Kurz(e)geschichtensammlung von KleinerDickerPinguin (II Michelangelo) ================================================================================ Kapitel 1: I Macabre (Dir en grey) ---------------------------------- beta gelesen von: RumikoKumakara (danke ^^ *schmatz*) Macabre Das Leben geht selten Wege, die für einen Menschen nachvollziehbar sind. Es hat die schreckliche Angewohnheit, nicht in geraden Bahnen zu verlaufen... Es zieht Kreise, läuft in Schleifen und neigt dazu, sich zu wiederholen... das es unfair und ungerecht ist, muss ich, denke ich, nicht erwähnen. Doch manchmal gibt es Momente, wo ich an der Grausamkeit des Lebens zweifle und mich frage, ob all meine negativen Gedanken wirklich wahr sind. Plötzlich geschieht etwas, dass alles bisher Dagewesene über den Haufen wirft... und dich zwingt, alles neu zu überdenken. Denn in solchen Moment strotzt das Leben nur vor Schönheit und Freude... Es ist fast schon paradox, das sich alles von einem Moment zum nächsten einfach verändert... und erträglich, schön und unfassbar glücklich wird. Doch leider dauern diese Momente nie allzu lange. Es ist fast, als wolle das Leben einen daran erinnern, das es nicht schön ist, sondern grausam, unfair und voller Schmerz. In wenigen Sekunden, in nicht messbaren Bruchteilen des Lebens wird alles Glück wieder vernichtet und man bleibt allein zurück... allein in einem Labyrinth aus Dunkelheit und einer bodenlosen Verzweiflung. Aber sind es nicht gerade diese kleinen Momente, die das Leben lebenswert machen? Sind es nicht diese Momente des Glücks die uns daran hindern, das ganze Leben zu hassen? Oder sind es gerade eben jene Momente, die unser Leben schlecht machen, weil sie nur so kurz andauern und danach alles doppelt so schlimm zurückschlägt.... Ich weiß es nicht... ich erinnere mich aber an eine Zeit, in der ich glücklich war... lange bevor ich diese Gedanken in Worte fassen konnte. In dieser Zeit entstand mit einem wundervollen Menschen ein wundervolles Lied, das mich immer noch durch mein Leben begleitet... obwohl ich selbst mein Dasein nicht mehr als Leben bezeichne. Es ist nur noch ein reines Existieren - ein Existieren, das nur an dem Versprechen hängt das ich dir gegeben habe, bis jetzt aber noch nicht erfüllen konnte. "Versprich mir, dass du glücklich wirst." Wie ein böses Omen hingen und hängen deine Worte über mir wie ein Damoklesschwert, das darauf wartet zu fallen. Sie hallen in meinem Kopf wieder... weil ich weiß, dass ich dieses Versprechen nicht halten kann. Vielleicht weil ich es mir selber verweigere, dieses Glück das ich dir versprechen sollte. Ich will nicht ohne dich glücklich werden, verstehst du? Ich will und kann es nicht... du warst mein Leben... ich meine, den Moment meiner Existenz, in dem ich glücklich war... in dem jemand mich sah, wie ich bin... nicht wie ich scheine... Wie kam es eigentlich dazu... zu dieser Zeit, in der wir mehr als Freunde waren... wie kam eins zum anderen... Vier Jahre zuvor: Kyo wischte sich den Schweiß von der Stirn und ließ sich erschöpft in einen der vielen Stühle fallen, die in ihrem VIP-Raum standen. "Sie wollen noch eine Zugabe...", stellte Toshiya schmunzelnd fest und gähnte herzhaft. Shinya schüttelte den Kopf und ließ sich ebenfalls nieder... seine Arme taten weh. "Also ich nicht mehr... für heute Abend reicht es." Die nickte und sah genauso fertig aus, wie die anderen sich fühlten. Allein Kaoru war noch munter und zog eine leichte Schnute. "Also eine Zugabe können wir doch noch geben, eine einzige noch... bitte... die Stimmung ist gerade so toll!" Kyo hob den Kopf ein Stück und sah seinen Bandleader aus seinen, mit weißen Kontaktlinsen behafteten Augen an. Sein Blick sagte eindeutig, dass er die Bühne heute garantiert nicht mehr betreten würde. Der Gitarrist gab sich seufzend geschlagen und griff nach einer der vielen Wasserflaschen, nur um festzustellen, das sie leer war. Er verzog das Gesicht und sah sich um. "Haben wir nichts mehr zu trinken?", fragte er und sah die anderen an. Es erhielt nur teilnahmsloses Schulterzucken als Antwort. Er wollte gerade zu einer neuen Frage ansetzen, da hielt ihm jemand eine der blauen Flaschen unter die Nase. Ein wenig Wasser schwappte noch am Boden. "Hier...", brummte Kyos heisere Stimme. "Oh, arigatou!" Dankbar nahm Kao den letzten Rest entgegen und gesellte sich zu den anderen auf die Stühle. "Ich will nicht arrogant sein, aber ich glaube, wir waren heute erste Klasse!", sagte Die, erschöpft zwar, aber freudestrahlend. Totchi stimmte grinsend zu und begann mit ausschweifenden Handbewegungen seine Beobachtungen unter den Fans zu schildern. Die Stimmung lockerte sich wieder, nur Kyo wirkte immer noch abwesend. "Alles in Ordnung?", fragte Shinya den kleinen Vokalist leise. Dieser sah auf und nickte leicht. "Bestens...", murmelte er knapp und stand dann langsam auf. "Ich geh ins Bett... hab keine Lust zu feiern... so wie ich Kaoru kenne, hat er für morgen die nächste Probe angesetzt... wenn ich da singen soll, halte ich jetzt lieber meine Klappe und geh schlafen..." Ohne eine Antwort abzuwarten verließ er den Ruheraum und tappte den spärlich beleuchteten Gang entlang. Wie praktisch, dass man einen Auftritt in einem Hotel hatte, in dem man auch noch nächtigte... Müde und fertig ließ sich das Warumono auf sein Bett fallen und schloss die Augen. Doch der Schlaf kam nicht über ihn, wie so oft nach einem Konzert. Er dachte an die letzten Stunden... Wieder hatte er sich die Seele aus dem Leib gesungen. Wieder hatte er alle Emotionen in jede einzelne Zeile gesteckt. Wieder hatte er seine Verzweiflung in die Welt hinausgeschrieen. Wieder hatte er seine Seitenblicke auf den Menschen gerichtet, der in ihm so großes Chaos hervorrief. Wieder war er alleine gewesen. Wieder hatten sie ihn nicht verstanden... Kyo verzog das Gesicht zu einer schmerzverzerrten Grimasse und drehte sich auf die Seite, krallte seine langen schmalen Finger verzweifelt ins Kissen. Wer erzählt hatte, das Liebe etwas wunderbares war, etwas, dass das Leben lebenswert machte, der war entweder ein Lügner gewesen oder ein Mensch, den das Leben aus undefinierbaren Gründen mochte und es ihm einfach gemacht hatte. Es tat weh... nicht dass der andere vermutlich kein Interesse an ihm hatte, sondern das er all die kleinen Botschaften nicht verstand. Die Wörter die gezielt an ihn gerichtet waren, die Zeilen die seine Gefühle ihm gegenüber ausdrückten... es schmerzte, nicht verstanden zu werden. In dem jungen Mann kam wie so oft das Gefühl auf, stumm zu sein. Er konnte schreien, weinen und um Hilfe rufen, ihn hörte niemand. Er war gefangen in einem goldenen Käfig, aus dem ihm niemand hinaus half, so sehr er auch darum bat. Was nützte es ihm, das sie alle seine Texte so berauschend fanden und sie mitsingen konnten, wenn sie ihn doch nicht verstanden? Und vor allem nicht der Mann, dem sein Begehr galt. Er unterdrückte die heißen aufkommenden Tränen und biss sich auf die Unterlippe, bis er den metallischen Geschmack von Blut auf der Zunge hatte. Was für ein grandioser Abend... das phänomenale Ende eines Aktes im Drama seines Lebens. Mal sehen, wie der nächste anfing... Es sollte noch sehr lange dauern, bis der Schlaf ihn in dieser Nacht rettete. "Wir machen Pause, ok?" Kaoru stellte seine Gitarre in den dafür vorgesehenen Halter und tappte aus dem Probenraum, um eine Runde Kaffee zu spendieren. Toshiya, Die und Kyo zündeten sich Zigaretten an und Shinya sprang sofort auf, um die Fenster aufzureißen. Mit gerümpfter Nase nahm er, mit einigem Abstand zu den anderen, Platz auf dem Sofa. "Wieso müsst ihr in jeder Pause rauchen?", beschwerte sich der Drummer. Die zuckte mit den Schultern. "Kao ist dran schuld! Wenn er nach einem Konzert eine Probe ansetzt... da brauchen wir unser Nikotin um wach zu bleiben!" Toshi nickte zustimmend und grinste. "Er ist doch nicht Schuld an eurer Sucht.", protestierte das Küken der Band und runzelte die Stirn. "Natürlich ist der Schuld! Wenn er uns immer so antreibt...", nuschelte Kyo und blies genüsslich den Rauch gen Zimmerdecke. "Hey!", ertönte die protestierende Stimme des Bandleaders von der Tür. "Ich schmeiß gleich mit einer Tasse nach dir..." Kyo hob den Blick in seine Richtung und eine Augenbraue wanderte nach oben. "Dann zeig ich dich an, wegen Totschlag oder sowas..." Shinya seufzte verzweifelt, während Die und Toshi in haltloses Gekicher ausbrachen. "So lustig war das auch wieder nicht.", schmollte Kaoru und stellte das Tablett mit den Kaffeetassen auf einem niedrigen Tisch ab. "Können wir nicht eigentlich mal frei machen? Ich meine, bis zur Aufnahme des neuen Albums sind noch drei Wochen Zeit und die Auftritte und Pressetermine sind abgearbeitet. Ist dazwischen nicht eine Woche frei drin?", fragte Die und fixierte den lilahaarigen Gitarristen mit einem forschenden Blick. "Keine schlechte Idee.", stimmten Kyo und Toshiya synchron zu und auch Shinya nickte bekräftigend. "Werdet ihr jetzt etwa faul?", fragte der Angesprochene und nahm seine Tasse zwischen beide Hände. "Nein, aber solltest du dem nicht zustimmen, werden wir alle am Burn-Out-Syndrom qualvoll krepieren... und dann wird auf unseren Grabsteinen stehen: Weil unser Bandleader uns keinen Urlaub gegönnt hat... der hartherzige Kaoru ist Schuld am Ende der grandiosen Band Dir en grey!" Kyo meinte seine Worte durchaus ernst, grinst aber leicht. Urlaub wäre jetzt das Paradies auf Erden... eine Woche in denen er nicht gezwungen war, zu lächeln weil es erwartet wurde und eine Woche, in der er Kaoru nicht sehen musste. Ein resigniertes Seufzen brachte ihn in die Realität zurück, und auch wenn er die darauf folgenden Worte des Bandleaders nicht verstand, so konnte er dem lauten Aufschreien von Die und Toto entnehmen, dass ihr Urlaub genehmigt worden war. Sofort stand das Warumono auf und schnappte sich seine Jacke. "Prima, bis dann in einer Woche!" "Moment... warte Mal!", rief Kaoru, doch da fiel die Tür des Proberaums schon geräuschvoll ins Schloss. "Wir proben jetzt aber keine Instrumentalversionen der Lieder, oder? Ohne Kyos Stimme ist das witzlos...", stellte der Bassist der Band fest. "Ja... verschwindet ruhig... in einer Woche um neun wieder hier...", brummte Kao und lehnte sich nach hinten. Keine fünf Minuten später war der Mann alleine in dem kleinen Raum und zündete sich mit geschlossenen Augen eine Zigarette an. Er machte sich Sorgen um seinen kleinen Sänger. Sicherlich war Kyo nie besonders offen oder übertrieben gut drauf gewesen (sah man mal von gelegentlichen Alkoholecksessen ab, bei denen er immer hyperaktiv wurde), doch in letzter Zeit war die Mauer um ihn herum höher geworden und stärker. Gestern auf dem Konzert hatte sich der Gitarrist des öfteren beobachtet gefühlt, doch nicht viel darum gegeben. Er war davon ausgegangen, das er falsch spielen würde und das den jungen Mann dazu veranlasst hatte, ihn immer anzusehen. Kaoru hörte gar nicht, das die Tür wieder aufging und Shinya noch einmal zurückkam, weil er seine Autoschlüssel auf dem Fensterbrett vergessen hatte. "..oru... Kaoru?" Der Angesprochene zuckte zusammen und sah direkt in Shinyas braune Augen, als er den Kopf hob. "Was machst du denn noch hier?", fragte er verwirrt. Der blonde Drummer wedelte mit seinen Autoschlüsseln und ließ sich vor seinem Leader-sama auf einem Stuhl nieder. "Stimmt etwas nicht? Du wirkst traurig." Kao schüttelte mit dem Kopf. "Nein, eigentlich nicht. Ich habe mir Gedanken wegen Kyo gemacht. Er wirkt in letzter Zeit verändert... irgendwie komisch..." Shin legte den Kopf schief. "Frag ihn doch einfach... Das bringt auf jeden Fall mehr, als sinnloses Grübeln. Das bringt dich im Fall Kyo nicht weiter." Mit diesen Worten erhob sich der zierliche Drummer wieder, wünschte ein paar ruhige freie Tage und war wieder verschwunden. Kaoru sah ihm nach und griff nach der Zigarettenschachtel. Wäre es wirklich clever, zu dem Wirbelwind nach Hause zu fahren, in sein Refugium? Dort war er dem Sänger näher als sonst... und als dass das letzte Mal der Fall gewesen war, hatte er nur Stuss von sich gegeben und keinen klaren Gedanken mehr zustande gebracht. Eigentlich hatte er wenig Lust, sich noch einmal so zu blamieren, aber andererseits machte er sich wirklich Sorgen um den jungen Mann... Seufzend drückte er seine Zigarette aus und verließ den Bandraum. Er hatte die Vorhänge zugelassen, keine Lust nach Sonnenlicht verspürt. Er lag mit dem Rücken auf seinem zerwühlten Bett und starrte seine Zimmerdecke an. Neben ihm lag ein halbfertiger Liedtext, den weiter zu schreiben er genauso wenig Lust verspürte, wie nach Sonnenlicht. Melancholie und seltsame Leere hielten ihn in fester Umarmung und Kyo dachte in diesem Moment nicht einmal an eine Zigarette. Hatte Kaoru nicht letztens etwas von einer Freundin erzählt? Von einer hübschen Brünette mit langen Beinen und einem überwältigenden Lächeln. Hoffentlich wurden sie glücklich miteinander... oder krepierten... ihm war beides egal, zumindest redete er sich das ein. Es war einfacher so... wenn es ihm egal war, konnte er sich besser auf andere Dinge konzentrieren. Irgendwas, nur nicht Kaoru. Es klingelte, doch Kyo verspürte nicht den Drang, aufzustehen. Stumm blieb er liegen und blickte mit leerem Blick durchs Zimmer. Das Klingeln brach nicht ab. "Verschwinde...", flüsterte er rau und drehte sich auf die Seite. Da war aber jemand hartnäckig... "Ach verdammt." Kyo erhob sich und torkelte auf den Flur. Dann öffnete er die Tür und hätte sie am liebsten gleich wieder zugemacht. Was zur Hölle wollte er hier? "Kann ich reinkommen?", fragte Kaoru uns sah den Kleineren lächelnd an. In diesem schrie alles danach, die Tür wieder zuzuschlagen, doch er trat einen Schritt zur Seite und ließ seinen Leader in die Wohnung. "Was kann ich für dich tun?", fragte Kyo leise und führte Kao in die Küche. "Oh... ähm... ach so. Ich wollte mich nach dir erkundigen." Das Warumono hob eine Augenbraue und setzte Teewasser auf. Eigentlich wollte er doch Kaoru so schnell wie möglich wieder aus der Wohnung haben... wieso verdammt setzte er dann Teewasser auf??? "Wieso das?", stellte er die Frage und drehte dem Älteren den Rücken zu um nach sauberen Tassen zu suchen. "Weil ich mir Sorgen um dich mache. Du wirkst... na ja, anders als sonst. Wirst du krank?" Kaum merklich zuckte der Vokalist zusammen und starrte auf die Tassen in seiner Hand. Sah man ihm schon an, dass es ihm nicht gut ging? Wie zur Bestätigung sagte sein Gast: "Du bist blass und hast Augenringe. Außerdem wirkst du immer, als wärst du weit weg mit deinen Gedanken..." "Es ist alles ok mit mir. Ich bin nur ein wenig müde, vielleicht überarbeitet.", nuschelte Kyo monoton und griff nach der Teebüchse. Einen Moment herrschte Stille, dann hörte er, wie Kao aufstand und zu ihm kam. "Du bist ein schlechter Lügner." Fast hätte das Warumono den losen Tee quer über die Arbeitsfläche gekippt. Verdammt, wo war seine Selbstbeherrschung? Wieso hatte er sich nicht unter Kontrolle, konnte kühl und abweisend wie immer sein? Wieso mussten ausgerechnet seine Worte sowas in ihm auslösen... wieso konnte er das Zittern seiner Hände nicht unterdrücken? Wieso kamen gerade jetzt all die schlechten Gedanken der letzten Tage in ihm hoch? "Na und? Dann lüge ich halt... ist auch egal..." Er goss, so teilnahmslos wie möglich, Wasser über die Teeblätter und bemühte sich, die hinter ihm stehende Gestalt zu ignorieren. "Kyo, was ist los mit dir?" Kaorus Stimme wurde drängender und die Sorge darin größer. Wütend fuhr der Kleinere herum, unfähig seine Emotionen unter Kontrolle zu halten. "Kaoru, was willst du eigentlich von mir? Das ich dir mein ganzes Gefühlsleben offenbare? Vergiss es!" Geschockt musste er feststellen, das sein Leader-sama verletzt wirkte... zu verletzt... Was zur Hölle ging im Moment eigentlich ab? "Ich mache mir Sorgen...", wiederholte der Bandleader und Gitarrist, aber diesmal leiser als vorher. "Ich weiß das mit dir etwas nicht stimmt und ich gehe nicht, ehe du es mir gesagt hast." Kyo schnaubte und wandte sich ab. "Dann richte dir schon mal ein Bett ein..." Eisige Stille senkte sich über die beiden, bis Kao schließlich meinte: "Es hilft dir nicht, wenn du es totschweigst." Der junge Mann lachte hohl und zuckte mit den Schultern. "Es wird aber auch nicht besser, wenn ich etwas erzähle. Denn erstens würde es alles vermutlich noch schlimmer machen und zweitens interessiert es keinen. Denkst du wirklich, jemand macht sich Gedanken über meine Befindlichkeit? Ich bitte dich... ich stecke alles in meine Lieder, in jedes Wort packe ich einen Teil meiner Seele und trotzdem merkt es niemand. Ich rede doch, Kaoru, ich schreie es in die Welt hinaus nur im festzustellen, das niemand es merkt... ich bin stumm, egal wie laut ich schreie und um Hilfe rufe. Du siehst also, es ist egal! Egal!" Kyo war aufgewühlt und wusste nicht, warum er gerade ihm das alles erzählte... er fühlte sich, als würde in ihm etwas überlaufen und er konnte den Fluss von dem, was ihn verließ nicht aufhalten, egal wie sehr er sich anstrengte. Es musste einfach raus. Betroffen starrte der andere sein Gegenüber an und fühlte den Impuls, den Jüngeren in die Arme nehmen zu wollen. Doch er widerstand, vorerst. "Nicht jeder ist in der Lage deine Verzweiflung zu sehen... du wirkst immer, als wäre alles in Ordnung, da kommt niemand auf die Idee, das etwas nicht stimmen könnte...", sagte Kao murmelnd und sah zu Boden. Er fühlte sich schuldig, weil er es nicht bemerkt hatte. "Da sieht man aber, dass die Menschen mich nicht kennen... oder sieht man Menschen die Verzweiflung nicht an? Und ja, vielleicht will ich gerettet werden... und ja, vielleicht will ich es nicht offen zeigen, aus welchen Gründen auch immer... und ja, ich will lieber stumm leiden als dir die Last aufzubürden und zu sagen, dass du im Moment der Grund für meine schlechte Laune bist!" Wieder kehrte Stille ein. "Das tut mir leid...", flüsterte der Lilahaarige stockend und schloss die Augen. Damit hatte er gar nicht gerechnet... "Was... sag mir was ich falsch gemacht habe... bitte..." "Das kann ich nicht...", kam die Antwort fast sofort. "Und jetzt geh bitte... bitte... Kao..." Doch der dachte nicht daran den Worten des Kleineren folge zu leisten und blieb wo er war. "Kyo... bitte, wie soll ich es wieder gut machen, wenn du mir nicht sagst, was ich getan habe..." Der Gemeinte unterbrach ihn. "Hör zu... es liegt nicht direkt an dir... es ist meine Unfähigkeit mit gewissen Dingen klar zu kommen, ok? Also mach dir keinen Kopf..." "Tue ich aber... sag es doch einfach... Kyo... bitte..." Kyo schloss die Augen und lehnte sich gegen die Wand. Plötzlich brachen alle Emotionen über ihn herein, wie eine Welle über einen Ertrinkenden und ungewollt liefen ihm Tränen über die Wangen. "Verschwinde... bitte... ich will so nicht gesehen werden... geh..." Kaoru, dem das ganze langsam nicht mehr geheuer war und der vor Sorge nicht wusste was er tun sollte, packte den Sänger etwas grob am Oberarm und schüttelte ihn leicht. "Verdammt, sag mir was los ist!" "Lass mich und geh..." "Kyo...bitte..." "Geh!" "Kyo!" "VERDAMMT NOCH MAL ICH BIN IN DICH VERLIEBT UND JETZT VERSCHWINDE!!!" Fassungslos starrte der Bandleader von Dir en grey den kleinen Vocal an und begriff dessen Worte nicht. Er ließ von ihm ab und ging einen Schritt zurück, den Blick nicht von der zierlichen Gestalt an der Wand lassend. Die rutschte jetzt hinunter, zog die Knie an und fing hemmungslos an zu schluchzen. Das war so untypisch für Kyo... das passte nicht zu dem wirbelnden Sänger der Band... soviel Verzweiflung in diesem kleinen Körper... Das war zuviel... und dann diese Worte.... Kao stolperte auf den Flur und griff nach der Haustürklinke. Was hatte er erwartet? Warum hatte er es überhaupt gesagt? Es wurde schwierig Luft zu bekommen, die Tränen und sein Schluchzen wollten nicht versiegen und immer wieder brach die Verzweiflung über ihn herein. Ihm wurde schlecht und er wollte sich übergeben und am liebsten sterben, aber beides würde nicht eintreten... die Verzweiflung würde ihn am Leben lassen und in seinem leeren Magen war nichts, was er erbrechen konnte. Leer... es war alles leer... Und Kao war einfach gegangen, hinausgestürmt, fast wie eine Flucht... vor ihm... Aber plötzlich waren da zwei warme Arme die sich um seinen kalten Körper schlangen, feine Haare die seine Schulter kitzelten und zusammenhangslose Worte die in sein taubes Ohr drangen. Er versteifte sich, wollte sich dieser Illusion nicht hingeben, doch der Geruch des anderen verriet, dass das hier kein Traum war... keine Illusion... Er war nicht gegangen... nicht... er hatte ihn nicht alleine gelassen... Das Eis brach und Kyo klammerte sich verzweifelt an Kaoru, krallte seine Finger in dessen Shirt und ließ Tränen und Verzweiflung freien Lauf. Es schien, als würde alles was sich in den letzten Jahren angesammelt hatte, aus ihm herausbrechen und aus ihm herausfließen... Der lilahaarige fand keine Worte um seinen kleinen Sänger zu trösten, er konnte ihn nur festhalten. Kyo hatte keinen Schimmer von dem, was geschehen war, als er aufwachte. Er lag in seinem Bett... und seine Augen brannten, als würde sie jemand in glühendes Feuer tauchen. Er erinnerte sich daran, dass er geweint hatte... sehr lange sogar. Er setzte sich auf und schob die Decke ein Stück von seinem Oberkörper - Wer hatte ihn ausgezogen? Er ließ seinen Blick durch das dunkle Zimmer schweifen... und mit einer seltsamen Ruhe stellte er fest, das Kaoru neben ihm auf dem Bett lag, komplett angezogen und tief schlafend. Aha, er hatte ihn also hergebracht und ausgezogen... Kyo drehte seinen Kopf, ließ seinen Blick noch mal schweifen und schloss dann die Augen. Eine Bewegung neben ihm ließ ihn jedoch schnell wieder aufblicken. Kaoru sah ihn verschlafen, aber besorgt an. "Alles ok?" "Ich glaube ja...", sagte das Warumono und vermied einen direkten Blickkontakt mit dem Älteren. "Und danke...", setzte er leise hinterher. "Wofür?" Kao setzte sich langsam auf und ließ den Sänger nicht aus den Augen. "Für alles... ich meine... na ja... du hast mich hergebracht...", er brach ab und kam sich unheimlich dumm vor. Und er fühlte sich leer... er hatte es Kao gesagt und noch keine Reaktion erhalten... außer seiner Flucht die ja eigentlich keine gewesen war... Die Tränen stiegen ihm wieder in die Augen und er konnte nichts dagegen machen. Es hatte keinen Sinn sich dagegen zu wehren, sie würden einfach aus seinen Augen rinnen... wie Regenwasser aus dem Himmel, das unaufhaltsam kleine Bäche zu reißenden Flüssen machte. Und wieder nahm Kaoru ihn in die Arme, wischte mit einem Daumen die Tränen weg und lächelte. "Warum weinst du?" Kyo schüttelte den Kopf. "Weil ich... ich hab dir gesagt... und..." Er wusste nicht was er sagen sollte, doch Kao nahm ihm diese Qual ab, indem er die Lippen des Jüngeren mit seinen eigenen versiegelte. Als er das nächste Mal aufwachte, lag er auf einer sich hebenden und senkenden Brust und es roch verdächtig nach Nikotin und Kaoru. Kyo kuschelte sich näher an den warmen Körper und versuchte Revue passieren zu lassen, was geschehen war, bevor er wieder eingeschlafen war. Sie hatten sich geküsst... zögerlich am Anfang, weil er Angst gehabt hatte in einem Traum zu leben, doch als er die zärtlichen Worte: "Du bist der beschützenswerteste Mensch dem ich je begegnet bin... Kyo... ich... anou... ich liebe dich..." in seinem Ohr gehört hatte und diese keinen Zweifel an der Wahrheit ließen, hatte er sich dem Älteren vollkommen hingegeben. Sein ganzes Leben hatte sich in wenigen Minuten komplett verändert, es war kaum etwas von seiner vorangegangen Melancholie zu spüren. Er war verwirrt über diese Wendung und hatte Schwierigkeiten, sich das alles zu erklären. Brauchte es normalerweise nicht Zeit, ehe man sich besser fühlte wenn es einem vorher schlecht gegangen war? Es war alles so surreal... und er fühlte sich gut. Durfte das so sein? Durfte sich das Leben so schnell zum Guten wandeln? Er runzelte die Stirn und fühlte sich absurderweise einen Moment wie in einem Märchen, da ging es auch immer so schnell. Ja... vielleicht war das Leben ja ein Märchen. Kaorus Worte hatten im ersten Moment so... unwirklich geklungen, wie in einem dieser kitschigen Romantikfilme, in denen einer der beiden Protagonisten am Ende starb. Aber was sollte er jetzt tun? Das ganze Geschehen einfach als gegeben hinnehmen? Sich dem Glück hingeben solange es anhielt und am besten nicht weiter darüber nachdenken? "Guten Morgen...", nuschelte plötzlich eine ihm wohlbekannte Stimme an seinem Ohr und Kyo blickte auf. Ein Lächeln stahl sich auf seine nachdenklichen Gesichtszüge, als er das doch sehr verschlafene Gesicht seines Bandleaders sah. "Du siehst zerknittert aus.", stellte der Kleinere fest und setzte sich auf. Kao brummte etwas Unverständliches und wischte sich mit beiden Händen übers Gesicht, dann zog er Kyo zu sich herunter und gab ihm einen federleichten Kuss auf die Lippen. "Du siehst nicht besser aus.", murmelte er dann und schien nicht daran zu denken, den anderen wieder loszulassen. Minutenlang lagen sie schweigend in den Armen des jeweils anderen und Kyo ließ sich leise schnurrend den Kopf kraulen. Erst Kaorus lautes Magenknurren riss die Vorhänge dieser romantischen Situation ein, gefolgt von Kyos erstem ehrlichen Lachen seit Monaten. "Komm, ich mach uns etwas zu essen..." Doch der Ältere ließ ihn nicht aufstehen. "Anou, vielleicht hab ich ja auf etwas anderes Hunger?!" Verdutzt starrte Kyo ihn an, begriff dann seine Worte und wurde leicht rot. Er entwand sich Kaos Griff und kletterte aus dem Bett. "Das kannst du später haben...", nuschelte er verlegen und zog sich sein T-Shirt über. Der andere setzte einen Schmollmund auf setzte sich ebenfalls auf. "Und wenn ich jetzt haben mag?" Kyo zuckte mit den Schultern und ging zur Schlafzimmertür. "Dann muss das kleine Kind sich halt in Geduld üben!" Damit hatte er den Raum verlassen. Kao sah ihm nach und lächelte. Sein Koi war wie ausgewechselt, als wäre alles Schlechte aus ihm verschwunden. Er schien glücklich... und das war wichtig. Es dauerte eine Weile bis sich auch der Bandleader aus dem Bett bequemte, nach seinem Shirt kramte und sich auf den Weg in die Küche machte. "Hm... was machst du da feines?", fragte der Ältere und schnüffelte leicht. Es roch gut. Kyo drehte sich um und grinste schief. "Mochi... das ist eine der wenigen Dinge, die zu kochen ich in der Lage bin. Aber ich wollte dir keine Instant-Suppe andrehen, zumal ich nicht weiß, ob man die noch essen kann..." Kao hob eine Augenbraue. "Du solltest dich gesünder ernähren, sonst stirbst du noch dran!" Kyo verleierte die Augen und wandte sich wieder dem Essen zu. "Du klingst wie Shinya...", beschwerte er sich halblaut und schüttelte den Kopf. "Nachher fängst du noch damit an, dass ich aufhören soll zu rauchen und zu trinken." "Na um Himmels willen, soweit kommt's noch. Man sollte den Menschen schon seine Laster lassen... außerdem darf Shinya in Sachen Alkohol den Mund gar nicht erst aufmachen. Er ist doch der, der am meisten trinkt. Appropro Zigaretten..." Der Bandleader sah sich um, entdeckte seine Schachtel auf dem Küchentisch und griff danach. Während er genüsslich den Rauch inhalierte, beobachtete er seinen Kleinen, wie dieser in der Küche herumwerkelte und nebenbei noch versuchte abzuwaschen. Dieser zierliche Körper schrie danach beschützt und behütet zu werden. Und Kaoru würde sein Bestes geben, um dem nachzukommen. Er schlich sich von hinten an, griff mit seinen Armen und die schmale Taille des Kleineren und zog ihn zu sich. Kyo quietschte erschrocken auf und Kao nutzte den Moment, um ihm die Zigarette zwischen die Lippen zu stecken. "Arigatou...", nuschelte das Warumono leise und lehnte sich gegen den anderen. So standen sie da und genossen die Nähe des jeweils anderen. Kyo fühlte sich das erste Mal geborgen und spürte eine innere Ruhe, die er von sich nicht kannte... und er genoss sie. "Komm... sonst wird das Essen kalt..." Der Nachtisch hatte dann aus etwas anderem bestanden... wie Kyo es Kaoru versprochen hatte. Letzter lag eingerollt und wieder schlafend neben ihm unter der Decke und war unnatürlich stark zerzaust. Kyo lag daneben auf dem Bauch, einen Block und einen Stift zur Hand und schrieb seine Textidee nieder. Noch hatte das Lied keinen Namen, aber ihnen würde schon einer einfallen. Aber darüber konnten sich ja auch die anderen Gedanken machen, er sah gar nicht ein, alles alleine zu machen. "Was schreibst du da...", nuschelte plötzlich eine verschlafene Stimme neben ihm und Kyo hielt kurz inne und sah zu Seite. "Einen Liedtext..." "Darf ich ihn sehen?" "Wenn er fertig ist...", damit wandte sich der Vokalist wieder seinem Blatt zu und schrieb eifrig weiter. Kao kam wieder seiner Lieblingsbeschäftigung nach und beobachtete den Jüngeren in seinem Schaffen. Er wirkte beim schreiben nicht einmal angestrengt, die Worte flossen nur so aus seiner Hand und kannten kein halten. Es war faszinierend, einen Menschen dabei zuzusehen, seine Gedanken in lyrische Ferse zu bringen und dabei keine Schwierigkeiten zu haben. Andere brauchten Monate um einen vernünftigen und spielbaren Song auf die Reihe zu bringen, und Kyo benötigte nur wenige Stunden. So etwas nannte man wohl Naturtalent. Sie genossen die stillen Minuten in denen die Sonnenstrahlen aufs Bett fielen und sie beide wärmten (wobei das nicht nötig gewesen wäre, denn die Hitze wallte immer noch in beiden Körpern). Es war ein schöner Tag und einzig und allein die Sonne zeigte Kyo an, das sie Tag hatten... ansonsten war sein Zeitgefühl komplett durcheinander geraten und so wusste er nicht einmal, welchen Tag sie hatten. Aber es stand für den Vocal außer Frage, dass sie ihre freien Tage gemeinsam verbrachten... der Stress in den Tagen die auf ihre Ferien folgte, wollte er sich jetzt noch gar nicht ausmalen. Aber vielleicht würde ja alles anders sein... vielleicht gäbe es keinen Stress bei den nächsten Aufnahmen und Proben... weil er glücklich war... Versonnen blickte Kyo auf sein Blatt und bemerkte gar nicht, dass er seit geraumer Zeit merkwürdige Kringel zwischen den einzelnen Kanji hinterließ. "Wo bist du mit deinen Gedanken?", fragte Kao leise und strich mit seinen Fingerspitzen über Kyos nackten Rücken. Ein wohliger Schauer kroch durch den Körper des kleineren und ein leises Schnurren entwich seiner Kehle "Nirgendwo und überall... ich denke an nichts bestimmtes...", flüsterte er und schloss die Augen. "Verbringen wir die Tage gemeinsam?", fragte Kao und erhielt fast sofort ein eifriges Nicken und ein breites, wohlwollendes Lächeln. "Du bist so süß wenn du lächelst.", stellte der Gitarrist fest und küsste seinen Koi zwischen die Schulterblätter. Dieser bekam fast auf der Stelle eine Gänsehaut und drehte den Kopf soweit in Kaos Richtung, wie es ihm in seiner Lage möglich war. "Ich bin nicht süß.", stellte er richtig. Er zog eine Schnute als Kaorus Augen belustigt funkelten und er auch ein breites Grinsen nicht unterdrücken konnte. "Das lass mal meine Sorge sein, mein Kleiner und jetzt zeig mir mal deinen Text..." Er zog das Blatt zwischen Kyos Händen hervor und begann zu lesen. Kyo setzte sich auf und legte sein Kinn auf Kaos Schultern um leise mitzulesen und seinem Leader zu zeigen, wie er sich das ganze vorstellte. "Hane wo hirogete tobitai kimi wa ageha no yume miru hebi kawa niai sou da ne haku yume garagara no ame ni utare miugoki ga dekinakuta ne esa ni naru no wo matsu dake sa guchi ga aku sanagi kara hane wo hiroge ima ni mo tobitachi sou de kawaisa amatta kimi wa mou otona ne hana ni koi wo shita kimi wa mitsu wo susuri susutte wa boku ni kizukazu sono mama de kiba muku ai sakimidare esukarugo to foa gura no kimi wa itoshii sanagi no kimi ga usuyogoreta hane misete boku wo furifuri futta ne i no naka barari gurari bara bara no kimi hane wa mogete hebi no kawa ga niau you na? mawari mawaru mawatta kotae kurikaeshite kurikaesarete yuku inochi wo magari magaru magatta kimi wa toke tadarete hitotsu ni nari mazari aou ka kitto ningyo no you ni ieki no puuru oyogu kitto ageha no you ni sanagi wa hane wa yasu anata nara yuruseru wa ne zankokuna ikimono demo ashi wo jimen ni wasureta wa nokosanai de ne" Kaoru hob eine Augenbraue und schielte seinen Koi an. "Bei dem Text bin auf die Interpretationen der Fans und der anderen gespannt...", sagte er ehrlich und lächelte. "Gefällt er dir nicht?", fragte Kyo und schielte auf seine geschriebenen Zeilen. "Doch, sehr sogar..." Er hauchte dem Jüngeren einen Kuss auf die Nase. "Ich hab auch schon eine Idee wie wir ihn vertonen können... hast du Notenpapier?" Mühsam befreite sich Kyo aus dem Gewühl von Decken und Lacken, zog eine Schublade seines Schrankes auf und kramte darin herum, bis er schließlich triumphierend einen Bogen Notenpapier hervorzog. "Bitte..." Sofort machte sich der Bandleader daran, kleine schwarze Punkte auf den Linien zu verteilen, machte hier aus einer Achtel eine Sechzehntel und punktierte hier eine Note und nahm woanders etwas weg. Jetzt war es an Kyo, fasziniert zuzusehen, wie jemand in wenigen Minuten eine Melodie zusammenschrieb. Dies waren wohl die kleinen Wunder des Lebens, die immer dann aufblühten, wenn man schon glücklich war. Oder vielleicht sah man sie auch nur dann... Am Ende des Tages hatten sie ein fertiges Lied, jedoch immer noch keinen Titel. Aber Kao stimmte zu, dass sich darum ja die anderen Bandmember kümmern konnten. Die freien Tage vergingen wie im Flug, und das scheint immer so zu sein. Wenn man glücklich ist, zieht die Zeit an einem vorbei und ehe man es sich versieht, vergeht eine ganze Woche und man fragt sich, warum ausgerechnet in diesem Moment die Zeit nicht einfach stillstehen oder zäh dahin fließen kann. Ausgeruht, ausgeschlafen und vor allem glücklich betraten Kaoru und Kyo den Proberaum und fanden Die noch im Halbschlaf vor. "Solltest du dich nicht eine Woche ausruhen?", fragte Kaoru und stemmte, gespielt vorwurfsvoll, die Hände in die Hüfte. Der Rothaarige nickte leicht und sah seinen Leader von unten an. "Ich weiß... aber ich war gestern Abend noch feiern... und es wurde spät..." Kyo grinste breit. "Wer feiern will wie ein Erwachsener, der muss auch die Konsequenzen tragen können wie ein Erwachsener!", meinte er altklug und ließ sich auf die Couch fallen. Die brummte etwas Unverständliches und sagte dann: "Kann ja nicht jeder seine Tage ruhig und abgeschottet von allem verbringen, oder?" Kyos Grinsen wurde breiter und anzüglicher, Kao sah pfeifend aus einem Fenster. "Also abgeschottet und ruhig war es nicht... oder?" Kaos Pfeifen wurde lauter. Irritiert hob BigRed eine Augenbraue. "Wie jetzt..." "Ach nichts..." In diesem Moment betraten Shinya und Toshi den Proberaum und zumindest letzterer schmetterte ein fröhliches "Guten Morgen!" in den Raum. "Meine Rettung!", rief Die und sprang auf. Shinya sah ihn verwirrt an. "Wieso Rettung? Ich würde Toshiya ja nicht unbedingt als Rettung bezeichnen..." Dieser knuffte dem Küken in die Seite und sah dann neugierig zu Kyo und Kao, die inzwischen zusammen auf dem kleinen Sofa saßen und kuschelten. "Hab ich was verpasst?" "Wir alle... aber sie machen mir Angst!", jammerte Die weinerlich und deutete mit dem Finger auf die beiden. "Ich glaub, sie haben was Unanständiges gemacht..." Toshi riss die Augen auf, hockte sich vor die beiden und sah sie mit glänzenden Augen an. "Ich will alle schmutzigen Details hören!" Die beiden lachten leise und Kyo kuschelte sich dichter an seinen Freund. "Und schon allein weil es schön ist dich betteln zu sehen, werden wir dir nichts erzählen." "Ach menno...", beschwerte sich der Bassist und sah zu Shinya. "Sag doch auch mal was!" Der Angesprochene zuckte nur mit den Schultern und meinte trocken: "Ich will gar nicht wissen, was die zwei gemacht haben. Ich bin nur froh, das sie endlich zueinander gefunden haben und damit dieses ewige hin und her aufhört..." Das frisch gebackene Pärchen sah den Drummer stirnrunzelnd an. "Wie bitte?" Der zierliche junge Mann seufzte und hob die Schultern. "Also ich finde, man hat euch beiden angesehen, das ihr ineinander verliebt seid... jeder auf seine Weise, aber man sah es..." "Kommt so ein guter Blick vom Nichtrauchen und der gesunden Ernährung?", fragte Die fast ehrfürchtig. Shin grinste leicht. "Natürlich..." "An dieser Stelle: Stopp! Bevor Shin uns weiter zu angeblich gesundem Essen und dem Verzicht auf Zigaretten zu bekehren versucht, eröffne ich lieber unsere Probe. Sonst gehen wir hier alle als gesunde Menschen wieder raus..." Ein Lachen ging durch die Runde und wie der Leader-sama es ,befohlen' hatte, schnappten sie sich ihre Instrumente (bzw. das Mikro) und machten sich daran, das neue Lied einzustudieren. Die Probe verlief so gut wie selten und vor allem Kyo war gut drauf. Er sprühte nur so vor Energie und steckte damit alle anderen an. Am Ende des Tages waren zwar alle erschöpft, aber gut gelaunt. Sie hatten heute eine ganze Menge geschafft, dass die anderen drei von Kyos und Kaos neuem Lied begeistert waren, muss an dieser Stelle nicht extra erwähnt werden. "Wollen wir noch einen Trinken gehen?", fragte Toshiya als sie gemeinsam den Proberaum verlassen hatten. "Von mir aus, gerne.", sagte Shin und grinste leicht. "Jaja, dass das von unserem Schluckspecht kommt, war klar..." Bei dem Wort Schluckspecht wäre Kyo fast an seinem Kaugummi erstickt. Aller Augen richtete sich auf den Kleinsten, welcher hastig den Blick zu Boden suchte. "Verdammt, Kao! Was hast du mit ihm gemacht?", fragte Die und sah seinen Bandleader fast ein wenig vorwurfsvoll an. "Hatte ich nicht schon mal gesagt, dass ich das nicht hören will?", knurrte Shinya und puffte dem Gitarristen in die Seite. "Wo wollen wir denn hingehen?", unterbrach Toshi das Gezänk und schob sich zwischen die beiden. "Ins ,Last Orders'.", legte Kyo (der sich inzwischen wieder eingekriegt hatte) fest und stieg zu Kao ins Auto. Die anderen stimmten zu und stiegen in ihre eigenen Autos. "Das wird bestimmt ein schöner Abend.", prophezeite Kao grinsend, schnallte sich an und ließ das Auto an. Kyo nickte und lehnte sich zufrieden im Sitz zurück. Das Lokal in das sie wollten, war relativ klein und lag am Rande der Großstadt, sie mussten also eine ganze Weile fahren. Unterwegs führten sie ein angeregtes Gespräch über das nächste Album und die darauf folgende Tour durch Japan. Kyo war schon ganz hibbelig, wenn er daran dachte, dass seine Worte endlich jemanden erreichten. Zwar wahrscheinlich nur einen von tausenden, aber manche dieser Worte waren auch nur für diesen einen Menschen gedacht. Abgelenkt von ihrem Gespräch behielt Kaoru die Straße nur mäßig im Blickfeld. Wieso auch, sie war weitestgehend leer und was kümmerte ihn die andere Straßenseite. Nicht weit vom ,Last Orders' entfernt, geschah das Unglück dann. Kyo sah als erster die beiden Lichter die direkt auf sie zukamen und rief nach Kao, der wie in Zeitlupe nach vorne schaute, direkt in die Scheinwerfer des Geisterfahrers. Egal wie schnell er das Lenkrad herumriss, egal wie stark er auf die Bremse drückte und versuchte auszuweichen... Das Leben würde sie beide für das Glück bestrafen, das sie so kurze Zeit miteinander hatten. Das Licht wurde zu grell, der Lärm um ihn herum zu laut und die Schmerzen zerrissen seinen Geist. Erst nachdem er all dies in einem atemberaubenden Crescendo über ihn hereingebrochen war, umfing ihn die wohltuende Dunkelheit der Ohnmacht. Piep. Piep. Piep. Kyo schloss die Augen und legte seine Stirn auf Kaorus Hand. Es stank nach Sauberkeit und selbst auf der abgedunkelten Intensivstation stach das weiß noch in seine von Tränen brennenden Augen. Piep. Piep. Piep. Wie lange saß er schon hier und ignorierte die Ärzte, die ihn auf sein eigenes Krankenzimmer zurückschicken wollten? Bestimmt mehrere Tage... mehrere Tage in denen Kao keinen Ton von sich gegeben hatte. Piep. Piep. Piep. Mit leerem Blick sah der kleine Sänger wieder auf und richtete seine Augen auf das Gerät neben dem Bett seines Freundes. Der Ausschlag der kleinen grünen Kurve war nicht sonderlich groß... regelmäßig zwar, aber zu klein. Piep. Piep. Piep. Diese ganzen Schläuche die an dem Bandleader hingen und ihm am Leben hielten... all diese Dinge die er garantiert niemals gewollte hätte. Er hörte wie die Tür aufging und einer der Ärzte zu ihm trat. "Sie müssen den Raum jetzt für ein paar Minuten verlassen. Holen Sie sich einen Kaffee und kommen Sie dann wieder, dann sind wir mit unserer Untersuchung auch fertig." Widerwillig sah Kyo auf und starrte diesen impertinenten Mann an, dann erhob er sich und schlurfte müde aus dem Raum. Vor der Tür wurde er von den anderen Bandmitgliedern in den Arm genommen. Sie durften nicht auf die Intensivstation und so musste Kyo berichten, wie es um ihr Leader-sama stand. "Nichts Neues, oder?", fragte Die leise und führte Kyo auf einen der harten Plastikstühle. Der Vocal schüttelte den Kopf und hielt den Blick gesenkt. "Wie geht es dir eigentlich?", erkundigte sich Shin behutsam. Kyo zuckte mit den Schultern. "Es geht..." Sein linker Arm war gebrochen, genau wie mehrere Rippen. Dazu kamen diverse Prellungen, eine Gehirnerschütterung und zwei angebrochene Finger. Doch wie durch ein Wunder war nichts lebensbedrohliches dabei... anders sah es bei Kaoru aus. Kyo hatte längst vergessen, was alles zerstört, unbrauchbar und gebrochen war... Er wollte es auch gar nicht wissen... er wollte nicht darüber nachdenken... Die Tür ging plötzlich wieder auf und eine Schwester trat zu den jungen Männern. "Er ist wach... aber...", sie schien noch in der Ausbildung zu sein, denn man sah ihr an, dass sie die Wahrheit nicht über die Lippen brachte. Augenblicklich war Kyo wieder auf den Beinen und fühlte sich plötzlich furchtbar egoistisch. Er sah die anderen an. "Geh schon... ist nicht so schlimm...", murmelte Shinya und schickte ihn lächelnd zur Tür. Zitternd trat Kyo neben das Bett und sah Kao an, der ihn mit seinen Blicken verfolgte. "Na Schlafmütze...", flüsterte der Sänger heiser und ließ sich neben dem Bett nieder - einerseits um seinem Koi näher zu sein und andererseits weil ihn seine Beine nicht mehr tragen wollten. "Wie geht es dir?", fragte Kaoru leise und nahm die zitternde Hand des Kleineren. "Besser als dir..." Wieder liefen Tränen über sein Gesicht und er beugte sich vor und küsste Kao sacht. "Ich will dir noch soviel sagen...", begann der Gitarrist, wurde jedoch schnell unterbrochen. "Das kannst du auch, wenn du wieder zu Hause bist... aber jetzt solltest du dich schonen und schlafen..." Das Zittern in seiner Stimme war jetzt so stark, das er fast stotterte. Ein kaum wahrnehmbares Lächeln zeigte sich auf dem Gesicht des Leaders und er schüttelte den Kopf. "Du weißt genauso gut wie ich, dass ich nicht nach Hause kommen werde... klammer dich nicht an eine Lüge... Kyo..." Der Vocal begann leise zu schluchzen und klammerte sich an die Hand des Menschen, der verstanden hatte, wie er wirklich war... "Hör auf solchen Mist zu reden... bitte...", flehte Kyo leise, doch wieder schüttelte Kao nur den Kopf. "Mein kleiner Engel... bitte... du musst mir noch ein Versprechen geben, ja?" Unfähig etwas anderes zu tun, nickte der Vokalist und schluckte den dicken Kloß in seinem Hals herunter. "Versprich mir, dass du glücklich wirst." Kyo starrte ihn an und begriff diese Worte nicht. Wie sollte er denn glücklich werden, ohne den Gitarristen? Wie sollte er jemanden finden, er ihn ersetzen konnte? Es würde niemand jemals seinen Platz einnehmen können... mit Kao fiel oder stand sein Glück... Doch dann sah er in die Augen des anderen Mannes und brachte wieder ein Nicken hervor. Wie konnte er in so einer Situation nein sagen? Wie konnte er ihm seinen... seinen... letzten Willen verweigern? "Ich verspreche es...", hauchte Kyo heiser, beugte sich wieder vor und küsste Kao verzweifelt. "Ich liebe dich...", flüsterte jemand in sein Ohr und dann herrschte schreiende Stille, die durch einen grässlichen Dauerpiepton zerrissen wurde. "Kaoru?", flüsterte Kyo leise und sah auf das entspannte Gesicht des Gitarristen. "Kaoru?", wiederholte er, doch diesmal in einer höheren Tonlage. Er spürte, wie eine Schwester ihn vorsichtig aus dem Raum bugsieren wollte, doch er stemmte sich gegen die junge Frau und ließ Kao nicht aus den Augen. "KAORU!", schrie er und spürte jetzt, wie kräftige Männerhände ihn herausbrachten. Auf dem Flur sprangen Shinya, Die und Toshiya sofort auf und eilten zu ihm, doch seine Beine warteten mit dem Zusammenbrechen nicht, bis sie da waren. Er sank zu Boden, starrte mit leerem Blick auf das Linoleum und ließ seinen Tränen freien Lauf. Dann brach wieder die Verzweiflung über ihn herein und er begann hemmungslos zu schluchzen. Er merkte noch, wie Shinya ihn in die Arme nahm, doch keine tröstenden Worte fand. So etwas gab es in diesem Moment nicht... Trost existierte nur in den Träumen der Menschen. Mit diesem Tag fiel mein Glück zusammen, wie ein schlecht gebautes Kartenhaus. Ich fand in kurzer Zeit meinen Lebensinhalt und verlor ihn fast im selben Moment wieder. Es war eine grässliche Zeit nach diesen Stunden des Heulens und Schreiens. Ich sah ihn danach nur noch einmal wieder, und das war bei der Beerdigung... Diese Tage waren seltsam stumpf und leblos, und in der Routine der darauf folgenden Jahre fand ich weder Trost, noch Heilung, noch die Möglichkeit, mein Versprechen einzulösen. Und es ist wohl auch nur noch dieses Versprechen, was mich am Leben hält... Achso... bevor ich ende, will ich noch sagen, das ich einen Titel für unser Lied gefunden habe... es passt zum Leben. Macabre. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)