Monica. Bei ihr zu Hause. Das ist zwar nicht ungewöhnlich für mich, eine Frau auch zu Hause zu treffen, aber hierbei handelt es sich nun mal nicht um Mrs. Chevalier die mir beim Schwimmen zusieht oder eine dieser Damen die ihre Nachbarschaft glauben lassen wollen, sie hätten einen festen Freund. Meine heutige Verabredung fühlt sich eher wie ein echtes Date an. Ich hasse Dates! Stundenlang zerbricht man sich den Kopf wie man das Beste aus sich rausholen kann, ist nervös und dann? Kuina hat mich immer ausgelacht, wenn ich sie abholte. „Wie immer unpassend gekleidet“, lautete ihr wenig schmeichelhafter Kommentar, drückte mir dabei aber einen zärtlichen Kuss auf die Lippen. „Na ja, vielleicht sind Dates ja doch nicht so schlecht“, murmle ich leise vor mich hin, während das vertraute Gefühl von Wärme mein Herz erfasst, wie immer wenn ich an einen dieser schönen Momente aus meiner Vergangenheit mit Kuina denken muss. Ich wende mich von meinem Kleiderschrank ab und sehe das Bild meiner toten Frau an. Sie war die Liebe meines Lebens, aber inzwischen habe ich eine andere Frau kennengelernt. Nicht dass ich deshalb Kuina nicht mehr lieben würde, aber Robin bringt mein Herz wieder zum schlagen und meine Seele zum lächeln. Es ist eine andere Art von Liebe. Erwachsen und nicht unproblematisch. Wir haben beide schon eine Beziehung hinter uns und verletzte Hunde beißen eben schneller, das ist Fakt. Fakt ist allerdings auch, dass wir beide wissen was wir wollen und nicht an eine Illusion der perfekten Liebe aus Teenagertagen glauben. Die Liebe ist schon perfekt, nur die Menschen sind es nicht. Ich richte mein Hauptaugenmerk wieder auf meine Garderobe und überlege was Robin wohl für den heutigen Tag geplant haben könnte. Tag, ganz recht, denn wir treffen uns bereits am Nachmittag, nicht erst am späten Abend. Liegt Santa Monica nicht am Meer? Ob sie schwimmen gehen möchte? Möglich wäre es. Ich krame meine Badehose aus dem Schrank, werfe mein Duschhandtuch aufs Bett und ziehe die Badehose an, ehe ich einen Blick in den Spiegel riskiere. Normalerweise vermeide ich es, mich in diesem Aufzug allzu deutlich zu mustern und jetzt weiß ich auch wieder warum. Ich würde wie ein Horsd’oeuvre aussehen, sagte Sanji einmal. Blöder Koch! Er weiß doch ganz genau, dass mich das verunsichert. Schnell ziehe ich eine schwarze Hose an und eines meiner Oberteile. Ich glaube eh nicht, dass Robin allzu viel Wert auf mein Äußeres legt, obwohl sie selbst immer sehr gut gekleidet ist. Inzwischen auch etwas kesser als früher. Steht ihr. Ich eile ins Bad, wobei ich im Flur noch schnell meine Schuhe anziehe. Allzu viel Zeit habe ich nicht mehr, bis das Taxi kommt. Robin hat diesmal darauf bestanden, dass ich nicht mit dem Bus fahre, andernfalls würde meine Fahrt zu ihr ungefähr dreimal so lange dauern. Geübt verteile ich etwas Gel in meinen Haaren, damit ich nicht ganz so zerzaust aussehe. Früher standen sie immer in alle Richtungen ab, aber beim Kendo hat das auch nie jemanden interessiert. Und nun gebe ich bald mehr Geld für Kosmetikprodukte aus als für Essen. „Hat dir Alvida ‘ne Ansage gemacht?“ „Inwiefern?“, antworte ich Ace, dessen unausgeschlafenes Gesicht neben meinem im Spiegel erscheint. „Na ja, du siehst aus, als wolltest du eine Frau zum Sex überreden. Hast du schon lange keine deiner Kundinnen mehr an einen Second verwiesen oder willst du eine Liga aufsteigen?“ Er grinst. „Du meinst wohl absteigen. Nein, danke. Und im übrigen hat Alvida nichts zu mir gesagt, meine Quote ist gut. Aber vielleicht sollte ich doch etwas anderes anziehen.“ Was ist das überhaupt für ein Shirt, das ich da trage? Etwa das von Alvida? Es klingelt. „Zu spät! Aber keine Angst, sie wird dich schon nicht ins Gebüsch zerren und dir die Kleider vom Leib reißen. Viel Spaß!“ Er schlägt mir kurz auf die Schulter und schiebt mich in den Flur. „Das kriegst du zurück!“, knurre ich und eile zur Wohnungstür raus und anschließend die Treppe runter. Auf der Straße parkt das Taxi direkt vor der Wohnungstür, so dass ich fast in die Taxifahrerin gerannt wäre, die sich lässig gegen die Motorhaube ihres fahrbaren Untersatzes gelehnt hat, um noch in Ruhe eine Zigarette rauchen zu können. Kurz mustern wir uns, so wie immer, wenn ein Taxifahrer auf einen Callboy trifft. Die Männer unter ihnen wünschen uns stets die Pest an den Hals, während die Frauen schon mal versuchen sexuelle Gefälligkeiten gratis zu bekommen. „Man, heute muss mein Glückstag sein. Wie heißt denn die Glückliche? Oder sollte ich Reiche sagen?“, sie lacht laut, bis sie anfangen muss zu husten. „Ist ja auch egal, ich könnte mir vermutlich nicht einmal leisten, dass du dein teures Shirt für mich ausziehst. Steig also ein.“ Ich komme ihrer Aufforderung nach und nehme auf der Rückbank Platz, nachdem ich ein paar Zeitungen zur Seite geschoben habe. „Wo soll’s denn hingehen?“ „Santa Monica“, antworte ich ihr schließlich und nenne ihr Robin’s vollständige Adresse. „Oho, also wirklich eine reiche Lady.“ Sie startet den Wagen und fährt los, während sie noch die Adresse in ihr Navigationsgerät eingibt. Die Computerstimme faselt etwas von rechts abbiegen, doch in Gedanken bin ich schon einen Schritt weiter. Seit langem treffe ich mich wieder mit Robin, nicht durch Zufall, sondern weil sie es möchte. Weil wir beide es möchten. Es ergibt schließlich auch keinen Sinn sich deshalb nicht mehr zu treffen, weil wir wirkliche Sympathie füreinander empfinden...was wir nicht sollten. Wem will ich hier eigentlich etwas vormachen? In meinen Kopf kann Alvida zum Glück nicht blicken, folglich darf ich wenigstens in meinen Gedanken ehrlich zu meinen Gefühlen stehen. Dennoch habe ich Angst davor. Robin bringt mich dazu alle Logik über Bord zu werfen und wieder mehr auf mein Herz zu hören. Und im Moment ruft es laut ihren Namen und tanzt dazu in seinem eigenwilligen Rhythmus. Ich hatte völlig vergessen wie sich Liebe anfühlt. Ich meine damit nicht das Gefühl von Geborgenheit und Nähe, sondern die Nervosität und Unsicherheit, die mit ihr verbunden sind. Besonders diese Ungewissheit, ob für uns überhaupt die Möglichkeit bestehen könnte je zusammen zu kommen, bereitet mir Magenschmerzen. Und diese künstlich erhaltene Distanziertheit. Ich fühle mich wie ein Gefangener in meinem eigenen Körper. Oder sollte ich eher sagen, mein Herz, meine Seele und mein Körper führen getrennte Leben? Das klingt bizarr, aber diese Beschreibung trifft es wohl am ehesten. Jeder dieser drei ist ein wichtiger Teil von mir, doch ich vermeide es tunlichst, dass sie untereinander agieren. So kann ich mich selbst am besten schützen, indem ich allein auf meinen Verstand vertraue. Aber wie ich bereits feststellen musste, funktioniert diese Art der Selbstüberlistung in Robin’s Gegenwart nicht länger. Schlimmer noch, ich muss selbst dann an sie denken, wenn es die Situation eigentlich nicht gestattet. Bei der Arbeit, zum Beispiel. Lautes Husten, gefolgt vom Geräusch. wenn jemand kräftig die Nase hochzieht, erfüllt das Auto. Nicht sehr appetitlich! „Sind gleich da. Schmucke Gegend.“ Wieder ein Husten der Taxifahrerin, ehe sie fortfährt: „Wie ist es denn so, eine geile Alte zwischen teuren Laken zu bumsen? Sieht ihr Macker dabei zu?“ Sie grinst mich über den Rückspiegel breit an, so dass ich ihre nikotingelben Zähne sehen kann. „Auf was tippen sie denn?“ Ich spiele mit. Würde ich die Wahrheit erzählen, sie würde es ja doch nicht glauben. Die Menschen glauben eher den wildesten Geschichten als der oftmals wenig interessanten Wahrheit. Außerdem muss ich ja meinem Ruf als Callboy und dem der Agentur gerecht werden. „Ich würd’s so lange mit dir treiben, bis mein Nachbar die Bullen ruft. Falls es die Alte also nicht bringt, kannste gern zu mir kommen. Frag in der Zentrale einfach nach Betsy.“ „Ich werde es mir merken.“ Gott bewahre! „Da sind wir. Viel Spaß, Herzchen!“ Wieder lacht sie, bis sie husten muss. Was für eine merkwürdige Gestalt. Ich steige aus und richte meinen Blick auf das große weiße Haus vor mir. Ist Haus überhaupt das richtige Wort für dieses Gebäude? Weiße Säulen tragen den Vorbau, auf dem ein halbrunder Balkon thront. Die Fenster sind durch feine Sprossen unterteilt, vielleicht wie bei einem Landhaus, aber davon kann im Grunde keine Rede sein. Reichtum und Luxus treffen sich hier im Überfluss, egal wohin man sieht, selbst bei den Blumen im Vorgarten und selbstverständlich auch bei den Nachbarn. Nun gut, nicht umsonst wohnt in dieser elitären Gegend der ein oder andere Filmstar. Und plötzlich fühle ich mich klein, sehr klein. Alle meine Kundinnen sind reicher, vermögender als ich, das weiß ich. Allein wenn ich an Mrs. Chevalier’s Villa denke, komme ich mir vor wie eine arme Kirchenmaus. Aber das stört mich nicht, nicht so wie diese Situation. Bei meinen Kundinnen kann ich großzügig darüber hinwegsehen wie arm ich doch bin, weil ich nicht mit ihnen auf einer Stufe stehen möchte. Bei Robin kann ich das nicht. Es ist dieser soziale oder auch gesellschaftliche Unterschied der mich so fertig macht und der mich nicht an eine gemeinsame Zukunft für uns beide glauben lässt. Natürlich muss ich auch an meine Gesamtsituation denken, an das Geld das ich Alvida schulde, aber gerade deshalb muss ich mir im Klaren darüber werden, wie ich gedenke zukünftig meinem Job nachgehen zu können. Wie soll ich einer Frau gefallen, wenn meine Gedanken sich doch nur um die eine drehen? Nicht dass ich Robin aus meinen Gedanken oder gar aus meinem Leben streichen möchte, weiß Gott nicht, aber ich muss eine Lösung finden, die Diego’s Sicherheit nicht gefährdet. Kapitel 35: Falsche Hausnummer? ------------------------------- Nachdem ich dieses Kap drei(!)mal angefangen habe und dabei nie auf einen grünen Zweig gekommen bin, geschweige denn zu einem halbwegs sinnvollen Text, habe ich den ganzen Mist gelöscht und noch mal neu angefangen. Neues Kap, neue Perspektive, neues Ende, neue Uhrzeit zum Schreiben! Ich hoffe, es gefällt euch halbwegs. LG 35. Zorro Falsche Hausnummer? Nun stehe ich da wie ein Idiot, wie ein riesiger Idiot! Nicht dass ich etwas falsch gemacht hätte, aber…als befände ich mich im falschen Film. Oder passender, im falschen Haus. Eben stand ich noch vor der Haustür, starrte auf das messingfarbige Klingelschild auf dem Prof. Dr. Nico steht und ich mir dadurch noch nichtiger vorkam, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde und ich mich im wahrsten Sinne des Wortes mit der falschen Frau konfrontiert sah und es noch immer tue. Wie hieß sie noch gleich? "Nami?" "Tja, erwischt. Komm doch rein", entgegnet sie mir nur gelassen. Ich folge ihr etwas unschlüssig, denn dass dieses Treffen besonders sein würde war mir klar, aber damit habe ich nun wirklich nicht gerechnet. Und wo ist Robin? Doch Nami erweckt nicht in mir den Eindruck, als wolle sie die Situation erklären, stattdessen lässt sie mich mehr oder weniger stehen und verlässt den Eingangsbereich. Ein wenig zögere ich noch, ehe ich ihr folge. Was sollte ich auch sonst tun, kenne ich mich doch weder in Santa Monica, noch in diesem riesigen Haus aus. Mein Weg führt mich in eine gewaltige Wohnessküche, die sicherlich größer als die gesamte Wohnung von mir und Ace ist. Abartig groß. Zu meiner Rechten befindet sich eine Designerküche, kantige Linien und teure Einbaugeräte, gefolgt vom passenden Esstisch mit sechs geschwungenen Stühlen umsäumt. Ich bin in einer anderen Welt, soviel steht fest. Links hockt Nami auf einem Sofa, nein, auf einer weißen Sofalandschaft, gegenüber an der Wand hängt ein Fernseher so groß wie ein Footballstadion und dazwischen liegt eine geöffnete Balkontür, die den Blick auf einen Pool freigibt, zumindest auf einen Teil davon. Aber selbst dieser Teil verspricht, dass auch der Pool mehr als großzügig angelegt sein muss. Ich fühle mich erschlagen. "Ja, so ähnlich habe ich auch geschaut, als ich zum ersten Mal hier war. Davor kannte ich nur Robin's Altbauwohnung und die erinnerte mehr an eine staubige Bibliothek als an eine Behausung. Aber sie ist Daddys einziges Kind und er verwöhnt sie gern. Aber du weißt selbst, dass dies bei ihr charakterlich nicht Einfluss genommen hat. Also setz dich und bleib locker. Sie wird sicherlich auch jeden Augenblick zur Tür hereingeschneit kommen." Ich weiß nicht, wie ich die Situation deuten soll. Zwar folge ich Nami's Aufforderung mich zu ihr auf das weiße Leder zu setzen, aber aus irgendeinem Grund traue ich ihr nicht. Nicht in dem Sinne, dass sie hinterhältig wäre, aber ich kann mir kaum vorstellen, dass sie sich hier aus reinem Zufall befindet. Und weshalb ist Robin noch nicht da? Es wird mir vermutlich nichts anderes übrigbleiben als abzuwarten, denn Nami wird mich sicherlich nicht in ihre Absichten einweihen, bloß weil ich sie danach frage. "Heute Abend findet am Strand eine kubanische Party statt", beginnt Nami schließlich doch das Gespräch. "Robin wird sich schon etwas überlegt haben, andernfalls hätte ich auch noch die ein oder andere Idee." Ich bemühe mich gelassen, professionell zu geben, doch ich bin sicher, dass Nami sich davon nicht allzu leicht täuschen lässt. Sie gehört nicht zu dem Typ Frau, der leicht auf Blender hereinfällt. Gut so, aber das lässt meinen Job nicht einfacher werden. "Tja", sie beugt sich weiter vor und zwinkert mir verschwörerisch zu, ehe sie anmerkt: "Robin weiß gar nicht, dass du hier bist. Ich habe das Treffen mit Hilfe ihrer Kundenkarte online gebucht. Eigentlich wollte sie heute ihre Bücherkisten vom Umzug ausräumen, aber für mich klang das eher nach einer anderen Bezeichnung für den Kopf in den Sand zu stecken." Sie lehnt sich wieder zurück, unterbricht aber den Augenkontakt zwischen uns nicht. Ich weiß nicht, was sie vorhat, denn dass sie etwas plant, steht für mich außer Frage. Nur was könnte das sein? Doch mein Gedankengang wird jäh unterbrochen, als die Haustür geöffnet wird, offensichtlich ein paar Schuhe in die Ecke gepfeffert werden, zumindest der Geräuschkulisse nach zu urteilen und jemand, eher gesagt Robin, laut nach ihrer Freundin ruft: "Nami, bist du da?" Im Türrahmen erscheint Robin, barfuß im Nadelstreifenanzug, das Jackett offen und die ersten Knöpfe ihrer Bluse auch, derer sie sich scheinbar gerade aufgrund der Hitze entledigen wollte. Zwar kann ich nicht viel sehen, den Ansatz ihres Busens und ein bisschen weiße Spitze, aber es genügt, dass mir augenblicklich warm wird und ich den Blick von ihr abwende. Auch sie scheint mich bemerkt zu haben, höre sie meinen Namen wispern, ehe sie sich Nami zuwendet: "Hättest du mich nicht wenigstens vorwarnen können?" "Jetzt tu nicht so, als würdest du dich nicht freuen. Außerdem konnte ich ja nicht ahnen, dass du dich direkt an der Haustür ausziehen würdest." Provisorisch hält sich Robin die Hände vors üppige Dekolleté, ehe sie versucht ihre eigene Verlegenheit mit Forschheit zu überspielen: "Die Klimaanlage in der Uni ist doch defekt, die zweite Woche in Folge! Ich muss duschen!" "Ob das nur an der Klimaanlage liegt? Ich geh ihr besser hinterher!" Kurz blicke ich der orangehaarigen Wetterfee und Robin hinterher, ehe ich mich auf dem Sofa zurücklehne. Das kann ja heiter werden. Unweigerlich wandern meine Gedanken zurück zu Robin, wie sie mit halb offener Bluse in der Tür stand, ihr offenes Haar wirkte etwas zerzaust und dennoch war sie so… Ein leises Knurren entrinnt meiner Kehle, denn allmählich wird mir klar, dass ich ebenfalls eine Dusche brauchen könnte, eine kalte. Meine Hose spannt um meinen Schritt, die Enge schmerzt, doch ich befinde mich nicht zu Hause, wo ich mich nach einem Treffen mit ihr unter der Dusche von meinem Leid auf die ein oder andere Art befreien kann. Erschwerend kommt hinzu, dass meine Fantasie die ganze Szene noch ein bisschen weiter ausbaut, als ob meine Lage nicht auch so schon diffizil genug wäre. Ich weiß wie Robin's nackte Schultern aussehen, kenne ihren blumig zarten Geruch und sehe nur zu deutlich ihre langen Beine vor mir, die sich am Ende in Form ihres knackigen Hinterns treffen. Verdammt! Kurz überlege ich noch, ehe ich durch die Terrassentür nach draußen eile. Frische Luft kann nicht schaden, doch kaum bin ich dort angekommen, sticht mir die Lösung meines Problems regelrecht ins Auge: Der Pool! Mit wenigen Handgriffen öffne ich meine Hose, genieße für einen winzigen Moment die Erleichterung die mich umfängt als diese einschneidende Enge endlich nachlässt, ehe ich mich vollständig meiner Kleidung entledigt habe und nur in Badehose bekleidet einen Hechtsprung ins kühle Nass wage. Gott, tut das gut! Normalerweise gleite ich recht lange nach so einen Sprung knapp unter der Oberfläche durchs Wasser, aber diese leichte Erregung lässt mich ein wenig kurzatmig werden, so dass ich recht schnell wieder auftauche, um Luft zu schnappen. Jetzt geht es mir wieder besser. Zwar weiß ich nicht wie Robin darauf reagieren wird, wenn sie mich in ihrem Pool vorfindet, aber nichts wäre so peinlich, als mit ausgebeulter Hose vor ihr zu stehen. Ich werde schon eine Ausrede finden. Und bis dahin schwimme ich ein paar Bahnen, um mich körperlich ein wenig auszupowern. Wie schnell schaffe ich eine Bahn? Als ich damals anfing mich für Kuina zu interessieren, war es im Prinzip das gleiche. Ich trainierte hart, um nicht an sie denken zu müssen oder auf dumme Gedanken zu kommen. Zwar hat es meinem Verlangen nach ihr nicht wirklich einen Abbruch getan, aber immerhin wurde ich dadurch besser im Umgang mit dem Schwert. Bahn um Bahn ziehe ich meine Runden, gebe mir bei jeder Wende mehr Mühe, um die nächste Bahn noch schneller zu meistern. Zwar weiß ich nicht, ob ich mich wirklich steigere, verlasse mich dabei auf mein Bauchgefühl, aber es spornt mich an und beschäftigt Geist und Körper. Nach gut zehn Bahnen stoppe ich mein Tun und halte mich am Beckenrand fest. Mein Herz rast vor Anstrengung, ich atme tief ein und aus, um wieder zur Ruhe zu kommen. Das tat gut! Mein Blick streift umher, bewundere den weißen Sandstein mit dem der Pool umsäumt ist, denn von weitem sieht es aus wie feiner Sand, so dass die Illusion entsteht, man befände sich am Meer, nicht in einem Swimmingpool. Der Rest des Gartens ist noch nicht fertig, die Pflasterarbeiten schon, aber die Pflanzen fehlen zum größten Teil noch. Aber sollte ich Nami richtig verstanden haben, so ist Robin auch erst hierhergezogen. Ich drehe mich um, als mein Blick auch schon auf die dunkelhaarige Schönheit fällt, die am anderen Ende des Pools auf dem Boden sitzt und zu mir herübersieht. Zaghaft hebt sie ihre Hand und winkt mir zu, so dass ich es ihr gleichtue, ehe ich zu ihr schwimme. Und kaum dass ich bei ihr angekommen bin und ich mich mit Schwung aus dem Wasser stemme, schäme ich mich. Nicht weil ich ungefragt in ihrem Pool ein paar Runden geschwommen bin, sondern aufgrund meines Erscheinungsbildes. Ich hatte meine Narbe völlig vergessen, schließlich spielt sie in meinem Job normalerweise keine Rolle, Mrs. Chevalier einmal ausgenommen. Und Robin's Blick ist genau darauf gerichtet, mustert sie aufmerksam, bis sie schließlich ihre zarten Finger danach ausstreckt und sachte darüberfährt. "Bitte, tu das nicht…" Kapitel 36: Seelenheil ---------------------- 36. Nami Seelenheil Ich wollte es mit eigenen Augen sehen. Wollte wissen, was echt und was gespielt ist. Immerhin geht es um Robin's Seelenheil, ihr Glück, ihre Lebensfreude und da wäre ich sicherlich die letzte die dabei zusehen würde, wie sie in ihr Unglück rennt. Ich bin ihre Freundin, ich beschütze sie! Sie braucht jemanden der auf sie achtet, denn in ihrer Verletzbarkeit, ihrer Scham, all dem was Zero ihr angetan hat und von dem ich mit Sicherheit auch nicht alles weiß, soll sie dieses Mal verschont bleiben, sofern dies in meiner Macht liegt. Ich wünsche ihr Glück, Zufriedenheit und einen Mann, der es schafft sie aus ihrem Alltag zu befreien und keinen Fettsack, der versucht ihr all das zu nehmen, was sie sich selbst durch Fleiß und harte Arbeit aufgebaut hat. Zero soll sich nicht wagen, noch einmal in ihrem Leben aufzutauchen, andernfalls kratze ich ihm die Augen aus! Kurz flammt wieder diese unbändige Wut in mir auf, die ich jedoch mit einem Schluck Saftschorle schnell hinunterspüle. Es fällt mir schwer mir selbst zu verzeihen, dass ich damals nicht für sie da war, als sie mich so dringend brauchte. Mein Studium stand zu diesem Zeitpunkt für mich im Mittelpunkt, aber auch Partys, Flirts und die Suche nach mir selbst, meiner Unabhängigkeit. Doch es war falsch sich von Familie und Freunden zu distanzieren, nur um hinterher festzustellen, dass sie genau das sind, was mein Leben am meisten braucht. Aber so wie ich sie brauche, brauchen sie auch mich und das gibt mir das Gefühl von Glück und die Gewissheit ich selbst sein zu dürfen. Egal, es geht hier nicht um mich, ich sollte nach Robin sehen, nicht meinen Aggressionen frönen. Es ergibt schließlich keinen Sinn auf die Vergangenheit zu schimpfen, wenn doch die Gegenwart meine Aufmerksamkeit fordert. Und kaum habe ich die Terrassentür erreicht und sehe zu Robin, ist meine Wut schon längst vergeben und vergessen und stattdessen diesem quietschigen Gefühl gewichen das mich immer befällt, wenn ich Liebespärchen sehe. Dicht sitzen sie zusammen am Beckenrand des Swimmingpools, ihre Gesichter nicht weit voneinander entfernt und tauschen kleine Blick aus. Zudem scheint Robin entgegen ihrer sonstigen Art versucht zu haben auf Tuchfühlung mit ihm zu gehen, doch er unterbindet dies, hält ihre Hand lieber fest in seiner. Er ganz der Profi und sie endlich das, was sie nie sein durfte. Ich kann sie beide ja verstehen. Zwar sehe ich nur Ryo's nackte Rückenpartie, aber die allein lässt erahnen, dass sein gesamter Körper gut trainiert ist. Und dass bei solch einem Anblick selbst Robin schwach wird, nun, wer kann es ihr verdenken? Also ich bestimmt nicht! Er ist ein verdammt hübscher Kerl, den ich ebenfalls nicht von der Bettkante stoßen würde, sollte ich je das Glück haben, dass er sich dort niederlassen würde. Aber so wie es aussieht, würde er ein anderes Schlafzimmer vorziehen. Robin ist ja auch eine sehr attraktive Frau, mit der wohl kaum ein Mann ein Schäferstündchen ausschlagen würde. Das kann selbst Ryo nicht leugnen, besonders nicht, dass ihm vorhin gefallen hat, was er gesehen hat. Umsonst wird er schließlich nicht in den Pool gesprungen sein. Tja, das ist wohl einer der größten körperlichen Vorteile einer Frau gegenüber einem Mann: Wir können noch so erregt sein, aber man sieht es uns nur an, wenn wir wollen. Dabei kann er von Glück reden, dass seine Gegenüber einen so zurückhaltenden Charakter besitzt. Ich an ihrer Stelle würde zumindest versuchen ihn zu verführen, besonders wenn ich mir seiner Zuneigung sicher sein könnte, so wie es bei den beiden der Fall ist. Doch es kann nicht ungefährlich sein eine verbotene Liaison mit einem Callboy zu haben. Zeit also, dass ich die beiden unterbreche, oder besser gesagt, etwas mehr über ihr Verhältnis zueinander herausfinde. Sollten die beiden wirklich echtes Interesse aneinander haben, dann müssen wir mehr über Ryo und seine Gesamtsituation in Erfahrung bringen, andernfalls können wir ihm nicht helfen, falls wir das überhaupt können. Das Geschäft mit der Prostitution ist ebenso vielschichtig wie brutal und gerade deshalb ist es umso wichtiger, dass wir behutsam vorgehen und genau wissen, mit wem wir es zu tun haben. Ich möchte nicht schuld daran sein, wenn es hinterher schlimmer für Ryo ist als vorher. Und wie es eben meine Art ist wenn ich Geheimnissen, egal ob groß oder klein, auf der Spur bin, selbstbewusst und ein bisschen unverblümt vielleicht, gehe ich zu den beiden rüber und lasse ich mich neben Robin auf dem sonnenwarmen Boden nieder und lehne mich an sie. Die beiden Turteltauben unterbrechen ihre leise Konversation, ein letzter schüchterner Blick, ehe sie mir ihre Aufmerksamkeit schenken. Wohl zurecht, immerhin habe ich dieses Treffen arrangiert, ohne zuvor meine Absichten mit Robin zu besprechen. Zum Glück ist sie so sehr auf Ryo fixiert, dass sie wohl einfach vergessen hat mit mir zu schimpfen. Gut, als ich ihr vorhin ins Badezimmer gefolgt bin, musste ich mir anhören wie peinlich die Situation gewesen sei. Allerdings hat sie sich nicht darüber beschwert, dass ich ihn überhaupt zu ihr bestellt habe. Ja, auch Robin scheint Schwächen zu haben und eine davon sitzt mir gegenüber; ein rassiger Callboy! Immerhin beweist sie Geschmack. Doch wie immer gibt es auch in diesem Moment einen Makel, einen Umstand der Fragen aufwirft. Und genau deshalb bin ich hier, um Klarheit zu schaffen. „Du bist beschädigt. Sicherlich nicht einfach für Alvida mit diesem Problem umzugehen.“ Selbstredend haben meine Worte ihre Wirkung nicht verfehlt und sowohl Ryo als auch Robin sehen mich an. Aber während Robin sichtlich nicht zu wissen scheint wovon ich spreche, kann ich in seinem Gesicht so etwas wie Scham und Reue erkennen. Was mag nur geschehen sein? Doch während ich mir noch den Kopf zerbreche, wie ich die Wahrheit aus ihm herausbekommen soll, beginnt er von sich aus das Gespräch, aber anders als ich erhofft hatte. „Vertraust du Nami? Ich meine durch und durch?“ Robin stutzt einen Moment, scheint aber dann doch zu verstehen worauf er hinaus will. „Sei ehrlich Nami, weshalb hast du Ryo hierher bestellt?“ Nanu? Weshalb ist sie so misstrauisch? Ich sollte der Sache auf den Grund gehen. „Ich wollte dir einen Gefallen tun“, starte ich meinen Ablenkungsversuch. Vergeblich, wenn ich mir Robin’s Gesichtsausdruck anschaue. „Mit meiner Kreditkarte?“ „Na schön, du hast ja recht. Ich wollte Ryo auf den Zahn fühlen, sehen wie er auf dich reagiert wenn du genervt aus der Uni kommst und ihn nicht anlächelst, so wie du es sonst sicherlich tust.“ Der Schuss ging ja wohl nach hinten los. Sie kennt mich einfach zu gut. „Und mit deinem Job hat dies alles nichts zu tun?“, hakt sie weiter nach. „Nein!“ Ach herrje, daran hatte ich überhaupt nicht gedacht! „Ich schwöre, ich bin hinter keiner Story her und mein Chef weiß von nichts. Es geht mir wirklich nur um dich, Robin. Ehrlich, bei allem was mir heilig ist.“ Kurz mustert sie mich, ehe ihr Lächeln zurückkehrt. „Es tut mir leid, Nami. Die ganze Situation ist ziemlich verworren und um ehrlich zu sein, bin ich froh, dass du hier bist.“ Und als ob das nicht schon überraschend genug wäre, dass sie mir offen ihre Gefühle anvertraut, umarmt sie mich auch noch, dass ich ihren nervösen Herzschlag spüren kann. Es ist wohl wirklich gut, dass ich hier bin und mich eingemischt habe. „Ich möchte dir ehrlich helfen, deshalb habe ich Ryo hierherkommen lassen.“ Ein wenig schiebe ich sie von mir weg, um ihr besser in die Augen blicken zu können. Sie soll wissen, wie ernst es mir ist. „Es ist eine Sache für einen gutaussehenden jungen Mann zu schwärmen, aber er ist nun mal nicht der Postbote oder einer deiner Kollegen von der Uni. Er lässt sich sein Lächeln teuer bezahlen, aber das sicherlich auch nicht ohne Grund. Was ich sagen möchte, ist, dass diese Jungs nicht selten etwas auf dem Kerbholz haben und deshalb in diese Lage geraten sind. Und es tut mir leid wenn ich das so direkt sage, aber Ryo’s Narbe verstärkt leider den Verdacht in mir, dass er schon einmal etwas illegales getan hat.“ Für einen Moment schweigen wir, liegt das Gesprochene doch schwer in der Luft. Vielleicht bin ich die ganze Angelegenheit etwas zu hart angegangen, aber ich möchte einfach nicht, dass Robin wieder verletzt wird. „Mir ist dieser Gedanke auch schon gekommen und Ryo wollte mir gerade davon erzählen.“ Sie wendet sich wieder ihrem Besucher zu, der zustimmend nickt. Anscheinend ist es ihm wirklich ernst. Ich bin gespannt auf das, was er uns erzählen wird. „Meine Frau und ich haben uns im Dojo ihres Vaters kennengelernt. Kendo ist-“ „Diese Verletzung stammt von einem Katana?“, fällt Robin ihm ins Wort. Anscheinend ist sie schon wieder drei Gedankengänge weiter als ich, denn ich verstehe nur Bahnhof. „Ja, so ist es. Es ist bei einem illegalen Straßenkampf passiert.“ Etwas verlegen fährt er sich kurz mit der Hand über einen Teil der langen Narbe, die mehr als deutlich seinen durchtrainierten Brustkorb ziert. „Und was hat das damit zu tun, dass du als Callboy arbeitest?“, bringe ich mich wieder ins Gespräch. „Als meine Frau und ihr Vater bei einem Autounfall ihr Leben verloren, konnte ich allein die Kredite nicht mehr bezahlen. Das Anwesen wurde verkauft und das Geld ging größtenteils an die Bank und den Rest brauchte ich für die Beerdigung und für die Verschrottung des Wagens. Da man den Unfallverursacher nie gefunden hat, blieb ich auf den Schulden sitzen, denn die Versicherung sah sich nicht in der Bringschuld. Aber das war nicht das einzige Problem. Koshiro, mein Schwiegervater, hatte sich auch Geld von einem privaten Kreditgeber geliehen, um die Immobilie auch renovieren zu können.“ Er meint wohl einen Kredithai. Aber wer leiht sich schon Geld von so jemandem, nur um ein bisschen zu renovieren? Klingt für mich eher etwas unglaubwürdig. „Das Dojo hatte Kuina’s Urgroßvater erbaut, nach traditionellem Vorbild. Aber die Familie musste es billig verkaufen, nachdem…sie LA verlassen mussten. Es war immer Koshiro‘s größter Wunsch, die Ehre der Familie wiederherzustellen. Zwar gab es einen kleinen Wiedergutmachungskredit, wenn man es so nennen möchte, aber dieser reichte bei weitem nicht aus, um den geforderten Kaufpreis aufbringen zu können. Zudem musste das Haupthaus von Kern auf saniert werden. Es war komplett verwüstet. Also lieh er sich das Geld auf der Straße…“ So ganz verstehe ich das alles noch nicht. Wieso musste die Familie seines Schwiegervaters LA verlassen? Und weshalb kehrten sie dann doch wieder hierher zurück, wofür sie sich offensichtlich komplett verschulden mussten? Und als ob der Grad meiner geistigen Verwirrung nicht schon groß genug wäre, muss Robin auch noch einen obendrauf setzen: „Ist er…in einem Internierungslager gewesen?“ Was?! „Nein, aber seine Eltern. Er sagte immer, dass seine Mutter diese Ungerechtigkeit nie verwunden hätte und schwere Depressionen deshalb hatte. Ich habe beide nie kennengelernt; sie sind wohl nicht sehr alt geworden.“ Robin nickt verstehend und greift aufmunternd nach seiner Hand. Ich muss gestehen, Geschichte war nie mein Lieblingsfach und ohne Robin hätte ich es in der Schule diesbezüglich sehr schwer gehabt. Aber ein Internierungslager mitten in den USA? Ich weiß, dass Robin jedes Jahr zu einem Treffen mit ihrem japanischen Kollegen fährt und danach ist sie immer sehr betrübt. Sie sagte einmal, dass jedes Land dunkle Zeiten im Laufe seiner Geschichte durchlebt hätte und man dürfe nicht aufhören darüber zu sprechen, denn man könne nur daraus lernen. Ich sehe schon, ich werde in der nächsten Zeit nicht darum herum kommen mal ein wenig mein Wissen über amerikanische Geschichte aufzufrischen. „Und wie bist du dann Alvida in die Hände gefallen?“, hakt Robin weiter nach. Sie ist wieder der Wahrheit auf der Spur. Ich habe Robin immer bewundert. Ihre Art analytisch zu denken, jede Frage beantworten zu können wenn es darauf ankommt und dabei doch ihre Natürlichkeit zu bewahren, einfach sie selbst zu bleiben, nie überheblich. Wann immer ich mich in eine ihrer Vorlesungen geschlichen habe, ihrem Vortrag lauschte und dabei stets ins Staunen geriet, wie unterhaltsam und witzig sie ihren Studenten den Lernstoff vermittelt, sah ich voller Achtung zu ihr auf. Und selbst jetzt, wo es eigentlich um eine sehr private Angelegenheit geht, behält sie dennoch den Überblick und das ist gut so. Ich hatte befürchtet, dass Ryo Robin um den Finger wickelt, ihr irgendeinen Mist auftischt, doch sie scheint zu wissen, um welchen Aspekt der amerikanischen Geschichte es sich hier handelt und ob somit seine Erzählung glaubhaft ist. Diesbezüglich vertraue ich ihr blind. „Sie hat die Schuldscheine aufgekauft und somit stand ich plötzlich in ihrer Schuld, nicht mehr in der des Kredithais. Zudem…“, kurz fährt er sich durchs nasse Haar, scheint nicht so ganz mit der Sprache herausrücken zu wollen. Ob er uns doch etwas wichtiges verschweigt? „Ich hatte also recht…damals…“, fügt Robin hinzu. Er nickt nur. Und ich sitze hier und merke aufs Neue, dass es Dinge zwischen den beiden gibt, von denen ich bei weitem keine Ahnung habe. Es scheint nicht das erste Mal zu sein, dass sie über dieses Thema miteinander sprechen. „Damals war Diego noch ein Baby und Alvida bot mir an, ihn gegen meine Freiheit zu verkaufen. Aber was für eine Freiheit hätte das sein sollen? Ich konnte dieses kleine Wunder nicht gegen einen Haufen Dollars eintauschen. Ich bin sein Vater und ein Leben ohne ihn, wäre dem Tod gleichgekommen.“ Robin greift erneut nach Ryo’s Hand, drückt sie fest. Ich dagegen bin einfach nur sprachlos! Ryo hat ein Kind? Einen kleinen Sohn? Und Robin weiß davon offensichtlich! Einen einzelnen Menschen diesem Milieu zu entreißen ist schon keine leichte Aufgabe, aber zwei? Ein kleiner Junge mag im ersten Moment wertlos erscheinen für diese Alvida, aber es gibt genug Perverse und Verrückte, die hinter kleinen Kindern her sind und Geld für sie bezahlen. Nicht auszudenken, was so einem kleinen Knirps alles widerfahren könnte. Schnell wende ich meinen Blick ab und starre ins tiefe Blau des Swimmingpools. Ich darf mich nicht in diesen negativen Gedanken verlieren, damit wäre niemandem geholfen. Aber es ist schwer Angst, Wut und Hass außen vor zu lassen, wenn solche grausamen Themen angesprochen werden. Tief atme ich ein, zähle gedanklich bis drei, ehe ich mich wieder an dem Gespräch beteilige. Wir brauchen einen Plan. Doch ein solcher kann nur funktionieren, wenn wir einen kühlen Kopf bewahren. „Ich gehe mal davon aus, dass sie dir sämtliche Papiere und deine letzten Habseligkeiten abgenommen hat. Richtig?“ „Ganz recht, Nami. Sowohl meinen Ausweis, als auch meinen Führerschein und sämtliche Geburtsurkunden, Unterlagen, einfach alles. Mein einziger Besitz waren drei Katanas, die sie als Pfand ebenfalls einbehalten hat.“ Kapitel 37: Schnittpunkte der Vergangenheit ------------------------------------------- 37. Robin Schnittpunkte der Vergangenheit Ich habe einen Verdacht. Einen schlimmen Verdacht. Ein Gedanke, der im hintersten Winkel meines Gehirns wie ein Blitz entstand und sich nun stechend in mein Bewusstsein bohrt. Drei Katanas. Aber es ist nur ein Verdacht. Glühend! Gebe ich zu. Ich nehme einen kleinen Schluck Sekt zu mir, konzentriere mich auf das Prickeln in meinem Mund, doch es bleibt ein fader Beigeschmack. Und ich weiß noch, dass mich auch damals ein komisches Gefühl beschlich, als wäre etwas faul an der ganzen Sache. Doch da war auch das Gefühl von Stolz, als ein reicher Geschäftsmann Dad’s Galerie für einen Abend mietete, um seine private Sammlung ausstellen zu können. Er sei in seinem Leben bereits durch viele Länder gereist, in Europa, Afrika, Südamerika, aber auch Asien. Prahlte mit seinen Reiseerlebnissen und präsentierte stolz seine Errungenschaften, die er von dort mitgebracht hatte. Angeblich mitgebracht hatte, muss ich wohl sagen. Oder? Jedenfalls befanden sich darunter drei Katanas. Ich erinnere mich daran, wie ich ehrfürchtig vor diesen drei Kunstwerken stand, sogar den Atem anhielt, als ich erkannte, wie alt und dennoch gut erhalten sie waren. Als würde jemand sich voller Hingabe jeden Tag um sie kümmern. Vielleicht war mein Gedanke damals gar nicht so falsch. Es war vor knapp vier Jahren, die Erinnerung daran klar und deutlich, auch wenn ich nicht selbst den Abend leitete, nur meinen Vater unterstützte. Dennoch war ich nicht mit weniger Eifer dabei als mein alter Herr. Kunst weiß mich eben zu begeistern. Und gerade deshalb hatte ich mich nach der genauen Herkunft der drei japanischen Langschwerter erkundigt, man mir aber nur ein vielsagendes Lächeln schenkte. Was meine Neugier weckte. Doch jetzt bin ich es, die ein Lächeln auf den Lippen trägt! Eiligen Schrittes betrete ich mein Haus, stelle nebenbei mein Sektglas auf den Tisch und laufe weiter in den Flur. Ich höre Nami ein: „Alles okay?“, brüllen, doch ich bin schon die Treppe hochgeeilt. Wo habe ich es nur hingetan? Ich habe es auf jeden Fall schon aus der Umzugskiste ausgepackt, da bin ich mir sicher. Am Türrahmen meines Büros bleibe ich kurz stehen, atme einmal tief durch. Mein Blick schweift über geöffnete Kartons, Aktenberge, Bücherstapel, meinen Schreibtisch voller Papiere und einen Berg Kabelsalat. Jetzt weiß ich auch wieder, weshalb ich mich bisher erfolgreich davor gedrückt habe hier aufzuräumen oder überhaupt erst Einzug zu halten. Dieser ganze Elektrokram interessiert mich einfach nicht besonders und Akten über alte Rechnungen ebenso wenig. Aber nun führt doch kein Weg daran vorbei. Ich betrete vollends den Raum, spüre wie der weiche Teppich unter meinen Schritten nachgibt. Würde hier nicht das Chaos herrschen, könnte ich mich hier wohlfühlen. Conchita hat auch schon geschimpft. Leider zurecht. Aber deshalb bin ich nicht hier. Also. Wo ist mein altes Laptop? Obwohl Schlepptop der passendere Ausdruck wäre, das Teil ist viel zu schwer und unhandlich. Ich stöbere in den Kisten, wühle in Taschen, bis ich besagten Gegenstand in einem der Bücherregale zwischen mehreren Schnellheftern liegen sehe. Angestaubt, wohl bemerkt. Ein Glück! Ich nehme es an mich, ebenso das Ladegerät, denn wenn man schon mal ein Laptop braucht, ist auch meist der Akku leer. Zufrieden laufe ich die Treppe wieder nach unten, wo Nami und Ryo mich offensichtlich schon erwarten. Nami hatte für den heutigen Abend einen kleinen Imbiss organisiert, den sie in der Küche anrichten wollte. Ryo bot sich an ihr zu helfen und hat, wie ich sehe, aus dem Reservoir meiner kleinen Hausbar einen Cocktail gezaubert. „Wir wären fertig, wenn du möchtest. Ich habe einfach verschiedene Kleinigkeiten gekauft. Oder willst du jetzt etwa Büroarbeit erledigen?“ Ungläubig sieht Nami auf das Laptop in meiner Hand, wohl sicherlich auch deshalb, weil sie es vor einiger Zeit gewesen ist die mich dazu überredete, mir endlich ein neues anzuschaffen. „Nein, mir ist nur etwas eingefallen, das ich euch später zeigen möchte.“ Mit diesen vielsagenden Worten setze ich mich an den gedeckten Tisch und werfe einen Blick auf das Essen. Und wie ich sehe, hat Nami wirklich von allem etwas gekauft. „Es lebe die gute alte Mikrowelle!“, verkündet sie nicht ohne Stolz und kommt samt gut gefülltem Brotkorb zu mir. Dabei ist Mikrowelle das falsche Wort, schließlich hat Nami beim Aussuchen und Kauf der Küche darauf bestanden, dass ich mir ein Kombigerät zulege. Als ob ich Ahnung davon hätte. Folglich wird sie die teuren Speisen nicht einfach in der Mikrowelle totgekocht haben. Schweigend beginnen wir mit dem Essen, suche mir ein paar Häppchen zusammen und probiere von Ryo’s Mixgetränk. Doch meine Gedanken sind bei diesen japanischen Schwertern. Drei an der Zahl. Drei! Während der Besatzungszeit haben viele amerikanische Soldaten Schwerter aus Japan mit nach Hause gebracht; illegal. Wohl als eine Art Trophäe. Und gerade deshalb kommt es noch immer vor, dass Stücke unter der Hand angeboten werden, die eigentlich darauf warten, ihrem rechtmäßigen Besitzer übergeben zu werden. Eben auch eines dieser Themen, denen der Staat zu wenig Beachtung schenkt. „Schmeckt es dir nicht?“ Doch ich antworte Nami erst gar nicht, sondern blicke direkt zu meinem Gegenüber. Es ergibt schließlich keinen Sinn auf das Essen zu starren, solange ich keine Antworten auf meine Fragen habe. Hat mich der Entdeckergeist erst einmal gepackt, komme ich nur wieder schwer davon los. „Ich sagte doch damals schon, du darfst mich alles fragen“, offeriert er mir. „Aber dass du nicht auf alles antworten wirst. Was ist damit?“, gebe ich zurück. „Als ob wir über diesen Punkt nicht schon längst hinaus wären. An dem Abend, als du mir von deinem Treffen mit Diego erzählt hast, wäre ich normalerweise dazu verpflichtet gewesen unsere Treffen zu unterbinden.“ Er lächelt entschuldigend. Auch ich lächle, meine Wangen sicherlich ein wenig gerötet. Es braucht einen kleinen Moment bis ich mich wieder gefangen habe, die Hitze in mir nachlässt. „Erzähl mir bitte von deinen Schwertern. Beschreibe sie mir. Ich werde in der Zwischenzeit versuchen mein altes Schlachtschiff hochzufahren“, meine ich mit einem kleinen Lächeln an ihn. „Okay.“ Er nickt. „Ursprünglich waren es einmal vier, wobei das vierte einem Säureangriff zum Opfer fiel. Koshiro, mein Schwiegervater, hatte es für eine kleine Ausstellung auf dem japanischen Volksfest zur Verfügung gestellt. Nachts haben ein paar betrunkene Männer randaliert, haben die Verkaufsstände aufgebrochen. Sie sind auch in die kleine Halle eingebrochen, in der die Anwohner ihre traditionellen Kunstgegenstände oder Musikinstrumente ausgestellt hatten. Es wurde vermutet, dass sie ein fremdenfeindliches Motiv hatten. Gefasst wurden sie jedenfalls nicht. Seitdem ist das Yubashili leider wertlos. Die Papiere habe ich aber noch.“ Kurz nippt er an seinem Glas, ehe er fortfährt: „Bei den anderen drei handelt es sich um ein schwarzes, ein rotes und ein weißes Katana. Das Schwarze ist recht schwer für ein Schwert seiner Art. Der Stahl ist sehr dunkel, dennoch kann man seinen Wellenschliff gut erkennen. Es dürfte um die vierhundert Jahre alt sein. Ich habe das Shusui bei einem hochdotierten Kendoturnier gewonnen. Das Rote heißt Sandai Kitetsu und gehört zu den seltenen Schwertern, die einen Flammenschliff haben. Es war ein Geschenk meines Schwiegervaters an mich, als Zeichen des Willkommens in seiner Familie. Sowohl der Griff, als auch die Schwertscheide sind mit Gold verziert. Es existiert eine kleine Legende die besagt, das Schwert sei verflucht. In Anbetracht dessen, was mir alles in meinem Leben bereits widerfahren ist, neige ich langsam dazu daran zu glauben. Als letztes wäre das weiße Wado-Ichi-Monji zu nennen. Es war das Schwert meiner Frau. Obwohl es optisch am unscheinbarsten ist, ist es das wertvollste der drei Schwerter. Es stammt aus der Kamakura-Epoche und ist circa sechshundert Jahre alt.“ Unweigerlich muss ich lächeln, als ich Ryo’s Leidenschaft für diese Schwerter in seinen Augen sehe. Als würde er für einen kurzen Moment diese Welt hier verlassen und an einen anderen Ort zurückkehren. Er muss gern an diesen Teil seiner Vergangenheit denken. Ich versuche mir Ryo in der Gestalt des Kämpfers vorzustellen, denn mein Laptop zeigt zwar schon mein Hintergrundbild, die Cheops-Pyramide von Gizeh in Ägypten, doch da noch immer Geräusche herauskommen, als würde ein Hamster in seinem Rad Vollgas geben, habe ich noch etwas Zeit, bis es vollständig hochgefahren ist. Und ich muss gestehen, in dieser Rolle des Samurai würde Ryo sicherlich eine gute Figur abgeben. „Woran denkst du?“, unterbricht Nami meinen Gedankengang und entgegen meiner sonstigen Art flunkere ich ein bisschen. „Ob ich auf der richtigen Spur bin.“ Sie schenkt mir einen spitzbübigen Blick. Und gerade rechtzeitig scheint mein Laptop endlich startklar zu sein, so dass ich mich diesem wieder zuwenden kann. Ungeduldig durchforste ich die Fotodateien und ärgere mich dabei im Stillen wieder einmal über mich selbst, weil ich so chaotisch bin. Parallel frage ich mich aber auch, an welchem Datum diese Ausstellung stattgefunden hat. Mist! Es ist ein bisschen so, als würde man die Nadel im Heuhaufen suchen und dabei kann ich noch von Glück reden, dass ich nicht zu der Sorte Mensch gehöre, die jeden Augenblick ihres Lebens in Bildern festhalten müssen. Dennoch gebe ich zu, hin und wieder ärgere ich mich darüber, dass ich in der Vergangenheit nicht öfters auf den Auslöser gedrückt habe. Bei meiner Promotionsfeier in Yale, um nur ein Beispiel zu nennen. Frustriert schließe ich den Ordner Bilder wieder und starre auf die Wüstenlandschaft auf meinem Screen. Und siehe da, am Fuße dessen, was der ganzen Leidenschaft meiner Mutter gehörte, springt mir einer dieser gelben Dateiordner ins Auge, die ich beinahe ganz vergessen hätte: Versicherungen. Zwar auch nicht gerade eine meiner Leidenschaften, aber für gerade jene fertige ich immer Fotos unserer Ausstellungsobjekte an. Nicht dass die Versicherung nicht zahlt, sollte je einem dieser Kostbarkeiten etwas zustoßen, nur weil kein Bild vom Ursprungszustand existiert. Bis jetzt ist zwar noch nie etwas passiert, aber man muss es ja nicht darauf ankommen lassen. Eifrig scrolle ich durch die Miniaturansicht, bis ich glaube gefunden zu haben, was ich suche. Drei japanische Langschwerter. „Kannst du dir das bitte einmal ansehen, Ryo?“, frage ich mein Gegenüber über das Laptop hinweg. Er nickt nur, denn er hat noch den Mund voll, kommt aber dennoch gleich um den Tisch zu mir gelaufen. Und kaum dass er einen Blick auf den Bildschirm geworfen hat, höre ich ihn hart schlucken. Gespannt mustere ich seine Reaktion, sehe Trauer, gefolgt von Wut, die anschließend einer Art tiefen Verbitterung zu weichen scheint. Sein Blick ist starr auf den Bildschirm gerichtet, seine Gedanken scheinen weit weg. So ist es auch kein Wunder, dass es eine Weile dauert, bis er merkt, dass ich ihn schon die ganze Zeit über ansehe. „Ja, das sind sie.“ Seine Stimme klingt ein wenig heißer. Auch Nami hat sich zu uns gesellt, doch mein Hauptaugenmerk liegt auf Ryo. Zu gern würde ich an seinen Gedanken teilhaben, aber ich kann verstehen, dass der Anblick seiner lange Zeit vermissten Katanas nicht so einfach für ihn zu verdauen ist und dass er einfach einen Augenblick braucht, um sich zu sammeln. „War es...eine Auktion?“, bricht er schließlich das Schweigen. „Nein. Ich hatte eher den Eindruck, dass es primär gar nicht um irgendwelche Kunstgegenstände ging. Es war ein seltsamer Abend. Deshalb ist er mir wahrscheinlich auch in Erinnerung geblieben.“ Kapitel 38: Das, was zwischen uns liegt --------------------------------------- Zorro Das, was zwischen uns liegt Eng umschlungen liegen wir noch immer am Rand des Pools, doch inzwischen scheint Robin in meinen Armen eingeschlafen zu sein, denn außer ihrem gleichmäßigen Atmen ist nichts mehr von ihr zu hören. Und darüber bin ich froh. Nicht etwa deshalb, weil ich ihre Nähe nicht genieße, sondern weil es mir von Minute zu Minute schwerer gefallen ist sie nicht zu berühren, ja, sie zu küssen. Der Wunsch nach Zärtlichkeit und Liebe erfüllt mein Innerstes und Robin macht es mir nicht gerade leicht ihr zu widerstehen. Sie ist in jeder Beziehung eine tolle Frau, auch wenn ich glaube, dass sie sich dessen nicht voll bewusst ist. Zum Glück, sonst könnte sie mich damit ganz schön in die Bredouille bringen, schließlich bin auch ich nur ein Mann. Ein Mann, in einer nicht alltäglichen Situation. Wann war eigentlich der Moment, als ich Robin in mein Herz geschlossen habe? Wann habe ich mich in sie verliebt? Ich weiß noch, als wir zusammen im Park Schach gespielt haben. Im Dunkeln wohlgemerkt! Da merkte ich, dass sie etwas besonderes ist. Und als ihr Exmann auf sie losgegangen ist, wollte ich alles tun, um sie zu beschützen. Am liebsten hätte ich diesen Mistkerl in Stücke gerissen, als er sie schlug! Damals beschloss ich mich emotional etwas mehr von ihr zu distanzieren, aber es misslang mir auf ganzer Linie. Und nun da ich weiß wie es auch um ihre Gefühle bestellt ist, fällt es mir noch schwerer mich auf meine anderen Kundinnen zu konzentrieren. Ich muss mich regelrecht zwingen nicht geistig abzudriften und an Robin zu denken, anstatt meine Aufgabe zu erledigen. Einen Moment lausche ich noch ihrem Atem, beobachte wie ihr Brustkorb sich entspannt hebt und senkt, ihre entspannten Gesichtszüge. Vorsichtig rapple ich mich auf, stets darum bemüht sie nicht zu wecken. Ich sollte nach Hause gehen. Doch bevor ich das tue, bringe ich Robin noch ins Haus, bzw. in ihr Bett. Der Abend war sicherlich erschöpfend für sie gewesen, immerhin hatte sie nicht mit meinem Erscheinen gerechnet und sich nach ihrem langen Arbeitstag bestimmt auf etwas Ruhe und Entspannung gefreut. Behutsam schiebe ich meine Arme unter ihren Körper, ehe ich zusammen mit ihr aufstehe. „Ryo...“, murmelt sie leise gegen meinen Hals. Ihr Atem beschert mir eine leichte Gänsehaut, die sich bis zu meiner Schulter auszubreiten scheint. “Schlaf weiter“, antworte ich ihr ebenso leise, in der Hoffnung, dass sie nicht aufwacht. Ich betrete das Wohnzimmer, wo Nami auf dem Sofa sitzt und mit ihrem Smartphone beschäftigt ist. Neugierig sieht sie mich an, scheint dann aber doch zu verstehen, was ich vorhabe. „Ich zeig dir den Weg“, bietet sie auch sofort ihre Hilfe an und erhebt sich. Zusammen laufen wir über die Treppe nach oben in den ersten Stock, Robin noch immer schlafend in meinen Armen. Nami führt mich in Robin's Schlafzimmer, wo ich diese auf dem breiten Bett ablege. Ich greife nach einer dünnen Decke, die auf einem Stuhl neben dem Bett hängt und decke Robin zu, wobei meine Gedanken etwas abdriften. Kurz betrachte ich Robin noch, wie sie friedlich schläft, erst dann reiße ich mich von ihrem friedlichen Anblick los und folge Nami wieder nach unten. Ich bin an einem Punkt in meinem Leben angekommen, der nach Veränderung schreit, doch ich lebe in einem Käfig, aus dem es so schnell kein Entkommen gibt. „Ich kann dir ein Taxi rufen, wenn du möchtest.“ „Ja, danke. Ich sollte wirklich langsam nach Hause fahren.“ Nami nickt und greift zum Telefon. Doch bevor sie die Nummer wählt, sieht sie mich nochmals prüfend an. „Stimmt etwas nicht?“, frage ich sie deshalb. „Na ja, versteh mich nicht falsch, aber wieso wolltet ihr nicht, dass ich euch allein lasse? Ich meine…“ Verlegenheit schleicht sich bei mir ein, denn ich weiß genau, dass Robin in diesem Moment genau das gleiche dachte wie ich, als Nami anbot für ein Weilchen das Haus zu verlassen. Und ganz ehrlich, Nami scheint mich mit ihrer Frage nur aus der Reserve locken zu wollen, denn die Antwort auf ihre Frage wird sie sicherlich selbst kennen. „Aus Höflichkeit?“, versuche ich ein wenig zu flunkern. „Willst du wissen was ich denke?“, feixt sie. „Eher nicht.“ Auf zweideutige Wortspielchen mit Nami lasse ich mich jetzt besser nicht ein. Sie lacht amüsiert, ehe sie antwortet: „Ich sehe schon, wir verstehen uns." Sie geht zurück zum Sofa und lässt sich auf diesem nieder, das Telefon noch immer in der Hand haltend. Anscheinend möchte sie die Gelegenheit nutzen mir noch ein paar Fragen zu stellen, ehe sie endgültig ein Taxi bestellt. „Und weshalb willst du dir nicht von Robin helfen lassen? Sie hätte die Möglichkeit dazu.“ Ich hatte also recht. „Und dann? Muss ich jedes Mal um Erlaubnis bitten, wenn ich sie küssen möchte? Eine Kerbe in den Bettpfosten machen?“ „Denkst du wirklich, dass sie derart oberflächlich ist? Sie möchte einen Partner dem sie vertrauen kann, kein Sextoy. Außerdem scheint sie ganz in deinen Sohn vernarrt zu sein. Was kann dir besseres passieren? Was kann ihr besseres passieren?“ Müde reibe ich mir über die Augen. Wo habe ich eigentlich meine Hose gelassen? Während ich mich nach besagtem Kleidungsstück umsehe, antworte ich Nami: „Ich möchte einfach nicht, dass Alvida Robin ausnimmt. Es sind meine Schulden, also auch mein Problem. Und selbst wenn sie die Schulden begleichen würde, bin ich mir nicht sicher, ob mich Alvida wirklich gehen lassen würde. Jeder ihrer Callboys trägt einen Peilsender im Fuß, sie weiß immer wo wir sind. Dieses Problem werde ich mein Lebtag wahrscheinlich nicht mehr los.“ Ich weiß ja, wie es Sanji seinerzeit erging. Frustriert hebe ich meine Hose vom Boden auf und ziehe mich an. Manchmal glaube ich, ich werde nie frei sein können, egal wie viel Geld ich auftreibe. „Das wusste ich nicht.“ Nami schenkt mir ein ehrliches Lächeln. „Woher hättest du das auch wissen sollen? Die Agentur verheimlicht das natürlich, schlecht für den Ruf.“ „Hast du Robin davon erzählt?“ „Ja, als wir am Pool saßen, bevor sie eingeschlafen ist. Ich habe ihr auch die Narbe gezeigt, weil sie es zunächst nicht glauben wollte.“ „Das ist auch schwer zu verstehen. Für uns ist Freiheit etwas Selbstverständliches.“ „Ich hätte auch nie gedacht, dass es so etwas in unserem Land gibt. Aber inzwischen habe ich einige Menschen kennengelernt, die auf die eine oder andere Art unfrei sind. Es ist eine Illusion zu glauben, dass gleiches Recht für alle gilt.“ Ich bin frustriert, sehr sogar, doch ich sollte mich mehr zusammenreißen. Es führt zu nichts, wenn ich bei Nami meinen seelischen Ballast ablade, sie kann weder etwas dafür, noch geht es sie etwas an. Ich nehme mein Shirt an mich und streife es mir über. Es ist Zeit nach Hause zu fahren. „Beantwortest du mir auch eine Frage?“ Überrascht blicke ich zur Wohnzimmertür, an dessen Rahmen Robin gelehnt steht und mich mustert. „Ja,…klar. Haben wir dich geweckt?“, frage ich zurück. „Nein, aber ich habe einen leichten Schlaf. Irgendwie kamen mir die Steinplatten am Pool plötzlich so weich vor.“ Sie lächelt etwas unsicher, so dass ich auf sie zugehe, um ihr zu zeigen, dass ich mich ihrer Frage stelle, egal was es auch sein mag. Doch stattdessen fällt sie mir um den Hals, presst sich fest an mich, so dass ich aus Reflex meine Arme um sie schlinge. „Bleib hier! Diego und du-“ Entschieden schüttle ich den Kopf. „Glaub mir, nichts würde ich lieber tun, aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg.“ Kapitel 39: Gedankensprünge --------------------------- 39 Robin Gedankensprünge „Ich frage mich wie Alvida darauf reagiert hat, als sie herausgefunden hat, dass ihre neuste Errungenschaft beschädigt ist. Die Narbe auf Ryo's Oberkörper lässt sich schließlich kaum vertuschen. Und welche Frau bezahlt schon so viel Geld für eine Nacht mit einem Mann der aussieht, als wäre er ein Opfer von Organdieben geworden. Stört es dich eigentlich nicht, dass er so entstellt ist?“ Wie immer nimmt Nami kein Blatt vor den Mund, selbst hier beim Friseur nicht. Zwar wird uns in der kleinen Warteecke niemand hören, aber sie könnte dennoch etwas leiser sprechen. „Wieso entstellt?“, antworte ich bewusst etwas leiser. „Ich finde nicht, dass er dadurch von seiner Attraktivität einbüßt. Im Gegenteil, es macht ihn interessant. Seine Narbe scheint von einem Schwerthieb herzurühren. Wer aber auch immer ihn ärztlich versorgt hat, muss ein Stümper gewesen sein.“ „Sprach die Wissenschaftlerin“, schiebt Nami dazwischen und unterbricht damit meinen Gedankengang bezüglich Ryo's Körper. Schade eigentlich. „Jedenfalls sollten wir versuchen herauszufinden, was Ryo Alvida wirklich wert ist. Seine Schulden sind eine Sache, aber sein Marktwert eine andere. Viele Thirds hat die Agentur nicht und von diesen ist er ihr Vorzeigemann. Ich habe mich mal etwas genauer auf diversen Plattformen umgeschaut und bin dabei mehr als einmal über ein Bild von ihm gestolpert.“ „Was für Bilder?“ Nun bin ich doch etwas neugierig. Bedeutungsschwanger beugt sich Nami in meine Richtung und scheint endlich eingesehen zu haben, dass sie etwas ihre Stimme dämpfen sollte. „Die Frauen mit denen er sich trifft posten meistens ein Selfie von sich und ihm auf einer Bewertungsplattform und kommentieren das Treffen. Wobei man sagen kann, dass diese Bewertungen fast ausschließlich positiv sind und besonders sein Hintern sich allgemeiner Beliebtheit erfreut. Negativ wird erwähnt, dass er sich partout nicht auf mehr einlässt.“ Erleichterung befällt mich, auch wenn ich grundsätzlich Bewertungen im Internet kritisch sehe. Wer weiß, wie viele davon echt sind oder fingiert. „Na so häufig kommt das sicherlich nicht vor“, versuche ich zusätzlich mich selbst zu beruhigen. Einen Ryo, der von heißhungrigen Frauen umringt ist, ist nicht gerade ein Bild, das ich mir gerne vorstelle. „Da täuschst du dich leider. Aber zu deiner Beruhigung kann ich sagen, dass der Grund dafür sicherlich darin liegt, dass einige seiner Kundinnen erst einmal testen wollen, ob ein Treffen mit einem Callboy überhaupt für sie in Frage kommt und wenn sie dann von Ryo überzeugt sind, denken sie, dass sie ohne weiteres quasi ein Upgrade buchen können. Bei einigen geht das wahrscheinlich, nur bei ihm eben nicht. Klar, dass dann manche der Frauen enttäuscht sind und ihn dafür negativ bewerten. Aber so ist das nun mal.“ Nami steckt ihr Smartphone zurück in ihre Handtasche und greift nach ihrem Cappuccino. Sie wirkt nachdenklich. „Was beschäftigt dich?“, frage ich sie deshalb direkt. „Na ja.“ Sie überlegt einen Moment, der mir für ihre Verhältnisse fast schon zu lange dauert. Normalerweise gehört sie eher zu den Menschen, die laut und schnell denken. „Es sind einige Fragen zu klären und ich muss gestehen, ich fühle mich ein wenig überfordert. Wir reden hier schließlich nicht über ein paar neue Schuhe, sondern über einen Menschen, wenn nicht sogar zwei.“ Sie schenkt mir einen vielsagenden Blick und ich nicke. Anscheinend möchte sie hier im Salon doch nicht zu deutlich werden. „Um den Kleinen mache ich mir auch am meisten Sorgen. Im Kindergarten wird er schlecht behandelt, weil er durch den Job seines Vaters gehänselt und ausgegrenzt wird. Und selbst wenn Ryo und er unbeschadet aus der Angelegenheit herauskommen sollten, heißt das nicht, dass Diego mich akzeptieren wird. Er ist noch klein, aber doch alt genug sich eine eigene Meinung zu bilden.“ Ich möchte gar nicht daran denken was passieren würde, sollte Diego mich nicht mögen. Er ist Ryo’s Sohn und ich wünsche mir, dass wir uns gut verstehen werden. „Stimmt, daran hatte ich gar nicht gedacht. Also noch ein Punkt mehr, den es zu beachten gilt. Wobei man auch sagen muss, dass es bis dorthin noch ein weiter Weg ist.“ Nami stellt ihre Tasse zurück auf den Tisch und mustert mich eindringlich. Offensichtlich hat auch sie sich vergangene Nacht noch viele Gedanken gemacht. „Wie weit bist du bereit zu gehen für Ryo? Es wartet mehr als ein Problem darauf gelöst zu werden, das wird nicht einfach.“ „Wie meinst du das?“ Hat sie aus irgendeinem Grund Zweifel? „Na ja, wie soll ich sagen. Vielleicht…das Finanzielle scheint nicht das größte Problem zu sein?“ „Ja, da gebe ich dir Recht. Und es sind ein paar Umstände aufgetreten, mit denen ich nicht gerechnet habe. Aber ich werde mich langsam vorarbeiten. Zwar wünsche ich mir lieber heute als morgen, dass die beiden frei sind, aber ich möchte auch nichts falsch tun.“ Es fällt mir schwer nicht direkt handeln zu können. Es könnte doch so einfach sein: Alvida bekommt ihr Geld und lässt im Gegenzug Ryo und Diego ziehen. „Von welchen Umständen sprichst du denn?“ „Der Peilsender zum Beispiel“, sage ich schnell, denn dass ich heute Nacht beim Durchforsten meines Laptops noch über ein weiteres Detail gestolpert bin, möchte ich vorerst noch für mich behalten. Es geht nicht darum Nami etwas zu verheimlichen, sondern eher darum, dass ich selbst absolute Gewissheit brauche, bevor ich falsche Verdächtigungen äußere. Außerdem muss ich mir über die Konsequenzen im Klaren werden. „Das Problem wird nicht sein einen Arzt zu finden der das Stück entfernen kann, sondern einen, der keine Fragen stellt. Es gehört bestimmt nicht zum täglichen Geschäft eines Chirurgen Wanzen aus Körperteilen zu entfernen.“ Müde reibe ich mir über die Augen. Ich sehe schon, Nami geht ganz anders an die Angelegenheit heran als ich. Das ist auch gut so, nicht dass ich etwas wichtiges übersehe. „Und die Schwerter? Ich meine, wie kommt es, dass sie in deiner Galerie ausgestellt wurden?“, hakt Nami weiter nach. „Damals war es ja noch Dad’s Galerie. Ich werde ihn fragen, ob er sich an den Abend erinnert. Doch ganz ehrlich, geklaute Kunstgegenstände wiederzufinden ist nicht gerade ein Pappenstil. Ich möchte nicht wissen wie viele verschwundene Kostbarkeiten unter der Hand den Besitzer wechseln und nie wieder in der Öffentlichkeit auftauchen. Deshalb mache ich mir ehrlich gesagt nicht allzu große Hoffnungen, dass Ryo sie wiederbekommt.“ Traurig, aber vorerst auch nicht unser größtes Problem. „Schönen guten Tag, meine Damen. Dürfte ich sie wohl zu ihren Plätzen begleiten?“ Die hochgewachsene Silhouette von Pola taucht vor uns auf und beendet damit unsere kleine Diskussion. Jetzt steht Verwöhnen ganz oben auf der Tagesordnung, danach arbeite ich mich langsam vorwärts. Leider nicht ganz so entspannt wie ich gerne wäre, lasse ich mich auf dem mir zugewiesenen Platz nieder, Nami direkt neben mir. Ich kann gar nicht oft genug wiederholen wie froh ich bin, sie an meiner Seite zu wissen. „Könntest du dir vorstellen, dass der Hosenmatz mich auch mögen könnte?“ Irritiert blicke ich zu meiner Freundin und nicke. „Ja…bestimmt. Wieso fragst du?“ Seit wann mag sie kleine Kinder? „Nun...“ Sie blickt sich kurz um, ob uns auch niemand hören kann und meint mit einem breiten Grinsen im Gesicht: „Du und Ryo werdet doch sicherlich auch ein wenig Zeit allein verbringen wollen und solange muss ja jemand auf den Zwerg aufpassen.“ Kapitel 40: Destiny ------------------- 40. Robin Destiny Kaum dass sich die beiden Fahrstuhltüren vor mir öffnen, richten sich sämtliche zwei Augenpaare, die sich in dem dahinterliegenden Raum befinden, auf mich. „Wir haben noch geschlossen“, kommt es auch prompt von einem der beiden Barkeeper, die eifrig damit beschäftigt sind den heutigen Abend vorzubereiten. Salsa Party stand auf einem Plakat unten am Eingang, dementsprechend gut besucht wird die Bar bald sein. Kurz zögere ich noch, ehe ich den Lift verlasse und das Stars vollends betrete. Ich erkenne keinen der Menschen wieder die hier eifrig hin und her laufen, aber da Ryo einmal meinte, dass die meisten Angestellten nur Aushilfskräfte wären, wundere ich mich darüber auch nicht länger, sondern sehe mich weiter nach einem bekannten Gesicht um. „Ist June nicht da?“, frage ich einfach in die Runde, während ich langsam auf die Theke zulaufe. Doch ich muss erst gar nicht auf eine Antwort der beiden warten, denn June hat offensichtlich unsere Konversation mitbekommen und kommt aus der Küche geeilt. Verwundert, aber dennoch freundlich sieht sie mich an, bis sie mich schließlich mit einer kurzen Umarmung begrüßt. „Was treibt dich so früh hierher? Kann ich etwas für dich tun?“ Abschätzend blickt sie an mir runter, ehe sie in ihrer unverblümten Art gleich einen Vorschlag parat hat: „Du brauchst ein passendes Outfit für heute Abend?“ Ich lache kurz amüsiert auf. June hat eine besondere Art an sich, Menschen fröhlich zu stimmen, obwohl sie ihnen einfach nur offen ihre Meinung entgegenbringt. „Nein, deshalb bin ich nicht hier. Aber in der Tat wäre es nett, wenn du mir ein paar Minuten deiner Zeit schenken könntest.“ Es ist mir unangenehm sie darum zu bitten, denn zum einen ist mir das Thema peinlich und zum anderen hat sie sicherlich im Moment genug zu tun, denn in einer halben Stunde öffnet ihre Bar. Andererseits konnte ich ja nicht ahnen, dass ausgerechnet heute eine Mottoparty im Stars stattfindet. „Klar! Lass uns ein ruhiges Plätzchen suchen.“ Sie steuert einen der Tische in der Nähe der Bar an und wirft ihr Handy auf den Tisch, das sie in der Hosentasche wohl sonst beim Sitzen stören würde. Ich setze mich zu ihr, wobei ich mir Zeit lasse, denn im Grunde weiß ich noch gar nicht so genau, wie ich anfangen soll. Nami meint zwar immer man solle direkt auf den Punkt kommen, denn alles andere wäre nur Zeitverschwendung, aber sie hat ja leicht reden, sie ist jetzt nicht hier. Ungeschickt krame ich in meiner Handtasche, doch es hilft alles nichts; Jetzt gibt es wohl kein Zurück mehr. Aber es ergibt auch keinen Sinn den Kopf in den Sand zu stecken und so zu tun, als sei alles in Ordnung. Außerdem möchte ich endlich ein paar Antworten! Ehrliche Antworten und nicht wieder in einer Sackgasse landen, um mir die Wahrheit vorzuenthalten. Natürlich weiß auch ich, dass es Gründe für dieses Schweigen gibt, doch die Zeit ist reif mich einzuweihen. Schnell schiebe ich ein Foto über den Tisch und blicke erwartungsvoll in das Gesicht meiner Gegenüber. Sie nimmt es auch in die Hand und für einen kurzen Moment kann ich sehen, dass sie das Bild kennt oder zumindest weiß, worum es geht. „Was ist damit?“, fragt sie und lächelt etwas unsicher. Die beste Schauspielerin ist sie nicht, aber das macht mir die ganze Angelegenheit nur leichter. Dennoch rast mein Puls wie verrückt und ich bete, dass nicht noch mehr unliebsame Überraschungen auf mich warten werden. Aber eigentlich bin ich doch aus genau diesem Grund hier, um Antworten zu erhalten, egal wie unangenehm sie sein mögen. „Das bist doch du, oder du warst es?“, fange ich schließlich an. „Kann sein. Wie kommst du darauf? Das Foto muss ja schon ewig alt sein.“ Sie versucht mir auszuweichen und schenkt mir ein unbeholfenes Lächeln. „Das Tattoo an deinem Hals. Es wäre schon ein besonders großer Zufall, wenn es noch eine Frau in L.A. gäbe, die den gleichen winzig kleinen Kolibri auf den Hals tätowiert hat wie du. Farben und Größe sind schließlich frei wählbar.“ „Was willst du?“ Die Freundlichkeit in ihrer Stimme wackelt. Anscheinend fühlt sich June in die Ecke gedrängt. Ich kann es ihr nicht einmal verübeln. „Der Mann auf dem Foto, woher kennst du ihn?“, hake ich weiter nach. „Ich kenne viele ältere Herren, das bringt dieser Job so mit sich. Was weiß ich, wer das ist!“ Sie greift nach ihrem Handy und ist im Begriff sich wieder zu erheben, doch ich halte sie zurück, indem ich schnell meine Hand auf ihre lege. „Du willst mir doch nicht ernsthaft weißmachen, dass du deinen eigenen Vermieter nicht kennst? Immerhin gehört ihm ein Teil dieses Komplexes, einschließlich der großzügigen Vierzimmerwohnung, in der du mit Jessy wohnst.“ Überrascht sieht sie mich an, ehe sie in den Angriff wechselt: „Und wenn schon! Oder arbeitest du neuerdings fürs Finanzamt?!“ „Nein. Aber dieser Mann auf dem Foto der seinen Arm um dich gelegt hat, dein Vermieter, ist mein Vater.“ Ich muss hart schlucken, bevor mir die Tränen kommen. Als ich nach Ryo’s letztem Besuch die Aufnahmen auf meinem alten Laptop noch einmal genauer unter die Lupe genommen habe, weil ich mehr über die Schwerter herausfinden wollte, bin ich unter anderem über diese Aufnahme gestolpert. Es war ein Schlag ins Gesicht gewesen und noch immer weiß ich nicht, wie ich mit der ganzen Sache umgehen soll. Ich fühle mich von allen Seiten betrogen und habe Angst, dass Ryo ebenfalls in irgendeine Sache verstrickt ist, die am Ende bedeuten könnte, dass es für uns beide keine gemeinsame Zukunft geben wird und ich wieder diejenige bin, mit deren Gefühlen man gespielt und ausgenutzt hat. Mit großen Augen sieht June mich an, ehe sie verstehend nickt und sich wieder vollständig hinsetzt. „Jetzt verstehe ich auch deine Hartnäckigkeit.“ Ein wenig verunsichert streift sie sich mit der Hand durchs Haar, scheint nach Antworten zu suchen. „Du willst bestimmt wissen, woher ich ihn kenne. Ich meine, du wirst sicherlich wissen, dass es nicht im Tennisclub oder so war.“ Sie lächelt ein wenig, aber sie wirkt erschöpft. „Schon. Er ist immerhin mein Vater, auch wenn wir vielleicht nicht das innigste Verhältnis haben, aber ich habe sonst niemanden.“ Außer mit Nami habe ich noch nie mit jemandem darüber gesprochen. Doch ich kann keine ehrlichen Antworten erwarten, wenn ich nicht selbst ehrlich bin, egal ob es mich im Augenblick schmerzt oder nicht. June nickt, doch ihr Blick wirkt nach innen gerichtet, als würde sie in ihren Erinnerungen nach verborgenen Erlebnissen suchen. Unglücklich und traurig sieht sie dabei aus, dass es mir fast leid tut sie belästigt zu haben. „Ich denke ungern an diese Zeit zurück, aber ich weiß auch, dass das Schicksal es letztendlich gut mit mir gemeint hat. Gewissermaßen hatte ich Glück; Jessy und ich hatten Glück. Es ist nicht leicht auszusteigen und als lesbisches Pärchen besonders nicht, schließlich…na ja.“ Hörbar atmet sie aus und sieht mich dann doch direkt an. „Sergej war ein guter Kunde von mir und damit meine ich jetzt nicht, dass er derjenige war, der mich am häufigsten aufsuchte, sondern dass er mir häufig Geschenke machte die so banal wirkten, dass mein Zuhälter kein Interesse daran hatte sie mir wegzunehmen. Gutscheine für die Drogerie um die Ecke oder den Friseur. Das waren für einen reichen Mann wie ihn Peanuts, aber für mich bedeuteten sie bares Geld. Jessy kannte er ebenfalls vom Dungeon. So hieß der Laden, in dem wir uns trafen. Und ich kann dir sagen, der Name hält was er verspricht.“ Kurz räuspert sie sich und wirft mir einen prüfenden Blick zu. Doch ich sitze wie versteinert, beiße fest die Zähne zusammen, um meine Emotionen besser im Griff zu haben. Ich möchte hier nicht in aller Öffentlichkeit in Tränen ausbrechen, das wäre mir peinlich. „Zu dieser Zeit lernte ich auch Ryo kennen und hatte die zweifelhafte Ehre ihn auf seine Rolle als Second vorzubereiten.“ Sie lacht kurz amüsiert auf, während mir das Herz in die Hose rutscht. Second? Augenblicklich schießt mir die Erinnerung an den silbernen Stick in den Kopf, den wir bei einem unserer Treffen verwendeten. „Manchmal frage ich mich wirklich wer auf die Idee kam, aus ihm einen Callboy machen zu wollen. Was das Verkaufen seines Körpers betrifft ist er echt ein bisschen grün hinter den Ohren, zumindest ist er kein Draufgänger. Versteh mich recht. Es ist etwas völlig anderes eine feste Partnerschaft zu haben als sich von fremden Menschen flachlegen zu lassen. Das hat wenig miteinander zu tun. Aber ich kann dich beruhigen, er hat nicht einen Tag als Second gearbeitet und auch zwischen uns lief nie etwas.“ Erleichterung umfängt mich und nur zu gerne glaube ich ihren Worten, dass Ryo nie ein Second gewesen ist. Doch etwas scheint ihr noch auf der Seele zu brennen. „Obwohl,…na ja…er war bis jetzt der einzige Mensch in meinem Leben, der mich in den Arm genommen hat und sagte, dass ich nicht wertlos bin, sondern wichtig. Ich meine jetzt als Freund, ohne Hintergedanken, ohne eine Gegenleistung zu verlangen. Das bedeutet mir nach wie vor sehr viel.“ Sie nimmt erneut das Foto in die Hand und atmet tief durch. „Als Sergej damals ein Treffen mit Jessy und mir buchte, hatte ich ehrlich gesagt ziemlich Schiss davor. Die Typen, die sonst mit ihm in den Club kamen oder besser gesagt die ihn damals mitgebracht hatten, waren nicht gerade angenehme Kunden. Manche Menschen glauben, bloß weil sie Geld haben dürfen sie sich alles erlauben oder nehmen. Dass man keine Gummipuppe ist, wird dabei schon ganz gerne mal vergessen. Egal, das ist zum Glück Vergangenheit. Jedenfalls erzählte er uns von seiner Idee, in einem Hochhaus eine Kneipe eröffnen zu wollen. Ich muss gestehen, ich hatte Angst, dass er uns verarschen wollte. Ich meine, wer kommt denn schon auf die verrückte Idee zwei Huren als Bardamen anzuheuern? Inzwischen weiß ich, dass es genau andersherum war. Er wollte uns befreien und hatte nach einer Möglichkeit gesucht uns in Lohn und Brot zu stellen. Auf dem normalen Arbeitsmarkt hätten wir vermutlich kaum eine Chance gehabt, schließlich haben wir beide keinen Schulabschluss. Ehrlich, ich weiß bis heute nicht, was er für uns alles auf sich genommen hat, aber ich stehe ewig in seiner Schuld.“ Sie legt das Bild zurück auf den Tisch und grinst mich ein bisschen verschmitzt an. „Aber wenn ich schon nichts für ihn tun kann, dann vielleicht wenigstens für seine Tochter. Im Grunde geht es doch um Ryo, nicht wahr?“ Stumm nicke ich, meine Gefasstheit ist wie weggeblasen. „Seit er dich hier angeschleppt hat beobachte ich, wie ihr von mal zu mal vertrauter miteinander werdet. Und dann dieses Treffen, bei dem ihr mich nicht dabei haben wolltet. Spätestens da wurde mir vollends klar, dass ihr euch auf dünnem Eis bewegt. Ich kann nur hoffen, dass ihr keine Dummheiten gemacht habt. Sollte Alvida auch nur einen Hauch davon mitbekommen, wäre das milde ausgedrückt eine Katastrophe. Was nicht heißen soll, dass ich euch nicht verstehen könnte.“ Prüfend mustert sie mich und grinst dabei amüsiert. „Nein! Ich meine, nein, da brauchst du dir keine Sorgen zu machen.“ Gott ist mir auf einmal warm! „Ich kann nicht gerade behaupten, dass es mich überrascht, dass du noch grüner hinter den Ohren bist als er. Aber das würde ich in eurem Fall sogar als Vorteil werten. Dennoch geht es nicht nur darum, sondern auch, was er dir bereits alles erzählt hat.“ „Ich weiß im Grunde nicht viel, aber ich vermute, dass Alvida ihn mit Diego erpresst, damit er diesen Job macht.“ „Du weißt schon zu viel. Er hätte dir von dem Kleinen nicht erzählen dürfen!“ „Das hat er nicht. Es ist durch einen dummen Zufall herausgekommen. June, bitte. Ich möchte Ryo helfen, aber ich fürchte, ich könnte selbst ein bisschen Hilfe gebrauchen. Und wenn ich noch etwas über Ryo weiß, dann dass er Vertrauen zu dir hat.“ „Ein bisschen Hilfe ist gut. Du musst ein paar Dinge erledigen, bevor er gehen kann, das wird nicht einfach.“ Abwartend sieht sie mich an und im ersten Moment stehe ich völlig auf der Leitung, weshalb sie nicht weiterspricht. Doch dann fällt endlich der Groschen: Sie möchte wissen was ich bereits herausgefunden habe und wie weit ich bereit bin für Ryo zu gehen. „Er schuldet Alvida Geld, das wird sie zurückhaben wollen. Diego muss sicher sein und am besten so wenig wie möglich in Gefahr gebracht werden. Dann dieser Peilsender in seinem Fuß. Dabei fällt mir ein: Hattest du auch einen?“ „Nein. Uns Frauen hält man mit anderen Dingen gefangen, z.B. Gewalt jeglicher Art. Außerdem ist es leichter neue Mädchen für den Strich zu finden als Kerle. Zumindest bei dieser speziellen Art der Prostitution.“ „Oh, okay.“ Ich komme mir schlecht vor. June hat in ihrem Leben sehr viel Leid erfahren und ich verwöhntes Töchterchen habe nichts Besseres zu tun als die beleidigte Leberwurst zu spielen und meinen Vater nicht mehr anzurufen, seitdem ich vor ein paar Tagen dieses Foto von ihm gefunden habe. Dabei ist Familie doch das wichtigste. „Du weißt doch schon eine ganze Menge. Aber wie willst du vorgehen?“ „Diego und Ryo nehme ich zu mir, dann rede ich mit Alvida.“ „Und während du mit ihr verhandelst, hetzt sie ihre Bluthunde auf die beiden. Nein, nein. Der Peilsender muss zuerst weg und am aller besten wäre es, wenn du gar nicht erst in Erscheinung treten würdest. Sobald sie weiß wo er künftig wohnen wird, wird sie euch nicht in Ruhe lassen. Ryo ist unter den Thirds ihr absoluter Liebling. Für sie ist er sogar wertvoller als einer der meisten Seconds, weil er neue Kundinnen schnell an Seconds oder Firsts weiterleitet und die Jungs ihn allesamt respektieren. Sogar ihr bester First lässt nichts auf ihn kommen. Du siehst, Alvida wird dir sicherlich nicht gerade vor Begeisterung um den Hals fallen, wenn du ihr mitteilst, dass du ihren Ryo gerne für dich behalten würdest.“ „Daran habe ich nicht gedacht. Ich bin eher davon ausgegangen, dass er lediglich einer von vielen für sie darstellt. Eine Nummer, mehr nicht.“ Müde reibe ich mir über die Augen. Die letzten Nächte erwiesen sich als nicht besonders erholsam und diese ganzen Schwierigkeiten werden eher mehr anstatt weniger. Kapitel 41: Puzzleteile ----------------------- 41. Robin Puzzleteile So muss sich der Gang nach Canossa angefühlt haben, zumindest stelle ich es mir so vor. Natürlich könnte ich alles einfach auf sich beruhen lassen, doch das würde auf lange Sicht keinen Sinn ergeben, denn es würde immer zwischen uns stehen, solange ich keine Klarheit habe. Mein Vater und ich hatten es nicht immer leicht miteinander. Wir sind beide dickköpfig und Mutters Tod trug nicht gerade dazu bei, dass wir offen aufeinander zugingen. Jeder von uns hat stets versucht mit seinen Problemen allein klarzukommen, anstatt den anderen um Hilfe zu bitten. Keiner wollte Schwäche zeigen. Zwar heißt es immer ich sei meiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten, doch diesbezüglich bin ich eben nach meinem Vater geraten. Erst während meiner Collegezeit näherten wir uns einander an. Dad erzählte mir von seiner Zeit dort und wie er meine Mutter damals kennenlernte. Er der Meister der Zahlen, der dem College eine Immobilie verkaufte und sie einfache Austauschstudentin aus Kairo. Hin und wieder frage ich mich schon, was die beiden an einander gefunden hatten. Aber vielleicht sind es ja auch mehr die Gegensätze als die Gemeinsamkeiten, die den jeweils anderen attraktiv und interessant werden lassen. Kurz schweifen meine Gedanken wieder zu Ryo und ich frage mich, was ihn für mich interessant sein lässt. Und umgekehrt? „Heute Morgen hätte ich beinahe meinen Assistenten gefeuert und stattdessen der Putzfrau seinen Job angeboten. Die kann bestimmt nicht schlechter rechnen als er. Wie hat er nur seinen Abschluss gemacht? Dabei sollte er nur die Post einwerfen. Muss man einem erwachsenen Menschen erst noch sagen, dass man vorher Briefmarken auf die Umschläge klebt? Ich glaube nicht!“ „Reg dich nicht so auf“, bemühe ich mich wohl vergebens meinen Vater zu beruhigen. Eigentlich bin ich auch nicht zu ihm gefahren, um seinem Ärger ein Ventil zu sein. „Sag mir nicht, ich solle mich beruhigen, das regt mich nur noch mehr auf. Der Tag, an dem ich mich nicht mehr aufregen kann, ist der Tag, an dem ihr den Totengräber rufen könnt!“ „Dad“, versuche ich ihn erneut zu beschwichtigen, bevor er richtig in Fahrt kommt. „Ich werde meine Firma in den nächsten Jahren veräußern, du hast ja kein Interesse.“ Zu spät! „Aber wenn dieser Nichtsnutz sie zugrunde richtet, kriege ich nichts mehr dafür.“ „Dann wirf ihn doch endlich raus! Du gibst deiner Putzfrau dreihundert Dollar mehr im Monat und lässt sie sich um die Post kümmern. Sie weiß eh, welche deiner Sekretärinnen welche Kunden betreut. Außerdem ist sie eine arme Frau und dir tut das Geld nicht weh. Und diesen Assistenten drehst du der Konkurrenz an.“ Verdutzt blickt er mich an, denn offensichtlich hat er nicht mit Unterstützung gerechnet. „Solch Worte aus deinem Mund? Aber nun gut, vielleicht keine schlechte Idee.“ Er nippt an seiner Teetasse und schreibt nebenbei ein paar Sätze in sein Notizbuch. Kyrillisch, wobei er stark abkürzt. Er erklärte mir einmal, dass niemand seine Aufzeichnungen verstehen soll, den sie nichts angingen. Deshalb hat er sich eine eigene Art kyrillische Stenografie ausgedacht. Man muss sein System schon verstehen, sonst kann man den Sinn der Worte nicht erkennen. Prüfend blicke ich wieder in sein Gesicht. Mein Vater ist ein geheimnisvoller Mann. Ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich alles über ihn weiß und wissen möchte. Er wurde als Sohn russischer Einwanderer geboren und verbrachte fast seine komplette Kindheit auf der Straße, wo er sich mit diversen Jobs über Wasser hielt. Unter anderem hat er als Türsteher gearbeitet und auch gerne mal auf seine eigene Art für Ordnung gesorgt. In die Schule ging er wohl nur recht unregelmäßig. Angeblich hat er alles Geld was er verdiente gespart und davon seine erste eigene Wohnung gekauft. Aber anstatt dort einzuziehen hat er sie lieber vermietet und weiter auf der Straße gelebt. Sein Motto lautet auch: „Nur wer schon mal auf der Straße gelebt hat weiß, worauf es im Leben wirklich ankommt.“ So kaufte er bald darauf seine nächste Wohnung und trieb dieses Spiel so lange, bis er beschloss richtig ins Immobiliengeschäft einzusteigen. Immobilienmakler für vorwiegend ausländische Kunden. Er hat wohl einfach ein Gespür für lukrative Geschäfte. „Hattest du nicht versprochen Kuchen mitzubringen?“ Prüfend erwidert er meinen Blick. „Entschuldige, ich war in Gedanken.“ Schnell packe ich die Kuchenstücke aus dem Einschlagpapier und schiebe den Pappteller näher zu ihm hin. „Du weißt, was dein alter Herr mag.“ Er grinst verschmitzt. Sicherlich war sein Ausspruch nicht nur ein Kompliment an die Kuchenauswahl, sondern vor allem an meinen ungewohnt direkten Ratschlag, seinen Assistenten zu feuern. Ich gebe jedem sein Lieblingsstück auf, für ihn Erdbeerkuchen und für mich Blaubeermuffin mit Zuckerguss und gehackten Pistazien. Dazu passt der herbe, aber aromatische Tee aus England, den wir stilecht mit Milch und Zucker trinken. „Milk first“, wie Queen Elisabeth persönlich sagen soll. „Du hast doch was auf dem Herzen, andernfalls wärst du doch nicht extra den Umweg zu meiner Lieblingsbäckerei gefahren. Hast du eine Beule in den BMW gefahren?“ Mit gespielter Strenge sieht er mich an. „Nein, keine Sorge. Es geht um etwas Geschäftliches. Ich bin in deinen Unterlagen auf etwas Interessantes gestoßen.“ Ich weiß nicht ob es Wut, Enttäuschung oder Hilflosigkeit ist, die meine Augen ein wenig feucht werden lässt, aber egal was es ist, ich versuche es mir nicht anmerken zu lassen. Stattdessen lege ich wie beiläufig ein paar Papiere auf sein Notizbuch, ehe ich weiterspreche: „Bis vor kurzem war mir nicht bewusst, dass du einige Anteile am Harding-Square-Tower dein eigen nennst. Doch wie ich dich kenne, besitzt du noch mehr Immobilien, von denen ich nichts weiß. Aber nun gut. Aufgefallen ist mir jedoch, dass du für die komplette obere Etage sehr wenig Miete bekommst. Eigenartig, ist es doch landesweit üblich, dass die Miete proportional zur Etage steigt.“ Ich blinzle ein paar Mal schnell und trinke etwas Tee, um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Zwar habe ich mich gedanklich mehrfach auf dieses Gespräch vorbereitet, aber die emotionale Bedeutung für mich, habe ich völlig unterschätzt. Dad derweil blättert beschäftigt in den Papieren, wobei er nicht so selbstsicher wirkt, wie sonst. „Na ja“, er räuspert sich: „Eine alte Freundin. Sie brauchte etwas Unterstützung bei ihrer Geschäftsidee.“ Bestimmend schiebt er die losen Blätter zu mir zurück, meidet aber meinen Blick. Kommentarlos lege ich ihm das nächste Teil dieses Puzzles vor, ein Foto. Es ist dasselbe Foto, dass ich gestern June gezeigt habe. Nun herrscht Stille, eine merkwürdige Stille. Zwar habe ich mit seinem Schweigen gerechnet, aber eher so, wie er es sonst pflegt zu tun, wenn ihm das Thema unangenehm ist. Er räuspert sich dann stets und verschanzt sich hinter etwas oder wechselt das Gesprächsthema. Aber heute nicht. Dabei habe ich mir mehrere Möglichkeiten zurechtgelegt, wie ich ihn doch darauf festnageln, er sich nicht hinter Börsenberichten verstecken kann. Doch nun? Minuten scheinen zu verstreichen, niemand sagt ein Wort, kein Ton ist zu hören. Auch die Kuchenstücke bleiben unangetastet zwischen uns stehen. Ich schlucke ein paarmal hart, um nicht emotional zu werden. Ich fühle mich ein bisschen überfordert. „Als deine Mutter starb, fiel ich in ein tiefes Loch. Es schien, als hätte alles seine Bedeutung verloren. Ich weiß, ich hätte mich um dich kümmern müssen, doch ich konnte es nicht. Stattdessen lebte ich nur für meine Arbeit. Ich schwor mir, dass ich niemanden mehr lieben würde, denn ich hätte es nicht ertragen, sollte ich diesen Menschen ebenfalls verlieren. Olvia war die einzige Frau, wenn nicht sogar der einzige Mensch, den ich je ohne Einschränkung geliebt habe. Wie sehr ich dich als meine Tochter liebe und wie dumm es von mir war sich von dir zu distanzieren, wurde mir erst später bewusst. Dafür entschuldige ich mich.“ Wieder räuspert er sich, ehe er auf das Foto tippt. „Du wirst selbst wissen, dass diese Frau auf dem Bild ihr Geld damals sicherlich nicht seriös verdient hat. Aber auch ich bin nur ein Mensch, Robin.“ „Das ist auch nicht das Problem, Dad.“ Meine Stimme klingt brüchig und auch zwei Tränen verlassen meine feuchten Augen. Ich bin schockiert, aber auch dankbar, dass er ehrlich zu mir ist. Nichts wäre für mich schlimmer gewesen, wenn er mich angelogen, das Offensichtliche geleugnet hätte. „Sie war eine Prostituierte. Und jetzt...“ Tief hole ich Luft und lege ein weiteres Foto auf den Tisch. „Dad, sei ehrlich. Hast du sie irgendwann ausgelöst?“ Stumm mustert er mich. Er nickt. „Destiny und ich haben uns häufiger getroffen. Ein Klient nahm mich damals mit in diesen Club. Egal ob Mann oder Frau, es war für jeden was dabei. Die Details erspare ich dir und mir, es ist auch so schon schlimm genug. Jedenfalls unterhielt ich mich auch gerne mit ihr, sie war mir sympathisch, und so erfuhr ich, dass sie einst von zu Hause ausgerissen war, weil ihr Vater und ihre Mutter nur mit sich selbst beschäftigt waren und so suchte sie ihr Glück in der großen Stadt. Als Teenager war sie damals ein leichtes Opfer für Zuhälter auf der Suche nach neuen Mädchen. Ich weiß doch, wie es auf der Straße zugeht, da kommt man besonders als Frau leicht unter die Räder. Na ja. Vermutlich war es mein schlechtes Gewissen dir gegenüber, dass mich zu diesem Schritt bewegte. Ich malte mir aus was passiert wäre, wenn du von zu Hause abgehauen wärst. Das hätte ich wirklich nicht überlebt.“ Seine Hände sind gefaltet, er wirkt ein bisschen in sich zusammengesunken. Wie bei einer Beichte und im Grunde ist es das ja auch. „Deshalb hast du auch ihre Freundin mit ausgelöst.“ Ich lege das letzte Bild auf den Tisch. „Das sind die beiden heute: Jessy und June. Du bist der eigentliche Geldgeber des Stars, ihrer Kneipe, indem du fast komplett auf die Miete verzichtest.“ „So ist es. Aber sie machen ihre Sache gut, wie du anscheinend schon selbst bemerkt hast.“ „Ja, definitiv.“ Auch ich gönne mir einen Schluck warmen Tee, bevor ich weiterrede: „Aber eine Sache habe ich nicht verstanden. Sie nannte dich die ganze Zeit Sergej.“ Ein wenig überrascht sieht er mich an, erst dann antwortet er mir: „Ich dachte, du wüsstest es. Als ich damals anfing mit Immobilien zu handeln, merkte ich recht schnell, dass ein russischer Name auf viele Amerikaner nicht gerade vertrauenserweckend wirkte. Man darf die damalige Zeit nicht außer Acht lassen. Ich beantragte folglich eine Namensänderung von Sergej Nikolic zu Samuel Nico. Doch in manchen Kreisen ziehe ich es vor, mich mit meinem Geburtsnamen vorzustellen.“ „Wusste Mutter davon?“ „Es war sogar ihre Idee. Und es war fast schon erschreckend, wie erfolgreich ich plötzlich wurde. Niemand hatte mehr Angst vor mir oder dachte, ich sei in illegale Geschäfte verwickelt, obwohl ich derselbe Mann war! Davor bekam ich nur Anfragen von Menschen, die ebenfalls ausländischer Herkunft waren oder solchen, die sich mir überlegen fühlten. Deiner Mutter erging es ähnlich. Nach unserer Hochzeit und nachdem sie meinen Namen angenommen hatte, war es plötzlich kein Problem mehr für sie eine Promotionsstelle zu bekommen.“ „Das tut mir leid, das wusste ich alles gar nicht.“ Natürlich weiß ich, dass Rassismus nach wie vor ein großes gesellschaftliches Problem darstellt, es noch viele Hürden zu überwinden gilt, aber ich wusste nicht, dass dadurch meine Familie so stark geprägt wurde. Obwohl, mir hat man auch vorgeworfen, ich hätte mir meine Titel durch Gefälligkeiten und nicht durch Wissen erarbeitet. Der Spruch: „Na, da haben sie aber viel Zeit unter dem Schreibtisch ihres Professors verbracht“, war unter meinen männlichen Kollegen eine Weile sehr beliebt. Vielleicht sagen sie das sogar noch heute über mich hinter vorgehaltener Hand. Mein Vater tippt auf das Foto, auf dem June und Jessy Ryo und mich in ihre Mitte genommen haben. Einer der Barkeeper hat es mit meinem Handy aufgenommen, als ich ihn bei meinem letzten Treffen mit Ryo dort darum bat. Mein Vater derweil lächelt schon wieder. „Und, wer ist dieser junge Mann?“ Jetzt steht wohl meine Beichte an. „Er ist ein Third.“ Obwohl ich mich geistig auf dieses Gespräch vorbereitet habe und mich auch dazu entschlossen habe meinem Vater von Ryo zu erzählen, ist es mir nun doch etwas peinlich. Zwar gibt es dazu keinen Grund, aber in den Augen meines Vaters wollte ich immer möglichst perfekt sein. „Ich sollte ihm ein bisschen auf den Zahn fühlen. Darum geht es doch, nicht wahr?“ „Nein, ich möchte nicht auf deine alten Kontakte zurückgreifen.“ Gott bewahre! „Das solltest du aber. Es ist nicht so einfach wie es sich anhören mag, auszusteigen. Und auch nicht jeder verdient es, dass jemand die Hürden dafür auf sich nimmt.“ Kurz nippt er an seiner Teetasse, wohl aber nur, um sich eine Sekunde Bedenkzeit zu sichern. „Ich habe dich nicht aus Zero's Reichweite geholt, um dich in die nächste Katastrophe rennen zu lassen. Also, was für ein Kerl ist er? Wie bist du denn überhaupt an einen dieser Callboys geraten? Eine deiner Vorlesungen wird er ja wohl kaum besucht haben.“ Das ist mein Vater, wie ich ihn kenne. „Nami hat mir ein Date mit ihm zum Geburtstag geschenkt“, antworte ich wahrheitsgemäß. Erleichtert atmet er aus, ehe er lacht und meint: „Das sieht ihr ähnlich!“ Kapitel 42: Beste Freunde ------------------------- 42. Zorro Beste Freunde Mein heutiges Treffen zog sich wie Kaugummi, das an der Schuhsohle klebt. Es wollte einfach nicht enden. Dabei war es wirklich leicht verdientes Geld. Ich sollte eine Mittdreißigerin zu ihrem Klassentreffen begleiten, denn sie hatte keine Lust sich wieder das Gespött ihrer Klassenkameraden anhören zu müssen, da sie einfach keinen Typen abkriegt. Es gab billigen Wein und ein paar Häppchen, sowie nette Gespräche über Sport und Politik. Aber hey, darüber möchte ich mich auch gar nicht beschweren. Die meisten Leute haben keine Ahnung von Wein und wenn, dann übertreiben sie häufig. Über das Essen lässt sich nicht streiten, es war furchtbar! Sanji würde sagen: „Ich kann gar nicht verstehen, wie man aus solch guten Zutaten, so einen Müll produzieren kann!“ Recht hat er. Nicht einmal Ace kocht so schlecht. Deshalb habe ich ihn auch direkt nach dem Treffen angerufen, ob ich noch im Baratie vorbeischauen könnte. Sein: „Je eher du deinen Hintern hierher bewegst, desto besser!“, habe ich dann als ein Ja interpretiert. Nun sitze ich im Taxi und blicke aus dem Fenster. Ich hatte gehofft, dass nicht wieder Betsy meine Fahrerin sein würde, das hätte ich nur schwer überlebt. Doch ich habe Glück. So gar so viel, dass der dunkelhäutige Typ sich kein Stück für mich interessiert. Es ist selten, dass man als Callboy in der Öffentlichkeit mal einen Augenblick für sich hat. Wir sollen auffallen, klar, aber manchmal wünschte ich, ich könnte mich nach getaner Arbeit unsichtbar machen. Ich drücke dem Typen zwei Dollar Trinkgeld in die Hand, auch wenn das nicht viel ist und steige aus. „Du wohnst hier?“, höre ich hinter mir die Stimme des Taxifahrers, so dass ich mich zu ihm umdrehe. „Bist du einer dieser... männlichen Nutten?“ Er grinst. Ich verkneife mir eine Antwort, verdrehe nur genervt die Augen. Hatte ich nicht gerade noch diesen Typen gelobt? „Sachen gibt es hier in Amerika.“ Mit diesen Worten fährt er weiter. Na toll. Was sollte die Frage überhaupt? Eigentlich hätte er ja anhand der Art wie ich mit dem Stick bezahlt habe wissen müssen, dass ich ein Callboy bin. Oder sollte das wieder eines dieser Machtspielchen sein? Ich hab keinen Bock auf so einen Mist! Kurz ärgere ich mich noch über diesen Kerl, doch dann schiebe ich die Sache gedanklich beiseite. Unnötiger Ballast. Zügig laufe ich die kleine Seitengasse entlang zum Lieferanteneingang des Baratie. Es ist noch nicht Mitternacht, folglich hat das Nobelrestaurant noch geöffnet. Momentan laufen die Geschäfte so gut, dass Jeff sich dazu entschloss länger zu öffnen, um so noch flexibler auf die Wünsche seiner Gäste eingehen zu können. Heutzutage ist es schließlich nicht unüblich, dass viele Menschen bis spät abends arbeiten müssen und erst danach Zeit finden mit Partner oder Partnerin essen zu gehen. Im Hinterhof schlängle ich mich zwischen leeren Obst- und Gemüsekisten durch in die Küche, aus der lautes Stimmengewirr dringt und mir der Geruch von leckerem Essen entgegenschlägt. Mein Magen knurrt. Ich bin Zuhause! Seitdem ich Sanji kennengelernt habe, kann man wirklich sagen, dass ich hier mein zweites Zuhause gefunden habe. Und auch Diego wurde seit seiner Geburt sofort als Jeff’s Enkelkind angenommen. Na ja, möglicherweise schafft es Sanji eines Tages Jeff ebenfalls mit Nachwuchs zu überraschen. Der alte Mann würde es zwar nie zugeben, aber nichts würde ihn mehr freuen. Außer vielleicht sich nie wieder um seine Steuererklärungen kümmern zu müssen. Nichts hasst er mehr auf der Welt, weshalb Sanji und ich das für ihn erledigen. Ich betrete den Lieferanteneingang und laufe durch den halbdunklen Flur zur Küche. Hier befinden sich u.a. der Pausenraum und die Duschen und Umkleideräume der Angestellten. In der Küche angekommen kneife ich ein wenig die Augen zusammen, ist doch die Beleuchtung zu dieser Zeit komplett an und blendet dementsprechend, wenn man von draußen aus der Dunkelheit kommt. Kurz blinzle ich, dann klärt sich das Bild wieder. Die Köche rennen wild durcheinander, Sanji mittendrin. Seinem Gesichtsausdruck nach hat er schlechte Laune. Ein weiterer Blick durch den Raum genügt, um zu sehen, dass es nicht so geordnet zugeht wie sonst. Kein Wunder also, dass die Stimmung gedrückt ist. Ich überlege nicht lange, habe meine Aufgabe schnell gefunden, mit der ich meinen Freund und seinen Ziehvater unterstützen kann. Schließlich bin ich kein Koch, also kann ich nur Zuarbeiter sein. Nahtlos passe ich mich den Gegebenheiten an, schnappe mir eine der Schürzen vom Haken neben der Tür und nehme Carl einen Stoß Teller ab, die dieser gerade hereinbringt. „Wo kommst du denn her?“, fragt er auch prompt, doch Jeff brüllt schon nach ihm. Er gibt mir ein Daumen hoch, ehe er wieder Richtung Speisesaal verschwindet. Ich eile weiter zur Spüle, wo mich fast der Schlag trifft! Normalerweise ist diese in einer Nische, in der sich nebst Spülmaschine, das Spülbecken und die Wasserbrause befinden. Platz für schmutziges und sauberes Geschirr, steht’s peinlich genau voneinander getrennt, doch im Moment steht alles voll mit allem möglichen Unrat. Na schön! Was kann es schöneres geben, als nach einer langweiligen Verabredung Berge von Geschirr zu spülen? Nichts vermutlich. „Du hier?!“ Überrascht drehe ich mich um, denn zwar habe ich die Stimme sofort erkannt, aber nicht damit gerechnet, dass Carl’s Frau ebenfalls hier sein würde. „Das gleiche könnte ich dich fragen.“ „Ich bin schon seit zwei Stunden hier. Carl rief mich an, weil keine der Küchenhilfen heute zur Arbeit erschienen ist, sind wohl beide krank, und ohne Hilfe können die Köche nicht arbeiten.“ „Soll ich mich um das Geschirr kümmern? Du bist sicherlich besser im Bilde, was noch getan werden muss.“ „Das wäre perfekt. Ich muss vorne zwei Tische neu eindecken.“ „Geht klar.“ Sie umarmt mich kurz, dann eilt sie weiter. Melinda ist echt eine klasse Frau und Carl gibt auch gerne ein bisschen mit ihr an. Sie ist fleißig, gutaussehend und charmant. Kochen soll sie auch gut können. Und soweit ich weiß arbeitet sie als Übersetzerin in einer Anwaltskanzlei für internationales Recht. Carl sagte früher immer, dass er einmal in seinem Leben nach Paris reisen und dort die Frau fürs Leben kennenlernen möchte. Sanji und ich haben uns als Teenager darüber immer ein bisschen lustig gemacht, doch er hielt Wort. Wir sind alle fast aus den Latschen gekippt, als er uns Melinda vorstellte. Tja, so kann’s gehen. Wobei es schon witzig ist, dass beide Urlaub in Paris gemacht haben und wohl nur deshalb ins Gespräch miteinander kamen, weil der Fahrkartenautomat für die Metro nicht funktionierte. Ich räume die Spülmaschine ein und starte sie, um erst einmal ein bisschen Platz zu schaffen. Dann wird sortiert: Gläser, Teller, Besteck. Wieder stürze ich mich in die Arbeit, wieder um nicht an Robin denken zu müssen. Mein Weg führt mich zurück in die Küche, wo mir Sanji kurz einen dankbaren Blick zuwirft und auch der Rest der Mannschaft mir freudig zunickt. Die Zeit vergeht schnell zwischen Besteck polieren und Müll rausbringen, Teller in den Wärmeschrank stellen und Arbeitsflächen abwischen. Ständig braucht jemand Unterstützung und sei es nur ein Schluck zu trinken. Erleichterung befällt mich, als langsam Ruhe einkehrt und Jeff irgendwann das Zeichen gibt, dass der letzte Gast gegangen und die Türen verschlossen sind. Wie ein Kartenhaus sinken alle in sich zusammen, erleichtert, diesen harten Arbeitstag endlich hinter sich gebracht zu haben. „Man, dich hat echt der Himmel geschickt.“ Sanji gesellt sich zu mir und hält mir auffordernd einen Teller mit Häppchen hin, die er immer am Ende eines jeden Arbeitstages für das Küchen- und Serviceteam aus den Resten zusammenstellt. Nichts ist für ihn schlimmer als Essen wegzuwerfen. Doch er schafft es ja auch immer wieder, aus der unbedeutendsten Zutat etwas Leckeres zu kreieren. Ich nehme mir eines der Schnittchen und stecke es mir in den Mund. Allein dafür hat sich die Arbeit gelohnt! Ein paar der Mitarbeiter verabschieden sich auch bereits, bis nur noch Sanji, Carl, Melinda, Jeff und ich in der Küche auf den Arbeitsflächen sitzen und den Abend noch ein wenig ausklingen lassen. „Was war nun eigentlich los? So chaotisch ist es ja schon lange nicht mehr hier zugegangen?“, frage ich schließlich in die Runde. Jeff berichtet von seinen beiden neuen Mitarbeitern, die nicht zum Dienst erschienen seien und zu allem Überfluss sei auch noch eine Gruppe von zwanzig Personen auf ein spätabendliches Dinner unangekündigt vorbeigekommen. Alles machbar, aber eben nicht ideal. So war mein ebenfalls unangemeldeter Besuch wohl doch nicht so schlecht. Es tut gut hier zu sein, aber dennoch bin ich froh, als Sanji und ich uns auf den Weg zu seiner Wohnung begeben. Ursprünglich wollte ich nach Hause fahren, doch ich möchte die Chance nutzen, um mit ihm über Robin zu sprechen. Bis jetzt hatten wir keine echte Gelegenheit dazu und um ehrlich zu sein, habe ich mich auch davor gedrückt, ihm Näheres zu erzählen. Nicht weil ich ihm nicht vertraue, sondern weil ich mir selbst nicht zu große Hoffnungen machen wollte, was Robin und mich betrifft. Diego übernachtet bei Kaya und Lysop, sogar zwei Nächte hintereinander, da ich morgen Abend wieder eine Verabredung habe. Genug Zeit also, um Sanji nun doch näher einzuweihen. Er sollte Bescheid wissen, nicht nur, weil er mein bester Freund ist, sondern auch, weil ich eine objektive Meinung brauche. Ich verhalte mich in Robin’s Nähe wenig rational und vielleicht täte es mir gut, wenn Sanji mir ein wenig den Kopf waschen würde, sollte dies notwendig sein. „Endlich Feierabend! Ich dachte schon, die Arbeit hört heute nie auf!“ Sanji wirft seinen Schlüssel in gewohnter Manier im Flur auf die Kommode und verschwindet im Bad. So handhaben wir das immer, wenn ich nach der Arbeit noch mit zu ihm komme: Er geht zuerst in die Dusche, denn bis er anschließend seine Haare geföhnt hat, bin ich auch fertig mit Duschen und anziehen. In der Zwischenzeit kontrolliere ich den Bierbestand im Kühlschrank, aber das müsste reichen. Auch in der Speisekammer finde ich zwei weitere Sixpack und sogar eine Flasche Kräuterschnaps von seiner Lieblingsdestillerie. Die wollte er mir doch nicht etwa vorenthalten? Ich nehme die Flasche an mich und lege sie in der Küche ins Eisfach. Kalt schmeckt das Zeug nochmal so gut. „Du kannst duschen!“, hallt Sanji’s Stimme durch den Flur. „Okay!“, brülle ich zurück und beeile mich damit ins Bad zu kommen. Meine Klamotten werfe ich auf einen Haufen, denn morgen früh muss ich definitiv etwas Neues anziehen. Der Geruch von Essen hält sich leider hartnäckig in Kleidung. Eilig steige ich in die Dusche und gebe mir Mühe schnell wieder fertig zu sein, möchte ich doch mit Sanji über Robin sprechen. Gut, normalerweise ist duschen bei mir ein Job von wenigen Minuten, denn meine kurzen Haare sind schnell gewaschen. Sanji muss sich da mehr Mühe geben. Wie immer bin ich ein wenig schneller fertig als Sanji und gehe schon einmal in die Küche, um für jeden ein Bier zu holen. Jetzt wird es wohl ernst. Im Wohnzimmer hat sich Sanji bereits aufs Sofa gelümmelt und sieht sich die Nachrichten an. „Gleich ist es so weit. Gib mir ein Bier!“ Er reißt mir regelrecht die Flasche aus der Hand und starrt wie paralysiert auf den Fernseher. Es dauert einen kleinen Moment, bis das Bild umschaltet und Nami vor einer großen Wetterkarte auftaucht. Doch auch wenn sie keine schlechte Figur macht, interessanter ist auf jeden Fall Sanji’s Gesicht. Gleich fängt er an zu sabbern. Ich lasse mich in einen der Sessel fallen und trinke einen großen Schluck Bier. Kann nicht schaden, wenn ich Sanji gleich ein paar Dinge erzählen möchte. Über mich selbst zu reden macht eben selten Spaß. Nami’s Fernsehauftritt endet und macht Platz für Werbung, so dass Sanji den Fernseher lautlos stellt, um uns die neusten Werbeslogans zu ersparen. „Seit ich sie das erste Mal gesehen habe, bin ich ein Fan ihrer Stimme.“ „Es sah für mich eher so aus, als hättest du ihr die ganze Zeit in den Ausschnitt gestarrt“, gebe ich zurück, was mir einen bösen Blick beschert. „Aber sie ist schon speziell in ihrer Art, die gute Nami.“ „Jetzt tu nicht so, als würdest du sie kennen!“ Überlegen grinse ich ihn an, was ihn deutlich verunsichert. „Sag nicht, du warst schon mal mit ihr aus, Grüner?“ „Nein, aber sie ist Robin’s beste Freundin“, gebe ich zurück und ich bin gespannt, wie lange er benötigt, um zu spannen, worüber ich mit ihm reden möchte. Zudem erspare ich ihm das Detail, dass Nami schon mal ein Treffen mit Ace hatte, das würde ihn vielleicht verletzen. „Du hast Nami also wirklich schon einmal kennenlernen dürfen?“ „Sogar schon zweimal. Soll ich versuchen dich mit ihr bekannt zu machen?“ Mit großen Augen sieht er mich an, dann wird sein Blick ein bisschen kritisch und er entschließt sich erst einmal dazu ein paar Schlucke aus seiner Bierflasche zu trinken. „Okay, darüber muss ich nachdenken. Entweder du verarschst mich gerade oder…?“ Ohne Vorwarnung nimmt er eines seiner Sofakissen und bewirft mich damit, ehe er ruft: „Du Sack! Jetzt hättest du mich beinahe auf die falsche Fährte gelockt! Wer ist Robin!?“ Okay, jetzt habe ich seine volle Aufmerksamkeit. „Eine Kundin von mir und sie ist die beste Freundin von Nami Saperstein.“ „Nein, nein, nein, so kommst du mir nicht davon. Diese Robin ist nicht irgendeine Kundin, das ist diese attraktive Doktorandin!“ „Professorin, bitte. Und ja, du meinst schon die richtige Frau.“ „Zorro, worüber reden wir hier eigentlich?“ Schweigend blicken wir uns an. Ich weiß einfach nicht, wie ich ausdrücken soll, was in mir vorgeht und was ich ihm über Robin erzählen möchte. Aber ich muss mit ihm reden, so oder so. „Du liebst sie also wirklich.“ „Ja“, entgegne ich ihm, wobei sich meine Stimme fast schon heißer anhört. Also verstecke ich mich hinter meiner Bierflasche und hoffe, dass Sanji nicht zu enttäuscht von mir sein wird. „Scheiße, das ist nicht gut.“ Ratlos fährt er sich mit der Hand übers Kinn, so wie er es oft tut, wenn er angestrengt nachdenkt. Kapitel 43: Hitzköpfe --------------------- 43. Robin Hitzköpfe Es ist kein Vergnügen für mich hier zu sein, aber man kann im Leben nicht vor allem davonlaufen. Und wenn ich erst einmal ein Ziel vor Augen habe, bin ich auch bereit dafür zu kämpfen. Seit unserer letzten Begegnung ist schon einige Zeit vergangen, Jahre, um genau zu sein. Früher haben wir uns beim jährlichen Sommerfest der Akademie getroffen, doch irgendwann blieb er der Veranstaltung fern. Und unsere Freundschaft war nicht so innig, als dass einer von uns beiden den anderen vermisst und deshalb Kontakt aufgenommen hätte. Auch mein heutiger Besuch hat nichts mit Sympathie zu tun, es geht allein ums Geschäft. Ich kann nur hoffen, dass er es genauso sieht. Gelangweilt blicke ich auf meine Uhr, ein altes Modell meiner Uroma, das ich jeden Tag an dem ich es trage erst stellen und dann aufziehen muss. Vorsichtig wische ich mit dem Ärmel meiner Bluse über das Uhrglas, um eventuelle Verunreinigungen zu entfernen. Nicht dass dem alten Schätzchen noch etwas passiert. Ich bin wohl wirklich eine hoffnungslose Romantikerin. Aber was soll ich sonst an so einem tristen Ort wie diesem tun, wo es außer sterilen weißen Wänden und ebenso weißen Türen nichts zu sehen gibt? Ich habe den grauen Linoleumfußboden vergessen. Es ist sogar so langweilig hier, dass ich freiwillig mit meinem Handy spielen würde, doch diese Geräte sind hier strengstens verboten. Vielleicht hat man Angst jemand könnte verraten, wie weiß die Wände hier wirklich sind. Ich lehne mich zurück, starre an die weiße Decke und dennoch ziert ein Lächeln mein Gesicht. Nami hat recht, Liebe fühlt sich gut an. So gut sogar, dass ich seit über einer Stunde hier sitzen kann und dennoch gute Laune habe. Weil ich ein Ziel habe, für das es sich zu kämpfen lohnt. Eine Tür knarrt, wird geöffnet und wieder geschlossen. Schritte sind zu hören, so dass ich den Blick senke, um hoffentlich endlich die richtige Person anzutreffen. Er ist es. Aber ob er mich noch erkennt? Wie gesagt, es liegen Jahre zwischen unserer letzten Begegnung und jetzt. Er sieht auf jeden Fall noch immer gleich aus mit seinem Bärtchen und diesem gefleckten Klorollenwärmer auf dem Kopf. Innerlich muss ich ein bisschen lachen. Unser Lehrer für Politik war zwar brillant auf seinem Gebiet, aber leider konnte er sich keine Namen merken. Deshalb nannte er uns nur den Klorollenwärmer und die Aufziehuhr. „Kein Erdloch zum Buddeln gefunden?“, lautet seine Begrüßung. Unpersönlich und direkt. Man kennt ihn ja. Und seitdem er sich hinter einem weißen Kittel verstecken kann, scheint es mit seiner Einsamkeit schlimmer geworden zu sein. Die Hochbegabtenförderung war auch kein Ort um das zu lernen, was den meisten von uns fremd war, nämlich eine normale Kindheit zu durchleben. Die einen von uns wurden von ihren Eltern überall herumgereicht, in der Hoffnung aus dem Genie ihrer Sprösslinge Geld und Anerkennung zu ziehen, die anderen von der Außenwelt isoliert, weil das eigene Kind sich immer mehr zum Problemfall entwickelte. Bei Law war es wohl abhängig davon, wer gerade das Sorgerecht für ihn innehielt. „Machst du immer noch den Quatsch mit deinen Initialen beim Vernähen einer Wunde?“, necke ich ihn, andernfalls könnte er schnell das Interesse verlieren. Er ist schwer bei der Stange zu halten. Misstrauisch wirft er mir einen Seitenblick zu, ehe er sich offenbar dazu entschließt mir doch etwas mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. „Immer noch Coffein süchtig?“ „Ein Laster braucht der Mensch.“ Er macht eine auffordernde Kopfbewegung, so dass ich ihm folge. Schweigend laufen wir den Flur entlang, bis wir vor einer dieser weißen Türen anhalten. „Bin gleich zurück.“ Damit verschwindet Law aus meinem Blickfeld. Ich hoffe bloß, dass ich nicht noch einmal so lange auf ihn warten muss. Getünchte Wände habe ich mir schließlich schon genug angesehen. Doch zu meinem Glück ist er nach wenigen Augenblicken zurück. Meine innere Unruhe wächst, da bin ich dankbar, wenn er nicht trödelt. Eigentlich idiotisch und vor allen Dingen unlogisch, schließlich war es ganz allein meine Entscheidung hierher zu kommen. „Der Kaffee hier im Krankenhaus verursacht Magengeschwüre. Und fairtrade ist er auch nicht.“ „So gehen euch wenigstens nicht die Patienten aus.“ Wer Law nicht kennt, würde ihn für unfreundlich halten. Doch hinter seinem Getue versteckt sich die Seele eines verletzten Kindes. Wir waren alle nicht gut darin Freundschaften zu schließen oder uns jemandem anzuvertrauen, aber für ihn schien es besonders schwer. Er sezierte lieber Frösche und anderes Getier. Aber umsonst ist er schließlich nicht einer der jüngsten Top-Chirurgen dieses Landes. Wir treten durch eine dieser weißen Türen, hinter der sich ein karger Aufenthaltsraum verbirgt. Wer auch immer hier für das Ambiente verantwortlich ist, seine Lieblingsfarbe ist definitiv weiß. Law deutet auf einen der schmucklosen Tische, während er sich dem Kaffeeautomaten zuwendet. Kaffee war wohl die einzige gemeinsame Gesprächsebene, die er und ich hatten. Der Rest unserer Combo schwor entweder auf Energydrinks oder Alkohol. Mein Vater hatte damals gehofft, dass ich ein paar gleichgesinnte Freunde nachmittags in der Hochbegabtenschule finden würde, denn morgens in der High-School war ich nur die Streberleiche, mit der keiner etwas zu tun haben wollte. Doch schnell stellte sich heraus, dass es dort auch nicht besser war. „Hier, schwarz wie die Seele.“ Mit diesen Worten stellt er mir einen Kaffeepott vor die Nase, ehe er sich gegenüber von mir auf den Stuhl lümmelt. Ich nicke kurz, denn Worte des Danks kann er eh nicht ausstehen. Zögerlich nippe in an meinem schwarzen Gebräu, nur um erstaunt festzustellen, dass der Kaffee sehr aromatisch schmeckt. „Der billige Automatendreck ist für die Idioten, die mich früher belächelt haben.“ Er grinst. „Nimmst du überhaupt am normalen Krankenhausleben teil?“, hake ich nach, ehe ich mir noch einen Schluck Kaffee gönne. „Was soll ich da oben? Alternden Pseudopromis den Hintern liften?“ Seine Abneigung gegen Schönheitsoperationen hat sich nicht geändert. „Du bist hoffentlich nicht deshalb hier.“ Sein prüfender Blick ruht auf mir und für einen kurzen Augenblick fürchte ich, gleich von ihm hinausgeworfen zu werden. „Ich hoffe nicht, dass ich je über so etwas nachdenken muss. Aber den Grund meines Hierseins habe ich dir bereits genannt.“ Es ist nicht einfach Law zu verblüffen, umso mehr freut es mich, es eben geschafft zu haben. Mr. Supercool weiß mal nicht weiter. „Na ob du immer noch deine Initialen beim Vernähen einer Wunde hinterlässt?“ Ein Grinsen kann ich nur schwer unterdrücken. Doch entgegen meinen Erwartungen hellt sich Law‘s Blick nicht auf. Auch seine Körperhaltung ändert sich. Hing er bis eben noch lässig in seinem Stuhl, so richtet er sich langsam auf, seinen Blick auf mich gerichtet. Für einen Moment herrscht Stille, unangenehme Stille. Ich gebe zu, ich hatte mir das Gespräch etwas entspannter vorgestellt. „Ich nehme nicht an, dass du einen meiner Frösche in deinem Gartenteich gefunden hast.“ „Nein“, entgegne ich, hadere aber mit mir, ob ich schon direkt mit der Tür ins Haus fallen soll. Aber andererseits muss ich das, bevor Law seine Haltung mir gegenüber gänzlich ändert. „Aber an dem linken Knöchel eines gutaussehenden jungen Mannes“, schiebe ich dann doch hinterher. Zusehends verhärten sich seine Gesichtszüge, er hebt leicht den Kopf: „Lass die Finger davon!“ „Zu spät“, gebe ich zurück. Ich lasse mich nicht so schnell einschüchtern. „Du hast ja schon immer deine Nase in Angelegenheiten gesteckt, die dich nichts angehen.“ „Sagt der richtige.“ Wieder schweigen wir, doch anders als gedacht ist er es, der einlenkt. „Was willst du wissen?“ „Haben diese Jungs wirklich einen Peilsender im Fuß?“ Und auf einmal gewinne ich den Eindruck, er ist erleichtert. „Ja, haben sie. Die Technologie ist den Fußfesseln für Straftäter deutlich überlegen. Unsichtbar und sollte einer dieser Idioten auf die dumme Idee kommen es sich herausschneiden zu wollen, setzt es Säure frei und verätzt die Schnittwunde.“ Er grinst selbstsicher. Ein eindeutiges Indiz dafür, dass er wesentlich an der Entwicklung dieser Technologie beteiligt war. „Ist es dann überhaupt entfernbar?“ „Wenn man weiß wie, kein Problem.“ „Und? Wie häufig kommt es vor, dass du einen dieser Peilsender entfernst?“ Er seufzt. Das Grinsen ist aus seinem Gesicht verschwunden. „Ganz ehrlich? Einmal im Jahr?“ Er muss mir ansehen, wie geschockt ich bin. Einmal im Jahr? „Und, wie oft...wie oft transplantierst du neue?“, frage ich, unsicher, ob ich die Antwort hören möchte. Wieder seufzt er. „Das willst du gar nicht wissen.“ Aus irgendeinem Grund möchte ich weinen, hier und jetzt. Nicht nur wegen Ryo, sondern weil es anscheinend viele dieser tragischen Schicksale gibt, für die sich niemand aufrichtig interessiert. Es fällt mir schwer nicht zu emotional zu werden, nicht wütend auf mein Gegenüber, der offensichtlich in diese Machenschaften verstrickt ist. „Lass die Finger von diesen Typen. Die meisten haben mehr auf dem Kerbholz als du dir vorstellen kannst.“ „Und du? Warum verkaufst du dein Talent an diese Verbrecher?“ „Geht dich nichts an!“ Wütend springt er von seinem Stuhl auf und eilt an mir vorbei. „Warte!“, rufe ich ihm nach und folge ihm zur Tür. „Bitte beantworte mir wenigstens noch eine Frage. Kennst du diesen Callboy?“ Auffordernd halte ich Law ein Foto entgegen, doch er dreht sich nicht einmal zu mir um. „Und dann? Soll ich dir eine herzzerreißende Geschichte über ihn erzählen?“ „Kannst du einmal in deinem Leben kein egozentrisches Arschloch sein?!“ Ich benutze so gut wie nie Schimpfwörter und dieses schon gar nicht, aber im Moment bin ich an einem Punkt angekommen, der mich nervlich auf eine harte Probe stellt. Selbst Law scheint das zu merken, denn eilig hat er sich zu mir umgedreht und hebt beschwichtigend die Hände. „Schon gut, Robin. Seit wann bist du denn so aggressiv?“ Er nimmt das Bild an sich und starrt auf das Foto, das ich von Ryo und mir im Baratie mit meinem Handy geschossen habe. Doch während ich gerade gedanklich an diesen Tag zurückdenken will, holt mich ein unfreundliches: „Willst du etwa hier Wurzeln schlagen?“, zurück in die Realität. Bestimmend hält mir Law mein Foto entgegen, das ich nach einer kurzen Schrecksekunde wieder an mich nehme. „Ich zeig dir was, aber heul mich hinterher bloß nicht voll.“ Über so wenig Feingefühl kann ich nur den Kopf schütteln. Ich frage mich, ob er bei den Steinzeitmenschen groß geworden ist. Zurück im weißen Flur mit den vielen weißen Türen laufen wir auf den einzigen echten Farbkontrast zu, den Fahrstuhl. Mit Hilfe eines Schlüssels überbrückt Law die Möglichkeit, dass wir zu lange warten müssen und stattdessen kommt der Aufzug direkt zu uns ins Kellergeschoss gefahren. Kaum dass der Gong ertönt und uns die Ankunft des Liftes ankündigt, schießen die beiden Türen auch schon regelrecht auseinander. Wir betreten den Stahlkasten und Law drückt den Knopf für eine der oberen Etagen. Wäre ich nicht wegen Ryo hier, so hätte mich sicherlich schon die Neugier darüber gepackt, was für geheime Ecken es in modernen Privatkliniken wohl so gibt. Lange dauert die Fahrt nach oben nicht, dennoch empfinde ich die Stille zwischen Law und mir als unangenehm. Vielleicht auch deshalb, weil er so schwer zu durchschauen ist. Der Lift öffnet erneut seine Türen und gibt den Blick auf einen wieder langen Flur frei. Doch hier sind Fußboden und Wände in angenehm sanften Tönen gehalten, nicht so steril wie in Law's Arbeitsbereich. Mein Begleiter unterdessen steuert schon wieder die nächste Tür an, so dass ich mich beeile ihm zu folgen. Dieses Mal führt er mich in ein großzügiges Büro, dessen Mittelpunkt ein riesiger Schreibtisch ist, den man getrost als antik bezeichnen kann. „Setz dich.“ Law deutet auf einen der beiden Plätze vor eben diesem, während er sich selbst im ledernen Bürostuhl niederlässt. Geschäftig blättert er durch eine Akte, die er zuvor aus den nicht weniger nobel aussehenden Büromöbeln gepflückt hat. Ich frage mich, wen Law für diesen Posten hat vom Thron stoßen müssen. „Hier!“ Law reicht mir die Akte, doch als ich sie entgegennehmen möchte, hält er sie fest. „Das bleibt aber unter uns.“ „Ich habe dich in der Schule schon nicht verpfiffen, wenn du wieder heimlich Chemikalien für deine Experimente mit nach Hause genommen hast, also werde ich jetzt nicht damit anfangen.“ „Die Bullen würden dir eh nicht glauben.“ „Ich hörte davon.“ Endlich darf ich die Akte an mich nehmen und einen Blick hineinwerfen. Zuerst folgt eine Art Deckblatt mit Foto, dem Namen Ryo und der Nummer 311. Inzwischen habe ich herausbekommen, was sie bedeutet. Die drei steht für Third, die erste eins für seinen Bildungsgrad, also College oder höher und die letzte eins seine Stellung unter den Thirds; er ist von ihnen der beste. Leider sehe ich erst einmal keinen Hinweis auf seine wahre Identität, was mich zugegebenermaßen ein wenig enttäuscht. Ich würde gerne wissen, wie er wirklich heißt. Stattdessen werfe ich einen genaueren Blick auf das Foto von ihm. Ob es damals aufgenommen wurde, als er mit diesem Job anfing? Er wirkt jünger, weniger reif. Die Neugier packt mich und ich blättere um. Eine Tabelle mit Daten, viele weitere dieser Blätter dahinter. „Ist das seine Krankenakte?“, frage ich meinen Gegenüber, der mich bis eben stumm beobachtet hat. „Na ja, im weitesten Sinne. Meines Wissens ist er nie krank, deshalb kann ich dir nicht sagen, wann er das letzte Mal einen Arzt aufgesucht hat. In diesen Tabellen stehen die Ergebnisse seiner Blutuntersuchungen. Alle drei Monate müssen die Callboys hier antanzen und Proben abgeben. Aber er ist sauber. Keine Mängel, tolle Leberwerte und keine Geschlechtskrankheiten.“ Mein Gesichtsausdruck muss Bände sprechen, denn Law grinst ziemlich schief, ehe er schulterzuckend entgegnet: „Es würde Alvida das Geschäft ruinieren, sollten ihre Jungs Krankheiten von Bett zu Bett verbreiten. Bei den Thirds kommt das eigentlich nicht vor, aber andererseits werden die auch ihre Bedürfnisse haben.“ Ich kann nur den Kopf schütteln. Niemals hätte ich gedacht, dass die Sache mit Ryo so weite Kreise ziehen würde, dass sogar Menschen aus meinem privaten Umfeld etwas damit zu tun haben könnten. Kurz überfliege ich die Daten, blättere um, bis ich auf etwas stoße, das fern jeglichen guten Geschmackes ist. Ryo, was haben sie nur mit dir gemacht? „Respekt vor anderen Menschen ist hier wohl ein Fremdwort.“ Ich gebe Law die Akte zurück, aber ich kann ihm im Moment nicht in die Augen sehen. „Hast du ein paar Fotos aus seiner Grundschulzeit erwartet?“ „Nein Law, aber nicht...das!“ „Er war betäubt, also weiß er es nicht. Sein Körper ist sein Kapital, also wollte Alvida alles über ihn wissen, wie bei allen ihren Jungs. Manche Frauen wählen wohl nach der Größe aus. Ich kann dich allerdings beruhigen, er hat bis jetzt nicht als Second gearbeitet und selbst der Test bei dieser Nutte ist ihm erspart geblieben. Einer der älteren Callboys hält wohl seine Hand über ihn. Ich weiß nicht was du für ihn empfindest und wieso, von diesen Dingen verstehe ich nichts, aber solltest du beabsichtigten ihn freizukaufen, empfehle ich dir gut aufzupassen, nicht dass du nicht alles bekommst.“ „Du meinst seine Papiere, die drei Katanas und...Diego.“ „Dieser kleine Bengel! Immer wenn er mit hierherkommt, verstellt er die Knöpfe an meinen Geräten und fragt mir Löcher in den Bauch!“ „Du magst ihn.“ Ich lache amüsiert. „So weit wird es nie kommen! Kinder sind schrecklich! Sie sind klein und dumm!“ „Sagst du das, weil man das früher zu dir sagte?“ „Tu nicht so, als würdest du mich verstehen!“ „Law, ich weiß, wir waren nie die besten Freunde, aber irgendwie sind wir immer miteinander klargekommen. Es tut mir sehr leid, ehrlich, dass du noch immer niemanden gefunden hast, dem du dich anvertrauen kannst, aber du machst es den Menschen in deinem Leben auch nicht gerade leicht. Ich weiß nicht, wie und weshalb du in diese ganze Angelegenheit geraten bist, ob das hier dein persönlicher Rachefeldzug an der Menschheit ist oder eines deiner Experimente, ich möchte es auch gar nicht wissen.“ Ich erhebe mich von meinem Platz und gehe zur Tür. Zwar habe ich nicht alle Antworten erhalten, die ich mir erhofft hatte, aber so ist das nun mal im Leben. „Man hat mir mein Patent geklaut.“ „Hast du es aufgrund deiner Spielsucht verloren?“ Mit einer Mischung aus bösem Blick und Entrüstung sieht er mich an, doch es misslingt ihm. „Ich hasse dich“, fügt er hinzu als er merkt, dass mich sein Gebaren nicht beeindruckt. „Nein, das tust du nicht.“ Er schnaubt. „Ich finde alleine raus. Mach’s gut, Law.“ „Hast du nicht was vergessen?“ „Ich wüsste nicht, dass ich dir etwas schuldig wäre.“ Kapitel 44: Kundenkontakt ------------------------- 44. Zorro Kundenkontakt Häuser mit Aufzügen, die direkt in die Wohnung führen, sind mir ein wenig suspekt. Was tut man, wenn man es eilig hat? Über die Feuerleiter hoch- oder runterrennen? Klar, durch dieses Baukonzept spart man sich das Treppenhaus und gewinnt mehr Wohnraum, aber an sich haben diese Bauten etwas Einengendes. Und in genau dieser Art von Wohnhaus wartet meine heutige Verabredung auf mich. Dennoch wäre ich froh, ich könnte mir hier in dieser Gegend eine Wohnung leisten. Die Straßen sind sauber und es befindet sich sogar ein kleiner Spielplatz in der Nähe. Ich schiebe meinen Wunsch nach einer besseren Behausung gedanklich zur Seite und konzentriere mich wieder auf meine Aufgabe: den Callboy spielen. Gedanklich gehe ich noch einmal alles durch, was in der E-Mail stand: Sie heißt Liz und ist 28 Jahre alt. Sie liebt Lesen und Musikhören. Das ist jetzt nichts Besonderes, sondern die Standardhobbys, die in den meisten Fällen angegeben werden. Leider scheint sie sich nicht für Sport zu interessieren. Dadurch entfällt schon mal ein Gesprächsthema; Leider. Ich werde sie zuhause treffen und dort warten wir auf ihre Freundin, die wohl einen Japaner kennengelernt hat, der nicht so viel Englisch spricht und versteht. Und damit dieser sich nicht so hilflos fühlt, hat sie nach mir verlangt, da ich japanisch spreche. Na dann. Vielleicht mag er ja Sport. Robin spricht sehr viele verschiedene Sprachen. Ich war überrascht als sie mir erzählte, dass sie ihre ersten Lebensjahre dreisprachig erzogen wurde: Englisch, Russisch und Arabisch. Irgendwann wären auch noch Spanisch und Japanisch dazugekommen, wobei sie meinte, dass sie diese nur für ihre Auslandsemester und diverse Seminare gelernt hätte. Die Frau schafft mich! Glücklich, weil ich wieder an Robin denken muss, fahre ich weiter mit dem Lift nach oben zu meiner Verabredung und zähle in Gedanken schon die Tage, bis Robin und ich uns wiedersehen werden. Ich kann es kaum erwarten! Kurz straffe ich mich, denn nun heißt es Liz einen schönen Abend zu bereiten. Jede Verabredung bedeutet Geld, das ich Alvida weniger schulde. Und Diego braucht neue Schuhe und eigentlich auch eine neue Hose. Ein leiser Gong ertönt, ehe der Aufzug zum Stehen kommt. Einen kurzen Moment braucht es noch, bis die Türen sich öffnen und ich meiner heutigen Verabredung gegenüberstehe. Sie ist groß, schlank und dunkelhaarig. Ihr Lächeln wirkt ein wenig schüchtern, aber Frauen sind bekanntlich selten entspannt, wenn sie einen fremden Mann in ihrer Wohnung begrüßen. Wer kann es ihnen verdenken? „Hi, ich bin Ryo.“ Sie hat sich ganz schön aufgestylt. Kurzes Sommerkleid mit tiefem Ausschnitt und sehr viel Make-up, das sie bestimmt älter wirken lässt, als sie eigentlich ist. Ich hoffe, mein Kleidungsstil passt zum heutigen Abend. „Komm doch rein. Ich bin Liz.“ Sie tritt einen Schritt zur Seite und deutet auf die offene Tür geradeaus den Flur entlang. Ich folge ihrer Aufforderung und gehe an ihr vorbei. Viele Frauen lassen mir den Vortritt, um mich taxieren zu können, gerade beim ersten Treffen. Ace meinte, dass Frauen sich so wahrscheinlich weniger beobachtet fühlen würden, denn im Gegensatz zu uns Männern zeigen sie Interesse oder Desinteresse nicht gerne sofort offen. Was aber auch immer der Grund sein mag, es ist mir ehrlich gesagt egal. Es ist Teil meines Jobs und besitzt keinerlei Relevanz für mein Privatleben. Ich betrete das Wohnzimmer, lasse kurz den Blick schweifen, doch ich bin noch nicht weit gekommen, spüre ich Liz hinter mir, wie sie sich an mich presst und ihre Arme von hinten um mich schließt. „Du bist genau mein Typ“, haucht sie mir dazu ins Ohr. „Entschuldige bitte, aber das muss ein Missverständnis sein“, presse ich hervor und zähle innerlich langsam bis zehn, um ruhig zu bleiben. „Sei nicht so schüchtern. Ich werde auch ganz artig sein.“ „Ich sagte nein.“ „Ach komm schon, ich zahle dir den Rest auch bar. Es muss keiner davon erfahren.“ Sie schnurrt ein bisschen und versucht über mein Ohr zu lecken. Wie ich so etwas hasse! „Ich muss ablehnen, das war nicht Teil der Vereinbarung.“ Sie lässt mich los, zum Glück. Natürlich hätte ich mich locker befreien können, aber das erhöht die Gefahr, dass dieser Abend unschön endet und ich bei Alvida im Büro antanzen muss. Alles bloß das nicht! „Wenn du möchtest, kann ich dir aus der Agentur einen entsprechenden Begleiter herbringen lassen“, versuche ich die Situation zu entschärfen und drehe mich zu ihr um. „Nein, ich möchte dich. Du bekommst auch einen Hunderter extra.“ Sie grinst und bevor ich auch nur mein Smartphone zücken kann, lässt sie ihre Hüllen fallen. Komplett! Scheiße! „Gefalle ich dir nicht? Das kann ich mir nicht vorstellen.“ Kurz starre ich sie an und nehme ihren nackten Anblick auf. Ja, sie ist sehr hübsch und ja, sie ist sogar mein Typ, aber…sie ist nicht Robin. Sie ist wie eines dieser Models in einer Zeitschrift: nett anzusehen, aber es ist nicht das, was ich eigentlich möchte, wie Suppe ohne Salz. Kuina meinte einmal, dass ich ein Mann sei, der unheimlich auf Gerüche anspringen würde. Vielleicht hatte sie damit recht. An Robin mag ich auch ihren Geruch, er hat so etwas elektrisierendes. Und hier in der Wohnung riecht es nach Zigaretten, das kann ich besonders wenig leiden. Wieder kommt sie auf mich zu. „Was ist jetzt? Du wirst mich doch nicht enttäuschen wollen, oder?“ Ich glaube, ich bin im falschen Film! Ich greife in meine Hosentasche, um mein Handy hervorzuholen und das nutzt sie aus, um mir um den Hals zu fallen. „Ach komm schon, das hast du doch bestimmt schon öfter gemacht“, haucht sie in mein Ohr. „Nein, das habe ich nicht“, antworte ich wahrheitsgemäß. „Das kann ich bei deinem Aussehen kaum glauben. Was ist dein Preis? Fünfhundert? Tausend?“ Sie presst ihr Becken gegen meins und versucht mich wohl so umzustimmen. „Ich sagte nein.“ Dabei blicke ich ihr fest in die Augen. Es irritiert mich immer wieder aufs Neue, wenn ich sehe, wie offen manche Menschen ihre Sexualität ausleben. Irgendwie muss ich dabei immer an Tiere im Zoo denken. Sollte es für Robin und mich jemals eine Chance geben, dann würde ich alles tun, bis sie mir ihr volles Vertrauen schenkt und ich ihr zeigen kann, was es bedeutet sich jemandem ganz zu öffnen. Die Hüllen fallen zu lassen und sich eine schnelle Befriedigung zu verschaffen, hat wenig mit innerer Offenheit zu tun. Ich könnte mir vorstellen, dass es für Robin alles andere als leicht ist, sich einem anderen Menschen nackt zu zeigen. Nicht weil sie sich nicht attraktiv genug fühlt, sondern weil man ihr Vertrauen missbraucht hat. „Lass ihn los, Liz.“ Erschrocken blicke ich zur Tür, wo ein großer muskulöser Typ steht und uns fixiert. Wer ist das? Kaum dass Liz mich loslässt, gehe ich einen Schritt zurück und innerlich in Alarmbereitschaft. Was zur Hölle geht hier vor? Ob Alvida sich diesen ganzen Zirkus ausgedacht hat, weil sie aus irgendeinem unerfindlichen Grund denkt, ich würde sie hintergehen? Liz derweil klaubt ihre Kleidung vom Boden auf und verlässt eilig das Zimmer. Der Unbekannte und ich taxieren uns eine Weile, ehe er dann doch sein Schweigen mir gegenüber bricht: „Mein Boss will sie sprechen.“ „Sagen sie ihrem Boss, er kann mir mal im Mondschein begegnen.“ „Dann werde ich wohl nachhelfen müssen.“ Das wird ja immer schöner! Flink weiche ich seinen Pranken aus, mit denen er versucht mich zu packen. Der Typ mag zwar gut einen Kopf größer sein und auf der Hantelbank drückt er bestimmt ein paar Kilos mehr als ich, aber er ist zu langsam. Es war schon immer ein großer Vorteil von Sanji und mir, dass man uns oft unterschätzte, weil wir nicht besonders massig wirken. Gerade als Teenager sahen wir beide eher wie zwei schmächtige Hungerhaken aus, aber keiner der sich mit uns anlegte, hatte eine Chance gegen uns. Man trifft schon einiges an streitbarem Volk abends auf der Straße und dieser Typ scheint einer von dieser Sorte Mensch zu sein, die sich gerne eine Abreibung abholen. Mir reicht es jedenfalls! Ich drehe mich und verpasse ihm einen Tritt, so dass er auf den Rücken fällt. Sanji’s Kicks sind zwar um einiges besser, aber für den reicht mein Können aus. Er flucht, zumindest nehme ich das an, denn er spricht nicht Englisch. Dennoch klang es nicht wie eine Liebeserklärung. „Ich sagte doch, leg dich nicht mit ihm an.“ Im Türrahmen erscheint ein zweiter Mann, groß wie ein Hüne, aber wesentlich älter als der andere. Körperlich scheint er zwar nicht mehr auf Topniveau zu sein, aber es ist ihm deutlich anzusehen, dass er körperlichen Auseinandersetzungen in der Vergangenheit nicht aus dem Weg gegangen ist. Auch traue ich ihm noch ein paar miese Tricks zu. Ich würde mich nur ungern mit ihm anlegen, denn ein erfahrener Kämpfer ist oft schwieriger zu besiegen als ein starker. Der andere Mann steht wieder vom Boden auf und reibt sich das Kinn. Da habe ich wohl keinen schlechten Treffer erzielt. Murrend verlässt er das Zimmer, wobei er sich kurz am Türrahmen abstützen muss. Wahrscheinlich wird sein Ego mehr mit der Niederlage zu kämpfen haben als sein Kiefer. Und ich? Wie soll ich bloß aus dieser Wohnung entkommen? Ein stiller Moment verstreicht, dann kommt auch schon Liz zurück. Sie sieht mich nicht an und das wundert mich kein Stück. Man hat sie bezahlt, um mir eine Falle zu stellen und vielleicht ist es ihr peinlich, mir nun gegenüberzutreten. „Man sagte mir, ich darf schon gehen. Stimmt das?“ „Ja, geh ruhig. Du hast deine Sache sehr gut gemacht.“ „Aber…“ Nun schielt sie doch kurz zu mir rüber: „ich habe es leider nicht geschafft.“ „Das macht nichts, du darfst das Geld dennoch behalten. In der Küche steht noch eine kleine Tasche für dich. Ich hoffe, sie gefällt dir.“ Ein dankbares Lächeln huscht über ihr Gesicht und ich kann sie verstehen. Über die Sonnenbrille, die Mrs. Chevalier mir geschenkt hat, freute ich mich auch sehr und tue es auch jeden Tag, an dem ich sie trage. Liz wird sicherlich ebenfalls sehr arm sein, wenn sie solche Jobs annimmt. Sie verschwindet wieder aus unserem Blickfeld, doch ihr unterdrücktes Quietschen ist deutlich zu hören, als sie wohl die Tasche gefunden hat. „Frauen“, meinen der Unbekannte und ich gleichzeitig und sehen uns wieder an. Wer zur Hölle ist dieser Mann und was will er von mir? Langsam kommt er ein paar Schritte näher, hebt dabei aber die Hände, um wohl zu zeigen, dass er nichts plant. Ich bin dennoch vorsichtig. Er lässt sich in einem der Sessel nieder, schlägt dabei die Beine übereinander und faltet seine Hände, wobei er nicht die Finger ineinander verschränkt, sondern lediglich die Daumen unter den Handflächen versteckt. Irgendwo in meinem Hinterstübchen versucht ein Licht anzugehen, aber der zündende Funke fehlt mir noch, wo ich das schon einmal gesehen habe. Stumm mustert er mich, wobei es schwer zu sagen ist, was ihn nun genau an mir interessiert. „Wo haben sie kämpfen gelernt? Und sagen sie nicht, dass sie es auf der Straße gelernt hätten, das wäre gelogen.“ Überrascht ziehe ich die linke Augenbraue hoch. Was ist das nur für ein krasser Typ? Er scheint sich mit Kampfsport auszukennen, sonst wäre er sich seiner Behauptung nicht so sicher. Zumal ich den anderen Kerl mit nur einem Tritt auf die Bretter geschickt habe, da kann man schwer Rückschlüsse auf meine kämpferischen Fähigkeiten schließen, zumindest nicht, wenn man sich nicht auskennt. „Na schön, da sie mir offensichtlich nicht antworten wollen, versuchen wir es anders. Sie sind Callboy seit etwa vier Jahren. Sie nennen sich Ryo, was zu ihrem asiatischen Aussehen passt, aber als Name für Kundinnen nicht zu schwer zu merken ist. Sie sind 25 Jahre alt, Third ersten Grades und arbeiten für die Hexe Alvida. Ihre Körperbeherrschung ist beeindruckend, was meine Annahme bestätigt, dass sie gelernt haben zu kämpfen und sich ihre Muskeln durch hartes Training und nicht durch Anabolika verdient haben. Ich wette, sie könnten einem Menschen mit bloßen Händen das Genick brechen.“ Seine Worte sind emotionslos vorgetragen, als würde er über etwas völlig Belangloses sprechen. Dabei wird es für die wenigsten Menschen normal sein jemandem zu unterstellen, er könne mit bloßen Händen Leute umbringen. „Wollen sie mir einen Job als Bodyguard anbieten?“, meine ich ein wenig spöttisch zurück. „Sehe ich denn aus wie jemand, der einen brauchen könnte?“ „Nicht, wenn ihre Gegner solche Kleinkaliber wie ihr Handlanger sind. Die schaffen sie auch allein.“ Er lächelt belustigt, dass sogar zwei kleine Grübchen in seinem faltigen Gesicht sichtbar werden. Auch seine Augen wirken nicht mehr so kalt, sondern zeigen ein schönes, tiefes Blau. Erschrocken halte ich die Luft an und muss zurück an mein Treffen mit Robin und ihrem gewalttätigen Exmann denken. Nachdem ich diesen vor die Tür gesetzt hatte und ich zu Robin zurückkehrte, um nach ihr zu sehen, saß sie etwas verloren an einem anderen Tisch, die Hände gefaltet und in sich gekehrt. Ich setzte mich zu ihr und versuchte sie aufzumuntern. Und als sie endlich wieder vergnügt lächelte, nachdem sie nur Desserts für uns bestellt hatte, um ihren Sieg zu feiern, da zeigten sich auch zwei kleine Grübchen auf ihren Wangen und ich sah zum ersten Mal in das tiefe Blau ihrer wunderschönen Augen. Oh ha! Das muss ich erst einmal verdauen, sollte sich mein Verdacht bewahrheiten. Etwas ratlos lasse ich mich auf das kleine Sofa fallen und mustere mein Gegenüber eindringlich. Habe ich etwas übersehen? Spielt mir mein Gehirn einen Streich? Kann es wirklich sein, dass dieser Mann Robin’s Vater ist? „Möchten sie denn gar nicht wissen, weshalb ich sie hierher bestellt habe?“, unterbricht der andere die Stille. „Vor einer Minute hätte ich ja gesagt, aber ich glaube, jetzt kenne ich den Grund.“ „So“, meint er gedehnt und wartet offensichtlich darauf, dass ich weiterrede. Da ich mich aber zurückhalte, versucht er auf ein Neues, ein Gespräch anzufangen: „Was hat mich denn verraten, dass sie glauben zu wissen, wer ich bin? Denn soweit ich weiß, sind wir uns bis jetzt noch nie begegnet.“ Er lächelt und dabei zeigt sich ein weiteres Indiz, das meine Theorie bestätigt. Ich gebe mir einen Ruck und antworte: „Die Art und Weise wie sie ihre Hände falten und natürlich ihre Augenfarbe.“ „Na so ungewöhnlich ist das nicht, dass Menschen blaue Augen haben.“ Er lächelt verschmitzt. „Mag sein, aber dieses dunkle Saphirblau ist mir in meinem bisherigen Leben nur bei einem einzigen Menschen bis jetzt begegnet. Dennoch kann ich mich natürlich irren.“ „Und wenn sie recht hätten, was würde das für sie bedeuten?“ „Ich nehme an, sie werden mir nahelegen, mich nicht mehr mit ihrer Tochter zu treffen.“ So neutral wie möglich antworte ich ihm, doch dieser Satz versetzt mir einen tiefen Stich. Ich liebe Robin und es würde für mich eine harte Zeit bedeuten, sie nicht mehr sehen zu dürfen, auch wenn mir klar ist, dass unsere Situation alles andere als gewöhnlich ist. Er legt ein wenig den Kopf schief und sieht an mir vorbei. „Das Problem mit meiner Tochter Robin ist, dass sie einen schlechten Geschmack hat, was Männer betrifft.“ „Danke für das Kompliment.“ Er lacht sogar. „Ich habe vor einiger Zeit einen wütenden Anruf von Robin’s Exmann erhalten. Er brüllte in den Hörer, dass er sich dafür rächen würde, dass ich ihm einen meiner Bodyguards auf den Hals gehetzt hätte, wobei er ein paar abfällige Bemerkungen über Asiaten vom Stapel ließ. Ich wusste überhaupt nicht was er wollte, aber genaueres wollte er mir auch nicht verraten, weshalb ich es als Spinnerei abgetan habe. Naja, zumindest bis zu dem Moment, als mir Robin von ihnen erzählte und mir ihr Foto zeigte. An der U.C.L.A. gibt es sicherlich niemanden, der den Mumm oder die Kraft hätte Zero vor die Tür zu setzen, das sind alles nur Schwätzer, die mit ihren Titeln wedeln. Sie dagegen haben ihr zur Seite gestanden.“ „Man schlägt keine Frau, das sollte er spätestens seit diesem Abend wissen.“ Die Augen meines Gegenübers verengen sich zu schmalen Schlitzen und mustern mich eindringlich. „Er hat sie geschlagen?“ Wie tiefes Gewittergrollen schwingt in seiner Stimme mit, das mich aufhorchen lässt. „Hat sie ihnen das nicht erzählt?“, hake ich vorsichtig nach. Ich bin hoffentlich nicht auf eine Tretmine gestoßen. „Sie meinte bloß, dass sein Verhalten gereicht hätte, um endlich eine einstweilige Verfügung gegen ihn zu erwirken.“ Es ist ihm deutlich anzusehen, wie besorgt er um Robin ist. Und auch wenn sie eine erwachsene Frau ist, der Job als sorgender Vater wird man mit der Geburt seines Kindes nie wieder los. Ich muss an meinen kleinen Grashüpfer denken und wie sehr er mein Leben verändert hat und es sicherlich noch mehr verändern wird. Kapitel 45: Sushi ----------------- 45. Zorro Sushi Noch bin ich mir nicht sicher, ob es eine gute Idee war, in das Auto von Robin’s Vater zu steigen, aber ich denke schon, dass ich zurechtkommen werde, egal was dieser Abend noch bringen mag. Der Bodyguard ist jedenfalls nicht begeistert davon, dass er mich mit durch die Gegend kutschieren muss. „Sind sie sicher, dass wir ihn mitnehmen sollen, Sir?“ „Mach dir keine Sorgen, ich pass schon auf dich auf“, entgegne ich ein wenig vorlaut. Wieder murmelt dieser wandelnde Wandschrank etwas in seinen nichtvorhandenen Bart und startet den Motor. „Sehen sie es ihm nach, dass er sich Sorgen macht. Ich bin nicht mehr ganz so fit wie noch vor zwei Jahren und in meinem Job hat man es nicht nur mit freundlichen Menschen zu tun.“ „Schon in Ordnung“, entgegne ich. Was soll ich auch antworten? Ich weiß nichts über Robin’s Vater oder ihre Mutter. Das Einzige, was ich über ihre familiären Verhältnisse weiß, ist, dass sie einen fürchterlichen Exmann hat, aber keine Kinder. „Wollen sie denn gar nicht wissen, wohin wir fahren?“, unterbricht Mr. Nico meine Gedanken. „Hätte ich eine Chance, das Ziel zu ändern?“ „Nein, eigentlich nicht.“ Er grinst verschmitzt. „Dann kann ich warten, bis wir dort sind.“ Sein Blick wandert zu der Uhr an seinem Handgelenk, dann wieder zu mir. Es ist eine teure Uhr von Tutima, einem renommierten Schweizer Hersteller. „Ich dachte, wir gehen eine Kleinigkeit essen, denn da dies Teil ihrer Verabredung war, haben sie sicherlich im Vorfeld nicht allzu viel gegessen.“ „Irgendwie hege ich langsam den Verdacht, dass sie sich recht gut mit den Gepflogenheiten im Rotlichtmilieu auskennen.“ Lange sieht er mich an, ehe er entgegnet: „Das sollten wir beim Essen besprechen.“ „Okay.“ Erwartungsvoll sehe ich aus dem Fenster, sehe die noblen Geschäfte mit ihren edlen Auslagen, die teuren Autos, die hier im Überfluss uns entgegenkommen oder an uns vorbeifahren. Dies ist die Seite dieser Millionenstadt, die sicherlich die meisten erwarten, die noch nie hier gewesen sind. Doch auch L.A. hat seine Ecken, in die sich besser kein Tourist verirren sollte. Wir halten an und steigen auf einem Parkplatz aus, der zu einem größeren Gebäudekomplex zu gehören scheint. „Ich bring dich um, sollte Mr. Nico auch nur ansatzweise Grund zu klagen haben.“ Der Bodyguard scheint doch mehr Angst vor mir zu haben, als ich dachte. Andernfalls würde er so eine völlig überzogene Drohung nicht aussprechen. „Keine Sorge, ich werde dafür bezahlt meinen Kunden gegenüber höflich zu sein.“ „Und ich dafür, dass mein Boss wieder gesund zu Hause ankommt.“ „Dann sind wir uns ja einig“, entgegne ich und hebe beschwichtigend die Hände. Ein letzter warnender Blick an mich, ehe er zurück ins Auto steigt und sich demonstrativ hinter seinem Handy verschanzt. „Er nimmt seine Aufgabe sehr ernst“, mischt sich dann doch Robin’s Vater ein, um die Situation ein wenig zu entschärfen. „Wahrscheinlich hat er ihnen viel zu verdanken. Menschen mit osteuropäischem Akzent haben es sicherlich nicht leicht einen gut bezahlten Job zu finden.“ Robin’s Vater nickt, ehe er mir deutet ihm zu folgen. „Kennen sie das Restaurant?“ „Nein. Sushirestaurants stehen so gut wie nie auf der Liste der Orte, an denen ich mich mit Kundinnen treffe und auch preislich passen sie nicht in mein Budget.“ „Da muss ich Robin wohl mal einen Tipp geben“, feixt er. „Ich dachte sie wollen nicht, dass ich mich länger mit ihr treffe?“ „Das habe ich nicht gesagt. Sie scheinen ja ein echter Third zu sein, folglich brauche ich um meine Tochter keine Angst zu haben. Oder war das Angebot, das Liz ihnen gemacht hat noch nicht gut genug?“ „Sie haben die Falle für mich schon gut vorbereitet. Liz ist vom Typ her Robin nicht unähnlich und das Geld könnte ich ebenfalls gut gebrauchen.“ „Aber?“ „Das werde ich ihnen so schnell sicherlich nicht verraten“, gebe ich zurück, was mir einen nachdenklichen Blick meines Begleiters beschert. Wir betreten das Restaurant mit dem klangvollen Namen Sakura und werden von einem netten älteren Herrn in Empfang genommen. Er muss noch nicht einmal in sein Buch schauen, um zu wissen, wer sein Gast ist. Wahrscheinlich ist Mr. Nico hier öfter Gast. Beneidenswert. Das Ambiente ist minimalistisch, aber dennoch eindrucksvoll modern. „Möchten sie zuerst noch einen kleinen Drink zu sich nehmen, meine Herren?“ „Ja, ein kleines Bier wäre mir recht. Und für sie? Nach dem Schreck, jetzt mit einem alten Mann essen gehen zu müssen, anstatt einer hübschen Dame, etwas Sake gefällig?“ Ich merke schon, Robin’s Vater besitzt seinen ganz eigenen Humor. „Nihonshu Ryusei, bitte“, entgegne ich dem Kellner, der geduldig meine Antwort abgewartete. „Sehr gute Wahl, mein Herr.“ Natürlich, es war auch Koshiro’s Lieblingsreiswein. Schön, dass es ihn hier gibt. Wir setzen uns an unsere zugewiesenen Plätze und nehmen unser Getränk entgegen. Ich bin ja mal gespannt, was Mr. Nico sich von unserem Treffen erhofft. Er dagegen blickt sich neugierig um und ich gewinne den Eindruck, er ist noch nie zuvor hier gewesen. War er überhaupt schon einmal Sushi essen? Als er meinen Blick bemerkt, hebt er ertappt ein Stück die Hände und meint: „Ich gebe zu, ich war noch nie Sushi essen.“ „Warum haben sie dann ein japanisches Restaurant ausgesucht, wenn sie Sushi gar nicht kennen? Vielleicht schmeckt es ihnen auch gar nicht.“ „Ich wollte ihnen einen Gefallen tun.“ „Mir? Das klingt noch absurder, als es dieses ganze Treffen ohnehin schon ist“, gebe ich zurück. Wieder sieht er mich an, sehe wie er überlegt, was er mir wohl antworten soll und was besser für sich behalten. „Robin ist wirklich sehr glücklich, wenn sie über sie spricht. Als Vater war es immer mein Bestreben, dass es meiner Tochter gut geht, aber leider ist mir das nur selten wirklich gelungen. Ich ließ mich von ihrem jetzigen Exmann blenden und habe nicht gemerkt, dass es ihm nie um sie ging. Ich war einfach so froh, dass sie endlich nicht mehr allein war.“ Er nimmt einen Schluck von seinem Bier, ehe er weiterspricht: „Und ich kann ihnen versprechen, das passiert mir nicht noch einmal.“ Ein warnendes Blitzen liegt in seinen Augen, doch anstatt mich bedroht zu fühlen, kann ich ihn nur zu gut verstehen. „Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Ich liege an einer Kette und deren Glieder sind stark und zahlreich.“ „Das überrascht mich aber nun doch. Wollten sie meine Tochter nicht überreden sie freizukaufen?“ Verblüfft sehe ich ihn an und auch er scheint eine andere Reaktion von mir erwartet zu haben. „Sind wir deshalb hier, weil sie Angst um ihr Geld haben? Aber ich kann sie beruhigen, das würde ich nie von Robin verlangen und es würde auch nicht funktionieren. Alvida würde nur eine Chance wittern Robin so viel wie möglich Geld abzunehmen und das würde wiederum ich nicht zulassen.“ „Starke Worte für einen Mann, der angeblich nur mit ihr ausgeht. Oder schlafen sie etwa doch mit ihr?“ Ich muss ein bisschen schmunzeln: Robin’s Vater ist echt eine Nummer für sich. „Weder mit ihr noch mit Liz noch mit sonst jemandem.“ „Klingt hart für einen Mann in ihrem Alter.“ Wieder muss ich leise lachen. Mr. Nico ist wirklich mit allen Wassern gewaschen. „Es wäre schlimmer, wenn ich mich nicht an diese Regel halten würde. Als Third komme ich klar, alles andere würde ich nicht schaffen. Wenn man erst einmal auf diesen Zug aufgesprungen ist, kann man nicht mehr umsteigen und man kann sich auch nicht aussuchen, mit welchen Frauen man das Bett teilt und mit welchen nicht.“ So viel zu seiner Frage von vorhin. Jetzt hat er mich doch dazu gebracht darauf zu antworten. „Nun gut, das ist nachvollziehbar. Aber jetzt erklären sie einem alten Mann wie mir erst einmal, wie ich dieses Essen verzehre, ohne einen größeren Fauxpas zu begehen.“ „Wen wollen sie denn beeindrucken?“ Habe ich ihn etwa ertappt? „Na ja“, räuspert sich mein Sitznachbar, „ich würde gerne diese Immobilie kaufen, aber der momentane Besitzer glaubt mir nicht, dass ich das Restaurant seines Neffen bestehen lassen würde. Ich dachte, vielleicht kann ich ihn davon überzeugen, wenn er sieht, dass ich mich mit dem Restaurant auseinandersetze.“ „Und, würden sie es bestehen lassen?“ „Ich wäre verrückt, wenn ich es nicht tun würde oder haben sie den Eindruck, dass es nicht gut besucht ist?“ „Schon, aber ein Blick in die Bücher ist meistens aufschlussreicher als ein Blick in das Gästebuch.“ „Ich sehe schon, sie denken mit. Aber sie waren ja auch auf dem College.“ „Klingt ziemlich ironisch, wenn sie mich fragen.“ „Ich halte nicht viel von unserem Bildungssystem, aber Ausnahmen soll es ja geben. Was haben sie da eigentlich getrieben, außer auf Partys zu gehen?“ Er ist einfach unverbesserlich! Robin hat es sicherlich nicht immer leicht mit ihm, aber auf der anderen Seite wird sie froh sein, einen Vater zu haben, der sich um sie sorgt. „Ihre Tochter ist Professorin und sie halten nichts vom Bildungssystem?“ „Robin ist sehr intelligent, sogar hochbegabt. Sie hat sich alles selbst beigebracht. Sie sagte schon als Kind, ein Test sei dazu da das Ego des Lehrers zu befriedigen, nicht erworbenes Wissen abzufragen. Folglich würde ich ihr diesbezüglich eine Sonderrolle zuschreiben. Aber wir waren bei ihnen, nicht bei meiner Tochter.“ „Ich hatte Sport und Ernährung in den Hauptfächern, aber ich habe auch ein paar Kurse VWL belegt.“ „Sport ist Mord, hat man ihnen das nie erklärt?“ „Erzählen sie mir doch keine Märchen, sie waren selbst einmal sehr sportlich und wie man kämpft wissen sie auch. Ihr Fahrer mag ein Kraftpaket sein, aber sie sind nicht zu unterschätzen. Mag sein, dass sie nicht mehr ganz so fit sind, aber anlegen würde ich mich dennoch nicht so ohne weiteres mit ihnen.“ Er grinst ein wenig unterdrückt in sein Glas, aber wirklich verbergen scheint er sein Grinsen dann doch nicht zu wollen. „Mir ist vorhin schon aufgefallen, dass sie ihre Gegenüber unheimlich gut einschätzen können, Ryo. So leicht ist mein Fahrer eigentlich nicht auf die Bretter zu schicken. Wollen sie mir noch immer nicht verraten, wo sie gelernt haben zu kämpfen?“ „Warum wollen sie das denn unbedingt wissen?“ „Halten sie mich für verrückt, aber ich hatte vorhin den Eindruck, sie kämpfen am liebsten mit einer Art Schlagwaffe und der Kick war eine Notlösung. Präzise ausgeführt, aber nicht ihr Stil.“ Verwundert sehe ich ihn an und versuche in seinem Blick zu lesen, was er noch alles über mich denkt. „Ich bin ehrlich gesagt nicht sicher, ob es ihr momentaner Job oder aber ihre kämpferischen Fähigkeiten sind, die mich mehr beunruhigen. Meine Tochter ist mein ein und alles und noch einmal soll sie es nicht erleben müssen, dass ein Mann ihr gegenüber seine körperliche Überlegenheit ausnutzt. Aber auf der anderen Seite braucht sie jemanden, der ihr Sicherheit und Geborgenheit bieten kann. Diese weichgespülten Winkeladvokaten und Bücherwürmer an ihrer Uni fallen bei jedem noch so kleinen Gegenwind sofort in sich zusammen. Zero hat Angst vor ihnen und ich muss gestehen, dass mich das unheimlich freut. Ich bin leider nicht mehr in der körperlichen Verfassung, ihm die Stirn zu bieten.“ „Hat sie nicht eine einstweilige Verfügung gegen ihn erwirkt?“, entgegne ich etwas irritiert. „Lieben sie meine Tochter?“ Gebannt starre ich auf meinen Teller, ehe ich antworte: „Das spielt keine Rolle.“ „Robin hat mich nach drei Katanas gefragt. Das waren ihre, nicht wahr? Sie müssen nicht antworten, ich sehe es in ihren Augen. Außerdem haben sie die Figur eines typischen Kendomeisters, der auch mit echten Langschwertern umzugehen weiß. Sie sind muskulös, aber auch sehr beweglich, wie man es auch sein muss, wenn man ein solches Schwert beherrschen und sich nicht im Umgang damit selbst verletzen möchte. Also, in welchem Dojo haben sie diesen Kampfstil gelernt? Und nennen sie mir bitte nicht den Namen irgendeiner Kampfsportschule, die man im Internet ganz weit oben findet, denn dort lernt man nicht mit echten Waffen zu kämpfen.“ „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihnen der Name etwas sagen wird, außerdem gibt es dieses Dojo schon länger nicht mehr. Oder ist es sogar so, dass sie den Namen bereits kennen und nur meine Ehrlichkeit testen wollen?“ „Wie kommen sie denn darauf?“ „Ich habe den Eindruck, dass sie, woher auch immer, Informationen über mich eingeholt haben. In einigen Punkten scheinen sie ziemlich gut über mich Bescheid zu wissen.“ Mr. Nico nickt, sagt aber weiter nichts. Schweigend trinken wir unsere Getränke, bis er dann doch meint: „Vielleicht sollten wir mit dem Essen anfangen, man sieht schon zu uns rüber.“ Auch ich habe den Eindruck, dass die beiden Köche uns verstohlen mustern. Also werfe ich einen genaueren Blick auf das Förderband, das an unseren Plätzen vorbeifährt und warte darauf, dass das passende Gericht bei uns vorbeikommt. Endlich kommt ein Teller mit dem sogenannten California Sushi zu uns, den ich für Robin’s Vater vorgesehen habe, während ich ja gerne Sashimi gewählt hätte, aber bis jetzt war kein Teller dabei, auf dem es zu finden war. Der ältere der beiden Köche sieht mich etwas unschlüssig an, so dass ich ihn dann doch auf Japanisch anspreche. Wir sprechen kurz über meinen Wunsch und er erklärt mir, dass das Nigiri Sushi gleich fertig sei. Sie würden es nur weniger häufig zubereiten, weil die meisten Gäste des Lokals entweder das klassische Maki Sushi oder das modernere California Sushi bevorzugen würden. „Ich hoffe, sie haben ihm nicht gesagt, dass er mir Gift ins Essen mischen soll.“ „Nein, das wäre nicht mein Stil. Außerdem, wer bezahlt dann das Essen?“ „Gut gekontert. Und was mache ich jetzt mit diesen schicken Röllchen?“ Der Koch bringt mir sogar persönlich den Teller, den ich angefragt hatte und wünscht uns guten Appetit. „Passen sie auf. Sushi wird grundsätzlich nicht geschnitten, sondern jede Rolle entspricht einem Happen. Tauchen sie es mit Hilfe der Essstäbchen in die Sojasoße und verzehren sie es. Wenn sie es scharf mögen, nehmen sie noch etwas Wasabi dazu, wobei ich an ihrer Stelle damit vorsichtig wäre, es sei denn, sie essen gerne scharf. Zu ihrem California Sushi würde ich vielleicht zu Beginn mit der Teriyaki Soße anfangen, die schmeckt den meisten, die noch nie Sushi probiert haben.“ „Und warum ist Sesam bei mir auf dem Reisröllchen und nicht dieses dunkle Blatt?“ „Wie der Name schon verrät, ist diese Sushiart in Amerika erfunden worden und entspricht eher dem Geschmack der Bevölkerung. Das klassische Maki Sushi können sie auch gleich noch probieren, wenn ihnen das hier zusagt.“ Wir beginnen zu essen, wobei ich merke, wie sehr er sich bemüht mit den Stäbchen zurechtzukommen. Ich versuche ihm ein paar kleinere Tipps zu geben, denn Mr. Nico scheint nicht gerne auf Hilfe angewiesen zu sein. Aber dass man nach jedem Stück Sushi etwas von dem eingelegten Ingwer isst, um den Geschmack zu neutralisieren, verrate ich ihm dann doch noch. Es ist eigenartig mit diesem Mann hier zu sitzen, von dem ich nicht sicher sagen kann, ob er Freund oder Feind ist, aber wahrscheinlich ergeht es ihm da nicht besser als mir. Wir nehmen uns einen weiteren Teller, von dem sich mein Gastgeber ein Maki Sushi herunternimmt, um es zu probieren. „Sie hatten recht, das andere Sushi entspricht eher meinem Geschmack. Aber diese grüne Paste ist genau mein Fall.“ Er tupft sich mit der Serviette kurz den Mund, bevor er für uns eine neue Runde zu trinken bestellt. Mir soll es recht sein, denn wann werde ich wohl wieder einmal in den Genuss kommen und Sushi mit Reiswein genießen können? Ich kann es nicht sagen. Kapitel 46: Spurensuche ----------------------- 46. Robin Spurensuche „Ich habe heute mit Kalifa aus der Nachrichtenabteilung gesprochen. Weißt du, ich habe dir das nie erzählt, aber sie hat mir damals die Dating-Agentur empfohlen. Sie ist wohl schon länger Kundin dort und ist auch bereits mit mehreren von diesen Jungs ausgegangen. Um ehrlich zu sein, hat sie auch schon verschiedene andere Agenturen in Anspruch genommen. Jedenfalls fragte sie mich, ob ich mir denn auch den Kalender für das nächste Jahr kaufen würde. Ich wusste nicht welchen Kalender sie meinte, bis sie mir ein älteres Exemplar eines solchen Kalenders gezeigt hat, das wohl immer in ihrer Schreibtischschublade liegt. Darin sind die heißesten Callboys der Agentur abgelichtet! Sie sagte, es wäre ihr absoluter Lieblingskalender damals gewesen und obwohl er schon ein paar Jährchen alt wäre, fände sie die Fotos darin nach wie vor einfach am schönsten. Neugierig wie ich bin, habe ich mir den Kalender ganz genau angesehen, denn es kann nie schaden, sich ein paar hübsche Jungs anzuschauen. Aber dabei habe ich ein interessantes Foto entdeckt. Ich habe es abfotografiert, denn ich wollte es dir unbedingt zeigen.“ Nami‘s Grinsen spricht schon wieder Bände, aber dieses Mal freue ich mich auf ihre Entdeckung, denn dabei kann es sich eigentlich nur um ein Bild von Ryo handeln. Zwar ein jüngerer Ryo, aber deshalb bestimmt nicht minder attraktiv. Unweigerlich muss ich an das Foto denken, das ich in Law’s Krankenakte von ihm gesehen habe. Er war deutlich jünger und es lag noch etwas jugendliches in seinem Antlitz, das man heute vergeblich sucht. Neugierig schaue ich auf Nami’s Handy, das sie mir auffordernd entgegenhält. Natürlich gilt meine Aufmerksamkeit sofort Ryo, der auf dem Bild vor einem azurblauen Pool steht und seinen durchtrainierten Rücken präsentiert, wohl wissend, dass seine Brust eine große Narbe ziert. Wie erwartet ist er jünger als heutzutage, aber sein Blick scheint sich in all dieser Zeit nicht verändert zu haben. Die Rolle des Unnahbaren hat er wohl schon früh für sich entdeckt. Nein, es ist keine Rolle, vielmehr sein Charakter. Er gehört nicht zu den Menschen, die jeden sofort offen in ihr Herz schließen. Neben ihm steht ein anderer junger Mann, in etwa das gleiche Alter, dessen Anblick mich ein wenig schockiert. „Ich kenne ihn! Das ist Mr. Vinsmoke!“ „Wer?“, entgegnet Nami sichtlich überrascht. „Er ist Koch im Baratie. Ich wusste nicht, dass er auch mal für die Agentur gearbeitet hat. Interessant!“, platzt es förmlich aus mir heraus. „Bist du dir sicher, dass dies derselbe Mann ist? Ein Koch?“ Neugierig beugt sich Nami über ihr Smartphone. „Sieht gar nicht mal so schlecht aus“, kommentiert sie das Foto. „Ja, das ist definitiv Mr. Vinsmoke. Du weißt doch, das Baratie ist mein Lieblingsrestaurant. Ich kenne das Personal dort sehr gut. Mr. Vinsmoke ist zwar Koch, aber er unterhält sich auch gerne mit den Gästen, wenn es ihm seine Zeit erlaubt und seine Weinempfehlungen sind spitze. Aber wirklich interessant an der ganzen Angelegenheit ist, dass ich Ryo schon einmal zufällig im Baratie getroffen habe und er dort als Barkeeper arbeitete.“ Verblüfft sieht Nami mich an und auch ich kann nicht leugnen, dass ich diese Tatsache nun in einem ganz anderen Licht sehe. Sollten sich die beiden aber aus der Agentur kennen, war es vielleicht mehr ein Freundschaftsdienst als ein wirklicher Job. „Davon hast du mir nie erzählt. Womöglich sollten wir der Sache mal auf den Grund gehen. Ich meine, es ist doch ungewöhnlich, dass ein Callboy nebenbei als Barkeeper in einem Edelrestaurant arbeitet, oder findest du nicht?“ „Schon, Nami. Doch wie stellst du dir das vor?“ „Na ganz einfach! Wir fahren hin und essen etwas Leckeres. Und ganz nebenbei schauen wir uns nach hübschen jungen Männern um!“ Sie lacht. „Wir können doch nicht einfach dahinfahren. Du musst einen Tisch reservieren und…“ „Ach Quatsch! Wenn meine Vermutung richtig ist, werden sie ganz sicher einen Platz für uns haben, also los geht’s! Außerdem wollten wir uns doch eh einen schönen Abend in der City machen, da kommt die Idee mit dem Baratie mir gerade gelegen.“ „Ich bin mir da nicht so sicher.“ Das klingt nach einer von Nami’s Ideen, die meist recht peinlich enden. Andererseits hat sie natürlich recht, dass wir mehr über Ryo herausfinden müssen. „Ach komm schon. Wir haben wirklich nicht viele Informationen über Ryo. Wir sollten schauen, dass wir etwas mehr über ihn in Erfahrung bringen. Lass uns jetzt dort hinfahren und wenn wir nichts herausfinden oder wenn sich die Idee als falsch herausstellt, dann haben wir nichts verloren. Wir können nur gewinnen.“ Kurz überlege ich noch, stimme dann aber doch zu: „Ich fahre aber.“ „Von mir aus.“ An Nami’s Stimme höre ich, dass sie nicht begeistert davon ist, dass ich fahren werde und wir kein Taxi nehmen. Sie wird sich wundern. Eilig werfe ich noch schnell einen Blick in den Spiegel, Haare und Make-up sitzen, es kann losgehen. „Kommst du?“ „Yes! Ich bin so aufgeregt!“, flötet Nami und reißt die Wohnungstür auf. Ich kann nur hoffen, dass unser Vorhaben nicht zum Desaster wird. Schweigend fahren wir mit dem Fahrstuhl ins Untergeschoss und verlassen Nami’s Behausung. Für mich ist es sehr praktisch, dass zu ihrer Wohnung auch ein Tiefgaragenplatz gehört. Nami besitzt kein eigenes Auto, folglich hat jeder ihrer Besucher einen exklusiven Parkplatz für sich. Wir steigen in meinen BMW und ich fahre los. Zügig durchquere ich die Stadt bis zum Baratie, denn ich kenne den Weg auswendig. „Seit wann kannst du so gut Autofahren?“ „Tja, das hat mir ein gewisser Herr beigebracht“, entgegne ich ein wenig stolz, vermeide es dabei aber Nami anzusehen, denn allein der Gedanke an diesen Abend, lässt mich ein wenig verlegen werden. „Möchtest du mir etwas Näheres darüber erzählen?“ Sie grinst schon wieder spitzbübig. „Nein, möchte ich nicht. Aber wie du siehst, er hatte Erfolg.“ Ich parke den Wagen auf dem Parkplatz des Baratie und sehe auch schon von Weitem, dass nur noch wenige Plätze frei sind. Nun wird mir doch etwas mulmig zu Mute. Doch während ich noch grüble, ist Nami schon auf dem Weg zum Eingang. Schnell greife ich hinter den Sitz, um meine Handtasche hervorzuholen und meiner Freundin zu folgen. Manchmal ist Nami etwas ungestüm und ich befürchte, dass sie mit dem Kopf durch die Wand rennen könnte. Kaum sind wir durch die Eingangstür getreten, werden wir von einem der Ober in Empfang genommen. Doch Nami in ihrer unverblümten Art möchte gleich Mr. Vinsmoke sprechen. „Findest du, das ist eine gute Idee?“ Doch Nami ignoriert mein Flüstern. Wir müssen auch nicht lange warten und Mr. Vinsmoke betritt den Empfangsbereich, sichtlich überrascht von unserm Anblick. „Miss Nico, schön sie wieder bei uns zu haben und sie sind Miss Saperstein, unsere tolle Wetterfee, wenn ich richtig informiert bin.“ Er schenkt uns ein freudiges Lächeln und tritt näher an uns heran. „Sie kennen mich? Oh, das schmeichelt mir aber.“ Ein wenig amüsiert beobachte ich, wie Mr. Vinsmoke Nami umgarnt und diese das in vollen Zügen genießt. „Was kann ich für sie beide tun?“ Wild gestikuliert Nami mit ihren Händen, in der Hoffnung die richtigen Worte zu finden: „Um ehrlich zu sein, sind wir auf der Suche nach einem Dessert, einem besonderen Dessert, wenn sie wissen, was ich meine.“ Dabei hält sie ihm ihr Smartphone mit dem Foto vor die Nase und lächelt, als wäre sie tatsächlich eine Fee. Und obwohl es Nami ist die mit ihm spricht, gilt sein Blick mir. Augenblicklich wird mir heiß und ich verfluche mich dafür, mich auf Nami‘s Idee eingelassen zu haben. Am liebsten würde ich im Erdboden versinken! Sicherlich ist mir meine Unsicherheit und meine Scham anzusehen, so dass es mich nicht wundern würde, wenn ich etwas rot geworden wäre. Doch im Gegensatz zu meiner Befürchtung lächelt Mr Vinsmoke auf einmal und meint: „Für ein besonderes Dessert biete ich Ihnen auch einen besonderen Platz an. Wenn die Damen mir bitte folgen würden.“ Nami und ich blicken uns kurz an. Jetzt gibt es wohl kein Zurück mehr. Nervös laufe ich hinter dem blonden jungen Mann her, dicht gefolgt von Nami, die inzwischen auch nicht mehr ganz so selbstbewusst wirkt wie zu Beginn unseres Vorhabens. Wir werden in einen der beiden Seitenräume geführt, die gerne für Familienfeiern gebucht werden. Es ist wieder der Raum mit der kleinen Bar, wo ich damals Ryo ganz unverhofft getroffen habe. Doch der Tresen ist offenkundig unbesetzt, was in mir die kurz aufkeimende Hoffnung, Ryo könnte momentan hier sein, verpuffen lässt. „Nehmen sie doch bitte Platz, ich bin sofort zurück.“ Damit verlässt Mr. Vinsmoke uns wieder und ich bin froh um diese kurze Auszeit. „Er muss uns für völlig bescheuert halten!“, herrsche ich Nami an. „Na und? Er kann uns für so bescheuert halten, wie er will, Hauptsache wir finden etwas mehr über Ryo heraus. Entspann dich, schließlich scheint er ja selbst einmal in diesem Geschäft tätig gewesen zu sein. Wir werden sehen, ob er bereit ist uns etwas zu erzählen. Außerdem ist er ganz schön niedlich!“ Nervös gehe ich ein paar Schritte auf und ab. Warum muss auch alles so kompliziert sein? Hätte ich mich nicht in den Postboten verlieben können? „Setz dich doch endlich zu mir. Wir sollten uns überlegen, welche Fragen wir ihm stellen.“ Entsetzt starre ich Nami an, während ich mich auf den Stuhl fallen lasse: „Ich dachte, du hättest einen Plan?“ „Nein, wieso? Entweder wird er uns freiwillig etwas erzählen oder er schmeißt uns raus.“ Ich fasse mir an die Stirn, um mich zu sammeln. Nami’s Spontanität und Ideenreichtum überfordern mich gerne mal. Aber andererseits habe ich genau diesen Eigenschaften von ihr zu verdanken, dass ich Ryo kennengelernt habe, denn ich wäre nie in meinem Leben darauf gekommen, mich mit einem Callboy zu treffen. Niemals. Die Tür schwingt wieder auf und Mr. Vinsmoke betritt mit einem Teller in der Hand den Raum. Zu seiner Rechten taucht der kleine Diego auf, ebenfalls mit einem solchen bewaffnet. Mit seiner kleinen Schürze und den grünen Wuschelhaaren sieht er zu knuffig aus. „Haben die Ryo geschrumpft?“, raunt mir Nami zu und grinst vergnügt. Die beiden Herren kommen auf uns zu, wobei man deutlich erkennt wie sehr Diego sich bemüht, wie ein echter Kellner aufzutreten. Mit kindlichem Ernst trägt er den großen Teller mit beiden Händen, den er keine Sekunde aus den Augen lässt. An unserem Tisch angekommen, serviert Mr. Vinsmoke Nami ihren Teller, der mit diversen kleineren Porzellan- bzw. Glasschälchen gespickt ist. Alle Dessert sind liebevoll angerichtet und laden zur Verkostung ein. Diego sieht mich dagegen verwundert an, offensichtlich scheint er mich zu erkennen. Er grinst etwas verlegen, erst dann schiebt er den Teller für mich auf den Tisch. Erst jetzt aus der Nähe erkenne ich, dass sein Kopf leicht gerötet ist, bestimmt weil er sich so viel Mühe gibt, um alles richtig zu machen. „Vielen Dank, mein Herr“, entgegne ich ihm, was ihm ein weiters verlegenes Lächeln entlockt. „Und sagst du uns auch, was das alles ist?“ Mit großen Augen sieht er mich an, dann stellt er sich auf die Zehenspitzen, um besser über den Tisch blicken zu können, und erklärt ernst: „Das ist ein Schokoladenpaffy und das eine Creme Brüll.“ Ich unterdrücke ein Lachen und versuche mir nicht anmerken zu lassen, wie süß ich den kleinen Racker finde. Es fällt mir schwer. Kurz räuspere ich mich, ehe ich das kleine Schälchen mit der Crème brulée nehme und an mein Ohr halte. „Ich höre nichts brüllen, du?“ Diego sieht auf die Crème brulée und hält seinen Kopf schief, um angestrengt zu lauschen, ob er denn etwas hören könne, doch er schüttelt nur den Kopf. Dann kommt er näher und flüstert in mein Ohr, dass es etwas kitzelt: „Die heißt nur so.“ „Ach so.“ Ich tue überrascht und stelle das Schälchen zurück zu den anderen, denn offensichtlich ist Diego mit seinen Erklärungen noch nicht fertig. Er wendet sich wieder meinem Teller zu und deutet mit seinem kleinen Zeigefinger auf das nächste Dessert: „Und das ist ein Erdbeereis und das ein Schmusie.“ Ich kann nicht mehr! Zwei Tränen laufen mir über das Gesicht, aus purer Freude und weil dieser kleine Fratz einfach nur zum Knuddeln ist. „Du bist auch so ein Schmusie, du.“ Mr. Vinsmoke hebt den kleinen Kellner auf seinen Arm und drückt ihm einen Kuss auf die Schläfe. „Der Opa hat das aber gesagt.“ „So so, der Opa also. Na, dann geh mal wieder zurück zum Opa, denn er wartet bestimmt schon auf dich.“ „Ja, Onkel Sanji.“ Diego rennt bis zur Tür, hält dann aber kurz inne, um sich noch einmal halb zu uns umzudrehen und zum Abschied zu winken. Ich wische mir vorsichtig über die Augenwinkel, um meine Wimperntusche nicht zu ruinieren. Auch Nami wirkt sichtlich erheitert, aufgrund der kleinen Showeinlage, die Diego uns hier geboten hat. Mr. Vinsmoke gesellt sich näher zu uns an den Tisch und erklärt höflich: „Des Weiteren hätten wir noch eine Topfenmousse mit Cassisschaum, Grapefruitsorbet in Campari und eine kleine Waffel mit Zimtpflaumenjam.“ „Ich sehe schon, als Dessert, ich meine mit Desserts kennen sie sich aus, Mr. Vinsmoke“, flötet Nami und das verfehlt seine Wirkung nicht. Ich würde mich das in hunderten von Jahren nicht trauen, aber sie hat wie immer Erfolg damit. „Nennen sie mich doch bitte Sanji, Miss Saperstein.“ „Mit Vergnügen. Und ich bin Nami.“ Konzentriert starre ich auf meine Dessertauswahl und versuche meine Verlegenheit zu überspielen. Nami ist mal wieder in ihrem Element und ich komme mir ein wenig fehl am Platz vor. Aber wo bleibt eigentlich mein ganz privates Dessert? Ich nehme den kleinen Dessertlöffel und zerbreche vorsichtig die Karamellschicht auf der Crème brulée. Dabei fällt mir ein, dass ich das letzte Mal mit Ryo dieses Dessert gegessen habe und damals schon den kleinen, aber frechen Gedanken hatte, dass er wirklich schöne Lippen hat und ein Kuss von ihm bestimmt besser, als jeder Nachtisch schmecken würde. Doch inzwischen ist so viel Zeit vergangen und noch immer weiß ich nicht, ob dieser Gedanke der Wahrheit entspricht. Wieder werden meine Augen feucht, doch ich fürchte, dieses Mal ist es nicht aus Freude. „Sie sind Robin, nicht wahr?“ Ein wenig erschrocken blinzele ich und sehe in das Gesicht von Mr. Vinsmoke, der neben meinem Stuhl in die Hocke gegangen ist und mich aufmunternd ansieht. Ich nicke schnell, bringe einfach kein Wort heraus. Aber da er meinen Vornamen kennt und mich vorhin auch sofort erkannte, bedeutet das vielleicht, dass Ryo ihm von mir erzählt hat. „Ich habe in einer halben Stunde Feierabend und dann verspreche ich, dass ich ihnen ein paar Fragen beantworten werde, okay?“ „Ja, danke“, flüstere ich beinahe. Ich fühle mich tatsächlich ein wenig erleichtert. „Bitte genießt in Ruhe die Desserts und dann bin ich auch gleich schon zurück. Ich hoffe, es ist in Ordnung, wenn wir uns beim Vornamen nennen?“ „Ja, sehr gerne“, antworte ich und kann auch wieder ein wenig lächeln. „Bis gleich also.“ Sanji lässt uns allein und kaum, dass er durch die Tür getreten ist, höre ich Nami sagen: „Was für ein süßer Hintern.“ Ich bin froh, dass Nami mich mit ihren Bemerkungen immer wieder aufzuheitern weiß. Nichts wäre schlimmer, wenn ich in einem Moment wie diesem in mich zusammengesunken wäre. Da fällt mir ein: „Ryo’s Hintern schien dir auch zu gefallen, wenn ich mich recht entsinne.“ „Seit wann bist du so schlagfertig?“ Sie lacht. „Stimmt, als ich ihn damals für meine Verabredung hielt, habe ich mich ein wenig vorgewagt und bin auf Tuchfühlung mit ihm gegangen.“ „Aber wieso wusstest du nicht, welcher der beiden deine Verabredung war? Du hast sie doch ausgesucht.“ „Um ehrlich zu sein, ich habe einfach zwei Fragebögen ausgefüllt und mich überraschen lassen, denn dass die Jungs gutaussehend sind, davon bin ich einfach ausgegangen.“ „Ernsthaft?“ Ich verdanke es also dem mehrfachen Zufall, ausgerechnet Ryo begegnet zu sein. „Es gibt meines Wissens eh nur zwei Agenturen, die Callboys als reinen Begleitservice anbieten, ohne Dessert sozusagen.“ „Dessert? Netter Vergleich.“ „Nein, das heißt wirklich so. Es wäre ja auch unprofessionell, wenn eine Agentur die Rechnung abbucht und anschließend auf dem Kontoauszug steht: Callboy und Sex oder so. Also wird der Begleitservice abgebucht und bereits vor dem Treffen die Summe für das jeweils gebuchte Extra unter einem unauffälligen Verwendungszweck. Wer hegt schon Verdacht, wenn eine Frau Pralinen kauft?“ „Keiner vermutlich.“ Auf so eine Idee muss man erst einmal kommen. „Eben. Ich glaube mich zu erinnern, dass bei Marc damals ‚Belgische Champagnertrüffel‘ stand.“ „Klingt edel.“ „Ja, war ganz nach meinem Geschmack, zumindest als One-Night-Stand. Und?“ Sie grinst schon wieder so verdächtig… „Welches Dessert wäre Ryo? Etwas japanisches?“ „Nein, ich stelle mir eher…dunkle Chilischokolade vor.“ „So so, du denkst also an ein scharfes Dessert mit Ryo.“ „Nein, das tue ich nicht!“, zische ich zurück. „Und ob du das tust.“ „Du bist eine blöde Kuh“, gebe ich zurück und schlage mir beide Hände vors Gesicht. Hätte ich doch bloß meine Klappe gehalten! Ich spüre Nami’s Hand auf meinem Kopf, wie sie mir ein paar Haarsträhnen zur Seite schiebt, ehe sie mit leiser Stimme entgegnet: „Ich wünsche euch ganz viele süße Stunden zu zweit, ehrlich.“ Beschämt blicke ich sie durch meine Finger an und antworte: „Eine Umarmung wäre für den Anfang schon genug.“ „Bekommst du keine Umarmung von ihm zur Begrüßung?“ „Nein.“ „Hm. Vermutlich hält er dich auf Distanz, weil es ihm sicherlich auch schwerfällt in deiner Gegenwart nicht an…Süßigkeiten zu denken.“ „Meinst du?“ Mir wird schon wieder warm. „Als wir uns bei dir zu Hause getroffen haben, lag das Wort Dessert mehr als deutlich in der Luft. Es war schon gut, dass ich bei euch geblieben bin, denn der Stoff seiner Badehose hätte das nicht verhindern können.“ Ich antworte nicht, sondern schiebe mir einen Löffel Erdbeereis in den Mund. Dunkle Schokolade in Form durchtrainierter Oberarme. Kapitel 47: Verlockende Geschenke --------------------------------- 47. Zorro Verlockende Geschenke „Ich würde lügen, würde ich behaupten einen Mann mit ihrer Physis nicht auf meiner Seite wissen zu wollen.“ „Klingt wie ein Heiratsantrag.“ Mr Nico grinst verschmitzt, ehe er ernst entgegnet: „Hätten sie sich selbst gerne zum Feind?“ Jetzt bin ich es, der sich ein Grinsen verkneifen muss. „Nein, eher nicht.“ „Dann versuchen sie doch mal mich davon zu überzeugen, dass meine Tochter in ihrer Nähe nicht in Gefahr ist.“ „Wie soll das funktionieren bei jemandem der offensichtlich weiß wie es ist am Rande der Legalität zu leben?“ Ich kann es nicht anders erklären, aber ich fühle mich ein wenig hilflos. Denn egal wie man es auch drehen und wenden mag, über mein Leben entscheiden andere. Und auch wenn Mr. Nico augenscheinlich nett ist, er hätte bestimmt Mittel und Wege Robin davon zu überzeugen, sich nicht länger mit mir zu treffen. „Das stimmt natürlich, aber es wird doch etwas geben, woran sie sich halten?“ „Sie meinen so eine Art Kodex?“ „Ja, so in der Art.“ „Ich könnte ihnen jetzt das Blaue vom Himmel erzählen, aber um ehrlich zu sein geht es mir darum mein Standing bei Alvida nicht zu riskieren und möglichst mit wenig Geld durch den Monat zu kommen.“ Mr Nico sieht mich durchdringend an, aber er scheint dennoch nicht am Wahrheitsgehalt meiner Worte zu zweifeln. Grund dazu hätte er auch keinen, denn ich war ehrlich zu ihm. „Wissen sie,“ meint er schließlich: „Es gibt nur eine Sache die mir fragwürdig erscheint. Wieso lässt Alvida es zu, dass ein Mann wie sie als Third arbeitet? An Anfragen wird es ihnen sicherlich nicht mangeln. Sie haben die Blicke der Frauen im Restaurant auf sich gezogen, sie sind ein hübscher Bengel. Oder tun sie nur so brav und sind in Wirklichkeit doch für beides zu haben?“ „Es ist ja nicht so, als dass ich der einzige Mann wäre, der als reiner Third für die Agentur arbeitet. Ich bin beschädigt, das ist schlecht fürs Geschäft.“ „Eine Schusswunde? Die sind wirklich hässlich und schlecht zu erklären.“ Er hebt ein wenig sein Kinn und blickt mich abschätzend an. Er ist unfassbar clever, das muss man ihm lassen. Im Endeffekt bleibt mir gar nichts anderes übrig, als ihm die Wahrheit zu erzählen, er würde eine Lüge ohnehin schnell entlarven. „Ein Schwerthieb, aber sicherlich nicht einfacher zu erklären.“ „Schwerthieb, so so. Aber das spielt im Grunde auch gar keine Rolle, denn ich habe nämlich nicht den Eindruck, dass Robin nicht darüber Bescheid weiß.“ Ich nicke stumm und hoffe inständig, dass er mich nicht zu sehr in die Enge treiben wird. Robin zuliebe. „Sie hat mir einiges nicht über sie verraten, obwohl ich sie danach fragte und ich fest davon ausgehe, dass sie es eigentlich weiß.“ „Robin weiß wirklich viel über mich und gerade deshalb freut es mich natürlich umso mehr, dass sie damit nicht hausieren geht.“ „Naja, sie wollte mir noch nicht einmal ihren richtigen Namen verraten, dabei wird das sicherlich mit das erste gewesen sein, dass sie über sie in Erfahrung bringen konnte.“ Ich muss ein wenig schmunzeln, bevor ich antworte: „Wir wissen beide, dass Menschen in meiner Situation gut beraten damit sind ihre wahre Identität möglichst lange geheim zu halten. Dennoch wäre es ihrer Tochter vielleicht durchaus möglich gewesen diese in Erfahrung zu bringen. Doch wenn ich ehrlich bin, halte ich Robin für seriös genug dies nicht zu tun.“ „Wohl wahr! Aber es freut mich auch zu sehen, wieviel Vertrauen sie in Robin haben. Enttäuschen sie sie nicht.“ „Wenn, dann sicherlich nicht freiwillig.“ Er nickt. Der Wagen hält und ich weiß ehrlich gesagt nicht so recht, wie ich mich verabschieden soll. Auf so eine Situation wurde ich durch die Agentur nicht vorbereitet. „Es war ein interessanter Abend und ich danke ihnen für das leckere Sushi.“ „Ich hatte mir unser Aufeinandertreffen etwas weniger harmonisch vorgestellt, wenn ich ehrlich bin. Es tut mir leid, dass ich sie auf die Probe gestellt habe. Deshalb habe ich meinen Fahrer gebeten noch eine Aufmerksamkeit für sie zu besorgen, als kleine Entschuldigung.“ Mr Nico beugt sich nach vorn und legt seinem Fahrer die Hand auf die Schulter. „Geben sie es mir bitte.“ Dieser nickt und reicht eine weißglänzende Papiertasche nach hinten. Das ist jetzt nicht sein Ernst! Das Label dieser Marke ist sehr teuer. So teuer, dass ich mir noch nicht einmal Socken davon leisten könnte. Um ehrlich zu sein, kenne ich auch keinen Callboy in der Agentur, der auch nur ein einziges Stück davon besitzt. Mihawk vielleicht, aber da wäre er mit Abstand der einzige, der sich solch einen Luxus leisten könnte.“ „Schauen sie nicht so. Auch ein Mann sollte Wert auf sein Äußeres legen.“ Ich richte einen prüfenden Blick auf den Fahrer, der nach kurzem Zögern meinen Blick erwidert: „Jetzt nimm es schon! Kampfschulden sind Ehrenschulden.“ „Vielen Dank.“ Ich nehme die Tasche an mich und wundere mich im Stillen darüber, dass sie doch etwas schwerer ist als ich angenommen habe. „Tragen sie es, wenn sie Robin das nächste Mal treffen. Ach ja, und in den Berichtsbogen schreiben sie, dass es ein nettes Essen mit Liz gewesen sei. Alvida wird dann sicherlich nicht genauer nachfragen, wenn ich mich lobend über ihr Japanisch äußere.“ „Das wird das Beste sein, machen sie es gut.“ Ich öffne die Tür des Wagens und steige aus. Für einen Moment sehe ich dem großen Auto noch hinterher, bis es im dichten Straßenverkehr verschwindet. Robins Vater ist schon eine Sorte Mensch, der man nicht alle Tage begegnet. Der Abend ist noch jung und Sanji schrieb vorhin, dass er bereits auf dem Weg nach Hause sei und ich das Antipasti schon mal aus dem Kühlschrank stellen soll und das Baguette in den Ofen schieben. Da man als Callboy lernt sich bei einer Einladung nicht satt zu essen, um nicht als unhöflich und maßlos zu gelten, kommt mir ein weiterer Imbiss ganz gelegen und ein gemütliches Bier dazu kann auch nicht schaden. Ich hole den Schlüssel aus meiner Socke und schließe die Haustür auf. Im Fahrstuhl werfe ich einen weiteren Blick auf den Inhalt der Tasche. Es sind sogar zwei Präsente darin. Ich frage mich, was sich Mr Nico dabei gedacht hat. Zwar ist es normalerweise unproblematisch Geschenke anzunehmen, aber hier bin ich vorsichtig. Als mir Mrs Chevalier die Prada Sonnenbrille schenkte, war das okay. Sie ist eine langjährige Kundin, bei der sich jeder sicher sein kann, dass es keine Bestechung für eine nicht genannte Sonderleistung war. Aber in diesem Fall…. Wenn es Socken sind, wird es zumindest keinem auffallen, aber dafür ist die Tasche zu schwer. Dennoch werde ich es vor Ace verstecken müssen, denn er leiht sich ja gerne ungefragt irgendwelche Klamotten von mir aus und auch vor Socken macht er nicht halt. Meine Sonnenbrille hatte er auch gleich auf der Nase. Wenn er nicht so schlampig mit den Sachen umgehen würde, hätte ich ja auch nichts dagegen, ihm etwas zu leihen. Die Sonnenbrille verstecke ich seitdem im Schrank mit den Putzmitteln. Er wird nach all den Jahren schon nicht auf die Idee kommen, plötzlich putzen zu wollen. Ich trete aus dem Fahrstuhl und gehe zur Wohnung. Drinnen ziehe ich meine Schuhe aus und stelle die Tasche auf den Wohnzimmertisch, ehe ich mich in die Küche begebe. Ich werfe das Baguette in den Ofen und durchsuche den Kühlschrank. Zwei Platten die mit Frischhaltefolie bedeckt sind stehen darin, aber auch ein paar Flaschen Bier. Wahrscheinlich hat Sanji neue Kreationen ausprobiert und ich darf wieder als Versuchskaninchen herhalten. Aber darüber möchte ich mich nicht beschweren. Ich räume die Spülmaschine aus und hänge dabei noch ein wenig meinen Gedanken nach. Mr Nico’s Auftritt war schon sehr gut kalkuliert. Er buchte eine einfache Verabredung, wie sie nicht selten von Frauen gewählt wird, die sich zum ersten Mal mit einem Callboy treffen. Durch Liz nutzte er die Gelegenheit, um mir ein verlockendes Angebot zu machen, sowohl in Form von Geld als auch einer attraktiven jungen Frau, die Robin ähnelt und sich sehr freizügig gibt. Im Grunde hat er ja recht. Jemand, der nebenbei als Second arbeitet, hätte vermutlich nicht nein gesagt. Vielleicht wollte er auch austesten, ob ich zu Gewalt gegenüber Frauen neige, wenn ich mich in die Enge getrieben fühle. Auszuschließen wäre das nicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)