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Zwei Seelen, zwei Herzen, eine Liebe

von

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Frankreich, 1785
 

Es war eine Zeit, in der die Pariser Bevölkerung über Umbrüche und Neuanfänge nach dachte. Eine Zeit, in der der Geruch einer bevorstehenden Revolution bereits in der Luft lag, als Aufstände des „Dritten Standes“ fast an der Tagesordnung standen. Eine Zeit, in der der Großteil einer Nation Hunger leiden musste, während ein kleiner Teil in unvorstellbarem Luxus lebte, bezahlt von den Steuern der Armen.

In dieser turbulenten Zeit lernten zwei Menschen ihre Liebe zueinander kennen, von denen beide nicht wussten, dass sie sie jemals erleben würden. Die in den schwierigsten Zeiten immer zueinander standen und für den jeweils anderen sein Leben gegeben hätten.
 

***
 

Vor 30 Jahren kam im Hause des Generals de Jarjayes die sechste Tochter zur Welt. Es hätte eigentlich ein Junge werden sollen, der die Tradition, als Kommandant in der königlichen Garde zu dienen, weiterführen sollte. So beschloss der General, ein liebender aber auch sehr strenger Vater, seine jüngste Tochter als Mann zu erziehen. Er gab ihr den Namen Oscar und bildete sie zum Soldaten aus. Sie sollte Kommandant im königlichen Garderegiment werden, sehr zum Entsetzen seiner Frau.
 

Ein Jahr zuvor, 1754, kam nicht weit weg vom Anwesen der Jarjayes ein Junge zur Welt. Früh verlor er Vater, einen Zimmermann und Mutter. Und so holte ihn seine Großmutter mit 5 Jahren ins Haus des Generals. Sie arbeitete dort als Haushälterin und Kindermädchen für Oscar FranVois.

André, ein hübscher braunhaariger Junge, blieb von nun an immer an Oscars Seite, zuerst als Spielgefährte. Doch schon bald entwickelte sich zwischen den beiden eine sehr innige und tiefe Freundschaft, ungeachtet aller Standesordnungen. Er war ihr Vertrauter, ihr Beschützer und mehr als einmal rettete er ihr Leben.

Für Oscar war André immer ihr bester Freund. André hingegen liebte Oscar, seit er 15 Jahre alt war. Doch er offenbarte ihr nie seine Gefühle, da er Angst hatte, ihre wunderbare Freundschaft würde dadurch zerstört werden. Außerdem stand der Standesunterschied dazwischen. Da André kein Adliger war, wäre Oscars Vater niemals mit einer Beziehung zwischen ihm und seiner Tochter einverstanden gewesen. Auch glaubte er zu wissen, dass Oscar ihn niemals lieben könnte. So litt er 15 Jahre unter der heimlichen Liebe zu ihr.
 

Oscar lernte die Liebe erst viel später kennen. Mit 14 Jahren kam sie zur königlichen Garde und wurde alsbald zum Kommandanten befördert. Von da an war es ihre Aufgabe, die königliche Familie zu beschützen, war Freundin von Königin Marie Antoinette und ein gerngesehener Gast auf Schloss Versailles.

Dort begegnete sie dem schwedischen Grafen Hans Axel von Fersen. Der Graf war ein gutaussehender junger Mann, dem die Frauen zu Füßen lagen. Doch nur einer gehörte sein Herz: der Königin. Sie wiederum erwiderte seine Gefühle, auch wenn es verbotene Gefühle waren.

Oscar wusste von den beiden und schwieg. Von Fersen und sie verband bald eine Freundschaft, die auf die Loyalität zu Marie Antoinette gebaut war. Doch mit der Zeit änderten sich Oscars Gefühle für den Grafen. Die beiden sahen sich in Versailles immer öfter und im Hause der Jarjayes war er auch häufig zu Gast. Und mit einem Mal sah Oscar den Grafen nicht mehr als den Soldaten und Freund der Familie, sondern mit den Augen einer Frau. Plötzlich nahm sie den Glanz in seinen blauen Augen wahr, seinen sanften, sinnlichen Mund, sein wunderschönes, herzliches Lachen. Lange wollte sie es sich nicht eingestehen. Sie hatte ihr ganzes Leben und Denken wie das eines Mannes geführt und nun kamen Gefühle und Empfindungen in ihr hoch, die ihr fremd waren und Angst machten. Sobald sie in seiner Nähe war, schlug ihr Herz schneller und ihr wurde ganz warm. Sie spürte, wie verwundbar und schwach sie diese Liebe machte.

André bemerkte, wie sich Oscar immer mehr veränderte. Und allmählich wurde ihm klar, warum. Er war froh, als sich der Graf 1776 als Freiwilliger für den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg meldete. Dies hatte er beschlossen, als er sah, wie gefährlich die Beziehung zwischen ihm und Marie Antoinette für die Königin wurde. Als der schöne Schwede weg war, war Oscar bald schon wieder die Alte. Anfänglich machte sie sich noch Sorgen um ihn und hatte Sehnsucht, doch die politischen und höfischen Probleme lenkten sie schnell ab.

Dennoch, tief in ihrem Inneren hatte sich was verändert. Sie fühlte nun wie eine Frau
 

Sie hatte von Fersen schon fast wieder vergessen, als er sieben Jahre später, 1784 ganz unerwartet wieder auftauchte. Für André war es wie ein Schlag ins Gesicht, als er sah, wie sehr sich Oscar freute, ihn wiederzusehen. Es tat ihm weh zu sehen, wie sehr Oscar unter der unerwiderten Liebe litt. Wusste er doch zu genau, wie es war, neben seiner großen Liebe zu stehen und zu wissen, dass die eigenen Gefühle nicht erwidert werden.

Als Oscar begriff, dass von Fersen nur wegen der Königin wiedergekommen war und in ihr nur eine gute Freundin sah, zerbrach eine Welt in ihr. Und sie schwor sich, diese weiblichen, schwachen Gefühle in ihr nie wieder aufkommen zu lassen. André stand ihr während dieser Zeit immer zur Seite, auch wenn sie ihn manchmal von sich stieß und ihren Schmerz und ihren Kummer an ihm ausließ.
 

***
 

Doch der Sommer 1785 veränderte das Leben der beiden.
 

Es war ein schöner Tag im Mai. Oscar erwachte, als die ersten Sonnenstrahlen durch ihr Fenster fielen und ihr Gesicht erwärmten. Doch sie zog sich ihre Decke über den Kopf und brummelte: „Nein, ich bleib liegen. Ich will heute nicht!“ Sie drehte sich um und versuchte, weiterzuschlafen.

Doch schon fünfzehn Minuten später stand Andrés Großmutter vor der Tür. Sophie Grandier war nicht nur Haushälterin und Gute Seele der Familie, sondern auch Oscars ehemaliges Kindermädchen. „Lady Oscar! Schlaft ihr noch? Ihr müsst aufstehen! Euer Dienst beginnt doch bald!“ rief die alte Dame draußen auf dem Flur. Sophie würde Oscar von jeher lieber als junge Dame in schönen Kleidern sehen, wie als Soldat in Uniform. Sie liebte Oscar wie ihr eigenes Kind und ihrem Vater hatte sie nie ganz verziehen, dass er sie als Jungen erziehen ließ. „Ja, ich komm ja schon!“ Genervt antwortete Oscar ihrem ehemaligen Kindermädchen, stand auf und zog sich an.

„Na endlich, da bist du ja!“ rief André, als Oscar ins Esszimmer kam. „Meine Großmutter hat mir schon die Hölle heiß gemacht.“ „Guten morgen André.“ antwortete Oscar. „Das tut mir leid, aber irgendwie wurde ich heute nicht richtig wach.“ Sie setzte sich André gegenüber. „Da seid ihr ja, Lady Oscar. Aber, wo ist eure Uniform?“ fragte Sophie, als sie mit einem Tablett Tee aus der Küche kam und sah, dass Oscar nur ihre braune, enge Hose und ihr Hemd trug. „Mir geht es heute nicht so gut. Ich bleibe heute zu Hause. Girodelle habe ich gestern schon Bescheid gesagt.“

Graf Victor Clement de Girodel war drei Jahre älter als Oscar und stand einen Rang unter ihr. Als Oscar mit 14 Jahren in die königliche Garde kam, duellierten sich die beiden um den Posten des Kapitäns. Oscar gewann. Anfangs tat sich Girodelle schwer, einer, auch noch so jungen Frau, zu dienen. Doch mit der Zeit gewöhnte er sich daran und er stand voll und ganz hinter Oscar.

„Das wird eurem Vater aber gar nicht gefallen.“ Sophie stellte die große Teekanne auf den Tisch und schenkte Oscar ein. „Das weiß ich.“ meinte sie und nahm einen Schluck des dampfenden Tees. „Und deshalb habe ich beschlossen, heute einen langen Ritt zu machen. Könntest du mir ein paar Sachen zum Essen einpacken, Sophie? Ich möchte nachher los und bin nicht vor heute Abend zurück." Madame Grandier sah ihre Ziehtochter entsetzt an. „Ihr hintergeht euren Vater und ich soll da mitmachen?“ Oscar und André lachten. Oscar stand auf und umarmte ihre Amme. „Ach komm schon Sophie. Tu mir den Gefallen.“ „Und wenn euch was passiert?“ „Wenn es dich beruhigt, ich wollte André fragen, ob er mich begleiten möchte.“ Oscar sah André an. Der machte innerlich einen Hüpfer. Einen Tag lang mit Oscar alleine... „Klar komm ich mit. Ihr seht, Großmutter, es wird ihr nichts geschehen. Ich werde auf Oscar aufpassen, wie auf meinen Augapfel.“ Die alte Dame sah „ihre Kinder“ an und lächelte. Sie wusste ja, wie viel Oscar in den letzten Monaten gearbeitet hatte. Sie hatte sich einen freien Tag wirklich verdient. „Also gut.“ willigte sie ein. „Aber jetzt frühstückt erst mal. In einer Sunden könnt ihr los.“ „Danke, Sophie.“ lachte Oscar und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.
 

Mit vollgepackten Satteltaschen ritten Oscar und André eine Stunde später durch die Grenzwälder zwischen Paris und Versailles. Lange Zeit ritten die beiden schweigend nebeneinander und genossen die Natur. Es war warm und auf den Wiesen und Felder blühten die schönsten Blumen.

Doch dann brach André die Stille: „Sag mal, Oscar, warum bist du heute nicht zum Dienst gegangen? Dir geht`s doch gar nicht so schlecht. Mir konntest du nichts vormachen. Was ist der wahre Grund?“ Sie sah ihn an. -Wie gut er mich doch kennt-. „Du hast recht. Es ist nur so, dass ich mal raus musste. Das alles engt mich so ein. Manchmal meine ich, ich ersticke in Versailles.“ Um ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen, atmete sie tief die frische Luft ein. „Ich verstehe.“ Mit einem vorsichtigen Blick sah André Oscar an. „Und

das hat nichts mit von Fersen zu tun?“ Er wusste, dass er sich auf unsicheres Terrain begeben hatte und

erwartete jetzt einen scharfen Blick von Oscar oder schlimmer, dass sie ihn anbrüllen und wegreiten würde. Doch sie lächelte ihn an. „Nein, das hat nichts mit ihm zu tun. Die Sache ist für mich beendet. Und jetzt komm, legen wir einen Zahn zu.“ „Wo willst du überhaupt hin?“ „Das wirst du schon noch sehen!“ rief sie ihm zu und trieb ihr Pferd in den Galopp. -Ach Oscar, mit dir würde ich bis ans Ende der Welt gehen, dachte André mit einem sehnsüchtigen Blick auf ihre gold-blonden Haare, die im Wind wehten, als sie davon preschte.

André hatte sie bald eingeholt und die beiden lieferten sich ein hartes Kopf-an-Kopf-Rennen. Doch sie kamen beide gleichzeitig an ihrem Ziel an. Sie ritten einen kleinen Hügel hoch und unter ihnen erblickten sie einen wunderschön gelegenen See. Das Wasser war ganz dunkel-blau und die Bäume und Blätter spiegelten sich darin. Die Sonne ließ die Wasseroberfläche glitzern. Sie stiegen von ihren Pferden ab und betrachteten dieses wunderschöne Fleckchen Erde. „Oscar, weiß du wie lange es her ist, seit wir das letzte mal hier waren?“ Oscar breitete die Arme aus und sah André an. „Das muss schon ewig her sein. Ich glaube, da waren wir noch Kinder. Und weißt du noch, mit was wir gespielt haben?“ André sattelte die Pferde ab und führte sie ans Wasser. „Ja, wir hatten diese kleinen Zinnsoldaten und wir fochten die schlimmsten Kämpfe aus, wobei ich meistens verlor.“ Oscar lachte. Sie konnte sich noch sehr gut daran erinnern. „Und du fandest es immer doof, gegen ein Mädchen den kürzeren zu ziehen.“ André baute sich daraufhin vor ihr auch und meinte mit gespielt ernster Miene: „Ich... wollte es dir zwar nie sagen, aber.. ich habe dich immer absichtlich gewinnen lassen!“ Sie boxte ihn freundschaftlich in die Seite. „Oh, du Schuft!“

Lachend ließen sie sich ins weiche Gras fallen. Sie streckten ihre Arme aus und für kurze Zeit berührten sich ihre Hände. André durchfuhr es wie ein Blitz. Am liebsten hätte er sie jetzt umarmt und geküsst. Doch er riss sich zusammen und setzte sich auf. Er wollte sich seine Gefühle nicht anmerken lassen.

„Hast du Hunger?“ fragte er Oscar. Sie nickte lachend. „Ja, lass uns mal sehen, was uns Sophie eingepackt hat.“

Gemeinsam plünderten sie die Satteltaschen. „Mhm, ist das lecker! Deine Großmutter ist wirklich die beste Köchin der Welt, André!“ „Stimmt.“ Nachdenklich, fast schon verträumt sah er die Pastete in seiner Hand an. „Sie hat meiner Mutter viel beigebracht.“ Oscar sah ihn überrascht an. „Du redest selten über deine Eltern. Ist alles in Ordnung?“ Entschlossen verbannte André die negativen Gedanken aus seinem Kopf und lächelte Oscar an. „Keine Sorge, mir geht´s gut. Es ist so ein wunderschöner Tag, den kann mir nicht und niemand vermiesen.“ -Mir machst du nichts vor, André. Dich bedrückt doch was. Ich kenn dich doch. Aber du redest ja selten über deine Gefühle.-

Als sie fertig gegessen hatten, setzten sie sich unter einen großen Baum, beobachteten ihre Pferde, redeten über ihre gemeinsame Kindheit und spielten sogar alte Kinderspiele. Sie hatten wirklich viel Spaß und lange Zeit war Oscar nicht mehr so frei und ungezwungen, ja schon fast glücklich. Und sie spürte, dass sich in ihrem Leben etwas verändern musste. In den letzten Wochen plagten sie gewisse Zweifel an Marie Antoinette. War sie wirklich die Königin für ihr Volk, die sie sein sollte? Sie lebte in Versailles in unvorstellbaren Reichtum, und ihre Bürger verhungerten. Die Pariser Bevölkerung hassten Marie Antoinette, das wusste sie. Oscar konnte das Verhalten dieser Menschen verstehen, ihr tat es weh, zu sehen, wie sie litten. Doch sie mochte ihre Königin und stand hinter ihr. Aber war ihre Entscheidung wirklich richtig? Diese Situation machte es ihr im Moment ziemlich schwer, ihrer Aufgabe als Kommandant der königlichen Grade nachzukommen. Sie hoffte, dieses freie, glückliche Gefühl an diesem Tag in ihrem Herzen bewahren zu können.

„André, weißt du noch, wie wir damals Sophie zur Weißglut brachten, als wir uns auf dem Baum im Gemüsegarten versteckten?“ lachte Oscar. Doch André reagierte nicht. Er saß an den Baumstamm gelehnt und starrte in die Ferne. Oscar, die neben ihm im Gras lag, blickte zu ihm auf. André, was ist nur los mit dir? Oscar versuchte, ihren Freund abzulenken und fing an, ihn kräftig durchzukitzeln. Gespielt entsetzt sah er Oscar an. „He, was soll das!?“ Hör auf! Du weißt doch, wie kitzlig ich bin!“ Er ließ sich auf den Boden fallen und zog Oscar mit sich. „Eben, deswegen mache ich es ja!“ lachte sie. „Ich konnte es einfach nicht mehr mit Ansehen, wie du Trübsal bläst!“ Sofort begann André, sich bei Oscar zu revanchieren und stürzte sich auf sie. Lachend kugelten sie sich im Gras und kitzelten sich gegenseitig.

„Oh André, hör auf! Ich... ich kann nicht mehr!“ lachte Oscar und mit letzter Kraft drehte sie André auf den Rücken, hielt seine Arme fest und setzte sich rittlings auf ihn. „Ich hab schon wieder gewonnen!“ triumphierte sie. Doch André schüttelte den Kopf. „Oh nein... so schnell gebe ich mich nicht geschlagen!“ Er löste seine Arme aus ihren Händen, packte sie an der Taille und drehte sie auf den Boden. Nun lag er halb auf ihr und hielt ihre Arme über ihrem Kopf fest. Oscar lachte Tränen. „Diesmal bist du der Sieger, André! Ich gratuliere dir! Ich gebe auf.“ keuchte sie.

André war sein „Sieg“ jedoch völlig egal. Ebenfalls ganz außer Atem betrachtete er ihr Gesicht, das seinem nun so Nahe war. Ihre saphir-blauen Augen strahlten ihn an, ihr Mund war leicht geöffnet und ihr Brustkorb hob und senkte sich sehr schnell. Er spürte ihren schlanken Körper unter sich und es zerriss ihn fast vor Sehnsucht. Sehnsucht, sie jetzt einfach zu küssen, nur einmal ihre weichen Lippen auf den seinen zu spüren. Er wünschte sich, den Mut zu haben ihr zu gestehen, wie sehr er sie liebte, wie sehr sein Herz nach ihr schrie. Doch er sagte nichts, ließ von ihr ab und legte sich neben ihr ins Gras.

Schweigend starrte er in den Himmel und versuchte, seine aufkommende Leidenschaft und Hitze wieder zu beruhigen.

Auch Oscar spürte etwas in diesen Sekunden, in denen ihr André so nah war wie noch nie zuvor. Auch sie konnte ihren Blick nicht von seinen grünen Augen nehmen. Als sie so nebeneinander lagen, blickte Oscar André kurz an, dann sah sie ebenfalls in den Himmel und nahm seine Hand in die ihre. Sie spürte, dass zwischen ihnen mehr war als nur Brüderlichkeit.

Fast zwei Stunden lagen sie so da und sprachen kaum Wort. Oscar genoss diesen Frieden und die Ruhe und André einfach nur die Zeit, die er mit ihr verbringen konnte. Während dieser zwei Stunden waren ihre Hände fest miteinander verschlugen und keiner der beiden machte Anstalten, dies zu ändern.

Doch plötzlich zog Oscar ihre Hand weg und richtete sich auf. „André, wir sollten zurück. Die Sonne geht bald unter.“ André setzte sich ebenfalls auf. „Du hast Recht. Warte hier, ich hole die Pferde.“

Kurze Zeit später ritten sie wieder zurück. „Großmutter wird nicht sonderlich begeistert von

unseren Hemden sein.“ meinte André mit einem Grinsen. „Sie wird uns den Kopf abhacken, wenn sie die Grasflecken sieht.“ lachte auch Oscar.
 

Gerade, als die beiden auf das Tor zum Anwesen der Jarjayes zuritten sahen sie, dass eine Kutsche den Hof verließ. „Das war doch die Kutsche von Girodel, oder?“ fragte André. Oscar nickte. „Ja, aber was wollte er hier? Er wird doch meinem Vater nicht gesagt haben, dass ich heute nicht beim Dienst war?!“ André beruhigte sie. „Nein, das glaube ich nicht. Das würde er nicht tun.“

Sie ritten über den Hof zum Stall. Dort wartete schon Madame Grandier ungeduldig auf die beiden. „Da seid ihr ja, Lady Oscar!“ Sie und André stiegen von ihren Pferden ab und gingen auf die sichtlich erfreute und erleichtert wirkende Frau zu. „Großmutter, was habt ihr? Ihr seid so aufgelöst. Ist etwas passiert?“ fragte André. Heftig nickte sie. „Und ob, mein Junge.“ Sie lächelte geheimnisvoll. „Hat das was mit Girodel zu tun? Der war doch hier, richtig? Was wollte er denn?“ wollte jetzt auch Oscar wissen und vergessen waren die schmutzigen Hemden. „Oh Lady Oscar, es ist so wundervoll!“ Vor Freude schlug Sophie die Arme über ihrem Kopf zusammen. „Der Graf war hier und hatte mit eurem Vater ein längeres Gespräch. Lady Oscar, Graf de Girodel hielt um eure Hand an und euer Vater stimmte zu! Er war sogar höchst erfreit über den Antrag!“ Ihr ehemaliges Kindermädchen überschlug sich fast vor Freude und sah nicht, wie Oscar und André gleichzeitig die Augen aufrissen und entsetzt riefen: „WAS!“ „Ja, ist das nicht wundervoll? Ihr werdet die Frau eines angesehenen Grafen mit einem großen Namen. André, was sagst du dazu? Unsere Oscar wird bald eine Gräfin sein!“ André wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Diese Nachricht schmerzte ihn. Er suchte den Blick Oscars und sah, dass sie immer noch ihre Amme ungläubig anstarrte. Er räusperte sich und sagte in gezwungen festem Ton: „Das... kommt etwas sehr überraschend. Aber Großmuter, lasst uns erst mal die Pferde versorgen. Sie sind total erschöpft.“ „Ja, natürlich. Ach Lady Oscar, ich freue mich so für euch.“ Beschwingten Schrittes ging sie auf das Haus zu und verschwand darin.

Sekundenlang standen Oscar und André noch draußen. Dann legte André seine Hand auf ihre Schulter und sagte sanft: „Komm Oscar, bringen wir die Pferde rein.“ Langsam löste sich ihre Starre und sie folgte André in den Stall.

Sie konnte nicht glauben, was sie da eben gehört hatte. Warum wollte ihr Vater sie, nachdem er sie ihr ganzes Leben lang als „seinen Sohn“ und Erben behandelte, nun verheiraten? Warum wollte er sie jetzt als Frau sehen? „André, warum hat mein Vater diesem Antrag zugestimmt?“ fragte sie leise. Er nahm ihr den Sattel ab und trug ihn in die Sattelkammer. Resigniert zuckte er mit den Schultern. Er zwang sich, seine Gefühle nicht anmerken zu lassen. „Ich weiß es nicht. Aber was ich mich auch frage: warum Girodel? Hat er dir diesbezüglich irgendwelche Andeutungen gemacht?“ Oscar schüttelte den Kopf. „Nein. Ich dachte immer, er sieht in mir nur den Soldaten und seinen Vorgesetzten. Aber dass...“

Während sie ihre Pferde versorgte, sprach keiner mehr über dieses Thema. Jeder hing seinen Gedanken nach.

Als sie später gemeinsam in der großen Eingangshalle mit dem weiß-schwarzen Marmorboden und dem großen, viel bewunderten Leuchter in der Mitte standen, verabschiedete sich Oscar von André. Sie musste jetzt alleine sein. „Ich gehe gleich auf mein Zimmer. Bitte sag Sophie, ich hätte Kopfschmerzen. Gute Nacht, André.“ Langsam stieg sie die Treppe hinauf. André sah ihr nach. „Ja, das mach ich. Gute Nacht,

Oscar.“ Als sie oben in der Galerie angekommen war, drehte sie sich noch einmal zu ihm um und sah ihn an. „Danke für diesen wunderschönen Tag, André.“ sagte sie und ließ ihn alleine. Der sah wie versteinert zu Boden. Eigentlich hatte er jetzt auch keine Lust mehr auf seine Großmutter.

Dennoch ging er in die Küche. Madame Grandier saß am großen Esstisch mit einem Glas Rotwein und pfiff vergnügt vor sich hin. „Großmutter, Oscar ist gleich zu Bett gegangen. Sie hat auf einmal Kopfschmerzen bekommen.“ Da hörte sie auf zu pfeifen und fragte besorgt: „Soll ich ihr etwas bringen? Einen Tee oder ein Glas Wasser?“ André wehrte ab. „Nein, sie möchte jetzt nur Ruhe. Und ich werde auch schlafen gehen.“ Sophie nickte. „André, glaubst du, sie wird bei der Hochzeit ein Kleid tragen? Ach, mit Sicherheit wird sie das und sie wird wunderschön darin aussehen.“ „Ja, das wird sie.“ antwortete er ihr abwesend. „Gute Nacht, Großmutter.“ „Gute Nacht, André.“

Ebenso langsam wie Oscar vorhin stieg er die Treppen nach oben. An der Tür zu ihrem Zimmer blieb er stehen und legte seine Hand auf das kühle Eichenholz. Einen Moment dachte er, anzuklopfen. Doch er wusste, dass Oscar momentan niemanden sehen wollte. André seufzte tief und ging dann schließlich mit hängendem Kopf auf sein Zimmer.
 

Oscar lag in ihrem Bett und starrte die Decke an. Immer wieder fragte sie sich, wie Girodel dazu kam, sie heiraten zu wollen. -Er müsste doch wissen, dass ich nie eine treusorgende Ehefrau sein kann.- Nach der ganzen Sache mit von Fersen hatte sie entgültig mit der weiblichen Seite in ihr abgeschlossen. Sie wollte nur noch Soldat sein und irgendwann wie ihr Vater General werden. Sie wollte und konnte nicht heiraten. Niemanden...

Sie drehte sich um und sah aus dem Fenster. Der Mond schien hell in ihr Zimmer und malte bizarre Muster auf Boden, Wände und Möbel. „Ich werde ihn nicht heiraten.“ sprach sie leise. „Und das werde ich ihm und Vater auch deutlich zu verstehen geben.“

Nach dem anfänglichen Schock fand sie die ganze Situation einfach nur komisch. Sie und heiraten... Unwillkürlich musste sie lachen. Ihr Vater konnte sie ja schließlich nicht zu einer Heirat zwingen.

Sie stand auf, zog ihr Nachtgewand an und schlief bald darauf ein.
 

André konnte im Gegensatz zu Oscar die halbe Nacht nicht schlafen. Er lag mit seinen Kleidern auf seinem Bett und hatte die Arme unter seinem Kopf verschränkt. Immer wieder tauchte vor seinen Augen ein Bild auf: seine Oscar, in einem wunderschönen weißen Brautkleid und neben ihr ihr Ehemann Graf Victor Clement de Girodel. Dieser Gedanke schmerzte ihn so sehr, dass Tränen seine Wangen hinunter liefen.

Sein Herz brach zum ersten Mal, als Oscar sich in Hans Axel von Fersen verliebte. Nächtelang hatte er wach gelegen und die eine oder andere Träne verdrückt. Viele Nächte hatte er überhaupt nicht geschlafen. In dieser Zeit hatte er Oscar auch zum ersten Mal in einem Kleid gesehen. Für ihn war sie das schönste, was er je gesehen hatte. Nur leider trug sie das Kleid nicht für ihn, sonder für Fersen. Er wusste ja, dass er sich mit einem der angesehensten und schönsten Edelmänner Europas nicht gleichstellen konnte.

Als Oscar dann begriff, dass von Fersen sie nicht liebt, sondern nur Marie Antoinette, keimte in André wieder Hoffnung auf. Hoffnung, dass Oscar sich doch eines Tages in ihn verlieben könnte. Dann könnte er endlich mit ihr zusammen leben statt nur neben ihr her.

Doch wenn Oscar Girodel wirklich heiraten sollte, hatte er sie für immer verloren. Dann war sie die Ehefrau eines Grafen. „Was bin ich denn schon? Ich bin der Sohn eines Zimmermanns, ein Stallbursche. Du könntest dich nie in einen bürgerlichen verlieben, Oscar. Könnte ich doch nur adlig, reich und mächtig sein. Könnte ich doch nur Hans Axel von Fersen sein. Dann würdest du mich lieben. Und dann würde mein Leben das größte Geschenk auf Erden sein.“ sprach er leise.

Er schwor sich, um Oscar zu kämpfen, auch wenn die Liebe zwischen adligen und bürgerlichen gesetzlich verboten war. Sie durfte Girodelle nicht heiraten. Sie liebte ihn ja nicht mal, das wusste er. Für André war Oscar das wichtigste und kostbarste in seinem Leben. Er wollte sie nicht verlieren.

Als der Morgen schon fast graute, fiel André endlich in einen unruhigen Schlaf.

„André!! André, wo steckst du !?!“ tönte es am nächsten Morgen durch das ganze Haus. Sophie Grandier wurde langsam ärgerlich. Sie konnte ihren Enkel nirgendwo finden, weder im Garten, noch im Stall. Er war auch nicht zum Frühstück erschienen. Oscar konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Sophie liebte ihren Enkel, aber sie war auch ziemlich streng mit ihm. Es gab oft Momente, in denen André Oscar leid tat. Und manchmal bezog er auch Prügel von seiner Großmutter, vor allem, wenn sie glaubte, er hätte Oscar nicht genügend beschützt.

„Sophie, sieh doch mal in seinem Zimmer nach. Vielleicht schläft er ja noch.“ meinte Oscar mit einem Grinsen. Sofort raffte Madame Grandier ihre Röcke zusammen und stapfte die Treppen hoch. „Na, der bekommt was zu hören!“ -Gott sei Dank hat sie ihr Nudelholz nicht dabei, dachte Oscar und erinnerte sich daran, als sie André das letzte mal mit dem Stück Holz traktiert hatte.

Sophie stürmte in Andrés Zimmer und sah ihn tatsächlich selig in seinem Bett schlafen. Sie stellte sich vor ihn, die Hände in die Hüften gestemmt. „André! Wach auf!“ Keine Reaktion. Da nahm sie kurzer Hand den Wasserkrug von seinem Tisch und schüttete es über ihren schlafenden Enkel. André riss die Augen auf und schoss in die Höhe. „AHH, Großmutter!! Was soll dass?!“ Mit bösem Blick sah Sophie André an. Dieser schüttele den Kopf und die Wassertropfen flogen durch das Zimmer. „Du fragst allen ernstes, was das soll? Lady Oscar muss nach Versailles und du liegst noch schlafend im Bett. Noch dazu mit einem schmutzigen Hemd! Das muss Rosalie jetzt stundenlang waschen, du Flegel! Jetzt steh schon auf, zieh dir frische Kleidung an und begleite Lady Oscar in den Palast!“ André wusste, dass er seiner Großmutter jetzt nicht widersprechen sollte. Sonst konnte diese Angelegenheit für ihn noch schlimmer ausgehen. Ohne Widerworte stand er auf und zog sein Hemd aus. Da vernahm er an der Tür eine Stimme: „Sophie, sei nicht zu streng zu André.“ Er drehte sich um, das Hemd schon offen und sah in Oscars Augen. „Lady Oscar!“ rief Madame Grandier entsetzt. „Was macht ihr hier? Raus hier!“ Oscar platzte ihrer Meinung nach in eine unmögliche Situation. Energisch schob sie ihre Ziehtochter vor die Tür. Da drehte Oscar ihren Kopf nach einmal nach André um und ihre Blicke trafen sich so intensiv wie noch nie. Und das verwirrte Oscar, als sie alleine im Flur stand und auf André wartete.

Fünf Minuten später kam André zwar umgezogen, aber immer noch nicht wach aus seinem Zimmer. Er sah Oscar nicht an, sondern ging an ihr vorbei. Sie starrte ihm nach und konnte sehen, dass aus seinen langen braunen Haaren, die mit einem hellblauen Band zusammen gehalten wurden, Wasser tropfte. -Was ist nur mit dir los, André? Du warst gestern schon so merkwürdig-. „Komm schon, Oscar! Wir sind eh schon spät dran!“ rief André unwirsch. „Ich komme ja schon.“

Schweigend sattelten sie ihre Pferde und ritten in Richtung Schloss. Oscar konnte sich das Verhalten ihres Freundes nicht erklären und machte sich Sorgen. Er war noch nie so abweisend ihr gegenüber. „André, was ist los? Was hat dir Sophie diesmal angetan?“ Auch diesmal sah er sie nicht an, sondern starrte nur geradeaus. „Es ist nichts, ehrlich.“ Für Oscar klang das nicht überzeugend. „Das stimmt doch nicht. Du hast doch was, sag schon.“ Plötzlich schoss sein Kopf in ihre Richtung und seine Augen funkelten sie böse an. „Es ist nichts, Oscar! Und jetzt lass mich bitte in Ruhe!“ Oscar erschrak bei seinen Worten. Seit sie sich kannten, hatte André noch nie so mit ihr gesprochen. Sie sah den verbitterten Ausdruck in seinem Gesicht. Sie beschloss, nicht weiter nach zu fragen und schwieg. Ihr stand ohnehin noch ein ernstes Gespräch bevor. Sie musste Girodelle klar machen, dass sie ihn nicht heiraten konnte.
 

Das Wetter passte an diesem Tag überhaupt nicht zu Andrés Laune. Die Sonne brannte schon fast unbarmherzig herunter für diesen Monat, keine einzige Wolke war am Himmel zu sehen. Überall hörte man die Vögel singen und die Menschen in Versailles waren sehr fröhlich und lachten ausgelassen, angesteckt von dem sonnigen Maitag. André wäre es lieber gewesen, wenn es aus Strömen geregnet hätte.

Während der wöchentlichen Truppeninspektion stand André etwas abseits. Er beobachtete Oscar. Sie saß stolz und aufrecht auf ihrem Schimmel und jeder Soldat akzeptierte und respektierte sie als Kommandanten. André war sehr stolz auf sie, auch wenn das bedeutete, dass er auf sie verzichten musste.

Sein Blick wanderte zu Girodelle, der neben Oscar stand. Der wiederum warf Oscar die ganze Zeit über vielsagende und Andrés Meinung nach zu zärtliche Blicke zu. -Anscheinend hat er wirklich ehrliche Absichten, dacht er traurig und sah zu Boden. Er konnte den Anblick, seine Oscar neben ihrem zukünftigen Ehegatten nicht mehr ertragen. Er stieg auf sein Pferd und ritt unbemerkt davon.

Der Park von Versailles war zum Glück groß genug, um sich einen versteckten und ruhigen Platz zu suchen. André band sein Pferd an einen Baum und legte sich im Schatten der Blätter ins Gras. Er wusste nicht, wie er die Heirat verhindern konnte. Schließlich konnte er nicht einfach zu Oscar gehen und ihr sagen, dass er sie mehr liebte als irgendetwas sonst auf dieser Welt. Sie würde ihn entweder für total verrückt erklären oder ihm eine reinhauen. Schließlich war sie eine adlige und adlige verliebten sich nicht in bürgerliche. Und selbst wenn sie es tat, müsste sie auf ihren Namen, ihren Titel und Rang und ihre Familie verzichten. Und das würde sie kaum tun. Es sah so aus, als wäre seine Situation aussichtslos. Er musste das jetzt endlich begreifen, auch wenn es ihm das Herz zerriss.
 

Oscar überlegte die ganze Zeit über, wie sie das Gespräch mit Girodel beginnen sollte. Ihr entgingen die Blicke nicht, die er ihr zuwarf. Wenn er wirklich ehrliche Gefühle für sie hegte, wollte sie ihm auch nicht weh tun. Sie mochte Girodelle und schätzte ihn als Soldaten. Aber eine Ehe mit ihm kam für sie nicht in Frage.

Oscar hoffte, nach der Truppeninspektion mit ihm sprechen zu können. Doch danach war noch viel zu tun und Marie Antoinette hatte auch noch was mit ihr zu besprechen. Danach fand sie den Grafen nicht mehr. --Dann verschiebe ich das Gespräch mit Girodelle eben auf morgen und spreche heute mit Vater, dachte sie, als sie ihr Pferd nahm und nach Hause reiten wollte. „André! André, wo bleibst du denn? Reiten wir nach Hause!“ rief sie. Niemand antwortete. Sie sah sich um. André war weit und breit nicht zu sehen.

-Merkwürdig, bei der Inspektion war er doch noch da- Im Hof traf sie auf eine Gruppe ihrer Soldaten. Als diese ihren Kommandanten erblickten, blieben sie stehen und salutierten. Oscar erwiderte den Gruß und fragte: „Habt ihr André irgendwo gesehen?“ Sie schüttelten den Kopf. „Nein, Kommandant!“ Niedergeschlagen ließ sie die Hand sinken. „Danke.“ Langsam ging sie wieder zurück zu ihrem Schimmel und lief mit ihm auf das Tor zu. Vielleicht war André schon voraus geritten. Das sah ihm aber gar nicht ähnlich und die Sorge um ihren Freund kam wieder auf.

Am Tor wartete Girodel mit seinem Pferd auf sie. Der Wind wehte durch sein Haar und er sah Oscar mit seinen großen blauen Augen direkt an. Jetzt konnte sie es ihm endlich sagen. „Erlaubt ihr mir, euch zu begleiten? Ich bitte euch.“ fragte Girodel als erster. Oscar nickte und gemeinsam ließen sie den Palast hinter sich. Der Himmel brannte wie Feuer durch den Sonnenuntergang, sie kamen an ein paar Windmühlen vorbei, deren Flügel durch den aufkommenden Wind fast flogen. Als Girodel zu sprechen anfing, ritt Oscar hinter ihm. „Seit ein paar Monaten, Lady Oscar, kann ich euch nicht mehr vergessen. Ständig ist euer Bild in meinen Gedanken und in meinen Träumen. Tag und Nacht denke ich nur noch an euch. Ich finde keine Ruhe mehr.“ Langsam drehte er seinen Kopf nach Oscar und sah sie an. „Ich möchte, dass ihr meine Frau werdet.“ Er machte eine kleine Pause und fuhr leise fort: „Ich liebe euch, Oscar, von ganzem Herzen.“ Da senkte er den Kopf, schloss die Augen und seufzte. „Ach, das klingt alles so banal, so abgedroschen. Eure Gegenwart verwirrt mich.“ Der Graf blickte wieder nach vorne. „Statt Unfug zu reden, möchte ich mich einfach vor eure Füße werfe. Ich habe nur einen einzigen Wunsch: mein Leben lang euch zu dienen.“ Da beugte er seinen Oberkörper nach vorn, schloss seinen Augen wieder und fasste sich mit der linken Hand ans Herz. Als er sich abermals zu Oscar umdrehte, sah er, dass sie traurig zu

Boden sah. „Ich werde nicht aufhören, euren Vater zu bitten, mir seine Tochter zur Frau zu geben. Ich kann nicht anders. Die Liebe zu euch bestimmt mein ganzes Leben, mein ganzes Denken, mein Sein.“ Da hielt Oscar ihr Pferd an und auch Girodelle wendete sei Pferd in ihre Richtung. „Graf de Girodel, ich halte es für besser, wenn ihr jetzt zurückreitet. Es tut mir sehr leid, aber ich kann euch nicht heiraten. Zwischen uns wird es keine Verbindung geben. Nicht heute und nicht in Zukunft.“ Girodel saß wie erstarrt auf seinem Pferd und starrte sie an. Er hoffte, sich verhört zu haben. „Lady Oscar...“ „Entschuldigt mich. Ich möchte jetzt alleine sein.” Oscar ließ ihr Pferd steigen, ritt schnell davon und ließ den Grafen stehen. Traurig sah er ihr nach. Er hatte noch nie einer Frau seine Liebe gestanden. Er hatte ja auch noch keine Frau so geliebt wie Oscar. Es tat sehr weh, von ihr so zurückgewiesen zu werden. Er musste unbedingt noch einmal mit ihr reden, oder mit ihrem Vater. So nahm er die Zügel in die Hand und ritt ihr langsam hinterher.
 

André war schon seit einer ganzen Weile zu Hause. Zum Glück hatte niemand seine Ankunft bemerkt. Vor allem nicht seine Großmutter. Sie hätte ihm sicher wieder eine übergebraten, da er ohne Oscar zurückkam. Sofort ging er auf sein Zimmer, zog sich um und warf sich auf sein Bett. Und wieder kamen die Tränen.

-Was ist nur los mit mir? Ich spüre mich plötzlich nicht mehr. Ich spüre nur noch diesen Schmerz. Ich habe das Gefühl, als wären mein Körper und meine Seele getrennt. So muss es sein, wenn man tot ist-

Jetzt tat es ihm leid, dass er Oscar am Morgen so behandelt hatte, dass er sie so angefahren hatte. Sie machte sich Sorgen um ihn, das wusste er. Doch er konnte es ihr nicht sagen und versuchte, sich so zu schützen.

Er stand auf, ging zum Fenster und fuhr sich frustriert durch die Haare. Da erblickte er auf dem Hof Girodel. -Was macht der denn schon wieder hier?- Eigentlich mochte er den Grafen, er hat sich bisher immer gut mit ihm verstanden. Doch seit gestern Abend war er für André wie ein rotes Tuch. Verärgert biss er die Zähne zusammen, schnappte sich seinen Degen und ging nach unten.
 

Oscar tat es leid, Girodel einfach so stehen zu lassen. Das hatte er nicht verdient. Das hatte niemand verdient. Immerhin war sie auch schon mal in so einer Situation gewesen. Und es tat unwahrscheinlich weh. Aber ihr war die ganze Sache auf einmal unangenehm. Ihr hatte noch niemand eine Liebeserklärung gemacht. Sie fühlte sich auf einmal so schwach und hilflos. Was würde Girodelle nun tun? Seinen Antrag würde er jedenfalls nicht zurücknehmen, da war sie sich sicher. Also musste sie ihren Vater überreden, dass für sie eine Heirat ausgeschlossen war.

Sie ritt auf den Hof, übergab ihr Pferd dem Kutscher, der gerade ihren Weg kreuzte und lief ins Arbeitszimmer ihres Vaters.

Der General saß eine Pfeiffe rauchend an seinem Schreibtisch, als Oscar eintrat. „Vater? Ich muss was mit euch besprechen.“ General de Jarjayes stand auf und ging auf seine Tochter zu. „Ja, ich auch mein Kind. Setz dich.“ „Ich flehe euch an, den Heiratsantrag von Graf de Girodelle zurückzuweisen. Ich möchte niemanden heiraten. Unter gar keinen Umständen.“ „Bitte reg dich nicht auf. Setz dich hin und las uns in Ruhe über alles reden, meine Tochter.“ „Gut.“ Oscar nickte und setzte sich an den kleinen runden Holztisch. Auf diesem stand eine Vase mit rosafarbenen Rosen. Sie nahm eine aus der Vase und drehe sie in ihren Händen, als ihr Vater plötzlich anfing zu weinen. Er schlug sich die Hände vor sein Gesicht und schluchzte: „Es tut mir leid, Oscar. Vergib deinem Vater, dass er bei deiner Erziehung so jämmerlich versagt hat. Es ist alles meine Schuld. Ich hätte dich nicht wie einen Knaben erziehen dürfen. Ich habe wider der Natur gehandelt und dich unglücklich gemacht. Dieses Vergehen musste sich furchtbar rächen. Ich habe nur Unglück über dich gebracht.“ Er schloss die Augen und aus lauter Gram senkte er den Kopf, die Hände zu Fäusten geballt. „Nein Vater.“ sprach Oscar in sanftem Ton. „Eure Vorwürfe macht ihr euch ganz unnötig. Denn in meinem tiefsten Inneren habe ich mich immer als Frau gefühlt. Und sogar die leidenschaftliche Liebe zu einem Mann habe ich schon kennen gelernt.“ Erstaunt sah ihr Vater bei ihren Worten auf. Damit hätte er nicht gerechnet. Er wollte etwas dazu sagen, doch Oscar fuhr fort: „Nicht den Schatten eines Vorwurfs trage ich euch gegenüber in mir. Sondern ganz im Gegenteil, nur innige Dankbarkeit und Liebe für eure wunderbare Erziehung, die mich stark und mutig gemacht hat.“

Da erhob sich der General von seinem Stuhl gegenüber Oscar, legte seine Hände auf den Tisch und beugte sich zu seiner Tochter. „Nein, Oscar. Du willst mich mit diesen Worten nur beruhigen, du willst mich trösten, sagen, dass das alles nicht wahr ist. Aber ich habe große Fehler gemacht, Oscar. Du bist einer wunderschöne junge Frau in der Blüte des Lebens. Ich will, dass du glücklich wirst.“ Während ihr Vater sprach, zupfte Oscar die Blätter der Rose ab und ließ sie in ihre Hand fallen. „Glücklicher als jede andere.“ sprach General de Jarjayes weiter. „Das hast du verdient, mein Kind. Ich werde alles dafür tun, was in meiner Macht steht. Wenn du Graf de Girodelle nicht magst, werden wir einen anderen Gemahl für dich auswählen. Es geschieht alles nach deinem Wunsch.“ Oscar schloss die Augen, hob ihre Hände an den Mund und blies die Rosenblätter in die Luft. „Wenn ihr mich wirklich glücklich machen wolle Vater, dann lasst mich weiterhin als Soldat leben. Ich möchte eines Tages wie ihr General werden. Ich bin glücklich und ich vermisse nichts. Bitte respektiert das.“ Er nickte mit dem Kopf und Oscar erhob sich.
 

Während Oscar mit ihrem Vater sprach, war André hinaus zu Girodel gegangen. Er war bereit, für Oscar zu kämpfen, so wie er es schon seit ganzes Leben tat.

Bestimmt, aber nicht zu schnell ging er die Treppe des Haupteingangs auf den Grafen zu, seinen Degen versteckte er hinter seinem Rücken. „Guten Abend, André. Wo warst du denn vorhin? Oscar hat dich gesucht.“ begrüßte er André. Doch statt einer Antwort sah André Girodel nur an. Der Ausdruck in seinen Augen gefiel dem Grafen nicht. -Was hat er denn heute nur?- Er ging auf das Schweigen des jungen Mannes nicht ein und stellte eine weitere Frage: „André, weißt du, wo Oscar ist?“ Andrés Gesicht blieb wie versteinert und sein Blick heftete sich auf die Augen seines Gegenübers. „Nein, und selbst wenn ich es wüsste, würde ich es euch bestimmt nicht sagen!“ Girodel zuckte leicht zusammen. Er merkte, dass die grünen Augen Andrés immer feindseliger wurden. „André, was ist los mit dir?“ „Nichts. Aber wenn ihr Oscar wirklich heiraten sollet, garantiere ich für nichts mehr!“ Da ging dem Grafen ein Licht auf. „Ach so ist das, du liebst sie. André, ich mag dich wirklich, aber du bist ein Bediensteter. Du hättest bei Oscar nie eine Chance.“ Das brachte bei André das Fass zum Überlaufen und er zog seinen Degen. „Dann lasst es uns darauf ankommen, Graf!“ Dieser wich erschrocken zurück. „Das ist nicht dein Ernst, André! Du willst um sie kämpfen?“ André ging einen Schritt auf ihn zu. „Ja, das werde ich.“ Er hielt Girodel seinen Degen genau vors Gesicht und starrte in seine Augen. -Er meint es tatsächlich ernst. Gut, soll er sein Duell haben!- André sah, wie die Hand des Grafen an seinen Degen fuhr und ihn zog. „In Ordnung, kämpfen wir. Wenn ich verliere, ziehe ich meinen Antrag zurück. Wenn du verlierst, wirst du dich nie wieder zwischen Oscar und mich stellen.“ André zögerte keine einzige Sekunde. Er wusste, nein er fühlte, dass er gewinnen würde. Für Oscar. Er nickte. „Ach und noch was, Girodel. Das, was ihr wisst, bleibt unter uns. Sagt es Oscar mit keinem Wort.“ „Wie du willst.“

Sie kreuzte ihre Klingen und sahen sich noch einmal mit bösen Blicken an. Beide kämpften sie für eine Sache, für eine Frau. André wusste, dass er im Fechten mit Girodelle mithalten konnte. Und er wusste, dass er ihn besiegen würde.

„Allez!“ rief André und setzte zum Ausfallschritt an. Noch bevor Girodel wirklich wusste, was passierte, hatte André pariert und seine Klinge nach außen weggeschlagen. Der Graf drehte sich um die eigene Achse, riss den Degen zur Seite und verfehlte nur knapp Andrés Schulter. Der wirbelte zur Seite und hielt den Degen in einer Prim. Girodel Klinge rutschte ab und er strauchelte. Keuchend stand er mit hängenden Armen da und starrte André an. Wut kam in ihm hoch. Wut, dass er gegen André nicht ankam

und Wut über André, der scheinbar keine Probleme hatte. „Dir werd ich´s zeigen.“ Murmelte er und legte an Tempo zu. Jetzt bekam André die ganze Kraft Girodel zu spüren. Er war zwei Jahre jünger als der und hatte im Gegensatz zu dem Grafen keine militärische Ausbildung genossen. Aber er würde nicht aufgeben. Er sah Oscar vor seinem Auge und er wusste, worum er kämpfte.

Girodel drehte nach links, hielt seinen Degen nach unten. André schnellte auf ihn zu und versuchte, ihn wegzuschlagen. Sein Gegner parierte und zielte mit der Spitze seiner blankpolierten Waffe auf seine Schulter. André machte zwei schnelle Schritte nach hinten und duckte sich.

Als Oscar aus dem Arbeitszimmer ihres Vaters, hörte sie durch die offene Eingangstür Kampfgeräusche, Degen die klirrten, der Kiesel im Hof knirschte. Auch vernahm sie das Keuchen zweier Männer. Sie ging die Treppe nach unten und sie sah, wie sich André und Girodel einen erbitterten Kamp lieferten. Was war nur in die beiden gefahren? Sie merkte, dass das kein freundschaftlicher Kampf oder ein Training war. Die Augen der beiden machten ihr klar, dass es sich um etwas ernsteres handelte. „André! Girodel! Was soll das! Hört sofort au!“ schrie sie und versuchte, dazwischen zu gehen. Doch André stieß sie weg. „Halte... dich da raus, Oscar! Das ist... eine Sache zwischen Girodel und mir!“ Er hatte sichtlich Mühe zu sprechen. Dieser Kampf verlangte alles von ihm ab. Oscar verstand gar nichts mehr. Sie zog sich zurück und beobachtete den Kampf. Zur Sicherheit lag ihre Hand auf ihrem Degen um notfalls eingreifen zu können.

André drängte Girodelle immer weiter zu dem Brunnen, der in der Mitte des Hofes stand. Mit Mühe wehrte dieser die Attacken seines jüngeren Gegners ab. Als André schon glaubte, Girodel zu Fall zu bringen, wandte der einen Trick an und mit einem Hieb flog Andrés Degen durch die Luft. Ein schneidendes Geräusch erklang, als der Degen knapp neben André in den Boden stach. Oscar hielt die Luft an und André zog wütend seine Waffe aus dem Boden. Nun hatte der Graf wieder die Oberhand, da passierte es: Stoff zerriss, Haut und Muskeln wurden zerschnitten und der süße Duft von Blut lag in der Luft.

André blieb stehen, riss die Augen auf und schrie vor Schmerz. Er ließ seinen Degen fallen und drehte sich langsam zu Oscar um. Sie sah, wie das Blut sein Hemd rot färbte, an seinen Beinen entlang lief und auf den Boden tropfte. „Andre`! Oh mein Gott, André!!!“ schrie sie verzweifelt und rannte auf ihren Freund zu, der sich kaum mehr auf den Beinen halten konnte. Girodel stand fassungslos da. Was hatte er da nur getan? Auch er ließ vor Schreck seinen Degen fallen.

André fühlte sich, als würde sich sein Inneres nach Außen kehren. Er fasste sich an seinen Bauch und fühlte den Riss und das Blut. Als er einen kurzen Moment unaufmerksam war, zog ihm Girodel seinen Degen über den unteren Teil seines Bauches und schlitzte ihn von links nach rechts auf. Das Blut schoss nur so aus der Wunde. Ihm wurde schwarz vor Augen und seine Beine knickten weg. Oscar fing ihn auf und legte ihn vorsichtig auf den Boden. Ihr Gesicht war starr vor Schreck. „André, bitte nicht! Sag doch was! Bitte!“ Ihr Freund fing an zu zittern und die Schmerzen raubten ihm fast den Atem. Oscar zog ihre Uniform-Jacke aus und drückte sie leicht auf seine wunde. „Ich muss die Blutung stillen, André! Bitte halte durch!“ Ihre Augen füllten sich mit Tränen. André sah sie mit weit aufgerissenen Augen an, sein Körper und sein Gesicht spannten sich vor Schmerz immer wieder an. „Os... Oscar... hilf mir!!“ brachte er kaum hörbar hervor. Ein Ruck ging durch ihren Körper und sie sah Girodel an, der immer noch schreckensbleich an der selben stelle stand. „Girodel, verdammt noch mal! Tut was! Holt einen Arzt oder wollt ihr, dass André wegen euch verblutet?!“ schrie sie ihn an. „Ja... Jawohl, Kommandant! Ich beeile mich!“ rief er, rannte zu seinem Pferd und donnerte vom Hof.

Oscar sah wieder zu André. Er hatte seine Augen halb geschlossen, seine Lider flackerten und er keuchte und stöhnte vor Schmerz. Ihren Freund so leiden zu sehen, schnürte ihr die Kehle zu. “André, bitte halte durch! Es ist bald ein Arzt hier!“ Mit letzter Kraft hob er seinen Arm, Oscar ergriff seine Hand und drückte sie fest. „Bitte... verzeih mir, Oscar.“ sprach André mit zusammengebissenen Zähnen. Noch nie hatte er solche Höllenschmerzen erlitten. „Aber warum?“ fragte Oscar und strich mit ihrer freien Hand immer wieder über sein Gesicht. Die Schmerzen wurden fast unerträglich und André spürte, dass er keine Kraft mehr hatte. „Wegen... heute morgen...“ hauchte er. „Aber André, du...“ Da spürte sie, wie sein Arm auf einmal schlaff wurde und sie sah, dass er die Augen geschlossen hatte. Er rührte sich nicht mehr. Ihr Herz setzte für einen Moment aus. Nein, das durfte einfach nicht sein. „André! Bitte mach die Augen auf! ANDRE`!! NEIN!“ Oscar hatte Angst. Verzweifelt schrie sie: „HILFE!! Warum hilft uns keiner?! BITTE! Vater!!“ Ihr rannten die Tränen übers Gesicht.

Da erschien auf dem Treppenabsatz Rosalie. „Lady Oscar, was ist…? Oh mein Gott Andre`! Was ist mit ihm?“ Das Mädchen wurde bleich. „Rosalie, hol meinen Vater!“ Doch sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich hole den Arzt. Doktor Moreau ist gerade hier.“ „Ja, aber beeile dich!“ Sofort rannte sie ins Haus zurück. Rosalie hatte Lady Oscar, seit sie bei den Jarjayes war, noch nie so verzweifelt und hilflos gesehen. Bei

Andrés Anblick traten ihr Tränen in die Augen. Sie sah das Blut auf dem Boden, sein Gesicht, dass zwar reglos und bleich, aber doch starr vor Schreck und schmerzverzerrt war. Er musste unglaubliche Schmerzen haben.

Rosalie hatte den beiden einiges zu verdanken, als sie etwa vor zehn Jahren durch einen Zufall auf Lady Oscar traf. Sie hatte das drei Jahre jüngere Mädchen aus einem Armenviertel von Paris bei sich aufgenommen, als ihre Mutter von der Kutsche einer Adligen getötet wurde. Rosalie schwor sich, ihre Mutter zu rächen, Oscar unterstützte sie dabei. Wie auch bei der Suche nach Rosalies leiblicher Mutter. Dieses Geheimnis, dass sie die Tochter einer Adligen war, erfuhr Rosalie kurz vor dem Tod ihrer Mutter.

Seit dieser Zeit lebte und arbeitete sie bei den Jarjayes und Oscar und André wurden sehr gute Freunde.

Als Rosalie wieder im Haus verschwand, brachen bei Oscar alle Dämme. Hilflos saß sie da und weinte, Andrés Hand immer noch in ihrer. „Bitte, André, halte durch. Lass mich nicht alleine. Ich brauch dich.“ Sanft strich sie wieder über sein Gesicht.

Kaum zwei Minuten später kam Oscars Vater in Begleitung von Doktor Racon, dem Leibarzt de Jarjayes die Treppen runter gerannt. „Oh Gott Oscar! Was ist passiert?“ rief der General während der Arzt neben André kniete und seinen Puls fühlte. Oscar brachte kein Wort heraus, sondern starrte nur in Andrés Gesicht. Sie bemerkte nicht, wie ihr Vater ihre Jacke wegnahm und ganz bleich wurde, als er den Schnitt in Andrés Bauch sah. Auch der Arzt sah die furchterregenden Wunde. „Er lebt!“ meinte er dann nach fast unendlich langen Sekunden. Erst da merkte Oscar, dass sie die ganze Zeit über die Luft angehalten hatte, als sie bei den Worten des Arztes tief ausatmete. Doktor Racon sah den General ernst an. „General, helft mir, ihn in sein Zimmer zu tragen. Ich muss ihn sofort operieren. André hat sehr viel Blut verloren, doch sein Puls ist stabil. Durch die Schmerzen hat er das Bewusstsein verloren.“ Er richtete sich auf und hob Andre unter den Armen an, der General nahm seine Beine und sie trugen ihn über die Treppe nach oben. Oscar blieb an Andrés Seite und hielt weiter seine Hand.

Die beiden Männer legten André vorsichtig in sein Bett. „Rosalie, hol mir bitte ein paar Tücher und eine Schüssel warmes Wasser.“ sagte der Arzt zu dem Mädchen. „Ja, natürlich.“

Dann wandte er sich an Oscar. „Lady Oscar, ich bitte sie, vor der Tür zu warten.“ „Nein! Ich bleibe bei ihm! Er braucht mich!“ rief sie. Ihr Vater legte ihr seine Hände auf die Schulter und zog sie sanft vom Bett hoch, wo sie sich neben André gesetzt hatte. Zärtlich sprach er zu seiner Tochter: „Komm, mein Kind. Du kannst André jetzt nicht helfen. Der Arzt kümmert sich um ihn. Nun komm.“ Widerstrebend ließ sie die Hand ihres Freundes los und flüsterte ihm noch ein “Du schaffst das. Halte durch“ zu und ging mit ihrem Vater aus dem Zimmer. Draußen brach sie weinen in den Armen ihres Vaters zusammen. „Vater, André darf nicht sterben!“ Unentwegt strich der General beruhigend über den Kopf seiner Tochter, die er so aufgelöst, voller Angst und Verzweiflung noch nie gesehen hatte. „Er wird nicht sterben. André ist ein Kämpfer, er steht das durch. Aber wie ist dass den passiert?“ Er brachte Oscar zu einem Stuhl, erleichtert ließ sie sich nieder. „Girodelle und André hatten draußen gekämpft und auf einmal... Girodel zog ihm den Degen... über seinen Bauch.“ Da fuhr sie plötzlich hoch. „Oh Gott, Sophie! Vater, wo ist sie? Sie muss es wissen!“ De General nickte heftig. Da kam Rosalie wieder aus dem Zimmer. „Ah, Rosalie. Sag doch bitte Andrés Großmutter Bescheid. Sie ist in der Waschküche.“ „In Ordnung, General.“ Rosalie sah Oscar traurig und mitfühlend an, dann ging sie die Treppen nach unten.

Tränenüberströmt kam Sophie ein paar Minuten später zu Oscar und ihrem Vater. „Das ist so furchtbar! Wie geht es André?“ Oscar zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Der Arzt ist gerade bei ihm und operiert ihn.“ Erneut brach die alte Dame in Tränen aus. „Oh nein, mein armer Junge!“

Plötzlich rannten zwei Männer die Treppe hoch. „Girodel!“ rief Oscar entrüstet. “Lady Oscar, ich habe den Arzt mitgebracht.“ sagte er ganz außer Atem. „Ja, das ist gut. Ich denke, Doktor Racon kann Hilfe brauchen. Kommt, ich bringe euch zu dem Patienten.“ Der General begleitete den Arzt in Andrés Zimmer.

Oscar sah Girodel feindselig an, doch der Graf hielt ihrem Blick stand. „Wie geht es André?“ „Wie es ihm geht? Wie würde es euch denn gehen, wenn man euch den Bauch aufgeschlitzt hätte?“ Betroffen senkte er seinen Blick. „Es tut mir alles so schrecklich leid. Das war ein tragischer Unfall. Wenn ich könnte, würde ich alles ungeschehen machen.“ Ihm tat es wirklich leid, da er André sehr mochte. „Das hilft ihm jetzt auch nichts. Ihr könnt nur hoffen, dass er das überlebt!“ fuhr Oscar ihn an. Sie trat einen Schritt auf ihn zu, in ihrem Blick sah er nur Wut und Verzweiflung. „Wenn André sterben sollte, mache ich euch dafür verantwortlich!“ Erschrocken wich er zurück. „Das... das ist nicht euer Ernst! André wollte diesen Kampf. Er hat mich herausgefordert.“ Versuchte sich Girodel zu verteidigen. „Was sagt ihr da? Weshalb sollte André so etwas tun?“ „Das fragt ihr ihn am besten selbst. Ich habe ihm versprochen, euch nichts zu sagen.“ „Ich glaube, es ist besser, wenn ihr jetzt geht, Girodel.“ „Aber...“ Doch Oscar drehte sich um. „Ach und noch was. Ihr übernehmt vorerst meinen Posten. Ich bleibe solange bei André, biss es ihm wieder besser geht.“ Girodel nickte, machte auf dem Absatz kehrt und ging langsam nach unten. Er drehte sich noch einmal um. Er wusste, dass er Oscar verloren hatte. Sie würde ihn niemals heiraten. Nicht, nachdem er beinahe ihren besten Freund getötet hätte. André wird in ihrem Leben immer eine besondere Rolle spielen, dachte er traurig, als er auf sein Pferd stieg und nach Hause ritt.
 

Oscar wusste nicht, wie lange sie auf dem Stuhl vor Andrés Zimmer gesessen hatte. Es war bereits stockdunkel, als die beiden Ärzte die Tür öffneten und zu Oscar und dem General raten. Sophie hatte er schon vor einer Weile in ihr Bett gebracht. Sie war außer sich vor Sorge um ihren Enkel und hatte sich in den Schlaf geweint.

Oscar fuhr auf. „Herr Doktor, wie geht es André?“ Doktor Racon sah Oscar ernst an. „Er wird durch-

kommen. Zum Glück wurden keine Organe oder die Bauchschlagader getroffen. Trotzdem hat er sehr viel Blut verloren und er ist noch immer nicht bei Bewusstsein. Aber er wird es schaffen.“ Oscar fiel ein riesiger Stein vom Herzen. Sie hatte wahnsinnige Angst um André. „Ich danke euch. Kann ich zu ihm?“ Der Arzt nickte. „Natürlich.“

Leise öffnete Oscar die Tür und betrat das Zimmer. Langsam ging sie auf das Bett zu. André lag reglos da, sein Gesicht wurde durch zwei Kerzen, die links und rechts neben seinem Bett standen, erhellt. Er war leichenblass, Oscar erschrak. Doch dann hörte sie, dass er zwar flach aber ruhig und gleichmäßig atmete.

Vorsichtig setzte sie sich zu ihm an den Rand des Bettes und sah ihn an. Rosalie hatte ihm ein frisches Hemd angezogen und auch die Bettwäsche gewechselt. Kein einziger Blutfleck war zu sehen. Es war, als würde André nur fest schlafen. Doch Oscar wusste nur zu gut um die Wunde, die nun vernäht und verbunden war.

Tränen traten ihr in die Augen, als sie daran dachte, wie ihr Freund vor ein paar Stunden blutüberströmt in ihren Armen lag und sie aus schmerzverzerrten Augen ansah. „Oh Gott, André. Warum hast du das getan? Warum hast du dich mit Girodelle duelliert?“ flüsterte sie, nahm seine Hand in ihre und drückte sie an ihre tränennasse Wange. Seine Handfläche war so kalt! „Bitte mach die Augen auf, André. Du darfst nicht sterben, hörst du? Du darfst nicht sterben!“

Nur kurz ließ Oscar seine Hand los, um einen Sessel an sein Bett zu holen. Sie setzte sich wieder, nahm seine Hand und blieb die ganze Nacht an seiner Seite.

Mit der Zeit übermannte sie die Müdigkeit und sie schlief erschöpft ein.
 

Als sie am nächsten Morgen erwachte, stand ihre Mutter am Bett. „Oh, guten morgen Mutter.“ Oscar stand auf. „Guten morgen Oscar. Es ist so schrecklich, dein Vater hat es mir erzählt. Wie geht es ihm?“ Traurig sahen beide in das Gesicht des jungen Mannes. „Immer noch unverändert. Auch sein Bewusstsein hat er noch nicht wieder erlangt.“ Madame de Jarjayes ging um das Bett auf ihre Tochter zu. Sie legte ihre Hand auf ihren Arm und sah sie liebvoll an. „Komm, mein Kind. Gehen wir frühstücken.“ „Nein, Mutter. Ich bleibe hier, ich lass ihn nicht alleine.“ „Aber du musst doch was essen. Ich werde Rosalie bitten, dir etwas zu bringen.“ „Danke Mutter.“

Kurz darauf war Oscar wieder alleine mit André. Wieder nahm sie seine Hand in ihre. „Guten morgen, André. Bitte, mach die Augen auf. André, hörst du mich? Bitte!“ Noch nie hatte sie sich so hilflos gefühlt. Sie wusste, dass sie ihm nicht helfen konnte. Sie konnte nur bei ihm bleiben und ihm Kraft geben.

Da klopfte es an der Tür. „Komm herein, Rosalie.“ Das blonde Mädchen brachte ein Tablett mit dem Frühstück für Oscar. „Guten morgen, Lady Oscar.“ „Guten morgen Rosalie. Danke, aber ich habe keinen Hunger.“ Mit einem Seitenblick auf André stellte Rosalie das Tablett auf den Tisch. „Aber ihr müsst was essen, Lady Oscar, bitte.“ Langsam stand Oscar auf und setzte sich an den kleinen Tisch. Sie biss in ein Croissant und trank ihren Tee. „Rosalie, wie geht es Sophie? Schläft sie noch?“ Ihre Freundin nickte. „Ja, die Ärmste macht sich schreckliche Sorgen um André. Ich im übrigen auch. Der Arzt kommt in ungefähr zwei Stunden und wechselt den Verband. Ich... ich lass euch nun wieder alleine.“

Kaum war Rosalie verschwunden, ging Oscar wieder zurück zu André. Liebevoll lächelte sie ihn an und strich sanft über seine Wange. „Ich werde nicht zulassen, dass du stirbst, André. Ich lasse es nicht zu. Ich hab doch nur noch dich.“ flüsterte sie unter Tränen. Wie an einen rettenden Anker klammerte sie sich an seine Hand. Und zum ersten mal bemerkte sie, was für wunderschöne Hände André hatte. Sie waren groß und kräftig aber dennoch schlank und feingliedrig. Sie legte ihre Hand unter seine und ihre zarte weibliche Hand wurde gänzlich von seiner bedeckt. Und plötzlich wurde ihr bewusst, dass ihr Leben genau so war wie diese beiden Hände. Seit Oscar denken konnte, war André an ihrer Seite und beschützte sie, wo er konnte. „Ich kann mich doch nur in Versailles so frei bewegen, weil du immer bei mir bist, mich beschützt. Dafür kann ich dir nicht genug danken. So oft hast du mir schon das Leben gerettet, sogar schon als Kind. Erinnerst du dich? Du warst damals sechs, ich fünf. Wir spielten am unteren See. Fast wäre ich ertrunken,

hättest du mich nicht gerettet und aus dem Wasser gezogen. Als wir miteinander kämpften hast du deine Kraft zurückgehalten, um mich nicht zu verletzen, das weiß ich.“

Seine ganze Kraft spürte sie zum ersten mal, als André sie vor dem von Madame de Polignac manipulier-ten Kronleuchter schützte. Der Leuchter stürzte genau in dem Moment von der Decke, als Oscar die Treppe, über der er hing, runterlief. André rannte auf sie zu und warf sie die Treppe hinunter. Doch er hielt sie so im Arm, dass sie sich nicht wehtat. „Ich danke dir, André. Für alles.“
 

Zwei Stunden später sah Doktor Racon nach André. Er säuberte die Wunde und wechselte den Verband. Während dieser Minuten wartete Oscar wie vergangene Nacht vor seinem Zimmer.

„Lady Oscar, wie geht es meinem André?“ rief auf einmal eine Stimme. Oscar sah zur Treppe. Sophie rannte nach oben. „Oh Sophie! Setz dich. Komm schon.“ Ihre Amme sah furchtbar aus. So hatte Oscar sie noch nie gesehen. Ihre Wangen waren eingefallen, Haarsträhnen lugten unter ihrer weißen Haube hervor und unter ihren Augen, die sie müde und erschöpft ansahen, waren schwarze Ringe zu sehen. Die Ärmste. „Der Arzt ist gerade bei ihm. Aber sein Zustand hat sich nicht verschlechtert.“ Sophie atmete hörbar aus. „Gott sei Dank“

Die Tür ging auf und Doktor Racon trat zu den beiden Frauen. Sofort sprang Sophie von ihrem Stuhl auf. „Herr Doktor, bitte sagen sie, wird meine Enkel überleben?“ „Ich denke ja. Sein Körper ist kräftig und die Wunde hat sich nicht infiziert. Sein Puls ist soweit auch wieder stabil. Wenn er allerdings nicht nach der dritten Nacht wieder zu Bewusstsein kommt, dann...“ Der Arzt sprach nicht weiter. „Nein! Oh mein Gott!“ schluchzte Sophie, sank auf den Stuhl zurück und schlug die Hände vors Gesicht. Auch in Oscar zog sich alles zusammen. Soweit dürfte es nicht kommen! Sie würde es verhindern!

Der Arzt beugte sich zu der alten Dame hinunter und sagte in beruhigendem Ton: „Keine sorge, Madame Grandier. Ich bin sicher, André schafft das. Er ist stark. Falls er Fieber bekommen sollte, gebt ihm das.“ Er drückte ihr ein kleines Fläschchen in die Hand. „Das ist Chinin, ein fiebersenkendes Mittel. Gebt immer nur einen Teelöffel in ein Glas Wasser und flöst es ihm ein.“ Sie nickte kraftlos. Doktor Racon richtete sich auf und drehte sich zu Oscar um. „Ich komme morgen wieder. Auf Wiedersehen, Lady Oscar.“ „Auf Wiedersehen, Doktor. Und habt vielen Dank.“ Sie wandte sich wieder ihrer Amme zu. „Komm, Sophie.“ sagte sie, stützte die aufgelöste Dame und gemeinsam gingen sie zu André.

Sophie setzte sich in den Sessel, in dem vorhin Oscar saß. Sie selbst setzte sich auf den Rand der anderen Seite des Bettes. „Oh mein armer kleiner Junge.“ schluchzte seine Großmutter und strich ihm immer wieder über sein Gesicht und sein Haar. „Ich habe deinen Eltern doch versprochen, auf dich aufzupassen. Du bist doch noch so jung, du hast dein ganzes Leben noch vor dir.“ Sie nahm seine Hand, küsste sie und drückte sie an ihre Wange. „Dein Vater war so stolz, als du geboren wurdest. Er hatte sich so sehr einen Sohn gewünscht. Du solltest den Namen Grandier weiterführen. André, bitte halte durch!“ Oscar schluckte ihre Tränen mühevoll runter. Sie wusste, wenn André sterben würde, wäre das für Sophie das Ende. André war wie ihr eigener Sohn.

„Sophie, erzähl mir von seinen Eltern, bitte.“ Die alte Dame blickte ihre Ziehtochter an. Dann sah sie wieder zärtlich ihren Enkel an und versank in einer anderen Zeit. „Seine Eltern waren wundervolle Menschen und sie liebten André abgöttisch. Er hat so viel von den beiden geerbt. Von seinem Vater, meinem Sohn hat er seinen schönen Mund, die feine gerade Nase. Seine Mutter hatte die selbe weiche helle Haut und sein warmes Lachen. Aber vor allem seine Augen. Marianne, seine Mutter hatte stechend grüne Augen, die meinen Sohn faszinierten. André hat die selben großen leuchtend grünen Augen wie seine Mutter. Aber sie vererbten ihm auch sein großes Herz, seine Güte und die Gabe, en Menschen die er liebt treu und ohne Wenn und Aber zur Seite zu stehen und sie wenn nötig mit seinem Leben zu verteidigen. Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit, Loyalität, das sind Eigenschaften, die seine Eltern ihm gaben. Ich bin so stolz auf alle drei.“

Oscar betrachtete André und plötzlich sah sie ihn in einem ganz anderen Licht. Die Tatsache, dass er ohne Eltern aufwuchs, tat ihr weh. „Wie... wie sind sie ums Leben gekommen?“ fragte sie leise. „Die beiden waren sehr krank. Für einen Arzt hatten sie kein Geld und als sie meines endlich annahmen, war es schon zu spät. An einem Samstagnachmittag wollte ich sie besuchen. Doch als ich kam, lagen sie bereits tot im Bett. André lag neben dem Bett auf dem Boden und schlief.“ Oscar riss die Augen auf. André musste mit fünf Jahren mit ansehen, wie seine Eltern starben. Ihr traten Tränen in die Augen. „Dass... das ist... furchtbar!“ Ihr wurde bewusst, dass André der Stärkere von ihnen beiden war. Was er schon alles durch-stehen musste. Jetzt verstand sie auch, warum er nie über seine Eltern sprach. Die Erinnerung an die beiden musste ihm unwahrscheinlich weh tun.

Die beiden Frauen saßen noch lange so an Andrés Seite, jede hielt eine Hand. Sie sprachen nichts, hingen ihren eigenen Gedanken nach, doch der Inhalt war der selbe: André.

Doch dann stand Madame Grandier auf. „Ich glaube, ich sollte mich so langsam um das Essen kümmern. Der General und seine Frau warten darauf. Ihr sagt mir doch sofort Bescheid, wenn sich sein Zustand verändert.“ Oscar stand ebenfalls auf und legte ihre Hand auf die Schulter ihrer Amme. „Natürlich, Sophie.“ sagte sie sanft. Die alte Dame beugte sich noch einmal über André, küsste ihn auf die Stirn und verließ den Raum.

„Es tut mir so leid, André. Du warst doch noch ein Kind... Und doch bist du so ein wundervoller Mensch geworden.“ flüsterte Oscar.
 

Oscar blieb den ganzen Tag bei André. Sie nahm sich ein Buch aus seinem Regal und las ihm vor. Sie glaubte, sich dadurch ablenken und André wieder zurück holen zu können.

Plötzlich merkte sie, dass sich ihr Freund verändert hatte. Sie stand von ihrem Sessel auf und beugte sich über ihn. Auf seiner Stirn hatten sich Schweißperlen gebildet, seine Haut glühte und er fing an zu zittern. „Um Gotteswillen, André! Du hast ja Fieber!“ Sie erinnerte sich an das Fläschchen, dass der Arzt Sophie gegeben hatte. Es stand auf dem Nachttisch. Sie griff danach und gab einen Teelöffel in das Glas Wasser, das noch von Rosalies Frühstück da stand.

Sie führte das Glas an seinen Mund. „André, du musst das trinken. Das Fieber darf nicht noch weiter steigen.“ Erleichtert sah sie, dass er seinen Mund etwas öffnete. Er hatte sie also gehört. Vorsichtig gab sie ihm das Fiebermittel zu trinken. Danach wischte sie mit einem Handtuch den Schweiß von seiner Stirn und legte ein mit kaltem Wasser getränktes Tuch darüber.

Es war schon weit nach Mitternacht, als André durch das hohe Fieber zu fantasieren begann. Er stöhnte auf und drehte sich von einer Seite auf die andere. Oscar versuchte, ihn zu beruhigen und kühlte ihm immer wieder das Gesicht. Plötzlich murmelte er. „Oscar.“ Vor Freude ließ sie den Lappen, den sie gerade noch in ihren Händen hielt auf den Boden fallen. “Ja, André! Was ist mit dir?“ Doch er reagierte nicht. Er hatte seine Augen noch geschlossen. Nach einer kurzen Zeit sprach er wieder. „Oscar... du darfst... ihn nicht heiraten. Bitte... tu das nicht. Tu... mir das nicht an, bitte.“

Oscar erschrak bei diesen Worten. Was hatte er da eben gesagt? Es klang so verzweifelt. „André, wie meinst du das? Was würde ich dir damit antun? Ich werde Girodelle nicht heiraten, glaube mir.“

Allmählich wurde André ruhiger und das Fieber schien zwar noch nicht zu sinken, aber es stieg auch nicht mehr. In regelmäßigen Abständen gab sie ihm das Chinin und kühlte sein Gesicht und auch die Hände.

Die ganze Zeit dachte sie über seine Worte nach. Auf ihre Frage, wie er das gemeint hat, hatte er nicht geantwortet, sondern war wieder in einen tiefen Fieberschlaf gefallen.

Warum sollte sie André etwas antun, wenn sie Girodel heiraten würde? André war doch ihr bester Freund, oder nicht? Wenn Girodelle wirklich recht hat und André ihn herausgefordert hat, war sie der Grund für den Kampf? Wollte André damit verhindern, dass sie den Grafen heiratet? Aber warum? Sah er in Oscar mehr als nur seine beste Freundin? War er deswegen in letzter Zeit so merkwürdig?

All diese Fragen schwirrten in ihrem Kopf, die Antworten darauf konnte ihr nur André geben. „Bitte André, komm wieder zu dir. Sag mir, was der Grund für den Kampf war.“

Oscar war total erschöpft und so legte sie sich neben André ins Bett, das zum Glück breit genug für sie beide war. Trotzdem konnte sie lange Zeit nicht einschlafen. Sie lag auf der Seite, die Beine angezogen und betrachtete Andrés Gesicht. Er war immer noch sehr blass, er schlief fiebrig. Sein Atem ging stoßweise und seine Augenlider flackerten. Oscar konnte nicht mehr tunt, als beten und bei ihm zu bleiben. Sie hielt Andrés Hand und wartete. Seine Hand war warm und zuckte leicht.

Als der Morgen zu dämmern begann, spürte Oscar die warmen Hände Rosalies auf ihren Schultern. „Lady Oscar... seid ihr denn nicht müde? Ihr solltet mal wieder in eurem eigenen Bett schlafen. Oder habt ihr Hunger? Ihr sitzt jetzt schon den zweiten Tag hier.“

Tatsächlich hatte sie außer bei dem Besuch von Doktor Racon Andrés Zimmer keine Minute verlassen. Sie sah Rosalie nicht an, sondern blickte nur auf ihre mit André verschlungenen Hand. „Nein... ich bleibe hier...“ war ihre dahin gemurmelte Antwort. Rosalie ließ ihr ihren Willen. Leise verließ sie das Zimmer wieder. Sie wusste, dass es nichts nützen würde, Oscar gut zuzureden. André stand ihr näher als ihre Schwestern, auch das wusste sie. Sie beschloss, ihr das Essen später hoch zu bringen.

Es vergingen ganze drei Tage, an denen Oscar fast ununterbrochen an Andrés Bett wachte,

Dann, am Morgen des vierten Tages erwachte André aus seiner Bewusstlosigkeit und sie spürte, wie er plötzlich den Druck ihrer Hand erwiderte. Oscar war sich zuerst nicht sicher, ob sie es sich nur eingebildet hatte. Doch dann öffnete André tatsächlich die Augen!

Das goldene Licht der aufgehenden Sonne floss langsam über die Dächer von Versailles und begann seinen lautlosen Kampf gegen die Nacht. André glitt in die Welt des Bewusstseins, ruckartig, unter Schmerzen

und mit dem deutlichen Gefühl von Übelkeit. Die Schmerzen zerrissen die fieberhaften Traumbilder und weckten ihn schlagartig. Es war, als würden brennende Wiederhacken im wunden Fleisch wühlen und sich immer tiefer graben. Eine Welle des Schmerzes breitete sich in seinem ganzen Körper aus. Er hätte am liebsten ein Jammern von sich gegeben, doch alleine das Luftholen war viel zu schmerzhaft.

Ganz langsam registrierte er seine Umgebung. Und Oscar. Er sah sie neben seinem Bett sitzen, sie hielt seine Hand und sah ihn mit ihren blauen Augen an. Sogleich fühlte er sich etwas besser. Oscar war da... So wie sie immer da war.

Oscar ihrerseits war erleichtert wie nie in ihrem Leben. Ihr Herz klopfte wie wild, als André sie mit seinen grünen Augen ansah. „André, oh Gott bin ich froh! Du hast es geschafft!“ Vor Freude und Erleichterung füllten sich ihre Augen mit Tränen. „Ich hab schon gedacht, ich hätte dich verloren...“ schluchzte sie. André öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Doch alles was er hervorbrachte, war ein leises Krächzen, was Oscar etwas schmunzeln ließ. Er schluckte ein paar mal und versuchte es noch einmal. „Oscar, so schnell wirst du mich nicht los. Hey, warum weinst du?“ Er entzog ihr seine Hand und legte sie an ihre Wange. Mit dem Daumen wischte er sanft ihre Tränen weg. Auf diese Weise hatte André sie noch nie berührt, es war so ungewohnt. Dennoch fühlte sie eine noch nie da gewesene Wärme in ihr.

Oscar sah ihren Freund an und sagte leise: „Als du so voller Blut in meinen Armen lagst und deine Augen sich nicht mehr öffneten... ich dachte, du seist...“ „Schscht, sprich nicht weiter. Ich lebe ja noch.“ Oscar nickte kraftlos, dann lächelte sie. „Dass du mir nie wieder so einen Schrecken einjagst. Ich brauch dich noch.“ Er lächelte zurück. „Ich versprechs dir.“ Peinlich berührt sah Oscar nach unten. „Wie fühlst du dich, André?“ Er richtete sich etwas auf, da durchzuckte ihn wieder dieser unsagbare Schmerz und er stöhnte auf. „Es geht... solche Schmerzen hatte ich noch nie. Und ich fühl mich so ausgezehrt, so schlapp.“ „Kein Wunder, du hattest zwei Tage sehr hohes Fieber. Willst du was trinken?“ Er nickte. Oscar stand auf und holte ein Glas Wasser von dem kleinen Holztisch. „Hier, trink das.“ Dankbar nahm André das Glas und trank.

Langsam ging Oscar zur Tür. „Wo willst du hin?“ fragte André. Sie drehte sich um. „Ich sag den anderen Bescheid, dass du wieder bei Bewusstsein bist.“ „Nein, bitte nicht.“ sagte er schnell. „Kannst du dir vorstellen, was meine Großmutter für ein Theater machen wird?“ Da musste Oscar lachen. „Oh ja. Sie hat sich wahnsinnige Sorgen um dich gemacht. Und in den letzten drei Tagen ist sie noch älter geworden. Sie hat nur noch dich, André.“ „Ich weiß. Aber momentan will ich einfach nur Ruhe.“ „Soll ich gehen?“ „Nein, bitte Oscar, bleib. Komm, setz dich wieder.“ Es klang schon fast flehend. Sie ging zurück zum Sessel und setzte sich.

André sah sie mit seinen grünen Augen an. „Oscar, ich... ahh!“ Da war er wieder, dieser stechende Schmerz und er sog die Luft ein. Erschrocken beugte Oscar sich über ihren Freund. „André, was ist los?“ Doch er schüttelte den Kopf. „Nein, mir geht´s gut, alles in Ordnung.“ Langsam entspannten sich seine Gesichtszüge und auch seine Atmung wurde normaler. „Oscar, ich danke dir.“ Oscar verstand nicht recht. „Wofür?“ Da nahm er ihre Hand. „Dafür, dass du da warst.“ Sie lächelte ihn an. „Ich konnte dich nicht alleine lassen. Weißt du, an was ich denken musste, als ich an deinem Bett saß?“ „Nein.“ „An unsere Kindheit. Du warst immer für mich da, hast mich immer beschützt. Ich wollte dir etwas davon zurückgeben“ durch Oscars Worte traten Tränen in seine Augen. „Danke“ flüsterte er und die beiden sahen sich eine Zeitlang nur an. André konnte sie während seiner Bewusstlosigkeit zwar nicht sehen, aber er spürte, tief in seinem Inneren, dass sie bei ihm bleiben würde. Und das gab ihm die Kraft, zu überleben.

Plötzlich durchbrach ein Klopfen an der Tür diese intensive, warme, beruhigende Stimmung zwischen den beiden. „Herein.“ rief Oscar. „Rosalie betrat mit einem Tablett das Zimmer. „Lady Oscar, das... oh Andre`! Dir geht es wieder besser!“ Schnell stellte sie das Essen auf den Tisch und eilte zum Bett. Sie strahlte André an. „Ich bin ja so froh. Wir hatten alle Angst um dich. Das muss ich deiner Großmutter erzählen!“ rief sie voller Freude und rannte aus dem Zimmer. „Rosalie, warte!“ rief André ihr hinterher, doch sie hörte nichts mehr.

Mit der Ruhe, die er sich so wünschte, war es nun vorbei. Oscar wollte André eigentlich noch auf die Sache mit seinem Fiebertraum ansprechen, doch da rauschte auch schon seine Großmutter ins Zimmer. „Oh André! Ich danke Gott! Du lebst!“ Weinend setzte sie sich in den Sessel, von dem Oscar aufgestanden war. „Ist ja gut, Großmutter. So schnell zwingt mich nichts in die Knie.“ „Tut dir noch was weh? Soll ich dir noch ein Kissen geben? Willst du was trinken oder hast du Hunger?“ Sophie überschlug sich fast und André sah Oscar mit gequält verdrehten Augen an. Sie zuckte mit den Schultern und lächelte ihn an. „Weißt du was? Ich mach dir jetzt eine heiße Brühe. Du musst schließlich wieder zu Kräften kommen.“ meinte Sophie und stand auf. „Aber Großmutter, ich...“ versuchte André sie davon abzuhalten, da er diese Brühe mehr als verabscheute, doch sie schüttelte entschieden den Kopf. „Nichts da. Ich werde schon dafür sorgen, dass du bald wieder auf dem Damm bist.“ Und schon war sie auf dem Weg in die Küche.

Genervt ließ André den Kopf zurückfallen und seufzte. „Oh man. Genau deswegen wollte ich, dass sie es noch nicht erfährt.“ „Es tut mir leid, André.“ „Du kannst doch nichts dafür. Rosalie hat sie ja geholt.“ Oscar grinste. „Ab jetzt wirst du deine Großmutter nicht mehr los.“ Da huschte auch ein Lächeln über sein Gesicht.

Eine Viertelstunde später saß Sophie wieder an Andrés Bett und gab ihm die Brühe. „Oh Großmutter, ich in sehr wohl noch im Stande, selbst zu essen.“ protestierte André. „Du musst dich doch noch schonen.“ meinte seine Großmutter. Als sie ihm den nächsten Löffel geben wollte, schloss er demonstrativ den Mund. „Also entweder, ich darf selbst essen oder gar nicht.“ Sophie riss die Augen auf. „André, was soll das? Ich will mich doch nur um dich kümmern.“ André seufzte. „Das weiß ich. Trotzdem möchte ich selber essen.“ Da stellte sie den Teller auf den Nachttisch und stand au. „Gut, dir scheint es ja wieder so gut zu gehen, dass du die Hilfe deiner Großmutter nicht brauchst.“ André verdrehte die Augen. „Ach Großmutter, so habe ich das doch nicht gemeint.“ „Nein, ist schon gut. Du bist schließlich ein erwachsener Mann und kein Kind mehr. Ich werde später noch mal nach dir sehen.“ sagte sie und ging. Mit hochgezogenen Augenbrauen sah André ihr nach. „Glaubst du, ich habe sie sehr verärgert?“ fragte er Oscar, die das ganze Schauspiel mit einem Grinsen verfolgt hatte. „Ich glaube nicht. Sie liebt dich eben.“ „Das weiß ich. Aber das wird mir momentan einfach zu viel.“
 

Nachmittags kam Doktor Racon vorbei. Auch er war froh, dass es André wieder besser ging. „Lady Oscar hat sich wirklich wunderbar um euch gekümmert, André.“ „Und dafür bin ich ihr auch sehr dankbar.“ Der Doktor stellte seine Arzttasche auf den Tisch und holte ein braunes Fläschchen hervor. „So, ich würde mir gerne noch mal die Wunde ansehen und mit dieser Tinktur abtupfen. Das reinigt die Wunde.“ André nickte und öffnete sein Hemd. „Lady Oscar, darf ich euch noch mal bitten?“ fragte der Doktor. „Natürlich.“ sagte sie und stand auf. Doch da spürte sie eine Hand auf ihrem Arm. „Bitte Oscar, bleib hier.“ Erstaunt sah sie ihren Freund an. „Aber André, ich...“ „Bitte, Oscar.“ Er sah ihr direkt in die Augen und sie sah etwas in seinen grünen Augen, dem sie nicht wiederstehen konnte. Es war etwas, was ihr noch nie zuvor aufgefallen war. Sie nickte. „In Ordnung. Wenn ich euch nicht störe, Doktor?“ „Also wegen mir könnt ihr hier bleiben.“ „Danke.“ hauchte André und Oscar setzte sich zurück in den Sessel. Sie sah zu, wie André fortfuhr, sein Hemd zu öffnen. Er spürte ihre Blicke und sein Innerstes beruhigte sich. Keine Medizin konnte ihm mehr helfen als Oscar.

Gebannt sah sie zu, wie Stück für Stück mehr Haut sichtbar wurde. Schließlich war sein Hemd ganz offen und auch der Verband kam zum Vorschein. Oscar wusste nicht warum, aber sie konnte ihren Blick nicht von Andrés nackten muskulösen Oberkörper nehmen. Sie hatte ihn noch nie so gesehen und sie merkte, wie sie Rot wurde. Sie beobachtete, wie sich bei jedem seiner Atemzüge sein Brustkorb hob und senkte. Sah, wie seine Muskeln unter seiner hellen Haut arbeiteten. -Was ist nur los mit mir? Warum sehe ich ihn so an?- Leicht schüttelte sie den Kopf und versuchte, sich ganz auf den Arzt zu konzentrieren, der mit einer Schere den Verband aufschnitt.

Was darunter zum Vorschein kam, ließ sie zusammenfahren. Und auch Andre` war bestürzt, als er seine Wunde das erste Mal sah. Quer über seinem Bauch war der Schnitt mit einem schwarzen Faden zusammengenäht worden, die Haut an dieser Stelle hatte nicht die typisch rosa Färbung, sondern war eher weiß und es hatten sich blutige Krusten gebildet.

„Es sieht schlimmer aus, als es ist.“ versuchte der Arzt André zu beruhigen. „Ihr hattet echtes Glück. Da keine Muskeln, Organe und auch die Bauchschlagader nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde, ist es „nur“ eine tiefe Fleischwunde. Ich habe alles sorgsam vernäht, allerdings wird eine Narbe zurückbleiben. Ich werde nun mit dieser Tinktur, die aus Alkohol und verschiedenen Kräutern besteht, versuchen, die Krusten vorsichtig zu lösen und die Wunde zu reinigen.“ André nickte. Er ahnte, dass das mit Schmerzen verbunden war. De Arzt beträufelte ein Tuch mit dem Mittel und tupfte vorsichtig die Wunde ab. André zuckte zusammen und zog scharf die Luft ein. „Ahh, das brennt!!“ Mit schmerzverzerrtem Gesicht tastete André blind nach Oscars Hand. Schnell griff sie danach. Es mussten wahnsinnige Schmerzen sein, denn André drückte ihre Hand so fest, dass sie sie nach einer Weile nicht mehr spürte. Andrés Atem ging nur noch stoßweise und bei jeder Berührung durch das Tuch stöhnte er auf. Beruhigend strich Oscar ihm ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Es ist bald vorbei, André.“

Und tatsächlich dauerte es nicht mehr lange und das schlimmste war überstanden. Doktor Racon gab noch eine Salbe auf die Wunde, dann verband er André wieder. Währenddessen hielt Oscar immer noch seine Hand. „So, das war´s. André, ich muss euch bitten, eine Woche lang nicht aufzustehen. Die Naht könnte sonst aufgehen. Nach dieser Woche dürft ihr wieder kürzere Spaziergänge machen, das Reiten muss ich euch allerdings noch für fünf Wochen verbieten. Es wäre zu gefährlich.“ Diese Nachricht gefiel André nicht sonderlich. „Aber Herr Doktor, ich muss reiten. Dass...“ Oscar unterbrach ihn. „André, hast du nicht

gehört? Das Reiten ist noch zu gefährlich. Tu, was der Arzt sagt.“ Doktor RaVon nickte zustimmend. „Hört auf eure Freundin, André. In fünf Wochen kann ich die Fäden ziehen, dann ist die Wunde vollständig verschlossen. Auch dürft ihr euch die nächste Zeit nicht bücken oder etwas schweres heben. Das alles könnte zum Aufbruch führen.“ André seufzte. „Also gut. Ich danke euch, Doktor. Ihr habt mir das Leben gerettet.“ Dankbar schüttelte er dem grauhaarigen Mann die Hand. „Nichts zu danken. Auf Wiedersehen.“ Oscar stand auf. „Darf ich euch noch zu Tür bringen?“ Er schüttelte den Kopf. „Das müsst ihr nicht. Ich finde alleine raus.“ „Auf Wiedersehen, Doktor Racon.“

Immer noch bestürzt sah André an sich herunter auf die nun wieder verbundene Wunde. „Er hat mich aufgeschlitzt wie ein Tier.“ In seiner Stimme mischten sich Wut, Verachtung und Schmerz. Oscar stand am Fenster und blickte nach draußen. „Warum habt ihr gekämpft, Girodel und du? Und stimmt es, dass du ihn herausgefordert hast?“ Bei diesen Fragen fuhr Andrés Kopf hoch. Er konnte es ihr nicht sagen. Vielleicht später, aber jetzt nicht. „Ich... dass kann ich dir im Moment nicht sagen, Oscar. Ich werde es dir erklären, das verspreche ich dir.“ Oscar drehte sich zu ihm um. „In Ordnung. Ich lass dich dann mal alleine. Du brachst Ruhe.“ Er wollte nicht, dass sie ging, doch er wusste nicht, wie er sie aufhalten konnte. Außerdem sah er, wie erschöpft sie war. „Ja, leg dich etwas hin. Dir geht´s auch nicht gut. Ich komm schon zurecht.“

Und zum ersten mal seit vier Tagen ging Oscar wieder in ihr eigenes Zimmer. Sie versuchte, etwas zu schlafen, doch ihre Gedanken kreisten nur um André.
 

***
 

Eine Woche ist seit diesem Tag nun vergangen und André erholte sich gut. Oscar war während dieser Woche immer an seiner Seite. Sie half ihm auch aus dem Bett, als er endlich aufstehen durfte. Sie legte seinen Arm um ihre Schulter und umfasste mit einer Hand seinen Oberkörper. Bei dieser Berührung zitterte ihre Hand. Deutlich spürte sie durch das Hemd die Wärme seiner Haut. -Reiß dich zusammen, Oscar. Das ist doch nur André.-

Sie führte ihn auf den kleinen Balkon, der an sein Zimmer grenzte. „Ah, endlich wieder die Sonne auf dem Gesicht spüren und diese frische Luft zu atmen.“ Genießerisch streckte er sein Gesicht gen Himmel. „Setz dich, André. Du sollst es nicht gleich übertreiben. Ich hole uns Sophies Apfelkuchen und Tee.“
 

Drei Minuten nachdem Oscar gegangen war, ging die Tür auf und Girodel stand in Andrés Zimmer.

Zuerst bekam er einen riesigen Schreck, als er das leere Bett vorfand, doch dann entdeckte er André auf dem Balkon. Er wollte sich bei ihm entschuldigen und nach ihm sehen.

Langsam ging Girodel durch das Zimmer und betrat den Balkon. Er war erleichtert, seinen Freund da sitzen zu sehen. „André, dir geht es wieder besser.“ Überrascht drehte dieser seinen Kopf und sah den Grafen in seiner hellblauen Uniform hinter sich. „Girodel, seid ihr gekommen um zu sehen, ob ich schon tot bin?“ fragte er in einem verachtenden Ton, den der Angesprochene nicht überhörte. Er konnte nicht glauben, was André da sagte. Schnell ging er um ihn herum und stellte sich vor ihn. „André, was soll das? Ich wollte dich um Verzeihung bitten. Es war ein Unfall und es tut mir sehr leid. Glaubst du wirklich, dass ich dich umgebracht oder dir den Tod gewünscht hätte? Du bist immer noch mein Freund.“ André wich dem Blick des Grafen aus und sagte: „Aber dann hättet ihr Oscar heiraten können.“ Da drehte ihm Girodel den Rücken zu, stütze sich mit beiden Händen an der Balustrade ab und sah auf den Hof hinunter. Traurig schüttelte er den Kopf. „Nein, das hätte ich nicht. Sie hätte mich nie geheiratet, da sie mich für deinen Tod verantwortlich gemacht hätte. Außerdem hat sie meinen Antrag kurz vor unserem Kampf abgelehnt.“ „Sie hat was? Warum habt ihr mir das nicht gesagt?“ fuhr André ihn an. Langsam drehte er sich wieder um und fuhr leise fort. „Ich wollte es einfach nicht wahrhaben und hoffte, wenn ich noch mal mit ihr oder ihrem Vater spreche, würde sie ihre Meinung ändern.“ Bedrückt setzte er sich André gegenüber auf einen Stuhl. „Ihre Ablehnung hat sehr weh getan und ich wollte mit dem Kampf den Schmerz unterdrücken. Das es soweit kam, das wollte ich nicht. Es tut mir leid, André. Und um dir zu zeigen, dass ich es ernst meine, werde ich Oscar nie wieder bedrängen und meinen Antrag zurückzuziehen. Ich liebe sie noch immer, aber ich hoffe, dass sie irgendwann deine Liebe erkennt und erwidert. Oscar gehört dir, André. Verzeihst du mir?“ Er streckte seine hand aus. André hatte ihn die ganze Zeit nur angesehen. Seine Worte rührten ihn. Girodelle hatte zwar den Kampf gewonnen, trotzdem verzichtete er auf Oscar.

André deutete ein Lächeln an und nahm Girodel Hand. „Danke, André.“ Erleichtert atmete der Graf aus.

Da betrat Oscar den Balkon. „Girodel! Was tut ihr hier?“ rief sie in überraschtem und gleichzeitig verärgertem Ton. Schnell stand der Graf auf. „Lady Oscar. Ich wollte nach André sehen.“ Etwas zu laut stellte Oscar das Tablett mit dem Kuchen auf den Tisch. „Das habt ihr ja jetzt getan. Verlasst bitte das Haus.“ Wütend sah sie ihn an. Girodel ging nicht darauf ein. „Ob ihr es glaubt oder nicht, ich habe mir wirklich Sorgen um André gemacht.“ „Ach ja. Ihr wart es doch, der ihm diese Verletzung, die ihm beinahe das Leben gekostet hätte, zugefügt hat.“ Sie ballte die Hände zu Fäuste und ging einen Schritt auf ihn zu. „Oscar, nicht.“ mischte sich nun André ein und legte beruhigend seine Hand auf ihren linken Arm. Ver-ärgert sah sie ihren Freund an. „Aber André...“ „Es war ein Unfall, Oscar.“ unterbrach er sie ruhig. „Ich habe ihm verziehen und du solltest das auch tun.“ Oscar sah in seinem Blick, dass er es ernst meinte. Und sie wusste, dass er recht hatte. Langsam entspannte sich ihre rechte Hand und sie streckte sie Girodel hin. „Dann verzeiht ihr mir, Lady Oscar?“ Sie nickte. „Ja.“ sagte sie nur.

Erleichtert verließ der Graf das Palais. Oscar sah ihm vom Balkon aus nach. Sie wollte nun endlich wissen, was der Grund für das Duell war. „André, sag mir bitte, warum hast du mit ihm gekämpft? Was für einen Grund gäbe es für dich, dein Leben auf´s Spiel zu setzen?“ „Du!“ antwortete er schnell und im nächsten Moment biss er sich auf die Zunge. Oscar fuhr herum. „Was?“ Mühsam stand André von seinem Stuhl auf. Jetzt konnte er nicht mehr zurück. Er musste ihr die Wahrheit sagen. Ganz langsam trat er auf sie zu. Mit ruhiger Stimme sagte er: „Du willst den Grund wissen? Gut, Girodel und ich haben um dich gekämpft.“ Oscar riss die Augen auf. Sie verstand das alles nicht. „Aber warum?“ André drehte den Kopf und sah zu dem Stück Wald, das zum Anwesen der Jarjayes gehörte. „Ich konnte nicht zulassen, dass du ihn heiratest. Ich musste das irgendwie verhindern.“ „Warum?“ fragte Oscar noch einmal. Da drehte er sich wieder um und sah ihr direkt in die Augen. „Weil... weil ich dich liebe, Oscar! Ich liebe dich schon so lange. Ich hätte es nicht ertragen, wenn du seine Frau geworden wärst.“ Oscar wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie starrte André nur an. Noch nie waren seine Augen so ernst und entschlossen, und dennoch so sanft und zärtlich.

Behutsam legte André seine Hand auf ihre. Er hatte Angst, sie würde sich zurückziehen, doch sie rührte sich nicht. -Warum sagt sie denn nichts?- Er hatte eine andere Reaktion von ihr erwartet.

Andrés Berührung holte Oscar wieder zurück. Sie sah auf ihre Hände und eine ungewohnte Wärme stieg in ihr auf. Langsam fand sie ihre Stimme wieder. Leise fragte sie: „Seit... seit wann?“ Er war froh, als sie endlich etwas sagte. Seine Stimme war etwas belegt, als er ihr antwortete: „Seit mehr als fünfzehn Jahren.“ Oscar holte tief Luft. Fünfzehn Jahre lang! „Die Nachricht von Girodels Antrag hat mir sehr weh getan.“ fuhr André fort und senkte den Blick. Seine Hand ließ er dort, wo sie war. „An dem Abend, als er noch einmal auftauchte, wusste ich nicht, was ich tat. Ich wusste nur eines: wenn du ihn heiraten würdest, hätte ich dich für immer verloren.“ „Dann stimmt es also. Du hast Girodel herausgefordert.“ André nickte. „Aber ich habe ihm doch schon gesagt, dass ich ihn nicht heiraten werde.“ „Das hat er mir erst heute erzählt und er zieht seinen Antrag zurück.“

André trat noch einen Schritt auf Oscar zu, sodass sie ihren Kopf nach hinten neigen musste, um ihm in die Augen sehen zu können. „Schon einmal hätte ich dich fast verloren. Ich wollte einfach nicht, dass es noch mal passiert. Und ich war wütend. Wütend auf Girodel, da er dich, nur weil er adlig geboren wurde und einen Grafentitel trägt, heiraten kann. Wütend auf deinen Vater, dass er diesem Antrag zugestimmt hat und wütend auf unseren Standesunterschied.“ Er machte eine kleine Pause und sah wieder zu dem kleinen Wald. „Ich wuchs zwar in einem adligen Haus auf, aber ich bin und bleibe ein bürgerlicher. Ich kann dir nie öffentlich meine Liebe zeigen, dir nie einen Antrag machen. Auch wenn ich ein bürgerlicher bin, ist meine Liebe zu dir genauso tief und ehrlich wie die eines Grafen.“ André drehte seinen Kopf wieder und sah Oscar tief in die Augen. „Mein größter Wunsch ist es, mit dir zusammen sein zu können, mit dir mein Leben verbringen zu können. Glaube mir, wenn ich adlig wäre, hätte ich dir schon vor langer Zeit meine Gefühle gestanden. Oscar, ich liebe dich aus tiefstem Herzen und diese Wunde ist der Beweis meiner Liebe zu dir.“ Oscar fing an zu zittern, sein Blick und seine Worte machten sie schwach. Sie hatte das Gefühl, als könnte André in ihr tiefstes Innerstes sehen. Schnell senkte sie den Kopf, entzog ihm ihre Hand und ging an ihm vorbei. „Ich... ich muss jetzt gehen.“ sagte sie und verließ Andrés Zimmer. Er drehte sich um. „Oscar!“ rief er hinter ihr her, doch sie lief weiter, dann hörte er auch schon die Tür zufallen.

André konnte sich ihr Verhalten nicht erklären. Er hatte fest mit einer Ohrfeige gerechnet. Doch er glaubte, eine Träne auf ihrer Wange gesehen zu haben, als sie ging.

Traurig ließ er sich auf seinem Stuhl nieder und kämpfte selbst mit den Tränen. -Ich habe sie vertrieben. Durch mein Geständnis habe ich alles zwischen uns zerstört.-
 

Weinend ließ sich Oscar auf ihr Bett fallen. André liebte sie! Seit fünfzehn Jahren! Fünfzehn Jahre lang hatte er seine Gefühle vor ihr verheimlicht, in ihr immer mehr als seine beste Freundin gesehen und sie hatte es nicht gemerkt. Aber warum wühlten seine Worte sie so auf? Und warum hatte sie sich unter seinem Blick gefühlt wie ein Kaninchen, das vor einem Raubtier steht? Sie hatte gespürt, wie ihre Beine schwach wurden und ihr Herz anfing zu rasen. -Was ist nur mit mir los? Warum habe ich bei André nicht so reagiert wie bei Girodel? Ich brachte vor André fast kein Wort heraus-.

Innerhalb einer Woche hatte sie von zwei Männern ein Liebesgeständnis erhalten. Zwei Männer hatten sich in sie verliebt, obwohl sie sich immer wie ein Mann gab. Girodels Antrag war sehr ritterlich, doch Andrés Worte waren ehrlich und berührten sie auf eine Art und Weise, wie sie es nie für möglich gehalten hätte.

Jetzt wusste sie auch, wie er die Worte aus seinem Fiebertraum gemeint hatte. Die Vorstellung, dass sie Girodel heiraten könnte, schmerzte ihn mehr als alles andere. André wäre für sie bei dem Kampf gestorben.
 

Oscar kam den ganzen Tag nicht mehr aus ihrem Zimmer. Sie wusste nicht mehr, was sie fühlen sollte. Aber vor allem wusste sie nicht, wie sie sich André gegenüber verhalten sollte. Ihr wurde bewusst, dass sie ihm in den letzten 15 Jahren immer wieder weh getan hatte, wenn auch unbewusst. Er hatte wegen ihr heimlich gelitten. Doch jetzt kannte sie seine Gefühle, die er für sie hegte und sie hatte Angst, bei allem was sie sagte oder tat, ihm wieder weh zu tun. André war ihr wichtig. Wie wichtig, hatte sie in den letzten Tagen gemerkt. Aber wie stark waren ihre Gefühle für ihn wirklich? Seit von Fersen hatte sie nicht mehr so unter dem Blick eines Mannes gezittert.
 

André wollte noch einmal mit Oscar reden. Lange stand er vor ihrer Zimmertür und hörte sie offensichtlich weinen. -Oscar, warum weinst du? Ich habe dich mit meinem Geständnis total überrumpelt und es tut mir leid, dachte er traurig, als er sich schließlich dazu entschloss, sie in Ruhe zu lassen. Sie mussten darüber reden, doch André spürte, dass jetzt der falsche Zeitpunkt dafür war. Also ging er zurück auf sein Zimmer. Die wunde war eben noch nicht richtig verheilt und sie fing wieder an zu schmerzen. Doch im Moment schmerzte sein Herz mehr als die Wunde.
 

Oscar konnte die halbe Nacht nicht schlafen. Immer wieder musste sie and André und seine Worte denken. Aber auch an seine Augen und an das Gefühl in ihr, als er sie ansah

Am nächsten morgen stand sie früh auf und zog ihre dunkelrote Uniform mit den vielen Goldtressen an. Sie wollte ihren Dienst wieder antreten, der sie hoffentlich etwas ablenken würde.

Zum ersten mal ritt sie alleine zum Schloss und sich fühlte sich gar nicht wohl dabei. Wahrscheinlich auch deshalb, weil sie André nicht gesagt hatte, dass sie wieder arbeiten wollte. Als sie ging, war er noch nicht wach und insgeheim war sie froh darüber. So musste sie ihm nicht in seine schönen sanften Augen sehen.

Gleich nachdem Oscar im Schloss ankam, wurde sie von Marie-Antoinette begrüßt. Die Königin trug ein wunderschönes hellblaues Kleid. Es war bestickt mit kleinen gelben Blumen. Die Ärmel, der Saum und der Ausschnitt waren aus feinster Spitze. Ihre Haare hatte man zu einem Gebilde aus Federn und Diamanten frisiert. Sie strahlte vor Anmut und wurde non Tag zu Tag schöner, wie eine volkommen erblühte Blume. Als sie Oscar erblickte, strahlte sie über das ganze Gesicht. „Oscar, ich bin ja so froh, euch wieder zu sehen. Ihr wart lange weg. Geht es denn André wieder besser? Ich habe von Graf de Girodelle gehört, er hatte einen schweren Unfall?“ Oscar, die ergeben vor ihr auf die Knie sank, hob den Kopf. „Ich freue mich auch, wieder hier zu sein, Majestät. Ja, es stimmt. André hatte einen schweren Unfall. Er war fast vier Tage ohne Bewusstsein.“ „Um Gottes Willen!“ rief die Königin erschrocken. „Das ist ja furchtbar!“ „Es geht ihm aber wieder besser und er kann auch schon wieder aufstehen.“ „Gott sei Dank. Richtet ihm bitte die besten Genesungswünsche von mit und meinen Mann aus. Wir hoffen, dass wir ihn bald wieder hier begrüßen können.“ „Vielen Dank, Majestät. Ich richte es ihm aus.“

Danach ging sie in ihr kleinen Arbeitszimmer. Als sie den Raum betrat, stand Girodel an ihrem Schreib-tisch. Er sah sie überrascht ab. „Lady Oscar, guten morgen. Ihr wollt den Dienst wieder aufnehmen?“ Oscar streifte ihre Handschuhe ab und legte sie auf den Schreibtisch. Sie wagte es nicht, den Grafen anzusehen. „Guten morgen. Ja, deswegen bin ich hier. Wie ich sehe, hat sich während meiner Abwesenheit einiges an Korrespondenz angesammelt. Wenn ihr mich bitte entschuldigen würdet, Graf?“ „Natürlich.“ erwiderte er und ging.

Oscar setzte sich und atmete erst einmal tief durch. Sie musste sich auf ihre Arbeit konzentrieren und versuchte, André zu verdrängen.

Und das gelang ihr tatsächlich, bis zu dem Zeitpunkt, als sie durch das Tor zum Anwesen ritt. Auf dem Weg vom Schloss hierher ritt sie langsamer als sonst, um die Begegnung mit André hinauszuzögern.

Sie ging gleich zum Stall und versorgte ihr Pferd. Auch da trödelte sie.

André hatte sie von ihrem Fenster aus kommen sehen. Leise ging er zu ihr in den Stall. Er musste mit ihr reden.

Plötzlich spürte Oscar, dass sie nicht mehr alleine war und sie wusste genau, wer hinter ihr stand. Sie spürte Andrés Anwesenheit so intensiv, dass es fast beängstigend war.

„Du bist alleine geritten?“ durchbrach André die Stille. „Ja. Du sollst ja noch nicht reiten.“ Oscar zwang sich, so sachlich wie nur möglich zu klingen. „Wir hätten doch auch die Kutsche nehmen können.“ Andrés Stimme war so sanft, wie sie es noch nie gehört hatte.

Sie drehte sich zu ihm um. „Ich... ich wollte dich nicht wecken und außerdem sollst du dich noch schonen.“ „So schlimm ist es gar nicht mehr.“ entgegnete André und trat näher an sie heran. Schnell nahm Oscar Sattel und Zaumzeug und hängte es an den Haken in der Sattelkammer. Seine Nähe machte sie irgendwie nervös. „Die Königin lässt dir alles Gute ausrichten.“ rief sie ihm über die Schulter zu. „Und sie hofft, dass du bald wieder im Schloss bist.“ „Danke.“ sagte er nur. -Merkwürdig, dachte Oscar, bis gestern konnten wir uns noch alles erzählen und ich konnte ihm ungezwungen in die Augen sehen. Ja, er hat mir gestanden, dass er mich liebt. Aber das ändert doch nichts an meinen Gefühlen zu ihm. Oder etwa doch?-

„Oscar, wir müssen reden.“ sagte André und trat nun neben sie. „Gestern..., ich hätte es dir nicht sagen dürfen. Ich habe dich total überrumpelt und es tut mir leid. Es ist nur so, dass... ich verberge meine Gefühle für dich nun schon so lange. Mein Verstand setzte da wohl aus.“ Oscar hörte ihm zu und starrte auf einen imaginären Punkt an der gegenüberliegenden Stallwand. „Warum hast du mir das nie gesagt?“ fragte sie. „Ich wusste nicht wie und ich wollte unsere Freundschaft nicht zerstören. Was ich ja wohl jetzt getan habe.“ Da sah sie ihn an. „André, du hast nichts zerstört Ich... muss nur etwas darüber nachdenken. Gib mir Zeit.“ „Soviel wie du willst. Oscar, du wirst immer das Wichtigste in meinem Leben sein.“ fast flüsterte er. Ganz langsam näherte sich sein Gesicht ihrem und er küsste sie sacht auf die Stirn. „Gute Nacht, Oscar.“ hauchte er und ging.

Als Oscar Andrés Lippen auf ihrer Haut spürte, erschauerte sie. Zitternd starrte sie ihm hinterher. Sie stand einfach nur da und wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Nie hätte sie gedacht, dass André sie küssen würde.

Doch was sie am meisten verwirrte, war die Tatsache, wie ihr Körper auf diesen Kuss reagierte. Sie spürte, wie ihr Herz und ihr Puls rasten und ihr wurde plötzlich warm.

Mit wackeligen Knien ging sie zurück zu den Pferden. Irgendetwas zog sie zu Andrés Pferd. Gedanken-versunken strich sie über den Hals und die Mähne des Braunen, kraulte seine Nüstern und sah ihm in die dunklen, freundlichen Augen. -Ich erkenne mich nicht mehr wieder. Früher hätte ich ihm für so etwas eine gescheuert, hätte ihn angebrüllt. Aber jetzt... André, was machst du mit mir?-
 

Ganz langsam ging sie ins Haus zurück. Sie hoffte, niemandem zu begegnen und lief schnell in ihr Zimmer. Hunger hatte sie keinen, so sah sie auch nicht mehr in die Küche.

Sie legte sich auf ihr Bett und versuchte, an etwas anderes zu denken. Doch sobald sie die Augen schloss, sah sie André, spürte seine zarten Lippen auf ihrer Stirn.

Seufzend ging sie zu der Waschschüssel, die auf ihrer Kommode stand. Das kühle Wasser klärte ihre Gedanken ein wenig.

Oscar zog sich um und legte sich ins Bett. An Schlaf war jedoch lange nicht zu denken.
 

***
 

In den darauffolgenden fünf Wochen veränderte sich Oscar zusehends. Sie wurde schweigsamer, lachte immer seltener und immer öfter versank sie in Tagträumereien. Wenn sie zu Hause war, stand sie ab und an lange am Fenster und starrte in die Ferne.

Und trotzdem, oder gerade deswegen suchte sie immer wieder die Nähe zu André, mehr als zuvor. Sie freute sich, dass es ihrem Freund von Tag zu Tag besser ging. Mit der Zeit begleitete er sie auch wieder zum Schloss, zuerst nur in der Kutsche. Nachdem Doktor Moreau die Fäden gezogen hatte, durfte er auch wieder reiten. Zwar erst mal langsam, aber beide genossen die nun längeren Ritte jeden Tag. Mit André an ihrer Seite fühlte sich Oscar einfach sicherer und wohler.

Auch André hatte sich verändert. Er schnitt sich, als Zeichen des Neuanfangs seines Lebens, seine langen Haare ab. Oscar musste zugeben, dass es ihr sehr gut gefiel. Sanft umrahmten seine braunen Haare sein Gesicht. Manchmal kam in ihr das Verlangen auf, ihm widerspenstige Haarsträhnen aus dem Gesicht zu streichen.

Sie erschrak über ihre Gefühle. André war ihr bester Freund, wie ein großer Bruder. Doch in letzter Zeit, wenn sie in seine Augen sah spürte sie, wie ihre Knie zitterten, ihr Herz schlug schneller. Und wenn er sie berührte, bewusst oder nur zufällig, brannte ihre Haut. Das waren nicht mehr die freundschaftlichen, brüderlichen Gefühle von früher.

In Andrés Gegenwart blühte Oscar richtig auf. Sie spürte, wie glücklich sie war, wenn er bei ihr war. Wenn sie nachts alleine in ihrem Zimmer war, machte sich in ihr eine Leere breit, die ihr Angst einjagte. Oscar hatte nie vor irgendetwas Angst, doch diese Leere, schien sie fast aufzufressen. Und sie verspürte eine ungemeine Sehnsucht. Sehnsucht nach was?
 

Eines Nachts hielt sie es nicht mehr in ihrem Zimmer aus. Sie beschloss, etwas spazieren zu gehen. Doch eine unsichtbare Macht trieb sie vor Andrés Tür. Ohne nachzudenken drückte sie vorsichtig die Klinke nach unten. Langsam ging sie zu seinem Bett. Der Mond schien direkt auf sein Gesicht. Oscar stand einfach nur da und betrachtete ihren Freund. Und auf einmal war ihre innere Leere wie weggeblasen und sie wurde ganz ruhig.

Langsam streckte sie ihre Hand aus. Sie wollte ihn berühren, doch sie hatte Angst, ihn zu wecken. So fuhr sie die Konturen seines Gesichtes, seine Lippen in der Luft nach. Auf einmal dachte sie an die vier Tage und Nächte zurück, in denen sie hier saß und betete, er würde überleben.

Plötzlich rührte sich André. Schnell zog sie ihre Hand weg, doch er schlief weiter.

Oscar sah André noch einmal an, dann verließ sie mit klopfendem Herzen sein Zimmer. Sie verstand sich selbst nicht mehr.

Warum schlich sie nachts in sein Zimmer?

Warum raste ihr Herz bei seinem Anblick?

Warum lief ihr ein Schauer über den Rücken, wenn sie seine sanfte Stimme hörte?

Warum musste sie fast ununterbrochen an André denken?
 

Der nächste Tag sollte ihr auf all die Fragen Antworten geben.
 

***
 

Dieser Tag Ende Juni war bis dato der heißeste des Jahres. Der Himmel war wolkenlos und die Sonne brannte unbarmherzig herab. Kein Windhauch verschaffte Abkühlung. Zum Glück hatte Oscar dienstfrei und so musste sie sich nicht in ihre enge, schwere Uniform zwingen. Sie trug ein leichtes Seidenhemd und ihre hellgrüne, dünne Hose. Trotz der Hitze beschloss sie, spazieren zu gehen. Sie fühlte sich matt und erschöpft, da sie vergangene Nacht nicht viel geschlafen hatte.

Als sie durch die Tür gehen wollte, wäre sie beinahe über die Hauskatze gestolpert. „He, was machst du denn hier?“ lachte sie. Die schwarz-weiße Katze lag mit allen Vieren von sich gestreckt mitten in der Tür. Oscar ging in die Knie und kraulte sie im Nacken. „Dir ist es draußen wohl auch zu heiß. Keine Lust auf Mäusejagd? Der kühle Marmorboden ist mit Sicherheit angenehmer.“ Dem Tier schien Oscars Sreichelein-heiten zu gefallen, denn schon bald fing es genießerisch an zu schnurren. Lächelnd nahm Oscar die Katze auf ihren Arm und ging mit ihr in den Garten.

Da vernahm sie ein leises, heiteres Pfeifen. Es kam vom Stall. Leise folgte sie der Melodie. Vorsichtig spähte sie um die Hausecke und auf einmal setzte ihr Herz kurz aus. André hatte den Schimmel von Oscar aus dem Stall geholt und strigelte ihn. Nur, wie er da stand... Oscar ließ ihren Blick an ihm auf und ab gleiten, immer wieder. Er trug seine enge, braune Hose, die er sich bis über die Knie hochgezogen hatte, barfuss stand er auf der kleinen Wiese.

Doch ihr Blick blieb an seinem nackten, muskulösen Oberkörper hängen. Er trug kein Hemd und sein schweiß bedeckter Körper glänzte in der Sonne. André stand mit dem Rücken zu ihr, so konnte sie bei jeder Bewegung die Muskeln an seinen Oberarmen und seine Schulterblätter beobachten. Ihr Blick wanderte weiter, über seine breiten Schultern hinunter zu seiner Taille. Da drehte er sich um und klopfte die Bürste aus. Schnell drückte sich Oscar näher an die Hauswand. Wieder spürte sie ihren Puls rasen. Und da sah sie seine Narbe, der Beweis seiner Liebe zu ihr. Sie war noch etwas dunkler, als die restliche Hat, aber sie war schön verheilt. Mit der Zeit wird sie immer mehr verblassen, hatte Doktor Racon gesagt. André spürte schon ast nichts mehr, doch Oscar tat es immer noch weh. Sie wusste, dass sie der Grund für den Kampf und die Verletzung war und sie hatte Schuldgefühle.

Oscar schüttelte den Kopf und vertrieb die schlechten Gedanken. Ihr tat es gut zu sehen, dass es André wieder so gut ging.

André wandte sich wieder dem Pferd zu, dass immer unruhiger wurde. Es warf den Kopf hin und her und tänzelte nervös auf der Stelle. Langsam und beruhigend strich er immer wieder über den kräftigen Hals und flüsterte ihm leise Worte ins Ohr, dabei lächelte er zärtlich. Schließlich beruhigte sich der Hengst wieder und ließ sich weiter striegeln. André konnte sehr gut mit Pferden umgehen, er hatte einen sechsten Sinn für diese Tiere. Sie vertrauten ihm, so wie Oscar ihm vertraute. Sie beobachtete seine Hände und automatisch schloss sie die Augen. Sie stellte sich vor wie es wäre, wenn André sie so berühren würde, sie so ansehen würde. Sie stellte sich vor wie es sein musste, seine Haut zu berühren...

Ein kräftiger Biss der Katze in ihre Hand holte sie zurück in die Wirklichkeit. „Ah, du kleines Biest!“ stieß Oscar leise hervor und sofort sprang das Tier von ihrem Arm. Der kleine Schmerz ließ aber sofort nach, als sie ihre Aufmerksamkeit wieder André zuwandte. Er streckte sich und sagte zu dem Pferd: „Ist das heiß heute, fast unerträglich.“ Da griff er nach dem Eimer Wasser, der im Schatten des Stalles stand. Oscar riss die Augen auf, denn im nächsten Moment schüttete sich André das kühle Wasser über den Kopf. „Ahh, tut das gut!“ rief er. Das Wasser bahnte sich seinen Weg über sein Gesicht, seinen Hals, lief über seine Schultern und die Brust. Mit den Händen fuhr er sich durch die nassen haare. Belustigt sah er den Schimmel an, der mit seinem Kopf auf den Eimer deutete. „Nichts da. Du hattest deine Abkühlung heute schon.“ lachte er.

Als Oscar André so sah, merkte sie, dass sie ihn zum ersten mal als Mann ansah und nicht nur als den Freund aus Kindertagen. Ein Kribbeln breitete sich in ihrem ganzen Körper aus und ihr wurde heiß und kalt zugleich. „André...“ hauchte sie leise. Das Kribbeln wurde zu einem Beben, das ihren ganzen Körper erfasste. Diese Gefühle waren ihr so fremd. Sie spürte, wie ihre Knie nachgaben. Mit der rechten Hand stützte sie sich an der Hauswand ab und legte ihr erhitztes Gesicht an den kühlen Stein.
 

Plötzlich legten sich kühle Hände auf ihre Schultern. Erschrocken fuhr Oscar herum und starrte in die freundlichen Augen ihrer Mutter. „Mutter, habt ihr mich erschreckt!“ sagte sie etwas zu laut. Madame de Jarjayes wich einen Schritt zurück. „Entschuldige, das wollte ich nicht. Ich sah dich an der Hauswand lehnen. Geht es dir nicht gut?“ Was sollte sie ihrer Mutter dazu jetzt sagen? Sie konnte ihr nichts von dem Herzrasen, den Hitzewellen oder ihren Träumen erzählen. Oscar atmete tief durch und antwortete: „Doch, mir geht es bestens. Ihr müsst euch keine Sorgen machen, Mutter.“ Erleichtert sah Madame de Jarjayes ihre Tochter an. Doch so wirklich konnte sie ihr nicht glauben. Selten hatte sie Oscar so verwirrt gesehen. „Das freut mich.“ Sie sah kurz an Oscar vorbei, da erblickte sie André, wie er mit nacktem Oberkörper Oscars Pferd putzte. War es etwa André, der Oscar so verwirrte? „Ach, da ist ja André. Er kümmert sich rührend um die Pferde.“ In dem Gesicht ihrer Tochter veränderte sich etwas, als sie das Gespräch auf André lenkte. Oscars Blick wurde mit einem mal sanfter und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Ja, das tut er.“ Stimmte sie ihrer Mutter zu. Diese sah noch einmal zu André. „Er ist wirklich ein hübscher Mann gewor-

den.“ Errötend senkte Oscar den Kopf, erwiderte jedoch nichts. Ihre Mutter fuhr fort: „Ich verstehe nicht, warum e noch keine Frau gefunden hat. Er ist doch schon fast 31 Jahre alt. In Paris müssten ihm die Frauen doch hinterherlaufen. Sogar einige Damen aus Versailles wären ihm gegenüber nicht abgeneigt. Auch habe ich ihn noch nie von einer Frau sprechen hören.“ -Weil er nur mich liebt., dachte Oscar und sie spürte, wie Tränen in ihr aufstiegen. „Das weiß ich leider auch nicht, Mutter. Entschuldigt mich bitte.“ murmelte sie und rannte ins Haus.

Sorgenvoll sah Madame de Jarjayes ihrer Tochter nach. Sie hatte also recht. Seit Andrés Unfall hatte sich Oscar sehr verändert. Ihr entgingen die Blicke nicht, die sie ihrem Freund zuwarf, wenn er nicht hinsah. Sie bemerkte, wie anders, fröhlicher sie war, wenn sie mit André zusammen war. Aber auch, wie traurig und bedrückt, wenn er nicht da war.

Was André für Oscar empfand, wusste sie schon seit längerem. Sie hatte es ihm angemerkt. Nun wusste sie, dass ihre Tochter ähnlich fühlte. Er war für sie nicht mehr nur ihr Freund aus Kindertagen und Fechtpartner. -Oscar, mein Kind. Ich wünsche dir nichts mehr, als dass du glücklich wirst. Keinem anderen

Mann würde ich dich lieber geben, als André. Ihr werdet es nicht leicht haben. Euch werden viele Steine in den Weg gelegt werden. Doch ich hoffe, dass ihr eines Tages zueinander finden, diese Hindernisse überwinden werdet und eure Liebe leben könnt-.

Noch einmal sah sie zu André, dann ging sie ebenfalls ins Haus.
 

Oscar rannte die Treppen nach oben und stürzte in ihr Zimmer. Mit immer noch heftig klopfendem Herzen lehnte sich sich von innen an die Tür. -Ich hätte André nicht beobachten dürfen. Diese schwache, weibliche Seite in mir wollte ich doch für immer verbannen. Warum gelingt mir das nicht mehr? Es ist fast so, als hätte sch André in meine Gedanken, meine Träume gebrannt. Ich kann an nichts anderes mehr denken als an André.-

Langsam trat sie auf den Balkon und setzte sich in einen Stuhl. Ihre Beine legte sie auf einen Hocker, den sie an den Stuhl stellte. Oscar schloss die Augen und versuchte, an nichts zu denken. Sie wollte nur die Ruhe genießen und konzentrierte sich auf ihren wieder ruhiger werdenden Herzschlag.

Dieser Tag Ende Juni war bis dato der heißeste des Jahres. Der Himmel war wolkenlos und die Sonne brannte unbarmherzig herab. Kein Windhauch verschaffte Abkühlung. Zum Glück hatte Oscar dienstfrei und so musste sie sich nicht in ihre enge, schwere Uniform zwingen. Sie trug ein leichtes Seidenhemd und ihre hellgrüne, dünne Hose. Trotz der Hitze beschloss sie, spazieren zu gehen. Sie fühlte sich matt und erschöpft, da sie vergangene Nacht nicht viel geschlafen hatte.

Als sie durch die Tür gehen wollte, wäre sie beinahe über die Hauskatze gestolpert. „He, was machst du denn hier?“ lachte sie. Die schwarz-weiße Katze lag mit allen Vieren von sich gestreckt mitten in der Tür. Oscar ging in die Knie und kraulte sie im Nacken. „Dir ist es draußen wohl auch zu heiß. Keine Lust auf Mäusejagd? Der kühle Marmorboden ist mit Sicherheit angenehmer.“ Dem Tier schien Oscars Sreichelein-heiten zu gefallen, denn schon bald fing es genießerisch an zu schnurren. Lächelnd nahm Oscar die Katze auf ihren Arm und ging mit ihr in den Garten.

Da vernahm sie ein leises, heiteres Pfeifen. Es kam vom Stall. Leise folgte sie der Melodie. Vorsichtig spähte sie um die Hausecke und auf einmal setzte ihr Herz kurz aus. André hatte den Schimmel von Oscar aus dem Stall geholt und strigelte ihn. Nur, wie er da stand... Oscar ließ ihren Blick an ihm auf und ab gleiten, immer wieder. Er trug seine enge, braune Hose, die er sich bis über die Knie hochgezogen hatte, barfuss stand er auf der kleinen Wiese.

Doch ihr Blick blieb an seinem nackten, muskulösen Oberkörper hängen. Er trug kein Hemd und sein schweiß bedeckter Körper glänzte in der Sonne. André stand mit dem Rücken zu ihr, so konnte sie bei jeder Bewegung die Muskeln an seinen Oberarmen und seine Schulterblätter beobachten. Ihr Blick wanderte weiter, über seine breiten Schultern hinunter zu seiner Taille. Da drehte er sich um und klopfte die Bürste aus. Schnell drückte sich Oscar näher an die Hauswand. Wieder spürte sie ihren Puls rasen. Und da sah sie seine Narbe, der Beweis seiner Liebe zu ihr. Sie war noch etwas dunkler, als die restliche Hat, aber sie war schön verheilt. Mit der Zeit wird sie immer mehr verblassen, hatte Doktor RaVon gesagt. André spürte schon ast nichts mehr, doch Oscar tat es immer noch weh. Sie wusste, dass sie der Grund für dien Kampf und die Verletzung war und sie hatte Schuldgefühle.

Oscar schüttelte den Kopf und vertrieb die schlechten Gedanken. Ihr tat es gut zu sehen, dass es André wieder so gut ging.

André wandte sich wieder dem Pferd zu, dass immer unruhiger wurde. Es warf den Kopf hin und her und tänzelte nervös auf der Stelle. Langsam und beruhigend strich er immer wieder über den kräftigen Hals und flüsterte ihm leise Worte ins Ohr, dabei lächelte er zärtlich. Schließlich beruhigte sich der Hengst wieder und ließ sich weiter striegeln. André konnte sehr gut mit Pferden umgehen, er hatte einen sechsten Sinn für diese Tiere. Sie vertrauten ihm, so wie Oscar ihm vertraute. Sie beobachtete seine Hände und automatisch schloss sie die Augen. Sie stellte sich vor wie es wäre, wenn André sie so berühren würde, sie so ansehen würde. Sie stellte sich vor wie es sein musste, seine Haut zu berühren...

Ein kräftiger Biss der Katze in ihre Hand holte sie zurück in die Wirklichkeit. „Ah, du kleines Biest!“ stieß Oscar leise hervor und sofort sprang das Tier von ihrem Arm. Der kleine Schmerz ließ aber sofort nach, als sie ihre Aufmerksamkeit wieder André zuwandte. Er streckte sich und sagte zu dem Pferd: „Ist das heiß heute, fast unerträglich.“ Da griff er nach dem Eimer Wasser, der im Schatten des Stalles stand. Oscar riss die Augen auf, denn im nächsten Moment schüttete sich André das kühle Wasser über den Kopf. „Ahh, tut das gut!“ rief er. Das Wasser bahnte sich seinen Weg über sein Gesicht, seinen Hals, lief über seine Schultern und die Brust. Mit den Händen fuhr er sich durch die nassen haare. Belustigt sah er den Schimmel an, der mit seinem Kopf auf den Eimer deutete. „Nichts da. Du hattest deine Abkühlung heute schon.“ lachte er.

Als Oscar André so sah, merkte sie, dass sie ihn zum ersten mal als Mann ansah und nicht nur als den Freund aus Kindertagen. Ein Kribbeln breitete sich in ihrem ganzen Körper aus und ihr wurde heiß und kalt zugleich. „André...“ hauchte sie leise. Das Kribbeln wurde zu einem Beben, das ihren ganzen Körper erfasste. Diese Gefühle waren ihr so fremd. Sie spürte, wie ihre Knie nachgaben. Mit der rechten Hand stützte sie sich an der Hauswand ab und legte ihr erhitztes Gesicht an den kühlen Stein.
 

Plötzlich legten sich kühle Hände auf ihre Schultern. Erschrocken fuhr Oscar herum und starrte in die freundlichen Augen ihrer Mutter. „Mutter, habt ihr mich erschreckt!“ sagte sie etwas zu laut. Madame de Jarjayes wich einen Schritt zurück. „Entschuldige, das wollte ich nicht. Ich sah dich an der Hauswand lehnen. Geht es dir nicht gut?“ Was sollte sie ihrer Mutter dazu jetzt sagen? Sie konnte ihr nichts von dem Herzrasen, den Hitzewellen oder ihren Träumen erzählen. Oscar atmete tief durch und antwortete: „Doch, mir geht es bestens. Ihr müsst euch keine Sorgen machen, Mutter.“ Erleichtert sah Madame de Jarjayes ihre Tochter an. Doch so wirklich konnte sie ihr nicht glauben. Selten hatte sie Oscar so verwirrt gesehen. „Das freut mich.“ Sie sah kurz an Oscar vorbei, da erblickte sie André, wie er mit nacktem Oberkörper Oscars Pferd putzte. War es etwa André, der Oscar so verwirrte? „Ach, da ist ja André. Er kümmert sich rührend um die Pferde.“ In dem Gesicht ihrer Tochter veränderte sich etwas, als sie das Gespräch auf André lenkte. Oscars Blick wurde mit einem mal sanfter und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Ja, das tut er.“ Stimmte sie ihrer Mutter zu. Diese sah noch einmal zu André. „Er ist wirklich ein hübscher Mann gewor-

den.“ Errötend senkte Oscar den Kopf, erwiderte jedoch nichts. Ihre Mutter fuhr fort: „Ich verstehe nicht, warum e noch keine Frau gefunden hat. Er ist doch schon fast 31 Jahre alt. In Paris müssten ihm die Frauen doch hinterherlaufen. Sogar einige Damen aus Versailles wären ihm gegenüber nicht abgeneigt. Auch habe ich ihn noch nie von einer Frau sprechen hören.“ -Weil er nur mich liebt, dachte Oscar und sie spürte, wie Tränen in ihr aufstiegen. „Das weiß ich leider auch nicht, Mutter. Entschuldigt mich bitte.“ murmelte sie und rannte ins Haus.

Sorgenvoll sah Madame de Jarjayes ihrer Tochter nach. Sie hatte also recht. Seit Andrés Unfall hatte sich Oscar sehr verändert. Ihr entgingen die Blicke nicht, die sie ihrem Freund zuwarf, wenn er nicht hinsah. Sie bemerkte, wie anders, fröhlicher sie war, wenn sie mit André zusammen war. Aber auch wie traurig und bedrückt, wenn er nicht da war.

Was André für Oscar empfand, wusste sie schon seit längerem. Sie hatte es ihm angemerkt. Nun wusste sie, dass ihre Tochter ähnlich fühlte. Er war für sie nicht mehr nur ihr Freund aus Kindertagen und Fechtpartner. -Oscar, mein Kind. Ich wünsche dir nichts mehr, als dass du glücklich wirst. Keinem anderen

Mann würde ich dich lieber geben, als André. Ihr werdet es nicht leicht haben. Euch werden viele Steine in den Weg gelegt werden. Doch ich hoffe, dass ihr eines Tages zueinander finden, diese Hindernisse überwinden werdet und eure Liebe leben könnt-.

Noch einmal sah sie zu André, dann ging sie ebenfalls ins Haus.
 

Oscar rannte die Treppen nach oben und stürzte in ihr Zimmer. Mit immer noch heftig klopfendem Herzen lehnte sich sich von innen an die Tür. -Ich hätte André nicht beobachten dürfen. Diese schwache, weibliche Seite in mir wollte ich doch für immer verbannen. Warum gelingt mir das nicht mehr? Es ist fast so, als hätte sch André in meine Gedanken, meine Träume gebrannt. Ich kann an nichts anderes mehr denken als an André.-

Langsam trat sie auf den Balkon und setzte sich in einen Stuhl. Ihre Beine legte sie auf einen Hocker, den sie an den Stuhl stellte. Oscar schloss die Augen und versuchte, an nichts zu denken. Sie wollte nur die Ruhe genießen und konzentrierte sich auf ihren wieder ruhiger werdenden Herzschlag.
 

Nachdem André die Pferde versorgt und geputzt hatte, wusch er sich den Staub, die Hitze und den Schweiß vom Körper. Als das Wasser zum zweiten mal an diesem Tag an seinem Körper entlang lief, dachte er an Oscar. Er hatte sie den ganzen Tag noch nicht gesehen und doch hatte er das Gefühl, dass sie bei ihm war, dass sie an ihn dachte.

Er zog sich an und lief zu seiner Großmutter in die Küche. Doch statt ihrer fand er Rosalie, die durch den Raum wirbelte. „Rosalie, wo ist meine Großmutter?“ Sofort blieb die junge Frau stehen. „Ah, André. Sie hat sich etwas hingelegt. Die Hitze tat ihr nicht gut. Sie schläft, vor ein paar Minuten habe ich nach ihr gesehen.“ André seufzte. „Sie sollte nicht mehr so viel arbeiten. Immerhin ist sie nicht mehr die jüngste.“ Rosalie lachte. „Sag das mal Sophie. Die lässt sich das Zepter hier nicht so schnell aus der Hand nehmen.“ „Da hast du recht.“ entgegnete André mit einem Grinsen. „André, könntest du bitte Lady Oscar Bescheid geben? In einer viertel Stunde gibt es Abendessen.“ sagte Rosalie, während sie das herrlich duftende Brot aufschnitt. „Natürlich, mach ich.“ Und sofort verschwand er.
 

Er vermutete Oscar ich ihrem Zimmer. So ging er die Treppen nach oben und klopfte an ihre Tür. „Oscar? Oscar, bist du da?“ rief er. Niemand antwortete. Vorsichtig öffnete er die Tür und trat ein. Oscar war nirgends zu sehen. „Oscar?“ rief er noch einmal.

Er sah auf den Balkon. Oscar saß auf einem Stuhl und schlief. Ihre langen, schlanken Beine lagen auf einem Hocker, ihre zarten Hände hatte sie über dem Bauch gefaltet. Zärtlich betrachtete er sie. Ein leichtes Lächeln zierte ihr Gesicht, ihr Mund war leicht geöffnet. Das blonde Haar umrahmte ihr Gesicht wie flüssiges Gold. Gleichmäßig, bei jedem Atemzug hob und senkte sich ihre Brust. Oscar strahlte soviel Ruhe aus. -Sie sieht aus wie ein Engel. Ach Oscar, nach außen bist du immer so unnahbar, gibst dich stark und lässt keine Gefühle zu. Doch ich weiß es besser. In deinem Inneren bist du so zart und verletzlich wie eine Rose.-

Er musste sie berühren. Ganz leicht strich André über ihre Wange, fuhr mit dem Daumen über ihre weichen Lippen.

Fast zu spät bemerkte er, wie ihre Augenlider flackerten. Schnell zog er seine Hand weg, im nächsten Moment öffnete Oscar ihre Augen.

Als Oscar erwachte, blickte sie in das zärtlichste und Gesicht, dass sie jemals gesehen hatte. Sie hatte das Gefühl, in Andrés grünen Augen zu versinken. Und auf einmal spürte sie wieder dieses Zittern und Beben in ihrem Körper. „André...“ Ihre Stimme war noch leicht belegt. Liebevoll lächelte er Oscar an. „Na, ausgeschlafen?“ fragte er. Oscar erwiderte sein Lächeln. „Diese Hitze macht einen richtig müde.“ antwortete sie und nahm ihre Beine von dem Hocker, auf den sich sogleich André setzte. „Da scheinst du nicht die einzige zu sein. Sophie schläft auch.“ „Was? Sophie schläft?“ André nickte. „Rosalie hat sie ins Bett beordert.“ Da musste Oscar lachen. „Es ist schön, dich wieder Lachen zu sehen, Oscar.“ platzte André heraus. Sofort verstummte Oscar und sie sahen sich einen endlos langen Moment nur an.

Oscar dachte wieder daran zurück, wie sie André heute beobachtet hatte, rief sich seine glatte, von Schweiß und Wasser glänzende Haut in Erinnerung. Sein Gesicht ist durch die Sonne etwas dunkler geworden und seine Augen strahlten.

Doch dann räusperte sich André: „Ich... Rosalie bat mich, dir bescheid zu geben, wegen dem Abendessen.“ Verlegen sah Oscar auf ihre Hände. –Hoffentlich sieht André meine zitternden Hände nicht... Bitte André, sieh mich nicht so an...-

„Ja,... ich werde... mir nur noch was frisches anziehen.“ stammelte Oscar und erhob sich von ihrem Stuhl. Plötzlich wurde ihr schwarz vor Augen und in ihrem Kopf drehte sich alles. André erschrak, als er sah, wie Oscar schwankte. Er sprang auf und hielt sie fest. „Oscar! Was ist los?“ fragte er tonlos. Er fasste sie um die Taille und drückte sie fest an sich. Ihre rechte Hand schloss sich fest um seinen Arm. „Nichts. Mir... ich bin wohl zu schnell aufgestanden.“ Schwach ließ sie ihren Kopf an seine Brust sinken und legte den linken

Arm um seine Hüfte. André durchzuckte es wie einen Blitz. Oscar war ihm noch nie so nahe gewesen.

Unwillkürlich drückte er sie noch fester an sich.

Langsam ließ das Schwindelgefühl in ihrem Kopf nach, trotzdem vergrub Oscar ihr Gesicht weiter an Andrés Brust. Sie konnte seinen schnellen Herzschlag spüren. Sein Herz, das nur für sie schlug. Beruhigend, ja fast zärtlich strich André über ihren Rücken. Noch nie hatte sich Oscar so wohl und geborgen gefühlt. Sein Duft hüllte sie ein und trotz der Hitze, die am Abend noch herrschte, bekam sie eine Gänsehaut. Für einen Augenblick schien für beide die Zeit still zu stehen.

„Geht´s wieder?“ flüsterte André und Oscar spürte seinen heißen Atem auf ihrer Wange. sie schlug die Augen auf und realisierte, was sie da gerade tat. Verlegen löste sie sich aus seiner Umarmung. „Ja, mir geht es wieder besser.“ Sie trat einen Schritt zurück und sah zu Boden. André berührte sanft ihr Kinn und zog ihren Kopf nach oben, sodass sie in seine Augen sehen musste. In seinem Blick sah sie nur die Liebe, die er ihr entgegenbrachte. Sie schluckte. „Wirklich?“ hakte er nach. Kaum merklich nickte sie. „Ja. Mir war nur etwas schwindlig. André, ich muss mich jetzt umziehen.“ „Ja, ja natürlich.“

Oscar drehte sich um und ging in ihr Zimmer. Sie musste sich sehr konzentrieren, denn sie spürte, dass ihre Beine zitterten. Auch spürte sie Andrés blicke in ihrem Rücken.
 

Als sie endlich in ihrem Zimmer stand, ließ sie sich zitternd auf ihrem Bett nieder und atmete tief ein und aus. So etwas wie gerade eben, hatte sie noch nie erlebt. –André, was machst du nur mit mir?- Sie war immer stark und zeigte nie Schwäche. Doch in diesem Moment konnte sie einfach nicht mehr stark sein. Sie wollte einfach nur die Nähe dieses Mannes spüren...

André ging es nicht anders. Mit rasendem Herzen sah er Oscar hinterher, bis sie in ihrem Zimmer verschwand. Seufzend drehte er sich um und stütze sich mit beiden Händen an der Balkonmauer ab. Er senkte den Kopf und sah auf den Hof hinunter. Die Katze und der Hofhund lieferten sich einen packenden Kampf um etwas essbares, doch bevor einer der beiden als Gewinner hervorgehen konnte, schnappte sich ein Vogel die Beute und flog davon. Ein leichtes Lächeln zeigte Andrés Gesicht, als er die Szene beobachtete. Doch so schnell dieses Lächeln gekommen war, verschwand es auch schon wieder. Der leichte wind, der aufkam, blies ihm die Haare ins Gesicht, doch es kümmerte ihn nicht. Er spürte immer noch Oscar, spürte ihre Hand, die sich um seine Hüfte legte. Ihren Kopf auf seiner Brust. Nie hätte er gedacht, dass sich Oscar, die immer so starke Oscar sich von ihm so umarmen lassen würde, dass sie solche Gefühle zulassen würde. Früher hätte er für so etwas ihren kräftigen Schlag zu spüren bekommen, aber jetzt...

André musste sich zwingen, nicht in ihr Zimmer zu gehen und sie wieder in seine Arme zu nehmen. Es war nicht das erste mal, dass er eine Frau im Arm hatte. Allerdings ist es auch nur zwei mal passiert und das letzte mal liegt schon sechs Jahre zurück. Doch er hatte damals nichts gespürt. Zuvor hatte er ziemlich viel getrunken und wollte einfach nur seinen Schmerz stillen. Als er gerade Oscar in seinen Armen hielt, fühlte er umso mehr.

Er hob den Kopf und atmete tief durch. Der Wind befreite nun sein Gesicht von seinen Haaren und er beobachtete die Vögel, die in einem großen Schwarm davonflogen. –Manchmal wünschte ich, ich könnte auch einfach so weg fliegen, alles hinter mir lassen. Doch dann müsste ich Oscar verlassen, und das könnte ich nicht.-

Da rief Oscar: „André, kommst du? Meine Eltern warten sicher schon.“ André drehte sich um und nickte. „Ja, ich komme.“

Gemeinsam gingen sie nach unten. Kurz vor der Tür zum großen Speisesaal blieb Oscar stehen. „Danke, André.“ Sagte sie leise. Sanft legte er ihr die Hände auf die Schultern und drehte sie zu sich. „Wofür?“ fragte er ebenso leise. Scheu sah sie ihn an. –Hört dieses Zittern denn nie auf, sobald ich ihn ansehe?- „Für vorhin. Dass du da warst.“ André hob seine rechte Hand und wollte ihre Wange berühren. Doch er hielt sich zurück. „Ich bin immer für dich da, Oscar.“ Es war kaum mehr als ein Flüstern. Sie nickte leicht, drehte sich langsam um, öffnete die schwere Holztür mit den Goldverzierungen und betrat den Speisesaal.

Ihre Eltern saßen schon am Tisch, ihr Vater an der Stirnseite, ihre Mutter rechts daneben. „Da bist du ja endlich. Wir warten schon.“ General de Jarjayes merkte man an, dass er nicht sehr erfreut über die Verspätung seiner Tochter war. Auch wäre er nicht erfreut gewesen, hätte er gewusst, was sich vor ein paar Minuten auf Oscars Balkon abgespielt hat.

Schnell setzte sich Oscar ihrer Mutter gegenüber. „Es tut mit leid, Vater. Ich bin eingeschlafen.“ „Eingeschlafen! Mitten am Tag. Das darf doch nicht wahr sein! Oscar, du bist… Doch bevor der General weiterreden konnte, legte seine Frau die Hand auf seinen Arm. „Nicht, Liebster. Sie hat es ja nicht mit Absicht getan. Und nun lasst uns essen.“

Erleichtert stellte Oscar fest, dass ihr Vater die ganze Sache nun auf sich beruhen ließ und zwei Minuten später brachten Rosalie und André das Essen. Als Vorspeise gab es eine Bouillabaisse, Chateaubriand bildete den Hauptgang und als Dessert wurde Quiche Lorraine serviert. Doch Oscar hatte keinen Appetit. Sie stocherte in ihrem Teller rum und auch den Erzählungen ihrer Eltern aus Versailles hörte sie nur halb-

herzig zu. Ihre Gedanken kreisten nur um André und den Vorfall auf ihrem Balkon. Gedankenversunken starrte sie zum Fenster raus und jedes Mal, wenn André den Raum betrat, zuckte sie zusammen. Sie beobachtete ihn, seine Bewegungen, seine Mimik. Einmal trafen sich ihre Blicke und als ob er sie bei etwas verbotenem ertappt hätte, sah sie schnell auf ihren Teller.

So bemerkte sie auch nicht die besorgten Blicke ihrer Mutter. „Oscar, du isst ja gar nichts. Geht es dir nicht gut?“ „Doch, doch Mutter, mir geht es gut.“ Aus den Augenwinkeln beobachtete Oscar ihren Vater. Ärgerlich zog er die Stirn kraus. „Du bist schon seit Wochen so merkwürdig, sprichst kaum noch was. Und das sehe ich mir nicht länger an! Sogar in Versailles wirkst du abwesend und unkonzentriert. Ich hatte gestern ein längeres Gespräch mit General Bouillé. Er ist in letzter Zeit etwas unzufrieden mit dir.“ Oscar erschrak über den zornigen und lauten Tonfall ihres Vater und sah ihn an. „Es tut mir leid, Vater. Es wird nicht wieder vorkommen.“ „Das hoffe ich. Du bist Kommandant des königlichen Garderegiments. Du kannst es dir nicht leisten, unaufmerksam zu sein. Man könnte meinen, du hast was ausgefressen oder, so merkwürdig es auch klingen mag, du wärst verliebt. Würdest du mir also bitte erklären, was mit dir los ist!“

Bei diesen Worten fuhr Oscar zusammen und ließ ihre Gabel scheppernd in den Teller fallen. Auf einmal fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Das Zittern, die Träume, das Beben, die Hitze...

„Oscar! Würdest du mir bitte antworten?!“ General de Jarjayes wurde wütend. Doch Oscar starrte nur in ihren Teller, sie konnte nichts sagen. Ihr wurde mit einem mal alles klar und sie hatte Mühe, die Tränen zurück zu halten.

André, der hinter Madame de Jarjayes getreten war, beobachtete Oscar. Ihm war aufgefallen, wie sich ihr Gesicht bei dem Wort „verliebt“ veränderte. Er sah, wie sie ihre Hände zu Fäusten ballte und mit ihrer Fassung rang.

Oscar spürte seine Blicke. Plötzlich hielt sie es nicht mehr in diesem Raum aus und stand ruckartig auf. Der Stuhl fiel krachend zu Boden. Das machte den General noch wütender. Doch bevor er etwas sagen konnte, rannte Oscar aus dem Zimmer. Ihre Eltern und André starrten ihr hinterher. „Oscar! Oscar, bleib sofort stehen!“ hörte sie ihren Vater schreien. Sie aber rannte immer weiter und nun kamen die Tränen. Sie war sich ihrer Gefühle endlich sicher. Ja, sie liebte André.

In den letzten Wochen hatte dieses Gefühl mehr und mehr Besitz von ihr ergriffen und füllte sie nun vollständig aus. Ihr wurde bewusst, dass sie sich anfangs dagegen gesträubt und versucht hatte, all die Reaktionen und Empfindungen, die André in ihr hervorrief zu unterdrücken. Bis jetzt hatte es auch funktioniert.

Schnell rannte sie zum Stall, riss keuchend die Tür auf und lief auf ihr Pferd zu. Das Plötzliche und Laute Auftauchen Oscars erschreckte das Tier, es legte die Ohren an, rollte mit den Augen und riss den Kopf nach oben. Nervös tänzelte es in seiner Box und schnaubte. „Ruhig, ist ja gut. Ich wollte dich nicht erschrecken.“ flüsterte Oscar ihm zu und legte sanft ihre Hand auf seinen Hals. Beruhigend strich sie über das weiße Fell, wie es André am Nachmittag getan hatte.

André... Vor ihren Augen sah sie ihn, ohne Hemd, seine Hände, die sanft den Hals des Pferdes streichelten. Doch auf einmal strich André nicht mehr über das Fell des Tiere, sondern über ihren Rücken, drückte sie ganz nah an seine Brust.

Erschrocken über ihre Gedanken schüttelte sie den Kopf. Hastig drehte sie sich um und mit fahrigen Bewegungen zäumte sie ihr Pferd auf. Für den Sattel blieb keine Zeit mehr, denn wie sie ihren Vater kannte, wird er sofort André geschickt haben, um sie wieder zurück zu holen. Und sie wollte weder mit ihrem Vater, noch mit André sprechen. Diese Situation war neu für sie und überforderte sie. Sie wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte.

Oscar führte das Pferd auf den Hof, schwang sich auf den blanken Rücken und galoppierte davon. Sie musste in Ruhe über alles nachdenken. Über sich, über Andre, über ihr Leben.

So, jetzt konnte ich endlich einen neuen Teil hochladen, den ihr noch nicht kennt. Vorsicht: es wird sehr (!!!) romantisch! Wünsch euch viel Spaß beim Lesen und ich freu mich wahnsinnig über eure Kommis
 

Eure Lea
 


 

Währenddessen tobte der General im Speisesaal. Sein Gesicht war tiefrot vor Zorn. „Was ist nur in sie gefahren?!“ polterte er. „Wie kann sie es wagen, einfach so davon zu rennen, ohne mir eine Antwort zu geben? Wenn sie zurück kommt, kann sie was erleben!“

André, der sich Oscars Verhalten ebenfalls nicht erklären konnte, stellte ihren Stuhl wieder auf. Als sie an ihm vorbei rannte, sah er gerade noch, dass sie Tränen in den Augen hatte. Und das war mit Sicherheit keine Reaktion auf den „Wutausbruch“ ihres Vaters. Oscar ließ sich eigentlich nie von dem General einschüchtern oder verschrecken. Im Gegenteil, sie bot ihm immer die Stirn und trat ihm stark und unverwundbar gegenüber. –Oscar, was ist los mit dir?-

Madame de Jarjayes stand sofort auf und ging zu ihrem Gatten, der sich immer noch nicht beruhigte. Sanft aber bestimmt legte sie ihm die Hände auf die Schultern. Sie wusste ja, was mit ihrer Tochter los war und wollte schlimmeres verhindern. „Bitte beruhigt euch. Seid nicht zu streng mit Oscar. Sie hat ihre Arbeit bisher doch zur vollsten Zufriedenheit gemeistert. Und wenn sie derzeit ein paar Probleme hat, sollten wir ihr helfen...“ „Als Soldat sollte man die eigenen Probleme hinten anstellen!“ unterbrach sie ihr Mann scharf und wandte sich dann an André. „André, bitte such Oscar und bring sie hier her. Sie ist mir noch eine Erklärung schuldig!“ André spürte, dass der General keinen Widerspruch dulden würde. Oscars Mutter sah ihn hilfesuchend an. Mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf antwortete er: „Jawohl, General.“

Er machte auch dem Absatz kehrt und verließ den Raum. Schnell lief er die Treppen nach oben, denn er vermutete sie in ihrem Zimmer. Doch wie vorhin kam keine Antwort auf sein Klopfen. Vorsichtig betrat er das Zimmer, das augenscheinlich leer war. Er ging weiter auf den Balkon, auf dem er noch keine Stunde zuvor Oscar in seinen Armen gehalten hatte. Kurz hielt er inne und holte sich diesen Moment wieder zurück.

Da vernahm er galoppierenden Hufe und er sah gerade noch die Hinterbeine von Oscars Pferd. –Sie reitet in Richtung des kleinen Sees unterhalb der Lichtung.-

André drehte sich um, lief aus dem Zimmer und rannte in den Stall. Die Box des weißen Hengstes war leer, schnell hatte er sein Pferd aufgezäumt und im Gegensatz zu Oscar auch gesattelt und ritt ihr hinterher.
 

Oscar war eine ausgezeichnete Reiterin und hatte somit kein Problem, sich auch ohne Sattel während des gestreckten Galopps, in den sie ihr Pferd getrieben hatte, auf dem Rücken des Tieres zu halten. Fest hielt sie die Zügel in den Händen und beugte sich ganz nah an den kräftigen, langen Hals. Sie spürte jeden Muskel, jede Bewegung des Hengstes unter sich. Hörte, wie sein Atem immer schneller wurde und wie sich seine Hufe in den weichen Waldboden drückten. Von ihrer Umgebung nahm sie nur Bruchstücke wahr, denn Tränen und die wehende Mähne des Pferdes erschwerten ihr die Sicht. Bäume, Sträucher und Wiesen flogen an ihr vorbei. Auch das Reh, das ihren Weg kreuzte und verschreckt davon sprang, bemerkte sie nicht.

Erst als sie den kleinen See erblickte, drosselte Oscar das Tempo und ließ ihr Pferd erst in einen Trab und schließlich in einen langsamen Schritt fallen.

An einer Trauerweide, deren Äste weit ins Wasser ragten, hielt Oscar an und rutschte erschöpft von dem Rücken des verschwitzten Tieres. Sie band es nicht fest, sondern ließ es laufen. Zielstrebig ging es ans Wasser und stillte seinen Durst.

Eine Weile stand Oscar einfach nur da, starrte auf den See und versuchte, ihren durch den schnellen Ritt heftigen Atem zu beruhigen.

Die untergehende Sonne sah aus wie ein großer Feuerball und färbte den Himmel rot. Die Bäume spiegelten sich im Wasser, Mücken hatten sich an einer Stelle des Ufers zusammengefunden und vollführten ihren Tanz.. Plötzlich schoss ein Reiher vom Himmel, stieß in das Wasser und tauchte sogleich mit einem Fisch im Schnabel wieder auf und flog davon.

Doch all das nahm Oscar nicht wahr. Langsam setzte sie sich in Bewegung und ging auf das Ufer zu. Sie kniete sich in den Sand am Wasser und benetzte ihre Arme und das Gesicht mit dem kühlen Nass.

Schließlich richtete sie sich ins Gras, zog ihre Beine eng an ihren Körper und legte den Kopf auf die Knie. Für einen Augeblick schloss sie die Augen und sah sofort wieder Andrés lachendes Gesicht. Sie hörte sein fröhliches Kinderlachen von damals, als sie so oft hier gespielt hatten. Hier war es auch, wo André zum ersten mal ihr Leben rettete.

Oscar sehnte sich in die unbeschwerte, glückliche Zeit ihrer Kindheit. Damals war alles so einfach, doch jetzt waren selbst die schönsten und normalsten Dinge so kompliziert. –Nach so langer Zeit habe ich endlich gemerkt, dass André das wichtigste in meinem Leben ist, dass ich ihn aus tiefstem Herzen liebe. Und ich weiß, wie sehr André mich liebt. aber unsere Liebe ist verboten. Genauso wie die zwischen Marie-Antoinette und von Fersen.- Als ihr der Graf in den Sinn kam, wurde ihr etwas bewusst: die Gefühle, die sie für André empfand, waren so viel stärker und intensiver, wie sie es zu dem Schweden niemals hätten sein können. –André ist ein Teil von mir, ohne ihn wäre ich nur noch ein halber Mensch. Ohne ihn wäre ich heute nicht das, was ich bin. Er hätte sein Leben für mich gegeben, so wie ich meines für ihn geben würde.- Nach der Sache mit Fersen wollte sie nur noch als Mann leben. Es tat ihr weh zu spüren, dass er nicht mehr als Freundschaft für sie empfand. Da merkte sie, dass die Liebe nicht in ihr Leben passte.

Doch jetzt empfand sie eine so tiefe Liebe zu jenem Mann, der schon ihr ganzes Leben an ihrer Seite war.

Oscar hob ihren Kopf und sah auf den See. Tief sog sie die frische Luft ein, irgendwo hörte sie ein paar Grillen. –Wie ich es auch drehe und wende. Eine Beziehung zwischen André und mir ist unmöglich, genauso wie sie zu Fersen war. Der einzige, mit dem ich öffentlich eine Ehe eingehend könnte, wäre Girodelle. Doch ihn liebe ich nicht. Ich liebe nur André.-
 

André ritt das letzte Stück zum See wesentlich langsamer als Oscar. Er wollte sie nicht erschrecken, falls sie dort war.

Und tatsächlich sah er sie am Ufer sitzen. Er stieg ab und ließ sein Pferd laufen, das sich sogleich dem anderen Tier näherte.

Das leise Knacken von Ästen ließ Oscar aufschrecken und sie stand auf. War ihr der General doch hinterher geritten? Sie ah sich um. Da entdeckte sie bei ihrem Pferd einen sehr bekannten Braunen Hengst. Das war Andrés Pferd. „Hatte ich also doch recht, dass du hier bist.“ Sprach hinter ihr jemand leise. Oscar versuchte, den wohligen Schauer, den sie durch seine sanfte und warme Stimme verspürte, zu unterdrücken und drehte sich zu ihm um. „André was... was machst du hier? Warum hast du gewusst, dass ich hier bin?“ Ihre Stimme zitterte, doch André war ihr leicht ärgerlicher Unterton nicht entgangen. Er wusste ja, dass sie lieber alleine gewesen wäre. Doch diesen Gefallen konnte er ihr jetzt nicht tun.

Vorsichtig trat er ein paar Schritte auf sie zu. „Ich hab gesehen, dass du in diese Richtung geritten bist. Und außerdem hast du dich schon als Kind hier her verzogen wenn du nachdenken wolltest.“ Oscar sah ihn erstaunt an. Sie hatte nicht geahnt, dass er das wusste. „Und ich wollte mir dir reden.“ fuhr er fort.

Der Abstand zwischen ihm und Oscar wurde immer kleiner, seine Augen wandten sich keine Sekunde von ihrem Gesicht ab. Und auch Oscar schien ihn zu fixieren.

Der laue Sommerwind spielte mit ihrem blonden Haar. Das rote Licht der untergehenden Abendsonne ließ es kupfern wirken. Auch ihr Gesicht hatte einen leicht gold-kupfernen Schimmer in den zwei klare blauer Augen leuchteten, wie der See hinter ihr. -Sie ist so wunderschön, dachte André. Sein bewundernder Blick glitt über ihren Körper, der diesmal nicht in einer Uniform steckte und ihre weibliche Figur verbarg. Und wieder einmal stellte er fest, dass sie die einzig richtige Frau für ihn war.

Oscar bemerkte, wie André sie ansah. Auf einmal konnte sie seinem Blick nicht mehr standhalten und sah zu Boden. „Hat mein Vater dich geschickt?“ fragte Oscar nach ein paar Minuten des Schweigens. André nickte. „Ja. Er bat mich, dich zu holen. Du seist ihm noch eine Erklärung schuldig. Als du davongerannt bist, wurde er sehr wütend. Doch ich wollte erst mal mit dir alleine reden.“ Bis jetzt stand Oscar aufrecht, doch diese Worte ließen sie zusammensinken. Wenn ihr Vater wüsste, warum sie in den letzten Wochen so unkonzentriert war...

André merkte das und erschrak. Das war nicht seine so starke, stolze und manchmal kalt wirkende Oscar. Die Oscar, die jetzt vor ihm stand, war eine verschreckte, ja fast verängstigt wirkende Frau. Es tat ihm weh, sie so zu sehen. –Wenn sie mir nur sagen würde, was mit ihr los ist.-

André überwand den letzten Schritt und stand nun direkt vor ihr. „Oscar, was ist los? Warum bist du einfach so weggelaufen?“ Sie hob ihren Kopf und sah ihn an. Ihre Augen wirkten glasig und waren leicht gerötet. Auf ihrer Wange konnte er die Spur ihrer Tränen sehen. „Du hast geweint?“ –Er macht sich Sorgen um mich, das sagen seine Stimme und seine Augen, die dunkler sind als sonst. Sie haben mich in ihren Bann gezogen. Mein Verstand sagt mir, dass es nicht sein darf, mein Herz jedoch sehnt sich so sehr nach ihm. Als Soldat darf ich nicht meinen Gefühlen folgen. Doch hier bei André bin ich nicht länger der Soldat, sondern nur eine Frau, die schon viel zu lange ihre Gefühle verleugnet hat.-

Als Oscar schließlich zu sprechen anfing, war ihre Stimme sehr dünn und klang flehend: „André könntest... könntest du mich bitte... einfach in den Arm nehmen?“

Nun war es André, der Oscar erstaunt ansah. Um das hatte sie ihn noch nie gebeten. Der Ausdruck in ihrem Gesicht sagte ihm, wie schwer ihr diese Bitte gefallen war. Aber auch, wie sehr sie diesen Halt jetzt brauchte.

Fast unerträglich langsam streckte André seine Hände aus und legte sie auf ihre Taille. Schon diese Berührung reichte aus, um Oscars Blut in Wallung zu bringen. „Komm her.“ raunte André und ohne zu zögern schlang Oscar ihre Arme um seinen Nacken. –Endlich. Endlich bin ich da, wo ich hingehöre. Bei André, in seinen Armen.-

André legte seine Hände auf ihren Rücken und drückte sie an sich. Er spürte, wie verkrampft Oscar anfangs war. Doch nach und nach entspannte sie sich und verstärkte den Druck, so als könnte sich André in der nächsten Sekunde in Luft auflösen. Sie wollte ihn nie wieder loslassen, immer in diesen starken Armen bleiben.

Die Welt hätte untergehen können, die beiden hätten nichts gemerkt. Für sie existierten nur noch sie beide. Oscar vergrub ihr Gesicht an seinem Hals. Ihr warmer Atem kitzelte auf seiner Haut und er hatte das Gefühl, er stünde in Flammen. André nahm alles an Oscar viel intensiver wahr, als sonst. Ihre Haut fühlte sich, trotz des Hemdes so weich und zart an. Er fühlte ihre Finger, die seinen Nacken streichelten. Ihr Duft hüllte ihn ein und ihr schlanker, weiblicher Körper so nah an seinem brachte ihn fast um den Verstand.

-Wenn jetzt die Zeit stehen bleiben würde, wüsste ich, dass ich einmal im Leben gelebt habe, dachte André, als er die wohligen Seufzer Oscars vernahm, während er ihr zärtlich die Haare über die Schultern strich und mit seinen Fingerspitzen sanft über ihre Wange und ihren Hals fuhr. Es war nur der Hauch einer Berühr-

ung, doch Oscars Haut brannte und ihr Atem wurde schwerer.

Noch nie hatte sie sich so wohl gefühlt, so geborgen, so sicher, so geliebt. Sie spürte die Wärme der Sonne auf seiner Haut. Und auch wenn sie sein Gesicht nicht sehen konnte, wusste sie, dass er lächelte. Sie wusste, dass dieses Lächeln, seine Gedanken und sein Herz nur ihr galten und keiner anderen Frau. Diese Gewissheit machte sie unsagbar glücklich. Ihr ganzes Herz hing an diesem Mann, aber wie sollte sie ihm das sagen?

„Mein Vater hat recht.“ murmelte Oscar, als sie ihren ganzen Mut zusammenfasste. André verstand nicht ganz. „Womit?“ fragte er leise. Ganz langsam löste sich Oscar aus der Umarmung und trat einen Schritt zurück. „Du hast doch nichts ausgefressen, oder?“ hakte André nach. Da musste Oscar gegen ihren Willen lächeln. „Nein, das nicht.“ Sie trat noch einen Schritt zurück, um André genau ansehen zu können. „Aber... ich ... hab mich... verliebt!“

André starrte sie an. –Heißt dass, sie...? Geht mein sehnlichster Wunsch endlich in Erfüllung?- Sein Herz schlug wie wild und ein Zittern erfasste seinen Körper, als Oscar weitersprach: „André, seit ein paar Wochen... denke ich nur noch an dich.“ Verträumt und mit einem sinnlichen Lächeln auf den Lippen sah sie ihn an.

Irgendwo in der Ferne hörte sie eine Lärche. Sie sah, wie der Wind mit seinen Haaren spielte und an seinem Hemd zerrte. Seine Augen durchbohrten sie und sie wurde schwach. Selten redete sie über ihre Gefühle. Und schon gar nicht über die Liebe, damit kannte sie sich nicht aus. Doch sie wollte diesem Mann, der ihr die Welt bedeutete, hier und jetzt alles erzählen.

Kurz blickte Oscar an André vorbei, holte tief Luft, wandte sich wieder ihrem Freund zu und fuhr fort: „Ich weiß nicht, warum ich es erst jetzt bemerkt habe. Ich weiß auch nicht, wann diese Gefühle in mir auftauchten. Doch irgendwann waren sie da und nun haben sie meinen ganzen Körper, meine Seele erfasst. Ich kann und will mich nicht mehr dagegen wehren. Das habe ich schon viel zu lange getan.“

Wie in Zeitlupe ging Oscar auf André zu, der wie versteinert da stand und ihr nur zuhörte. Er sah und hörte nichts außer seine Oscar. Sie nahm seine Hände in ihre und hielt sie fest.

Ihre Stimme wurde noch eine Spur zärtlicher: „Wenn du in meiner Nähe bist, bin ich glücklich, ich kann lachen und alles andere vergessen. Deine wunderschönen grünen Augen schicken ein Zittern durch meinen Körper, das sich zu einem Beben entwickelt. Deine warme, sanfte Stimme verleiht mir eine Gänsehaut und wenn du mich berührst, brennt meine Haut.“ Oscar machte eine kleine Pause, in der sie André nur ansah. Noch nie hatte sie etwas zärtlicheres, liebevolleres gesehen, als den Ausdruck in seinem Gesicht in diesem Augenblick. „Nachts alleine in meinem Zimmer fühlte ich eine Leere in mir, eine so große Sehnsucht. Und wenn ich dann meine Augen schloss, sah ich nur dich, dein Lachen. Ich wusste, dass du bei mir warst, auch wenn ich dich nicht sehen konnte. So, wie du immer bei mir warst. Und plötzlich wurde ich dann immer ruhig. Ich weiß, dass nur du diese Sehnsucht in mit stillen kannst.“

Oscar legte eine Hand an Andrés Brust. Genau an die Stelle, wo sein Herz schlug und vor Glück fast zersprang. Erst jetzt sah sie, dass er Tränen in den Augen hatte. „André, ich... liebe... dich.“

Sie spürte, wie auch ihre Augen feucht wurden, als sie diese Worte aussprach. Dieses Geständnis, dieser Abend würde ihr Leben für immer verändern, das wusste sie. Und sie hatte Angst davor, auch wenn sie André wirklich von ganzem Herzen liebte.

Bei Oscars Worten schoss ein warmer Pfeil durch Andrés Körper. Sie leibte ihn! Er konnte es nicht glauben und starrte sie an. Diese Frau vor ihm, machte ihn zum glücklichsten Mann der Welt.

„Oscar.“ sagte er nur leise, aber in dem einen Wort war eine ganze Welt verborgen.

Ihre Hand löste sich von seiner Brust, wanderte zu seiner Taille, wo sie ruhig liegen blieb. Währenddessen sah sie André unverwandt an. Andrés Gesicht war dicht über ihrem und sie erkannte in seinen Augen eine Zärtlichkeit und Liebe, die sie nie zuvor bei einem Menschen gesehen hatte, nicht einmal bei ihrer Mutter.

Plötzlich löste sich André aus seiner Starre und er schlang überwältigt seine Arme um sie und drückte sie an sich. „Mein Gott, Oscar...“ Er vergrub sein Gesicht in ihren Haaren, hielt sie fest an sich gepresst, ganz fest. Der Wind wehte über ihnen, fuhr zwischen die Bäume und zerrte an Hemden und Haaren. „Verlass mich nie...“ flüsterte er und auf ihren Wangen vermischten sich ihre Tränen. „Das werde ich nicht.“ hauchte sie. „Du bist mein Leben, Andre, mein zuhause.“ Seine Hand ruhte auf ihrem Rücken und glitt sanft über ihr Rückgrat. Instinktiv drängte sich Oscar noch näher an André. Sie wollte ihn spüren. In diesem Augenblick endlich, nach Jahren der Verleugnung, spürte sie das Aufwallen ihres Körpers, das Pochen des Blutes in den zerbrechlichsten Gefäßen, die Hitze der lodernden Haut. Und sie spürte noch mehr, als sie sich seiner Berührung bewusst wurde, seiner Wärmer, seiner Männlichkeit. Sie bebte leicht.

Jahrelang hatte sich André in unzähligen Träumen diesen Moment vorgestellt, von dem er glaubte zu wissen, dass er nie wahr werden würde. Jahrelang hatte er immer ihre Nähe gesucht, verzweifelte fast an ihrer manchmal gleichgültigen Art ihm gegenüber, doch er zweifelte nie an ihren freundschaftlichen Gefühlen. Ebenso lange hatte er ihr seine bedingungslose Liebe geboten, ohne dass sie sie wahrnahm. Und nun erfüllte sich seine Sehnsucht in einer wundervollen Nacht an einem wunderschönen See. –Sie liebt mich wirklich. Was auch vorher war oder später sein wird, in diesem Moment liebt sie mich.-

„Ich liebe dich auch.“ erwiderte er leise. „Und du weißt, dass ich das immer schon getan habe.“ Es war nun gar nicht mehr schwierig, davon zu sprechen. Ehemals quälende Gefühle verloren ihre Bedeutung Oscar war das einzige, was existierte, ihre Augen, ihr Atem und ihr Körper.

Sanft schob er Oscar ein wenig von sich und sah sie an. Ihre Wangen waren gerötet und er sah die leicht glitzernde Spur, die ihre Tränen dort hinterlassen hatten. Zärtlich strich er mit seinem Daumen darüber. Er wollte keine Sekunde lang den Ausdruck von ihrem Gesicht verlieren, der ihm auf einmal ebenso zart und verletzlich wie fremd und schön erschien.

Schließlich nahm André Oscars Gesicht in beide Hände und senkte fast quälend langsam seinen Mund auf ihre leicht geöffneten Lippen, die ihn mit einem feinen, feuchten Glanz erwarteten...

Unwillkürlich schloss sie die Augen, als André sie küsste. Endlich spürte sie seine Lippen auf ihrem Mund und sie war von dem Gefühl, dass sein Kuss in ihr auslöste, im ersten Moment so überwältigt, dass sie scheinbar nicht auf den Kuss reagierte. Es erschien ihr wie ein wunderbarer Traum, als sich ihre Lippen berührten und miteinander verschmolzen, sanft und weich und himmlisch zärtlich. Ein Traum, der so schön war, dass sie meinte, den Atem anhalten zu müssen und sich nicht bewegen zu dürfen, um diesen Traum nicht zu verscheuchen, so fremd ihr diese neuen Empfindungen auch waren.

Oscar spürte, wie nach und nach alles von ihr abfiel und ihre für so lange Zeit unterdrückte weibliche Seite immer stärker an die Oberfläche drängte.

Ihr war, als würde alle Kraft aus ihrem Körper weichen, alle Anspannung und Unruhe. Dafür erfüllte sie ein wunderbares Gefühl der Liebe und Zärtlichkeit, das Stärke und Schwäche zugleich war. Sie spürte jede Faser ihres Körpers, als hätte der sanfte Druck seiner Lippen eine Explosion ihrer Nerven überall in ihrem Körper entzündet

Sie glaubte, eine halbe Ewigkeit so beinahe regungslos zu verharren und Andrés ersten Kuss mit glückseliger Erlösung zu genießen.

Fast jede Nacht in den letzten 15 Jahren hatte André davon geträumt, Oscars Lippen auf den seine zu spüren. Doch was er jetzt fühlte, übertraf seine Träume tausendfach. Ein überwältigendes Glücksgefühl verbreitete sich in seinem Körper, als er merkte, wie Oscar ihm mit ihrem Gesicht etwas entgegen kam. Ihre Lippen waren weich und zart und er schmeckte noch etwas von dem Wein, den sie zum Abendessen getrunken hatte.

All die unterdrückten Gefühle, seine Leidenschaft, sein Verlangen nach ihr, brach sich in diesem Moment bahn. Das, was er für Oscar empfand, konnte er nicht in Worte fassen und er hatte das Gefühl, als würde ihm der Boden unter den Füßen weggezogen. Oscar hatte schon vor so langer Zeit sein Herz gestohlen und bei diesem Kuss verlor er sich in ihr.

Es war, als hätte Oscars Leben erst jetzt einen Sinn. Sie schien unter einem Bann zu stehen. Einen langen Moment verhielt sie sich ruhig, in denen sich all ihr Denken und Fühlen in der sensiblen Haut ihrer Lippen versammelte.

Doch dann löste sich ein erstickter Seufzer aus ihrer Kehle und sie schlang ihre Arme um seinen Nacken, während sie den Druck seiner Lippen erwiderte.

Der Kuss schien eine Ewigkeit zu dauern. Als André seinen Mund von ihren löste, taumelte sie leicht. André lächelte und strich mit dem Zeigefinger über ihre Wange. „Das war der bisher schönste Momente in meinem Leben.“ entfuhr es ihm mit belegter Stimme. „Das war es auch für mich.“ flüsterte Oscar, angenehm verwirt von der Intensität ihrer Gefühle. „Ich habe nicht geahnt, dass ich einen Menschen so sehr lieben kann wie dich.“ „Aber was ist mit Fer...“ Schnell legte Oscar ihren Finger auf seine Lippen und zwang ihn zum Schweigen. Sie sah ihn an und schüttelte den Kopf. „Das, was ich für dich empfinde André, ist so viel größer und stärker, wie es zu ihm niemals hätte sein können.“

André nahm Oscars Finger von seinem Mund und küsste zärtlich ihre Knöchel. „Du machst mich zum glücklichsten Menschen der Welt, Oscar.“ „In den letzten Wochen habe ich mir immer wieder vorgestellt, du würdest mich in den Arm nehmen und küssen, so wie du es gerade getan hast.“ „Hast du schon genug?“ scherzte er liebevoll und strich ihr über ihr Gesicht, zog die Linie ihres Mundes mit seinem Zeigefinger nach. „Nie!“ antwortete sie und zog ihn sanft zu sich herunter.

Nun gesellte sich zu ihrer Zärtlichkeit noch die Leidenschaft und ihre Küsse waren mal wild, als würden ihre Lippen miteinander kämpfen und dann wieder so zärtlich sanft wie ein Hauch.

André spürte Oscars Hände auf seinem Rücken, die ihn sanft liebkosten und immer wieder von seinen Schultern zu seiner Taille wanderten. Sie konnte trotz des Hemdes seine Muskeln stark unter ihren Händen fühlen, die sich immer wieder anspannten.

Auch Andrés Hände blieben nicht tatenlos und er fuhr durch ihre Haare, ihren Rücken hinab und blieben schließlich auf ihrem Po liegen.

Ihre Lippen sagten sich tausendmal: „Ich liebe dich. Ich liebe deine Zärtlichkeiten.“ Und die Zeit blieb für sie stehen, während sie in Wirklichkeit dahinraste.

-Endlich kann ich meine Oscar in die Arme schließen und sie hat gesagt, sie liebt mich. Es ist so wunder-schön, wenn man es gesagt bekommt, auch wenn Worte eigentlich nicht mehr nötig sind, da man mit jeder Faser des Körpers fühlte, dass man geliebt wird.-

Dieses Mal ist das Kapitel etwas kürzer, abe ich verspreche euch, dass ich schnell weiterschreibe. Habe mich wahnsinnig über eure Kommis gefreut.

Viel Spaß beim Lesen :-)
 

Liebe Grüße Lea
 


 

Etwas später lagen sie glücklich und engumschlungen im kühlen Gras unter der Trauerweide. Der Mond schien bereits und ließ die Wasseroberfläche glitzern, die Bäume am Ufer bildeten merkwürdige Schatten. Oscar und André hörten den Grillen zu und genossen die Ruhe und die Nähe des anderen. Beide wussten dass sie nicht oft die Gelegenheit bekommen würden, sich ihren Gefühlen hingeben zu können. André wusste auch, dass Oscars Vater auf sie wartete, doch um nichts in der Welt hätte er diesen Zauber der Liebe, der sie beide umgab, zerstören wollen.

Oscar hatte ihren Kopf auf seine Brust gelegt und fuhr ihm mit ihrer Hand durch die Haare. –Wie konnte ich all die Jahre nur ohne diese Liebe leben? Doch ich will nun entgültig die Vergangenheit ruhen lassen und die Liebe, dich ich mit André erlebe, genießen. Meine Sehnsucht nach ihm war so groß, als hätte ein Fieber meinen Körper und meine Seele erfasst. Ein Fieber, von dem ich nun in Andrés Armen gesunden kann.-

Beide sagten nichts, sondern konzentrierten sich auf die zwar noch scheuen und unsicheren, aber doch zärtlichen Berührungen des anderen. Langsam strich Oscar von Andrés Gesicht hinab zu seinem Hals, wanderte weiter über seine Schulter und seinen Arm, bis sie schließlich bei seiner Hand Halt machte. Ihr Daumen liebkoste seine Handfläche. André warf einen Blick auf ihre verschlungenen Hände und sah sie mit glänzenden Augen an. Zärtlich schlossen sich seine Finger um ihre Hand und sein Daumen ruhte leicht wie eine Feder auf ihrem Puls. Sie konnten die Finger nicht voneinander lassen – da sie genau wussten, dass ihre gemeinsame Zeit sehr kurz war.

Zärtlich glitt sein Daumen über ihr Handgelenk, so dass Oscar ein Kribbeln im Magen verspürte. „Wenn mein Vater von uns erfährt, wir der toben.“ sagte Oscar ein paar Minuten später leise. „Er wird es nie akzeptieren, da ich als adlige keinen bürgerlichen lieben darf.“ fuhr sie fort. „Ich weiß.“ antwortete André bedrückt. Wieder und wieder hatte er sich die Reaktion des Generals ausgemalt. Mit ernster Stimmer sprach er weiter: „Er wird mir die Schuld geben und die Konsequenzen für mich werden hart und sehr hoch sein.“ Oscar richtete sich etwas auf und sah ihn an. „Mein Vater wird es nicht erfahren. Wir dürfen es niemandem sagen. Auch wenn ich jedem an meinem Glück mit dir teilhaben lassen möchte. Und sollte er doch eines Tages von uns erfahren, werde ich zu dir stehen und mit dir gemeinsam die Konsequenzen tragen.“ „Das musst du nicht.“ „Doch, ich muss.“

Da richtete sich André ebenfalls auf und stützte sich auf den Ellenbogen ab. Er pflückte einen Grashalm und breitete die weichen, grünen Graunen zwischen seinen Fingern aus. „Der Mensch ist wie das Gras im Felde.“ zitierte er leise und strich mit dem schlanken Stiel über ihre Fingerknöchel, die auf seiner Brust ruhten. „Heute erblüht es; morgen weht es dahin und wird in den Ofen geworfen.“

André hob das seidige, grünen Büschel an die Lippen und küsste es, dass berührte er sanft ihren Mund damit. „Ich liebe dich, Oscar.“ Sie schloss die Augen und fühlte, wie das Gras ihre Lippen kitzelte, so sachte wie die Berührung von Sonne und Luft. „Ich liebe dich auch.“ flüsterte sie. „Ich werde dich immer lieben und deshalb werde ich dich im Falle einer Strafe von meinem Vater nicht alleine lassen. Ich habe mich für dich entschieden, André.“

Der Grashalm fiel zu Boden. Die Augen immer noch geschlossen, spürte Oscar, wie André sich zu ihr beugte und seinen Mund auf den ihren legte. „Solange mein Körper lebt und der deine – sind wir eins.“ raunte er. Seine Finger strichen abermals über ihre Haare und ihr Kinn, über Hals und Brust und sie atmete seinen Atem und spürte ihn lebendig unter ihrer Hand.

Im nächsten Moment ließ sich André auf den Rücken fallen und zog Oscar mit sich. Dann lag ihr Kopf wieder an seiner Brust, seine Stärke schützte sie und seine Worte klangen tief und sanft in seiner Brust.
 

Nach einer weitern halben Stunde voller Zärtlichkeit meine André: „Wir sollten zurück. Dein Vater wartet auf dich.“ Oscar nickte nur.

Sie standen auf und gingen zu ihren Pferden, die sich etwas abseits vom Ufer ebenfalls ins Gras gelegt hatten. Oscar wollte sich gerade auf den Rücken ihres Schimmels schwingen, als André sie sanft zurückhielt. „Dein Pferd hat keinen Sattel. Wir reiten auf meinem nach Hause.“ André ließ Oscar aufsitzen, er nahm hinter ihr Platz. Zärtlich schlang er die Arme um Oscar und ergriff seine Zügel und die von oscars Pferd, das neben ihnen herlief. Bereitwillig ließ sich Oscar an seine Brust sinken. Langsam ritten sie so in Richtung Palais Jarjayes.

Seufzend neigte Oscar ihren Kopf zur Seite und sofort spürte sie Andrés Lippen auf ihrem Hals. Leiden-

schaftlich aber auch zugleich ungemein zärtlich küsste er sie erst hinter ihrem Ohr, fuhr dann ihren Hals entlang bis zu ihrer Halsbeuge. Ein kehliger Laut entfuhr ihr. „Soll ich aufhören?“ fragte André leicht irritiert. „Bitte nicht!“ hauchte sie als Antwort und wie zur Bestätigung legte sie ihm ihre Hand auf den Oberschenkel.
 

Als sie später auf den Hof ritten, wurde Oscar zusehends unruhiger. Sie wusste, wenn ihr Vater so wütend war, konnte ihn fast nichts besänftigen. Nicht einmal die ruhige Art ihrer Mutter. Der General schreckte in so einer Situation auch nicht vor einer kräftigen Ohrfeige zurück, gerade was Oscar betraf. Er wollte sie zum perfekten Offizier machen, der sich keine Fehler erlauben konnte.

Schweigend und Arm in Arm gingen Oscar und André, nachdem sie die Pferde versorgt hatten, über den Hof.

In de Halle ließen sie sich los, als Oscar sah, dass unter dem Türspalt des Arbeitszimmers ihres Vaters Licht durchschien. „Mein Vater ist noch wach. Er hat tatsächlich auf mich gewartet.“ „Soll ich mitkommen?“ fragte André und strich ihr über ihr Haar. Entschlossen schüttelte sie den Kopf. „Nein. Da muss ich jetzt alleine durch.“ Ihr Inneres sträubte sich zwar, sich von André jetzt zu trennen. Doch sie wollte ihn auch nicht in irgendwas hineinziehen. „In Ordnung.“ Er lächelte sie noch einmal aufmunternd an und küsste sie kurz aber leidenschaftlich. Erschrocken wich Oscar zurück. „Nicht. Es könnte uns jemand sehen.“ „Entschuldige. Ich denke an dich.“ André drehte sich um und ging. Aber er sah sie nach einmal an und flüsterte: „Ich liebe dich.“ Dankbar sah Oscar ihn an. André gab ihr schon immer viel Kraft. Und jetzt kam auch noch seine Liebe dazu.

Sie atmete noch einmal tief ein und klopfte dann an die Tür.

Kaum stand Oscar im Raum, sauste die Faust ihres Vaters auf die Tischplatte und er fuhr sie wütend an: „Wo warst du?! Weißt du, wie lange ich schon warte?!“ Erschrocken wich Oscar ein paar Schritte zurück. „Vater, lasst mich bitte...“ „Jetzt rede ich!“ unterbrach er sie barsch und umrundete mit geballten Fäusten den Schreibtisch, auf dem eine einzige Kerze stand, die Licht spendete. Er bleib dicht vor seiner Tochter stehen und sah sie mit zornigen Augen an. Seine Stimme war hart und gepresst. „Du bist zwar kein Kind mehr, Oscar. Trotzdem bist du immer noch meine Tochter. Und du bist Soldat, ein ranghoher Offizier, der meine Nachfolge antreten wird. Und ich werde nicht zusehen, wie du dieses Erbe mit Füßen trittst und du dich den Befehlen von General Bouillé widersetzt. Oder auch meinen. Du bist beim Essen, das im Übrigen auch noch nicht beendet war, aufgestanden und gegangen ohne meine Frage zu beantworten. So etwas dulde ich nicht!“

Er hob die Hand und setzte zum Schlag an. Oscar starrte in das wütende Gesicht ihres Vaters. Und plötzlich wünschte sie sich, André wäre hier. Sie hielt dem Blick ihres Vaters stand und Sekunden später sauste seine Hand auf ihre Wange. Ihr Kopf wurde nach rechts geschleudert und sie blieb einen Moment gebeugt stehen, die Hände auf den Oberschenkeln abstützend. Die Haare fielen ihr ins Gesicht und sie atmete ein paar mal tief durch. Es schmerzte. Jedoch nicht so sehr der Schlag, sondern vielmehr die Tatsache, dass ihr Vater es getan hatte. Sie hatte gehofft, mit ihm darüber reden zu können. „Es tut mir leid Vater, dass ich euch so verärgert habe. Und auch General Bouillé.“ setzte Oscar an. „Ich... ich hatte in letzter Zeit ein paar Probleme mit mir. Aber das ist jetzt vorbei und ich werde meinen Dienst wieder zu eurer vollsten Zufrie-denheit ausführen.“ Oscar wollte ihren Vater damit besänftigen. Doch sein Blick blieb hart, auch wenn seine Gesichtszüge etwas entspannter wirkte. „Hat André dir irgendwelche Flausen in den Kopf gesetzt oder warum seid ihr erst jetzt wieder gekommen?“ herrschte er sie plötzlich an. Oscar erschark. Warum kam er gerade jetzt auf André ? Ahnte er doch etwas von ihren Gefühlen für ihn? „Lasst André aus dem Spiel! Mit meiner Unaufmerksamkeit und meinen Problemen hat er nichts zu tun! Er hat mich nur nicht sofort gefunden. Deshalb sind wir erst so spät zurück.“ verteidigte sie ihren Geliebten eifrig.

Da drehte ihr der General den Rücken zu und ging zum Fenster. Er verschränkte die Arme vor der Brust und starrte in die Dunkelheit. Fast hatte er ein schlechtes Gewissen seiner Tochter gegenüber. Er wollte sie nicht schlagen. Er liebte sie ja, wollte nur das Beste für sie. „Du gehst jetzt besser zu Bett.“ Der Ton seiner Stimme war wieder sanfter. „Ja. Gute Nacht, Vater.“ sagte sie und ließ ihn alleine.

Oscar ging jedoch nicht auf ihr Zimmer sondern lief weiter, bis sie vor André Tür stand. Vorsichtig öffnete sie, ohne zu klopfen die Tür. Das Zimmer war dunkel, doch der Mond schien hell durch das große Fenster und man konnte die Umrisse der Möbel erkennen. „André, schläfst du schon?“ flüsterte sie während die

Tür leise wieder ins Schloss glitt.

André lag in seinem Bet, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Er hatte so gehofft, dass Oscar noch mal zu ihm kommen würde. Als er dann hörte, wie sie die Tür öffnete und eintrat, machte sein Herz einen Sprung. Dass sie von sich aus zu ihm gekommen war, zeigte ihm auf ein Neues, wie sehr sie ihn liebte.

Als Oscar das Zimmer betreten hatte, drang kein Laut an ihr Ohr. Doch jetzt vernahm sie eine Bewegung auf dem Bett wahr.

„Nein, ich bin noch wach.“ antwortete André, als er seine Beine über den Bettrand schwang und sich aufsetzte. Er nahm eine Streichholzschachtel und zündete die Kerze auf seinem Nachttisch an.. sofort wurde der Raum von dem warmen, goldenen Licht erfüllt.

Da fiel Oscar auf, dass André Hemd über der Stuhllehne hing und schluckte. Langsam richtete sich ihr Freund auf und ging, nur mit seiner Hose bekleidet auf sie zu. Das Licht der Kerze verlieh seiner Haut einen goldenen Schimmer. Ihr Herz schlug mit einem Mal wieder schneller und es fiel ihr zunehmend schwerer zu atmen, je näher André ihr kam. „Ich hatte gehofft, dass du noch kommst.“ flüsterte er. Seine Stimme klang sehr sinnlich und war fast wie eine zärtliche Berührung, die Oscar am ganzen Körper spüren konnte. Sie sagte nichts, sondern sah ihn nur an.

„Was hat dein Vater gesagt?“ fragte er weiter. Nun stand er dicht vor ihr. Sie hätte nur ihre Hand heben müssen, um seine haut zu berühren. Doch irgendwas hinderte sie daran. Für einen kurzen Moment schloss sie die Augen, um sich auf Andrés Frage zu konzentrieren. Leise und mit brüchiger Stimme antwortete sie: „Er hat mich angeschrieen, dass ich sein Erbe nicht mit Füßen treten solle. Dann hat er... mich geschlagen...“ Sofort wechselte Andrés Gesicht von Zärtlichkeit zu Sorge. „Er hat was?“ Und als ob er es wusste, legte er seine Hand liebevoll auf ihre linke Wange, die bis jetzt von dem Schlag brannte. Andrés Hand fühlte sich angenehm kühl an und sein Daumen, der zärtlich über ihre Haut strich, sandte wohlige Schauer durch ihren Körper. „Es war nicht so schlimm, es tat kaum weh. Nur die Tatsache, dass er es getan hatte, tut weh.“ Oscar seufzte und zog die Stirn kraus. „Ich kann gegen eine Hode Aufständischer kämpfen, aber gegen meinen Vater komm ich nicht an.“ André sah sie an und hörte ihr zu. Da ersetzte er seine hand an ihrer Wange durch seine Lippen. Dicht an ihrem Ohr hauchte er: „Er wird dir nicht mehr weh tun, niemand wird das tun. Ich pass auf dich auf, wie ich es schon mein ganzes Leben lang getan habe.“ Oscar spürte seinen heißen Atem auf ihrer Haut. Es fühlte sich so gut an. Aber immer noch so fremd und neu. André roch so gut. Im Schein der Kerze sah sie, wie sich die feinen Häärchen auf seinen Schultern aufstellten und er trotz der Wärme eine Gänsehaut bekam.

„Und ich auf dich.“ Murmelte sie leise. Sie wusste, dass es noch eine zeitlang dauern würde, bis sie die schwache Seite in ihr akzeptieren konnte. Doch die Lieb zu André schloss nicht aus, eine starke und mutige Frau zu sein.

„André, darf ich heute Nacht... bei dir bleiben?“ In ihren Ohren klang ihre Stimme sehr fremd, aber es war das Einzige, was sie im Augenblick wollte. Bei ihm sein. „Ich lass dich nie wieder los, Oscar. Natürlich darfst du hier bleiben.“ Er beugte sich zu ihr und küsste sie. Erst zögerte sie, doch dann legte Oscar eine Hand in seinen Nacken und zog ihn noch fester an sich heran. Die andere schlang sie um seine Taille und erwiderte den Kuß. Als sie endlich seine Haut berührte spürte sie, wie ein Zittern durch seinen Körper ging. Er hatte sich genauso nach dieser Berührung gesehnt, wie sie. Seine Haut brannte, wo Oscar ihn berührte. Ein ersticktes Keuchen entfuhr ihm.

Plötzlich spürte Oscar, wie sie hochgehoben wurde. Mit einem leisen, überraschtem Schrei schlang sie lachend beide Arme um seinen Nacken. Und ohne den Kuss zu unterbrechen, trug André sie auf seinen starken Armen zu seinem Bett. Langsam und vorsichtig ließ er sie auf der Matratze nieder. Sie sank zurück in die Kissen und zog André mit sich. Dieser Kuss schien ihre Sinne zu vernebeln und vergessen waren die Minuten bei ihrem Vater und seine Ohrfeige. Es zählte nur noch André. Immer wieder strich sie über seinen muskulösen Rücken.

Unter leisem Protest von Oscar unterbrach André kurze Zeit später atemlos das leidenschaftliche Spiel ihrer Lippen und zog ihr die Stiefel aus. Ein sanftes und zugleich sinnliches Lächeln umspielte ihre Lippen als sich André wieder ihrem Gesicht zuwandte. Er wusste, dass Oscar zum letzten Schritt noch nicht bereit war. Er musste und wollte ihr Zeit lassen. Zeit, um sich an ihre Gefühle und Empfindungen, an ihn, seinen Körper und seine Reaktion auf ihren Körper zu gewöhnen. Unter gar keinen Umständen wollte er ihr weh tun oder sie verschrecken. Er würde ihr alle Zeit der Welt lassen.

André und Oscar sagten nichts. Es war auch nicht nötig. Sie verstanden sich auch ohne Worte. Die Spannung, die in der Luft lag, war fast greifbar. In dem Zimmer war es still, nur das leise Rascheln der Bettwäsche und der unregelmäßige Atem der beiden war zu hören. André legte sich neben Oscar und zog sie in seine Arme. Sie legte ihren Kopf auf seine nackte Brust und schmiegte sich eng an ihn, als wollte sie eins mit ihm werden. Mit den Fingerspitzen strich sie über seine Brust. Seine Haut war weich und zart, gleichzeitig fühlte sie die starken Muskeln unter ihren Fingern arbeiten.

Immer tiefer wanderte ihre Hand und blieb schließlich auf seiner Narbe liegen. Ganz deutlich konnte sie die

Erhebung spüren, die vernarbten Furchen. Die Haut rundrum war gespannt und nicht so weich wie die übrige. „Kein schöner Anblick, was?“ fragte André, dem es anzumerken war, wie selbst ihm diese Narbe immer wieder schockte. Oscar richtete sich etwas auf und sah direkt in seine grünen Augen, ihre Hand blieb dort, wo sie war. Sanft sagte sie: „Nein, André, das finde ich nicht. Sie gehört u dir, zu unserer Liebe.“ André nickte, er verstand. Mit einem Lächeln schmiegte sie sich wieder an seine Brust. André küsste sanft ihr Haar und verstärkte den Druck um Oscars Taille.

Die wohlige Stille und das goldene Licht hüllte Oscar ein. Sie wusste nicht, wann sie das letzte mal so glücklich war. Sie beobachtete die flackernde Flamme der Kerze. Da kam ihr eine Frage in den Sinn: „André, glaubst du, es ist uns vorherbestimmt?“ Ihr Atem kitzelte auf seiner Haut. „Wie meinst du das?“ „Unsere Liebe. Ist es vorherbestimmt, dass wir uns ineinander verlieben?“ Einen kurzen Moment dachte André über ihre Frage nach und spielte gedankenversunken mit einer Strähne ihres Haares. Mit etwas müder aber doch fester und zärtlicher Stimme antwortete er ihr: „Ja. Das Schicksal hat es so gewollt. Wir können nur einander lieben, niemanden sonst. Ich gehöre zu dir.“ „Und ich gehöre zu dir.“ erwiderte Oscar mit einem glücklichen Lächeln.

Und zu ersten mal seit Wochen schliefen beide ruhig und glücklich ein.

Zaghaft sandte die Sonne die ersten warmen Strahlen des Tages durch das halboffene Fenster, als André erwachte. Sie blendeten ihn und er musste ein paar mal blinzeln. Noch etwas verschlafen rieb er sich über die Augen und gähnte herzhaft. Auch die Vögle wurden durch die Sonne aus dem Land der Träume gerissen und bald darauf vernahm André ein Konzert verschiedener Singstimmen.

Doch das schönste, was er an diesem Morgen hörte und sah, war Oscar. Sie schlief noch, atmete gleichmäßig und ruhig. Ihr Kopf lag nun nicht mehr auf seiner Brust, sondern auf seinem rechten Oberarm, ihre Hand ruhte auf seiner Taille und im Schlaf hatte sie ein Bein über seine Hüfte gelegt. Er spürte ihren Körper dicht an seinem, den sanften Druck ihrer Schenkel, das leichte Gewicht auf seinem Oberarm und ihr heißer Atem auf seiner Haut. Nachts hatten sich die Finger seiner rechten Hand in ihrem weichen, blonden Haar verfangen.

André sah in Oscars Gesicht. Ihr Mund war leicht geöffnet, die roten Lippen bebten etwas bei jedem Atemzug und sie lächelte. Es war ein zufriedenes, ein glückliches Lächeln. Ihre Gesichtszüge waren vollkommen entspannt.

Immer noch kam ihm das alles noch wie ein Traum vor. Nach so langer Zeit der Sehnsucht, des Verzehrens, des Verlangens hatte sich alles, was er sich je gewünscht hatte, erfüllt. Er war der glücklichste Mann der Welt.

Er betrachtete sie immer noch, als ihre Lider flackerten und Oscar schließlich verschlafen ihre Augen aufschlug. Sie war noch nie in den Armen eines Mannes erwacht. Doch jetzt nach dem Schlaf als erstes André zu sehen, war wundeschön. Er lächelte sie an, wie nur er lächeln konnte und zärtlich strich er über ihren Arm. „Guten morgen, mein Engel.“ Es war nicht mehr als ein Flüstern. „Guten morgen.“ antwortete Oscar mit verschlafener Stimme. André beugte seinen Kopf nach unten, sie kam ihm mit ihrem entgegen und Sekunden später trafen sich ihre Lippen zu einem zärtlichen Kuss. Dabei streichelte Oscar Andrés linke Wange.

Als sie sich schließlich etwas atemlos voneinander lösten, sagte Oscar leise: „Ich habe noch nie so gut geschlafen und so schön geträumt.“ „Da geht es mir genauso.“ Stimmte er ihr lächelnd zu.

Doch ihr Blick wurde sogleich wieder ernst. „Wie soll es jetzt weiter gehen, André? Ich will mit dir zusammen sein. Aber es ist uns verboten. Sie klang etwas verzweifelt und das war sie auch. Ebenso verzweifelt barg sie ihr Gesicht an Andrés Hals und verstärkte den Druck um seine nackte Schulter. André wusste, was in Oscar vorging. Die selben Gedanken plagten ihn schon so lange. Zärtlich fuhr er durch ihr Haar und drückte sie fester an sich. „Glaub mir, Oscar. Ich möchte nichts mehr, als mit dir zusammen zu sein. Und ich weiß, was für dich alles auf dem Spiel steht. Ich kann und will von dir nicht verlangen, deine Familie aufzugeben.“ André nahm Oscars Hand von seiner Schulter, führte sie an seinen Mund und küsste sie zärtlich. „Wir müssen unsere Liebe vor allen anderen geheim halten. Das wird nicht leicht sein, aber es ist die einzige Möglichkeit für uns.“ fuhr er leise fort.

Oscar löste sich etwas von André und richtete sich auf, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Zärtlich fuhr sie die Konturen seiner Lippen nach, die weich und entspannt waren. Sie strich mit ihrem Daumen über seine Augenbrauen, die Nase hinab, über seine Wange zu seinem Hals. Seine Augen schienen sie zu fesseln. Sie wollte sich jeden seiner Gesichtszüge genau einprägen. Ihre Stimme zitterte leicht, als sie sagte: „Ich weiß nicht, ob ich das schaffe.“ „Was schaffst du nicht?“ hakte André nach und für einen kurzen Augenblick kam Angst in ihm auf. Oscars Augen hatten auf einmal einen sehr traurigen Ausdruck. „Dich täglich zu

sehen, aber nicht berühren zu dürfen.“ Bei diesen Worten verschwand Andrés Angst. Er umfasste ihr Gesicht sanft mit beiden Händen, zog sie zu sich herunter und küsste sie. „Du schaffst das, Oscar. Du bist eine starke Frau. Aber ich weiß auch, wie schwer es sein wird. Ich musste meine Gefühle mehr als fünfzehn Jahre lang verheimlichen.“ Er machte eine kleine Pause und sah Oscar direkt in ihre saphir-blauen Augen. „Wir werden einen Weg für uns und unsere Liebe finden.“ Oscar nickte, beugte sich zu ihm und beide versanken wieder in diesem süßen Abgrund. In einen feinen, seligen Rauschzustand, der durch ihre Küsse, Umarmungen und geflüsterten Zärtlichkeiten unablässig gespeist wurde.
 

Doch bald mussten sie sich trennen. Widerwillig zog sich Oscar ihre Stiefel an, während André die Tür öffnete und in den Gang spähte. „Niemand zu sehen.“ meinte er und Oscar stand auf. Kurz bevor sie das Zimmer verließ, drehte sich noch einmal zu André um, nahm seine Hand und küsste ihn. „Ich liebe dich, André.“ flüsterte sie und ging den Flur hinab. „Ich liebe dich auch.“ rief ihr André noch leise zu, ehe er die Tür wieder verschloss und sich von innen dagegen lehnte. Er atmete tief ein und aus. Das Gespräch von vorhin beschäftigte ihn immer noch. Was würde die Zukunft für Oscar und ihn bringen? Werden sie jemals zusammen leben können? Wird ihre Liebe irgendwann öffentlich akzeptiert werden? Würde er sie jemals heiraten können?

Er fuhr sich mit den Händen durch die Haare, stieß sich von der Tür ab und ging zu seinem Schrank. –Egal was passieren wird, ich liebe sie und werde jeden Augenblick, den ich mit ihr verbringen darf, genießen.-
 

Beim Frühstück trafen sich die beiden wieder. Oscar fiel es schwer, nicht in Andrés Armen zu sinken. Sie trug bereits ihre rote Uniform, da sie heute wieder ihren Dienst in Versailles antreten musste. Zum Glück war es nicht mehr ganz so heiß wie am Vortag, doch die Sonne schien schon jetzt sehr stark und keine einzige Wolke war am Himmel zu sehen.

Die Atmosphäre im Speisesaal war sehr kühl. Oscars Vater erwähnte den Vorfall vom vergangenen Abend nicht. Ja, er sah sie nicht einmal an. Stumm trank er seinen Tee und aß eine Scheibe Brot. Oscar fühlte sich unwohl, wäre da nicht André, der ihr immer wieder heimliche Blicke zuwarf. Diese erwiderte Oscar und erschauerte jedes Mal, wenn sich ihre Blicke trafen.

Keiner schenkte den beiden Beachtung, keiner hatte bisher die Veränderung zwischen ihnen bemerkt. Außer einer, Oscars Mutter. Sie kannte ihre jüngste Tochter sehr gut, doch diesen sanften, zärtlichen Ausdruck in ihren Augen und dieses scheue, warme Lächeln hatte sie noch nie bei ihr gesehen. –Ihr habt endlich zueinander gefunden. Oscar, trage diese Liebe immer in deinem Herzen. Sie ist das wertvollste auf der Welt.-
 

Beide, Oscar und André waren froh, als sie endlich den Speisesaal verlassen konnten. Schweigend und an der Stallwand lehnend sah Oscar André zu, wie er ihre Pferde sattelte. Sie verinnerlichte sich jede seiner geschmeidigen Bewegungen.

Als er gerade das Zaumzeug an ihrem Pferd anlegen wollte, ging sie zu ihm und legte ihre Hand auf seine. Glücklich sahen sie sich an. Küssen durften sie sich hier nicht, da jeden Moment einer der Stallknechte, der Kutscher oder sogar der General den Stall betreten konnte.

Zehn Minuten später ritten sie vom Hof. Als sie außer Sichtweite waren, hielten sie kurz an und küssten sich. Hand in Hand ritten sie dann das letzte Stück zum Schloss-

Dort angekommen war Oscar wieder der mutige und stolze Soldat. Doch ab und zu huschte ein zärtliches, verliebtes Lächeln über ihre Lippen, welches außer André niemand sah.
 

„Herein!“ rief eine dunkle Männerstimme aus dem geschlossenen Raum. Oscar öffnete die Tür, an die sie gerade geklopft hatte und trat ein. Sie salutierte und sagte mit fester Offizierstimme: „Verzeiht, General Bouillé, dass ich störe.“ Der etwas rundliche, ältere Herr sah von den Papieren, die auf seinem Schreibtisch lagen auf. Er musterte den Kommandanten streng, doch dann sagte er mit ruhiger Stimme: „Ihr stört nicht, Kommandant Oscar. Weswegen wollt ihr mich sprechen?“ Sie ging ein paar Schritte auf ihn zu und sah dem Oberbefehlshaber der Armee direkt ins Gesicht. „Ich möchte mich bei euch für mein Verhalten der letzten Wochen entschuldigen. Ich hatte ein paar Probleme und...“ Da stand der General auf, umrundete den schweren, aus Mahagoniholz gebauten Schreibtisch und legte, ganz gegen seine Art, seine Hand auf die Schulter der blonden Frau vor ihm. Er mochte Oscar und hatte sie immer verteidigt und in Schutz genommen. Manchmal sogar vor ihrem Vater. Er bewunderte sie, da sie den Mut besaß, sich als Frau, entgegen aller Konventionen zum Soldaten ausbilden zu lassen und die Kraft aufzubringen, ein Regiment zu führen. Anfangs hatte sie stark zu kämpfen gehabt und musste sich durchsetzen. Doch sie hatte es geschafft und wurde zu einem der besten Offiziere, die er je unter sich gehabt hatte. Aufmunternd lächelte General Bouillé Oscar zu und sagte in fast väterlichem Ton: „Macht euch darüber keinen Kopf, Kindchen. Jeder hat einmal ein paar schlechte Tage. Ihr habt eure Arbeit immer zu meiner vollsten Zufriedenheit aus-

geführt. Nie hatte ich einen Grund, mich über euch zu beschweren.“ Oscar konnte nicht glauben, was sie da hörte. Anscheinend hatte sie ihren Vorgesetzten völlig falsch eingeschätzt. „Aber General, ich dachte...“ „Ich trage euch nichts nach, Oscar. Es ist alles in Ordnung.“ unterbrach er sie mit einem Lächeln. „Ich weiß, dass euer Vater sehr wütend auf euch ist. Ich sehe das jedoch nicht ganz so eng wie er. Und das könnt ihr ihm ruhig ausrichten.“ fuhr er fort. „Vielen Dank, General.“ Der ältere Herr nickte. „Hmm... ich würde euch nun bitten, alle notwendigen Vorkehrungen für die Fahrt der königlichen Familie nach Fontainebleau in einer Woche zu treffen. Wie ihr wisst, ist es zur Zeit ein wenig unruhig außerhalb Versailles. Die Sicherheit des Königs, der Königin und des Dauphins steht an erster Stelle.“

Das ab 1528 erbaute Barockschloss 60km süd-östlich von Paris diente den Königen von Frankreich schon seit jeher als Sommerresidenz.

„Jawohl, General.“ Oscars Stimme war nun wieder fester. Sie salutierte, ebenso der General und mit einem Gefühl der Erleichterung verließ sie das Arbeitszimmer.
 

Draußen wartete André auf Oscar. Er lehnte an einem der großen Fenster mit den vergoldeten Rahmen und Nischen und betrachtete die kunstvollen Deckengemälde, die im Schloss allgegenwärtig waren. Als er Oscar sah, stieß er sich vom Fenster ab und ging auf sie zu. Ihr Gesichtsausdruck war eine Mischung aus Freude, Überraschung und Erleichterung. „Und? Was hat er gesagt?“ fragte André ungeduldig. Oscar strahlte ihn an. „Er trägt mir nichts nach. Er ist noch nicht einmal böse und eine Strafe bekomm ich auch

Nicht.“ Verkündete sie ihrem Geliebten die frohe Nachricht. Dieser streckte die Arme aus und ergriff Oscars Hände. Zärtlich strich er mit den Daumen über ihre Handrücken. Mehr durfte innerhalb der Schlossmauern nicht sein. „Siehst du, das habe ich dir doch gleich gesagt.“ meinte André mit einem warmen Lächeln, welches Oscar erwiderte. Minutenlang, so schien es, standen sie beide so da, die Hände miteinander verschlungen und sich zärtlich ansehend.

Plötzlich fuhren sie auseinander, als sie schnelle Schritte auf sie zukommen hörten. Sie erschraken beide, als sie erkannten, wer da den Gang auf sie zueilte: Graf de Girodel. Hatte er etwa gesehen, wie die beiden Liebenden sich gegenüberstanden? Hatte er die Blicke gesehen?

Doch dem war nicht so. Er ging auf Oscar zu, salutierte und sagte in gewohntem Offizierston: „Guten Tag, Kommandant Oscar.“ Die Angesprochene erwiderte den Gruß: „Guten Tag, Graf.“ Girodel wusste zwar, dass Oscar ihm wegen des Unfalls nichts mehr nachtrug und auch nicht mehr feindlich gesinnt war. Doch spürte er ganz deutlich ihre distanzierte Haltung ihm gegenüber. Das machte ihn ein bisschen traurig, da er sie als gute Freundin, wenn sie auch seine Vorgesetzte war, nicht verlieren wollte. Er genoss es, in ihrer Nähe zu sein.

„Ihr kommt gerade recht, Girodel.“ fuhr Oscar fort. « Es geht um die Reise der königlichen Familie nach Fontainebleau. Gehen wir in mein Arbeitszimmer, da können wir alles besprechen.“
 

Während Oscar und Girodel die Sicherheitsvorkehrungen für die Reise planten, ging André zu den königlichen Ställen. Hin und wieder griff er den Stallburschen ein wenig unter die Arme und half beim Ausmisten oder bei der Pflege dieser wunderschönen und wertvollen Tieren. Einige kosteten mehr wie ein normaler Bürger in einem Jahr verdiente.

Oscar war es gar nicht so recht gewesen, dass André sie mit dem Grafen alleine ließ. Fühlte sie sich in seiner Gegenwart immer noch ein wenig unsicher. Aber sie waren beide professionell genug und ließen sich ihre Gefühle nicht anmerken und so kamen sie sehr schnell mit ihrer Arbeit voran.
 

Das Abendessen bei den Jarjayes verlief ähnlich kühl ab wie das Frühstück. Oscar fragte sich, wann ihr Vater ihr verzeihen konnte. General Bouillé hatte es ja auch getan.

Als sie ihn daraufhin ansprach, sah er seine Tochter zornig an, knallte die Gabel in den Teller, stand auf und ging zu dem großen Fenster, von dem man einen schönen Blick auf den wunderschönen Rosengarten hatte, den Madame de Jarjayes vor einigen Jahren angelegt hatte. Diese Blumen waren ihr ganzer Stolz und sie strahlten in den schönsten Farben. Doch das interessierte den General nicht. Er starrte wütend in die Ferne. –Wie konnte mir General Bouillé nur so in den Rücken fallen? Er hat sich bei mir doch ab und an wegen Oscars Unkonzentriertheit, Unachtsamkeit und dass sie ihre Korrespondenz vernachlässigen würde beklagt. Warum hat er seine Meinung geändert?-

Oscars Mutter versuchte, diese eisige Stimmung zu überspielen und erzählte von einem amüsanten Kartenspiel, dem sie heute bei Marie-Antoinette und Madame de Polignac beiwohnen durfte.

Doch Oscar wollte nicht mehr länger in diesem Raum bleiben. Als André zu ihr trat, um ihr noch ein Glas Wein einzuschenken, wehrte sie ab. „Nein danke, André.“ sagte sie und erhob sich. „Mutter, ich bin müde und würde gerne zu Bett gehen.“ „Aber geh nur, Oscar.“ Sie umrundete den großen, nussbaumfarbigen Tisch und gab ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange. Sie richtete sich wieder auf und sah ihren Vater an.

Der aber rührte sich nicht. Durch das Glas im Fenster konnte Oscar sehen, dass ihr Vater seine Augen geschlossen hielt und seine Hände, die er zu Fäusten geballt hatte, zitterten. –Er versucht, die Beherrschung nicht zu verlieren. Oh Vater, wenn ihr wüsstet, wie sich mein Leben seit gestern Abend verändert hat, wo ich vergangene, heute und ab jetzt jede Nacht sein werde, ihr würdet mich verstoßen. Wenn ihr mich doch nur verstehen könnten...-

„Gute Nacht, Mutter, gute Nacht Vater.“ sagte sie, als sie an die Tür trat. „Gute Nacht, Oscar.“ Der Herrin des Hauses war anzuhören, wie sehr ihr das Verhalten ihres Gatten missfiel.

Kurz bevor Oscar den Raum verließ, drehte sie sich noch einmal um und lächelte André vielsagend an. Er verstand und bei diesen Gedanken schlug sein Herz merklich schneller. Dann schloss Oscar die Tür.
 

Zielstrebig und ohne groß nachzudenken betrat sie Andrés Zimmer. Mitten im Raum blieb sie stehen und atmete tief ein. André war zwar nicht da, dennoch konnte sie ihn ganz deutlich spüren. Er war allgegen-

wärtig, sein vertrauter Geruch, sein Lachen, seine Stimme. Sie nahm alles wahr, als ob er direkt vor ihr stehen würde.

Ohne Licht zu machen ging sie zu den großen Balkontüren und riss sie weit auf, so dass die Vorhänge wehten. Langsam trat sie in die dunkle Nacht. Ein leiser Wind wehte und spielte mit ihrem Haar, sanft wie eine zärtliche Berührung.

An einer ganz bestimmten Stelle der Balustrade blieb sie stehen und strich mit einem seligen Lächeln auf den Lippen über den kalten Stein. –Genau hier hat mir André seine Liebe gestanden. Dass diese drei kleinen und doch so großen Worte aus seinem Mund mein Leben so viel schöner machen können, hätte ich nicht zu träumen gewagt.-



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Kommentare zu dieser Fanfic (25)
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Von:  LOA
2009-08-17T20:28:54+00:00 17.08.2009 22:28
Eine großartige FF!!! Wahnsinnig toller Schreibstil, schöne Wortwahl und super romantisch! Auf sowas steh ich ja :) Wann gehts denn weiter? Will unbedingt die nächsten Kapitel lesen, bin voll gespannt! Lass uns bitte nicht zu lange warten!
Von:  dorisbuffy
2009-07-19T14:29:25+00:00 19.07.2009 16:29
also ich muss sagen das ist ja eine der besten FFs die ich bis jetzt gelesen habe. mir hat vorallem gefallen das oscar nicht von andres bett gewichen ist und wie sie ihn gepflegt hat. Aber vorallem wie du ihre gefühle für andre geweckt hast das war ja richtig süß und ich denke so hätte es vielleicht auch ihm Animi sein könn wäre schön gewesen.
ich finde deine FF könnte mann noch als so ein teil verfilmen wäre bestimmt intressant.
Von: abgemeldet
2008-04-14T13:31:06+00:00 14.04.2008 15:31
eine schöne ff. wär schön wenn du noch ein paar kapitel dazu schreiben würdest. wär spitze eigentlich;-)
weiter so...
Von: abgemeldet
2007-04-12T09:48:09+00:00 12.04.2007 11:48
sehr schön geschrieben... bis auf eine sache: ein Absatz aus dem Duell zwischen Griondelle und Andre ist aus meiner Fic geklaut, du hast nur andere Namen eingesetzt. Ich finde nicht, dass du das nötig hast, schade eigentlich. Wenn du mich gefragt hättest, hätte ich sie dir sicher zur verfügung gestellt...
Von:  Das_Kenni
2006-09-10T19:54:15+00:00 10.09.2006 21:54
Wunderschöne FF.
Wirklich romantisch und zum mitfühlen geschrieben.
Meiner Meinung nach eine sehr gelungene FF, der einige Kapitel mehr nicht wehtun würden. ;]
Von: abgemeldet
2006-08-07T13:17:32+00:00 07.08.2006 15:17
Tja, was soll man dazu noch sagen. Wie immer ganz toll geschrieben und einfach zum Dahinschmelzen.
Von:  She-Ra
2006-08-02T14:44:09+00:00 02.08.2006 16:44
Also die Story ist echt klasse
*alle Daumen hoch*
Freut mich, dass dir meine Tips geholfen haben. Immer wieder gerne. ^.~
Von: abgemeldet
2006-07-27T18:31:49+00:00 27.07.2006 20:31
Deine Story gefällt mir von Kapitel zu Kapitel immer mehr. Ich schmelze immer dahin. Ich habe einem romatische Ader und stehe total auf Kitch. Bei dir werde ich da voll und ganz bedient.
Also schreibe bitte ganz schnell weiter. Ich bin schon sehr gespannt wie es weiter geht. *süchtig bin*
Von: abgemeldet
2006-07-26T15:53:15+00:00 26.07.2006 17:53
Mein Gott, das ist ja zum Dahinschmelzen. Schreib bloß schnell weiter.
Von: abgemeldet
2006-07-26T08:58:45+00:00 26.07.2006 10:58
WOW!Ich hab mich so über das neue Kapitel gefreut. :) So romantisch...*schmelz*Freu mich wenn es weiter geht. :D


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