Sonnenfinsternis von Azra (silentshipping) ================================================================================ Kapitel 4: Diamant ------------------ Vorwort: Viel gibt’s nicht zu sagen ^^°. Das Kappi hat mich viel Kraft und Zeit gekostet und es ist so hei~ß *schmelz*, also das Wetter, nicht der Inhalt ^^°. Ich hoffe, ihr habt alle einen Ventilator oder ein fettes Eis bei euch am Computer! Vielen Dank, für eure lieben Worte!! Und ich freue mich über jeden, der sich der viel zu kleinen Runde der Silentshipper (Seto/Serenity) anschließt *knuffz*! 24.12.2005- 11.47 pm. „Für mich?“ wiederhole ich, starre verständnislos auf das Päckchen. Zugegeben, ich habe gerade nicht einen meiner intelligentesten Momente, aber… was soll das? „Ja, zu Weihnachten“, erklärt sie geduldig, auch wenn mein Zögern sie zu verwirren scheint. Dann tritt wieder dieser entsetzlich mitleidige Ausdruck in ihre Augen. „Hast du etwa noch nie ein Weihnachtsgeschenk bekommen?“ „Doch.“ Tonnenweise sogar. Gratispackungen von Shampoos, Deodorants, französischem Käse (ich hasse Käse), belgischer Schokolade, Sushi in allen Variationen, Lebkuchen, Duftkerzen, Zündhölzchen, mundgeblasenen Christbaumkugeln, Kamelhaarbadeläufern, (welcher normale Mann mit Fußbodenheizung legt sich etwas derartig Hässliches schon freiwillig auf seinen Marmorboden? Bitte!), Kugelschreiber, die bis auf Kaffeekochen, also das Einzige, für das ich Verwendung hätte, so ziemlich alles können und nicht zu vergessen die Monsterfamilienpackung Mister Crisp’s Vanilleflocken, die man mir für Mokuba schickt, seit er den unverzeihlichen Fehler gemacht hat, sich vor laufender Kamera für diesen Schund zu begeistern. Seitdem bin ich vor dem Zeug nicht mehr sicher. Doch, ich bekomme Geschenke. Einen ganzen Haufen davon. Lauter kleine Aufmerksamkeiten von irgendwelchen Firmen, die hoffen, dass ich für sie Werbung mache, sie vermarkte oder sonst wie finanziell unterstütze. Nicht zu vergessen all die kleinen Schleimereien vom Vorstand und diverser Mitarbeiter, die auf eine Beförderung warten. In meinem Haus stapeln sich die kubanischen Zigarren neben einer ganzen Kiste voller vergoldeter Manschettenknöpfe, perlenbestickter Krawatten, diamantener Anstecknadeln, Platin überzogener Uhren… hallo? Hat mich irgendein Mensch schon einmal etwas anderes als Mokubas Bild tragen sehen? Seit Jahren renne ich in ein und demselben Mantel herum, trage grundsätzlich nur schwarze Rollkragenpullis und immer dieselbe Schuhmarke. Ich habe einfach nicht genug Zeit, um sie mit so etwas Überflüssigem wie Accessoires zu verschwenden! Außerdem halte ich nichts von Männern, die wie ein wandelnder Christbaum aussehen. Schmuck und Kosmetik ist Frauensache! Da sollten wir die Finger von lassen. Man sieht ja an Yugi, was dabei herauskommt, wenn sich ein Kerl mit Haartönungen und Halsbändern herumschlägt: ein latent sadomasochistischer Seeigel. Wie gesagt, ich erhalte bergeweise Präsente, aber ihnen allen fehlt der Sinn eines Geschenks. Man gibt mir diese Sachen nicht, weil ich so ein schrecklich netter Mensch bin, sondern weil man sich meine Unterstützung erhofft. Wie du mir, so ich dir. Aber daraus wird nichts. Seit Jahren ignoriere ich diesen Kram, verkaufe ihn meist weiter und vergrößere Mokubas Erbe damit. Aber irgendwie begreifen es diese Leute nicht und schicken mir immer wieder solchen Müll. Hat die Welt nicht genug Bedürftige, an die sie ihren Dreck verteilen können? Muss es immer mein armes Haus sein, das sich vor „Happy X-Mas“-Karten nicht retten kann? Versteht ihr jetzt, warum ich Weihnachten verabscheue? „Willst du es denn nicht aufmachen?“ ihre enttäuschte Stimme reißt mich ins Hier und Jetzt zurück. Kein Wunder, dass sie so unglücklich dreinschaut. Für sie muss es ausgesehen haben, als starre ich das Päckchen die ganze Zeit voller Ekel an. Sie kann ja nicht wissen, dass meine finsteren Gedanken allem, nur ganz sicher nicht ihr gelten. „Doch, doch“, hastig mache ich mich daran, die Schleife zu lösen, „natürlich.“ Unter Rascheln und Knistern lege ich ein Stück Stoff frei. Weiß-blau, mit Fransen am Ende. „Das ist äh…. ein sehr hübsches Stück Stoff.“ „Stoff?“ Deine Schwester sieht mich erst irritiert, dann irgendwie mitleidig an und dann bricht sie in Gelächter aus. Ich werde das ungute Gefühl nicht los, dass sie sich über mich lustig macht. Obwohl das natürlich vollkommen unmöglich ist. „Kaiba, das ist ein Schal!“ „Das weiß ich auch“, gebe ich angesäuert zurück und entfalte das Ding zu seiner vollen Länge. Und es ist lang! Ja, so ausgestreckt hat es tatsächlich verdächtige Ähnlichkeit mit einem dieser Teile, die die Schüler immer wie die Verrückten einhundert Mal um ihre Schwanenhälse schlingen, wenn sie mal kurz rausgehen, und das so dazu animiert, sie ein bisschen zu strangulieren. „Ist der….“, setze ich vorsichtig an, doch sie kommt mir zuvor. „Selbstgekauft, ja.“ „Oh“, irgendwie bin ich erleichtert. Denn wenn sie ihn gemacht hätte… ich weiß nicht, so viel Mühe wäre mir nicht recht gewesen. Dann hätte ich das Gefühl gehabt, ihr auch irgendwas schenken zu müssen. Ob sie sich über eine Rolex freuen würde? Ich hab da noch ein paar in meiner Abstellkammer, vielleicht gefällt ihr ja eine. „Ähm, Dankeschön.“ „Gern geschehen. Gefällt er dir?“ Mein Kopf fliegt hoch, herausfordern funkle ich sie an. Endlich komme ich dazu, ihr meine neuen Lügenfähigkeiten vorzuführen. „Es ist der mit Abstand wundervollste Schal, den ich je gesehen habe!“ antworte ich enthusiastisch und löse damit einen erneuten Lachanfall aus. Irgendwas mache ich anscheinend falsch. „Du kannst mir wirklich sagen, wenn er dir nicht gefällt.“ “Doch, doch!“ Aber muss ich ihn tragen? Ich trage keine Schals, das ist… unmännlich. So ein bisschen Kälte macht einem Kaiba doch nichts aus! Am Ende tausche ich meinen heißgeliebten Mantel noch gegen eine Daunenjacke ein- soweit kommt’s noch! „Ehrlich?“ Sie tritt einen zögernden Schritt auf mich zu, verknoten ihre Finger ganz merkwürdig in einander und plötzlich fühle ich mich wieder so… befangen. „Ja.“ Sie lächelt und das ist nun wirklich das mit Abstand wundervollste Lächeln, das ich je sehen habe. Doch diesmal behalte ich es für mich. Einen Moment lang stehen wir uns schweigend gegenüber und ich will mir schon Sorgen machen, ob sie noch irgendetwas anderes, als meinen Dank erwartet hat, da bricht sie die peinliche Stille zwischen uns. „Und sonst so?“ „Was?“ „Na, Weihnachten“, es ist ihr deutlich anzusehen, dass sie mit mir auch übers Wetter reden würde. Sie redet nur, um zu reden. Das erinnert mich doch sehr an dich, Wheeler. „Was machst du gerade so?“ „Ich habe eine große Tanne.“ Sie blinzelt verwirrt. „Als Weihnachtsbaum.“ „Aha.“ „Ja.“ „Gut.“ Betretendes Schweigen. Nervös stranguliere ich ihr Geschenk. „Das ist eine Katastrophe“, platzt es schließlich aus mir heraus. Ich habe das dringende Bedürfnis, jemandem davon zu erzählen. Jemandem, der mir auch Antwort gibt. Irritiert rutschen ihre Augenbrauen in die Höhe. „Die Tanne jetzt?“ „Ja.“ „Oh“, sie verzieht leicht das Gesicht, bemüht sich wohl um einen teilnehmenden Ausdruck und Verständnis für meine Situation, obwohl sie ganz offensichtlich keine Ahnung hat, „das ist schlimm“, bestätigt sie schließlich mit Grabesstimme. „Warum schmeißt du sie nicht einfach weg?“ „Ich soll den Weihnachtsbaum wegschmeißen?“ ächze ich entsetzt. Mokuba würde mich rösten! „Na, wenn er dich so stört“, erwidert Serenity vorsichtig. „Das geht nicht!“ Hastig schüttelt sie den Kopf. „Natürlich nicht! War eine dumme Idee, verzeih.“ Wieder betretenes Schweigen, schließlich ringe ich mich zu einem: „Und du so?“ durch. Es ist peinlich und Smalltalk war noch nie meine Stärke. Ich halte nicht viel davon, um den heißen Brei herumzureden. Leider weiß ich im Moment nicht, worauf ich hinaus will. Es wäre alles so viel leichter, wenn sie eine Geschäftspartnerin wäre. Aber sie ist einfach nur ein Mädchen, ein ganz normales Mädchen… na gut, vielleicht nicht ganz normal, denn sie ist die Schwester des Jungen, von dem alle glauben, dass ich mir mit Absicht meine Stoßstange an ihm ruiniert habe. So ein Blödsinn! Ich liebe mein Auto! Und… und du hast nicht genug gestört, um den Aufwand eines Mordes zu rechtfertigen. Lästig, aber eben nicht lästig genug und das ist das Nahste an Freundschaft, das du je von mir bekommen wirst, hörst du, Wheeler? Du kannst jetzt aufwachen, mehr ist nicht drin. Bin schließlich kein Weihnachtsengel und mit Gefühlen habe ich es eh nicht so, da muss ich mir die paar, die ich erübrigen kann, gut aufsparen. Für Mokuba beispielsweise, oder… Beinahe gegen meinen Willen zieht es meinen Blick zurück zu ihr. Sie erwidert ihn offen und freundlich. Irritierend dieses Mädchen. So… voller Hoffnung, unerschütterlich optimistisch und ich weiß nicht, ob ich sie bedauern oder beneiden soll. „Also…“, sie hebt irgendwie hilflos die Arme, lässt sie wieder an die Seiten flappen, „ich muss jetzt nach Hause, Mum macht sich bestimmt schon Sorgen.“ Nein! Sie soll nicht gehen! Ich weiß auch nicht, warum, aber sie soll nicht, sie darf nicht. Nicht schon wieder, wer weiß, wann ich sie wieder sehe. „Bis bald, Kaiba.“ Argh! Nicht schon wieder diese zwei verhassten Wörtchen! Bis bald, das kann alles Mögliche heißen, auf jeden Fall ist es bei ihr nicht „bald“! Im Nachhinein will ich gar nicht mehr wissen, was mich eigentlich geritten hat, aber ich bin froh darüber. Meine Linke schießt vor, fasst sie am Unterarm, ein wenig harsch vielleicht. „Komm zu meinem Neujahrsduell.“ Es ist mehr ein Befehl, als eine Bitte. Schweigen. Schon wieder! Wir starren uns an, sie verblüfft, ich entsetzt. Aber jetzt sind die Worte raus. Zack! Einfach so. Bedeutungsschwer hängen sie in der abgestandenen Luft deines kleinen Zimmers und mit jeder Sekunde, die sie still ins Leere ziehen lässt, komme ich mir ein wenig blöder, ein bisschen ungeschickter vor. Und ich hasse dieses Gefühl, das mir bis dato so fremd war. Bis du dich vor meinen Wagen geworfen hast, bis sie in deine kleine Sterbezelle gestolpert ist und mir ihren elendig süßen Kakao unter die Nase gehalten hat. ,Komm zu meinem Neujahrsduell’, seit wann lade ich da Gäste ein, die nicht irgendwie repräsentativ oder finanziell wichtig für mich sind? Seit wann ist es überhaupt mein Duell? Bisher lief das alles über die Kaiba Corp., indirekt auch über Roland, aber ganz sicher wäre ich früher nicht einmal auf die Idee gekommen, mich damit zu identifizieren. Eine laute, gestelzte Versammlung von traurigen, aber reichen Gestalten. Teuer und oberflächlich, kurz: grauenhaft, aber gut für’s Image. Vielleicht hätte ich meine Einladung, so es denn eine ist, ein wenig freundlicher formulieren sollen, im Konjunktiv („Würdest du zu meinem Neujahrsduell kommen?“) oder mit einem „Bitte“. Aber da steckt wohl zu viel Chef in mir, ich kann nicht freundlich und respektvoll sein, außer vielleicht zu Mokuba, aber das ist auch was anderes. Das ist mein kleiner Bruder. Sie hingegen ist… deine Schwester, ein Mädchen, ein mir eigentlich sehr fremdes Mädchen und trotzdem kann ich mir denken, dass dieses entsetzliche Fest am Ende schön werden könnte, wenn sie dabei wäre. Ihre Stimme bricht schließlich die angespannte Still zwischen uns, die so dick ist, dass ich glaube, sie fast greifen zu können. „Gern.“ Nur dieses eine, kleine Wort, doch es erlöst mich von gefühlten tausend Tonnen. „Einunddreißigster Januar, ab zehn Uhr abends geht es los.“ Meine Stimme klingt geschäftsmännisch kühl, dabei fühlt mein Magen sich gerade an, als rotiere er pausenlos um die eigene Achse. Mir ist schlecht, auf eine ganz und gar wunderbare Art und Weise. 30.12.2005- 7.12 p.m. Happy new year, Loser! Morgen kann ich nicht kommen, das Duell und … na ja, du warst ja dabei, als ich sie eingeladen habe, deshalb wünsche ich dir jetzt schon alles, nun ja, Gute, denke ich mal, für das nächste Jahr. Hoffentlich bekommst du davon ein bisschen mehr mit, als vom Ende des Letzten. Zwei Monate- es ist krank. Jeden anderen hätten sie wohl schon längst aufgegeben, aber an dir halten die Menschen fest, als hinge ihre eigene, erbärmliche Existenz davon ab. Ich hab mal gehört, dass die Besuche mit der Zeit abnehmen, dass die Leute sich mit dem Gedanken anfreunden und beinahe erleichtert sind, wenn der Komatöse es dann endlich bewerkstelligt, von dieser in die nächste jämmerliche Daseinsform überzutreten. Bei dir ist das anders. Dein kleiner Kindergarten ist nach wie vor nervig. Musst ein richtiger Sonnenschein gewesen sein, dass dir selbst jetzt noch, wo dein Haar längst nichts Sonniges mehr hat, die Leute nachrennen. Ich stehe an deinem Bett, meine Hand liegt neben deiner. Ich wünschte, ich hätte so viel Courage wie dieses kleine Gör, das du deine Schwester nennst und das ich aus einem mir heute nicht mehr erfindlichen Grund zu dem Duell der Kaiba Corp. eingeladen habe, dann würde ich sie einfach nehmen. Dann würde ich dich nehmen und so lange schütteln, bis du sturer Esel dich endlich bequemst, deine verdammten Glubscher wieder aufzusperren. Doch diesen Mut habe ich nicht. Vor einer Berührung mit dir scheue ich mich, als würde ich einen Toten anfassen. Viel mehr bist du ja auch nicht. Tu uns doch allen einen Gefallen und… und… es nur zu denken, scheint unmöglich. Ein Leben ohne Joseph J. Wheeler ist wie ein Leben ohne einen beinahe lieb gewonnen Parasiten: wenn man ihn entfernt, fehlt er einem. Außerdem habe ich, wenn du tot bist, keine Ausrede mehr, sie zu sehen, also wage es ja nicht, abzutreten, hörst du? „Ich gehe jetzt“, wahrscheinlich könnte ich mich genauso gut mit dem keinen, grünen Kasten, auf dem sich inzwischen ein ganzer Zoo tummelt, unterhalten, doch ich bestehe darauf, dich anzusehen, „wir sehen uns im nächsten Jahr wieder.“ Und wage es ja nicht, bis dahin wegzusterben, Töle! Vor der Plexiglasscheibe bleibe ich noch einmal stehen. Durch die blassen Vorhänge kann man so gut wie nichts sehen und wenn nicht wüsste, dass deine leblose Silhouette irgendwo hinter dem Weiß herumlungert, würde ich sie nicht einmal erahnen. Mit den Fingerspitzen trommele ich gegen die Scheibe, als ich den sterilen Gang hinunter zum Fahrstuhl gehe. I'm looking at you through the glass Don't know how much time has passed Oh God it feels like forever But no one ever tells you that forever feels like home Sitting all alone inside your head Da ich in letzter Zeit nicht gut schlafe, bin ich nicht weiter überrascht, als ich mitten in der Nacht hochfahre. Vermutlich wieder ein Alptraum, an den ich mich jetzt nicht mehr erinnern kann und will. Du hast wahrscheinlich die Hauptrolle gespielt, oder das blutige Etwas, was von dir noch übrig war, nachdem du dich so voller Elan gegen meine Limousine schmeißen musstest. Irritierend ist nur der Wunsch, mir jetzt, mitten in der Nacht meine Werbegeschenke anzusehen, aber ich bin ein merkwürdiger Mensch, warum sollten meine Bedürfnisse dann normal sein? Ich schlafe nicht, ich schwelge lieber in Verschwendung, warum nicht? Meine nackten Füße versinken in dem teueren, weichen Teppich, den Roland aus… ich weiß es nicht mehr von wo hat importieren lassen. Das ganze Haus ist mit seiner Ausstattung die perfekte Symbiose aus allen Teilen der Erde, die der Politik noch fehlt. Vielleicht sollte ich die werten Herren einmal einladen, damit sie wissen, wie geschmackvoll Globalisierung aussehen könnte. Wie im Schlaf tragen meine Füße mich den dunklen Korridor hinunter bis zur Abstellkammer. Ich kann mich nicht daran erinnern, die Tür geöffnet zu haben, doch plötzlich stehe ich mitten drin und neben mir… neben mir stehst du. How do you feel, that is the question But I forget, you don't expect an easy answer When something like a soul becomes initialized And folded up like paper dolls and little notes You can't expect a bit of hope (Stone Sour- Through glass) „Was machst du hier?“ „Ich dachte, ich besuch’ dich mal. Is’ doch nett von mir, nich’?“ Ich bin zu baff, um darauf irgendetwas zu sagen. Wie kommst du hier her? Bis eben hast du noch mehr tot als lebendig in deinem Bett gelegen, ein lebloser Haufen Fleisch und Knochen. Doch davon ist nichts mehr zu sehen, deine Haut hat den leichten Braunton, den du dir irgendwie immer bewahrt hast, selbst im Winter. Dein Körper ist drahtig, doch nicht abgemagert, ich kann die Muskeln unter diesem lächerlichen T-Shirt sehen, das du immer trägst. Nichts an dir deutet darauf hin, dass du wochenlang im Koma gelegen hast. Du öffnest eine der Zigarrenschachteln, begutachtest den Inhalt neugierig, bevor du eines der gedrehten Blattröhrchen herausnimmst, daran riechst. Dabei sieht du mich an, zwinkerst mir zu. „Das wollte ich schon immer mal machen. Im Film sieht das immer ziemlich cool aus.“ Ich nicke nur verwirrt, kann immer noch nicht so ganz glauben, dass du hier bist. Und warum du ausgerechnet in meiner Abstellkammer auftauchst. „Du solltest zu deiner Schwester gehen.“ Du schließt die Augen, schnüffelst noch immer, ganz der räudige Streuner, der du bist, an der Zigarre. „Hmmm“, machst du leise und ich bin mir nicht sicher, ob es ein Laut der Zustimmung, oder des Genusses ist. Unvermittelt siehst du mich wieder an, deine Augen funkeln richtig, doch deine Miene ist betrübt. „Ich weiß, Serenity… ist ’n tapferes, kleines Schwesterchen, nicht?“ Weil ich nicht weiß, was ich dazu sagen soll, schweige ich. „Sie nimmt das alles echt gut auf, hätte ich ihr gar nicht zugetraut. Aber das ist bei ihr immer so. Hey, weißt du, einmal hat sie sich mit ’nem Oberschüler angelegt, um ihrem dussligen Bruder aus der Klemme zu helfen. Das war stark, sag ich dir.“ Du steckst dir die kleine, braune Stange zwischen die Lippen, schaust dich um. „Haste mal Feuer?“ Wortlos deute ich auf die Kiste neben den Zigarren. Da müssten all die Zippos drin liegen, die mir irgendeine Firma mit schöner Regelmäßigkeit zu jedem festlichen Anlass schickt. „Danke. Cool!“ Du stößt einen anerkennenden Pfiff aus, als du ein goldenes Feuerzeug aus der Schachtel nimmst. Andächtig klappst du den Deckel zurück, drehst an dem kleinen Rad. Ein Funke fliegt, entzündet das Gas. Du nimmst einen tiefen Zug. „Du rauchst?“ „Nein“, gibst du gelassen zurück, ziehst noch einmal so tief, dass die Spitze rot aufglüht und Asche auf meinen teuren Teppich rieselt. Doch ich bin viel zu überfordert von der ganzen Situation, um mir darüber auch noch Gedanken zu machen. „Wo kommt’n all der Kram hier her?“ Du machst eine weit ausladende Geste. „Das sind Geschenke.“ „Cool! Aber du bist echt gestört, Mann. Wenn man mir so tolle Sachen schenken würde, würde ich sie ganz sicher nicht in einem kleinen, dunklen Raum vergammeln lassen.“ Ich verziehe das Gesicht. „Sie bedeuten nichts. Willst du sie haben?“ Aufmerksam schaust du dich um, nimmst ein paar Dinge in deine Pfoten, lässt sie wieder zurückfallen, dann durchbohrst du mich geradezu mit deinen Augen. „Was bedeutet dir schon etwas?“ „Du“, das ist schneller raus, als mein armer, verwirrter Geist schalten kann. Du bist mindestens ebenso baff, wie ich. „Echt?“ „Nein.“ Das Ganze ist mir unangenehm und ich starre ihn wütend in Grund und Boden. Jeder andere wäre bei meinem Blick auch in Letzterem versunken, nicht so du. Du bist inzwischen daran gewöhnt, dich stört das nicht mehr sonderlich. „Also“, blaffe ich dich an, um meine Unsicherheit zu überspielen, „warum musst du ausgerechnet mich heimsuchen?“ „Ich hab dich halt vermisst.“ Du machst einen Schritt auf mich zu, ich will zurückweichen, kann aber nicht. Meine Beine sind am Boden festgenagelt, so scheint es jedenfalls. Du beugst dich vor, dass deine blonden, wildabstehenden Haare meine Wange streifen. Rauch schlägt mir entgegen, als du die Lippen öffnest. „War nett von dir, jeden Abend an meinem Bett wache zu halten.“ „Hab ich nicht“, rasple ich trocken. 31.12.2005- 6.27a.m. Ich fahre hoch, schaue mich hektisch um. „Wheeler?“ Stille. Um mich herum ist es stockfinster und die Ruhe dröhnt in meinen Ohren. „Wheeler!“ Meine Stimme klingt in der überwältigenden Geräuschlosigkeit erschreckend dünn, schwach. Ich blinzle einmal, zweimal, dann taste ich beinahe panisch nach dem Schalter meiner Nachttischlampe. Das Licht ist zu klein, um all die Schatten in meinem Zimmer und in meinem Geist zu vertreiben. Die Fußbodenheizung ist angenehm warm, als ich mit zwei großen Schritten zum Hauptschalter hinüberstolpere. Erst als in meinem Zimmer Festbeleuchtung herrscht, fühle ich mich ein wenig sicherer. Nach einem kurzen Blick auf meinen Digitalwecker beschließe ich, dass es sich nicht mehr lohnt, weiterzuschlafen und wenn ich ganz ehrlich bin, dann habe ich auch Angst davor, jetzt wieder die Augen zu schließen. Was, wenn ich dir noch einmal begegne? Diese Träume müssen aufhören! Ich hasse dich, Wheeler! Wenn das so weitergeht, machst du aus mir tatsächlich noch das nervliche Frack, das du dir immer gewünscht hast. Mit einer Hand wische ich mir nachdrücklich über das Gesicht, versuche den Schrecken und dein Gesicht zu vertreiben. Beides gelingt mir nur bedingt. Kaffee! Ich brauche dringend Kaffee, eine kalte Dusche und dann ist vielleicht endlich, endlich diese verdammte Sonne aufgegangen. Im Licht bist du nämlich blasser, als in der Nacht und meine Erinnerung weniger lebhaft. Deine Augen verfolgen mich den ganzen Flur hinunter bis zur Küche und zum ersten Mal in meinem Leben wünschte ich, dieses Haus wäre nicht so groß, seine Flure nicht so lang, die Küche nicht so weit weg. Als ich die Treppe hinunterspurte und mich bei dem Unterfangen, vier Stufen auf einmal zu nehmen, beinahe überschlage, bemerke ich das Licht, das mir bereits aus der Küche entgegen flutet. Meine Augen verengen sich kritisch. Mokuba wird sich doch nicht zu dieser gottlosen Stunden an seinen gratis Vanilleflocken vergehen… ein trockenes Lachen entringt sich meiner Kehle. Es klingt wie Papier. Sicher nicht, dazu müsste er ja essen! Dann bleibt eigentlich nur einer übrig, obwohl ich mich frage, wie um alles in der Welt Roland es immer bewerkstelligt, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Und das immer mit einer Tasse Kaffee, die er mir auch jetzt entgegen hält. Er sieht nicht aus, als hätte er geschlafen, unter seinen Augen liegen dunkle Schatten und sein Haar ist nicht ganz so geordnet wie sonst, doch in seinem Blick, der mich mit dem Wohlwollen und der Sorge eines Vater misst, ist keine Spur von Müdigkeit zu sehen. „Zwei Löffel Kaffeeweißer, kein Zucker.“ Mit einem dankbaren Nicken nehme ich die Tasse vorsichtig zwischen die Hände, versuche, mir nicht die Finger an der heißen Keramik zu verbrennen. Unauffällig gleitet mein Blick zu dem Mann hinüber, der jetzt an meiner Theke lehnt und Kaffee, so stark und schwarz, dass er selbst Tote wieder auferwecken würde (vielleicht sollte ich dir davon ein wenig einflößen), in sich hineinschüttet, dann finden meine Augen sich wieder bei der hellbraunen Brühe ein, die ich trinke und ich fühle mich jung und unerfahren. Ich hasse dieses Gefühl. Mit einem lautlosen, trockenen Seufzen lasse ich mich neben ihn an die Anrichte sinken. Roland schenkt mir eines seiner diskreten, freundlichen, ewig besorgten Lächeln, doch er schweigt. Vielleicht hat er es schon lange aufgegeben, mit mir diskutieren zu wollen. Also breche ich das Schweigen. „Du siehst müde aus.“ Liegt es nur an mir, oder ist dieses Lächeln tatsächlich ironisch? „Sie nicht, Herr Kaiba.“ Ich nippe an meinem Kaffee. „Heute ist das Neujahrduell.“ Roland nickt, unbeeindruckt. Nun, kein Wunder, er kann nicht wissen dass heute… dass es anders werden wird, weil zum ersten Mal jemand dabei ist, den ich dabei haben möchte- irgendwie. Mokuba und Roland natürlich ausgeschlossen, aber die habe ich auch sonst immer in meiner Nähe. Was man von deiner Schwester, bei der ein „bald“ wirklich alles nur nicht bald ist, nicht sagen kann. „Ja, ich weiß“, er stößt sich von der Anrichte ab, schenkt sich Kaffee nach und macht Anstalten, die Küche zu verlassen, „ich werde mich sofort um die Arena kümmern.“ „Roland, worüber redet man?“ Er ist zu höflich, um mir zu zeigen, dass meine Frage nicht so ga~nz viel Sinn ergibt. „Nun, über das Wetter, über die Duelle, worüber immer Sie wünschen, Herr Kaiba.“ „Nein, ich meine“, ich starre in die hellbraune Brühe, als gelte es, wie Moses das Wasser zu teilen, „wenn man wirklich mit jemandem reden möchte.“ Ich bin froh, ihm in diesem Moment nicht in die Augen sehen zu können, doch ein väterlich-wissender Unterton ist nicht zu überhören, als er treffsicher vermutet: „Und dieser Jemand ist weiblich, hm?“ „Möglich“, gebe ich sehr widerwillig zurück, aber ich muss eine Blamage wohl riskieren, wenn ich Informationen haben will. Informationen sind überhaupt alles, der Schlüssel zur Macht! Leider habe ich keine über deine Schwester oder diese merkwürdige Spezies „Frau“ allgemein und Roland ist der Einzige Mensch, den ich so etwas fragen und danach noch weiteratmen lassen würde. „Das ändert natürlich alles.“ Als ich den Fehler begehe, von meiner Tasse aufzuschauen, ist sein Lächeln professionell dezent, aber auch… stolz? Glücklich? Vielleicht hatte er die Hoffnung, dass ich mich jemals wie ein normaler Teenager aufführen würde, schon längst aufgegeben. „Reden Sie über etwas, dass Ihnen gefällt und über sie.“ „Ich kenne sie doch kaum.“ „Dann über ihr Kleid, den Schmuck, den Abend an sich und wie glücklich Sie sind, dass sie da ist.“ Abwehrend schüttele ich den Kopf, sehe ihn vorwurfsvoll an. „Das klingt ja, als wäre ich an ihr interessiert!“ Er scheint verwirrt, fängt sich jedoch rasch. „Verzeihung, Herr Kaiba. Übereifrig habe ich angenommen, dass Sie das tatsächlich sind, wenn Sie eine ernsthafte Unterhaltung anstreben.“ „Bin ich nicht!“ Nur damit das klar ist, ich habe sie nicht eingeladen, weil sie mir etwa bedeutet, sie ist nur… na, eben deine Schwester und außerdem… warum belüge ich mich eigentlich selbst? „Über Schmuck und Kleider also“, fasse ich seine Lehre zusammen. Keines der beiden Themen lässt mich in Begeisterungsstürme ausbrechen, um ehrlich zu sein, habe ich nicht einmal eine Ahnung davon. ich würde einen geschliffenen Glasstein von keinem Diamanten unterscheiden können… apropos Diamanten, ich brauche ja noch ein Weihnachtsgeschenk oder so etwas Ähnliches. Hat nicht eine weise Frau einmal gesagt „diamonts are a girl’s best friends“? … wo bekomme ich ein paar Stunden vor dem neuen Jahr noch einen Diamanten her? „Und vergessen Sie die Blumen nicht“, höre ich Roland noch sagen, bevor er sich entschuldigt und die Küche verlässt, um sich um die letzten Feinheiten zu kümmern. Verwirrt sehe ich ihm nach. Wieso denn jetzt auf einmal Blumen? Und wo bekomme ich die her? Allerdings scheint mir die Wahrscheinlichkeit, heute noch einen Blumenstrauß aufzutreiben, wesentlich größer, als einen Juwelier mit Feierphobie ausfindig machen zu können und so hänge ich mich wenig später tatsächlich hinter das Telefon, um mich mit einer hysterischen Floristin herumzuärgern. Der Feiertagszuschlag muss in dieser Branche wirklich enorm sein oder sie ist stoned. Anders kann ich mir die gute Laune nicht erklären. Mit jedem weiteren Ausruf der Verzückung nähert sich meine Stimmung zumindest dem Nullpunkt. Es fängt schon beim Namen an. „Herr Kaiba“, man quietscht mir sehr unfein ins Ohr. Und noch einmal, zwei Oktaven höher: „Herr Kaiba!“ „Ja, ja guten Tag“, brumme ich unfreundlich zurück. Vielleicht finde ich ja doch noch… aber nein, jetzt habe ich schon einmal das Telefon bemüht, jetzt wird das hier auch zu Ende gebracht, ich hasse Unnötigkeiten. Außerdem wähne ich mich geradeso noch in der Lage, einen Blumenstrauß zu bestellen, immerhin beherrsche ich ein ganzes Imperium und ich bin ein guter Diktator! „Sie wollen sicher Blumen.“ Ist nicht die Möglichkeit! Welch Sternstunde der Deduktion. Wer käme auch auf die Idee, in einem Blumenladen Blumen zu bestellen? Ich ärgere mich über übermotiviertes, unfähiges Fachpersonal, während ich unwillig „Ja“ in den Hörer murre. „Wir haben das „Silversterbouquet classic“ im Sonderangebot. Wahlweise mit Schleifen der Farbe Rot, Blau, Rot-Blau gestreift oder gepunktet, gerippt oder traditionell glatt. Dasselbe gilt für das gleiche Model in grün-gelb, hierbei entfallen jedoch leider die Punkte, dafür könnte ich Ihnen das Karo-“ „Ich will kein Sonderangebot!“ Ich glaube, ich möchte gar keinen Blumenstrauß mehr. Im Moment steht mir der Sinn mehr nach einer Pistole. Wahlweise für mich, sie oder dich. „Natürlich nicht!“ ruft sie schnell, nur eine Sekunde aus dem Konzept gebracht, „Wir stellen Ihnen gern einen Strauß nach Ihren wünschen zusammen.“ Gespannte Pause. „…“ „Herr Kaiba?“ „Ja, ich…“, ich habe keine Ahnung von Blumen. Das mit dem Sonderangebot war mehr eine Reflexreaktion, denn ich traue Dingen, die billiger sind als gewöhnlich, nicht über den Weg. Wahrscheinlich sind die Blumen im „Silversterbouquet classic“ welk und stinken. „Ja?“ „Irgendwas Großes, was Aufwändiges. Vielleicht… ah, Rosen oder etwas in der Richtung.“ „Rosen?“ „Nicht?“ „Nur, wenn Sie beabsichtigen, einen Heiratsantrag zu machen- beabsichtigen Sie?“ Morgen wird die Boulevardpresse von meinen Heiratsplänen berichten! „Nein!“ gebe ich entrüstet zurück. „Dann dürfen Sie keine Rosen nehmen“, erklärt die Floristin fachmännisch, „Rosen stehen für Liebe und Verehrung.“ Aha. „Dann Lilien?“ wage ich einen zweiten Versuch. „Aber um Gottes Willen keine weißen! Oder wollen Sie die junge Dame umbringen- es ist doch eine Dame?“ Eine Braue rutscht steil in die Höhe. Was soll diese Unterstellung? “Natürlich!“ Und ich wusste nicht, dass ich deine Schwester mit ein bisschen Grünzeug ins Grab schicken kann- vielleicht sollten wir das bei dir probieren. Ein andermal. „Wissen Sie, die Aussagekraft einer Blume ist keinesfalls zu unterschätzen. Ganze Kriege sind wegen einer falschgesetzten Nelke, einer missverstandenen Rose ausgebrochen.“ „Ach?“ hochgradig kritisch beäuge ich das Telefon, „Welche denn?“ “Das weiß ich nicht, Geschichte ist nicht mein Gebiet“, erwidert sie ohne den Anstand zu haben, verlegen zu klingen, „aber es ist sicher schon vorgekommen.“ Und sie entblödet sich auch nicht, noch hinzuzufügen: „Mann muss die Sprache der Blumen verstehen.“ … Sprache der Blumen- alles klar. Ich bin im Institut für unheilbar schwere Geisteskrankheiten gelandet. Bisher habe ich von vielen gehört, die glauben, dass es die Pflanzen auch nur eine Wurzel interessieren würde, wenn sie mit ihnen redeten, aber nie, noch niemals ist mir zu Ohren gekommen, dass eines der Dinger sich die Mühe gemacht hätte, zu antworten. Soviel zur Sprache der Blumen. „Sie müssen sich im Klaren darüber sein, was ihr Strauß aussagen soll.“ Verzweifelt schließe ich die Augen. Der Diamant wäre die entschieden einfachere Lösung gewesen. „Dann besorgen Sie mir etwas, das sagt: ,Deine Geschenke beleidigen jegliches Geschmacksempfinden, aber du bist ganz…’“, ich zögere kurz, „,niedlich’.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)