Freunde mit gewissen Vorzügen von Maginisha ================================================================================ Kapitel 26: ------------ Abyssinians Augen hatten sich schnell an die Dunkelheit angepasst. Er passierte den Wohnbereich des Zimmers und warf einen Blick in die Küche. Der Teil des Raums war ebenfalls leer. Er gab Balinese ein Zeichen und der bewegte sich lautlos zur Tür. Sie öffnete sich in einen Flurbereich, der durch das einfallende Mondlicht schemenhaft beleuchtet wurde. Balinese wies mit einem fragenden Blick auf die Treppe. Abyssinian schüttelte den Kopf. Er hatte die dunkle Öffnung in der Wand darunter entdeckt. Ein Gefühl sagte ihm, dass sie nach unten mussten. Wenn Schwarz Ken irgendwo versteckt hielt, dann sicherlich im Keller. Es behagte ihm nicht, dass sie nur so wenig Kenntnis über die Räumlichkeiten hatten. Sie hatten Bilder von einem ähnlichen Haus gesehen, dass der Anbieter vermietete, aber über das Kellergeschoss hatte dieser keine Auskunft enthalten. Sie waren blind, wenn sie dort hinunter gingen. Er wies mit zwei Fingern auf die Tür und Balinese nickte. Seine Hand wanderte zu seinem Handgelenk und zog den dünnen Draht heraus, um im Falle eines Angriffs bereit zu sein. Abyssinian gab ihm ein Zeichen und sie näherten sich zu zweit der Treppe. Ein Rascheln hinter ihm ließ ihn herum wirbeln. Bombay stand in der Tür. Er hielt einen Daumen nach oben. Die Sprengladungen waren platziert. Er gab dem Jüngsten ein Zeichen, am Eingang der Treppe stehen zu bleiben, und schob sich an Balinese vorbei in die dunkle Tiefe. Seine Sinne waren zum Zerreißen gespannt. Er sah praktisch nichts. Vor ihm nur uferlose Finsternis. Jeden Moment konnte ein Angriff erfolgen. Er hielt das Katana nahe am Körper, die Spitze auf einen möglichen Angreifer gerichtet. Er spürte die Stufen unter seinen Füßen enden und trat einen Schritt zur Seite, um Balinese neben sich zu lassen. Dann stand er da und lauschte. Da waren Geräusche. Leise, unterdrückt. Was war das? Er blickte sich nach seinem Partner um und konnte seine Umrisse fast gar nicht erkennen. So konnten sie sich nicht koordinieren, es sei denn, sie sprachen miteinander. Das jedoch würde einen möglichen Gegner auf sie aufmerksam machen. Der Überraschungseffekt wäre dahin.   „Sehr richtig, Abyssinian. Dumm nur, wenn euer Gegner euch gar nicht hören muss, nicht wahr?“ 'Schuldig!' „Sehr richtig. Ich würde vorschlagen, ihr lasst eure Waffen fallen, sonst muss ich euch leider erschießen.“ Die Stimme kam von irgendwo vor ihnen. Distanz etwa acht Meter. Unter seinen Füßen gefliester Boden, ein breiter Gang der Akustik nach zu urteilen. Schuldig musste irgendwo an dessen Ende stehen. Aya hörte ein unterdrücktes Geräusch. Jemand atmete heftig. „Ken?“ Balineses Stimme war dumpf in der Dunkelheit. „Ja, er ist bei mir. Und wenn ihr brav seid, passiert ihm auch nichts. Also los, Kätzchen, Waffen fallen lassen.“ Balinese drehte den Kopf zu ihm herum. Er fühlte die Bewegung mehr, als dass er sie sah. Seine Augen wurden schmal. Irgendwas stimmte hier nicht. „Ich sagte, Waffen fallen lassen!“ Schuldig klang ärgerlich. Warum? Welchen Grund konnte er haben, so darauf zu bestehen, dass sie unbewaffnet waren. Es sei denn... „Er blufft“, sagte Abyssinian plötzlich. „Er hat keine Waffe.“ „Willst du das tatsächlich riskieren?“, war die spöttische Antwort aus der Dunkelheit. „Außerdem denkst du doch nicht wirklich, dass ich eine Waffe brauche, um jemanden zu töten, oder?“ Er überlegte. Vermutlich brauchte Schuldig das nicht. Er traute dem Mann durchaus zu, Ken das Genick zu brechen. Aber im Grunde genommen war das auch egal. Er war gekommen, um sie beide zu töten. Was für einen Unterschied machte es also, ob er oder Schuldig Ken ins Jenseits beförderten. „Was?“, kam aus der Dunkelheit. Er registrierte mit Befriedigung, dass Schuldig hörbar mit ihnen sprach, statt in seinem Kopf herumzuspuken. Ihr Plan schien aufzugehen. „Du willst mir also weismachen, dass ihr hergekommen seid, um uns beide umzubringen? Für wie dumm hältst du mich, Abyssinian? Ich wollte dir ja eigentlich gratulieren, dass ihr es bis hierhin geschafft habt, aber du beleidigst meine Intelligenz.“ „Tue ich das?“, antwortete Abyssinian ruhig. „Weiß ist kein Rettungsteam. War es nie. Wir sind ausgebildet worden, um Ziele zu eliminieren. Darum sind wir hier.“ „Du lügst“, kam von Schuldig zurück. „Ich habe genau gehört, dass du dich gefragt hast, ob es deinem Freund gut geht. Los, Ken, sag was dazu.“ „Aya? Yoji?“ Ken Stimme war dünn und zitterig in der Dunkelheit. Er hatte gehört, was Abyssinian vorhatte. Ganz offensichtlich hatte er Angst. „Mir scheint, dass du was verwechselt hast, Schuldig“, mischte sich jetzt Balinese ein. „Das mit dem retten wollen war wohl ich. Tut mir leid, wenn dich das verwirrt hat. Ich würde Ken ja gerne erst eine Erklärung abgeben lassen, wie es dazu kam, dass er mit dem Feind kollaborierte.“ „Mir hingegen ist das alles egal“, ließ sich jetzt Bombay von der Treppe vernehmen. „Ich denke, ich werde einfach das ganze Gebäude in die Luft jagen. Dann war es das mit Weiß und Schwarz.Uns wird man ersetzen können und unser Tod ist ein geringer Preis, wenn dafür die Welt von euch befreit wird.“   Abyssinan hörte die verräterischen Laute aus der Dunkelheit vor sich. Ein kaum wahrnehmbares Scharren, als Schuldig das Gewicht verlagerte. Bewegungen, die seinen kurz darauf folgten. Dem Echo nach zu urteilen, musste er in der Mitte des Gangs stehen, Ken vermutlich vor sich gestellt. Wenn er vorstürmte und mit dem Katana ausholte, würde er mit Glück seine beiden Gegner mit einem Streich erledigen können. Oder er erwischte zuerst Ken und würde dann Schuldig mit dem nächsten Schlag erwischen, da dieser sich nicht schnell genug bewegen konnte in den beengten, räumlichen Verhältnissen. Das Ergebnis war das Gleiche. Primärziel und Verräter eliminiert. Mission abgeschlossen.   Ein Zischen kam aus der Dunkelheit. „Gar nicht schlecht. Ich sollte euch gratulieren, dass ihr so schlau gewesen seid. Drei verschiedene Pläne auszuarbeiten, damit wir nicht herausfinden, welcher der richtige ist. Clever, die Kätzchen. Aber nicht clever genug. Ich weiß, dass ihr nicht hergekommen seid, um Selbstmord zu begehen, obwohl man das fast annehmen könnte, wenn ihr es wagt, euch hier einzuschleichen. Wir werden euch im Handumdrehen erledigen.“ „Was wird das jetzt, Schuldig?", fragte Balinese spöttisch. „Die Stelle im Film, an dem der Bösewicht eine endlos lange Rede hält, bis der Held genug Zeit hatte, ihn zu übertölpeln? Nur dass es dieses Mal umgekehrt ist? Du versuchst doch nur, Zeit zu schinden. Vor allem wüsste ich nicht, wer mit wir gemeint sein soll. Farfarello hat sich vorhin gerade aus dem Staub gemacht. Auf seine Hilfe kannst du nicht mehr zählen.“ „Aber um ganz sicher zu gehen, denke ich, dass wir uns einfach mal von der obersten Etage verabschieden sollten“, sagte Bombay und man konnte ein Schnappen hören, als er den Sicherheitsriegel vom Auslöser entfernte. „Sag 'Auf Wiedersehen' zum Rest von Schwarz.“ Es klickte und Sekunden später waren weit über ihnen drei Explosionen zu hören.           Das Schild war an Ort und Stelle, noch bevor er die Augen geöffnet hatte, noch bevor sein Bewusstsein wirklich das Stadium des Traums verlassen hatte, in dem er sich gerade befunden hatte. Es war ein Reflex, lange genug antrainiert, um in diesem Augenblick an Ort und Stelle zu treten. Die Wucht der Explosion schleuderte ihn in einer Wolke von Trümmern und Splittern durch den Raum, der keiner mehr war, und warf ihn über die ehemalige Mauer in die Tiefe. Der Moment der Schwerelosigkeit reichte, um seine Konzentration zu brechen. Er kam hart und ungeschützt auf dem Boden auf. Instinktiv zog er die Barriere neu, als Steine und brennende Holzteile von oben auf ihn herabregneten. Der Schild zitterte und wankte. Sein Kopf dröhnte vom Lärm der Explosion, in seinem Ohr nur ein taubes Fiepen. Staub nahm ihm die Sicht und hüllte ihn ein wie ein Leichentuch. Über ihm ein Geräusch, ein ächzendes Stöhnen, als das Dach des Hauses nachgab und in die Tiefe rutschte. Strauchelnd kam er auf die Füße, hustete, taumelte vorwärts. Er war sich nicht sicher, ob er den Aufprall eines so großen Objekts würde abfangen können. Etwas Scharfes schnitt in seinen Knöchel, eine zerbrochene Fensterscheibe ragte wie ein aus dem Boden wachsendes Messer in die Höhe und spiegelte die aufkommenden Flammen. Er unterdrückte einen Schmerzenslaut und humpelte weiter, bis er ein gutes Stück weit vom Haus zusammen brach. Mit letzter Kraft rollte er sich auf den Rücken und starrte auf die Reste dessen, was bis vor ein paar Sekunden noch sein Zuhause gewesen war. Die gesamte obere Etage war wie weggeblasen, das Dach an einer Seite zu Boden gerutscht und bizarrerweise noch relativ unberührt. Die untere Etage stand ebenfalls noch, auch wenn Nagi nicht auf die Tragfähigkeit der Decken gesetzt hätte.   Er atmete heftig. Wie oft hatten sie ihn dafür trainiert? Ihn mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen. Wie oft hatte er Schläge kassiert, weil er nicht schnell genug reagiert hatte. Hatte sich vor Schmerzen krümmend auf dem Boden gelegen, während ihn sein Ausbilder anschrie, dass er jederzeit bereit sein müsse, bevor er ihn weggezerrt und für Tage ins Dunkle gesperrt hatte. So hatte er gelernt, was ihm gerade das Leben gerettet hatte. Ein bitteres Lachen lag in seiner Kehle und wollte nicht herauskommen. Er fühlte sich, als müsse er sich übergeben. Mit Mühe stemmte er sich in die Höhe und stand nun schwankend und bebend vor der in eine Staubwolke gehüllte Halbruine. Alles, was er besessen hatte, war gerade in die Luft geflogen. Die mühsam aufgebaute Sicherheit hatte sich in ein qualmendes Nichts aufgelöst. Er fühlte eine unbeschreibliche Wut in sich aufsteigen. Wer hatte es gewagt, ihm das anzutun? War hatte es geschafft, alle seine Sicherheitsmaßnehmen zu umgehen? WER?   Eine Bewegung in seinem Augenwinkel ließ ihn herumfahren. Etwas blinkte und flackerte. Die Straßenlaterne auf der anderen Seite der Mauer erwachte gerade wieder zum Leben. Warum war sie ausgefallen? Er blickte zum Hause und sah, wie auch die Beleuchtung im Haus wieder anging. Crawford hatte ihn das Haus mit vielen, unabhängigen Stromkreisen versehen lassen, nachdem Farfarello ein paar Mal das Computersystem zum Absturz gebracht hatte, weil er irgendetwas Spitzes in eine Steckdose gerammt hatte. Der Anblick des halben Hauses, dessen untere Etage beleuchtet und bewohnt aussah, war absurd. Eine Obszönität, die seiner Wut neue Nahrung gab. Er wusste plötzlich, wer dafür verantwortlich war. Weiß war hier. Sie waren gekommen, um Ken zu holen. Diesen elenden Verräter, den Schuldig hier angeschleppt und zu seinem persönlichen Schoßtier erkoren hatte. Er hatte ihn nicht, wie Nagi gehofft hatte, gefoltert, sondern ihn stattdessen ins Haus gebracht. In sein Heim! Den Bereich, in dem Nagi sich sicher fühlen konnte. Er konnte ihm das nicht verzeihen. Schuldig hatte eine Grenze überschritten. Er hatte ihn verspottet, ausgelacht und angegriffen! Crawford hatte ihm versprochen, dass es hier anders werden würde. Dass er ein vollwertiger Teil des Teams sei, dass er sich lediglich an die Regeln halten müsse, die Crawford ihm vorgab. Dass die ständigen, ermüdenden Kämpfe, das sich immer wieder beweisen müssen, die ständige Angst vor Angriffen vorbei sei. Und Schuldig hatte diese Sicherheit verletzt, hatte die Regeln gebrochen, hatte einmal zu viel auf alles gespuckt, was Nagi wichtig war.   Er fühlte es eher, als das er es hörte. Schuldig versuchte, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Er war also noch im Haus und Weiß war bei ihm. Er brauchte Hilfe? Nagi lächelte böse und kappte die Verbindung. Setzte seine mentalen Schilde mit der Endgültigkeit einer zuschlagenden Panzertür. Der Telepath konnte bleiben, wo der Pfeffer wuchs. Er wollte mit den Kätzchen spielen? Dann sollte er das tun. Obwohl... Nagi sah auf das Haus und ein Gedanke begann sich zu formen. Was, wenn er die Gelegenheit nutzte, um den unausstehlichen Deutschen endgültig loszuwerden? Niemand würde es merken. Er konnte Weiß die Schuld dafür in die Schuhe schieben und sie dabei gleich noch mit erledigen. Das Licht spiegelte sich in seinen Augen, die dunkel wurden, als er die Hände ausstreckte, um zu beenden, was die Explosionen angefangen hatten. Er wand seine Kräfte um die tragenden Wände und spannte sich an, um sie zum Einsturz zu bringen. Es war schwer, schwerer als er gedacht hatte. In seinen Ohren fiepte es immer noch und sein Knöchel schmerzte. Er griff tief hinein und versuchte den Hass, den er in sich trug, zu mobilisieren. Langsam aber stetig nahmen die Kräfte zu. Die Wände begannen zu zittern, Fensterscheiben vibrierten, etwas knirschte und knackte, bewegte sich. Gleich. Gleich hatte er es geschafft. Dann würde die zusammenbrechende Ruine seine Probleme ein für alle Mal unter sich begraben. Er spannte sich ein letztes Mal an und ein zufriedener Ausdruck trat auf sein Gesicht. „Sayonara, Schuldig!“   „Es reicht, Nagi“, hörte er plötzlich eine Stimme hinter sich. Er erschrak, die Kräfte glitten ihm aus den Händen. Das Mauerwerk ächzte, als der Druck, der auf ihm lastete, plötzlich verschwand. Crawford! Er drehte sich langsam herum. Der Mann stand auf der andere Seite des Tors, sein Blick ruhte auf Nagi wie ein Stein. Er schluckte. „Crawford...ich...“ „Ich weiß, was du tun wolltest. Wie hat es sich angefühlt?“ Nagi glaubte, sich verhört zu haben. Er überlegte. „Es hat sich...gut angefühlt. Richtig. Berauschend.“ Crawford nickte, als hätte er diese Antwort erwartet. Er schob seine Brille auf dem Nasenrücken zurecht. „Gut, dann hast du deine Lektion für heute gelernt. Komm, wir gehen.“ Nagis Augen huschten kurz zum Haus, aus dem er immer noch das feine Knistern zu vernehmen meinte, das durch die instabile Struktur lief. Er spürte, wie es bebte und schwankte, wie sich die Waage zwischen Bestehen und Zusammenbrechen langsam aber stetig in Richtung letzterem verschob. Die Trümmer würden Schuldig und die anderen unter sich begraben. Er öffnete den Mund und schloss ihn wieder, unentschlossen, ob er Crawford darauf hinweisen sollte, dass immer noch ein Mitglied von Schwarz dort gefangen war. Er warf einen Blick auf den Amerikaner. Crawfords Gesicht schien wie aus Stein gemeißelt. „Du machst dir zu viele Gedanken, Nagi. Das geht dich nichts mehr an. Was jetzt noch passiert, liegt nicht in unseren Händen.“ Widerstrebend folgte er Crawford. Er konnte nicht so recht glauben, dass sie Schuldig tatsächlich zurückließen. Aber andererseits...hatte er nicht genau das gewollt? Fühlte es sich nicht richtig an, dass der Bastard endlich bekam, was er verdient hatte? Seine Lippen verzogen sich zu einem schmalen Lächeln. Vielleicht würde er nun endlich die Gelegenheit bekommen, sich zu beweisen. Wirklich zu zeigen, was in ihm steckte. Wenn Schuldig ihm nicht mehr im Weg stand, würde er zu Crawfords rechter Hand werden. Er war in der Hierarchie gestiegen. Ein Vorteil, den er zu nutzen gedachte. Niemand konnte sagen, dass er nicht anpassungsfähig war. Er würde wachsen und die Lücke ausfüllen, die der Telepath hinterlassen hatte. Er wusste, er konnte das, und er würde es allen beweisen.       Staub rieselte von der Decke, als die Wellen der Explosion auch den Keller erfassten. Abyssinian schloss den Mund und atmete flach, um nichts davon in die Lunge zu kriegen. Er fasste das Katana fester und trat einen Schritt nach vorn. Über ihm waren gedämpfte Geräusche zu hören. Vermutlich Trümmerteile, die zu Boden fielen. Man hörte ein Knirschen und Rutschen, ein dumpfer Aufprall folgte. Danach breitete sich eine dichte, fast obszöne Stille aus, in der man nur noch ihr vielfaches Atmen in der Dunkelheit hören konnte. „Wir sind noch am Leben“, hörte er Balinese sagen. Es klang ehrlich überrascht. „Das war nur ein Vorgeschmack“, antwortete Bombay, die Stimme flach und emotionslos. „Ich habe noch mehr Sprengsätze angebracht. Beim nächsten Mal fliegt das komplette Gebäude in die Luft und wir mit ihm.“   Abyssinian wusste, dass das die Wahrheit war. Es war die Voraussetzung dafür, dass ihr Plan aufging. Jeder von ihnen hatte eine Zielvorgabe, die es galt, zu erreichen. Jeder Plan war echt und jeder von ihnen würde alles daran setzen, seinen jeweiligen Teil umzusetzen, auch wenn er tief im Innersten hoffte, dass er nicht derjenige war, der dieses Wettrennen gewann. Er schob den Gedanken weit weg, bevor er verräterisch nah an die Oberfläche kommen konnte. „Und da sagen die Leute, wir wären wahnsinnig“, hörte er Schuldig aus der Dunkelheit. Es war schwer zu sagen, aber Abyssinian bildete sich ein, ein klein wenig Unsicherheit herauszuhören. So leise wie möglich trat er noch einen Schritt nach vorne und schob sich somit näher an sein Ziel heran. Mit Glück wäre er in ein paar Augenblicken in Schlagreichweite.   In diesem Augenblick erwachten die Neonröhren über seinem Kopf wieder zum Leben. Die flackernde Beleuchtung warf ein ungewohnt grelles Licht auf die Szene im Flur. Er besann sich nicht lange und handelte. Mit einem Schrei warf er sich nach vorne, das Katana zum Streich erhoben. Ken, der wie vermutet vor Schuldig stand, riss die Augen auf. Die Hand auf seinem Mund verschwand, als Schuldig ihn losließ und zurückwich. Abyssinian senkte im letzten Moment das Schwert, ließ sich fallen und riss Ken mit einem gezielten Tritt von den Füßen. Während er weiter nach vorne rutschte, zielt er mit der Schneide auf Schuldig. Der wich weiter zurück und prallte gegen die Wand hinter sich. Etwas surrte durch die Luft und Schuldig griff sich an den Hals. Er stolperte einen Schritt zur Seite. Schon war Balinese hinter ihm und zog die Schlinge um seinen Hals wieder zu. Schuldig Hände glitten nach oben, um ihn zu fassen. Er gab ein gurgelndes Geräusch von sich. Abyssinian sprang mit einem Satz wieder auf den Füßen und setzte Schuldig die Spitze des Katanas auf die Brust. „Es ist vorbei“, sagte er und atmete heftig.   Hinter ihm stürzte Bombay zu Ken, der benommen am Boden saß und sich den Kopf hielt. Seine Lippe blutete und an seinem Arm hatte er einen Verband, war ansonsten jedoch augenscheinlich unverletzte. Bombay redete leise auf ihn ein, während Abyssinian seine Aufmerksamkeit wieder auf seinen Schuldig konzentrierte. „Das kann nicht sein“, fauchte der und seine Augen blitzten wütend auf. „Wie habt ihr...? Ihr seid unwürdig, ein Nichts, ein netter Zeitvertreib, nichts weiter.“ „Ein Zeitvertreib?“, lachte Balinese hinter ihm in einem beinahe gutmütigen Ton. „ Ich habe gesehen, wie deine Art Zeitvertreib mit Ken aussah. Ich glaube, ich verzichte.“ Schuldigs Lippen formten sich zu einem anzüglichen Grinsen. „Ach, ist Abyssinian wirklich so gut? Kann ich mir gar nicht vorstellen. Bei dem Stock in seinem Arsch wirst du nicht viel Platz haben, um ihn zu vögeln. Oder machst du immer für ihn die Beine breit?“ Er keuchte, als Balinese die Schlinge etwas enger zog. „Ich wäre vorsichtig mit dem, was ich sage, wenn mir jemand eine Klinge in die Nähe lebenswichtiger Organe hält, meinst du nicht, Schuldig?“ „Ich habe...“, keuchte Schuldig, „mich immer gerne... mit meinen Opfern unterhalten... Macht die Sache spaßiger.“ „Ich glaube, du verkennst deine Lage“, knurrte Abyssinian. „Du wirst jetzt sterben.“   „Nein!“ Ken war plötzlich wieder auf den Füßen und sah Abyssinian entsetzt an. „Aya, das kannst du nicht tun. Bitte! Du kannst ihn nicht töten.“ Abyssinian entblößte die Zähne. „Sag mir einen guten Grund, warum ich ihn am Leben lassen sollte.“ Bombay schob sich neben Ken und legte ihm die Hand auf den unverletzten Arm. „Ken, ganz ruhig. Du hast einiges durchgemacht in den letzten Tagen. Es wird alles wieder gut werden. Bitte, lass uns das erledigen und dann verschwinden wir.“ „Nein!“, wiederholte Ken und schüttelte den Kopf. In seinen Augen waren Tränen zu sehen. „Ihr dürft ihn nicht töten. Bitte. Ich...er war gut zu mir, er hat...er mag mich.“ „Das waren Lügen, Ken. Nichts als Lügen“, versuchte Bombay zu ihm vorzudringen. „Er hat dich manipuliert, dir etwas vorgemacht.“   Ein prustendes Geräusch füllte die entstandene Stille. Ein mühsam zurückgehaltenes, ein wenig atemloses, raues Kichern. Abyssinian starrte Schuldig an, der sich bemühte, nicht in lautes Lachen auszubrechen. „Oh, ihr solltet eure Gesichter sehen“, keuchte er, bestrebt die Schlinge um seinen Hals nicht noch enger zu ziehen. „Was hast du mit ihm gemacht?“, knurrte Abyssinian und presste die Klinge seines Katanas gegen die halb entblößte Brust. Die Klinge ritzte die Haut und ein feiner Blutfaden rann die Haut hinab Richtung Nabel. „Hey, hey, kein Grund, gleich grob zu werden“, fauchte Schuldig. „Dein Lover kann einem wirklich leid tun. Nimmst du ihn auch immer so hart ran? Ich könnte mir vorstellen, du bist der Typ für Fesseln, Knebel und solchen Kram. Peitschst du ihn aus, wenn er unartig war? Geht dir dabei einer ab?“ „Es reicht!“ Anscheinend hatte jetzt auch Balineses Geduld ein Ende. „Sag uns jetzt endlich, was mit Ken los ist.“ Schuldig seufzte theatralisch. „Also gerade du solltest das doch erkennen. Der arme Junge ist schwer verliebt. Es würde ihm das Herz brechen, wenn ihr mich tötet. Also los, nur zu! Rammt mir die Klinge ins Herz und seht zu, was passiert. Ich könnte mir denken, dass das eine nette Vorstellung wird.“ „Nein!“ Ken Stimme war inzwischen zu einem Wimmer verkommen. „Ich verstehe das alles nicht. Was tut ihr hier? Woher habt ihr die Waffen? Was ist hier los?“ Bombays Augen irrten von einem zum anderen. „Was meint er damit? Ich dachte, er wäre froh uns zu sehen. Stattdessen scheint es eher so, als hätte er vor uns Angst.“ Er runzelte die Stirn. „Könnte das dieses Stockholm-Syndroms ein? Ihr wisst, wo sich die Opfer mit den Tätern verbünden?“ Schuldig kicherte erneut. „Oh, dieses Kätzchen ist ja richtig schlau. Man könnte es fast annehmen, nicht wahr? Ich meine, meine einnehmende Persönlichkeit spricht dafür, aber ich verrate euch, es ist noch mehr als das.“ Er sah zu Ken hinüber. „Hey, Kätzchen, wo arbeitest du?“ Ken sah verwirrt aus. „In einem Blumenladen zusammen mit Omi, Aya und Yoji.“ Schuldigs Grinsen wurde breiter. „Und warum sind die drei jetzt hier in voller Montur und mit Waffen erschienen?“ „Ich...ich habe nicht die leiseste Ahnung. Ich sehe sie so heute zum ersten Mal.“                 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)