Brennendes Wasser von Sennyo (Engel der vergessenen Zeit) ================================================================================ Kapitel 13: Engel der vergessenen Zeit - 13 ------------------------------------------- Es war kaum zu glauben, der Bann war gebrochen, die Amphore nicht länger verschlossen. Unsicher blickte Lydia sich um. Sie spürte die Veränderung, spürte das Wasser um sie herum fließen, wie es noch nie geflossen war. Die Lichtstrahlen verschoben sich, suchten neue Wege und wirbelten alles durcheinander. Auf diese Weise löste sich auch das Netz, das die Wächterin so lange an sich gebunden hatte. All die wundersamen Erscheinungen in dem Spiel zwischen Wasser und Licht wurden nur von Xilias schriller Stimme übertroffen. Sie wirkte erhaben wie eine Königin, eine stolze Frau, die Jahrhunderte auf diesen Moment gewartet hatte. „Folge mir!“, rief sie Lydia zu und griff ohne deren Antwort abzuwarten, nach ihrem Handgelenk, um sie, wie schon zuvor, hinter sich her zu ziehen. Dieses Mal jedoch bereiteten ihre Berührungen der Anderen keine Schmerzen, kein Gift drang in ihre Haut. Ihr Griff war sanft und fest zugleich. Als wäre sie nicht viel mehr als eine Feder im Wind, tauchte Lydia rasend schnell durch die Wassermassen, die für die Göttin keinerlei Widerstand darstellten. Es erschien fast, als wichen sie ihr aus um ihr respektvoll den Weg freizumachen. Es dauerte nicht lang und Xilia hatte ihr Ziel erreicht. Hier nun, zum aller ersten Mal seit sie die geheimnisvolle Welt der Amphore betreten hatte, konnte Lydia den Himmel über der Wasseroberfläche ausmachen. Die Nixe folgte ihrem Blick, nickte kurz. „Dies ist der Ausgang“, bestätigte sie, „Lass dich nicht durch die schöne Aussicht verunsichern, wir werden gleich den Turm betreten.“ Lydia seufzte leicht, atmete auf. Die Göttin nicht länger als Feindin zu machen, hatte ihre Lebensgeister wieder geweckt, eine unglaubliche Last war von ihr gefallen. „Ich bin bereit!“, erklärte sie entschlossen und sah nach oben, „Entkommen wir unserem Gefängnis.“ Die Beiden schwammen auf die Oberfläche zu, auf alles gefasst, das auf der anderen Seite auf sie lauern konnte. Zeitgleich durchstießen sie das Wasser. Sofort spürte Lydia die frische Luft auf ihrer Haut, sackte leicht benommen in sich zusammen. Xilia dagegen machte das Verlassen ihrer täglichen Umgebung nicht das geringste aus. Sicheren Schrittes stieg sie aus der Amphore, die lange Flosse hatte inzwischen die Gestalt zweier menschlicher Beine angenommen, die von einem leichten, in den Tönen des Wassers glitzernden Rock geziert wurden. Anmutig wie nur eine Göttin es sein konnte, half sie Lydia aus der Amphore und richtete ihren Blick dann auf den Mann, der sie mit schallendem Gelächter empfing. Der uralte Hass erwachte zu neuem Leben. Lydia starrte fassungslos auf den Mann, der sie ihren Eltern entrissen hatte. Sie glaubte ihren Augen nicht, wünschte sie würden ihr einen Streich spielen. Dort, in seiner Gewalt, stand sie. Sie, an die sie so oft gedacht hatte in den letzten Tagen, deren Wohlergehen ihr einziger verbliebender Wunsch war. Ihre kleine Schwester Lenya. Nun rannen tiefrote Tropfen frischen Blutes ihren Hals herab, suchten sich ihre Wege über die reine Haut. Noch immer zierten große Flügel ihren Körper, doch sie waren ihr im Moment keine Hilfe. Lenya konnte sich nicht rühren, die kalten Krallen hinderten sie daran, nahmen ihr die Freiheit. Als sie ihre Schwester erblickte, legte sich ein sanftes Lächeln auf ihr Gesicht. Lydia verstand sie wortlos, nickte kurz dankend. Was auch immer Lenya durchgemacht hatte, all das war nun ebenso unwichtig, wie die Qual, die sie selbst durchlebt hatte. Ihre Schwester war am Leben, das war alles, was für Lydia zählte. Doch von einem glücklichen Wiedersehen waren die beiden sehr weit entfernt. Lydia hatte noch immer mit der Umstellung zu kämpfen, nun da das Wasser sie nicht mehr schützend umspülte, drang all der Schmerz erneut aus sie ein. Es war Xilia, die als Erste das Wort ergriff. „Du hast es getan, nicht wahr?“ Ihr Blick ruhte auf Lenya, ihre Stimme klang hell und sanft wie fließendes Wasser. „Ich danke dir.“ Die Göttin sprach weiter, noch bevor das Mädchen auch nur antworten konnte. Verächtlich lachte der Mann auf, festigte seinen Griff um Lenyas Hals und hielt ihre Arme hinter ihrem Rücken mit der anderen Hand zusammen. „Und was hat sie von deiner Dankbarkeit?!“, boshaft starrte er sie an, spürte das warme Blut über seine Hände laufen. Lydias panischer Blick erregte ihn, ließ ihn seine Krallen noch tiefer in die Haut ihrer Schwester bohren. Lenya ließ all das geschehen ohne zu reagieren, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Xilia beobachtete beide, doch sie blieb im Gegensatz zu der gefangenen Wächterin nicht untätig. Sie trat immer näher an ihn heran. Mit jedem Schritt, den sie tat, stieg das Wasser im Turmzimmer. Es schien aus der Amphore zu kommen, floss nach oben bis es über deren Rand hinweg schwappte und das ganze Zimmer flutete. Das Wasser kam nur für einen Zweck, es sollte der Meisterin bei ihrer Rache zur Seite stehen. Xilia lenkte es, ließ es weiter ansteigen, formte es in ihren Händen. Sie flocht einzelne Rinnsale zu großen Fluten, wies dem Wasser seine Wege. Es gehorchte ihr bedingungslos. Nach und nach bildeten sich kleine Lichtfäden, wie Lydia sie schon in der Welt der Amphore gesehen hatte. Diese jedoch waren zarter und feiner als die groben Stränge, die sie gefangen gehalten hatten, dennoch waren sie in den Händen der Wassergöttin tödlicher als die gefährlichste Waffe. Xilia wusste, was sie tat, wusste, was Lenya vor hatte. Ein einziger Blick in die entschlossenen Augen hatte ausgereicht um des Mädchens Herz zu durchblicken. Sie war tapfer, das stand ganz außer Frage, sie hatte viel größeres vor als nur den Fluch der Amphore zu brechen, Xilia, die Jahrhunderte lang kein anderes Ziel verfolgt hatte, als Rache zu nehmen, sah dies mit Erstaunen und großem Respekt. Dennoch war sie nicht bereit zu akzeptieren, nicht bereit das Schicksal anzunehmen, dass die Flammen für Lenya gewählt hatten. Dichter trat sie an den Mann heran, der sogleich den Druck auf das Mädchen erhöhte. „Noch ein Schritt“, sprach er schließlich und seine Augen funkelten bestialisch, als hätten sie niemals das beruhigende Licht der Sterne gesehen, „Ein weiterer Schritt, Nixe, und die Kleine wird sterben!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)