Finstere Düsternis von Dystopia (Darkest Darkness) ================================================================================ Kapitel 1: Schwarzeste Schwärze ------------------------------- Finstere Düsternis… Marikus Augen waren geöffnet und trotzdem gab es kein Licht, welches ihn aus seiner Einsamkeit reißen könnte. Ein gleichmäßiges Piepsen durchdrang seine Umgebung und er fühlte sich wie gelähmt. Er atmete schwerfällig und leckte sich kurz über seine rauen, vertrockneten Lippen. Marik... Seine Gedanken bewegten sich im Kreis. Er realisierte einen tauben Schmerz im Arm und spannte reflexartig die Muskeln an, worauf ihm ein entsetztes Keuchen entwich. Er erinnerte sich. Langsam bewegte er eine Hand und führte sie ehrfurchtsvoll an die Infusionsnadel, welche träge schwingend in seinem rechten Arm steckte. Er zog sie heraus und entspannte sich müde, während eine dünne Flüssigkeit aus der geschaffenen Wunde träufelte. Tropfen…blutig rot, ölig schwarz… Marikus Zunge schien verdickt und fremdartig in seinem Rachen zu stecken und er würgte die Worte heraus, als befreie er sich von einer eiternden Made. „Wo bist du?“ Einem Anfall ähnlich bäumte er sich auf und erbrach eine Mischung aus Speichel und Blut. Wo…bist du? Keuchend wischte er sich den Mund ab und tastete seinen Oberkörper ab. Brennender Schmerz folgte seinen Fingern und sammelte sich an unzählig weiteren Nadeln und Dioden, welche an entscheidenden Stellen seiner Blutversorgung angeschlossen waren. Er war nicht mehr allein. Ein eisiger Schauer kroch über Marikus Rücken und er drehte seinen Kopf in Richtung eines Gefühls, was wohl Intuition war. „Wer ist da?“ Stille. Mariku schluckte und verkrampfte sich ungewollt, was eine Welle des Schmerzes nach sich zog. Es war niemand da, außer ihm selbst. Er keuchte gequält. Wo bin ich? Er drehte seinen Kopf und sah nichts weiter als schwärzeste Schwärze, welche ihm langsam den Nerv raubte. Eine Ahnung schoss ihm durch den Kopf und er tastete am Kopfende seines Bettes entlang. Er ertastete einen Lichtschalter und betätigte ihn. Nichts geschah. Nervös betätigte er ihn ein weiteres Mal. Ohne Erfolgt. Er spürte winzige Tränen seine Wangen herab laufen, während er die aufgedruckten Buchstaben des Lichtschalters erfühlte. On. Das Licht war an gewesen. Die ganze Zeit. Er schluchzte. Er vergrub sein Gesicht in Händen und zitterte, während Hilflosigkeit ihn übermannte und ihn zurück an jenen Ort führte, der Mariks düsterstes Geheimnis gewesen war. Mariku war blind. Kapitel 2: Erinnerung --------------------- „Wie geht es ihm?“ Kura Ryu stand betrübt im Büro des leitenden Arztes und verbarg seine Hände in den Taschen. „Nicht gut. Er hat herausgefunden, das er erblindet ist.“ Kura schloss die Augen und seufzte. Für einen kurzen Moment stellte er sich vor, sie nie wieder öffnen zu können. „Es gibt keine Heilung?“ Der Arzt schüttelte den Kopf. „Seine Netzhaut ist primär zerstört, sein Sehnerv durch ungeklärte Ursachen nicht mehr intakt. Als hätte-“ „Jemand den Stecker gezogen“, führte Kura den Gedanken des Doktors zu Ende und biss sich verbittert auf die Unterlippe. „Warum habt ihr euch nur so gehasst, Mariku?“ „Wie meinen?“ Kura drehte sich zum Fenster. Sein Blick ging in die Leere. „Nichts. Ich habe lediglich laut gedacht…“ Der Arzt erhob sich und nahm mitfühlend seine Brille ab. „Seien Sie froh, dass ihr Freund überlebt hat. Sie wissen was mit Patient Ishtar-“ „Ja, ich weis.“ „Hätten wir ihn nicht zwangsreanimiert-“ „Sie meinen zwangsgetötet.“ „Wie auch immer, hätten wir sein Gehirn nicht deaktiviert, wäre er vermutlich-“ Kura drehte sich um und der Arzt verstummte. Er schüttelte ihm die Hände, bedankte sich und verließ das Büro. Ärzte machten ihn krank. Eine Ironie, die ihm bereits bewusst wurde, als er in seiner Kindheit zum Doktor geschickt worden war und statt geheilt mit einem falschen Medikament nach Hause kam, das ihm Wochen des Schmerzes und der Agonie beschert hatte. Niemand hatte damals an dem Entschluss eines anderen Arztes gezweifelt, das Medikament weiter zu nehmen. „Dämliche Teufel, getarnt in Engelsgestalt“, hatte Mariku ihm darauf erzählt und die Tabletten vor versammelter Mannschaft aus dem Fenster geworfen. Er bekam wochenlang Ausgehverbot und musste im Weisenhaus bleiben, während Kura, Marik und Bakura draußen spielten. Doch er hatte ihm damals das Leben gerettet. Nun war er in Gewahrsam derselben Teufel und Kura fühlte sich verantwortlich dafür, Mariku vor falschen Diagnosen und dem Tod zu bewahren. Er schmunzelte als er sich an den kindlichen Mariku erinnerte, zeichnend und singend, als übermütiges Kind, das während seiner „Zwangsinhaftierung“ durch die Oberschwester des Heims, allen so lange auf die Nerven gegangen war, bis man ihn, statt ihn raus zu lassen, in den Keller gesperrt hatte. „Kann man nichts machen“, meinte Mariku darauf, bevor er den anderen Kindern unwirkliche Geschichten über Riesenspinnen und BHs tragende Geister, im Keller, erzählte. „Muss ich mir eben was anderes Überlegen…“ Marik hatte schon damals an seinem Yami geklebt und musste von Kura und Baku gezwungen werden sich zu amüsieren, anstatt den ganzen Tag vor der Kellertür zu verweilen und auf Mariku zu warten. Marik hasste es, wenn Mariku bestraft wurde. „Bleib stark, Löwe“, hatte Mariku Marik daraufhin jeden Tag zugeflüstert, obwohl jeder im Weisenhaus wusste, das Mariku der eigentliche Löwe war. Nun war er blind. Gezähmt von demjenigen, der ihn am meisten liebte. Von Marik. Kura trat aus dem Krankenhaus hinaus und kniff seine Augen zusammen, zum Schutz vor der grellen Sonne, welche hämisch lächelte und seine Stimmung wie tausend gleißende Schwerter zerschnitt. Sie hatte nur noch kleine Stücke der Verzweiflung übrig gelassen. Er betrat den Parkplatz, setzte sich in ein rotes Cabriolet und stellte das Radio an. Er achtete nicht besonders auf die anderen Autos auf dem Parkplatz und ignorierte die Flüche eines jungen Paares, welches gerade noch zur Seite springen konnte, als Kura den Parkplatz verließ. „Schreit ruhig“, dachte er verbittert, während er den melancholischen Tönen Mad Worlds´ lauschte, „Liebe hält nicht das, was sie verspricht.“ „Da könnt ihr sicher sein…“ Kapitel 3: Fragen über Fragen ----------------------------- Mariku erwachte. Sein Kopf und seine blinden Augen brannten, ausgedorrt von unzähligen Tränen, welche er zum Verlust seiner Augen und Mariks gleichermaßen vergossen hatte. Nicht das er hätte ahnen können, was wirklich mit Marik passiert war. Er war nur nicht da. Nicht anwesend. Weder in Marikus Gedanken, noch in seinem Herz, aus welchem er seinen Hikari immer am Schwersten hatte vertreiben können. Ein Arzt hatte ihm ein Beruhigungsmittel gegeben, worauf Mariku in einen langen Traum verfallen war, einen Alptraum, um genauer zu sein. Er träumte von Kreuzen, Stacheldraht umwickelten Flügeln und von Schmerz. Großem Schmerz. Dem Schmerz des Alleinseins. Abgelöst von seinem Hikari hatte er niemanden mehr außer sich selbst. Er war allein mit seinen Gedanken, seinen Gefühlen und seinen Ängsten. Vorerst hatte Mariku gedacht, sterben zu müssen. Sterben vor Einsamkeit, vor Furcht, vor Wahnsinn. Doch dann hatte er sein Herz abgeschirmt, wie er es immer tat, in Extremsituationen, um sich selbst zu schützen. Wie taub, ohne Empfindungen oder Zweifel lag er in der Dunkelheit seiner Blindheit gefangen und konzentrierte sich auf die, ihn umgebenden, Geräusche. Das Piepen seines Sinusrhythmus war in all der Zeit leiser geworden, unbeständig, als kämpfe sein Herz dagegen an, Marik als verloren anzusehen. Man hatte ihm einen neuen Tropf angehängt und Mariku fühlte sich an den Keller erinnert, in welchen man ihn bis zu seinem 18. Lebensjahr gesperrt hatte, sobald er, in den Augen der Oberschwester, ungezogen gewesen war. Ein unangenehmer Druck ging von der neuen Infusionsnadel aus und das leise Tropfen der Nährkochsalzlösung brachte Mariku zurück in den stickigen Keller des „Heims für schwere psychische Fälle“. Allein war es dort schlimmer als am Tag. Es war egal, ob es Licht gab oder nicht, jedes Kind graulte es damals davor, allein in den Keller zu gehen. Mit gutem Grund, wie Mariku später herausfand. Sobald man allein einen Fuß auf die verschmierten Kacheln des staubigen Untergrunds gesetzt hatte, zog es einem die Nackenhaare in die Höhe und jedes Herz begann wie wild zu schlagen. Mariku verzog das Gesicht bei dem Gedanken an eine große Spinne, welche ihm unbemerkt unter sein Hemd gekrochen war. Zu diesem Zeitpunkt durfte er sein Hemd noch anbehalten. Genauso wie seine Hose und seine Schuhe. Bakura hatte ihm damals beim Ausziehen helfen und unter strengem Blick der Oberschwester wieder in sein Zimmer verschwinden müssen. Mariku würde nie den mitleidigen Blick des Albinos vergessen, den er aufsetzte, bevor die Tür des Kellers geschlossen wurde. Mariku hatte die Oberschwester gehasst. Ihre Naivität, ihr Aussehen, ihren Geruch. Die Eigenschaft ihrem Mann mehr zu glauben, als verwirrten, geschändeten Kindern, welche nur unter diesen besonderen Eigenschaften in ihr verdammtes Heim gebracht wurden. Unter ihre Aufsicht, ihren Hass. Und ihren Mann. Einem studierten Psychologen, welcher schnell gefallen daran gefunden hatte, Probleme der verstörten Kinder als Verrücktheiten abzutun. Und Mariku im Keller zu besuchen. Immer öfter besuchte er ihn und erzählte seiner Frau lügen über Marikus psychischen Zustand, bis Mariku schließlich für jedes noch so kleine Vergehen von ihr bestraft wurde, solange, bis er es lernen würde, seine Launen unter Kontrolle zu halten. Immer härter wurde die Strafe, immer länger musste er im Keller bleiben und immer weniger durfte er dabei anbehalten, was es dem Teufel in Person immer einfacher machte, sich über Marikus Statur hinwegzusetzen und ihn zu schänden. Er seufzte als er sich an die besorgten Gesichter seiner Freunde erinnerte, die plötzlich immer weniger wurden, bis nur noch Kura, sein Hikari und Marik übrig waren. Seine einzigen Freunde… Sie machten sich damals große Sorgen und versuchten mit ihm zu reden, ihm irgendwie zu helfen. Doch Mariku verhärtete sich zu sehr, wurde brutal und verbittert, starb, bevor er jemals richtig gelebt hatte. Eine Tür wurde geöffnet und Mariku spitze die Ohren. Er bemerkte einen feinen Duft, welcher zu ihm wehte, nichts weiter als eine kurze Brise, aber doch so einprägsam, dass ihm ein kleines Lächeln über das Gesicht huschte. „Ishizu…“ Die Person hielt vor dem Krankenbett an und zog sich geräuschvoll einen Stuhl heran, bevor sie sich seufzend niederließ und Marikus Hand in die ihre nahm. Sanft und voller Führsorge berührte sie seine Haut und Mariku wettete für sich, dass sie sehr traurig dreinschaute. „Es tut mir so leid, Mariku.“ Aus ihrer Stimme klang mehr Schmerz, als er erwartet hatte. Gleichzeitig bemerkte er, dass ihr Schmerz nicht ihm, sondern jemand anderem galt. „Was tut dir leid? Nichts muss dir leid tun. Oder hast du mir etwa Säure über die Augen geschüttet?“ Er versuchte zu lächeln. Er hätte gerne gesehen, ob Ishizu dasselbe versuchte. „Wenigstens hast du deinen Sarkasmus nicht verloren.“ Ihre Stimme war angenehm wie ein schöner Herbsttag und Mariku wunderte sich, warum es ihm nicht früher aufgefallen war. Er nahm sich vor öfter mit ihr zu reden. Ihr zuzuhören. „Wenn ich auch noch den verliere, bin ich nicht mehr ich.“ Er wurde leiser. „Ich weis, die frage ist unangebracht, aber…wie sehen meine Augen aus?“ Ishizu zuckte unmerklich zusammen und war für einen kurzen Moment glücklich, das Mariku sie nicht sehen konnte. Er hatte unbewusst verzweifelter und verlorener geklungen, als jemals zuvor. „Sie sind wunderschön. Wie immer.“ Mariku grinste. „Na wenigstens bin ich dann immer noch so sexy wie Ray Charles.“ Ishizu drückte seine Hand und konnte ihm doch nicht zustimmen. Etwas war ihm verloren gegangen. Etwas, das Mariku schon immer Stärke und Kraft gegeben hatte, Charme und die unvergleichliche Fähigkeit Frauen für sich zu gewinnen. Sie hatte sich kurz in Gedanken verloren und erschrak etwas, als Mariku sich keuchend aufrichtete. Es kostete ihm sichtliche Kraft und Ishizu wurde ein wenig verzweifelter. Sie hatte sein Krankenblatt gelesen und wusste, dass sein Zustand, bis auf seine Augen, tadellos war. Mariku hätte aufspringen und sie durch das Krankenzimmer tragen müssen, so wie er es immer tat, wenn er sich freute sie zu sehn. Und das tat er, ungeachtet der Tatsache, dass er es gut versteckte. Warum also diese Kraftlosigkeit? „Rätsel über Rätsel…“, dachte sie laut und vergrub ihr erschöpftes Gesicht in der freien Hand. Mariku schaute starr auf seine Bettdecke und wirkte seltsam irritiert. „Was meinst du?“ Ishizu seufzte. „Mariku, was ist mit dir passiert? Warum bist du hier? Kannst du es mir verraten?“ In ihrer Stimme schwang neben Hilflosigkeit auch echte Neugierde mit und Mariku bewunderte sie für diese Eigenschaft, Trauer mit Wissen zu verdecken. „Ich…weis es nicht mehr. Nicht mehr genau.“ Er versuchte sich zu konzentrieren. „Es war…ein Experiment. Bei Seto…“ Ishizu biss sich auf die Unterlippe. „Er hatte Marik und mich gebeten ein Neues Gerät zu testen. Irgendetwas mit Gedanken und Unterbewusstsein. Er-“ „Ich weis das alles. Aber was passierte danach? Nachdem ihr euch bereitgestellt hattet? Was passierte…“ Ihre Stimme brach ab. „Mit Marik?“ Ishizu sprang auf, drehte Marikus Kopf und sah ihm geradewegs ins Gesicht. „Was passierte mit ihm? Was habt ihr gesehen?“ Mariku schien verwirrt. „Bitte, Mariku, WAS HABT IHR GESEHEN?“ Mariku schaute starr. Seine Augen waren schön aber tot und Ishizu erkannte, dass er ihr nicht würde weiterhelfen können. Sie ließ von ihm ab und setze sich erschöpft auf den Stuhl. Ein Gefühl schüttelte sie und kroch ihr Herz hinauf, während sie ihr Gesicht in Marikus Bettdecke vergrub. Er sah nicht wie Ishizu weinte und doch tastete er nach ihr, bis er ihr zartes Gesicht berühren konnte und ihr ungeschickt ein paar Tränen abwischte. Er beugte sich über sie und strich ihr beruhigend über den Rücken. „Alles wird gut…“ Ishizu bäumte sich auf und fiel Mariku jammernd in die Arme, weinte ausgelassen und drückte sich an die warme Haut des Yamis. Sie zitterte schrecklich und lehnte an Marikus Brust, während er starr und blind über ihre Schulter hinweg sah und sich ernsthaft fragte, was eigentlich passiert war. Kapitel 4: Schleichende Hoffnung -------------------------------- Grübelnd stand Seto Kaiba über einen Mikrochip gebeugt, welcher nicht nur zerstört, sondern auch verbrannt zu sein schien. Mit allerlei winzigen Geräten, versuchte er die zerstörte Schicht zu entfernen und das vernetzte Stück Metall zu retten. Vergeblich. „Verdammt!“ Er riss an seiner Schutzbrille herum und wischte sich genervt über die Stirn. „Mr. Kaiba, vielleicht sollten sie diesen Chip vergessen.“ Seto schnaufte. „Sehr reizend Roland.“ „Was ist daran reizend, Sir, Ihnen die Augen zu öffnen? Dieser Chip-“ „Ist verdammt noch mal der einzige Weg, herauszufinden, wo der Defekt dieser Maschine lag!“ Roland verbeugte sich respektvoll und verließ kopfschüttelnd das Labor, in welchem Seto aufgebracht stand und nach wenigen Minuten energisch seine Schutzbrille gegen die aluminiumverkleidete Wand schmetterte. Was war nur schief gegangen? Warum lag nun Mariku blind im Krankenhaus und Marik… Setos Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Er erinnerte sich gut an das Gesicht des jungen Ägypters, welcher ihn glücklich angelächelt hatte und zuversichtlich an den „Mind Searcher“ angeschlossen wurde. „Vielen Dank…“, hatte Marik gesagt und war kurz darauf eingeschlafen. Seto verfluchte sich selbst dafür, nicht noch weitere Tests gemacht zu haben und lehnte sich verbittert an einen der silbrigen Labortische. Eine weitere Person betrat das Labor und Seto erkannte Bakura, welcher seltsam übermüdet aussah. „Schon was herausgefunden?“ Seto schüttelte den Kopf und fühlte sich plötzlich sehr einsam und schuldig. Sein ganzes Leben hatte er geforscht und Menschen Dinge zur Vergnügung und Arbeit erschaffen. Sein letzter Versuch aber hatte ihm einen seiner besten Freunde entrissen und dessen Yami erblinden lassen. „Der Chip ist vollkommen zerstört. Wir haben nur noch die Hirnströme auf Band, aber kein einziges Bild mehr. Wir wissen nicht, was sie im jeweils anderen Unterbewusstsein gesehen haben.“ Bakura hatte seine Hände in den Taschen einer schwarzen Lederjacke versteckt, welche einen starken Kontrast zu seinen schneeweißen Haaren bildeten. „Verdammt…“ „Ganz mein Reden.“ Bakura lachte höhnisch. „Dein Reden…dein Reden war auch, das alles gut wird. Du hast gesagt, sobald wir die Lösung des Problems herausgefunden haben, können wir helfen. DAS war dein Reden. Wie aber soll das gehen, wenn der einzige Weg dazu versperrt ist? Der Chip ist hin, oder?“ Seto nickte betroffen. Bakura schaute zur Decke des Labors und Seto wusste, dass er sich krampfhaft bemühte nicht zu weinen. „Der Fehler ist ein technischer, also werde ich ihn finden.“ Seto versuchte mit Zuversicht zu sprechen, obwohl er wusste, dass es schwieriger werden würde, als angenommen. „Hm…“ Bakura machte Anstalten zu gehen, als ein Pfeifton erklang und Seto reflexartig eine Taste in der Nähe betätigte. „Mr. Kaiba? Frau Ishtar ist hier. Sie sagte, sie hätte eine Idee.“ Seto bestätigte und verfügte, dass Ishizu eingelassen wurde. Bakura hatte es sich augenscheinlich anders überlegt und fummelte unterdessen betrübt an ein paar wunderlichen Gerätschaften herum. Seto verschränkte die Arme vor der Brust und hoffte auf gute Nachrichten, während er den Drang unterdrückte, Bakura das Berühren seiner millionenteuren Geräte zu verbieten. Als Ishizu den Raum betrat erschrak Seto zutiefst, da sie nicht nur müde, sondern auch krank aussah, irgendwie unwirklich. „Guten Tag zusammen. Ich glaube ich bin dem Fehler etwas näher gekommen.“ Bakura sagte nichts, ging jedoch auf Ishizu zu und umarmte sie. Sie schien nicht im Geringsten überrascht und drückte ihn ebenfalls an sich, bevor sie sich an Seto wandte. In Setos Hals hatte sich ein Kloß gebildet und er schluckte nervös. Sollte Ishizu mehr Glück gehabt haben als er? „Ich bin noch mal das Protokoll der Aktion durchgegangen und habe bemerkt, dass der Ausfall der Maschine, das Verrücktspielen der Geräte und das ausfallen der lebenserhaltenden Maßnahmen erst begann, als die Gehirnströme der beiden einen gewissen Grad erreicht hatten.“ „Einen gewissen Grad?“ Bakuras Stimme war trocken wie Sand und seine Augen glitzerten. Ishizu nickte. „Die Ströme wechselten häufig von normal bis schnell. Doch kurz bevor die Maschine ausfiel, gerade zu gleichzeitig, stiegen die Ströme ins Überdurchschnittliche, was nur die Ursache für den Ausfall sein kann.“ „Oder eine Folge des Versagens. Ich habe den Bericht auch gelesen und es so gewertet, dass erst die Maschine ausfiel, dann die Gehirnaktivität stieg.“ Ishizu lächelte besserwisserisch. „Natürlich, deshalb dachtest du auch an ein technisches Problem. An einen Fehler deiner Konstruktion. Aber was ist mit Marik und Mariku? Können wir sie einfach außer Acht lassen? Was wäre, wenn das Problem von ihnen ausging und nicht von der Maschine?“ Seto grübelte, während Bakura das Wort ergriff. „Du meinst, ein psychisches Problem?“ „Das ist vollkommen ausgeschlossen.“ Seto schüttelte den Kopf. „Warum? Deine Maschine hat sie doch dazu gebracht in ihr jeweils anderes Unterbewusstsein einzudringen. Sie war mit ihren Gedanken verbunden. Warum also-“ „Weil das Gerät nur Gedanken übertragen kann, es beeinflusst sie nicht. Sobald sich der Organismus an die Maschine wendet, beendet sie den Kontakt.“ Bakura senkte den Blick. „Und was ist, wenn die Maschine aufgehalten wird? Wenn sie abschalten will, es aber nicht kann? Wenn es jemand, der angeschlossen ist, verhindert?“ Seto stockte. „Das ähm…habe ich nie in Betracht gezogen…“ Ishizu faltete einen Zettel auseinander und hielt ihn Seto vor die Nase. „Das weis ich. Deine Maschine ist lediglich so geschützt, dass sie den Kontakt abbricht, sobald es zu gefährlich für sie wird. Überspannung, Überhitzung durch zu hohe oder schnelle Ströme, eben technische Gefahren. Aber was ist mit der Psyche? Was wenn etwas in den Köpfen der beiden passiert ist, dass einen der beiden dazu brachte, sich nicht mehr lösen zu wollen? Die Verbindung nicht mehr trennen zu wollen?“ „Warum sollte jemand so etwas wollen. Es ist doch nur unser Unterbewusstsein.“ Bakura zuckte mit den Schultern, während Ishizu ihn ungläubig anstarrte. Seto betrachtete in dessen Ishizus Zettel und erkannte ein psychologisches Gutachten. Überrascht nahm er es zu Hand und begann zu lesen. „NUR unser Unterbewusstsein, Bakura?“ Sie massierte sich kurz ihre schmerzenden Schläfen und redete in gereiztem Tonfall weiter. „Unser Unterbewusstsein steuert alles das, was wir verdrängen, was wir unterdrücken und verschließen. Deine Träume werden durch das Unterbewusstsein gesteuert, damit du deine tiefsten Ängste, Gefühle und Situationen bearbeiten kannst. Immer wenn du handelst, ohne zu wissen warum, da hat sich dein Unterbewusstsein über dein Bewusstsein Geschoben und übernimmt dein Verhalten. Aggressives, männliches Verhalten, wenn es um Frauen geht, Angst vor Spinnen, Schlangen und anderen Tieren, die wir davor noch nie gesehen haben. Jedes Mal, wenn dir was Schlimmes widerfährt, saugt dein Unterbewusstsein die Erinnerung und dein Verhalten auf, versteckt es irgendwo in dir und lässt es nur dann wieder raus, wenn du es entweder gebrauchen kannst, oder es gerade überhaupt nicht passt. Quasi, immer dann, wenn es will. Dazu braucht es nur eine Kleinigkeit, die du mit etwas verbindest, was dein Unterbewusstsein gespeichert hat. Du selbst erinnerst dich meist gar nicht daran, weil dein kultiviertes Bewusstsein diese Dinge vergisst. Es ist so, als hättest du Yami und Hikari in dir selbst, ausgedrückt in deinem Bewusstsein und seinem bösen Schatten, dem Unterbewussten.“ Bakura schien zu verstehen und kratzte sich schuldbewusst am Kopf. „Mein Gott, Ishizu, was ist das?“ Seto sah erschrocken auf das zerfledderte Blatt Papier in seiner Hand und hielt sich mit einer Hand den Mund zu. Er schien sichtlich irritiert und schloss plötzlich verstehend die Augen. „Nein…“ „Doch, Seto! Das ist ein psychologisches Gutachten über Marik und Mariku, bevor sie als Waisen für ein Haus ausgesucht wurden. Du hättest sie nie vernetzen dürfen. Sie galten schon damals, mit 7 Jahren, als psychisch labil, gestört und gefährlich. Beide, wohlgemerkt! In ihren Köpfen könne folglich alles passiert sein!“ Seto legte das Papier beiseite und seufzte. „Was sollen wir deiner Meinung nach jetzt tun, Ishizu?“ Sie schien größer zu werden und sah Bakura und Seto streng an. „Wir müssen die Maschine reparieren und wieder jemanden in Mariks Psyche schicken. Er wacht nicht auf, liegt im Koma. Und ich glaube den Grund dafür zu wissen.“ Bakura nickte zustimmend, er wusste, worauf sie hinaus wollte. „Marik ist noch da, gefangen in seinem Unterbewusstsein. Er ist nicht Hirntot. Jemand muss ihn suchen und befreien.“ „Das ist Unfug. Versteckt? Mariks Bewusstsein in seinem Unterbewusstsein? Das ist verrückt...“ „Siehst du eine andere Möglichkeit?“ Seto verstummte. „Wir können es jedenfalls versuchen.“ Bakura keuchte erschrocken. „Aber wer soll dieses Risiko eingehen? Wenn seine Psyche doch so gefährlich ist?“ Setos Miene veränderte sich kaum, während Ishizu ihren Plan erzählte und fühlte doch, wie plötzlich Hoffnung zurück schlich, unbemerkt aber anwesend. Und er bemerkte auch die Gefahr, welche plötzlich im Raum schwebte, über ihnen allen, wie ein ahnungsvoller Schleier, noch bevor Ishizu antwortete. „Mariku, er muss es tun. Und dieses Mal, schauen wir zu.“ Kapitel 5: Angstvoller Entschluss --------------------------------- Alles war anders, und doch nichts. Mariku lag, mit zusammengefalteten Händen auf seinem Krankenbett und war vollkommen still. Er atmete nicht, noch das er dachte oder auch nur einen Muskel bewegte. Bakura hatte ihm die Nachricht über Ishizus Vermutung gebracht und zusätzlich Mariku Nachricht von Kura, der versichern ließ, sich gut um Marikus Katze und sein Motorrad zu kümmern. Er hatte schmunzeln müssen und hatte Bakura gedankt. Aber nicht für alles. Die Nachricht über Mariks Zustand war ein Schock gewesen, ein größerer, als Mariku es sich je hätte träumen können. Er war erbleicht, jedenfalls so sehr, dass es Bakura auffiel. Mariku hasste Marik. Dessen war er sich bewusst. Nie hätte er ahnen können, dass dessen absolute Abwesenheit ihn so erniedrigen, so schwächen würde! Er fühlte sich leer, einsam ohne Marik, Gefühle, die er noch mehr hasste als seinen Hikari. Wo war er da nur hineingeraten? Was war geschehen? Mariku konzentrierte sich auf sein Innerstes und versuchte jedes Geräusch ab zu schirmen, selbst das monotone Piepen des Monitors, welches sein einziger Begleiter im Zimmer war, hörte er nach einiger Zeit nicht mehr. Stille umgab ihn und Mariku schaute in die Leere des Nichts, die Leere des großen Ganzen, während er in sich selbst lauschte. Nach was genau, wusste er nicht, doch er suchte weiter, grub wie ein Wurm im weichen Fleisch seiner Erinnerung und hoffte so auf etwas, das er gleichermaßen schon wusste und doch neu für ihn werden würde. Mariku… Er riss die Augen auf und keuchte kaum merklich, während er sich schockiert aufrichtete und blind in den Raum hineinstarrte. Mariku… Er riss den Kopf herum und wich ängstlich zurück, glaubte er doch die Stimme seines Hikaris im Zimmer vernommen zu haben. Sein Herz raste und das unangenehme stottern seines Sinusrhythmus verwirrte ihn. Mariku! Wie ein Tier, keuchend und panisch dreht er seinen Oberkörper und versuchte etwas zu erkennen, die Blindheit zu durchstoßen. Er hielt sich krampfhaft die Ohren zu, während er klägliche Laute von sich gab. Mariku, ich bin hier… Mit wildem Ausdruck ließ Mariku seine Hände sinken und zitterte am ganzen Körper. Die Stimme kam aus seinem Kopf. Er schluchzte erbärmlich, bevor er sich in eine Hand biss und in der nagenden Angst in seiner Seele Ablenkung verschaffte. „Raus aus meinem Kopf…raus…“ Er stotterte und versuchte sich zusammen zu reißen. Nichts hatte Mariku jemals aus der Fassung bringen können, selbst an die Besuche im Keller hatte er sich gewöhnt. Er war ein Kind der Dunkelheit, er WAR die Angst. Es war vollkommen unmöglich, und doch raste sein Herz so schnell, das es schmerzhaft und brutal gegen seine Rippen schlug und ihm dem Atem nahm. Ishizu hatte recht gehabt. Marik war nicht Hirntot, jedenfalls nicht so, wie die Ärzte diagnostizierten! Er war gefangen, in sich selbst. Gefangen in seiner Welt, seinem düsteren Abgrund, an welchen sich Mariku nur verschwommen und schleierhaft erinnern konnte, aus Erzählungen, die Marik preisgab, sobald er im Schlaf redete. Er wischte sich über die Stirn und versuchte sich zu beruhigen, während ihn ein ungutes Gefühl beschlich. War er wirklich in Mariks Unterbewusstsein gewesen, wie ihm jeder erzählte? War es nicht eher eine Illusion, in die er eingetaucht war? Ein Spiegel, seiner eigenen, grausamen Welt? Der Realität? Mariku seufzte erschöpft und ließ sich schwer atmend auf sein Kissen zurückfallen. Er musste Marik suchen, egal wie grausam es werden würde, egal, wie sehr sein Hikari ihn gerade erschreckt hatte. Er hatte einen Entschluss gefasst und wollte gerade zum Telefon greifen, als ein Kichern den Raum erfüllte. Mariku erstarrte abrupt und klammerte sich wie hypnotisiert an sein Bettgestell, während sein Hals verstopft schien und er glaubte, einen warmen Hauch in seinem Nacken zu spüren. Ein entsetzlicher Gedanke spielte ihm einen Streich und er glaubte den fauligen Geruch verdorbenen Fleisches zu riechen, welcher tückisch und zielstrebig, aus einer Ecke des Raumes zu ihm lief. Mariku verharrte weiter in seiner Position, bis alle Gefühle verfolgen waren und er hektisch nach dem Hörer greifen konnte. Marik durfte es nicht wagen ihm Angst zu machen, dafür war er selbst zuständig! Mit wachsender Zuversicht zwang er sich zur Ruhe und wählte Setos Nummer, während er unbemerkt aus der Nase blutete. Er hatte sich entschieden. Kapitel 6: Alles, was nötig ist ------------------------------- „Gab es irgendwelche Komplikationen?“ Ishizu stand angespannt und mit leerem Blick neben Mariks Bett und betrachtete ihren vermeidlich, hirntoten Bruder. Sein Gesicht wurde beinahe gänzlich von einer trüben Atemmaske eingenommen, während ein nebenstehendes Beatmungsgerät träge Luft in seine unbrauchbaren Lungen pumpte. Selbst die Geräusche des Atmens schien die Maschine für ihn zu übernehmen und Ishizu wandte sich verbittert ab. In ihrem Innern tobte eine Schlacht zwischen Vernunft und Glauben, ein Kampf zwischen der Hoffnung auf Rettung und der unvermeidlichen Tatsache, das Marik gestorben war. „Nein, es war alles ruhig.“ Sie räusperte sich. „Ich habe aber auch nichts anderes erwartet.“ Ishizu drehte sich zu der Krankenschwester um und warf ihr einen vernichtenden Blick zu. „Dort liegt mein Bruder. Wir bezahlen ihr Krankenhaus im Voraus und selbst das sehr großzügig. Etwas mehr Respekt bitte!“ Die junge Frau entschuldigte sich erschrocken, während sie ein Tablett mit blutigen Taschentüchern entfernte. „Was ist das?“, fragte Ishizu interessiert, während sie die Arme vor ihrer Brust verschränkte. Irgendwie hasste sie dieses junge Ding dafür, Marik nicht gekannt zu haben, sich nichts daraus zu machen, dass er nur noch mit Hilfe von Maschinen lebte. Die Schwester senkte den Blick, während sie das Tablett über einem Mülleimer entleerte. Sie antwortete in etwas barschem Ton und Ishizu fühlte sich plötzlich daran erinnert, dass die Frau keine andere Wahl gehabt hatte, als ihr eben so zu antworten. Marik war nach empirischen Maßstäben tot. „Entschuldigen Sie bitte…“ Ishizu fühlte sich plötzlich verloren und musste sich setzen, während sie nur noch halbherzig auf die Antwort der Krankenschwester hörte. „Er hat gestern Abend kurze Zeit aus der Nase geblutet, kein Grund zur Sorge, dass passiert…in seinem Zustand nun mal.“ Sie verließ das verdunkelte Krankenzimmer und schloss die Tür hinter sich, während Ishizus Herz zu rasen begann. Es musste doch eine Möglichkeit geben! Sie durfte ihren Bruder nicht verlieren! Verzweifelt betrachtete sie Marik, welcher unverändert auf seinem Kissen lag und ungewohnt ruhig aussah. Ja, regelrecht friedlich, dachte Ishizu, während sie aufstand um ihrem Bruder liebevoll über seine Wange zu streicheln. Marik war immer angespannt und unendlich traurig gewesen. Niemandem war der Grund dafür wirklich klar, selbst für Ishizu war er immer ein großes Rätsel. „Er ist wie ein trüber See“, hatte Bakura einmal gesagt „immer in Bewegung, undurchschaubar aber lebenswichtig für viele um ihn herum.“ Er hatte damals gelächelt, doch Ishizu wusste, dass er bewusst eine Metapher vergessen hatte. Der echte Marik nämlich saß, nach ihrem Verständnis, auf dem Grund des Sees, gefangen mit sich selbst und unergründlich für alle, die ihn je hatten verstehen wollen. War er nun dort? Unterhalb des Wassers? Hatte er sich verheddert im Gewirr seiner Gedanken? Litt er unter dem Druck der Wassermassen? Ishizu seufzte. „Ach Bruder…“ Tränen sammelten sich in ihren Augen, während sie ihm eine Strähne aus dem Gesicht strich, zitternd und unendlich traurig. Schon immer hatte sich Ishizu bei Marik geborgener gefühlt, als bei irgendjemand anderem, was dazu führte, dass sein Leid sie immer besonders hart traf. Sie war wie eine Furie in das Heim ihres Bruders gestürmt, als sie vom Missbrauch seines Yamis und der anhaltenden Depressionen Mariks erfahren hatte, durch Briefe, welche sich Marik nach langer Zeit endlich getraut hatte zu schreiben, und welche sie wie ein Messer durchbohrt hatten. „Wie konnten Sie das zulassen?! Ich werde Sie verklagen! Sie und Ihren verabscheuungswürdigen Mann!“ Gift und Galle spukend hatte sie die Heimleiterin zur Schnecke gemacht. Ishizu war damals noch Auszubildende im Museum für Naturgeschichte in Domino gewesen, was ihr die Finanziellen Mittel für ein Verfahren zur Zwangsverlegung der Oberschwester und ihres Mannes gab, welchen sie mit Hilfe der Museumskuratorin gewann. Mehr konnte Ishizu nicht für ihren Bruder tun, da er ohne Eltern erst mit 18 berechtigt war, das Heim zu verlassen. Sie hatte sich damals schrecklich gefühlt, mit einer kleinen Wohnung nah des Museums, ohne weitere Mittel, um Marik und seinen Yami vor deren 18. Geburtstag aufzunehmen. Sie hatte sich immer Vorwürfe gemacht, selbst als sie beobachtete, wie Marik mit Hilfe seines Yamis zu größten Kartenschmuggler Dominos aufstieg und durch Gewalt und Furcht immenses Geld verdiente. Immer wieder hatte sie Marik gerechtes Handeln gepredigt, während er still zuhörte, ohne sich zu ändern. Der Kopf des Schmuggelns war immer Mariku gewesen und Ishizu hatte sich zwingen müssen ihm nicht die Schuld an Mariks geheimer Verdorbenheit zu geben. Auch hatte sie sich zwingen müssen, nicht zur Polizei zu gehen. Sie liebte ihren Bruder, der zu Weihnachten und ihrem Geburtstag alte, teure, Antiquitäten schickte, welche Ishizu persönlich, wie auch im Museum und der Universität, großen Ruhm einbrachten. Schließlich fand sie sich mit der Kriminalität ihres Bruders ab und gründete, mit Hilfe seiner Mittel, ein eigenes Museum der Ägyptologie, welches ihr größter Stolz war. Er half ihr immer, war immer für sie da, mit Geld und Herz, mit Humor und kindlicher Leichtigkeit. Sie hatte sich nie über seine homosexuelle Neigung beschwert und wunderte sich nicht, als Marik bald schon mit Bakura nach Hause kam, seiner letzten Eroberung nach vielen. Auch hatte sie es mit der Zeit geschafft, sich an Marikus, gänzlich gegenseitige Eigenschaft, zu gewöhnen, jede Nacht eine andere Frau mit ins Bett zu nehmen, was zweifellos auf seiner Unfähigkeit fußte, Bindungen einzugehen. Sie selbst hatte sich nie von ihm bezirzen lassen, war nie auf seine Flirtversuche eingegangen, was ihr schon viele enttäuschte Blicke Marikus einbrachte, über die sie sich immer mit einem charmanten Lächeln hinwegsetzte. Alles in einem war ihr Bruder unersetzlich, genau wie sein Yami, egal wie ungewöhnlich, oder seltsam sie beide jeweils sein mochten und Ishizu würde eher sterben, als einen der beiden im Stich zu lassen. Auch wusste sie, dass Mariku nicht würde ohne Marik existieren können. So war das mit Yami und Hikari eben. Sie war dabei das beinahe wichtigste in ihrem Leben zu verlieren, fühlte sich schuldig und klammerte sich still an Mariks Bettgestell. „Bitte, komm zurück. Du darfst mich nicht allein lassen. Noch nicht…was soll ich denn tun, ohne dich?“ Sie weinte still und schloss gequält die Augen. Es durfte nicht passieren. Sie würde selbst dafür sorgen, dass Mariku seine Sache gut machte, selbst, wenn es seinen Tod bedeuten sollte. Sie wollte Marik zurück. Kapitel 7: Entscheidung ----------------------- „Ah, Vorsicht, bitte!“ „Ist ja gut, ich passe auf. Es ist nur so ungewohnt dich anzuziehen. Mal was Neues.“ Mariku schmunzelte. Kura bemühte sich, den großen Ägypter weiter in ein angemessenes Outfit zu zwängen, während dieser alles andere als eine Hilfe war. „Jetzt steh doch gerade! Das kann doch nicht so schwierig sein!“ Mariku verzog das Gesicht. „Du hast gut reden, dir tut ja auch nichts weh… und sehen, kannst du auch genug!“ „Dann lass mich dich gefälligst einfach anziehen! Okay? Wehr dich nicht immer.“ „Aber du hast so kalte Hände…“ Mariku klang zu mitleidig als das Kura ernsthaft hätte sauer auf ihn sein können, und so beließ er es bei einem unbemerkten Augenverdrehen, während er ihm eine Krawatte um den Hals legte. „Mal sehen, ob ich den Knoten noch kann…“ Mariku klammerte sich plötzlich um Kuras Handgelenk. „Keine Krawatte.“ Kura seufzte. „Es wäre besser eine zu tragen, Setos muss die Ärzte und Mitglieder deiner Versicherung über das Vorhaben informieren und sie überzeugen. Alle werden eine tragen. Es wird heiß her gehen, schließlich könntest du…“ Er verstummte. „Draufgehen, nicht wahr?“ Kura nickte und vergaß für einen Moment, dass Mariku ihn nicht sehen konnte. „Keine Krawatte. Ich habe noch nie eine getragen, und dabei belass ich es. Bitte.“ Obwohl Marikus Blick starr, und sein flehender Ausdruck nicht zu seinen Augen passte, konnte Kura nicht umhin ihm den Wunsch zu erfüllen und legte den Slips beiseite. „Du warst schon immer ein Dickkopf, Mariku.“ Mariku grinste. „Und du ein Pessimist. Du sprichst schon in der Vergangenheit, als gäbe es mich nicht mehr. Aber ich bin hier! Lebendig, und werde noch lange Zeit dickköpfig sein.“ Er lächelte, doch Kura konnte Marikus Enthusiasmus nicht teilen. Er machte sich mehr Gedanken, als Mariku wissen konnte. Schon immer hatte er das. Mariku war zwar sehr robust, doch Kura wusste genau, durch was er angreifbar war. Er wollte insgeheim nicht, dass Mariku in die Psyche seines Hikaris eindrang, schon jetzt hatte der erste Einblick ihn bemerkbar verändert. Es waren nur winzige Momente, in denen diese Veränderung spürbar wurde, doch Kura konnte sie wittern wie verdorbene Früchte. Mariku war schwächer geworden, ein gewaltiges Paradoxon, da Mariku der Stärkste und eigenwilligste Mensch war, dem Kura je begegnet war. Auch der Merkwürdigste, und Kura hatte sich gleich zu ihm hingezogen gefühlt. Marikus Dreistheit, sein Charme und seine verborgene Verspieltheit waren genau das gewesen, wonach Kura immer gesucht hatte. Er hatte einen Freund fürs Leben gefunden, welcher manchmal sogar mit seinem Körper zur Verfügung stand. Geliebt hatte er Mariku dabei nie. Auch wenn er neben ihm aufwachte, egal ob mit einer zusätzlichen Frau, oder allein, hatte er nichts weiter als eine ungeheure Sympathie empfunden. Sie grenzte an Bewunderung, obwohl Kura sich nie schlüssig darüber werden konnte, ob es nun wirklich Bewunderung, oder einfach brüderliche Zuneigung war. Er schloss die obersten Knöpfe eines schwarzen Satinhemdes, welches Mariku zur Konferenz tragen würde und trat einen Schritt zurück. „Du siehst umwerfend aus.“ Ein wenig Stolz schwang in seiner Stimme mit, doch entgegen seiner äußerlichen Bemerkung fühlte er sich elendig. Mariku berührte sein Hemd. Er schien traurig. „Wenn du meinst, ich kann es leider nicht beurteilen.“ Kura drehte sich der Magen um. Mariku war allein schon zu hübsch um zu sterben! Er hatte es einfach nicht verdient, blind zu sein. Und um sich zu grämen, erst recht nicht. „Vertrau mir, sie werden begeistert sein.“ Die Konferenz hatte gezeigt, dass Kura Mariku doch mehr bewunderte, als er geglaubt hatte. Jeder tat das. Man konnte einfach nicht anders. Ohne jegliche Schwierigkeiten, ohne Hilfen, wie Führung oder einem Stock, war Mariku in den Saal der Krankenhausaula marschiert und hatte sich auf einen Stuhl neben Ishizu gesetzt. Er hatte die Hände gefaltet und dem Ratsvorsitzenden, ohne das ein Wort über die entsprechende Person gefallen war, den Kopf zugewandt. „Wie hast du das geschafft?“, fragte Kura anschließend, doch Mariku hatte nur grinsend mit den Schultern gezuckt. Er mischte sich zusätzlich nur in die Diskussionen zwischen Seto und den Versammlungsmitgliedern ein, wenn es nötig war und leitete doch indirekt das Gespräch, die Menschen und die Gefühle der Anwesenden. Er erwähnte mit keinem Wort seine Blindheit, was in anbetracht der Tatsache nebensächlich war, auch wenn es für Mariku selbst wahrscheinlich das Schlimmste war, was ihm je passieren konnte. Er hasste die Dunkelheit, und war nun für ewig gefangen in ihr, was er aber nach außen weder in Wort, noch Verhalten zeigte. Ganz klar, die Mitglieder der Konferenz waren bereit zu glauben, dass Mariku einen Anschluss an das Gerät ein weiteres Mal überstehen würde und gaben, nach Einverständnis der Ärzte, einen weiteren Versuch frei. Jeder hatte mindestens einmal erwähnt, zuversichtlich zu sein, bis auf Ishizu, welche sich ungewöhnlich still verhalten hatte, ganz entgegen jeglicher Vermutung. Als der Termin und der Ort des Versuchs bestimmt waren, fanden sich Seto, Ishizu und Kura im Flur vor Marikus Krankenzimmer wieder, in welchem Mariku noch für eine Nacht beobachtet werden sollte. Seto klang gedämpft. „Habt ihr es bemerkt?“ Ishizu nickte, doch Kura schaute verständnislos. „Er hat sich an den Tisch geklammert. Gleich nach Beginn der Konferenz.“ Er seufzte. „Es macht ihm wohl mehr aus, als ich dachte.“ Ishizu schwieg. Kura klopfte dem Milliardär aufbauend auf die Schulter und setze ein Lächeln auf. „Er wird es schaffen. Ganz sicher. Und bald haben wir Marik wieder zurück.“ Ishizu keuchte genervt und verschränkte die Arme. „Und was, wenn nicht? Er ist bereits blind. Was passiert, wenn er…“ Sie schaute zur Seite und biss sich auf die Unterlippe, Seto legte behutsam einen Arm um sie. „Du hast ihm die Chance gegeben Marik zu retten. Ohne dich, wären wir jetzt nicht hier, sondern auf Mariks Beerdigung. Du hast nicht aufgegeben. Und jetzt ist ein sehr schlechter Zeitpunkt, damit anzufangen.“ Sie schaute Seto an und umarmte ihn ebenfalls, während Kura die beiden mitleidig beobachtete. Auch Seto machte sich größere Sorgen, als er preisgab und Kura war insgeheim glücklich, dass diese Sorge Marik und Mariku galt, nicht etwa seiner teueren Maschine. Ein Wunder, hätte man meinen können, aber Kura wusste es nun besser. „Lasst uns nach Hause gehen und etwas schlafen.“ Der Albino gähnte und bemühte sich gelassen auszusehen. „Wir helfen Mariku nicht, wenn wir zweifelnd vor seiner Tür stehen. So wie ich ihn kenne, bekommt er das nämlich wieder irgendwie mit und nimmt es persönlich.“ Ishizu lächelte matt und selbst Seto schien erleichterter als vorher, so dass sich Kura zufrieden umdrehte und still mit ihnen aus dem Krankenhaus ging. Die Gefahr war für einen Moment vergessen und sie gingen erleichtert ihrer Wege, während Mariku schweigend und ernst, im Dunklen hinter seiner Krankenzimmertür stand und ängstlich darüber nachgrübelte, was er gerade gehört hatte. Kapitel 8: Angst ---------------- Er hatte Angst. Nagende Angst. Ehrliche Angst. Schreckliche Angst… Mariku saß auf seinem Krankenbett und blickte zu Boden. In seinem Kopf stürzten tausende von Gedanken in die Tiefe, nur um alle das gleiche zu predigen. Angst… Mariku schüttelte den Kopf und horchte in die Stille des Krankenhauses hinein. Wie lange hatte er nun gesessen und nachgedacht? Das Krankenhaus um ihn war stumm. Nichts außer seinem Herzschlag und seinem Atem durchbrach die Stille und er fasste einen Entschluss. Er musste Marik sehen. Jetzt. Auf der Stelle. Es war wie ein Befehl, ein Zwang, welcher Marikus Herz befiel und ihn aufstehen ließ. Leise und geschickt, wie eine Raubkatze, öffnete er seine Tür und schlich über die endlosen Flure des schlafenden Krankenhauses, vorbei an mehreren Schwesterzimmern, vorbei an Fahrstühlen, Aufenthaltsräumen und Ausgängen, hin in eine bestimmte Richtung, die er selbst nicht kannte. Er hatte den Weg zur Konferenz durch Ishizus Parfum gefunden und orientierte sich nun ebenfalls an Gerüchen, welche leicht und unscheinbar an Gegenständen, an Wänden und in der Luft hingen. Er folgte Marik. Er war ein Jäger, welcher mit Gespür für seine Beute durch einen künstlichen Wald schlich, zwischen den Höfen der Aufseher vorbei, zielstrebig bis ans Ziel. Mariks Geruch ähnelte dem des Sandes, in welchem er nach seiner Geburt, Elternlos aufgefunden wurde, trocken und süß zugleich, ein herrlich betörender Geruch, welcher nicht leicht verflog. Bakura sprach Mariku oft auf diese Tatsache an und beide lachten darauf über Mariks „unsichtbaren Verführungszauber“. Nun aber folgte er dieser Fährte. Niemand sah oder hörte Mariku dabei, eine Gabe, die ihn als Dieb, Verführer und Mörder unschlagbar machte. Sie war ihm angeboren und die Dunkelheit gab ihm Schutz, umhüllte ihn wie einen Schleier, ließ ihn wie einen Schatten erscheinen. Er konnte die Dunkelheit schließlich seit Neustem sehen. Begreifen. So bloßgestellt, gehorchte ihm die Finsternis aufs Wort, nahm von ihm Besitz und führte ihn letztendlich unentdeckt vor Mariks Tür, während die Nachtschwestern nichts ahnten, außer einem beklemmenden Gefühl. Er streckte eine Hand aus um die Tür zu öffnen. Er zögerte. Was tat er hier eigentlich? Er würde Marik morgen noch lang genug sehen. Er biss sich auf die Unterlippe. Warum hatte er nur solche Angst, ihm zu begegnen? Was war so schlimm daran, einfach hinein zu gehen? Er zog seine Hand wieder zurück und begriff. Es könnte das letzte Mal sein. Mariku schluchzte und war wieder ein Kind, weinend und allein im Keller des Waisenhauses. Alleingelassen von allem, selbst von seiner Vernunft, ängstlich und hilflos, während ihn Dunkelheit umgab, gefüllt mit grässlichen Spinnen und Monstern. Er rieb sich zum tausendsten Mal die Augen, da ihm Tränen ebenso peinlich waren wie Schwäche zu zeigen und ignorierte die Kälte, welche sich über seinen halb nackten Körper hermachte und ihn langsam verschlang. Ein Kratzen. Mariku keuchte erschrocken und drückte sich weiter mit dem Rücken zu Tür, starr in die Finsternis schauend und zitterte am ganzen Leib. „Mariku…“ Er spitzte die Ohren. „Mariku. Ich bin´s…ich werde hier bleiben.“ Mariku weinte erleichtert und drehte sich schräg zur Tür, lehnte seinen Kopf an das vermoderte Holz und presste seinen Leib an eine bestimmte Stelle. Auf der anderen Seite tat Marik dasselbe und strich behutsam über die raue Fläche, während er leise für Mariku ein gute Nacht Lied sang und die Strophe so lange wiederholte, bis sein Yami aufhörte zu weinen. „Marik…“ Mariku berührte sein Gesicht und spürte Tränen über seine Wangen laufen. Marik war für ihn da gewesen. Immer. Selbst als Mariku anfing ihn zu hassen, war Marik keinen Schritt gewichen und hatte versucht Marikus Seele zu heilen, von allem Schmerz, der sich im Laufe seiner Kindheit angesammelt hatte. Er wusste nun, wovor er Angst hatte. Er hatte Angst, Marik zu verlieren. Er hat Angst ihn das letzte Mal zu sehen, wenn er das Zimmer betrat, er hatte Angst, ihm das zu gestehen. Er hatte Angst, Marik zu zeigen, wie wichtig er führ ihn war. Mariku öffnete die Tür und schritt durch das Zimmer auf Marik zu, welcher unverändert auf seinem Bett lag. „Ich werde dich suchen, Marik, ich werde für dich da sein.“ Er wischte seine Tränen ab und schaute lange Zeit auf seinen Hikari herab, stellte sich vor, ihn sehen zu können und lauschte dem Puls seines Herzens. „Ich werde dich heilen…“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)