Callboys von Stoechbiene (ZoxRo (LyxKa, SaxNa)) ================================================================================ Kapitel 41: Puzzleteile ----------------------- 41. Robin Puzzleteile So muss sich der Gang nach Canossa angefühlt haben, zumindest stelle ich es mir so vor. Natürlich könnte ich alles einfach auf sich beruhen lassen, doch das würde auf lange Sicht keinen Sinn ergeben, denn es würde immer zwischen uns stehen, solange ich keine Klarheit habe. Mein Vater und ich hatten es nicht immer leicht miteinander. Wir sind beide dickköpfig und Mutters Tod trug nicht gerade dazu bei, dass wir offen aufeinander zugingen. Jeder von uns hat stets versucht mit seinen Problemen allein klarzukommen, anstatt den anderen um Hilfe zu bitten. Keiner wollte Schwäche zeigen. Zwar heißt es immer ich sei meiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten, doch diesbezüglich bin ich eben nach meinem Vater geraten. Erst während meiner Collegezeit näherten wir uns einander an. Dad erzählte mir von seiner Zeit dort und wie er meine Mutter damals kennenlernte. Er der Meister der Zahlen, der dem College eine Immobilie verkaufte und sie einfache Austauschstudentin aus Kairo. Hin und wieder frage ich mich schon, was die beiden an einander gefunden hatten. Aber vielleicht sind es ja auch mehr die Gegensätze als die Gemeinsamkeiten, die den jeweils anderen attraktiv und interessant werden lassen. Kurz schweifen meine Gedanken wieder zu Ryo und ich frage mich, was ihn für mich interessant sein lässt. Und umgekehrt? „Heute Morgen hätte ich beinahe meinen Assistenten gefeuert und stattdessen der Putzfrau seinen Job angeboten. Die kann bestimmt nicht schlechter rechnen als er. Wie hat er nur seinen Abschluss gemacht? Dabei sollte er nur die Post einwerfen. Muss man einem erwachsenen Menschen erst noch sagen, dass man vorher Briefmarken auf die Umschläge klebt? Ich glaube nicht!“ „Reg dich nicht so auf“, bemühe ich mich wohl vergebens meinen Vater zu beruhigen. Eigentlich bin ich auch nicht zu ihm gefahren, um seinem Ärger ein Ventil zu sein. „Sag mir nicht, ich solle mich beruhigen, das regt mich nur noch mehr auf. Der Tag, an dem ich mich nicht mehr aufregen kann, ist der Tag, an dem ihr den Totengräber rufen könnt!“ „Dad“, versuche ich ihn erneut zu beschwichtigen, bevor er richtig in Fahrt kommt. „Ich werde meine Firma in den nächsten Jahren veräußern, du hast ja kein Interesse.“ Zu spät! „Aber wenn dieser Nichtsnutz sie zugrunde richtet, kriege ich nichts mehr dafür.“ „Dann wirf ihn doch endlich raus! Du gibst deiner Putzfrau dreihundert Dollar mehr im Monat und lässt sie sich um die Post kümmern. Sie weiß eh, welche deiner Sekretärinnen welche Kunden betreut. Außerdem ist sie eine arme Frau und dir tut das Geld nicht weh. Und diesen Assistenten drehst du der Konkurrenz an.“ Verdutzt blickt er mich an, denn offensichtlich hat er nicht mit Unterstützung gerechnet. „Solch Worte aus deinem Mund? Aber nun gut, vielleicht keine schlechte Idee.“ Er nippt an seiner Teetasse und schreibt nebenbei ein paar Sätze in sein Notizbuch. Kyrillisch, wobei er stark abkürzt. Er erklärte mir einmal, dass niemand seine Aufzeichnungen verstehen soll, den sie nichts angingen. Deshalb hat er sich eine eigene Art kyrillische Stenografie ausgedacht. Man muss sein System schon verstehen, sonst kann man den Sinn der Worte nicht erkennen. Prüfend blicke ich wieder in sein Gesicht. Mein Vater ist ein geheimnisvoller Mann. Ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich alles über ihn weiß und wissen möchte. Er wurde als Sohn russischer Einwanderer geboren und verbrachte fast seine komplette Kindheit auf der Straße, wo er sich mit diversen Jobs über Wasser hielt. Unter anderem hat er als Türsteher gearbeitet und auch gerne mal auf seine eigene Art für Ordnung gesorgt. In die Schule ging er wohl nur recht unregelmäßig. Angeblich hat er alles Geld was er verdiente gespart und davon seine erste eigene Wohnung gekauft. Aber anstatt dort einzuziehen hat er sie lieber vermietet und weiter auf der Straße gelebt. Sein Motto lautet auch: „Nur wer schon mal auf der Straße gelebt hat weiß, worauf es im Leben wirklich ankommt.“ So kaufte er bald darauf seine nächste Wohnung und trieb dieses Spiel so lange, bis er beschloss richtig ins Immobiliengeschäft einzusteigen. Immobilienmakler für vorwiegend ausländische Kunden. Er hat wohl einfach ein Gespür für lukrative Geschäfte. „Hattest du nicht versprochen Kuchen mitzubringen?“ Prüfend erwidert er meinen Blick. „Entschuldige, ich war in Gedanken.“ Schnell packe ich die Kuchenstücke aus dem Einschlagpapier und schiebe den Pappteller näher zu ihm hin. „Du weißt, was dein alter Herr mag.“ Er grinst verschmitzt. Sicherlich war sein Ausspruch nicht nur ein Kompliment an die Kuchenauswahl, sondern vor allem an meinen ungewohnt direkten Ratschlag, seinen Assistenten zu feuern. Ich gebe jedem sein Lieblingsstück auf, für ihn Erdbeerkuchen und für mich Blaubeermuffin mit Zuckerguss und gehackten Pistazien. Dazu passt der herbe, aber aromatische Tee aus England, den wir stilecht mit Milch und Zucker trinken. „Milk first“, wie Queen Elisabeth persönlich sagen soll. „Du hast doch was auf dem Herzen, andernfalls wärst du doch nicht extra den Umweg zu meiner Lieblingsbäckerei gefahren. Hast du eine Beule in den BMW gefahren?“ Mit gespielter Strenge sieht er mich an. „Nein, keine Sorge. Es geht um etwas Geschäftliches. Ich bin in deinen Unterlagen auf etwas Interessantes gestoßen.“ Ich weiß nicht ob es Wut, Enttäuschung oder Hilflosigkeit ist, die meine Augen ein wenig feucht werden lässt, aber egal was es ist, ich versuche es mir nicht anmerken zu lassen. Stattdessen lege ich wie beiläufig ein paar Papiere auf sein Notizbuch, ehe ich weiterspreche: „Bis vor kurzem war mir nicht bewusst, dass du einige Anteile am Harding-Square-Tower dein eigen nennst. Doch wie ich dich kenne, besitzt du noch mehr Immobilien, von denen ich nichts weiß. Aber nun gut. Aufgefallen ist mir jedoch, dass du für die komplette obere Etage sehr wenig Miete bekommst. Eigenartig, ist es doch landesweit üblich, dass die Miete proportional zur Etage steigt.“ Ich blinzle ein paar Mal schnell und trinke etwas Tee, um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Zwar habe ich mich gedanklich mehrfach auf dieses Gespräch vorbereitet, aber die emotionale Bedeutung für mich, habe ich völlig unterschätzt. Dad derweil blättert beschäftigt in den Papieren, wobei er nicht so selbstsicher wirkt, wie sonst. „Na ja“, er räuspert sich: „Eine alte Freundin. Sie brauchte etwas Unterstützung bei ihrer Geschäftsidee.“ Bestimmend schiebt er die losen Blätter zu mir zurück, meidet aber meinen Blick. Kommentarlos lege ich ihm das nächste Teil dieses Puzzles vor, ein Foto. Es ist dasselbe Foto, dass ich gestern June gezeigt habe. Nun herrscht Stille, eine merkwürdige Stille. Zwar habe ich mit seinem Schweigen gerechnet, aber eher so, wie er es sonst pflegt zu tun, wenn ihm das Thema unangenehm ist. Er räuspert sich dann stets und verschanzt sich hinter etwas oder wechselt das Gesprächsthema. Aber heute nicht. Dabei habe ich mir mehrere Möglichkeiten zurechtgelegt, wie ich ihn doch darauf festnageln, er sich nicht hinter Börsenberichten verstecken kann. Doch nun? Minuten scheinen zu verstreichen, niemand sagt ein Wort, kein Ton ist zu hören. Auch die Kuchenstücke bleiben unangetastet zwischen uns stehen. Ich schlucke ein paarmal hart, um nicht emotional zu werden. Ich fühle mich ein bisschen überfordert. „Als deine Mutter starb, fiel ich in ein tiefes Loch. Es schien, als hätte alles seine Bedeutung verloren. Ich weiß, ich hätte mich um dich kümmern müssen, doch ich konnte es nicht. Stattdessen lebte ich nur für meine Arbeit. Ich schwor mir, dass ich niemanden mehr lieben würde, denn ich hätte es nicht ertragen, sollte ich diesen Menschen ebenfalls verlieren. Olvia war die einzige Frau, wenn nicht sogar der einzige Mensch, den ich je ohne Einschränkung geliebt habe. Wie sehr ich dich als meine Tochter liebe und wie dumm es von mir war sich von dir zu distanzieren, wurde mir erst später bewusst. Dafür entschuldige ich mich.“ Wieder räuspert er sich, ehe er auf das Foto tippt. „Du wirst selbst wissen, dass diese Frau auf dem Bild ihr Geld damals sicherlich nicht seriös verdient hat. Aber auch ich bin nur ein Mensch, Robin.“ „Das ist auch nicht das Problem, Dad.“ Meine Stimme klingt brüchig und auch zwei Tränen verlassen meine feuchten Augen. Ich bin schockiert, aber auch dankbar, dass er ehrlich zu mir ist. Nichts wäre für mich schlimmer gewesen, wenn er mich angelogen, das Offensichtliche geleugnet hätte. „Sie war eine Prostituierte. Und jetzt...“ Tief hole ich Luft und lege ein weiteres Foto auf den Tisch. „Dad, sei ehrlich. Hast du sie irgendwann ausgelöst?“ Stumm mustert er mich. Er nickt. „Destiny und ich haben uns häufiger getroffen. Ein Klient nahm mich damals mit in diesen Club. Egal ob Mann oder Frau, es war für jeden was dabei. Die Details erspare ich dir und mir, es ist auch so schon schlimm genug. Jedenfalls unterhielt ich mich auch gerne mit ihr, sie war mir sympathisch, und so erfuhr ich, dass sie einst von zu Hause ausgerissen war, weil ihr Vater und ihre Mutter nur mit sich selbst beschäftigt waren und so suchte sie ihr Glück in der großen Stadt. Als Teenager war sie damals ein leichtes Opfer für Zuhälter auf der Suche nach neuen Mädchen. Ich weiß doch, wie es auf der Straße zugeht, da kommt man besonders als Frau leicht unter die Räder. Na ja. Vermutlich war es mein schlechtes Gewissen dir gegenüber, dass mich zu diesem Schritt bewegte. Ich malte mir aus was passiert wäre, wenn du von zu Hause abgehauen wärst. Das hätte ich wirklich nicht überlebt.“ Seine Hände sind gefaltet, er wirkt ein bisschen in sich zusammengesunken. Wie bei einer Beichte und im Grunde ist es das ja auch. „Deshalb hast du auch ihre Freundin mit ausgelöst.“ Ich lege das letzte Bild auf den Tisch. „Das sind die beiden heute: Jessy und June. Du bist der eigentliche Geldgeber des Stars, ihrer Kneipe, indem du fast komplett auf die Miete verzichtest.“ „So ist es. Aber sie machen ihre Sache gut, wie du anscheinend schon selbst bemerkt hast.“ „Ja, definitiv.“ Auch ich gönne mir einen Schluck warmen Tee, bevor ich weiterrede: „Aber eine Sache habe ich nicht verstanden. Sie nannte dich die ganze Zeit Sergej.“ Ein wenig überrascht sieht er mich an, erst dann antwortet er mir: „Ich dachte, du wüsstest es. Als ich damals anfing mit Immobilien zu handeln, merkte ich recht schnell, dass ein russischer Name auf viele Amerikaner nicht gerade vertrauenserweckend wirkte. Man darf die damalige Zeit nicht außer Acht lassen. Ich beantragte folglich eine Namensänderung von Sergej Nikolic zu Samuel Nico. Doch in manchen Kreisen ziehe ich es vor, mich mit meinem Geburtsnamen vorzustellen.“ „Wusste Mutter davon?“ „Es war sogar ihre Idee. Und es war fast schon erschreckend, wie erfolgreich ich plötzlich wurde. Niemand hatte mehr Angst vor mir oder dachte, ich sei in illegale Geschäfte verwickelt, obwohl ich derselbe Mann war! Davor bekam ich nur Anfragen von Menschen, die ebenfalls ausländischer Herkunft waren oder solchen, die sich mir überlegen fühlten. Deiner Mutter erging es ähnlich. Nach unserer Hochzeit und nachdem sie meinen Namen angenommen hatte, war es plötzlich kein Problem mehr für sie eine Promotionsstelle zu bekommen.“ „Das tut mir leid, das wusste ich alles gar nicht.“ Natürlich weiß ich, dass Rassismus nach wie vor ein großes gesellschaftliches Problem darstellt, es noch viele Hürden zu überwinden gilt, aber ich wusste nicht, dass dadurch meine Familie so stark geprägt wurde. Obwohl, mir hat man auch vorgeworfen, ich hätte mir meine Titel durch Gefälligkeiten und nicht durch Wissen erarbeitet. Der Spruch: „Na, da haben sie aber viel Zeit unter dem Schreibtisch ihres Professors verbracht“, war unter meinen männlichen Kollegen eine Weile sehr beliebt. Vielleicht sagen sie das sogar noch heute über mich hinter vorgehaltener Hand. Mein Vater tippt auf das Foto, auf dem June und Jessy Ryo und mich in ihre Mitte genommen haben. Einer der Barkeeper hat es mit meinem Handy aufgenommen, als ich ihn bei meinem letzten Treffen mit Ryo dort darum bat. Mein Vater derweil lächelt schon wieder. „Und, wer ist dieser junge Mann?“ Jetzt steht wohl meine Beichte an. „Er ist ein Third.“ Obwohl ich mich geistig auf dieses Gespräch vorbereitet habe und mich auch dazu entschlossen habe meinem Vater von Ryo zu erzählen, ist es mir nun doch etwas peinlich. Zwar gibt es dazu keinen Grund, aber in den Augen meines Vaters wollte ich immer möglichst perfekt sein. „Ich sollte ihm ein bisschen auf den Zahn fühlen. Darum geht es doch, nicht wahr?“ „Nein, ich möchte nicht auf deine alten Kontakte zurückgreifen.“ Gott bewahre! „Das solltest du aber. Es ist nicht so einfach wie es sich anhören mag, auszusteigen. Und auch nicht jeder verdient es, dass jemand die Hürden dafür auf sich nimmt.“ Kurz nippt er an seiner Teetasse, wohl aber nur, um sich eine Sekunde Bedenkzeit zu sichern. „Ich habe dich nicht aus Zero's Reichweite geholt, um dich in die nächste Katastrophe rennen zu lassen. Also, was für ein Kerl ist er? Wie bist du denn überhaupt an einen dieser Callboys geraten? Eine deiner Vorlesungen wird er ja wohl kaum besucht haben.“ Das ist mein Vater, wie ich ihn kenne. „Nami hat mir ein Date mit ihm zum Geburtstag geschenkt“, antworte ich wahrheitsgemäß. Erleichtert atmet er aus, ehe er lacht und meint: „Das sieht ihr ähnlich!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)