Callboys von Stoechbiene (ZoxRo (LyxKa, SaxNa)) ================================================================================ Kapitel 27: Accrochage ---------------------- 27. Robin Accrochage Eine Accrochage von Sina Catrell in meiner kleinen Galerie. Nicht dass ich unbedingt ein Freund ihrer Photographien wäre, nein, aber wenn man im Zeitalter der Kurzlebigkeit in L.A. nicht in Vergessenheit geraten will, muss man hin und wieder auch ein paar Künstler zu sich einladen und deren selbsternannten Meisterwerke zur Schau stellen. Und Sina Catrell ist genau die richtige Kandidatin dafür, außerdem eine ehemalige Bekannte aus Collegetagen. Eine schrille Mitdreißigerin, die mit ihrer Kamera alles wichtige sowie unwichtige dieser Welt einfängt, wobei sie für ihren Erfolg auch nicht davor zurückschreckt ein paar älteren Männern den Bart zu kraulen, wenn man es so nennen mag. Doch heute hat sie mit ein paar jüngeren Exemplaren vorliebgenommen, drei um genau zu sein. Ryo, Marc und ein hochgewachsener Mann mit stechend gelben Augen. Was als netter kleiner Abend gedacht war, ist nun zu einer echten Härteprüfung für mich geworden. Zwar weiß ich nur zu genau, dass ich nicht Ryo’s einzige Kundin bin, aber ihn jetzt mit einer anderen an seiner Seite zu sehen, ist mehr als hart. Wie gern würde ich in diesem Moment einfach zu ihm rüber gehen, ihn fragen wie es ihm geht, nur um anschließend in einer endlosen Diskussion sich zu verstricken, die lediglich dadurch beendet wird, dass man uns aus einer Kneipe hinauskomplimentiert, weil Sperrstunde ist. Heute sieht es nicht danach aus als wäre so ein Tag. So versuche ich mich mit Smalltalk über Wasser zu halten, begrüße mir gänzlich fremde Leute, die wohl nur gekommen sind, um auch mal von sich behaupten zu können, dass sie eine Persönlichkeit wie Sina Catrell getroffen haben. Natürlich sind auch Kunstkenner unter ihnen, Sammler und Kritiker, aber auch der ein oder andere Klatschreporter. Doch sie sind alle zu einem undefinierbaren Brei aus Bedeutungslosigkeit verschmolzen, den ich nicht wirklich wahrnehme. Einzig Ryo sticht daraus hervor, was mir nur wieder allzu deutlich zeigt, dass mein Interesse an ihm bereits eine Form angenommen hat, die für keinen von uns beiden vorteilhaft ist. Ich rede jetzt nicht von meiner nächtlichen Sehnsucht mit ihm eine Nacht verbringen zu wollen, denn das wäre mir auf lange Sicht gesehen zu wenig. Ich möchte ihn nicht teilen müssen. Nicht mit Sina und auch nicht mit irgendeiner anderen Frau. Leider sieht die Realität ganz anders aus. Mit wie vielen Damen er wohl schon ausgegangen ist? Sie bezirzt mit seinem Charme, sie um den Finger wickelt allein durch sein Lächeln? Lässt er sie erahnen, wie stark seine Muskeln sind, die unter seinem Hemd verborgen liegen oder bin ich bis jetzt die Einzige, die ihm so nah sein durfte wie auf unserer Fahrt nach Pasadena? Oder beim Tanzen im Stars? „Miss Nico! Hab ich sie schon zu ihrer fabelhaften Ausstellung beglückwünscht?!“ Ein wehendes Sommerkleid, der Trägerin viel zu eng, dass es kaum in der Lage zu sein scheint ihren üppigen Busen davor zu bewahren herauszuhüpfen. Wie unattraktiv, aber wiederum so typisch für seine Besitzerin. Wie der Donner prallt sie gegen mich, umschlingt mich mit ihren stämmigen Armen, um mich wie ein kleines Mädchen an sich zu drücken. Eine Chance zum Ausweichen sehe ich leider nicht. Aber alles ist besser als hier stumm in einer Ecke zu stehen und den Mann anzustarren, der mein einsames Herz in seinen starken Händen hält. Glück oder Pech, dass er sich dieser Tatsache nicht bewusst ist? „Mrs. Winthers, sie hier?“ Natürlich ist sie hier, schließlich arbeitet sie für eines dieser Klatschblätter, die sogar darüber berichten würden, wenn der Hund von Arnold Schwarzenegger Verdauungsstörungen hätte. Aber eine echte Accrochage wäre nicht vollkommen, wäre sie nicht anwesend. Die Künstler suchen ihre Nähe, bemühen sich ihr zu gefallen, denn wer sie kennt, kennt ganz L.A. Und es wäre nicht das erste Mal, dass einer ihrer Artikel über die Zukunft eines aufgehenden Sternchens entscheiden würde. Dennoch ist sie mit Vorsicht zu genießen, denn so lieb sie im ersten Moment auch erscheinen mag, vielleicht sogar ein bisschen dümmlich aufgrund ihres Auftretens, mit ihrer Südstaatenschnauze hat sie noch jeden in die Knie gezwungen, der ihr im Weg stand oder meinte, sie nicht ernst nehmen zu müssen. „Schätzchen, wie geht es ihnen? Seit sie gegen ihren Mann diese gerichtliche Verfügung erlassen haben, ist gar nichts mehr von ihnen zu hören.“ „Das war doch erst letzte Woche.“ Ich ringe mir ein Lächeln ab, denn ich kann meine fehlende Begeisterung darüber, dass sie in meinem Privatleben herumschnüffelt, nur schwer verbergen. „Letzte Woche“, sie lacht, „das ist ja schon wieder eine kleine Ewigkeit her!“ Wieder drückt sie mich. „Ich bewundere ihre Gelassenheit.“ Wenn sie wüsste… „Sie sehen ein wenig betrübt aus. Aber dazu haben sie überhaupt keinen Anlass. Die Männer reißen sich sicherlich um sie, gelten sie doch als eine der begehrenswertesten Junggesellinnen dieser Stadt. Sie haben Geld, sind erfolgreich und ihre Figur könnte kaum aufregender sein. Oder wollen sie etwa andeuten, dass sie ihren Exmann vermissen?“ Amüsiert muss ich kurz auflachen, denn dass Mrs. Winthers einen stark ausgeprägten Hang zu Übertreibungen ihr Eigen nennt, ist kein Geheimnis. Aber ist es wirklich so offensichtlich, dass meine Gedanken in diesem Moment nicht fröhlicher Natur sind sondern davon überschattet werden, dass mein Herz sich bei jedem heimlichen Blick, den ich Ryo zukommen lasse, krampfhaft zusammenzieht? „Die letzten Tage waren ein wenig anstrengend, immerhin habe ich noch einiges mehr zu tun, als nur diese Galerie zu führen.“ Bewusst spiele ich mich ein bisschen auf, denn es ist nie klug sich in Anwesenheit der Presse eine kleine Schwäche zu erlauben, schließlich lauern diese Aasgeier nur darauf, um sich einen Vorteil zu verschaffen. „Robin, Darling, endlich treffen wir uns wieder! Wie geht es dir?“ Beschissen, du falsches Stück! Doch ich beiße mir auf meine Zunge, bevor mir diese doch recht unfreundlichen Wörter über die Lippen kommen. Außerdem geht es Sina nichts an, wie ich mich fühle, schon gar nicht, wenn sie Ryo an ihrer Seite stehen hat und ihn zusammen mit den anderen beiden Männern wie eine Trophäe präsentiert. Aber so war sie schon immer, seit ich sie kenne. Ein Küsschen links, ein Küsschen rechts. Auf ihre Frage nach meinem Befinden antworte ich erst gar nicht, war ohnehin nur eine ihrer Floskeln. „Ich wusste gar nicht, dass deine Galerie so bezaubernd ist. Was sich nicht alles mit dem Geld eines wohlhabenden Vaters erreichen lässt.“ „Tja, die einen haben einen wohlhabenden Vater, die anderen genügend Männer an jedem Finger.“ „Soll ich dir einen für heute Nacht ausleihen? Du siehst aus, als hättest du einen nötig.“ Schon immer haben wir uns mit kleineren Spitzfindigkeiten bekriegt, ließen die jeweils andere spüren was wir von ihr hielten, nämlich nicht sonderlich viel. Dennoch, absurder weise, war es gerade Sina gewesen, die mich dazu ermutigte meine eigenen Interessen zu bewahren und nicht als treusorgende Ehefrau mein Gehirn einem schleichenden Selbstmord zu unterziehen, wie sie es nannte. „Darf ich dir meine drei Begleiter vorstellen? Das sind Marc, Ryo und Pierre. Sind sie nicht zum Anbeißen?“ Soll sie doch- „Miss Catrell, wie aufregend, gleich drei gutaussehende Männer an ihrer Seite, aber sie waren ja schon immer dem Trend mindestens einen Schritt voraus“, flötet Mrs. Winthers dazwischen, dabei ist es doch mehr als offensichtlich, dass diese Klatschreportein sich an jede Kleinigkeit heftet, um daraus einen handfesten Skandal zu spinnen. Aber eben auch die Welt der Künstler ist zu einer Art eigenen Politik geworden, in der oft nicht der gewinnt der talentierter ist, sondern derjenige, mit dem besseren PR-Berater. Es ist kein Geheimnis, dass Sina eindeutig zu dieser Sorte Mensch gehört, denn allein auf ihr Talent könnte sie sich weiß Gott nicht verlassen. „Was sie nicht sagen!“ Wieder hallt dieses affektierte Lachen durch den Ausstellungsraum, als ob Sina an sich nicht schon peinlich genug wäre. Mir wäre so ein Auftritt unangenehm. Aber sie genießt nun mal die Bäder in der Menge von Schaulustigen und von denen gibt es hier mehr als genug. „Sie müssen wissen, als Frau gelangt man unweigerlich eines Tages an den Punkt, an dem man feststellt, dass ein Mann allein niemals ausreicht, um alle Bedürfnisse zu befriedigen. Sie wissen schon, wie ich das meine…“ Ekel, purer Ekel packt mich, schüttelt mein Innerstes, so dass mir schlagartig speiübel wird. Das darf nicht sein! Er…! „Entschuldigen sie mich bitte kurz, ja?“ Ohne eine Antwort von Sina oder gar Mrs. Winthers abzuwarten, dränge ich mich an den neugierigen Besuchern vorbei Richtung Toilette. Zwar lächle ich, aber es ist eine Maske, unter der sich tiefster Scham verbirgt. Wie konnte ich nur so naiv sein? Im Inneren des kleinen Raumes holt mich dann das ein, was mich draußen beinahe übermannt hätte. Tränen schießen mir brennend in die Augen, verursachen einen Schmerz, der bei weitem über das körperliche Empfinden hinausgeht. Wieso musste ausgerechnet Ryo hier auftauchen? Kraftlos stütze ich mich auf dem kleinen weißen Waschbecken ab, um mir selbst im Spiegel in die Augen blicken zu können. Was ist nur aus meinem Stolz geworden? Oder bin das gar nicht ich, der gerade eine einsame Träne über die Wange rollt? Doch, ich befürchte schon. Sex. Immer dreht sich alles um dieses kleine beschissene Wort! Was früher nur die höchste Form der Intimität zweier Menschen beschrieb, ist heute zu einer Art Volkssport geworden, nein schlimmer noch, zu einer olympischen Disziplin. Es ist ja schon ekelhaft genug, dass die Männer sich damit brüsten wie viele Frauen sie schon gehabt haben, aber dass nun die Frauen zum Gegenschlag ausholen, behagt mir gar nicht. Oder liegt es allein an Ryo? Ertrage ich den Gedanken einfach nicht, dass er mit einer anderen Frau als mir schlafen und dabei sogar Lust empfinden könnte? Oder weil er mich angelogen hat als er behauptete, als Third würde er niemals das Bett mit einer seiner Kundinnen teilen? Wieso musste es nur so weit kommen? Schnell fahre ich mir mit einer Hand über das Gesicht, beseitige notdürftig die Spuren meiner Niedergeschlagenheit, denn langsam wird es an der Zeit, dass ich wieder zur Ausstellung zurückkehre, auch wenn mir die Lust auf Gesellschaft vergangen ist. Aber die Toilette ist eben nur ein kurzfristiges Versteck, denn spätestens wenn die Schlange vor der Tür zu groß wird, werden die ersten stutzig werden. Als wäre nichts gewesen betrete ich den Ausstellungsraum, spiele die Unnahbare, meide es dabei aber tunlichst mich Sina und ihren drei Begleitern zu nähern. Ein wahrer Slalomlauf beginnt, führt mich vorbei an Aktfotos und Nachtaufnahmen, die ich nicht wirklich wahrnehme. Ich glaube auch nicht, dass es auf diesen Bildern etwas wirklich Interessantes zu sehen gibt, zumindest nichts was meine Aufmerksamkeit mehr verdient als der Mann, dem ich sie tunlichst nicht schenken möchte. Ich ziehe dieses bittere Spiel bis zum Ende durch, stürze mich selbst in pseudointellektuelle Konversationen mit anderen Künstlern, um die Zeit besser verdrängen zu können. Es gelingt mir auch hin und wieder, doch leider kreuzt Ryo allzu oft meinen Blick, versucht sogar den Blickkontakt mit mir zu halten, doch ich verweigere mich ihm. Er soll nicht sehen wie ich mich fühle, gar leide. Allein und betrogen. Geh doch endlich, verschwinde! Ich ertrage dieses erdrückende Gefühl kaum einen Moment länger. Ihn so nah zu wissen, doch ich muss so tun als wäre er ein Fremder für mich. Ein Fremder, nicht meine Versuchung und auch nicht der Vater vom kleinen Diego. Was ist mit ihm? Weiß der Kleine, was sein Vater für ein Spiel treibt? Dass er seinen Körper für ein paar lausige Dollar verkauft? Wofür? Dass er sich rühmen kann, was für ein toller Hecht er ist, so wie es alle Männer tun? Das hat der kleine Künstler nicht verdient! Eilig drücke ich mir kurz mit den Fingerspitzen gegen die Augenlider, bevor erneut Tränen sich zeigen können. Wie lange ich dieses Spiel noch durchhalte ohne dabei meinen Verstand zu verlieren; ich weiß es nicht. Dabei ist es so absurd, dass ausgerechnet ich mich in dieser Lage befinde. Früher habe ich gelacht über diese Art von Frauen, die sich wegen eines Mannes in tiefste Traurigkeit und Verzweiflung stürzten, heute ist mir nicht nach Lachen zumute. „Hast du das gehört? Sie hat eine Affäre mit drei Männern!“ „Ja, und dabei ist einer gutaussehender als der andere!“ Ich wünschte, ich hätte das nicht gehört. Warum spricht auch jeder darüber? Nicht nur diese beiden Frauen, die im Schutz der Menge verstohlene Blicke auf Sina und ihre drei Errungenschaften werfen, um sich das Maul darüber zu zerreißen. Morgen werden die Klatschspalten gefüllt sein mit Spekulationen...wie und wie oft... Ekelhaft! Die Menge zerstreut sich. Zuerst unmerklich, aber sobald die ersten gegangen sind, schließen sich ihnen immer mehr an, wie bei einem Rudel. Es soll mir auch recht sein, denn ich brauche Abstand. Keine Reporter, keine Künstler und noch viel entscheidender, keinen Ryo. Ich muss lernen ihn zu vergessen. Er drängelt sich an mir vorbei nach draußen, folgt Sina und den anderen beiden Männern, doch so teilnahmslos wie er sich gibt ist er gar nicht, denn ich spüre etwas kleines kühles, das er mir im Vorbeigehen in die Hand drückt. Doch ich warte noch einen Augenblick bis ich es mir ansehe, beobachte die weiße Limousine wie sie im Straßenverkehr verschwindet. Jetzt wird er mich betrügen. Betrübt betrete ich wieder den Ausstellungsraum, habe aber weder einen Blick für die übrig gebliebenen Gäste noch für Mrs. Winthers, die sich ebenfalls langsam verabschieden und auf den Heimweg begeben. Ich bin Mrs. McAuley äußerst dankbar, dass sie den Rest übernimmt, die Lichter im Ausstellungsraum löscht, die Türen abschließt und noch die Alarmanlage einschaltet, denn dazu fühle ich mich nicht mehr in der Lage. Ich möchte mich nur noch verkriechen und so schnell niemanden mehr in meine Nähe lassen. In meinem Büro angekommen lasse ich mich auf das kleine Sofa in der Ecke vor dem Fenster fallen, schließe für einen kurzen Moment die Augen, um wieder innere Kraft zu erlangen. Erst jetzt, wo ich mich in vollkommener Sicherheit wiege, öffne ich meine Faust und gebe frei, was Ryo mir im Vorbeieilen in die Hand gedrückt hat. Einen blaufluoreszierenden Stern. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)