Zwei Seelen, zwei Herzen, eine Liebe von lea030603 ================================================================================ Frankreich, 1785 Es war eine Zeit, in der die Pariser Bevölkerung über Umbrüche und Neuanfänge nach dachte. Eine Zeit, in der der Geruch einer bevorstehenden Revolution bereits in der Luft lag, als Aufstände des „Dritten Standes“ fast an der Tagesordnung standen. Eine Zeit, in der der Großteil einer Nation Hunger leiden musste, während ein kleiner Teil in unvorstellbarem Luxus lebte, bezahlt von den Steuern der Armen. In dieser turbulenten Zeit lernten zwei Menschen ihre Liebe zueinander kennen, von denen beide nicht wussten, dass sie sie jemals erleben würden. Die in den schwierigsten Zeiten immer zueinander standen und für den jeweils anderen sein Leben gegeben hätten. *** Vor 30 Jahren kam im Hause des Generals de Jarjayes die sechste Tochter zur Welt. Es hätte eigentlich ein Junge werden sollen, der die Tradition, als Kommandant in der königlichen Garde zu dienen, weiterführen sollte. So beschloss der General, ein liebender aber auch sehr strenger Vater, seine jüngste Tochter als Mann zu erziehen. Er gab ihr den Namen Oscar und bildete sie zum Soldaten aus. Sie sollte Kommandant im königlichen Garderegiment werden, sehr zum Entsetzen seiner Frau. Ein Jahr zuvor, 1754, kam nicht weit weg vom Anwesen der Jarjayes ein Junge zur Welt. Früh verlor er Vater, einen Zimmermann und Mutter. Und so holte ihn seine Großmutter mit 5 Jahren ins Haus des Generals. Sie arbeitete dort als Haushälterin und Kindermädchen für Oscar FranVois. André, ein hübscher braunhaariger Junge, blieb von nun an immer an Oscars Seite, zuerst als Spielgefährte. Doch schon bald entwickelte sich zwischen den beiden eine sehr innige und tiefe Freundschaft, ungeachtet aller Standesordnungen. Er war ihr Vertrauter, ihr Beschützer und mehr als einmal rettete er ihr Leben. Für Oscar war André immer ihr bester Freund. André hingegen liebte Oscar, seit er 15 Jahre alt war. Doch er offenbarte ihr nie seine Gefühle, da er Angst hatte, ihre wunderbare Freundschaft würde dadurch zerstört werden. Außerdem stand der Standesunterschied dazwischen. Da André kein Adliger war, wäre Oscars Vater niemals mit einer Beziehung zwischen ihm und seiner Tochter einverstanden gewesen. Auch glaubte er zu wissen, dass Oscar ihn niemals lieben könnte. So litt er 15 Jahre unter der heimlichen Liebe zu ihr. Oscar lernte die Liebe erst viel später kennen. Mit 14 Jahren kam sie zur königlichen Garde und wurde alsbald zum Kommandanten befördert. Von da an war es ihre Aufgabe, die königliche Familie zu beschützen, war Freundin von Königin Marie Antoinette und ein gerngesehener Gast auf Schloss Versailles. Dort begegnete sie dem schwedischen Grafen Hans Axel von Fersen. Der Graf war ein gutaussehender junger Mann, dem die Frauen zu Füßen lagen. Doch nur einer gehörte sein Herz: der Königin. Sie wiederum erwiderte seine Gefühle, auch wenn es verbotene Gefühle waren. Oscar wusste von den beiden und schwieg. Von Fersen und sie verband bald eine Freundschaft, die auf die Loyalität zu Marie Antoinette gebaut war. Doch mit der Zeit änderten sich Oscars Gefühle für den Grafen. Die beiden sahen sich in Versailles immer öfter und im Hause der Jarjayes war er auch häufig zu Gast. Und mit einem Mal sah Oscar den Grafen nicht mehr als den Soldaten und Freund der Familie, sondern mit den Augen einer Frau. Plötzlich nahm sie den Glanz in seinen blauen Augen wahr, seinen sanften, sinnlichen Mund, sein wunderschönes, herzliches Lachen. Lange wollte sie es sich nicht eingestehen. Sie hatte ihr ganzes Leben und Denken wie das eines Mannes geführt und nun kamen Gefühle und Empfindungen in ihr hoch, die ihr fremd waren und Angst machten. Sobald sie in seiner Nähe war, schlug ihr Herz schneller und ihr wurde ganz warm. Sie spürte, wie verwundbar und schwach sie diese Liebe machte. André bemerkte, wie sich Oscar immer mehr veränderte. Und allmählich wurde ihm klar, warum. Er war froh, als sich der Graf 1776 als Freiwilliger für den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg meldete. Dies hatte er beschlossen, als er sah, wie gefährlich die Beziehung zwischen ihm und Marie Antoinette für die Königin wurde. Als der schöne Schwede weg war, war Oscar bald schon wieder die Alte. Anfänglich machte sie sich noch Sorgen um ihn und hatte Sehnsucht, doch die politischen und höfischen Probleme lenkten sie schnell ab. Dennoch, tief in ihrem Inneren hatte sich was verändert. Sie fühlte nun wie eine Frau Sie hatte von Fersen schon fast wieder vergessen, als er sieben Jahre später, 1784 ganz unerwartet wieder auftauchte. Für André war es wie ein Schlag ins Gesicht, als er sah, wie sehr sich Oscar freute, ihn wiederzusehen. Es tat ihm weh zu sehen, wie sehr Oscar unter der unerwiderten Liebe litt. Wusste er doch zu genau, wie es war, neben seiner großen Liebe zu stehen und zu wissen, dass die eigenen Gefühle nicht erwidert werden. Als Oscar begriff, dass von Fersen nur wegen der Königin wiedergekommen war und in ihr nur eine gute Freundin sah, zerbrach eine Welt in ihr. Und sie schwor sich, diese weiblichen, schwachen Gefühle in ihr nie wieder aufkommen zu lassen. André stand ihr während dieser Zeit immer zur Seite, auch wenn sie ihn manchmal von sich stieß und ihren Schmerz und ihren Kummer an ihm ausließ. *** Doch der Sommer 1785 veränderte das Leben der beiden. Es war ein schöner Tag im Mai. Oscar erwachte, als die ersten Sonnenstrahlen durch ihr Fenster fielen und ihr Gesicht erwärmten. Doch sie zog sich ihre Decke über den Kopf und brummelte: „Nein, ich bleib liegen. Ich will heute nicht!“ Sie drehte sich um und versuchte, weiterzuschlafen. Doch schon fünfzehn Minuten später stand Andrés Großmutter vor der Tür. Sophie Grandier war nicht nur Haushälterin und Gute Seele der Familie, sondern auch Oscars ehemaliges Kindermädchen. „Lady Oscar! Schlaft ihr noch? Ihr müsst aufstehen! Euer Dienst beginnt doch bald!“ rief die alte Dame draußen auf dem Flur. Sophie würde Oscar von jeher lieber als junge Dame in schönen Kleidern sehen, wie als Soldat in Uniform. Sie liebte Oscar wie ihr eigenes Kind und ihrem Vater hatte sie nie ganz verziehen, dass er sie als Jungen erziehen ließ. „Ja, ich komm ja schon!“ Genervt antwortete Oscar ihrem ehemaligen Kindermädchen, stand auf und zog sich an. „Na endlich, da bist du ja!“ rief André, als Oscar ins Esszimmer kam. „Meine Großmutter hat mir schon die Hölle heiß gemacht.“ „Guten morgen André.“ antwortete Oscar. „Das tut mir leid, aber irgendwie wurde ich heute nicht richtig wach.“ Sie setzte sich André gegenüber. „Da seid ihr ja, Lady Oscar. Aber, wo ist eure Uniform?“ fragte Sophie, als sie mit einem Tablett Tee aus der Küche kam und sah, dass Oscar nur ihre braune, enge Hose und ihr Hemd trug. „Mir geht es heute nicht so gut. Ich bleibe heute zu Hause. Girodelle habe ich gestern schon Bescheid gesagt.“ Graf Victor Clement de Girodel war drei Jahre älter als Oscar und stand einen Rang unter ihr. Als Oscar mit 14 Jahren in die königliche Garde kam, duellierten sich die beiden um den Posten des Kapitäns. Oscar gewann. Anfangs tat sich Girodelle schwer, einer, auch noch so jungen Frau, zu dienen. Doch mit der Zeit gewöhnte er sich daran und er stand voll und ganz hinter Oscar. „Das wird eurem Vater aber gar nicht gefallen.“ Sophie stellte die große Teekanne auf den Tisch und schenkte Oscar ein. „Das weiß ich.“ meinte sie und nahm einen Schluck des dampfenden Tees. „Und deshalb habe ich beschlossen, heute einen langen Ritt zu machen. Könntest du mir ein paar Sachen zum Essen einpacken, Sophie? Ich möchte nachher los und bin nicht vor heute Abend zurück." Madame Grandier sah ihre Ziehtochter entsetzt an. „Ihr hintergeht euren Vater und ich soll da mitmachen?“ Oscar und André lachten. Oscar stand auf und umarmte ihre Amme. „Ach komm schon Sophie. Tu mir den Gefallen.“ „Und wenn euch was passiert?“ „Wenn es dich beruhigt, ich wollte André fragen, ob er mich begleiten möchte.“ Oscar sah André an. Der machte innerlich einen Hüpfer. Einen Tag lang mit Oscar alleine... „Klar komm ich mit. Ihr seht, Großmutter, es wird ihr nichts geschehen. Ich werde auf Oscar aufpassen, wie auf meinen Augapfel.“ Die alte Dame sah „ihre Kinder“ an und lächelte. Sie wusste ja, wie viel Oscar in den letzten Monaten gearbeitet hatte. Sie hatte sich einen freien Tag wirklich verdient. „Also gut.“ willigte sie ein. „Aber jetzt frühstückt erst mal. In einer Sunden könnt ihr los.“ „Danke, Sophie.“ lachte Oscar und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Mit vollgepackten Satteltaschen ritten Oscar und André eine Stunde später durch die Grenzwälder zwischen Paris und Versailles. Lange Zeit ritten die beiden schweigend nebeneinander und genossen die Natur. Es war warm und auf den Wiesen und Felder blühten die schönsten Blumen. Doch dann brach André die Stille: „Sag mal, Oscar, warum bist du heute nicht zum Dienst gegangen? Dir geht`s doch gar nicht so schlecht. Mir konntest du nichts vormachen. Was ist der wahre Grund?“ Sie sah ihn an. -Wie gut er mich doch kennt-. „Du hast recht. Es ist nur so, dass ich mal raus musste. Das alles engt mich so ein. Manchmal meine ich, ich ersticke in Versailles.“ Um ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen, atmete sie tief die frische Luft ein. „Ich verstehe.“ Mit einem vorsichtigen Blick sah André Oscar an. „Und das hat nichts mit von Fersen zu tun?“ Er wusste, dass er sich auf unsicheres Terrain begeben hatte und erwartete jetzt einen scharfen Blick von Oscar oder schlimmer, dass sie ihn anbrüllen und wegreiten würde. Doch sie lächelte ihn an. „Nein, das hat nichts mit ihm zu tun. Die Sache ist für mich beendet. Und jetzt komm, legen wir einen Zahn zu.“ „Wo willst du überhaupt hin?“ „Das wirst du schon noch sehen!“ rief sie ihm zu und trieb ihr Pferd in den Galopp. -Ach Oscar, mit dir würde ich bis ans Ende der Welt gehen, dachte André mit einem sehnsüchtigen Blick auf ihre gold-blonden Haare, die im Wind wehten, als sie davon preschte. André hatte sie bald eingeholt und die beiden lieferten sich ein hartes Kopf-an-Kopf-Rennen. Doch sie kamen beide gleichzeitig an ihrem Ziel an. Sie ritten einen kleinen Hügel hoch und unter ihnen erblickten sie einen wunderschön gelegenen See. Das Wasser war ganz dunkel-blau und die Bäume und Blätter spiegelten sich darin. Die Sonne ließ die Wasseroberfläche glitzern. Sie stiegen von ihren Pferden ab und betrachteten dieses wunderschöne Fleckchen Erde. „Oscar, weiß du wie lange es her ist, seit wir das letzte mal hier waren?“ Oscar breitete die Arme aus und sah André an. „Das muss schon ewig her sein. Ich glaube, da waren wir noch Kinder. Und weißt du noch, mit was wir gespielt haben?“ André sattelte die Pferde ab und führte sie ans Wasser. „Ja, wir hatten diese kleinen Zinnsoldaten und wir fochten die schlimmsten Kämpfe aus, wobei ich meistens verlor.“ Oscar lachte. Sie konnte sich noch sehr gut daran erinnern. „Und du fandest es immer doof, gegen ein Mädchen den kürzeren zu ziehen.“ André baute sich daraufhin vor ihr auch und meinte mit gespielt ernster Miene: „Ich... wollte es dir zwar nie sagen, aber.. ich habe dich immer absichtlich gewinnen lassen!“ Sie boxte ihn freundschaftlich in die Seite. „Oh, du Schuft!“ Lachend ließen sie sich ins weiche Gras fallen. Sie streckten ihre Arme aus und für kurze Zeit berührten sich ihre Hände. André durchfuhr es wie ein Blitz. Am liebsten hätte er sie jetzt umarmt und geküsst. Doch er riss sich zusammen und setzte sich auf. Er wollte sich seine Gefühle nicht anmerken lassen. „Hast du Hunger?“ fragte er Oscar. Sie nickte lachend. „Ja, lass uns mal sehen, was uns Sophie eingepackt hat.“ Gemeinsam plünderten sie die Satteltaschen. „Mhm, ist das lecker! Deine Großmutter ist wirklich die beste Köchin der Welt, André!“ „Stimmt.“ Nachdenklich, fast schon verträumt sah er die Pastete in seiner Hand an. „Sie hat meiner Mutter viel beigebracht.“ Oscar sah ihn überrascht an. „Du redest selten über deine Eltern. Ist alles in Ordnung?“ Entschlossen verbannte André die negativen Gedanken aus seinem Kopf und lächelte Oscar an. „Keine Sorge, mir geht´s gut. Es ist so ein wunderschöner Tag, den kann mir nicht und niemand vermiesen.“ -Mir machst du nichts vor, André. Dich bedrückt doch was. Ich kenn dich doch. Aber du redest ja selten über deine Gefühle.- Als sie fertig gegessen hatten, setzten sie sich unter einen großen Baum, beobachteten ihre Pferde, redeten über ihre gemeinsame Kindheit und spielten sogar alte Kinderspiele. Sie hatten wirklich viel Spaß und lange Zeit war Oscar nicht mehr so frei und ungezwungen, ja schon fast glücklich. Und sie spürte, dass sich in ihrem Leben etwas verändern musste. In den letzten Wochen plagten sie gewisse Zweifel an Marie Antoinette. War sie wirklich die Königin für ihr Volk, die sie sein sollte? Sie lebte in Versailles in unvorstellbaren Reichtum, und ihre Bürger verhungerten. Die Pariser Bevölkerung hassten Marie Antoinette, das wusste sie. Oscar konnte das Verhalten dieser Menschen verstehen, ihr tat es weh, zu sehen, wie sie litten. Doch sie mochte ihre Königin und stand hinter ihr. Aber war ihre Entscheidung wirklich richtig? Diese Situation machte es ihr im Moment ziemlich schwer, ihrer Aufgabe als Kommandant der königlichen Grade nachzukommen. Sie hoffte, dieses freie, glückliche Gefühl an diesem Tag in ihrem Herzen bewahren zu können. „André, weißt du noch, wie wir damals Sophie zur Weißglut brachten, als wir uns auf dem Baum im Gemüsegarten versteckten?“ lachte Oscar. Doch André reagierte nicht. Er saß an den Baumstamm gelehnt und starrte in die Ferne. Oscar, die neben ihm im Gras lag, blickte zu ihm auf. André, was ist nur los mit dir? Oscar versuchte, ihren Freund abzulenken und fing an, ihn kräftig durchzukitzeln. Gespielt entsetzt sah er Oscar an. „He, was soll das!?“ Hör auf! Du weißt doch, wie kitzlig ich bin!“ Er ließ sich auf den Boden fallen und zog Oscar mit sich. „Eben, deswegen mache ich es ja!“ lachte sie. „Ich konnte es einfach nicht mehr mit Ansehen, wie du Trübsal bläst!“ Sofort begann André, sich bei Oscar zu revanchieren und stürzte sich auf sie. Lachend kugelten sie sich im Gras und kitzelten sich gegenseitig. „Oh André, hör auf! Ich... ich kann nicht mehr!“ lachte Oscar und mit letzter Kraft drehte sie André auf den Rücken, hielt seine Arme fest und setzte sich rittlings auf ihn. „Ich hab schon wieder gewonnen!“ triumphierte sie. Doch André schüttelte den Kopf. „Oh nein... so schnell gebe ich mich nicht geschlagen!“ Er löste seine Arme aus ihren Händen, packte sie an der Taille und drehte sie auf den Boden. Nun lag er halb auf ihr und hielt ihre Arme über ihrem Kopf fest. Oscar lachte Tränen. „Diesmal bist du der Sieger, André! Ich gratuliere dir! Ich gebe auf.“ keuchte sie. André war sein „Sieg“ jedoch völlig egal. Ebenfalls ganz außer Atem betrachtete er ihr Gesicht, das seinem nun so Nahe war. Ihre saphir-blauen Augen strahlten ihn an, ihr Mund war leicht geöffnet und ihr Brustkorb hob und senkte sich sehr schnell. Er spürte ihren schlanken Körper unter sich und es zerriss ihn fast vor Sehnsucht. Sehnsucht, sie jetzt einfach zu küssen, nur einmal ihre weichen Lippen auf den seinen zu spüren. Er wünschte sich, den Mut zu haben ihr zu gestehen, wie sehr er sie liebte, wie sehr sein Herz nach ihr schrie. Doch er sagte nichts, ließ von ihr ab und legte sich neben ihr ins Gras. Schweigend starrte er in den Himmel und versuchte, seine aufkommende Leidenschaft und Hitze wieder zu beruhigen. Auch Oscar spürte etwas in diesen Sekunden, in denen ihr André so nah war wie noch nie zuvor. Auch sie konnte ihren Blick nicht von seinen grünen Augen nehmen. Als sie so nebeneinander lagen, blickte Oscar André kurz an, dann sah sie ebenfalls in den Himmel und nahm seine Hand in die ihre. Sie spürte, dass zwischen ihnen mehr war als nur Brüderlichkeit. Fast zwei Stunden lagen sie so da und sprachen kaum Wort. Oscar genoss diesen Frieden und die Ruhe und André einfach nur die Zeit, die er mit ihr verbringen konnte. Während dieser zwei Stunden waren ihre Hände fest miteinander verschlugen und keiner der beiden machte Anstalten, dies zu ändern. Doch plötzlich zog Oscar ihre Hand weg und richtete sich auf. „André, wir sollten zurück. Die Sonne geht bald unter.“ André setzte sich ebenfalls auf. „Du hast Recht. Warte hier, ich hole die Pferde.“ Kurze Zeit später ritten sie wieder zurück. „Großmutter wird nicht sonderlich begeistert von unseren Hemden sein.“ meinte André mit einem Grinsen. „Sie wird uns den Kopf abhacken, wenn sie die Grasflecken sieht.“ lachte auch Oscar. Gerade, als die beiden auf das Tor zum Anwesen der Jarjayes zuritten sahen sie, dass eine Kutsche den Hof verließ. „Das war doch die Kutsche von Girodel, oder?“ fragte André. Oscar nickte. „Ja, aber was wollte er hier? Er wird doch meinem Vater nicht gesagt haben, dass ich heute nicht beim Dienst war?!“ André beruhigte sie. „Nein, das glaube ich nicht. Das würde er nicht tun.“ Sie ritten über den Hof zum Stall. Dort wartete schon Madame Grandier ungeduldig auf die beiden. „Da seid ihr ja, Lady Oscar!“ Sie und André stiegen von ihren Pferden ab und gingen auf die sichtlich erfreute und erleichtert wirkende Frau zu. „Großmutter, was habt ihr? Ihr seid so aufgelöst. Ist etwas passiert?“ fragte André. Heftig nickte sie. „Und ob, mein Junge.“ Sie lächelte geheimnisvoll. „Hat das was mit Girodel zu tun? Der war doch hier, richtig? Was wollte er denn?“ wollte jetzt auch Oscar wissen und vergessen waren die schmutzigen Hemden. „Oh Lady Oscar, es ist so wundervoll!“ Vor Freude schlug Sophie die Arme über ihrem Kopf zusammen. „Der Graf war hier und hatte mit eurem Vater ein längeres Gespräch. Lady Oscar, Graf de Girodel hielt um eure Hand an und euer Vater stimmte zu! Er war sogar höchst erfreit über den Antrag!“ Ihr ehemaliges Kindermädchen überschlug sich fast vor Freude und sah nicht, wie Oscar und André gleichzeitig die Augen aufrissen und entsetzt riefen: „WAS!“ „Ja, ist das nicht wundervoll? Ihr werdet die Frau eines angesehenen Grafen mit einem großen Namen. André, was sagst du dazu? Unsere Oscar wird bald eine Gräfin sein!“ André wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Diese Nachricht schmerzte ihn. Er suchte den Blick Oscars und sah, dass sie immer noch ihre Amme ungläubig anstarrte. Er räusperte sich und sagte in gezwungen festem Ton: „Das... kommt etwas sehr überraschend. Aber Großmuter, lasst uns erst mal die Pferde versorgen. Sie sind total erschöpft.“ „Ja, natürlich. Ach Lady Oscar, ich freue mich so für euch.“ Beschwingten Schrittes ging sie auf das Haus zu und verschwand darin. Sekundenlang standen Oscar und André noch draußen. Dann legte André seine Hand auf ihre Schulter und sagte sanft: „Komm Oscar, bringen wir die Pferde rein.“ Langsam löste sich ihre Starre und sie folgte André in den Stall. Sie konnte nicht glauben, was sie da eben gehört hatte. Warum wollte ihr Vater sie, nachdem er sie ihr ganzes Leben lang als „seinen Sohn“ und Erben behandelte, nun verheiraten? Warum wollte er sie jetzt als Frau sehen? „André, warum hat mein Vater diesem Antrag zugestimmt?“ fragte sie leise. Er nahm ihr den Sattel ab und trug ihn in die Sattelkammer. Resigniert zuckte er mit den Schultern. Er zwang sich, seine Gefühle nicht anmerken zu lassen. „Ich weiß es nicht. Aber was ich mich auch frage: warum Girodel? Hat er dir diesbezüglich irgendwelche Andeutungen gemacht?“ Oscar schüttelte den Kopf. „Nein. Ich dachte immer, er sieht in mir nur den Soldaten und seinen Vorgesetzten. Aber dass...“ Während sie ihre Pferde versorgte, sprach keiner mehr über dieses Thema. Jeder hing seinen Gedanken nach. Als sie später gemeinsam in der großen Eingangshalle mit dem weiß-schwarzen Marmorboden und dem großen, viel bewunderten Leuchter in der Mitte standen, verabschiedete sich Oscar von André. Sie musste jetzt alleine sein. „Ich gehe gleich auf mein Zimmer. Bitte sag Sophie, ich hätte Kopfschmerzen. Gute Nacht, André.“ Langsam stieg sie die Treppe hinauf. André sah ihr nach. „Ja, das mach ich. Gute Nacht, Oscar.“ Als sie oben in der Galerie angekommen war, drehte sie sich noch einmal zu ihm um und sah ihn an. „Danke für diesen wunderschönen Tag, André.“ sagte sie und ließ ihn alleine. Der sah wie versteinert zu Boden. Eigentlich hatte er jetzt auch keine Lust mehr auf seine Großmutter. Dennoch ging er in die Küche. Madame Grandier saß am großen Esstisch mit einem Glas Rotwein und pfiff vergnügt vor sich hin. „Großmutter, Oscar ist gleich zu Bett gegangen. Sie hat auf einmal Kopfschmerzen bekommen.“ Da hörte sie auf zu pfeifen und fragte besorgt: „Soll ich ihr etwas bringen? Einen Tee oder ein Glas Wasser?“ André wehrte ab. „Nein, sie möchte jetzt nur Ruhe. Und ich werde auch schlafen gehen.“ Sophie nickte. „André, glaubst du, sie wird bei der Hochzeit ein Kleid tragen? Ach, mit Sicherheit wird sie das und sie wird wunderschön darin aussehen.“ „Ja, das wird sie.“ antwortete er ihr abwesend. „Gute Nacht, Großmutter.“ „Gute Nacht, André.“ Ebenso langsam wie Oscar vorhin stieg er die Treppen nach oben. An der Tür zu ihrem Zimmer blieb er stehen und legte seine Hand auf das kühle Eichenholz. Einen Moment dachte er, anzuklopfen. Doch er wusste, dass Oscar momentan niemanden sehen wollte. André seufzte tief und ging dann schließlich mit hängendem Kopf auf sein Zimmer. Oscar lag in ihrem Bett und starrte die Decke an. Immer wieder fragte sie sich, wie Girodel dazu kam, sie heiraten zu wollen. -Er müsste doch wissen, dass ich nie eine treusorgende Ehefrau sein kann.- Nach der ganzen Sache mit von Fersen hatte sie entgültig mit der weiblichen Seite in ihr abgeschlossen. Sie wollte nur noch Soldat sein und irgendwann wie ihr Vater General werden. Sie wollte und konnte nicht heiraten. Niemanden... Sie drehte sich um und sah aus dem Fenster. Der Mond schien hell in ihr Zimmer und malte bizarre Muster auf Boden, Wände und Möbel. „Ich werde ihn nicht heiraten.“ sprach sie leise. „Und das werde ich ihm und Vater auch deutlich zu verstehen geben.“ Nach dem anfänglichen Schock fand sie die ganze Situation einfach nur komisch. Sie und heiraten... Unwillkürlich musste sie lachen. Ihr Vater konnte sie ja schließlich nicht zu einer Heirat zwingen. Sie stand auf, zog ihr Nachtgewand an und schlief bald darauf ein. André konnte im Gegensatz zu Oscar die halbe Nacht nicht schlafen. Er lag mit seinen Kleidern auf seinem Bett und hatte die Arme unter seinem Kopf verschränkt. Immer wieder tauchte vor seinen Augen ein Bild auf: seine Oscar, in einem wunderschönen weißen Brautkleid und neben ihr ihr Ehemann Graf Victor Clement de Girodel. Dieser Gedanke schmerzte ihn so sehr, dass Tränen seine Wangen hinunter liefen. Sein Herz brach zum ersten Mal, als Oscar sich in Hans Axel von Fersen verliebte. Nächtelang hatte er wach gelegen und die eine oder andere Träne verdrückt. Viele Nächte hatte er überhaupt nicht geschlafen. In dieser Zeit hatte er Oscar auch zum ersten Mal in einem Kleid gesehen. Für ihn war sie das schönste, was er je gesehen hatte. Nur leider trug sie das Kleid nicht für ihn, sonder für Fersen. Er wusste ja, dass er sich mit einem der angesehensten und schönsten Edelmänner Europas nicht gleichstellen konnte. Als Oscar dann begriff, dass von Fersen sie nicht liebt, sondern nur Marie Antoinette, keimte in André wieder Hoffnung auf. Hoffnung, dass Oscar sich doch eines Tages in ihn verlieben könnte. Dann könnte er endlich mit ihr zusammen leben statt nur neben ihr her. Doch wenn Oscar Girodel wirklich heiraten sollte, hatte er sie für immer verloren. Dann war sie die Ehefrau eines Grafen. „Was bin ich denn schon? Ich bin der Sohn eines Zimmermanns, ein Stallbursche. Du könntest dich nie in einen bürgerlichen verlieben, Oscar. Könnte ich doch nur adlig, reich und mächtig sein. Könnte ich doch nur Hans Axel von Fersen sein. Dann würdest du mich lieben. Und dann würde mein Leben das größte Geschenk auf Erden sein.“ sprach er leise. Er schwor sich, um Oscar zu kämpfen, auch wenn die Liebe zwischen adligen und bürgerlichen gesetzlich verboten war. Sie durfte Girodelle nicht heiraten. Sie liebte ihn ja nicht mal, das wusste er. Für André war Oscar das wichtigste und kostbarste in seinem Leben. Er wollte sie nicht verlieren. Als der Morgen schon fast graute, fiel André endlich in einen unruhigen Schlaf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)