Halte dich von Wurmlöchern fern! von abranka ================================================================================ Kapitel 1: Halte dich von Wurmlöchern fern! ------------------------------------------- Das Raumschiff trat in den Orbit von Beta Extra 3 ein. Die Stewardessen kontrollierten ein letztes Mal die Kälteschlafkammern und begaben sich zu ihren Sitzen. Die Landung würde wahrscheinlich recht unruhig werden. Doch zum Glück setzte man für die Businessflüge die erfahrenen Piloten ein, nicht diejenigen Berufsanfänger, die regelmäßig die Touristenmaschinen auf der Landebahn zerlegten. Dummerweise war nur gerade vorher eine der Massenmaschinen von Allorca M5 gelandet beziehungsweise geschwerkraftet worden. Noch wurden die letzten Trümmer von der Landebahn geräumt. Hauptsache war jedoch, dass die Kälteschlafkammern mit den Passagieren die Bruchlandung überstanden hatten – und das taten sie beruhigenderweise eigentlich so gut wie immer. Reiseunternehmen mochten keine Klagen von Hinterbliebenen. Und das Personal... Nun, fünf Jahre in der Branche reichten aus, um nie wieder arbeiten zu müssen... Nach etwa zwei Stunden verließ ein großer, sehr menschlich anmutender Mann das Chaos der Schalterhalle. Er fiel auf, weil er auf einen menschlichen Beobachter überraschend vertraut in dem außerirdischen Chaos des Raumhafens wirkte. Dort drängten sich tentakelige, spinnenartige, glibberige, haarige und schuppige Wesen durcheinander. Menschen waren in dem Sinne eigentlich keine zu sehen. Nicht hier, nicht auf Beta Extra 3, dem Schmelztiegel des bekannten Universums. Man sah höchstens einmal einen Humanoiden, so einen wie den blauhäutigen Mann, der gerade den Raumhafen verlassen hatte. Sein Name war Bi Fistifth und er war sehr gereizt. Er war gerade als letzter aus der Kälteschlafkammer geweckt worden und hatte nach knapp vier Tagen Flug festgestellt, dass sich sein Koffer mit den Mitbringseln für seinen Chef – „Bringen Sie mir bloß etwas von dem alarianischen Wein mit! Und vergessen Sie nicht etwas Schickes für meine Frau!“ - am anderen Ende der Galaxie befand und versehentlich ins falsche Raumschiff geraten war. Die Reisegesellschaft würde sich zwar bemühen, ihn wieder zu finden, doch im Prinzip war dies nur eine Farce, um Bi Fistifth von einer Klage absehen zu lassen. Das Unternehmen selbst wusste wahrscheinlich nicht einmal, wo genau sich der Koffer befand. Gut, er hätte ihn eben doch mit ins Handgepäck nehmen sollen... Bi Fistifth seufzte leise. Sein Chef würde mal wieder ausrasten. Einen Augenblick später blieb er an dem Taxistand stehen und überlegte, ob er das Risiko eingehen wollte, eines der grellgelb leuchtenden Gefährte zu benutzen. Doch nachdem er drei Leuten beim Aussteigen aus einem ankommenden Taxi zugesehen hatte, entschied er sich lieber für die Luftbahn. Die war zwar chronisch unpünktlich, aber die Wahrscheinlichkeit, lebend ans Ziel zu kommen, war ungleich höher. Er stieg in den Lift und ließ sich zu der Bahnplattform bringen. Dort herrschte dichtes Gedränge und das ausgiebige Gefluche der wartenden Passagiere verriet ihm, dass die letzte Bahn schon mehr als die normale Verspätung hatte. Bi würde also doch deutlich später ins Büro kommen, als er gehofft hatte. Und das würde wiederum noch einen Ausraster vom Boss nach sich ziehen. Heute war ja wirklich wieder sein Glückstag... Er starrte über die Köpfe der Leute hinweg. Blaue Haare, grüne Tentakel, orangefarbenes Fell und türkise Kopfbedeckungen mischten sich miteinander und gaben ein skurriles Bild ab. Doch was wollte man anders im Schmelztiegel des Universums erwarten? Bi legte den Kopf in den Nacken und betrachtete die Wolkenkratzer über sich. Sie reichten fast bis an das Ende der Atmosphäre. Er konnte einige wenige Sterne in einem winzigen Loch zwischen den Gebäuden glitzern sehen. Zumindest meinte er, in ihnen Sterne zu sehen. Genauso gut konnte es sich um Raumschiffe handeln oder um Reflexionen in der Atmosphäre. Nein, entschied er, das waren Sterne und damit basta. Er wollte nach Hause, in sein Bett. Vorher würde er aber noch eine Flasche barvaria trinken, mindestens. Die hatte er sich jetzt verdient. Aber nein, er würde natürlich jetzt erst ins Büro fahren. So, wie es sich für einen anständigen Mitarbeiter gehörte. Innerlich verdrehte er die Augen. Sein Blick glitt über den Bahnsteig und er stellte fest, dass sich eine Gasse vor einigen Gestalten gebildete hatte, die sich ihm recht zielstrebig näherten. Das, was dort besorgniserregend direkt auf ihn zu kam, sah nicht sehr vertrauenserweckend aus. Nein, überhaupt nicht... Oh nein, nicht Bono... Bis Blick glitt hektisch umher. Die Leute bildeten eine undurchdringliche Wand und warteten ab. Sie wollten ja schließlich sehen was passieren würde. Bi traf eine schnelle Entscheidung. Er drängte sich mit großem Kraftaufwand durch die Menschen bis zum Rand der Plattform. Kalter Wind fuhr ihm durch das himmelsfarbene Haar und peitschte es ihm ins Gesicht. Er hatte keine große Wahl. Vor ihm befand sich der einzige Fluchtweg. Seine Augen glänzten panisch, als er in den Abgrund hinabblickte. Hinter sich hörte er wie die Menschen auseinander stoben, um dem Anführer der Gangster, Bono, einem großen Mann mit menschlichem Gesicht und der gedrungenen Gestalt eines Profiboxers Platz zu machen. Seine Kopftentakel peitschten unruhig hin und her und er ballte die Fäuste seiner vier Arme. Er zog die Luft angestrengt durch die bereits mehrfach gebrochene Nase ein und öffnete schmatzend den Mund um zu sprechen. Bi Fistifth drehte sich endlich um. Blitzschnell checkte er, dass sich die restlichen Schlägertypen, ähnliche Mischlinge, in dem menschenleeren Kreis verteilt hatten. Okay, doch keine Wahl... Bis gerade hatte Bi Fistifth noch Hoffnung gehabt, irgendwie anderweitig sein Leben retten zu können, doch das sah nicht so aus. Er hoffte nur, dass er sich nicht irrte... „Bono, spar dir deine blöden Sprüche. Ich habe nichts mit der Sache zu tun. Ich bin gerade erst wieder hier. Eigentlich will ich dich jetzt nicht fertig machen müssen, doch du lässt mir ja wohl keine Wahl.“ Bono entgleisten die Gesichtszüge. Bi Fistifths Dreistigkeit war nicht zu überbieten. Niemand sprach so mit ihm, Bono Beta, dem Anführer der Unterwelt von Betacity! Na gut, dem hoffentlich künftigen Boss und aktuellen Handlanger... Bi war nur zu klar, was er gerade getan hatte, und er hatte auf diese Reaktion spekuliert. Während Bono noch mit seiner Fassung rang, warf er sich nach vorne und zog seinem Gegenüber fest an den zitternden Tentakeln. Dem Gangster entwich ein heiseres Krächzen, als seine Kronjuwelen derart misshandelt wurden. Seine Handlanger sprangen vor, um ihren Boss zu verteidigen, doch Bi war schneller und ließ sich kurzerhand über den Rand der Plattform fallen. Er lachte als er die aufgerissenen Augen der Betacitener über sich sah und dem sicheren Tod entgegenstürzte. Einen Sekundenbruchteil später hatte er Gewissheit. Die Welt zog sich um ihn zusammen und schrumpfte auf einen einzigen Punkt zusammen. Bi hatte das Gefühl, als wenn ihm sein Kopf explodieren würde. Einen Lidschlag später prallte er auf dichtes, rosafarbenes Gras. „Uff...“, entfuhr es ihm. Er hatte sich nicht getäuscht. Das dort unten war wirklich ein Wurmloch gewesen, das ihm jetzt gerade das Leben gerettet hatte. War nur die Frage, wo er jetzt gelandet war. Er richtete sich langsam auf und sah sich um. Rosa. Das schien diesen Ort hauptsächlich auszumachen. Das Gras war rosa, der Himmel leuchtete rosarot und ansonsten... rosa. „Na klasse...“ Hinter ihm grunzte etwas. Ganz langsam und bedächtig drehte sich Bi um - und erstarrte. Ein großes, undefinierbares Tier blickte ihn an. Wenigstens steckte in den riesigen – rosafarbenen – Augen nicht mehr Intelligenz als in denen eines Warusas – eines kleinen, absolut dämlichen, beliebten, pelzigen Haustiers -, sodass Bi es für ein Tier hielt. Sicher konnte man sich im Universum natürlich nie sein... Er tastete nach seinem Universalübersetzer in der Jackentasche. Ein kurzer Stupser bewirkte, dass das Gerät ansprang und ihm das Gegrunze als das wiedergab, was es war: Gegrunze. Und der Sabber, der jetzt langsam aus dem Maul des gigantischen – rosafarbenen – Etwas lief, verriet ihm noch etwas anderes. Es sah offenbar gerade seine Zwischenmahlzeit vor sich! „WAH!“ Bi drehte sich um und rannte. Das Tier hinter ihm setzte sich ebenfalls in Bewegung – auf welche Art, das wollte er jedoch lieber nicht wissen. Der rasselnde Atem reichte ihm schon, um zu wissen, dass es da war. Okay, denk dir was aus. Du bist doch sonst so gut darin! Einige hundert Meter vor sich sah er etwas verführerisch in der Luft glitzern. Gut, das war jetzt etwas einfallslos, aber was sollte es! Wenn diese Lösung einmal geklappt hatte, dann würde sie auch ein zweites Mal funktionieren! Er zog das Tempo an und hielt auf den kopfgroßen – an seinem Kopf gemessen – Punkt zu. Hinter ihm war der Atem des Tieres deutlich lauter geworden. Neugierig geworden, tat Bi Fistifth das, was jeder schlaue Mensch weiß, das er besser unterlassen sollte, wenn er vor etwas wegläuft: Er sah sich um. Mittlerweile waren es vier von diesen Kreaturen, die ihn verfolgten. „Iek!“ Verblüfft kam Bi ins Stolpern und fiel... Doch bevor er den Boden erreichen konnte, rutschte er mit einem rudernden Arm in das Wurmloch hinein und wurde mit einem lauten Schmatzen hineingezogen. Die Welt zog sich um ihn zusammen und erneut hatte Bi das Gefühl, als wenn die Welt explodieren würde. Dann schlug er auf. Und zwar diesmal auf angenehm weichen Teppichboden. „Wow... Das nennt man wohl Glück“, murmelte er und richtete sich langsam auf. Er mitten in der Betacityzentralbank gelandet. Hinter dem Kraftfeld, das die Mitarbeiter und die gutgehüteten Kardakristalle vor möglichen Dieben schützte. Und das war ein Umstand, bei dem er sich gerade nicht wirklich sicher war, ob er sich darüber freuen sollte. Gut, er wurde nicht mehr von rosafarbenen hungrigen Viechern verfolgt und diese schienen auch zu dick zu sein, um durch das Wurmloch zu passen. Aber trotzdem... Er hatte das dumpfe Gefühl, dass er vom Regen in die Traufe geraten war. „ÜBERFALL!“, brüllte in diesem Moment eine schrille Stimme neben ihm los. Bi wirbelte herum und starrte in die entsetzten rotunterlaufenen Augen einer Querrellianerin. Ihre gelben Tentakel wirbelten durch die Luft und drückten mindestens zehn verschiedene Alarmknöpfe. „Gut, ich gehe dann mal...“ Bi zog sich langsam in die Richtung zurück, in der er sich die Tür erhoffte. „Oh nein, du bleibst hier!“, kreischte die Kassiererin und griff nach ihm. Schlangengleich wickelten sich sechs ihrer Arme um ihn. „Wah! Hilfe!“ Bi war innerhalb von Sekunden auf das Wirkungsvollste gefesselt. „Verdammt, das ist ein Missverständnis,“ schimpfte er, doch das interessierte offenbar niemanden. Nein, die Arbeitskollegen des Gelbtentakels tauchten auch noch auf und beglückwünschten sie zu ihrem Mut und ihrem beherzten Eingreifen. Bi seufzte leise und verdrehte die Augen. Heute hatte er wirklich das Talent nur in Schwierigkeiten zu geraten. Nicht, dass das etwas ungewöhnliches war – nur das Ausmaß der heutigen Zufälle war ihm neu. Man verhaftete ihn. Natürlich nicht ohne die obligatorischen Stromstöße, die verhindern sollten, dass der ach-so-unglaublich-gefährliche-und-gewiefte-Schwerverbrecher, dem es gelungen war, in die bestbewachte Bank des Universums einzudringen, entkam oder gar noch einen der tonnenschweren Betazisten zu überwältigen. Verdammt, man sollte meinen, dass in diesen abgedrehten Universum alle schon irgendwann einmal eine nette Begegnung mit zwei oder drei Wurmlöchern gehabt hatten und ihm daher glaubten, wenn er davon berichtete. Aber nein. Nein, natürlich nicht. Und jetzt hockte er in dieser verfluchten Hochsicherheitszelle, wurde video-, thermal- und telepathieüberwacht und wartete auf seine Verhandlung. Wirklich klasse. Und da die Richter von Betacity für ihren Unwillen, Angeklagten irgendetwas zu glauben, bekannt waren, waren seine Aussichten verschwindend gering. Abgesehen davon, war er seinen Job garantiert bereits los, denn er hatte nun schon zehn Stunden Verspätung bei einem Chef, der bereits fünf Minuten als Einleitung der Apokalypse verstand, und diesen verdammten Kleingangster Bono am Hals. Mal ehrlich: Er war wirklich bedauernswert... Er seufzte so laut, als wenn das gesamte Universum auf seinen Schultern ruhen würde. Dann sah er etwas glitzern... Oh ja, und wenn jemand in diesem beschissenen Universum dieses Glitzern kannte, dann er. „Na, was habe ich noch zu verlieren?“ Er stand auf und sprang durch das Wurmloch hindurch. Selbst die genialsten Überwachungsmethoden von ganz Betacity konnten ihn nicht daran hindern. Die Welt zog sich um ihn zusammen und einmal mehr hatte Bi das Gefühl, als wenn die Welt explodieren würde. Er landete im Sand. Schöner, hellroter Sand. Ein türkisfarbenes Meer schlug mit sanften Wellen gegen den Strand und am hellblauen Himmel standen zwei heimelig leuchtende Sonne. Allorca M5. Das hier war eindeutig Allorca M5, der wohl schönste Planet im bekannten Universum und das Urlaubstraumgebiet schlechthin. Eine wunderschöne Eingeborene mit rosefarbener Haut und schwarzem Haar ließ sich neben ihm nieder. Ihre vier Arme stützten sich im Sand ab und ihre drei Augen musterten Bi Fistifth aufmerksam. „Wo du kommen her?“ „Von Betacity.“ „Du angekommen plötzlich.“ „Ja, per Wurmlochexpress.“ „Das Glitzernde da?“ „Ja. Und wenn ich dir einen guten Rat geben darf: Halte dich von Wurmlöchern fern! Die meiste Zeit machen sie einem nichts als Ärger!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)