Die Fünf Elemente von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Ayena schlug die Augen auf. Sie erkannte nur ein verschwommenes Bild. Kurz blinzelte sie und versuchte sich aufzurichten. Ein stechender Schmerz fuhr durch ihr linkes Knie, als sie ihr Bein bewegte. Sie schrie laut auf und fiel wieder in das Gras unter ihr. Erschöpft schloss sie die Augen. Wo war sie? Und... wo waren ihre Freunde? "Viah! Moro! Bodor! Wo..." brache sie leise über ihre ausgetrockneten Lippen. "Wo seid ihr?" flüsterte sie erneut und zwang sich trotz der Schmerzen aufzurichten. *Wo bin ich?* Sie versuchte sich angestrengt an das Geschehene zu erinnern, und ein blasses Bild erschien vor ihrem inneren Auge. *Tena!* dachte sie und drehte sich erschrocken um. Sie glaubte, dort ein leises Knacken gehört zu haben, doch anscheinend war dies nur die Folge einer Gehirnerschütterung. *Wir kämpften gegen die Tena... das weiß ich noch. Und dann? Ich habe keine Ahnung von dem, was danach passierte. Und wo Viah, Bodor und Moro sind. Aber wie soll ich sie auch finden, wenn ich nicht voran komme?* Sie warf einen bösen Blick auf ihr Knie, das jedoch als Antwort nur einen weiteren Schmerz gab. Plötzlich knackte es wieder. War dies wirklich nur ein fälschliches Geräusch? Ayena tastete nach ihrem Schwert, doch den Gürtel fand sie leer vor. Sie nahm all ihre Kräfte zusammen und schleppte sich zu dem Ort, an dem das Gefecht statt gefunden hatte. Erstaunlicherweise lagen überall auf der Erde kleine Aschehäufchen, keine leblosen Tenakörper, wie Ayena vermutet hatte. Nur das getrocknete Blut erinnerte an den Kampf. Ansonsten sah der Platz aus, als hätte ein großes Feuer gewütet und alle Bäume und Pflanzen verbrannt. Doch die junge Vemu machte sich darüber nicht weitere Gedanken, sie hielt nach ihrem Schwert aus Schau. Schließlich fand sie es unter ein paar kleineren Aschehaufen. Angeekelt hielt sie es in die Höhe: fast das ganze Heft war mit getrocknetem Blut überzogen, nur an ein paar Stellen, wo das Blut noch nicht ganz verkrustet war, klebte Asche, und an der Spitze hingen Hautfetzen. Ayena kniff die Augen zusammen und versuchte das ekelerregende Bild aus ihrem Gedächtnis zu vertreiben. Ihr Magen verkrampfte sich und sie begann zu würgen. Sie versuchte, die Lippen fest zusammenzupressen, doch als ihr Mageninhalt bereits über ihr Kinn lief, öffnete sie den Mund mit einem Male, und eine Welle brauner Flüssigkeit schoss hervor. Danach fühlte sich Ayena gleich besser. Sie atmete erleichtert auf und wischte sich mit der einen Hand übers Kinn. In der Nähe hörte sie das Plätschern eines Baches, und als sie an sich hinunter sah, beschloss sie, sich erst einmal waschen zu gehen. Erfreut bemerkte sie, dass der Schmerz in ihrem Knie vergangen war - wenn auch nur für eine kurze Zeit. Ayena saß frischgebadet am Flussufer. Ihre Miene sah zufrieden aus, als sie sich den Bauch tätschelte. Sie hatte einen halben Strauch Beeren gegessen, dazu etwas von ihrem Proviant, den sie in der Tunika fand und einen kleinen gebratenen Vogel. Ihr Verstand hatte ihr zwar gesagt, dass immer noch Tena in der Nähe waren, und dass ein kleines Feuerchen sie verraten hätte. Ihr Magen jedoch meinte etwas anderes und ER hatte das mächtigere Stimmrecht. Plötzlich sprang Ayena auf. Ihre Freunde! Zwar hatte sie sie nicht vergessen, doch bisher standen sie nur an zweiter Stelle. Die junge Vemu bekam ein schlechtes Gewissen. Während ihre Freunde vielleicht irgendwo in der Nähe - verwundet oder gar... Ayena schluckte - lagen, und ihre Hilfe bräuchten, saß sie hier und schlug sich den Bauch voll. Vielleicht konnte sie sie noch retten. Sie zog sich ihre Tunika und ihren Mantel über das dünne Hemd, denn es war kühl geworden. Ihr Schwert, dass sie zuvor im Bach gereinigt hatte, hing ordnungsgemäß an ihrem Gürtel. Ayena trat auf die Glut des übrig gebliebenen Feuers und bedeckte die Feuerstelle mit etwas Gras. So würde es zumindest nicht direkt auffallen. "Viah! Moro! Bodor!" schrie Ayena immer wieder, die Gefahr von den Tena entdeckt zu werden, missachtend. Ayena sank erschöpft zu Boden und lehnte sich an einen dicken Baumstamm, um den sich grünes Efeu schlängelte. Die Sonne ging schon fast unter, und der Wald wurde in ein unheimliches Licht gehüllt. Gerade wollte Ayena die Augen vor Müdigkeit schließen, als sie an ihre Freunde dachte. *Ich muss weiter! Ich muss sie finden!* ging es ihr immer wieder durch den Kopf, und so brachte sie es auch zu Stande, aufzustehen und weiter zu suchen. "VIIIIIIAAAAHHHH!" "Ja? Du brauchst nicht so laut zu schreien, Ayena. Ich bin doch hier." sagte eine ruhige kalte Stimme, die beinahe nicht von Viah stammen konnte. Doch als sich Ayena umdrehte, erkannte sie wirklich ihre Freundin, die aus den Bäumen hervor trat. "Viah..." flüsterte Ayena. Sie fand vor lauter Freude keine Worte mehr. "Aber..." "Viah! Den Göttern sei Dank! DU LEBST!" rief sie und stürmte auf ihre Freundin zu. Sie drückte Viah so fest sie konnte, so übermäßige Glücksgefühle empfand sie. Viah blieb ruhig, obwohl ihr diese Umarmung ganz und gar nicht gefiel. Sie ließ die Arme zu beiden Seiten hängen und drehte den Kopf zur Seite. *Sie wird sicher gleich von mir lassen... wenn nicht...* Ein böses Grinsen huschte über ihr Gesicht, und als Ayena immer noch keine Anstalten machte, sie loszulassen, hob Viah den Arm und schlug mit der Handkante gegen den Hals ihrer ehemaligen Freundin. Diese riss die Augen vor Schmerz auf und fiel vor Viah's Füßen zu Boden. Ein letztes Stöhnen, dann war sie für einen Augenblick lang ohnmächtig. "Schwächling..." murmelte Viah und spie neben Ayena auf den Boden. Schon nach einigen Augenblicken kam die junge Vemu wieder zu Bewusstsein. Ihr Schädel dröhnte und als sie sich aufrichtete, wurde sie zugleich mit einem Fußtritt wieder auf die Erde gedrückt. "Viah?" fragte sie leise, da sie nicht glauben konnte, wie sich ihre Freundin mit einem male SO veränderte. Nicht nur ihre Stimme war kälter geworden, auch ihre Augen, die mit Kohle schwarz unterstrichen waren, wirkten böser. Ihre Kleidung bestand aus einer schwarzen Tunika und einem gleichfarbigen Mantel. "Viah... dieser Name gefällt mir nicht. Er klingt zu weich. In Wahrheit heiße ich phaulius iocus. Es bedeutet... böses Herz." Viah lachte gehässig. "Nenn mich Iocus." Ayena sah ihre Freundin aus schmerzerfüllten Augen an. "Viah... was ist..." "DU SOLLST MICH IOCUS NENNEN! VERSTANDEN? UND HÖR AUF ZU HEULEN!" schrie Viah und trat Ayena in die Magengrube. Laute Schmerzensschreie, vermischt mit bösartigem Gelächter, hallten durch den Wald. "Viah... das ist nicht wahr!" rief Ayena und schüttelte immer wieder den Kopf. "Doch. Das... ist die ganze Wahrheit." "Aber... hast du denn alle schönen Erlebnisse in deinem Leben vergessen? Hast du all deine Freunde vergessen? Versuche dich zu erinnern, bitte!" Viah grinste dämonisch. "Oh! Schöne Erlebnisse in meinem Leben? Natürlich habe ich die nicht vergessen! Zum Beispiel als endlich meine verdammten Eltern starben, als ich mich endlich Centur anschließen konnte... das solltest du übrigens auch tun, Ayena. Genauso wie Bodor, ich und... Moro." Ihr Grinsen wurde breiter. "Nein.... das ist alles nicht wahr! Entweder ich träume dies alles , oder... sie spielt einfach nur. Ja, so muss es sein." murmelte Ayena, um sich Mut zu machen. Doch all ihre Hoffnungen wurden zu Nichte gemacht, als Viah fort fuhr: "Du bist jetzt alleine, Ayena. Ganz alleine..." "Alles nicht wahr, das stimmt nicht, ich träume nur!" "Verdammt noch mal! Verstehst du denn überhaupt nichts? Dies ist kein Traum! Dies... ist die volle Wahrheit! Krieg! Ja, es ist Krieg! Und bei diesem Krieg stehe ich lieber auf der Seite des Gewinners, auch wenn dieser ein BÖSER ist!" schrie Viah wütend. Doch schnell beruhigte sie sich wieder. "Wenn du dich uns anschließt, kannst du ein rumvolles und luxusreiches Leben führen. Wenn du dich jedoch anders entscheidest und somit deine Freunden die Untreue erweist, wirst du sterben, wie jeder andere im Land. Überleg es dir gut, Ayena..." Ayena sackte zusammen. "Oh! Wo ist denn plötzlich das starke Mädchen? Ist sie etwa schwach und unbeholfen... ohne ihre Freunde. Ich sehe nicht mehr den Mut und die Entschlossenheit in deinen Augen... du hast wohl endlich verstanden, dass dies... nicht dein wahres Ich war. Mit dieser Feststellung wirst du nun leben müssen. Du stehst am Rande der Schlucht, Ayena. Und wenn ich es will, kann ich dich hinein stoßen." Ihr höhnisches Lachen dröhnte Ayena in den Ohren. Sie versuchte, die Worte von Viah aus ihrem Kopf zu verdrängen, doch immer und immer wieder hörte sie die kalte Stimme ihrer ehemaligen besten Freundin: Du bist jetzt alleine, Ayena. GANZ alleine... "NEIN!" schrie Ayena und sprang auf. "Ich werde nicht zulassen, dass Centur dich bekommt! Er wird dafür büßen, das schwöre ich!" "Ayena. Hör auf, dumm zu reden. Ich habe freiwillig die Seiten gewechselt. Aber du bist ja viel naiv, um dies zu glauben." "Centur! Er ist an allem Schuld! Ich werde..." "Gar nichts wirst du!" unterbrach Viah sie und zog ein Schwert hinter ihrem Rücken hervor. "Woher hast du..." "Tja. Da siehst du, dass ich es ernst meine. Lass uns ein wenig spielen." Ein leichtes Zucken spielte um Viah's Mundwinkel, als sie auf Ayena los ging. Ayena wich zurück und wehrte erstaunt den Schwerthieb ihrer früheren Freundin ab. *Seit wann kann sie so gut kämpfen!? So weit ich weiß, hat sie so gut wie noch NIE ein Schwert in der Hand gehabt! Das gibt es nicht! Nun ja, bei Centur ist alles möglich...* dachte sie, während Viah sie immer weiter nach hinten drängte. Doch nach einiger Zeit stellte sich heraus, dass Ayena mehr Talent im Schwertkämpfen hatte, als Viah. Diese kniete nämlich auf dem Boden, ihre Waffe lag weit weg, irgendwo zwischen den Bäumen. Die Spitze von Ayena's Schwert drückte in das zarte Fleisch ihres Halses. Doch immer noch grinste sie listig. "Na, los. Stoß zu, Ayena. Oder traust du dich nicht? Denk daran, wenn du mich am Leben lässt, wirst du sterben. Nun ja, du wirst sowieso sterben, doch leider nicht durch meine Hand." Ayena's Hand begann zu zittern. Sie konnte Viah nicht umbringen. Egal, was sie danach erwartete, sie konnte es einfach nicht. Erschöpft und traurig zugleich ließ sie den Kopf sinken. Müde schloss sie die Augen und ließ ihr Schwert fallen. Tränen rannen an ihrem Kinn herunter, als sie plötzlich spürte, wie es um ihre Brust herum warm wurde. Sie blinzelte die Tränen aus ihren Augen und griff mit zitternden Fingern unter ihre Tunika. Das große, verzierte T, das soviel wie Temra, Kriegervolk, bedeutete, leuchtete und strahlte in einem warmen Licht. Viah schrie auf, ihre Augen weiteten sich vor Entsetzten; sie krümmte sich nach vorne und nach hinten und schrie und kreischte. Der Schmerz in ihrem Körper nahm zu, nahm wieder ab, nahm zu. Das Licht des Temra verbreitete sich immer mehr und als es Viah einhüllte, schrie sie vor Schmerz laut auf. Ayena sah diesem Schauspiel mit viel Verwunderung, aber auch mit Entsetzten und Schrecken zu. ----- Plötzlich war alles vorbei. Das Licht verglühte, und Viah lag wimmernd auf dem Boden. "VIAH!" Ayena raste zu ihrer Freundin und hielt sie an den Schultern fest. Als Viah aufsah, bemerkte Ayena, dass die Kohle unter ihren Augen verschwunden war, und sie atmete erleichtert auf. "Du bist wieder normal! Geht es dir gut, Viah?" Viah nickte niedergeschlagen. "Ja... ich hatte nur einen schrecklichen Traum... ich träumte, dass Moro, Bodor und ich von Centur auf die böse Seite gezogen würden, und... wir beide kämpften gegeneinander... doch plötzlich war alles so hell, und dieser Schmerz. Schließlich bin ich aufgewacht." 8. Zur gleichen Zeit... Moro und Bodor saßen auf dem kalten Steinboden einer Gefängniszelle. Das Essen, bestehend aus zwei Teller schleimigen Fraßes und zwei halb verfaulten Äpfel, stand vor ihren Füßen, doch sie rührten keine der Speisen an. Bodor starrte betrübt zu Boden. "An was... oder an wen... denkst du?" fragte Moro leise, um nicht die Aufmerksamkeit der Wache an ihrer Zellentür zu erregen. Bodor sah ihn traurig an. "Hm... ich verstehe..." meinte Moro nur dazu und nickte leicht mit dem Kopf. Wieder schwiegen beide. Vor zwei Tagen war Viah von Centur gerufen worden, und sie kam nicht mehr zurück. Es gab nur eine Möglichkeit, was mit ihr geschehen war, doch diesen Gedanken wagten die beiden Jungen nicht auszusprechen. Immerhin gab es noch etwas Hoffnung. Plötzlich wurde die Stille unterbrochen. Ein Tena schritt durch den Gang und schnauzte die Wache an, da sie eingeschlafen war. Dann befahl er ihr irgendetwas und sie nickte knapp. Der Tena wartete, bis die Wache die Zellentür von Moro und Bodor aufgeschlossen hatte, dann meinte er in kurzen Sätzen: "Centur erwartet euch. Kommt mit mir..." Er drehte sich um und bedeutete ihnen mit einer Handbewegung zu folgen. Er sah über die Schulter und zischte dann: "Keine Dummheiten... verstanden!? Oder ich mache mit euch kurzen Prozess." Moro und Bodor liefen eisige Schauer über den Rücken, doch sie nickten einstimmend. Der Weg zu Centur's Thronsaal war, wie es schien, unendlich lang. Moro und Bodor glaubten mit Gewissheit, ihrem Tod entgegen zu gehen. Die wenige Hoffnung, die noch in ihren war, sank mit jedem Schritt mehr. Würden es ihnen nun so ergehen wie Viah? Wie in einem Labyrinth gab es Treppen, Flure, Gänge, Türen und Räume; alles schien ineinander verworren zu sein. Wie ein großes Wollknäuel. Dann endlich hatten sie ihr Ziel erreicht. Der Gang mit dem grauen Teppich führte in einen großen Saal, dessen Beleuchtung nur von zwei Fackeln neben einem großen Thron ausging. Es gab keine Fenster, keine Kerzen und kein Kamin. Unheimliches Licht hüllte den Raum ein, und ein eisiger Luftzug wehte durch den Gang hinein. Moro und Bodor fröstelte es. Sie zogen ihre Mäntel enger um sich und traten, wie es ihnen befohlen wurde, vor den königlichen Thron. Eine große Gestalt saß auf dem Steinthron und lächelte zufrieden in sich hinein. Die Person wurde nur wenig erleuchtet, doch auch so erkannten die beiden Jungen die Kälte in ihren Augen, die ausdruckslose Miene und die angespannten Gesichtszüge. Es schien, nein!, es musste Centur sein. Er scheuchte den Tena, der die beiden geführt hatte, aus dem Saal und begann mit einer gleichgültigen Stimme zu sprechen: "Hallo meine lieben Freunde. Es tut mir wirklich leid, dass ihr so lange warten musstet, doch ich hatte nicht eher Zeit, mich mit euch zu befassen." "Tötet uns gleich, und erspart euch euer unnötiges Gespräch." fuhr Moro ihn an. Centur setzte eine gespielt mitleidige Miene auf und sagte höhnisch: "Oh, so pessemiestisch? Wollt ihr denn schon sterben... schade... ich hatte eigentlich vor, euch noch am Leben zu lassen... ihr hättet für mich sehr nützlich werden können... Nun, es tut mir wirklich leid (das wirklich betonte er noch zusätzlich), dass ihr noch nicht sterben werdet. Zuerst müsst ihr mir noch helfen." "Wir werden euch nicht helfen, egal in welcher Weise. Damit das klar ist!" rief Bodor und stapfte wütend auf den Boden. "Hört doch auf mit diesem dummen Spielchen. Was wollt ihr denn schon tun? Ihr seid Schwächlinge und habt nicht die geringste Chance gegen mich und meine Untergebenen. Überlegt euch gut, ob ihr euch mir wirklich widersetzten wollt." Er schnaubte verächtlich. "Nehmt euch ein Beispiel an euerer Freundin. Sie hat widerstandslos meine Befehle befolgt." Er lachte gehässig. "Was habt ihr mit Viah gemacht!?" rief Bodor außer sich vor Wut und Ärger. Er wollte auf Centur los stürmen, doch Moro hielt ihn mit aller Kraft am Arm fest und flüsterte ihm ins Ohr: "So ungern ich es auch zugebe... er hat recht. Wir können nichts gegen ihn ausrichten." "Nun... habt ihr euch geeinigt? Wenn nicht, kann ich euch bei der Entscheidung helfen. Wenn ihr auf meiner Seite steht, könnt ihr später über das ganze Land regieren, ihr könnt kämpfen, so viel ihr wollt, und alle Frauen bekommen, die ihr wollt. Es gibt nur Vorteile, wenn ihr euch mir anschließt. Also?" Moro dachte an Ayena. Er schloss die Augen und sah ihr Gesicht nun ganz deutlich. Wusste sie überhaupt, wie er für sie empfand. Er hatte es ihr nie gesagt. Sollte er sich wirklich Centur anschließen? Sie würde es bestimmt nicht tun. Sie würde stark bleiben, würde ihr Land, ihr Volk und ihre Freunde verteidigen. "Ayena..." flüsterte Moro leise und ballte die Hand zur Faust. Er wusste nicht, was ihr geschehen war. Lebte sie noch, nach dem Kampf mit den Tena. Oder war auch sie in Gefangenschaft? Vielleicht in einem anderen Lager. Tief in seinem Inneren spürte er, dass sie noch am Leben war. Moro öffnete die Augen und sagte laut und bestimmt "Nein". Centur blickte ihn an. "Was sagst du da?" "Nein. Wir werden uns euch nicht anschließen. Vergisst es. Ein für allemal. Außerdem habt ihr die Tena. Wieso braucht ihr uns?" "Ihr wisst es nicht? Auch gut. Umso besser sogar... hehe..." lachte Centur. "Was wissen wir nicht?" hakte Bodor nach, ohne eine richtige Antwort zu erwarten. "Tja... ich hätte nun die Möglichkeit, euch zu töten. Doch ihr habt etwas, das auf keinen Fall zerstört werden darf. Also bleibt mir keine andere Wahl, als euch -" Centur wurde von einem Höllenlärm unterbrochen. "Verdammt! Was ist da los? Urak! Urak!" schrie er und sprang von seinem Thron auf. Urak, der Tenaanführer, rannte in den Saal hinein und rief außer Puste: "Wir... die Cason greifen an!" "Was? Das kann nicht sein! Das darf nicht sein! Nicht jetzt! Nicht in diesem Augenblick! Hol alle Tena zusammen! Wir müssen gewinnen!" schrie Centur entsetzt und haute mit seiner Faust auf die Lehnen des Throns. "Alle Tena, die noch hier waren, kämpfen gegen die Cason! Aber wir sind viel zu wenige! Sie haben uns längst überrumpelt und sind auf dem Weg hierher!" Centur's Gesichtsfarbe wechselte von hochrot auf weiß. Er begann am ganzen Leib zu zittern. "Halte sie auf! Irgendwie! Meine Zeit darf noch nicht um sein! Los! Gehe endlich! Lenke sie ab! Mach schon!" "Aber... aber wie denn?" "Mir ist egal, wie! Hauptsache sie erwischen mich nicht! Ich muss hier weg! Kämpfe gegen sie, du Feigling! Bring den Führer der ganzen Bande um! Schneid ihm den Kopf ab, stoße dein Schwert in sein Herz, lass ihn erschießen! Aber tu irgendetwas!" schrie Centur so laut, dass Urak einen Schritt zurück wich und eifrig nickte. "Vater..." flüsterte Moro entsetzt. "Wir müssen seinen Tod verhindern! Wir müssen ihn warnen!" sagte Bodor leise und sah Moro entschlossen an. "Ja!" rief der Sohn des Königs und stürzte an Centur vorbei, der immer noch wie erstarrt da stand. Bodor folgte ihm. "Nein! Die Gefangenen! Sie fliehen! Haltet sie auf, sie dürfen nicht entkommen! Ich brauche sie! Lasst die Cason, fangt die Fliehenden! Sie sind wichtiger! Los doch! Wo bleibt ihr! Nein..." Niemand hörte auf Centur's Befehle. Er sackte auf seinen Thron zurück. "Das darf alles nicht wahr sein... wieso nur? Mein Schicksal... es darf noch nicht besiegelt werden! Ich darf nicht sterben! Und auch die Gefangenen nicht... nicht jetzt! Ich habe es so weit gebracht! Nein!" flüsterte der König und schüttelte immer wieder heftig den Kopf. "Ich muss hier weg..." Mit diesen Worten sprang er auf und verschwand in dem Gang. Währenddessen war draussen vor dem Schloss der Kampf zwischen den Cason und den Tena ausgebrochen. Moro und Bodor standen auf der Burgmauer, und suchten einen Weg nach unten auf den Hof. Der junge Königssohn erkannte unter all den Kriegern seinen Vater, denn er trug einen leuchtend grünen Umhang. Er kämpfte mit aller Kraft gegen die wenigen Tena, die noch in Nemorien geblieben waren, um Centur zu schützen. Wer hatte mit einem Angriff der Cason gerechnet? Die meisten Tena waren geschlagen, doch auch viele der Cason waren gefallen. Plötzlich entdeckte Bodor den Tenaanführer Urak, wie er auf einer der höheren Burgmauern stand, den Bogen erhoben und den Pfeil direkt auf eine bestimmte Person gezielt. "Moro! Sie da! Was hat er vor?" fragte er mit einer ungewissen Vorahnung. Moro folgte Bodor's Blick und erstarrte. "Wir müssen meinen Vater warnen! Schnell! Komm!" Gerade wollte er die Treppe hinunter stürzen, als er inne hielt und wie in Zeitlupe aufsah. "Oh ihr Götter! Er schießt! Vater! Nein!" schrie Moro und bleib wie erstarrt stehen. "Er hört uns nicht!" rief Bodor und sah voller Entsetzten auf den König, der in einer Bewegung plötzlich inne hielt und die Augen vor Schmerz aufriss. Er sackte zu Boden und ließ sein Schwert fallen. In seinem Rücken steckte ein schwarzer Pfeil. "Nein!" brüllte Moro und raste die Treppe hinunter. Er bückte sich nach einem Schwert, dass auf der untersten Treppenstufe lag und bahnte sich, das Schwert nach rechts und links schwingend, einen Weg durch die übriggebliebenen Tena zu seinem Vater. Dieser lag regungslos in einer dunklen Blutlache auf dem Boden. Seine Augen waren geschlossen. "Vater!" Der König öffnete seine Augen zur Hälfte und hustete. "Mein Sohn... Moro..." "Nicht sprechen, Vater. Ich werde dich zu einem Heiler bringen! Halte durch, Vater!" "Nein... nein..." wehrte sich der König mit letzter Kraft. "Moro... hör mir nun... gut zu..." Er hustete erneut. "Ich weiß, dass du... auf den Thron verzichtest... ich respektiere diese... Entscheidung... deswegen... wird dein Bruder... den Thron besteigen." "Mein Bruder? Aber Vater! Ich habe keinen Bruder!" rief Moro entsetzt. "Doch... genauer genommen... einen Zwillingsbruder... er heißt... Nuarc... ich... habe ihn damals aussetzten müssen..." "Aber warum?" Moro verstand nichts mehr. Er hatte einen Zwillingsbruder, den sein Vater direkt nach seiner Geburt ausgesetzt hatte! "Weil.. es die Götter so wollten... er soll... der neue Thronfolger werden... ich wünsche... dir... viel Glück... dass deine Kinder in einer glücklicheren Zeit... aufwachsen... ich wünsche... dir... alles gute... Moro..." "Vater!" flüsterte Moro und drehte ihn etwas zur Seite. Tränen rollten an den Wangen des jungen Cason hinunter, als er seinen Vater in die Arme nahm und fest drückte. "Vater!" wiederholte Moro und begann heftig zu weinen. "Mein Sohn... weine nicht... denk daran... du bist... ein Cason..." flüsterte er und wischte lächelnd die Tränen von Moro's Wangen weg. "Oh Vater..." "Moro... ich habe... eine letzte Bitte... an dich... gib... mir mein... Schwert..." Moro wischte sich mit einem Ärmel seiner Tunika über die Augen und die Nase und griff nach dem Schwert seines Vaters, das neben ihm lag. Er drückte es seinem Vater vorsichtig in die Hand und drehte ihn so, dass er sich nicht an dem Heft des Schwertes verletzte. "Ich... danke.. dir... mein Sohn... ich..." Er blickte Moro ein letztes Mal in die Augen, die mehr ausdrückten als tausend Worte. "Oh Vater... ich werde dich ewig in Erinnerung behalten... ich werde dich ewig lieben..." Wieder begann Moro zu weinen. Ihm war seine Ehre und seine Abstammung egal. Der Schmerz in seinem Herzen war so groß, dass er einfach weinen musste. Die Augenlider des Königs schlossen sich langsam. "Mein... Sohn..." waren seine letzten Worte vor seinem Tod. Dann war er still. Moro hielt es nicht mehr aus. "NEIN! VATER!" schrie er so laut er konnte und sank schließlich erschöpft und traurig in sich zusammen. 9. "Viah! Viah!" Ayena rüttelte ihre Freundin wach, die immer wieder mit den Armen vor ihrem Gesicht herumwedelte und einen unverständlichen Namen rief. Dann schrak sie schweißgebadet aus dem Schlaf auf. Ihr Atem ging schnell und ihr ganzer Körper bebte. "Viah! Was ist denn los?" fragte Ayena und runzelte besorgt die Stirn. "Geht es dir gut?" Viah starrte mit weit aufgerissenen Augen vor sich auf den Boden und flüsterte mit heiserer Stimme: "Ich hatte eine Vision, Ayena..." Ayena's Mundwinkel hoben sich etwas. "Und... eine schlechte oder eine gute?" Hoffend blickte sie ihrer Freundin in die Augen. "Ich... ich weiß nicht... ich bin selbst noch etwas verwirrt..." erwiderte Viah niedergeschlagen. "Was hast du gesehen?" "Es wird dir nicht gefallen... ein Menschendorf... genauer genommen... mein Heimatort." Ayena sah sie erstaunt an, und als sie sprach, lag in ihrer Stimme schon ein Anflug von etwas... Schärfe. Unabsichtig. "Menschendorf? Was hast du dort gesehen?" "Dass... nun ja, also... Ayena... wir müssen dort hin." platzte es aus Viah heraus. Sie senkte den Kopf, und bevor Ayena etwas entgegnen konnte, sprach sie weiter. "Ich... ich weiß, dass du die Menschen nicht leiden kannst..." "Nicht leiden? Ich hasse sie zu tiefst!" warf Ayena ärgerlich ein. "Ja, ich weiß doch. Mir geht es auch nicht viel besser. Aber... es würde uns weiterhelfen. Ich habe das Gefühl, dass dort etwas sehr wichtiges auf uns wartet! Bitte! Ich konnte doch bisher meine Visionen immer richtig deuten! Und ich bin mir so sicher... bitte Ayena. So glaube mir doch! Wo bleibt dein Vertrauen?" Ihre letzten Worte klangen sehr traurig. Ayena ballte die Hand zur Faust und schloss die Augen. Sie schien in ihrem Inneren eine Entscheidung zu treffen. Sollte sie Viah glauben, und in das Menschendorf gehen? Schaden könnte es wirklich nichts. Doch ihre Abneigung gegen die Menschen war so stark, dass sie einfach keine Vorteile aus dieser Reise ziehen konnte. Aber... "Nun gut. Viah. Ich vertraue dir, das weißt du, da du meine beste Freundin bist. Auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob dieser Besuch bei den Menschen etwas bringen wird... du hattest eine Vision und diese sollte man erst nehmen. Wann ist, deiner Meinung nach, der richtige Augenblick zur Abreise?" "Jetzt. Sofort." Ayena sah sie erstaunt an. "Genau jetzt? Bist du dir sicher?" "Du bezweifelst meine Visionen doch!" "Oh nein, nein! Es war nur, weil..." "Der Grund ist im Moment auch egal. Hilf mir, wir müssen die Sachen packen." Die Sonne ging hinter den Bäumen auf. Der Himmel war trüb und von Wolken bedeckte. Obwohl es Sommer war, ging ein kühler Wind, der den beiden Mädchen die Reise erschwerte. Der Wind schoss an ihnen vorbei wie ein Pfeil; er tat ihnen beinahe weh. Dann, sie waren vielleicht zwei Tage geritten, legte sich der Wind und auch die Wolken verschwanden. Die Sonne brannte, wie man es vom Sommer gewohnt war, und die Luft schien zu stehen, so heiß war es. Zum Glück erreichten Viah und Ayena zu dieser Zeit gerade das Menschendorf. Es war ein winziges Dörfchen, bestehend aus vielleicht drei duzend Häusern, die alle samt herunter gekommen und schmutzig aussahen. Ayena ritt den Hügel hinunter, auf dem sie zuvor standen und das "Dorf" betrachteten. Als Viah ihr nicht folgte, drehte sie sich um und fragte: "Viah? Wieso kommst du nicht? Sag mir jetzt bloß nicht, dass deine Vision nur Schwindel war!? Oh Viah!" Viah hatte die Augen geschlossen und gab auf Ayena's Worte keine Antwort. Vor ihrem inneren Auge sah sie sich, als kleines Mädchen mit ihrer Mutter. Damals war sie vielleicht neun Xites alt gewesen, und sie wohnte noch mit ihren Eltern in dem kleinen Dörfchen Pentama, welches so winzig war, dass es gar nicht erst auf einer Karte eingezeichnet war. Ihre Mutter, eine Menschenfrau, ging damals immer mit ihr auf die Wiese hinter dem Dorf, um ihr mit der Ocarina Lieder vorzuspielen. Sie betrachteten sich immer den Sonnenaufgang und den Sonnenuntergang. Es war eine schöne Zeit, und obwohl Viah sich nicht wirklich daran erinnern konnte, stieg in ihr ein wohliges Gefühl auf. Sie fühlte beinahe die zärtliche Umarmung ihrer Mutter. Wie sehr ihr sie fehlte! Als Viah zehn Xites alt war, starb ihre Mutter an einer unheilbaren Krankheit, wie der Heiler später feststellte. Die junge Vemu konnte sich nur noch wage an die Beerdigung ihrer Mutter erinnern, wahrscheinlich war dieses Erlebnis so schmerzhaft für sie gewesen, dass sie es einfach verdrängte. Sie musste dann mit ihrem Vater in das Vemudorf ziehen. Es war schrecklich für Viah. Doch Dank ihrem Vater hatte sie sich wieder erholt. Eine kurze Zeit lang schien alles wie vorher, doch als ihr Vater von einer Schlacht nicht mehr zurück kehrte, brach für sie eine Welt zusammen. Viah hatte den Lebenswillen verloren. Sie wollte sterben. Den ganzen Schmerz hinter sich lassen. Doch Ayena verhinderte, dass Viah ganz aufgab. "Viah! Viah! Hallo! Jemand zu Hause?" Viah wurde aus ihren Gedanken gerissen. Ayena sah sie genervt an. "Was ist denn jetzt?" Viah schüttelte den Kopf, um wieder etwas klarer denken zu können und meinte: "Wir müssen nicht in das Dorf. Die Wiese hinter dem Dorf soll unser Ziel sein. Komm." Ayena band ihre Pferde an einen Baum, der auf der Wiese stand und folgte Viah, die schon voraus gegangen war, kopfschüttelnd. Sie sprach ihre Zweifel aus. "Was soll das denn jetzt? Wir sind extra hierher gekommen, um auf eine Wiese zu gehen, weil es ja sonst nirgendwo so schöne Felder gibt! Viah? Geht es dir gut? Na, ich habe nicht das Gefühl. Auch wenn es dein Heimatort ist, wieso gehst du dann nicht in das Dorf? Ist dir eine langweilige Wiese soo wichtig? Du bist wirklich nicht mehr zu retten, Viah." sagte Ayena, als sie zu Viah trat, die neben einem Baum stand, den Kopf gesenkt, und die rechte Hand an ihr Herz gelegt hatte. Erst als Ayena genauer hinsah, erkannte sie, dass an den Wangen ihrer Freundin Tränen lautlos hinunterliefen. Ayena's Blick schweifte zu Boden. Jetzt wusste sie den Grund, warum Viah unbedingt darauf aus war, hierher zu kommen. An dem Baumstamm lehnte ein grauer, roh geschliffener Stein, mit einer Inschrift, die lautete: Hier möge in Frieden ruhen: Karonia Heyela Die Götter mögen sie freundlich ins Reich der Toten aufnehmen Ewig wird sie uns in Erinnerung bleiben Gestorben am Norana Iko 4864 Neben der Schrift zierte ein Muster den grauen Stein. Ayena zog die Brauen zusammen, als Viah sich bückte und das Muster berührte. *Sie ist wirklich verrückt* dachte Ayena im ersten Augenblick, doch als sie sah, was Viah als nächstes tat, blieb ihr die Spucke weg. Das Muster begann zu leuchten und als das Licht verglüht war, hielt Viah ein kleines rundes Ding in den Händen, auf dem die gleiche Verzierung zu sehen war, wie auf dem Stein. Ayena wollte die Bemalung des Dinges wieder mit der des Steines vergleichen, doch auf dem grauen Grabstein war nichts mehr von einer Verzierung zu sehen. Viah drehte das Ding in ihren Händen und führte es zum Mund. *Eine Ocarina!* dachte Ayena erstaunt und verwirrt, zugleich. Woher hatte Viah dieses kleine Flöteninstrument? Etwa von dem Stein? Sehr unwahrscheinlich. Aber eine andere Möglichkeit gab es eigentlich nicht. Ayena verscheuchte diese Gedanken, um zu realisieren, was gerade geschah. Viah spielte auf der Ocarina! Und es hörte sich nicht so an, als ob sie das zum ersten mal tat. Es klang wunderschön in Ayena's Ohren, und sie war gewagt, mit zu summen, obwohl sie die Melodie nicht kannte. Es war eine Art Trauerlied, das Viah wohl für ihrer Mutter spielte. Auch wenn ihr Tod schon so lange zurück lag - Viah fühlte sich wohl in die Zeit zurück versetzt. Als die letzten Töne der Ocarina verklungen waren, schossen Viah die Tränen aus den Augen. Sie sackte in sich zusammen und ließ sich erschöpft zu Boden sinken. Ayena biss sich auf die Lippe und wusste nicht genau, wie sie ihre Freundin trösten sollte. Es tat ihr weh, Viah so zu sehen, doch was sollte sie tun? Seufzend setzte sie sich zu Viah und sah sie eine Weile schweigend an. Dann drehte sie sich entschlossen zu ihr und nahm sie in die Arme. "Komm Viah... weine dich aus... lass alles raus..." Viah schluchzte und schniefte noch mehr. Sie drückte Ayena fest. So saßen die beiden eine ganze lange Zeit da, ohne sich zu regen. Ayena's Arme wurden schwer, doch sie ließ ihre Freundin nicht los. Als es bereits Abend wurde und die Sonne langsam verschwand, hatte Viah sich einigermaßen beruhigt. Sie hatte ganz rot geschwollene Augen, vom vielen Weinen, und ihre Haare sahen schrecklich aus, doch sie fühlte sich innerlich schon viel besser. Sie betrachtete Ayena, die versuchte, ein kleines Feuer anzuzünden, lange nachdenklich. Dann meinte sie: "Danke..." Ayena blickte sie erschrocken an. Sie war sosehr in ihre Arbeit, das nasse Holz anzuzünden vertieft, dass sie die leisen Worte von Viah zuerst nicht verstand. "Aber... für was denn?" fragte sie verwirrt. " Danke dafür, dass du da warst, als ich dich sehr dringend gebraucht habe. Wie schon einmal." Ayena lächelte sie warmherzig an. "Du brauchst dich nicht zu bedanken, Viah. Ich bin deine Freundin, und ich werde immer für dich da sein. Egal was passiert." Die beiden Freundin umarmten sich fest. "Hey, nicht so doll!" rief Ayena. Viah lächelte vergnügt. "Ich bin nur so froh, dass du meine Freundin bist! Ohne dich wäre ich schon zweimal gestorben. Und durch dich habe ich gelernt, über den Schmerz hinweg zu sehen. Meine Mutter ist tot, und ich muss mich damit abfinden. Ich bin mir sicher, dass sie mich immer sieht und auf mich aufpasst." "So ist es auch." Ayena wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. Als sie nach ungefähr einer halben Stunde immer noch kein Feuer entzündet hatte, meinte Viah, ein Grinsen verkneifend: "Ehm, Ayena. Wie wär's, wenn du einmal versuchst, mit trockenem Holz ein Feuer zu entzünden? Ich denke, das geht doch besser. Es war nur ein Vorschlag. Natürlich kannst du auch deine Arbeit weiter machen, nur..." "Ach, Viah! Tu doch nicht so scheinheilig! Weißt du jetzt auf einmal wieder alles besser?" Viah und Ayena sahen sich beide ernst an. Doch dann zuckten ihre Mundwinkel leicht, sie begannen zu schmunzeln, und sosehr sie sich auch bemühten, sie mussten lächeln, dann wurden ihre Münder breiter, das Lächeln wurde zu einem Grinsen und schließlich prusteten beide laut los. Sie lachten noch lange in den Abend hinein, und erst, als Mitternacht bereits vergangen war, und sie zu erschöpft waren, schliefen sie in dem weichen Gras ein. 10. Am nächsten Morgen, als Viah und Ayena gerade weiterziehen wollten, trafen sie ganz in der Nähe des Dorfes Moro und Bodor. Die beiden erzählten von ihrer Gefangenschaft bei Centur und dem Tod von dem König der Cason, Moro's Vater. Centur schien entkommen zu sein, sonst hätte sie die Nachricht vom Sturz Centur's wohl schon lange erreicht. Moro, Bodor, Viah und Ayena beschlossen, vor dem Menschendorf, dort, wo sie sich getroffen hatten, eine wochenlange Rast einzulegen. Sie waren sich sicher, dass die Tena sie dort nicht suchen würden. Ob sie sie überhaupt noch suchten? Die vier Freunde hatten sich eine Höhle herausgesucht, die zwischen den Bäumen und den Hecken gut versteckt lag. Davor stürzte ein breiter Fluss in einem Wasserfall über die Felsvorsprünge, und verdeckte so den Höhleneingang. Das Wasser, das sich direkt vor der Höhle sammelte, war klar und sauber. Von der Sonne erwärmt, war es angenehm, darin zu baden. Dies taten alle vier. Sie streiften sich nur gerade die Umhänge und die Tuniken ab, bevor sie unter großem Jubelgeschrei in das Wasser sprangen. Sie planschten fröhlich herum und tunkten sich gegenseitig. Zu guter letzt duschten sie unter dem herabstürzenden Wasserfall. Bodor und Viah waren die ersten, die den See verließen. Sie trockneten sich an ihren Mänteln ab, die sie zuvor gewaschen und getrocknet hatten, und zogen wieder ihre sauberen Kleider an. "Bodor und ich gehen ein wenig die Gegend erkunden... wir sind zum Abendessen wieder da." sagte Viah grinsend und verschwand mit Bodor zwischen den Bäumen. Die hochgewachsenen Bäume versperrten die letzten Sonnenstrahlen und so war es in dem Wald schon beinahe stockdunkel. Nebel stieg auf und es wurde immer unheimlicher. "Sollten wir nicht zurück kehren? Ich glaube, es war eine schlechte Idee, jetzt noch in die Wälder zu gehen. Langsam wird es gefährlich..." Bodor nickte einstimmend. "Ja, ich gebe dir recht. Los, kehren wir um." Sie taten gerade den Rückweg an, als plötzlich etwas zwischen den Bäumen aufblitzte. Zuerst dachten die beiden, sie hätten sich versehen, doch das wäre ein zu großer Zufall gewesen. "Sollen wir nach schauen gehen?" fragte Viah etwas verängstigt. Bodor wog den Kopf hin und her. "Ja. Wenn du willst. Es würde bestimmt nichts schaden." Er schob den Strauch, der ihnen die Sicht versperrte etwas zu Seite und schlängelte sich an den Bäumen vorbei. Viah blieb dicht bei ihm. Sie brauchten nur kurz und sie hatten die schwache Lichtquelle entdeckt. Es war eine rötliche Feder, deren Licht wie Feuer schimmerte. Viah's Augen leuchteten auf, als sie näher trat und sich nach der Feder bückte. Sie streckte die Hand aus und in dem Augenblick, in dem Bodor rief, sie solle die Finger davon lassen, berührten Viah's Fingerkuppen die Feder. Viah schrie auf und machte einen Satz nach hinten. Sie pustete wie wild auf ihre Fingerspitzen, die ganz rot waren. "Oh... oh... verdammt, tut das weh! Oh man! Ich habe... ich habe mich gerade an... einer Feder verbrannt!" Sie starrte auf ihre Hand, als sei sie etwas so unnatürliches. Bodor kam besorgt zu ihr, und fragte sie besorgt, ob alles mit ihr in Ordnung wäre. Sie nickte verstört und betrachtete unverwandt ihre Fingerkuppen, die noch immer rot angeschwollen waren. Bodor kniete sich zu der Feder, und streckte vorsichtig die Finger danach aus. Das Feuer wurde immer heller und heller, seine Flammen schlugen fast bis zu Bodor's Gesicht. Dann berührte er die seltsame Feder. Eine ungewohnte neue Stärker strömte durch seinen Körper, als er die Feder fest in seiner Hand hielt. Er stand auf und atmetete tief durch. Das Licht der Feder war erloschen, und sie hatte die Farbe der Nacht - schwarz - angenommen. Bodor befestigte die Feder an seiner Kette und ging zu Viah hinüber. "Bodor! Was... was war das?" fragte sie bestürzt. Der junge Cason half ihr auf die Füße und erklärte: "Dies war die Feder eines Feuervogels." "Feuervogel?" "Ja. Ein absolut seltener Vogel. Es gibt sogar Gerüchte darüber, dass er schon längst ausgestorben war. Aber die Feder hier beweist das Gegenteil. Das Gefieder eines Feuervogels ist im Normalfall schwarz, so schwarz wie die Feder jetzt. Wenn der Vogel jedoch unter der Sonne fliegt, färben sich seine Federn rot, sie sehen aus wie Feuer. Daher der Name "Feuervogel". Er gilt als... nun... als Herrscher über alle Tiere." "Achso... na, aber, dann heißt das ja... dass..." "Ja, genau. Hier irgendwo gibt es einen Feuervogel. Lass uns nach ihm Ausschau halten." schlug Bodor vor und Viah stimmte zu. Bodor ging vor. Er folgte einer Spur, die nur er sehen konnte und schon bald darauf kamen sie zu dem Platz, an dem der Feuervogel lag. Er schien verletzt zu sein. Die Farbe seines Gefieders war schwarz, wie Bodor gewusst hatte. Als die beiden jedoch näher traten, um zu sehen, was der arme Vogel hatte, färbten sich seine Federn rot. "Er errichtet sein "Schutzschild". Normal würde man sich, wie du bei der Feder, verbrennen, würde man ihn anfassen. Doch er ist zu schwach. Man kann ihn nun ohne Hindernisse anfassen." Viah betrachtete den Vogel skeptisch. "Ich weiß nicht. Berühr du ihn zuerst." "Nun gut." Bodor nahm den Feuervogel so auf den Arm, dass er ihn nicht kratzen oder picken konnte. Viah, immer noch etwas zweifelnd, strich dem Vogel schließlich auch über den Kopf. Ihre Finger spürten zwar noch die wenige Wärme, die der sterbende Vogel ausströmte, doch es tat nicht weh. "Wir müssen schnellstens zurück. Vielleicht können wir ihn noch retten." Sie eilten schnellstens zurück, und als sie aus dem Schatten der Bäume traten, erwartete sie eine echte Überraschung. Moro und Ayena waren immer Wasser, doch... beide waren sie nackt. Moro hatte Ayena fest an die natürliche Wand des Sees gepresst und küsste sie leidenschaftlich. Sie fuhr ihm durch seine nassen Haare und erwiderte seine Küsse immer heftiger... bis... Bodor sich entschuldigend räusperte. "Ehm... entschuldigt... ehm..." Er sah Viah hilfesuchend an, die nur selbst mit hochgezogener Braue da stand. Moro sah hoch und erstarrte. Sein Kopf wurde noch roter als eine reife Tomate. Man sah das leuchtende Rot bestimmt auch noch Meilen weit entfernt, so peinlich war es dem jungen Cason. Ayena, die zuerst nicht so genau wusste, was geschehen war, drehte sich mit einem male um und sah ihre Freunde erschrocken an. Ihre Gesichtsfarbe ähnelte der von Moro, als sie nach dem Hemd langte, das am Ufer des Sees lag, und es sich schnell überstreifte. "Oh... ehm... wir wollten... ehm... nicht stören..." stotterte Viah verlegen los. Moro winkte ab. "Ach... ihr stört... eh... doch nicht... wie kommt ihr denn darauf?" "Wir... ehm... gehen dann... mal... ehm... zur Höhle zurück..." meinte Bodor und deutete unbestimmt auf die Höhle hinter dem Wasserfall. "Ja... wir kommen auch bald..." erwiderte Moro. "Ja, ist gut." Bodor und Viah atmeten tief auf, als sie in die dunkle stille Höhle getreten waren. "Oh ihr Götter,,, das war peinlich..." seufzte Viah und ließ sich auf ihre Decke fallen. "Aber richtig peinlich." stimmte Bodor ihr zu. Er legte den Vogel vorsichtig auf seine Decke und betastete ihn überall, um zu sehen, was ihm fehlte. Als er seine Untersuchung abgeschlossen hatte, zog er seine Brauen verwirrt zusammen. "Ich verstehe das nicht... er hat keinen einzigen Kratzer, keine einzige Verletzung. Warum geht's es ihm dann so schlecht? Diese Frage wird wohl ewig ungeklärt bleiben..." Er wandte sich an Viah, die ihre Fingerkuppen untersuchte. "Tut es noch sehr weh? "Och, es brennt etwas...." "Hm, Moment. Das haben wir gleich." Bodor griff in seinen Beutel und nahm ein paar seiner Kräuter heraus. Diese zerrieb er zwischen seinen Handflächen und rieb sie vorsichtig auf Viah's Finger. Dies tat er so zart und so vorsichtig, dass es Viah eiskalt den Rücken hinunter lief und sie eine Gänsehaut bekam. Bodor merkte, wie viel Unbehagen diese Berührung in Viah auslöste, und er wollte seine Hand gerade wieder wegziehen, als Viah ungewollt seine Hand festhielt. Er sah sie erstaunt an. Seine dunklen Augen blickten eindringlich in die braunen von Viah. Dann, ganz langsam, näherten sich die beiden Gesichter. Sie wussten nicht, was sie taten, als ihre Lippen sich berührten und für ein paar wenige Sekunden verschmolzen. Viah genoss diese Berührung und auch Bodor fühlte sich wohl, doch die beiden waren noch nicht so weit. Ihre Münder trennten sich wieder voneinander, und eine ganze Weile lang herrschte Schweigen. Eine bedrückende Stille breitete sich zwischen Bodor und Viah aus. Bodor nahm gerade tief Luft, um etwas zu sagen, als Moro hereingestürzt kam und aufgeregt rief: "Los! Schnell! Packt eure Sachen! Bodor, Viah! Wir sind hier nicht sicher! Die Tena haben uns schon fast erreicht! Wir haben nur noch einen Vorteil: unsere Pferde. Beeilt euch! Packt alle Sachen!" Schon war er wieder verschwunden. Bodor und Viah sprangen auf und suchten alle Decken, Essen und was sie sonst noch so mitgenommen hatten, zusammen und bepackten die Pferde damit. Als Viah gerade den Sattel von Pax fest schnürte, kam Bodor, um ihr zu helfen. "Viah... es ist nicht gut, wenn wir uns nun aus dem Weg gehen... machen wir so, als sei nichts gewesen." "Was soll den gewesen sein?" fragte Viah so gleichgültig wie möglich, doch in ihrem Inneren zerriss es ihr beinahe ihr Herz. Er vergaß diesen Kuss einfach so... und sie sollte das wohl auch. Doch so leicht konnte sie das nicht verarbeiten. Sie hatten nur eine halbe Stunde gebraucht, um die Pferde zu beladen; nun ritten sie wieder, wieder waren sie auf der Flucht vor den Tena. Moro und Ayena preschten den Pfad entlang, so schnell es ihre Pferde aushielten, doch Bodor und Viah blieben zurück. Ayena hielt ihr Pferd an und drehte sich zu ihnen um. "Was ist denn los? Geht es euch gut? Wir können uns jetzt keine Pause erlauben! Kommt schon!" Bodor schüttelte entschieden den Kopf. "Nein. Das geht nicht." "Aber warum denn nicht? Was fehlt euch denn?" "Uns? Uns fehlt nichts." "Ja, und wem dann?" "Dem Vogel." Ayena fiel beinahe von ihrem Sattel. "Dem Vogel? Aber..." Bodor hob den Vogel hob, damit Ayena ihn gut sehen konnte. "Wegen einem Vogel setzt ihr euer Leben aufs Spiel?" "Das ist kein gewöhnlicher Vogel!" "Mir ist egal, was das für ein Vogel ist! Eine Amsel, ein Adler oder so ein hässliches Federvieh! Sind doch eh alle gleich!" "Red nicht so von Valentin!" "Valentin?" "Ja, Valentin. Der Feuervogel." "Valentin der Feuervogel!!" spottete Ayena. "Wir müssen langsam reiten. Er soll einen ruhigen Tod erleiden." "Was? Das heißt, das Federvieh - " "Valentin." "Oh ja, Valentin. Valentin ist schon halb tot?" "Ehm... ganz so kann man das nicht sagen." "Aber er lebt auch nicht mehr wirklich?" "Ja, schon eher." Ayena baute sich vor ihm auf. "Dann nimm deinen verdammten Valentin, und schmeiß ihn ins Gebüsch!" "Was soll ich machen?" "Du sollst deinen verdammten Valentin nehmen und ihn endlich... entsorgen!" "So spricht niemand von Valentin!" Zwischen Bodor, Viah und Ayena war ein heftiger Streit ausgebrochen, dem Moro nur mit Staunen zugesehen hatte. "Oh ihr Götter!" rief da plötzlich Bodor. Alle waren still. "Er... Valentin... er ist... tot." "Endlich!" stöhnte Ayena. In Viah's Augen sammelten sich Tränen. Sie schluckte. "Wir müssen ihn hier begraben..." sagte sie mit heiserer Stimme. "Das ist nicht euer Ernst, oder?" Bodor und Viah achteten nicht auf Ayena, die verzweifelt versuchte, sie an der Beerdigung zu hindern. Die beiden gruben ein tiefes Loch, wickelten "Valentin" in eine Decke und legten ihn behutsam auf ein Kissen aus Blättern in die ausgehobene Öffnung. Dann schütteten sie das Loch wieder zu und pflanzten ein paar Blumen und Gewächse auf dem Minigrab. Bodor fand in der Nähe noch einen Stein, den der junge Cason als Grabstein aufstellte. Die Höhe war jedoch, als Bodor und Viah anfingen zu beten. Sie legten sich beide die Hände an ihre linke Brust und flüsterten ein Gebet. Mit jedem Wort wurden ihre Stimmen lauter, sodass sie am Ende des Gebetes fast schrieen. "Viah, Bodor! Seid ihr verrückt! Die Tena! Sie sind immer noch in der Nähe!" Bodor und Viah ließen sich nicht aus der Fassung bringen. Sie tanzten um das winzige Grab herum und sangen dabei! Moro und Ayena standen daneben und mussten erst einmal realisieren, was sie da soeben sahen. Ungläubig folgten sie mit den Augen dem Ritual ihrer Freunde. Plötzlich war alles still. Bodor und Viah lagen auf den Knien vor dem "Grabstein" und rührten sich nicht mehr. "Bodor, Viah?" fragte Moro vorsichtig und tippte seinen Freunden auf die Schulter. Die beiden erhoben sich. Viah sagte mit heiserer Stimme "Lebe wohl, Valentin." und Bodor senkte traurig den Kopf. Er nickte knapp und nahm Viah dann in den Arm, die schon wieder zu schluchzen begann. "Seid ihr... nun soweit?" fragte Ayena, immer noch etwas perplex. "Ja. Viah. Weine doch nicht. Es geht Valentin nun viel besser als zuvor. Er ist von seinen Schmerzen erlöst." tröstete Bodor Viah, der dicke Tränen an den Wangen hinunterflossen. "Ja. Du hast recht. Lass uns weiter reiten. Ich werde jeden Abend ein Gebet für ihn einlegen." Die vier Freunde (Moro und Ayena brauchten eine Weile J) saßen auf und ritten in die Dunkelheit hinein. [Während dem Ritt spürte Viah, wie Bodor ihr immer wieder heiße Blicke zuwarf J] 11. Es klopfte. Gérondir wandte den Kopf von seinem Buch und sah zur Tür. Er sah die Gesichter der Gestalten nicht, die ihm Türrahmen standen, da der Gastgeber, ein alter Mann, sehr misstrauisch gegenüber Reisenden war, und sie zuerst einmal draussen stehen ließ. Gérondir stand auf, um sich noch eines Bieres zu bemächtigen, als er einen kurzen Blick auf die Reisenden erhaschte. Er hielt inne und überlegte kurz. *Ja, das sind sie...* dachte er sich und ging mit einem vollen Krug Bier zurück zu seinem Platz. Karun, der Wirt, hatte die neuen Gäste endlich eingelassen, und schloss die Tür geräuschvoll hinter ihnen. Es waren vier Reisende, zwei Jungen und zwei Mädchen. Sie sahen erschöpft und hungrig aus. Gérondir war sich nun ganz sicher. Sie waren es. Wie der Zufall es so mochte, setzten sie sich zu ihm an den Tisch. Er begrüßte sie mit einem knappen Nicken. "Seid gegrüßt, Fremder." sagte einer der Jungen freundlich. Er entsprach vielleicht nicht gerade Gérondirs Vorstellungen, doch im Allgemeinen war nichts an ihm auszusetzen. "Ist hier noch Platz für vier erschöpfte Reisende?" *Oh ja, erschöpft seid ihr...* dachte Gérondir und betrachtete die vier aufmerksam. "Aber ja doch. Nehmt Platz." Der Junge bedankte sich herzlich und ließ sich auf die gepolsterte Bank fallen. Seine Freunde setzten sich neben ihn und eines der Mädchen nahm sich direkt die Speisekarte, die auf dem Tisch stand. Auf dem Deckel der Karte war ein brauner Bär aufgedruckt, über dessen Kopf mit goldverzierter Schrift geschrieben war: Gasthaus zum hungrigen Bären Das Mädchen hob eine Augenbraue und sagte, angenehm erstaunt: "Gepolsterte Bänke, elegante Teppiche, teure Möbel, und jetzt noch Speisekarten! Wirklich... lobenswert." Es schlug die Karte auf und blätterte einmal nach hinten, dann wieder nach vorne. Es dauerte lang, bis es eine Entscheidung zwischen all diesen feinen Gerichten getroffen hatte, doch schließlich nickte es zufrieden mit dem Kopf und reichte die Speisekarte weiter an ihre Freunde. Karun kam, um die Bestellung aufzunehmen, und als er hörte, was die vier alles essen und trinken wollten, verschlug es ihm die Sprache. "Wenn ihr gegangen seid, ist mein ganzer Essenvorrat aufgebraucht!" meinte er und ging kopfschüttelnd zur Theke zurück. Gérondir lächelte hinter seinem Buch und tat so, als würde er den Text aufmerksam lesen. Doch eigentlich lauschte er den Gesprächen der Jungen. "Was sollen wir nun tun, Moro?" "Wenn ich das wüsste. Die Tena verfolgen uns noch immer. Sie geben, wie es scheint, nie auf. Und alles nur wegen Centur." "Aber wir können dem kein Ende machen. Egal, wie sehr wir uns anstrengen. Und ich habe wirklich nicht vor, mein ganzen Leben lang auf der Flucht vor den Tena zu sein. Du etwa?" "Nein, aber was willst du tun? Wir können unser Schicksal nicht bestimmen." Gérondir runzelte die Stirn. "Dann wissen sie also... noch gar nichts? Ich dachte, ich sollte ihnen nur erklären, was sie nun zu tun hätten... ach du meine Güte. Nun gut." Der alte Weise seufzte tief. Dann klappte er sein Buch zu und legte es neben seinen Krug Bier auf den Tisch. "Wie sind eure Namen?" fragte er, obwohl er die Namen der vier schon längst kannte. Doch es wäre zu seltsam, wenn er sie mit ihren Namen ansprechen würde, wobei sie ihn noch nie getroffen hatten. "Wieso wollt ihr das wissen?" "Ihr habt mein Interesse geweckt. Ich bin ein sehr ( das 'sehr' betonte er zusätzlich) alter Geschichtenerzähler, der euch zu gerne eine Geschichte erzählen würde." "Nun, erzählt ruhig, doch unsere Namen braucht ihr nicht zu erfahren." *Wie ich mir dachte. Sehr vorsichtig, von dir, Moro. Gut so.* freute sich Gérondir innerlich. Er nickte und begann zu erzählen: "Also. Einst, als die Götter ihrem Ende nahe waren, schufen sie "Die fünf Elemente", die ihre ganze Macht und Stärke beinhalteten. Es wurde viel um sie gekämpft, und..." Gérondir erzählte den ganzen Abend lang von den "Fünf Elementen" und die vier Reisenden hörten ihm aufmerksam und mit viel Interesse zu. Dann kam er zum Hauptpunkt seiner Geschichte. "...was ich noch gar nicht erwähnt habe... Karon, der Gott der Träume und Visionen verbannte seine Macht in eine Ocarina, die er dann auf die Erde sendete. Tekrus, der Gott der Liebe, erschuf ein Amulett, das er hinter einem "Temra" versteckte. Fallem, der Gott der Tiere, ernannte den Feuervogel zu dem größten Tier, das je lebte, und gab ihm all seine Kraft. Die Feder eines Feuervogels ist sein Element. Deque, die Göttin der Macht, stellte eine gläserne Kugel her, die ihre ganze Macht enthielt. Zu guter letzt gab es noch Farima, die Göttin des Krieges, die ein prachtvolles Schwert mit ihrer Kraft unserem Land zukommen ließ." Gérondir machte eine kurze Pause, da er sah, wie diese Erklärung bei den Reisenden wirkte. Auf ihren Gesichtern war pures Entsetzten zu sehen, und sie hatten ihre Augen weit vor Schrecken aufgerissen. Ungläubig starrten sie den alten Geschichtenerzähler an. "Ich fahre fort." "W... wartet... wartet bitte... wir... sind alle müde und erschöpft. Wir möchten nur noch in unsere Betten. Verzeiht uns bitte, doch vielleicht könnt ihr uns morgen... diese sehr interessante Geschichte weitererzählen. Gute Nacht." warf Moro ein und sprang von der Bank. Seine Freunde folgten ihm die dunkle Treppe hinauf. Gérondir lächelte zufrieden. Er hatte seine "Mission" erfüllt. Moro, Bodor, Viah und Ayena saßen auf dem Teppichboden ihres Zimmers. Was ihnen der alte Geschichtenerzähler erzählte, konnte beinahe nicht wahr sein. Die fünf Elemente... "Das... das ist unglaublich. Wir... könnte es tatsächlich wahr sein?" fragte Bodor und blickte gespannt in die Runde. "Ach... glaubst du das wirklich? Dieser alte Geschichtenerzähler konnte sich diese Geschichte einfach ausgedacht haben... um uns zum Narren zu machen..." erwiderte Viah. "Meinst du denn im Ernst? Nein, ich denke schon, dass er uns die Wahrheit sagte, auch wenn sie noch so verrückt erschien. Aber schau doch einmal: wir haben alle die Sachen, welche die Elemente sind. Du, zum Beispiel, Viah. Du hast häufig Visionen und Träume, und du trägst die Ocarina, das Element des Traumgottes Karon. Ist das nicht auffällig? Oder Bodor. Er hat die Feder, das Element des Tiergottes Fallem, und er ist ein Freund der Tiere. Es muss etwas damit zu tun haben." Meinte Ayena und Moro gab ihr Recht. "Ja, so sehe ich das auch. Erinnert ihr euch, als wir gegen die Tena kämpften und wir schon unseren Tod sahen? Da leuchtete mein Schwert auf und die Tena verbrannten in dem hellen Licht, das von meinem Zweihänder ausging. Na?" "Genau! Als Viah von Centur überredet wurde und beinahe auf die böse Seite gezogen wurde, kämpfte ich mit ihr, und plötzlich leuchtete mein Temra hell auf. Darauf war alles Böse von Viah gewichen." erinnerte sich Ayena. "Aber... nehmen wir einmal an, wir hätten die Elemente, was ich sehr bezweifle... was sollten wir dann tun?" fragte Viah, immer noch sehr skeptisch. "Wir könnten morgen früh wieder zu dem Geschichtenerzähler gehen und ihn um Rat bitten." schlug Bodor vor und richtete sich auf. "Du hast Recht. Das tun wir. Doch lasst uns nun schlafen. Wir hatten nicht oft die Möglichkeit dazu, da wir oft auf der Flucht waren." Moro wartete erst gar nicht eine Antwort ab, sondern stand direkt auf und zog seinen Mantel, seine Tunika und die Stiefel aus. Dann schlüpfte er, nur mit seinem Unterhemd und einer Unterhose bekleidet, unter seine Decke. Seine Freunde legten sich ebenfalls in ihre Betten und Bodor blies die einzige Kerze in dem Zimmer aus. Einen Augenblick später waren fast alle eingeschlafen. Ayena war die einzige, die noch wach in ihrem Bett lag und sich unter ihrer dünnen Decke hin und her wälzte. Kalter Angstschweiß stand auf ihrer Stirn. Immer wieder musste sie an den alten Geschichtenerzähler denken. Und an "Die fünf Elemente". "Ayena?" flüsterte plötzlich jemand in den stillen Raum hinein. Ayena schreckte auf. "Moro?" "Ja. Kannst du auch nicht richtig schlafen?" "Nein. Ich friere und ich muss immerzu an "Die fünf Elemente" denken." "Komm her. Ich werde versuchen, dich ein wenig zu wärmen." Ayena nickte und stand von ihrem Bett auf. Moro hob seine Decke etwas, sodass seine Freundin hinunterschlüpfen konnte. Sie kuschelte sich an ihn und ihr wurde direkt wärmer. "Besser so?" fragte Moro und drückte sie fest an sich. "Ja..." hauchte Ayena und gab dem jungen Cason einen leidenschaftlichen Kuss, welchen dieser erwiderte. Dann schliefen beide, von der Müdigkeit überwältigt, in einer engen Umarmung ein. Bodor wurde durch ein unbestimmtes Geräusch aus dem Schlaf gerissen. Schlaftrunken stand er auf und torkelte mehr oder weniger zum offenen Fenster. Es regnete in Strömen. Dies war wohl das undefinierbare Geräusch: der Regen, der gegen die Hauswand klatschte. Bodor seufzte tief und begab sich daran, seine Kleider vom Boden aufzusammeln und sich anzuziehen. Gerade als er die anderen wecken wollte, fiel ihm auf, dass Moro und Ayena in einem Bett, eng umschlungen, lagen. Traurig sah er zu Viah hinüber, die immer noch tief und fest schlief. Bodor wandte seinen Blick ab und rief laut: "Aufwachen! Hey, ihr Schlafmützen! Aufwachen!" Moro und Ayena kuschelten sich nur noch näher aneinander, was bedeutete, dass sie noch lange nicht aufstehen wollten. Viah dagegen gab keine Reaktion von sich. Sie schlief einfach weiter. Bodor setzte sich leise auf die Kante ihres Bettes und strich ihr zärtlich über die Wange. "Viah... es ist Zeit zum Aufstehen..." flüsterte er in ihr Ohr. Als Viah die Augen einen Spalt öffnete, nahm Bodor seine Hand schnell zurück und stand eilig auf. "Was ist denn?" fragte die junge Vemu verschlafen. "Ich gehe als hinunter und bestelle uns das Frühstück." Ohne eine Antwort abzuwarten, ging Bodor aus dem Zimmer, durch den Flur und die Treppe hinunter. In dem Speisesaal war niemand außer dem Wirt zu sehen. Karun säuberte gerade einen der großen Tische mit einem braunen abgenutzten Lappen. "Verzeiht bitte." sagte Bodor und kam zu Karun. "Ja, was kann ich für euch tun?" fragte der Gastgeber freundlich und hielt in seiner Arbeit inne. "Ich hätte gerne ein Frühstück bestellt. Für meine Freunde und mich. Könntet ihr vielleicht etwas zubereiten?" "Oh ja! Gerne. Es dauert jedoch noch einen Moment." "Lasst euch ruhig Zeit." meinte Bodor und setzte sich auf die Bank, auf der sie am vorherigen Abend Platz genommen hatten. Er streckte seine Beine aus und ließ seine Blicke in dem großen Raum umher schweifen. "Es ist nicht viel los, so wie ich das sehe." "Ja... da habt ihr leider Recht. Meine Geschäfte gehen schlecht. Sehr schlecht. Aber wer reist denn noch in solchen Zeiten, wo hinter jedem Baum und in jeder Ecke ein Tena lauert. Bald werde ich mein Gasthaus schließen müssen..." "Das ist wirklich schade. Dieser Gasthof gefällt mir sehr gut. Könntet ihr mir vielleicht eine Auskunft über einen Gast geben?" "Oh... ich fürchte, das geht nicht." "Aber es wäre wirklich nötig! Ich möchte nur wissen, ob diesem alten Geschichtenerzählen zu trauen ist. Er hat uns eine sehr... nun ehm, interessante und beinahe unglaubwürdige Geschichte erzählt." "Gérondir? Oh ja, der spricht nur die Wahrheit. Er ist sehr weise und klug. Man munkelt, dass er schon seit dem Tod der Götter in unserem Land lebt. Daher weiß er so viel... aber ob das stimmt... na ja..." "Aha... nun, wenn das so ist... dann kann es doch sein..." murmelte Bodor zu sich selbst. "Sagt, ehm. Wann nimmt denn Gérondir meist sein Frühstück ein? Wir müssten ihn dringend sprechen." "Oh, da muss ich euch enttäuschen. Gérondir ist heute morgen schon früh aufgebrochen." "Was?" rief Bodor entsetzt und sprang auf. "Ja. Er sagte, er hätte seine "Mission" erfüllt. Keine Ahnung, was er meinte. Er war schon immer ein wenig undurchsichtig. Aber... wenn es euch wirklich so wichtig ist... er hat sein Buch vergessen. Es liegt dort auf seinem Platz. Ich hatte noch nicht die Gelegenheit, es wegzuräumen." "Oh, ich danke ihnen..." sagte Bodor erregt und nahm das Buch. Es war ein dicker Wälzer, der sich überraschenderweise leicht wie eine Feder anfühlte. Bodor blätterte vorsichtig durch die völlig vergilbten Seiten, als ihm ein bräunlicher Zettel auffiel, der aus dem Buch herausschaute. Der junge Cason schlug die beiden Seiten auf, zwischen denen der Zettel steckte. Eine Textstelle war mit Kohle unterstrichen. Bodor las sie leise vor: Die Götter hatten also die fünf Elemente erschaffen und waren nun soweit. Sie bestiegen den Goldenen Berg und sendeten von dort ihre Elemente zu den Völkern unseres Landes. Dann verschwanden sie und mit ihnen der Schutz um unser Land. Der Krieg breitete sich aus... *Alles weitere ist unwichtig* dachte Bodor und las sich erneut die Textstelle durch. "Bodor? Was hast du denn da?" fragte plötzlich eine Stimme hinter ihm. Der Cason drehte sich um und sah in die verwirrten Gesichter seiner Freunde. "Das... ist unser Wegweiser." Bodor hielt das Buch triumphierend in die Höhe. "Unser Wegweiser?" hakte Viah zweifelnd nach. "Genau. Ich lese es euch vor." Zum dritten male las er das Unterstrichene. Als er geendet hatte, entstand eine lange Schweigepause. Moro war der erste, der wieder Worte fand: "Aber Bodor! Das ist... das ist es!" "Ja, sagte ich doch." "Von wem ist das Buch?" "Das... ist das Buch des Geschichtenerzählers Gérondir, der heute morgen schon früh aufgebrochen ist." "Meint ihr, es war Zufall, dass er dieses Buch hier gelassen hat?" fragte Ayena. "Bestimmt nicht. Es wäre ein viel zu großer Zufall. Zuerst erzählt er uns von den fünf Elementen und als wir uns endlich im Klaren darüber waren, dass wir sie besitzen, vergisst er hier ein Buch, in dem eine Passage angestrichen ist, die uns sehr hilfreich sein wird. Das war kein Zufall. Das war reine Absicht. Aber woher wusste er...?" erklärte Moro. "Das ist doch egal! Wir müssen sofort zum Goldenen Berg! Wir haben die fünf Elemente. Und so werden wir Centur besiegen. Centur ist vor deinem Vater geflohen, Moro. Und er hat bestimmt auch so alte Bücher über die Götter und die fünf Elemente gelesen. Centur ist nicht dumm, er ist bestimmt auch zum Goldenen Berg." Sagte Bodor und rief Karun herbei. "Euer Frühstück dauert noch ein wenig." "Karun! Ich bitte euch! Beeilt euch! Wir müssen in Kürze aufbrechen." "Oh ja, natürlich." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)