Der Sammler von abgemeldet ================================================================================ Prolog: Dunkelheit ------------------ Dunkelheit. Überall nur Dunkelheit. Vorsichtig tastete er mit den Fingerspitzen um sich in die Leere. Als er keinen Widerstand spürte, legte er die Handflächen auf den Boden vor sich. Er war kalt und uneben, etwa so wie ein schlecht betonierter Kellerraum. Panik stieg urplötzlich in ihm auf, denn erst jetzt wurde ihm die Lage bewusst, in der er sich befand: Weder hatte er eine Ahnung, wo er war, noch konnte er sich erinnern, wie er hierher gekommen war! So sehr er sich auch bemühte, ihm wollte einfach nicht einfallen, was als letztes geschehen war. Verzweifelt presste er die Stirn gegen seine Handflächen und wippte vor und zurück, vor und zurück. Ihm fiel auf, dass er keine Schmerzen hatte, jedoch spürte er seinen Körper nicht. Die Haut fühlte sich taub an und die Muskeln schlaff, wie nach einem Marathon. Es war, als gehöre der Körper, in dem er steckte, nicht ihm. Er fuhr sich nervös mit den Fingern durch das kurze Haar und hielt mitten in der Bewegung wie erstarrt inne. Die Hände blutverschmiert bemerkte er, wie sein Herz einen Schlag ausließ und Adrenalin in Massen durch seine Adern gepumpt wurde, als ihm der kalte Angstschweiß ausbrach. Der Schädelknochen an seinem Hinterkopf war völlig zersplittert. Kapitel 1: Mord --------------- Als Nathaly Anderson den Tatort betrat, waren schon die Spurensicherung und die meisten anderen Polizisten eingetroffen. Sie streifte sich Schutzhandschuhe und Überschuhe über und bückte sich unter dem Absperrband hindurch, das die Tür des Kellerraums versperrte. Der Geruch von Blut lag in der Luft und innerlich wappnete sich die junge Polizist schon gegen den Anblick, der sich ihr jeden Moment bieten würde. Ihr Pieper war losgegangen, als sie gerade außerhalb der Stadt ihre Mutter besucht hatte, und deshalb hatte es etwas länger gedauert, bis sie am Theater ankam. Nun tauchte sie mitten ins Geschehen ein und erblickte in einer Ecke den Chief des örtlichen Polizeireviers Daniel Croft, wie er in der Hocke den Körper eines Mannes inspizierte. Sie trat näher und betrachtete ebenfalls die Leiche, die bis zur Hüfte mit einem nicht mehr ganz weißen Tuch bedeckt war. Hände und Unterarme waren nicht mehr zu sehen, weshalb Anderson vorerst einen Blick auf Oberkörper und Gesicht des Mannes warf. Er schien um die vierzig zu sein und seine Frisur sowie die Kleidung wirkten gepflegt. Er war komplett rasiert und hatte ein zwar kantiges, jedoch wohlgeformtes, vertrauenerweckendes Gesicht, in das man unter anderen Umständen sicherlich gerne sah. Doch jetzt waren die Augen weit geöffnet, der Mund stand einen Spalt offen. Alle Farbe war aus Gesicht sowie Armen und höchstwahrscheinlich dem restlichen Teil seines Körpers gewichen. Auf den ersten Blick gab es keinen offensichtlichen Grund für die Todesursache wie Strangulation oder Schnittwunden. Doch da fast das komplette Laken blutgetränkt war, beschlich Anderson der Verdacht, dass die Todesursache nur zu offensichtlich werden würde, wenn sie einen Blick unter das Tuch warf. "Chief", begrüßte sie den auf dem Boden hockenden Croft, der sich nun leicht ätzend erhob und sich an den Rücken griff. Die vielen Jahre im Polizeidienst machten ihn auch nicht jünger, dabei hatte er noch nicht mal die fünfzig überschritten. "Detective", erwiderte er und nickte ihr zu. "Darf ich?" Sie beugte sich zum Leichnam hinunter und hob eine Ecke des dunkelroten Tuches leicht an. "Nur zu." Der Chief deutete eine ausladende Handbewegung an und Anderson schlug das Tuch zur Seite. Was sie dann sah, ließ sie ungewollt zusammenzucken, doch sie versuchte, sich davon nichts anmerken zu lassen. Das würde den anderen Polizisten nur noch mehr Grund zu abfälligen Bemerkungen geben, obwohl nicht wenige von ihnen sich über blutige Vergehen ekelten. Sie betrachtete nun so fachkundig wie möglich die klaffenden Wunden an den Handgelenken des Toten, die Stelle, wo sich einmal die Hände befunden hatten. "Wurde die Verstümmelung post mortem zugefügt?" Die Frage Crofts erstaunte sie, doch als sie einen genaueren Blick auf die Wundränder warf, erkannte sie, dass dem so war. Verwirrt richtete sie sich wieder auf und drehte sich um. "Aber wenn er nicht verblutet ist, woran ist er dann gestorben?" Fragend blickte sie Croft an, der sich mit den Fingern nachdenklich über das Kinn strich. "Das ist genau die Frage, die man sich stellen muss. Genau wissen wir es erst, wenn der Autopsiebericht raus ist, aber ich vermute, dass er an einem Herzstillstand starb." Kopfschüttelnd deckte sie den entstellten Mann wieder ab und blickte sich um. Sie befand sich in einem engen Kellerraum des Bostoner Theaters, dessen Fenster vernagelt waren und die Luft stickig. Es roch förmlich nach Tod, weshalb sich die Polizistin nach der Frischluft draußen sehnte. "Wer hat ihn gefunden?" "Der Nachtwächter. Hat beim morgendlichen Rundgang am Ende seiner Schicht einen seltsamen Geruch wahrgenommen und wollte nachsehen, doch die Tür war verschlossen. Laut seiner Aussage hat er sie dann nach einiger Überlegung eingetreten und sofort die Polizei gerufen." "Ist er verdächtig?" Anderson wusste, wie man bei so etwas vorzugehen hatte. Erst einmal potenzielle Verdächtige ausschließen, um das Feld einzugrenzen. "Nein, hat ein wasserdichtes Alibi." "Welches?" Anderson konnte sich weder vorstellen, dass es wirklich der Nachtwächter gewesen war, noch, dass er ein Alibi haben konnte. Welches Alibi hatte schon ein Mann, der allein nachts ein Gebäude bewachte und eine Leiche entdeckte? Doch zu ihrer Überraschung gab es keinen Zweifel. "Wir haben Fingerabdrücke gefunden, seine sind es nicht." Erleichtert, endlich den stickigen Raum verlassen zu können, trat sie in den gefliesten Flur hinaus, als ihr etwas auffiel. "Aber wurden die Fingerabdrücke überhaupt schon ausgewertet? So schnell kann man das doch gar nicht mit Sicherheit sagen!" Wenn sie etwas vorwurfsvoll geklungen hatte, war es unbeabsichtigt gewesen, doch Croft lachte kurz auf. "Ich bitte Sie, Detective. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass der alte Nachtwächter der Killer ist, wenn er uns schon selbst anruft und seine Fingerabdrücke ohne mit der Wimper zu zucken abliefert! Er ist einfach nur völlig geschockt, aber ein Mörder? Nein, das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen." Entrüstet riss Anderson die Gummihandschuhe von den Handgelenken und musste dabei unwillkürlich an den geschundenen Toten und den Zustand der seinigen denken. "Das will ich damit doch auch gar nicht sagen. Es hätte mich bloß gewundert, wenn..." Abwehrend hob Croft die behandschuhten Hände. "Schon gut, schon gut. Lassen wir die Wortklauberei." Er wandte sich an einen in der Nähe arbeitenden jungen Mann. "Verdammt, was tun Sie denn da?", brüllte er ihn an, worauf dieser zusammenzuckte und etwas stammelte. "Ich wollte bloß... habe bloß..." Eingeschüchtert hielt er ein kleines, rechteckiges Etwas hoch, das Anderson als eine Kassette identifizierte, wie man sie in einem Diktiergerät benutzt. "Wo haben Sie das her?", fragte Croft in barschem Ton und entriss ihm die Kassette. Anderson trat näher und betrachtete das Fundstück interessiert. Es war unbeschriftet und auch ansonsten unspektakulär, eine ganz gewöhnliche Kassette eben. Der Inhalt war entscheidend. Der Neuling, der bei der Spurensicherung arbeitete und mit der Kassette in der Hand aus der Tür gekommen war, deutete in die Ecke im Raum, wo der Tote noch immer halb bedeckt lag. "Ich habe sie in der Hosentasche des Mannes gefunden." Unsicher trat er von einem Fuß auf den andern und ließ seinen Blick von Croft über Anderson zur Treppe wandern. "Nun stehen Sie da nicht so rum, tun Sie Ihre Arbeit!" Croft grunzte genervt und drehte dem Finder den Rücken zu, der nun enttäuscht in die Enge des Raumes zurückkehrte. Wahrscheinlich hatte er auf Anerkennung gehofft, auf die er aber, wie Anderson nur allzu gut wusste, bei Croft lange warten konnte. Der Polizeichef lobte schon seine eigenen Mitarbeiter, wenn überhaupt, nur einmal im Schaltjahr. So sehr sie darauf brannte, den Inhalt der Kassette zu erfahren, musste sie noch eine wichtige Frage stellen, die sie in der Aufregung völlig außer Acht gelassen hatte. "Kennen wir schon den Namen des Toten?" Bisher war er für sie nur ein Fall, zu dem sie von dem Nachmittag mit ihrer Mutter abberufen worden war. Ein leeres Gesicht, mehr nicht. Doch der Tote hatte ein Recht, dass man ihn als den Menschen sah, der er gewesen war, vor allem wenn sie mit seinen Familienangehörigen, falls vorhanden, sprechen musste. "Er hieß Charles McBride. Das wissen wir daher, dass sich seine Brieftasche noch in dem Jackett befand, das neben ihm lag. Ein renommierter Strafverteidiger, seine Anwaltskanzlei mitten in der Innenstadt, war daher auch ziemlich gut besucht. Hatte Ehefrau und zwei Söhne. Soweit wir wissen hat er nie einen Fall verloren, sich aber in dem Sinne auch keine Feinde gemacht." Nach einem letzten Blick über die Schulter verließ Anderson das Gebäude, das für die nächste Zeit wohl erst einmal gesperrt sein würde. Leicht fröstelnd durch die Kälte, die sie aus dem Keller mitbrachte, stieg sie in ihr Auto, das Bild des Toten noch immer vor Augen. Doch nun war er kein leeres Gesicht mehr. Nun war es das Gesicht von Charles McBride, das sie vor Augen hatte, der, auf brutalste Art und Weise verstümmelt und ermordet, eine Familie und sicher viele Klienten vollkommen hilflos und untröstlich zurückließ. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)