Das Herz des schwarzen Drachens von Jarmina ================================================================================ Kapitel 1: Ungerechtigkeit -------------------------- Ihr Verstand sagte ihr eiskalt, dass alles was sie gesehen hatte, wahr war. Ihre Mutter war tot. Sie war jetzt allein. Sie würde damit leben müssen, ob sie wollte oder nicht. Die Tränen hatten aufgehört zu fließen. Arva wischte sich zitternd mit dem Ärmel das Gesicht ab und tastete mit feuchten Händen nach dem heruntergefallenen Stein. Sie fand ihn und hängte ihn sich nur um den Hals. Er leuchtete nicht mehr. Seltsam betäubt begann sie zu überlegen, was sie jetzt tun sollte, während sie mit schmerzendem Kopf an der Wand lehnte. Sie jemandem Bescheid sagen. Aber wem? Die Dorfwachen würden bestimmt glauben, dass sie selbst Nyla getötet hatte. Sie trauten ihr nicht. Ohne Nylas Schutz würden nicht zögern Arva sofort hinzurichten. Sie hatten Arva immer für gefährlich gehalten. Sie musste fliehen. Weit weg. Verwandte hatte sie nicht. Sie hatte Freunde in der Nachbarsiedlung, aber dort würde man sie schnell aufspüren. Am besten das Land verlassen. Man würde wahrscheinlich nach ihr suchen, um sie hinzurichten. Auch wenn sie unschuldig war. Aber niemanden würde das interessieren. Man hatte ihr nie geglaubt. Wohin würde man ihr nicht folgen? Diarra. Die Elfen standen kurz vor dem Krieg mit Diarra. Es war verboten die Grenzen zu übertreten. Die Menschen waren Feinde. Vielleicht würde sie dort vorerst sicher sein. Sie konnte sich im Wald verstecken und den Menschen aus dem Weg gehen. Sie wäre sicher hinter der Grenze. Sicher vor ihrer eigenen Rasse, die sie mehr fürchtete als den Feind. Ein sarkastisches Halb-Lächeln brachte ihre Mundwinkel zum Zucken. „Ja, jetzt können sie mich zu Recht verrückt nennen.“, dachte sie in einem unangebrachten Anflug schwarzen Humors. Sie seufzte müde. Es war Zeit zu gehen. Ihr war zwar noch schwindelig, aber sie zwang sich dennoch, aufzustehen und in die Küche zu gehen. Dort ließ sie sich, von dem kurzen Weg schon erschöpft, auf einen Stuhl sinken und trank ein wenig Wasser aus einem Krug, um wieder zu Kräften zu kommen. Danach ging es ihr schon wieder etwas besser und sie fühlte sich kräftig genug, um ihre Sachen zu packen. Während in ihrem Kopf eine seltsame, taube Stille herrschte, die von keinem Gedanken unterbrochen wurde, packte sie mechanisch etwas zum Essen, ihr weniges Geld, Kleidung, und eine warme Decke ein und wollte gerade hinausgehen, als sie laute Stimmen vor der Tür vernahm. Sie verhielt sich so ruhig wie möglich und horchte. „Ich wollte heute Nacht nach meinem Esel sehen, weil ich aus dem Stall so seltsame Geräusche gehört habe, aber dann merkte ich, dass sie aus dem Nebenhaus kamen und nicht aus dem Stall. Die Tür war zerbrochen, also bin ich hinein gegangen, um zu sehen, ob die kleine Irre womöglich wieder einen Anfall hat und Nyla vielleicht Hilfe braucht, da habe sie gesehen; sie stand vor der Leiche ihrer Mutter und war ganz mit ihrem Blut besudelt...“ Arva stockte vor Schreck der Atem. So rasch wie möglich schlich sie zum Fenster und sprang mit ihrem Rucksack heraus, was von den Stadtwachen, die zusammen mit dem alten Mann anrückten, der aufgeregt von der riesigen Blutlache plapperte, zum Glück unbemerkt blieb. Sie wartete, bis die Männer das Haus betreten hatten und huschte dann schnell in den Wald, der kurz vor ihrer Tür begann. Die ganze Siedlung war von einem riesigen Waldgebiet umgeben, in dem noch viele andere Dörfer der Elfen Schutz fanden. Arva versuchte vorsichtig zu gehen, um nicht zu laut zu sein und hörte noch wie einer der Wachen rief: „Sie kann noch nicht weit sein, sucht alles ab.“ Arva gab es auf leise sein zu wollen und rannte stattdessen so schnell sie konnte tiefer in den Wald, aber weil es Nacht war und sie im fahlen Mondlicht den Boden kaum erkennen konnte, stolperte sie mahrfach über Wurzeln und Stöcke. Beim dritten Mal, als sie stolperte, verdrehte sie sich den Knöchel und fluchte. Trotzdem stand sie auf und rannte ungeachtet des Schmerzes weiter. Zwar schienen die Wachen sie nicht zu verfolgen, aber sie wollte kein Risiko eingehen und sicherheitshalber einen Vorsprung haben. Nach einer Weile schmerzte der verletzte Knöchel so sehr, dass sie nur noch langsam vorwärts kam, doch als sie plötzlich ein Geräusch hinter sich hörte, rannte sie erneut los, wie ein aufgeschrecktes Reh. In Panik sah sie sich um, konnte aber Niemanden entdecken. Plötzlich stolperte sie über etwas Großes, Weiches, das ein Knurren von sich gab. Arva lag reglos da und hoffte, dass der Wolf einfach wieder einschlafen würde, doch zu ihrer Überraschung setzte er sich auf und zog sein Schwert. Jetzt erkannte Arva, dass es ein Mensch war, über den sie gestolpert war, eine Frau. Sie hatte unter einer Felldecke geschlafen. „Entschuldigung!“ wimmerte Arva ängstlich. Die Frau musterte sie mit zusammengekniffenen Augen und fragte in einem unfreundlichen Tonfall: „Wer seid Ihr?“ Vor Angst sprudelten ihr die Worte aus dem Mund, noch ehe sie daran denken konnte, dass es besser wäre zu lügen. „Ich heiße Arva Seleas! Tochter von Nyla! Ich bin sechzehn Jahre alt und komme aus...“ „Ja, ja, schon gut,“ unterbrach die Frau sie, „Ich wollte nicht deine ganze Lebensgeschichte hören. Sag mir nur, warum läufst du nachts allein im Wald herum, Arva Seleas?“ „Ich habe mich verlaufen!“ log Arva. Die Frau stieß ein ungläubiges Brummen aus, was Arva noch nervöser machte, dann sagte sie: „Und ich dachte schon du wärst vor etwas auf der Flucht, wo du es doch so eilig hast?“ Arva erröte ertappt, was man im Dunkeln zum Glück nicht sah, und erwiderte schnell: „Ich wurde von Wölfen verfolgt!“ Die Fremde betrachtete die vom Mondlicht karg beleuchtete Elfe nachdenklich, beschloss dann ihr Schwert wieder einzustecken, und brummte dann erneut, diesmal resigniert. „Dann würde ich dir aber empfehlen im Hellen weiter zu gehen, jetzt im Dunkeln wirst du dich nur noch weiter verlaufen... von mir aus kannst du dich mit hierher legen, dann musst du dir keine Sorgen um die wilden Tiere machen, ich pass' schon auf, dass dich niemand frisst, während du schläfst.“ Arva war hin und hergerissen. Einerseits wollte sie so weit wie möglich vom Dorf weg und sie hatte Angst, dass man sie hier entdeckte. Andererseits schmerzte ihr Knöchel inzwischen so sehr, dass sie ohnehin nicht weit kommen würde und sie hatte auch keine Lust den Tieren, von denen sie der Frau erzählt hatte, zu begegnen. Wahrscheinlich war der Bär auch noch irgendwo in der Nähe. Dieser Gedanke war so grauenerregend, dass es keiner weiteren Überlegungen mehr bedurfte, um sich zu entscheiden. Die Gesellschaft der Fremden. Arva murmelte ihren Dank und breitete mit zitternden Händen ihre Decke nah neben der Schlafmatte der Fremden aus. Die Frau kroch ebenfalls zurück unter ihre Felldecke. Arva war furchtbar erschöpft und schlief trotz der Furcht und des ungemütlichen Schlafplatzes sofort ein. Als die Elfe am nächsten Morgen erwachte, hatte sie Kopfschmerzen und spürte, dass ihr Knöchel stark angeschwollen war. Sie blickte sich nach der Frau um, die gerade dabei war ein Feuer zu machen, um zwei scheinbar gerade erst erlegte Hasen zu braten. Im Licht des Sonnenaufgangs leuchteten ihre ungewaschenen, kurzen, blonden Haare golden und das Feuer ließ die gleiche Farbe in ihren silberblauen Augen tanzen. Von dem seltsamen Anblick fasziniert, setzte Arva sich auf und strich gedankenverloren über ihren schmerzenden Kopf. Doch ihre Finger zuckten sofort zurück, als sie aus Versehen die Wunde, die sie in den Wirren der letzten Nacht gar nicht bemerkt hatte, berührten. Es war ein stechender Schmerz und sie gab ein erschrockenes Geräusch von sich. Die Frau blickte von ihren Hasen auf und sah die Verletzung. Sie kam näher und betrachtete die Verletzung mit einem besorgten Stirnrunzeln. „Ist das heute Nacht passiert?“ Fragte sie ruhig und holte Verbandszeug und eine Wasserflasche aus ihrem Gepäck. „Glaube schon…“ Murmelte Arva, während die Bilder der letzten Nacht undeutlich vor ihrem geistigen Auge vorbeiflimmerten, ohne klare Konturen anzunehmen. Klauenspuren… Zerrissene Vorhänge… Kaputte Möbel…Kalte Haut… Die blonde Frau hatte begonnen ihre Kopfwunde zu säubern, als Arva unvermittelt in Tränen ausbrach. „Tut es so weh?“ Fragte die Fremde besorgt und drückte Arvas Gesicht sanft gegen ihre Brust, während sie fortfuhr die Verletzung fachmännisch zu versorgen. Arva fühlte sich erleichtert, als sie sich bei der Fremden anlehnen konnte und weinte sich wie ein kleines Kind an ihre Schulter gekuschelt aus. Das alles war so ungerecht! Warum musste ausgerechnet ihr so etwas Schreckliches passieren? Ihre Mutter war die einzige Person gewesen, die sie trotz ihrer "Anfälle" geliebt hatte. Aber ausgerechnet diese großherzige, tolerante Frau war einen grausamen, sinnlosen Tod gestorben. Niemand würde sie nunmehr in Schutz nehmen. Schon allein, wegen dem, was ihr bösartiger, verlogener Nachbar den Wachen erzählt hatte... Man würde Arva wie ein Monster jagen. Sie hatte kein Zuhause mehr. Als vaterloser Bastard war sie nun absolut allein… Nachdem die Frau sie fertig versorgt hatte, versuchte sie geduldig die verzweifelte Elfe zu trösten. Sie strich ihr zärtlich durch das lange schwarze Haar, während sie sie fest im Arm hielt und redete leise auf sie ein, obwohl Arva so in ihre eigenen verzweifelten Gedanken versunken war, dass sie nicht verstand, was sie zu ihr sagte. Das junge Mädchen atmete bei jedem Schluchzen den beruhigend normalen Stoff-Duft des groben, weißen Leinenhemdes der Frau ein, bis ihre Sinne sich ganz und gar auf diese alltägliche Sinneswahrnehmung konzentrierten. Die hysterischen Stimmen in ihrem Kopf verstummten nach und nach, während Arva langsam wieder in die Realität zurückkehrte. Außer dem Stoffgeruch nahm sie nun auch den Körpergeruch der Frau wahr. Zwar war der bittere Akzent von getrocknetem Schweiß unangenehm, aber hauptsächlich roch sie einfach warm und lebendig, was Arva unendlich tröstlich erschien. Nach einer Weile löste sie sich ein wenig wiederstrebend aus der Umarmung der Frau, die sie geduldig gehalten hatte, während Arva innerlich gegen ihre Verzweiflung gekämpft hatte. Arva blickte aus feuchten Augen zu ihr auf und bemerkte, dass die Fremde gar keinen spitzen Ohren hatte, also keine Elfe sein konnte. Das erstaunte sie ein wenig. Hatte sie die Grenze zum Reich der Menschen bereits überschritten? Doch so weit konnte sie in der Nacht unmöglich gelaufen sein, ganz egal, welche Furcht sie getrieben hatte. Die Blonde lächelte sie sanft an und reichte ihr ein Taschentuch, mit dem sie sich ihre triefende Nase putzen konnte. Als Arva den ausgestreckten Arm der Frau betrachtete, merkte sie, dass dieser für eine Frau ziemlich muskulös war. Das brachte sie auf einen alarmierende Idee. „Seid ihr etwa eine Siarra?“ rief Arva, deren frisch erwachte Neugier auf willkommene Weise ihre verzweifelten Gedanken verdrängte. „Oh, tut mir Leid,“ antwortete die Fremde überrascht, „Ich habe mich gar nicht vorgestellt. Ich bin Siria Nimrodis. Und ja, ich bin eine Siarra… Möchtest du vielleicht etwas von mir zum Anziehen haben? Dein Kleid sieht recht mitgenommen aus… die Wölfe scheinen euch ja übel erwischt zu haben.“ Arva bemerkte geschockt, dass ihr ehemals blaues Kleid vollkommen blutgetränkt war. „Nicht nötig," Sagte sie mit zitternder Stimme, „Ich habe selbst etwas zum Wechseln eingepackt.“ Siria betrachtete Arva prüfend, als überlegte sie, ob es angebracht war ihr noch weitere Fragen zu stellen. Doch zu Arvas Erleichterung schien sie zu denken, dass es wohl besser war, Arva nicht zu direkt zu der Tragödie zu befragen, die sich letzte Nacht ganz offensichtlich bei ihr abgespielt haben musste. Während Arva sich hinter einem Baum umzog, was nicht so einfach war, weil sie mit einem Fuß ja nicht auftreten konnte, kümmerte sich Siria um die zwei Hasen, die bereits über dem Feuer schmorten. Sie dufteten köstlich und Arva bedauerte, dass sie nur Brot und Käse eingepackt hatte. Ob es unverschämt wäre, sie zu fragen, ob sie mir etwas abgibt? Sie schafft bestimmt nicht beide Hasen. < Überlegte Arva und packte dann doch lieber Brot und Käse aus und setzte sich damit neben Siria ans Feuer. Sie wollte sich von beidem ein Stück abschneiden, musste jedoch feststellen, dass sie kein Messer hatte, um dies zu tun. „Ähm...entschuldigung, habt Ihr vielleicht ein Messer?“ Fragte sie die Siarra ein wenig beschämt. „Natürlich!“ Antwortete diese und reichte ihr einen Dolch, der in ihrem Gürtel gesteckt hatte, gleich neben zwei dünnen Schwertern, dessen Scheiden ebenfalls daran festgemacht waren. Die Elfe zögerte. Ob sie damit wohl schon jemanden umgebracht hat? < „Ich meinte eigentlich eher ein Brotmesser.“ Sagte sie vorsichtig. „Tut mir Leid, so etwas habe ich nicht. Ich schneide alles mit dem Dolch. Ist praktischer.“ Diese Siarras sind wahrhaftig Barbaren. Sie essen mit dem gleichen Messer, mit dem sie ihre Feinde abstechen… Aber es wäre unhöflich ihn jetzt nicht zu benutzen...< Dachte Arva und schnitt widerwillig eine dünne Scheibe Brot und ein kleines Stück Käse damit ab. „Du bist ja sehr sparsam.“ Bemerkte Siria, „Hast du noch eine lange Reise vor dir? Wohin willst du?“ Arva erstarrte. Was sollte sie sagen? Sie kannte die Namen der umliegenden Dörfer nicht und zurück in ihr Heimatdorf konnte sie auch nicht. Erneut stiegen der Elfe die Tränen in die Augen und Siria sah sie erschrocken an. „Was hast du denn, Schätzchen? Hab ich was Falsches gesagt?“ Arva schüttelte den Kopf und rief : „Ich weiß nicht wo ich hin soll!“ Siria setzte sich wieder neben sie und strich ihr tröstend durchs Haar. „Warum weißt du das nicht?“ Arva schniefte und wusste nicht, ob sie ihr die Wahrheit anvertrauen konnte. Siria war so nett, aber sie kannte sie erst seit ein paar Stunden und wer wusste, ob sie, wenn sie erfuhr, dass Arva vielleicht eine Mörderin war, sie nicht ausliefern würde. Siarras sollte man nicht vertrauen. < Beschloss Arva und antwortete nicht. Sie weinte auch nicht mehr. Sie starrte nur traurig in die Flammen des Lagerfeuers und bemitleidete sich selbst für ihr hartes Schicksal. Als Siria keine Antwort bekam, zuckte sie nur die Schultern und sagte: „Wenn du kein Zuhause hast, kannst du mit zu mir kommen, ich wohne im Palast der Königin von Namaycuh. Es ist eine lange Reise, aber es wäre bestimmt ein Zimmer für dich frei und vielleicht könnten wir dir dort auch Arbeit beschaffen.“ Arva starrte sie überrascht und voll Dankbarkeit an. Wie kann sie mir so spontan vertrauen? Sie will mich mit zu sich nehmen, obwohl sie mich gar nicht kennt und ich ihr nicht einmal sage, warum ich weg muss? Vielleicht sind die Siarras doch nicht so kaltherzig, wie alle sagen! < „Vielen Dank!“ Antwortete Arva, „Ich würde gerne mit Euch gehen!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)