Der Grüne Stein von Ta_Moe (- ein Märchen -) ================================================================================ Kapitel 6: Akt 6 ---------------- Kapitel 6: Identität Heela lief zur Tür hinaus und ging in die Kammer, in der die alte Frau wohnte, die für die Arbeitszuteilung verantwortlich war. „My Lady, was kann ich für Euch tun?“, wurde sie begrüßt. „Ich wollte dich bitten, Magd Lola und den Knappen Gil Pagher für einige Zeit aus ihren Diensten zu entlassen. Sie machen einen kränklichen Eindruck.“ Bei diesen Worten erschrak die ältere Frau und erhob sich abrupt. „Das ist nicht gut“, sagte sie leise und lief nervös durch ihre Stube, „das ist ganz und gar nicht gut“ Sie wiederholte diesen Satz noch ein paar Mal, ehe Heela sich einmischte: „Was ist nicht gut?“ Die Frau sah verwirrt auf, „Ihr seid noch da?“ Heela nickte irritiert. Es schien ihr, als habe die Frau den Kontakt zur Außenwelt für einen Moment unterbrochen. „Was ist nun daran so schlimm, sag schon!?“ Sie seufzte, „Mägde, die nicht arbeiten werden, oftmals kurzerhand entfernt.“ „Entfernt?“, Heela hatte so eine Vorahnung, doch wollte sie diese nicht wahrhaben, „Was meinst du damit?“ „Sie werden in ein weit entferntes Arbeitslager gesteckt, dort erhalten sie nicht einmal die Hälfte an Essen, wie hier!“ Erleichtert stieß sie die angehaltene Luft aus, auch wenn es keine gute Nachricht war, war sie besser als eine Exekution. Doch als sie noch einmal darüber nachdachte, erkannte sie selbst, dass dies keine sinnvolle Lösung gewesen wäre. „Halte mich auf dem Laufenden über ihre Zustände, Gil sollte bald wieder fit sein und auch Lola. Es dürfte nicht mehr als ein, zwei Tage in Anspruch nehmen!“ Wieder sah die Frau zu ihr, „Ich dachte schon es wäre schlimmer.“, auch sie atmete erleichtert auf und ließ sich zurück in ihren Stuhl fallen, nachdem sie sich mit einem tiefen Knicks von Heela verabschiedet hatte. Diese eilte hinaus in den Gang, anschließend zu Deoha, um ihren Rat in Sachen Sean einzuholen. Die alte Frau saß auf ihrem Bett und stopfte ein paar alte Socken. „Guten Tag!“, wurde Heela von ihr begrüßt. „Ich wollte Euch etwas fragen!“, begann sie ohne große Umschweife und erzählte von dem gestrigen Treffen mit Seans Sippschaft und dem Achsenbruch. Die Pfeile ließ sie aus, hielt sie nicht für angemessen wichtig. Deoha seufzte, als das Mädchen ihre Erzählung beendet hatte. „Ich verstehe deine Sorgen.“, krächzte sie angestrengt. „Aber da musst du alleine durch!“ Heela musterte sie lange, ehe sie nachhakte, „Habt Ihr keinen weisen Rat für mich?“ Deoha schüttelte abweisend mit dem Kopf. „Gut!“, entgegnete Heela schließlich und stand auf. Sie breitete ihr glänzendes Kleid aus und schob ihr Diadem zu Recht. „Trotzdem danke!“, sagte sie und ging zur Tür. Bevor sie austrat, meinte Deoha: „Ich habe zu danken, für deine Ehrlichkeit, dies ist ein gutes Zeichen!“ Heela senkte ihren Kopf, Tränen standen ihr in den Augen. Doch sie drehte sich nicht um, sondern hielt geradewegs auf den Gang zu Seans Zimmer zu. Die Pfeile, dachte sie im Stillen, sie ist eine Seherin, sie musste sie gespürt haben, sie musste von ihnen gewusst haben, auch von den Briefen… Kurz darauf langte sie an die kleine Holztür, hinter der die große Kammer des Ritters lag. Sie schlug zweimal an, dann wurde ihr geöffnet. Eine Kammerzofe ließ sie ein und drängte an ihr vorbei. Sean stand vor einem Spiegel und musterte sich. Er trug ein langes schwarzes Gewand, auf dessen Rückseite ein großer roter Drache prangte. Er drehte sich mit einem Schwung zu Heela um, wobei die Innenseite seines Umhangs erkennbar wurde. Roter samtener Stoff schmiegte sich sanft an seine helle jungenhafte Haut. Mit einem raschen Blick musterte er Heelas Erscheinungsbild, doch dieses kam einer Lüge gleich, sie war weder adlig, noch würde sie es je werden. Sean winkte sie zu sich. Mit geneigtem Kopf schritt sie ihm entgegen. „Wie ist Euer Name?“, fragte er sanft. Fast zu sanft, für Heelas Geschmack. Sie überlegte einen Moment, entschied sich, die Wahrheit zu leugnen. „Ich bin Jasmin von Rosenborg. Euch kenne ich, eine Magd sagte mir, ich solle mich bei Euch melden!“ Er nickte überrascht und rückte näher an sie heran. Sie wich augenblicklich die gleiche Entfernung zurück, um einen für sie angemessenen Abstand zu wahren. „Also, seid Ihr die Unbekannte, deren Begleitung uns so ruhmreich geholfen hatte. Wie sie es auch immer geschafft haben, ich spreche Euch und Euren Begleitern meinen Dank aus.“ Er verneigte sich kurz, um anschließend fort zufahren, „Ich habe nach Euch rufen lassen, um Euch zu bitten, mir beim Tee Gesellschaft zu leisten…“ Heela sah ihn erstaunt an, er wollte was, schnell fasste sie sich wieder und antwortete, „Wieso verspürt Ihr den Drang nach meinem Beisein?“ „Ich hege keinerlei Dränge, ich wollte mich nur angemessen bei Euch bedanken…“ „Aber ich bin allein, aber ich war nicht allein!“, erinnerte sie ihn. „Dies ist mir durchaus bewusst, doch ich bevorzuge edle Begleitung, ich nehme doch scharf an, dass dies bei Eurem GEFOLGE nicht der Fall war!?“ Erbost hob Heela ihre Stimme, „Wagt es ja nicht noch einmal so über meine Freunde zu reden, sonst…“ Doch sie stockte, Sean sah sie amüsiert an, „Ich mag Frauen, die sich zu behaupten versuchen.“ „Das ist mir gleichgültig…“, sie drehte ihren Blick weg. „Mir soll es recht sein, ich werde keine beleidigenden Worte mehr über Eure Begleiter über meine Lippen lassen!“ Er nickte ernst und berührte sie an der Schulter, „Setzt Euch!“ Ein mulmiges Gefühl kroch in Heelas Magen und wollte sie abhalten etwas Falsches zu tun. Doch ihre Neugier besiegte ihre Gefühle und so tat sie, worum man sie bat. Langsam, wie es sich für Edelleute gehörte, ließ sie sich in einen der Sessel nieder und wartete, bis sich auch Sean gesetzt hatte. „Erzählt mir von Euch!“, wurde sie von ihm aufgefordert. Sie überlegte kurz, „Was genau interessiert Euch?“ „Oh, alles…“ Unsicher musterte sie ihn, setzte dann einen fragenden Blick auf. „Was für eine Kunst betreibt Ihr?“ „Oh, ich reite nur!“, erwiderte sie schnell und warf die Frage zurück, „Und Ihr? Jagt Ihr?“ Sean schüttelte mit dem Kopf, „Nein, nein, ich kann es nicht mit ansehen, wie diese armen Tiere hingemetzelt werden.“ Er machte eine betroffene Geste. „Ihr seid ein Feigling.“, entfuhr es Heela, worauf sie einen vorwurfsvollen Blick erhielt. „Tatsächlich?“, hakte Sean nach, das nervöse Zittern in seiner Stimme war kaum zu überhören. „Ich finde es falsch, zu lügen!“, setzte Heela nach und verschränkte stur ihre Arme vor der Brust. „Ach, woher wollt Ihr das denn so genau wissen?“, nun rückte er ihr auffallend nah, sodass sie schon seinen trügerischen Atem wahrnehmen konnte. Angewidert, aber selbstbewusst, wich sie zurück. „Und Ihr seid eine sehr, sehr, sehr selbstsichere Frau!“ Er lehnte sich abrupt wieder an. „Ich weiß!“, sagte sie schnippisch und wollte aufstehen. „Aber, aber, Teuerste. Ich wollte Euch nun wirklich nicht kränken. Ihr habt noch gar keinen Tee getrunken!“ Seufzend ließ sie sich wieder in den Sessel fallen und setzte ein falsches Lächeln auf. „Ihr seid recht interessant!“, meinte Sean nach einer Weile, endlosen Schweigens. „Euer Mann muss sehr stolz auf Euch sein!?“ Heela wusste worauf er hinauswollte, worauf sie sofort abblockte, „Ja in der Tat, das ist er. Zumindest sagt er dies immer.“ „Oh, der Tee.“, rief Sean und winkte eine Magd herbei, die ihm ein Tablett auf den Tisch stellte. Er nickte, worauf sie abging. Mit langsamen Auf-, Abbewegungen goss Sean zwei zart gearbeitete Tassen ein und reichte eine an Heela weiter. Diese nahm sie vorsichtig entgegen. Bevor sie einen Schluck daraus nahm, wartete sie, dass ihr Gegenüber selbst trank. „Ihr seid klug!“, sagte er, ohne dabei von seiner Tasse aufzublicken. Sie musterte ihn schweigsam, ehe sie meinte: „Ich muss gehen, es war mir ein Vergnügen Euch beiwohnen zu dürfen.“ Anfangs hatte es Heela sichtlich schwer gefallen, solch erhabene Worte über ihre schmalen Lippen zu bekommen, doch mit der Zeit gewöhnte sie sich daran. Sean nickte ihr lächelnd zu. Sie streckte ihren Arm aus, woraufhin er ihr einen sachten Kuss auf den Handrücken hauchte. Heela machte einen angedeuteten Knicks und schritt hinaus in den Gang. Mit eleganten Bewegungen lief sie durch die Burg, um Lola aufzusuchen. Jedoch wurde sie zuvor von einer Zofe aufgehalten. „My Lady?“, sagte diese leise, „Die Tafel ist gedeckt und man erwartet alle Edeldamen bei Tische…“ Heela sah sie kurz an, „Und die Edelmänner?“ Die junge Frau stutzte, unterdrückte ein Grinsen, nur ein zaghaftes Lächeln huschte über ihre Lippen. „Die Lords sind auf Jagd und werden anschließend essen!“ „Gut, ich komme.“ Die Zofe nickte und eilte nach einem kurzen Knicks davon. „Komische Sitten hier, die essen nicht mal zusammen.“, flüsterte Heela zu sich selbst, wobei sie nicht gemerkt hatte, dass sie nicht allein im Gang stand. Der Stallbursche Jim schlich durch das Treppenhaus und schien Heela erkannt zu haben, war durch ihre Aussage noch mehr davon überzeugt worden. Er berührte sie sanft an der Schulter und wisperte: „Heela? Wohin so eilig?“ Erschrocken drehte sie sich um und starrte den jungen Mann erstaunt an. „Was machst du denn hier?“, fragte sie rasch. „Das gleiche könnte ich dich fragen, ich gebe mich nicht als Edelmann aus!“ Heela spürte wie ihr die Scham ins Gesicht stieg, „Ja, ich hatte ein Problem…“ „Ich habe es gesehen. Du warst bei Sean Philip von Hohenstalle!“ Er musterte sie skeptisch, „Warum?“ „Er hat nach mir verlangt!“ „Nach dir? Du bist eine Magd!“, ereiferte Jim und fuchtelte wild mit den Armen, „Was sollte er von dir wollen, bestimmt nicht, dass du ihm die Kammer reinigst, oder was zu Essen bringst. Nicht in dem Aufzug!“ „Was ist denn los mit dir?“, fragte Heela verwirrt, runzelte ihre Stirn. „Ach, gar nichts.“, entgegnete Jim stur und wandte sich von ihr ab, er starrte gebannt auf den Boden. „Sag schon!“, forderte sie. Plötzlich drehte er sich wieder ihr zu und rückte ihr verdammt nahe, „Du solltest dich von ihm fernhalten, er ist… gefährlich!“ Heela machte einen Schritt rückwärts und schaute ihn abschätzend an, „Was macht er denn?“ „Was weiß ich“, nun blickte er die Treppe hinab, „pass auf dich auf.“ Ohne ein Abschiedswort eilte er davon. Nachdenklich fasste sich Heela ans Kinn und sah ihm nach. Seine wilden schwarzen Haare wehten im Wind, ebenso seine lockere Kleidung. Kopfschüttelnd machte sich Heela auf den Weg in die Große Halle, um am Mahl teilzunehmen. Sie wollte Gil und Lola unbedingt etwas davon mitbringen. Sie wurde herzlicher empfangen, als sie je vermutet hätte. Einige der Männer schienen sich allerdings, eher in Frauenkreisen, als auf der Pirsch wohl zufühlen. Neugierig musterte sie all die neuen und bekannten Gesichter. Schon von weitem hatte sie Sean samt Familie ausgemacht, nur sein Vater war nicht anwesend. Der junge Ritter winkte sie zu sich. Bereitwillig folgte sie seiner Aufforderung und nahm neben ihm Platz. „Ihr seid nicht auf der Jagd?!“, hinterfragte sie laut. „Nein.“, entgegnete Sean und sah auf seinen Silberteller, da noch kein Essen aufgetragen worden war, konnte er deutlich Heelas zufrieden hämischen Gesichtsausdruck erkennen. „Ihr seid von wahrlich selbstbewusster Abstammung, war auch Eure Mutter so zu Eurem Vater, oder warum seid Ihr so aufmüpfig?“ Empört verschränkte sie ihre Arme vor der Brust und tat, als interessiere sie sich besonders für ein Tischgesteck, welches vor ihr stand. „Kann sein“, sagte sie mit ernster Stimme und wandte sich Seans Begleitung zu, „Wer seid Ihr?“ Obwohl sie sehr wohl wusste, dass es sich um Seans Verlobte handeln musste, empfand sie es als passender erst nachzufragen. „Ich bin Katharina von Jiloffenhof, Seans Verlobte und Euer Name ist…?“ Heela nickte skeptisch, setzte ein falsches Lächeln auf und sagte: „Ich bin Jasmin von Rosenborg.“ Die andere junge Frau erwiderte das Nicken, obgleich Heela hätte wetten können, dass sie ebenso skeptisch dachte, wie sie selbst. Keine Angst, dachte Heela im Stillen, ich werde ihn dir schon nicht wegnehmen, daran würde ich im Traum nicht denken… Fast hätte sie dreckig aufgelacht, doch wurde sie sich schnell ihrer Umgebung wieder bewusst. Bald darauf, war das Essen aufgetragen worden und alle Gäste hatten sich in kleinere Grüppchen eingefunden, in denen sie sich angeregt unterhielten… Sean wandte sich Katharina zu und meinte: „Schätzchen, würdest du so freundlich sein und mir meine Aufzeichnungen bringen?“ Die Frau sah ihn verwundert an, „Warum denn?“ „Ich wollte sie gerne Jasmin von Rosenborg zeigen, sie ist eine Pferdekennerin, deshalb habe ich sie darum gebeten, sich zu uns zu setzten!“ Er wies ein, für Heelas Meinung, geschmackloses Lächeln auf, worauf seine Verlobte hinauseilte. Von der Tür aus, warf sie ihm einen sanften Handkuss zu. Er erwiderte ihn gespielt. Wie gut es doch manchmal ist, zu wissen, was wahr und was falsch ist…, dachte Heela und schmunzelte. „Was ist?“, fragte Sean überrascht. „Ihr seid ein zuckersüßes Paar!“, entgegnete sie scheinheilig. Doch auch er schien zu wissen, was sie so dachte, denn kurz darauf kam seine Verlobte zurück und übergab ihm ein paar Blätter. „Hier mein Schatz, ich…“ „Du kannst an deinen Stickereien weiterarbeiten, für Pferde interessierst du dich doch nicht…“ „Aber…“ Doch Sean unterbrach sie abermals, strich ihr sanft über die Wange, „…ich werde ihr nur mein Modell zeigen und du stickst weiter, damit ich es mir dann ansehen kann, wenn ich wieder komme.“ Katharina stöhnte leise und seufzte, „Na gut, tu aber nichts, was du später bereuen könntest!“ „Ach, für wen hältst du mich denn?“, er winkte ihr nach, als sie abermals davonlief. „Ihr habt Eure Verlobte aber ziemlich im Griff, werter Ritter.“ Er reagierte nicht auf diese Anspielung, sondern führte Heela hinaus, aus der Burg. Ein sanfter Wind strich unter Heelas Nase vorüber und brachte wohltuende Gerüche. Sie erkannte Blumenduft und Waldfrische, als sie einen schmalen Pfad hinter den Häusern entlang schlenderten, der zum Pferdegatter führte. Sean hielt sich stets an ihrer Seite und fragte schließlich: „Warum haltet Ihr mich für einen Feigling?“ „Ihr jagt nicht, Ihr traut Euch nicht zu töten, schließe ich daraus.“ „Nur weil ich aus Freude keine Tiere töte? Sie gehen qualvoll zu Grunde, nur weil manche Edelleute Spaß daran haben…“ „Mag sein, aber damit drücken sie ihren Mut, Tapferkeit und Geschicklichkeit aus. Ich denke, Ihr habt Angst zu verlieren!“ „Wie kommt Ihr darauf?“, hinterfragte Sean weiter. Sie bogen um eine weitere Häuserecke hinter der eine Tür in die Stadtmauer eingebaut war. Ein Wächter ließ sie sogleich passieren. „Ich weiß nicht. Es ist nur so ein Gefühl. Ihr habt Angst, dass andere besser sind als Ihr und Ihr damit nicht leben könntet, weil Ihr Angst habt, dann nicht mehr so beliebt zu sein…“ „Wie kommt Ihr darauf, dass ich so beliebt bin?“ „Euer gesamtes Erscheinungsbild, Eure glatte Frisur, Eure glänzende Rüstung…Nur wer gesehen werden will, und wer gesehen wird, macht sich damit soviel Mühe. Es ist reine Beobachtungsgabe!“, während sie sprachen, sahen sie sich kein einziges Mal an. Heela wollte einen gewissen Abstand wahren, sie hasste es, wenn man ihr zu nahe auf die Pelle rückte. Erst als sie die Koppel erreicht hatten, wandte sie sich ihm zu, er gab ihr eine seiner Zeichnungen. „Ein Pferd?“ Sean nickte, „Sie müssen noch etwas üben.“ Er seufzte und setzte sich auf den Zaun. Keines der Tiere kam, eher wichen die Pferde zurück. „Die Pferde mögen Euch nicht.“, stellte Heela fest und gab ihm die Bilder zurück. „Vielleicht wollen sie nicht, dass ich sie wieder so scheußlich zeichne.“ „Es fehlt Euch lediglich an Übung!“, entgegnete sie aufmunternd, auch wenn sie nicht so recht wusste, warum sie das überhaupt tat. Er war ein feiger Hund, und doch strahlte er Charakter aus. Sie musste sich unbedingt von ihm fernhalten, sie war nicht einmal adlig und davon abgesehen, war er verlobt. „Die Beine!“, sagte sie plötzlich. Überrascht sah er sie an, „Was ist mit den Beinen?“ „Sie sind schief und unnatürlich, kein Pferd hat biegsame Beine. Sie sehen aus, als könnte man sie biegen, ohne sie zu brechen!“ „Ach so.“ Er seufzte erneut und rutschte vom Zaun, trat ein weiteres Mal zu nah an Heela heran. Sie musterte ihn skeptisch, seine braunen Augen verrieten viel über ihn, doch wollte sie gar nichts wissen. Sein Blick war Heela unheimlich, sodass sie zurückwich und sich abwandte. „Nein“, sagte sie stur, „Ich muss gehen!“ Er sah abermals zu Boden, als sie an ihm vorbeieilte. Unruhig kratzte er mit einem Fuß auf dem trockenen Rasen, stieß einen kleinen Stein von sich. * Es war inzwischen Nachmittag, als sich Heela wieder zu Lola und Gil gesellt hatte, zuvor hatte sie sich etwas Essen aus der Küche mitgeben lassen und ein eigenes Zimmer besorgt. „Ab morgen müsstet ihr wieder mithelfen, sonst gibt’s großen Ärger.“, erklärte Heela ihren Freunden. Sie nickten, „Ist ja klar, mein Lehrer weiß auch gar nicht wo ich bin…“ „Oh, doch. Darum habe ich mich schon gekümmert, ich habe Ritter Benett gesagt, dass du eine kurze Zeit außerhalb warst und geübt hast…“ „Aber das ist doch gelogen.“, sagte Gil enttäuscht. „Na hör mal, soll ich ihm die Wahrheit sagen: Du warst auf der Burg, hast mit der Magd Lola in einer Kammer geschlafen, weil diese einen zu schwierigen Zauber angewandt hatte und du ihr Gesellschaft leisten solltest?“ Gil seufzte, „Nein, natürlich nicht.“ „Benett hat es mir abgenommen, und glaubt eh nicht, dass du sehr viel besser geworden bist!“, versicherte Heela und stand wieder auf, „Ruht euch noch ein bisschen aus, ich werde erst einmal mein Zimmer beziehen.“ „Du hast es gut“, meinte Lola. Heela starrte nachdenklich zur Tür. „du musst dich nun nicht mehr als Magd herumdrücken!“ Nun wandte sich das blonde Mädchen wieder um, „Das glaubst aber nur du, ich befürchte dieser Feigling Sean wird mir noch einige Schwierigkeiten machen… Außerdem wird es kein Dauerzustand bleiben!“ Gil nickte, „Da könntest du recht haben, außerdem willst du gar nicht wissen, was ich schon alles von dem Kerl gehört habe!“ „Nein, danke, Gil. Ich glaube, das will ich wirklich nicht!“ Damit lächelte sie den beiden zu und ging hinaus. Jetzt konnte sie sich schon gut vorstellen, warum Jim meinte, sie solle sich von Sean fernhalten. Plötzlich blieb sie stehen, als sie sich an etwas erinnerte. Rasch eilte sie zurück zu Lola und Gil. „Lola?“, fragte sie aufgeregt, „Was ist eigentlich mit meinem Stein?“ Das rothaarige Mädchen zuckte mit den Schultern, „Was fragst du mich, ich weiß nur, dass du ihn finden musst.“ „Und wie?“ „Tja, das wird sich noch zeigen. Ich glaube es wird einfacher sein, als wir denken. Irgendjemand muss ihn entwendet haben. Mehr kann ich dir auch nicht sagen!“ Heela seufzte enttäuscht, „Schade, trotzdem danke.“ * „Wo könnte ich ihn nur finden?“, sagte sie leise. Heela lag auf ihrem neuen Bett, das dreimal so komfortabel war wie ihr altes. Sie dachte angestrengt nach. Ob er ihr einfach über den Weg laufen würde? „Nein, das ist unmöglich. Einem Stein kann man nicht so einfach über den Weg laufen. Einen grünen glatten Stein zu finden kann doch nicht so schwer sein.“, fluchte sie laut, stützte sich ab und raufte sich durchs Haar, das noch immer in seiner geraden ordentlichen Form lag. So konnte sie doch niemanden unter die Augen treten, bis auf irgendwelchen eleganten Edelleuten. Jim hatte sie komisch angesehen, Gil und Lola auch. Was würde ihr Bruder dazu sagen? Und was erst ihre Stiefmutter. Sie seufzte, oder ihre wahre Mutter? Langsam stand sie auf, lief an das größere Fenster, schob die weißen leicht vergilbten Vorhänge zur Seite. „Mutter, wo bist du nur? Wenn ich wenigstens wüsste, wie du ausgesehen hast, warum du von uns gegangen bist…“ Traurig senkte sie ihren Kopf, wandte sich dann wieder dem Bett zu. Es war so groß, in so einem großen Bett hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nie geschlafen. Alles war so anders gekommen, als sie gedacht hatte. Sie hoffte inständig, dass es ihren Geschwistern und auch ihrem Vater gut ging. Inzwischen verfluchte sie auch Olivia nicht mehr, nur weil sie sie hier her geschickt hatte. Eigentlich lief alles ganz gut, doch für wie lange noch? Plötzlich klopfte es an der Tür. Überrascht lugte Heela durch das Schlüsselloch, öffnete anschließend. „Hallo!“, wurde sie von Jim begrüßt. Der Stalljunge sah sie grinsend an. Sie erwiderte ein schmales Lächeln. „Wie geht’s so voran?“, fragte er neugierig und setzte sich auf ihr Bett. Sie machte keinerlei Anstalten, ihn davon abzuhalten, da er sie verraten könnte, wenn er mochte. Außerdem hielt sie ihn für einen guten Freund, fast so eng wie Lola und Gil. „Ach, es ist ganz in Ordnung. Nur Sean ist ziemlich aufdringlich!“ Jim lachte kurz auf, „Das hat er so an sich. Er war schon sehr oft verlobt, und hat auch seine Verlobten schon ganz oft mit Mägden und Zofen hintergangen.“ „Ich lasse das aber nicht so einfach mit mir machen!“ Jim nickte, „Das glaube ich auch nicht.“ Er hüpfte von der Decke und griff nach Heelas Arm. „Komm mal mit. Ich will dir etwas zeigen!“ „Jim, es ist schon fast dunkel.“ „Eben, deshalb ja.“, er drängte sie zum Gehen. Doch sie blieb stur an Ort und Stelle. Er berührte sie sanft am Arm, sah sie bittend an und erhielt seinen Willen. „Na gut, aber vorm Dunkel muss ich wieder hier sein…“ * Sie liefen eine Weile. Endlich gelangten sie an einen kleinen Hügel, außerhalb der Burg. Jim deutete hinauf und wies sie an, ihm zu folgen. Als sie schließlich das Ende des flachen Berges erreicht hatten, eröffnete sich ihnen ein erstaunlicher Anblick. Vor ihnen lag das Tal, in dem Heela lange gelebt hatte. Nebel stieg aus den Wäldern empor, senkte sich schwer auf die alten und jungen Bäume. Der Gebirgszug, der das Tal von fast allen Seiten umschloss, glänzte rötlich in der untergehenden Sonne. Heela genoss den Anblick der letzten Strahlen, die langsam abklangen und die Nacht ankündigten. „Es ist wunderschön“, hauchte sie überwältigt. Jim lächelte und musterte das Mädchen, das schon eher einer Frau glich. Sie hatte sich sehr verändert, seit ihrer letzten Begegnung, auch wenn diese noch nicht allzu lange zurücklag. Doch seine Gefühle hatten sich nicht geändert… Er sah sie lange an, wie sie den Sonnenuntergang betrachtete und ihren klaren Blick über das weite Tal schweifen ließ. Es war ein unbeschreibliches Gefühl einen anderen Menschen eine Freude zu machen, er hatte sich richtig entschieden. Dies war der richtige Ort für sie, Heela passte, aus seiner Sicht, einfach nicht in das höfische Leben, genauso wenig wie er. Sie ähnelten sich sehr. Aber es blieb beiden verwehrt sich anderswo aufzuhalten und noch weniger zusammen. Es war ihre unausgesprochene Pflicht auf der Burg zu leben. Er in seiner Welt und sie in ihrer. Nur Heela würde die Möglichkeit haben, sich irgendwann ein neues Zuhause zu suchen. Jim musste hier bleiben, er würde für den Rest seines Lebens in dieser elenden, edlen Umgebung verbleiben. Nun blickte er hinaus in die Weite des Tales, mit seinen prächtigen Wäldern, Seen und Wiesen. Hier und da schlängelte sich ein kaum erkennbarer Bach durch die blühende Landschaft. Es glich einem Märchen. Der Tau, der von einzelnen Blättern zu Jim und Heelas Seiten perlte und in tausend kleinen Tropfen am Boden zerschellte, gab ihnen ein wohliges Gefühl. Er seufzte. Heela sah ihn an, sie erinnerte sich an daheim, an ihre kleinen Geschwister, ihren Vater, sogar Olivia. Sie hoffte, dass sie sie irgendwann einmal wieder sehen würde. Sie seufzte. Jim sah sie an, ihre Blicke kreuzten sich. Ein aufmunterndes Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. Heela wandte sich erneut ab, dachte abermals nach, sie war in einer schwierigen Situation, die es benötigte gründlich überlegt zu werden. Dabei durfte sie eines auf keinen Falle außer Acht lassen: Sie war fast eine Hexe. Oder sollte sie gar nicht darüber nachdenken, eher nur sich dem hier und jetzt überlassen? Sie nickte, worauf Jim sie erstaunt ansah. Sie wechselten weder Worte, noch Sätze. Alles beschränkte sich auf Blicke. „Es ist bald völlig dunkel.“, sagte Jim plötzlich, durchschnitt die nachdenkliche Stille. Heela nickte wieder und wandte sich von dem sich langsam verdunkelnden Tal ab. „Du hast Recht.“, fügte sie hinzu und lief los. Als sie an ihm vorüber schritt, wurde sie von Jim aufgehalten, er berührte sie am Arm und zwang sie zum Umdrehen, nahm ihre Hand. Dann gab er ihr einen sachten Kuss auf die Wange. Vor Schreck dachte Heela, ihr Herz bliebe stehen, doch spürte sie es noch schlagen, es raste und schien nicht langsamer werden zu wollen. Daraufhin lächelte sie Jim an. Er grinste schief zurück. Doch dann verfinsterte sich Heelas Miene, sie schüttelte mit dem Kopf, „Es tut mir Leid, ich muss gehen…“ Jim schwenkte seinen Blick zu Boden, „Verstehe“, er ließ ihre Hand sinken. Sie sah ihn ein letztes Mal an, ehe sie davonlief. Traurig blickte er ihr nach. War es ein Abschied für immer? Dies wusste keiner der beiden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)