Die Karten legt das Schicksal von Strichi ================================================================================ Kapitel 15: Ehrliche Worte -------------------------- Immer noch beugte ich mich über diesen Mann und sein Geruch ließ mein Herz schneller schlagen. Er zog mich fast schon magisch an. Doch ich glaubte, dass es Paul nicht anders erging. Er legte einen Arm um meinen Hals und zog mich bestimmend zu sich hinunter und erneut trafen unsere Lippen aufeinander. Leidenschaftlich war der Kuss und ließ meinen Puls nach oben schnellen. Es war berauschend. Die Leichtigkeit die mich gefangen hielt, war wunderbar. Das Wissen, dass er uns eine Chance gab, war einfach ein schönes Gefühl für mich. Madeline schien ihn nicht abzuschrecken und das war wundervoll. Ich wollte, dass er mich so kennenlernte, wie ich nun mal jetzt war. Mich, gemeinsam mit meiner kleinen Familie. Paul strich mir durch die Haare und grinste mich freundlich an, als wir einander in die Augen blickten. Er streichelte über meine Wange und raunte leise und wahrscheinlich mehr zu sich selbst: „Man, hast du schöne Augen.“ Frech zwinkerte ich ihm zu und schmunzelte über diese Aussage. Denn damit hatte ich tatsächlich nicht gerechnet. Langsam richtete ich mich wieder auf und setzte mich an meinen Platz. Die ganze Zeit konnte und wollte ich ihn nicht so in Beschlag nehmen. Was, wenn meine Tochter doch hinunter kam? Ich lehnte mich etwas auf den Tisch, denn ich wollte eigentlich so viel mehr mit diesem Mann machen, doch Madeline war oben. Sie schlief nicht und ich würde jetzt nicht wieder über Paul herfallen. Doch am liebsten hätte ich wieder seine Lippen in Besitz genommen und noch einiges mehr. Auch Pauls Augen glitten an meinem Körper entlang und auch in seinem Blick konnte man erahnen, dass es nicht jugendfrei war, was er dachte. Doch als wir oben eine Tür knallen hörten, ich wusste, dass es das Badezimmer war, wich der Ausdruck in den Augen des Mannes, als schien ihm erst durch den Lärm bewusst zu werden, dass oben noch ein kleiner Mensch war. Er räusperte sich kurz und strich sich über sein Kinn, als er sich langsam aufrichtete. Es war ein kurzer Augenblick der Stille, in welcher keiner von uns wusste, was er sagen sollte. „Wie war das eigentlich mit Madeline“, wollte Paul nach einem Augenblick wissen, „Habt ihr sie adopt- Nein, sie sieht aus wie du. Sie hat deine Augen. Leihmutter?“ Ich schmunzelte leicht, als er ihre Augen erwähnte. Etwas was er vermutlich schön fand und etwas, was Brian zornig gemacht hatte. Zustimmend nickte ich sofort und erklärte: „Wir waren damals schon eine Zeit lang verheiratet und na ja. Mein Ex-Mann Brian hielt es für eine gute Idee.“ Verwirrt zogen sich seine Augenbrauen nach oben und skeptisch fragte Paul: „Fandst du nicht, dass es eine gute Idee war?“ War es so deutlich, dass ich damals nicht so davon überzeugt war? Unschlüssig sah ich den Polizisten vor mir an. Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Erst nach einem Augenblick, von dem ich wusste, dass er zu lange war, erklärte ich: „Ich war mir damals nicht sicher, ob ich mich bereit dazu fühlte, aber ich…“ Doch Paul unterbrach mich und das was er sagte, hatte ich mir oft genug selber gedacht. Doch auszusprechen, dass traute ich mich eigentlich nie. „Dann hättet ihr das nicht machen sollen. Wenn er bereit war, aber du noch nicht, dann hättet ihr besser gewartet“, meinte er und ich verstand ihn so unglaublich gut. Man hätte gut zwei, drei Jahre warten können. Vielleicht noch die ein oder andere Reise unternehmen und uns viel länger mit dem Gedanken und der damit einhergehenden Veränderung beschäftigen sollen. Möglicherweise wären Brian und ich dann immer noch zusammen. Doch meine innere und leicht sarkastische Stimme flüsterte mir ins Ohr, dass er dann ja weiterhin unter Drogen stände, da er ja nicht mehr schwul ist oder es nie war. Schnell verdrängte ich die Worte dieser Stimme und wieder kamen mir Pauls Worte in den Sinn. Ich merkte, dass ich unbewusst genickt hatte und als ich das realisierte, sagte ich sofort: „Aber ich liebe Madeline. Ich liebe sie über alles und ich würde auch alles für sie machen!“ Es war mir wichtig, dass ich das sagte, denn ich wollte einfach nicht, dass man mir das so auslegte. Zu sehr belastete mich der Rechtsstreit mit Brian. „Das würde ich auch nie behaupten“, meinte Paul und betrachtete mich nachdenklich, „Meine Frau Lisa wollte damals auch Kinder und ich war mir unschlüssig. Weißt du, damals als ich mir einredete, dass ich nicht schwul sei und alles nur eine Phase wäre, hatten wir auch darüber gesprochen. Man bekommt auf dem Land schließlich eher Kinder als in der Stadt. Einige ihrer Freundinnen hatten bereits welche, aber ich wollte nicht. Es wäre mir zu viel gewesen. Es sollten einfach beide dafür bereit sein. Und ich meine, euer Kind war ja eine bewusste Entscheidung gewesen. Deswegen meinte ich das. Ich würde mir nie anmaßen zu sagen, dass du dein Kind nicht lieben würdest.“ Ich schmunzelte leicht und erstaunt betrachtete ich den Mann. Er hatte nicht unrecht, dass wusste ich im Stillen auch. Man hätte warten können und dann wäre einiges vermutlich anders gekommen. Vielleicht war es albern, doch es war für mich eine Wohltat nicht zu erklären oder mich rechtfertigen zu müssen, dass ich mein Kind liebte. Immer wieder hatte ich in diesem Zusammenhang das Gefühl, ich müsse es tun. Auch Brian hatte behauptet, dass ich Madeline nie so sehr geliebt hatte wie er und es machte mich rasend vor Wut, dass ausgerechnet dieser Mensch so etwas behauptete. Tatsächlich schien Paul einer der wenigen Menschen zu sein, von denen ich wirklich glaubte, dass sie mich verstanden. Es war so, wie es jetzt nun mal war, Madeline war auf der Welt und ich liebte sie. Was vorher war und was sein könnte, spielte eigentlich keine Rolle mehr. Doch bald würde ich gezwungen sein, alle diese Themen wieder mit Brian durchzukauen. Ich wollte darüber einfach nicht mit Paul sprechen, doch es schien auch nicht so, dass er das Gespräch darauf lenken wollte. Es war so einfach und so angenehm, sich mit ihm zu unterhalten. Durch seine offene Art wirkte er einfach sympathisch. „Na ja“, meinte ich nach einem Augenblick, „Ich würde nicht sagen, dass es unvernünftig war mit dem Kind. Wir waren jedenfalls finanziell abgesichert und steckten eigentlich in einer sicheren und stabilen Beziehung.“ Skeptisch betrachtete mich der Mann vor mir und nach einem Augenblick fragte er: „Und darf man fragen, weswegen die Beziehung dann in die Brüche ging?“ Ich stockte sichtlich, denn eigentlich war dies etwas, was ich nicht mit anderen besprach. Die einzige Person der ich so etwas noch anvertraute war Phil. Doch noch nie war ein Mann zurückgekommen und wollte mich und meine Tochter kennen lernen. Ich wünschte mir fast, er wäre vor sechs Monaten in mein Leben gestolpert. In einer Zeit, in welcher ich so einfach sagen konnte, dass Brian keine Rolle in meinem Leben spielte. Dass er sich mit diesem Menschen nicht beschäftigen müsste. Doch Paul wusste, dass Brian hier war und er wusste auch, dass wir uns um das Sorgerecht stritten. Ich wollte nicht wieder alles mit Unwahrheiten oder Halbwahrheiten beginnen. Dies hatte ihn beim letzten Mal wütend gemacht und so setzte ich einfach alles auf diese Karte. Schwer seufzte ich und erkläre ehrlich: „Na gut. Ich sag es dir. Brian wollte damals das Schicksal entscheiden lassen, wer der biologische Vater unseres Kindes werden würde. Also gaben wir beide in dieser Klinik Samenproben ab. Mir war das vollkommen egal, doch Brian nicht.“ Verstehend zogen sich die dunklen Augenbrauen des Mannes nach oben und er schüttelte fast schon entsetzt den Kopf darüber. Weswegen er so entsetzt schaute, sollte ich nach einigen Sekunden hören. „Wie dumm kann man denn sein? Da sollte ihm doch klar sein, dass du die genauso große Chance hast, wie er“, meinte er augenverdrehend und schüttelte nur den Kopf. Wie recht er hatte und wie häufig ich mir das selbst schon gesagt hatte. Ich nickte und mein Blick trübte sich. Die Gedanken und Erinnerungen, die das in mir hervorrief, waren keine schönen und eigentlich, versuchte ich sie einfach nur zu verdrängen. Ich strich mit meinen Handflächen über meine Oberschenkel und atmete schwer durch, während mein Kopf nach den richtigen Worten suchte. „Na ja, das war ja nur einer der Gründe“, meinte ich ehrlich und kratze mich an der Schläfe. Ich stockte leise und lauschte kurz, ob ich oben meine Tochter hörte. Ich wollte nicht, dass sie das jemals hörte, selbst wenn sie den ersten Teil der Erklärung gehört hatte, könnte ich mir das nur schwer verzeihen. Doch ich hörte sie oben herumlaufen, sie war vollkommen in ihrer Welt und das war gerade gut so. Paul schien zu verstehen und raunte: „Ich habe ein Ohr bei der Treppe.“ Ich nickte ihm dankbar zu und führte meine Erklärung fort: „Wir hatten so einige Differenzen. Ich hatte ihm vorher gesagt, er solle sich darüber Gedanken machen, was es bedeutet ein Kind zu bekommen. Damit meinte ich nicht nur die Tatsache, dass wir wenig Schlaf bekamen. Dazu zählte auch die Tatsache, dass wir als schwules Paar einfach auffallen würden. Klar, die Welt ist vernetzter, doch die Köpfe der Menschen sind häufig nicht so offen. Ein schwules Paar mit Kind, für viele schwer zu verstehen und für andere vermutlich noch schwerer zu akzeptieren. Wir haben zum Glück nur selten Negatives darüber gehört. Aber das ich das angesprochen hatte, hatte ihn sehr zornig gemacht und schon damals behaupten lassen, ich wolle keine Kinder. Dabei war es mir nur wichtig, dass er wusste, worauf er sich einlässt.“ Zustimmend schien mich Paul zu betrachten und ehrlich meinte er: „Ja klar. Wenn ich ehrlich bin, habe ich mir darüber am Wochenende auch Gedanken gemacht. Was es bedeutet. Die ganzen Menschen die meinen, dass es nicht gut sei, können anstrengend werden, ganz zu schweigen von den komischen Kirchenmenschen, die uns bekehren wollen oder so. Da kann ein Kind ein guter Zündstoff sein.“ Erleichterung schoss in meine Venen als ich dies hörte. Er schien genau überlegt zu haben, was es bedeutete mit mir anzubändeln und trotzdem saß er hier in meiner Küche. Er war nicht blindlings wieder hier aufgetaucht. Es war eine bewusste und ehrliche Entscheidung von ihm gewesen. Ein erleichtertes und fröhliches Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Wie glücklich er mich mit diesem Wissen machte, konnte er gar nicht wissen! „Ja“, sagte ich zustimmend und vielleicht klang dieses ja etwas zu euphorisch. „Genau. Das war mir auch wichtig. Mir war klar, dass nicht alle sagen würden, oh wie süß. Wobei ich das eh albern finde. Manche würden auch schimpfen und mir war klar, dass ich Madeline das irgendwann erklären müsste, dass wir nicht normal sind. Doch dazu kam es mit Brian nicht. Weißt du, er war immer recht… häuslich und damit will ich nicht sagen, dass er sich benommen hat, wie eine Frau.“ Leise lachend warf Paul ein: „Glaub mir. Dieses Klischeedenken ist für mich nicht relevant. Ich mag es zuhause auch gemütlich und bin deswegen nicht tuntig. Ich will mich zuhause einfach wohl fühlen. “ Kurz grinste ich ihn verständnisvoll an und nickte nur. „Na ja, er wollte jedenfalls von Zuhause aus arbeiten und hat freiwillig seine Stunden reduziert“, erklärte ich weiter und weiterhin erstaunlich ehrlich, doch dann stockte ich. Es war so einfach nur Paul die Schuld an allem zu geben, was geschehen war, doch es war einfach nicht so. Ich war nicht unschuldig daran. Leiser als vorher sprach ich weiter: „Und na ja. Ich war halt Vollzeit arbeiten und habe ihm wenig abgenommen. Vermutlich, habe ich ihn auch sehr häufig alleine gelassen mit allem. Ich hätte auch nie gedacht, dass es so schwer werden würde mit einem Kind. Ich dachte immer, Brian übertreibe. Ich meine Babys schlafen ja auch ne Menge. Wir haben viel gestritten und sicherlich habe ich einiges nicht ernst genug genommen. Als Madelines Augen sich veränderten und sie offensichtlich das biologische Kind von mir wurde, war es für ihn einfach viel zu viel. Sie war gerade mal fünf Monate alt, als er verschwand. Es war ihm alles über den Kopf gewachsen. Und im Nachhinein habe ich gehört, er habe sich übers Internet neu verliebt. Jemand der ihm zugehört hatte und seine Situation ernst nahm. Und na ja, dann war er weg. Er ist einfach gegangen.“ Weit weniger wortgewandt als noch zu Beginn, schloss ich meine Erzählung ab und blickte hinunter auf den Tisch. Ich sah einige Brotkrümel. Anscheinend hatte ich vergessen den Tisch abzuwischen. Wieso mir das auffiel? Vielleicht aus Selbstschutz? Ich hasste es, so genau davon zu erzählen, was geschehen war. Es hinterließ jedes Mal einen so bitteren Nachgeschmack in mir. Konnte ich Brian verstehen, dass er gegangen war? Zum Teil konnte ich das mit einem ja beantworten, doch schmiss man eine Ehe so einfach weg? Das er Madeline im Stich ließ, war etwas vollkommen anderes, das war etwas, was gar nicht in meinen Verstand hineinwollte. Dafür würde ich niemals Verständnis entwickeln. Schwer atmete ich durch und ich war dankbar, als Paul das Wort ergriff. „Das ist echt irgendwie scheiße“, raunte er und ich blickte auf in seine Augen. Sie durchbohrten mich regelrecht und ohne Wertung sah er mich an. „Ich meine“, fuhr er fort und runzelte leicht die Stirn, „Jeder Mensch macht Fehler. Aber wieso versucht man diese Fehler nicht aus dem Weg zu räumen? Ihr wart ja lange verheiratet. Und wenn ihm vorher nicht bewusst war, was es bedeutet ein Kind zu bekommen, dann tut´s mir leid, für das Kind. Es war sicher nicht toll, dass du so sehr den Karrieretypen hast raushängen lassen… Ich hätte es ja noch verstehen können, wenn er dich mit dem Kind verlässt, aber ohne…. Sorry nein, das geht gar nicht.“ Betrübt nickte ich und ich verstand immer noch nicht, weswegen ich so ehrlich war. Vermutlich lag es wirklich daran, dass er uns eine Chance gab. Er wollte, dass wir ehrlich zueinander waren und das war ich in diesem Augenblick auch. Ich hoffte, dass ich nicht zu ehrlich war und als ich leise danach fragte, schüttelte der Mann vor mir verneinend mit dem Kopf. „Ich bin dir dafür eher dankbar. Und du sagst nichts, was ich… na ja, was abschreckend wäre. Es ist nun mal so geschehen. Du hast kein Verbrechen begangen, also…“, schloss er seine Erklärung ab und grinste mich an. Ich glaubte, dass es ein aufbauendes Lächeln des Polizisten sein sollte. Auch mich ließ es schmunzeln und leise sagte ich: „Danke.“ Kurz trank ich einen Schluck des leider bereits lauwarmen Kaffees und fuhr fort: „Na ja, Brian ist dann verschwunden und war bis vor einiger Zeit nicht mehr gesehen. Jetzt will er halt plötzlich wieder Kontakt und war sogar schon bei Gericht. Er strebt das alleinige Sorgerecht an, aber ich vermute er will entweder das geteilte, oder ein Besuchsrecht. Die Chancen, dass er das alleinige bekommt, stehen nämlich sehr schlecht für ihn.“ Verstehend nickte Paul. Vermutlich war ich die erste Person, von der er so etwas bereits gehört hatte. „Hm… Und wie läuft es nun weiter?“, wollte er wissen und schulterzuckend meinte ich: „Na ja. Ein Kollege und Freund von mir übernimmt den Fall und am Dienstag habe ich einen Termin im Jugendamt. Danach bin ich schlauer. Mit Familienrecht kenne ich mich nicht so gut aus. Bin ja eher in der Wirtschaft, beziehungsweise in der Strafverfolgung tätig gewesen.“ Verstehend und erstaunlich verständnisvoll betrachtete mich Paul und sagte ruhig: „Dann wartest du am besten also diesen Termin ab. Aber lass dich nicht unterkriegen morgen.“ Ich nickte nur und irgendwie, konnte ich ein zufriedenes Lächeln nicht unterdrücken. Es war so angenehm, dass Paul so offen war. Etwas, womit ich eigentlich nicht gerechnet hätte. Wieder schwiegen wir, doch dieses Mal, war das Schweigen von angenehmer Natur. Ich machte Paul einen neuen Kaffee und betrachtete den Mann, der meinen Puls immer wieder nach oben schießen ließ. Oben war Madeline immer noch am Spielen und als ich mich setzte, fragte ich ruhig: „Was ist jetzt mit deinem Bein… Ich erinnere mich, dass du sehr viele Schmerztabletten genommen hattest, als wir mal in meinem Büro gegessen hatten.“ Gerade hatten wir so viel von mir gesprochen, dass ich ganz vergessen hatte, dass auch Paul mir ein für ihn großes Geheimnis offenbart hatte. Vermutlich fiel es ihm ebenso schwer, darüber zu sprechen, wie mir das eben bereits gesagte. Und ich glaubte, Recht zu behalten. Unruhig sah er mich an und seine Augen glitten durch meine Küche. Er seufzte schwer und strich sich die dunklen Haare aus dem Gesicht. Ob er gehofft hatte, dass ich vergessen hätte, worüber er gesprochen hatte? Natürlich hatte ich dies nicht. Ein trauriges und freudloses Lächeln zierte seine Lippen und nach einem Augenblick erklärte er: „Na ja, es ist noch nicht lange her und die Nerven tun noch weh… Ich… Phantomschmerzen halt.“ Traurig sah ich den Mann an. Es tat mir leid für ihn. Natürlich hatte ich davon schon gehört. Vielen Menschen die einen Arm oder ein Bein verloren hatten, litten darunter. Sie fühlten und spürte die Schmerzen noch. „Manchmal juckt es auch nur und…. Da ist ja nichts zum Kratzen“, meckerte er leise und betrachtete die schwarze Flüssigkeit in der Tasse. Verbittert sah er hinunter und ich fragte mich, was er gerade dachte. Ich wusste nicht, was man dazu sagen konnte. Was sagte man einem Menschen auch dazu? Sein Bein würde nicht wieder nachwachsen. Man konnte es nicht einfach vergessen. Es war etwas, woran er jeden Tag erinnert wurde. Morgens, wenn er aufstand und abends, wenn er in Bett ging. „Hm…“, meinte ich nach einem kurzen Augenblick. „Ich kann mir denken, dass das wirklich einfach doof ist. Trotzdem solltest du nicht so regelmäßig Medikamente nehmen. Ich meine, die wirken irgendwann auch nicht mehr und außerdem können die abhängig machen.“ Ich wusste, dass ich gerade sehr belehrend klang, doch zu viele Menschen in den USA nahmen starke Schmerzmittel als Ersatzdroge und viele, die diese Medikamente einnahmen, waren abhängig davon geworden. Ich konnte mir vorstellen, dass er dies als Polizist durchaus wusste. Schließlich wusste er als Polizist, was in der Stadt alles vor sich ging. „Ja ja“, raunte er abweichend und trank lieber einen Schluck Kaffee. Erneut wich er meinen Blick aus und strich sich über die Wange. „So oft nehme ich die nicht“, erklärte er leise. „Aber wenn es manchmal einfach… einfach zu viel wird… Und ich nicht schlafen kann, dann helfen sie.“ Ich spürte, dass er noch nicht bereit war, mehr zu sprechen. Vermutlich war das, was geschehen war oder die Folgen daraus etwas, was diesen Mann ziemlich zu belasten schienen. Gequält wirkte er, wie er vor mir saß und jedes seiner Worte schien ihm einfach schwer zu fallen. War es gut, nachdem ich so ehrlich zu ihm war? Doch ich konnte den Menschen durchaus ihre Geheimnisse lassen. Ich war zwar neugierig, aber wenn ich spürte, dass irgendwo zu große Grenze waren, überschritt ich sie nur ungerne. Seine Hände lagen auf dem Tisch und schienen sich ineinander zu verkrampfen. Als habe er Angst oder vielleicht auch Schmerzen. Ich griff danach und zog eine seiner Hände zu mir. Ich ließ meine Finger zwischen die Seinen gleiten und langsam sah ich von unseren Händen hinauf in sein Gesicht. Liebevoll war mein Blick und freundlich zwinkerte ich ihm zu. Es war anders als sonst, wenn wir einander in die Augen blickten. Es war auf einmal so viel vertrauter, als noch vor wenigen Momenten. Es war einfach schön, dass er hier war. Meine Lippen kräuselten sich zu einem sanften Lächeln und ohne darüber nachzudenken, fragte ich mit ruhiger Stimme: „Was hältst du davon, wenn du heute einfach zum Abendessen bleibst?“ Überrascht blickte Paul mich an und fragte, was es denn geben würde. Verwirrt blinzelte ich und runzelte leicht die Stirn. Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht. „Ich kann mal schauen“, meinte ich nach einem Augenblick und stand vom Küchentisch auf. Ich öffnete den Kühlschrank. Doch nicht viel war drinnen. Einige Joghurts, zwei Päckchen Sahne und etwas Gemüse sah ich. Ich kramte etwas herum und fand noch eine eingeschweißte Putenbrust. „Ich glaube, ich kann dir Putengeschnetzeltes anbieten“, meinte ich nach einem Augenblick und suchte in der Schublade nach einem passenden Tütchen. Ich fand eines und als ich Paul fragend anblickte, nickte er langsam. „Soll ich dir eventuell helfen?“, fragte er mich skeptisch und ich schüttelte nur den Kopf. „Ich lade dich ein“, meinte ich freundlich und lächelte den Mann offen an. Er nickte nur und nach einem Moment stand er auf und setzte sich auf den Stuhl am Tresen. Natürlich schaute ich, während er aufstand und zum Küchentresen ging genauer hin. Und ich glaubte zu erkennen, dass er wirklich etwas hölzern ging. Doch eigentlich war ich mir da nicht sicher. „So können wir besser reden“, meinte er leicht lächelnd und ich nickte nur. Ich blickte auf die Uhr und sah, dass es bereits fünf Uhr war. Ich vermutete, dass Madeline gleich runterkommen würde. Ich las kurz durch, was hinten auf der Verpackung stand und begann alles nach Anleitung vorzubereiten. Ich maß gerade die Flüssigkeit ab, als mich Pauls Stimme wieder in die Realität brachte. „Dein Mann hat früher gekocht, oder?“, fragte er und als ich zu ihm blickte, sah ich ihn schmunzeln. Fragend blickte ich ihn an und rührte das Pulver unter. „Na ja“, antwortete er auf meine nonverbale Frage. „Wir haben schon einmal zusammen gekocht und jetzt hältst du dich so strickt an Anweisung. Da habe ich es einfach für mich so vermutet.“ Leicht grinsend holte ich eine Pfanne und einen Topf aus dem Schrank und setzte Wasser für den Reis auf. „Na ja“, meinte ich erklärend und zuckte mit den Schultern, „Ich konnte nie sonderlich gut kochen und dann musste ich es ja auf einmal können. Da sind Tüten sehr hilfreich. Kann ja nicht ständig Essen bestellen oder alles fertig kaufen. Nur würzen kann ich nicht. Da finde ich diese Tütchen ganz hilfreich.“ Leise hörte ich Paul hinter mir kichern und als er mich gut gelaunt fragte, ob ich auch Fertig-Pfannkuchen kaufte, schüttelte ich den Kopf und sagte: „Also nicht die ganz fertigen. Diese Flaschen, wo man Milch reinpackt, die sind echt lecker!“ Auflachend schlug er sich gegen die Stirn und erwiderte: „Oh Man Rick, Pfannkuchen sind total einfach. Kannst du überhaupt irgendetwas ohne diese Hilfsmittel?“ Pikiert sah ich zu ihm. Ich hatte mich schließlich in den letzten Jahren sehr verbessert beim Kochen. „Klar! Ich kann eine super tolle Kürbissuppe. Das Rezept habe ich von meiner Mutter. Da brauch ich keine Tüten! Und ich kann gut grillen und krieg eine gute Marinade für Steaks hin, aber Madeline mag keine Steaks“, verteidigte ich mich und schnitt die Paprika in fast gleich große Würfel. „Das ist ja dann doch mehr, als ich dachte“, meinte Paul und immer noch schwang sein Lachen in seiner Stimme mit. Es war wirklich gut, ihn einfach eingeladen zu haben. Er schien nicht mehr an das zu denken, was ihn so belastete. „Und natürlich mag eine dreijährige kein Steak“, sagte er immer noch lachend und als ich sagte, dass sie ja bald vier würde, erwiderte er: „Auch vierjährige nicht. Ich glaubte aber, dass du mir mal ein Steak braten könntest“, schlug er gut gelaunt vor und zwinkerte keck mit einem Auge. Gut gelaunt briet ich die Pute an und schmunzelte zufrieden. Es war so herrlich angenehm sich beim Kochen zu unterhalten. „Klar, wenn es wärmer wird, kann ich den Grill sicher aus dem Keller holen. Ich habe Madeline auch versprochen, dass wir dieses Jahr ein kleines Klettergerüst oder eine neue Schaukel aufstellen… Dann kann man sich auch gut draußen aufhalten“, meinte ich gut gelaunt und als Paul nickte, strahlte ich ihn glücklich an. So etwas zu planen, was noch weiter weg lag, erfreute mich, denn es war wieder ein Indiz, dass es keine leeren Worten waren, die er sprach. Ich sah wie Paul aufstand, doch ich musste mich auf das kochende Essen konzentrieren. Ich spürte, wie der Polizist hinter mich trat und seinen Körper an den Meinen drückte. Sofort stieg sein so angenehm herber Duft in meine Nase und zufrieden grinste ich. „Wie wäre es, wenn ich dich jetzt mal beim Kochen ablenke“, raunte er in mein Ohr und eine Gänsehaut überzog meinen Körper, als ich seine Lippen an meinem Hals spürte. Ja das konnte einer der besten Abende seit langem werden! „Ich hoffe mal, dass deine Kleine nicht allzu lange wach bleibt“, hörte ich ihn hinter mir süffisant flüstern und ein pervers, aber auch glückliches Grinsen erschien auf meinen Lippen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)