Freunde mit gewissen Vorzügen von Maginisha ================================================================================ Kapitel 24: ------------ Yoji hob den Deckel des Picknickkorbs, der auf dem Küchentisch stand, inspizierte den Inhalt und ließ den Deckel enttäuscht wieder sinken. „Das ist das bescheidenste Picknick, das ich je gesehen habe“, stellte er fest. „Ich meine, ich habe ja kein Bier wartet, aber wenigstens etwas zu Essen. Da ist nur Ausrüstung drin.“ Aya hob eine Augenbraue. In geschminktem Zustand sah das irgendwie noch beeindruckender aus als sonst. Der violette Seidenstoff raschelte leise, als er sich bewegte. „Wenn du etwas essen willst, hättest du einkaufen sollen“, bemerkte er und überprüfte noch einmal den Sitz des Messers an seinem Oberschenkel. Um daran zu kommen, würde er zwar den Kimono auf höchst undamenhafte Weise lüften müssen, aber wenn es dazu kam, war die Verkleidung vermutlich ohnehin wertlos geworden. „Ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber ich war beschäftigt“, gab Yoji zurück, ließ sich auf einen Küchenstuhl fallen und fischte seine Zigaretten aus der Hemdtasche. Ein breites Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er sich eine davon anzündete. „Sehr beschäftigt sogar. Bis tief in die Nacht.“ Aya rollte nur mit den Augen, nahm ihm die Zigarette aus dem Mund und drückte sie in der Küchenspüle aus. „Hier wird nicht geraucht.“ „Hey!“ protestierte Yoji. „Seit wann das denn nicht?“ „Seit ich hier in einem Kimono herumlaufe und keine Brandlöcher gebrauchen kann. Außerdem ist es deine Sache, wenn du an Lungenkrebs sterben willst. Ich habe das nicht vor.“ „Als wenn ich dafür lang genug leben würde“, murmelte Yoji und ließ sich auf seine gekreuzten Arme auf dem Tisch sinken. „Wo bleibt eigentlich Omi? Ich schwitze in diesem Polyester-Alptraum von einem Anzug und der falsche Bart juckt.“ „Pass auf, dass du ihn nicht abreißt“, erinnerte Aya ihn und verließ die Küche. Nein, eigentlich schwebte er eher. Yoji musste zugeben, dass Manx wirklich gute Arbeit geleistet hatte. Er juckte noch einmal an dem falschen Gesichtshaar herum, das Omi ihm heute Morgen verpasst hatte. Ein regelrechter Vollbart hatte es sein müssen. Alle Einwände, dass ihn das völlig verunstalten würde, hatte der Junge mit einem Lächeln und der Antwort „Aber das soll er doch auch“ abgetan. Also war Yoji jetzt Bart- und Brillenträger. Er fand es ja etwas dick aufgetragen, aber im Gegensatz zu Aya durfte er sich wohl nicht beschweren. Trotzdem war er der Meinung, dass der in dem Kimono absolut heiß aussah. Mit Chance würde er ihn ja nachher entkleiden dürfen. Er lächelte bei der Vorstellung.   „Hör auf, an etwas Unanständiges zu denken, wenn dein Kind anwesend ist, Yoji-kun.“ „Huh?“ Yoji blinzelte und sah mit einem Mal Omi vor sich in der Küche. Oder vielleicht eine jüngere Version davon. Er hatte Omi ja öfter schon damit aufgezogen, dass er zu klein war für sein Alter und aussah, als wäre er noch in der Mittelschule, aber heute hatte der Junge es wirklich darauf angelegt. Er trug dunkelblaue Shorts und auf seinem Kopf saß eine rote Baseballkappe, deren Schirm er nach hinten gedreht hatte. Als er die Tüten, die er in den Händen trug, auf dem Tisch abstellte, wurde Yoji nun auch des Zwischenstücks gewahr. Ein weißes T-Shirt mit einem... „Häschen?“ Yoji lachte überrascht auf. „Ernsthaft jetzt, Omi?“ Er betrachtete das skurrile Ding, das aussah, als hätte es ein Fünfjähriger gemalt. Darüber stand mit großen, bunten Buchstaben „Chappy forever“. Es verfehlte seine Wirkung allerdings nicht, denn der kindische Aufdruck ließ Omi noch um ein bis zwei Jahre jünger wirken. Omi verdrehte die Augen. „Du hast ja keine Ahnung, Yoji-kun. Hier, pack lieber die Bento-Boxen ein, die ich besorgt habe. Wir müssen immerhin den Eindruck erwecken, wir wären zum Picknick dort. Ich hätte ja selbst was gemacht, aber ich hatte einfach keine Zeit.“ „Omi, ich könnte dich küssen“, rief Yoji begeistert, ignorierte den Blick, den er dafür erntete, und klappte die Deckel der fertigen Boxen und atmete den Duft ein. „Ich sterbe vor Hunger. Wann brechen wir auf?“ „Wenn ihr soweit seid, können wir los. Wo ist Mama?“ Yoji verschluckte sich beinahe an dem Stück Fisch, das er aus einer der Boxen herausgeangelt hatte. Omi klopfte ihm hilfreich auf den Rücken. „Alles in Ordnung, Papa?“ „Ack!“, krächzte Yoji und musste noch mehr husten. Mit tränenverschleiertem Blick richtete er einen drohenden Zeigefinger auf Omi „Wage es nicht, mich noch einmal so zu nennen.“ Omi verdrehte erneut die Augen und seufzte: „Aber Yoji-kun, das gehört doch zu unserer Tarnung. Du solltest auch anfangen, mich Makoto zu nennen. Du erinnerst dich daran, dass wir das alles besprochen haben?“ Dunkel stiegen Erinnerungen daran in Yojis Kopf auf. Allerdings war er während Omis Ausführungen damit beschäftigt gewesen, Ayas Verwandlung von einem anbetungswürdigen, jungen Mann, in eine wirklich ansehliche, junge Frau zu beobachten. Anscheinend hatte er dabei einige Details verpasst. „Aber Omi, versteht doch. Wenn du mich die ganze Zeit Papa nennst, werde ich nächtelang nachts nicht schlafen können. Das ist mein schlimmster Alptraum.“ Omis Augenbrauen zogen sich zu einem dunklen Strich zusammen. Hatte er die etwa auch gefärbt? „Du bekommst Alpträume? Was soll ich denn sagen? Immerhin bist du mein Vater und Aya meine Mutter! Wenn das kein Stoff für Alpträume ist, dann weiß ich auch nicht.“ Omi fing an, die Bentoboxen in den Picknickkorb zu stopfen und murmelte noch etwas, das Yoji nicht verstand, und klappte mit einem wütenden Schnauben den Deckel zu. Yoji setzte ein entschuldigendes Lächeln auf. „Hey, Chibi, war doch nicht so gemeint. Du bist der beste Sohn, den man sich wünschen kann.“ Er räusperte sich. „Also wenn ich einen hätte, was ich nicht habe. Du weißt schon, Verhütung und so. Immer schön daran denken, wenn du mit einem Mädchen intim wirst, nicht wahr?“ „YOJI!“ Omi machte ein gequältes Gesicht und hielt sich die Ohren zu. Yoji grinste ihn an „Was? Ich versuche doch nur, ein verantwortungsvoller Vater zu sein. Und sag Papa zu mir, Makoto. Was sollen sonst die Leute denken.“ Er versuchte Omi in eine väterliche Umarmung zu ziehen, woraufhin dieser sich mit einem spitzen Schrei in eine Küchenecke flüchtete. Yoji nahm das zum Anlass, sich wie ein Bär mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu stürzen und ihn in einen Schwitzkasten zu nehmen, während Omi sein Bein mit trommelnden Fäusten bearbeitete. Yoji ließ ihn lachend los, schnappte sich seine Hände und drehte sie auf den Rücken. Omi trat ihm mit einem triumphierenden Laut auf den Fuß und Yoji heulte auf, hielt ihn aber weiter fest.   „Wenn ihr dann fertig seid mit Herumalbern?“ Ayas Stimme glich einem Eimer mit Eiswasser, der sich über die beiden Herumbalgenden ergoss. Sofort ließ Yoji Omi los, richtete sich mit einem schuldbewussten Gesichtsausdruck auf und richtete seine Krawatte. Omi fischte seine Mütze vom Boden, setzte sie wieder auf und stellte sich ebenso kerzengerade wie Yoji in der Küche auf. Er unterdrückte mit Mühe ein Kichern. Aya maß sie beide mit einem abschätzigen Blick. „Wir sollten aufbrechen. Je früher wir ankommen, desto eher können wir uns eine strategisch günstige Position sichern.“ „Natürlich, Mutter“, erwiderte Omi mit todernstem Gesicht. Aya schnaubte nur, drehte sich auf dem Absatz herum und entschwebte in Richtung Erdgeschoss. Yoji und Omi sahen sich an. „Wir stehen ganz schön unterm Pantoffel, oder?“, grinste Yoji und Omi nickte zustimmend. „Aber so was von.“     Sie hatten beschlossen, mit dem Bus zum Park zu fahren, da sie vermeiden wollten, dass Schwarz eines ihrer Fahrzeuge wiedererkannte. Immerhin waren sowohl der Porsche, wie auch der Seven nicht eben unauffällig. An der Bushaltestelle standen bereits einige Fahrgäste, als sie mit Yoji an der Spitze dort eintrafen. Aya stellte sich mit gesenkte Kopf neben ihn und verbarg sein Gesicht hinter einem Fächer. Im Grunde war das aufgrund der wirklich guten Verkleidung nicht notwendig, zumal sich niemand besonders um sie kümmerte. Zwei junge Mädchen bewunderten zwar offensichtlich das Outfit, aber ansonsten wirkten sie anscheinend überzeugend. Omi nahm das zum Anlass, sich an das Schild der Bushaltestelle zu hängen. Anscheinend entsprach das seinem Bild vom Verhalten eines Zwölfjährigen. „Makoto, komm da runter“, wies Yoji ihn auch gleich zurecht und erntete einen anerkennenden Blick von Omi, der sich gehorsam neben Aya stellte und sich benahm, als könne er kein Wässerchen trüben. Yoji warf einen Blick auf seine kleine „Familie“ und stellte fest, dass er den Fluchtinstinkt inzwischen schon gut unter Kontrolle hatte. Vor allem, als Aya ihm über den Rand des Fächers hinweg einen Blick zuwarf, der ihn dankbar dafür sein ließ, dass er tatsächlich mit diesem wunderschönen Geschöpf ins Bett gehen durfte. Schnell blickte er in die andere Richtung, bevor Omi sich schon wieder über ihn beschweren konnte.   „Sie machen wohl einen Ausflug“, hörte er eine brüchige Stimme von irgendwo in Hüfthöhe. Als er nach unten sah, stand dort eine sehr alte und sehr verschrumpelte Frau, die ihn mit einem Gesicht wie ein Bratapfel anlächelte. Er erwiderte das Lächeln. „Ja, meine Frau war zur Zeit des Hanami krank, daher holen wir das heute nach. Wir hatten in Betracht gezogen, nach Sendai zu reisen, aber ich habe keinen Urlaub bekommen.“ Die Frau lächelte wieder. „Ja ja, mein Mann und ich haben auch jedes Jahr die Kirschblüte angesehen. Er hat sich immer einen ganzen Tag lang Zeit genommen und er hat mich immer genauso verliebt angesehen, wie Sie Ihre Frau. Sie müssen ein sehr glücklicher Mann sein.“   Sie brabbelte noch weiter, aber in Yojis Kopf hallten immer noch die Worte nach, die sie gerade gesagt hatte. Er warf einen vorsichtigen Blick in Ayas Richtung und atmete erleichtert auf, als er sah, dass dieser die alte Frau anscheinend nicht gehört hatte. Das hätte zu höchst peinlichen Verwicklungen führen können. So etwas konnten sie gerade nicht brauchen. Sie waren auf einer Mission, wenngleich auch auf einer sehr ungewöhnlichen. Um Fassung bemüht, lächelte und nickte er weiter, ohne der alten Dame weiter zuzuhören, und war erleichtert, als endlich ein Bus kam, in den die Alte einstieg. Da sie erst den nächsten nahmen, hatte er genug Zeit, sich wieder in Missionsmodus zu bringen. Das böse, große L-Wort schob er dabei ganz tief in eine Schublade und warf den Schlüssel weg. Er wusste, wie Aya zu dem Thema stand, und würde garantiert nicht den Fehler machen, dieses Schlachtfeld zu eröffnen. Es war eines, auf dem er nur verlieren konnte.             Mit Mühe stemmte Ken sich aus dem Bett hoch und stöhnte. Sein Körper fühlte sich ausgelaugt an, wund, fast wie ein Kater, nur dass er Schmerzen an den falschen Stellen hatte. Erinnerungsfetzen gaukelten wie umherfliegende Asche durch seinen Geist und setzten sich nur langsam zu einem Bild zusammen. Haut an Haut, ein Gewicht, das ihn unten hielt, das Gefühl, als seine Kleider abgestreift wurden. Er atmete, schluckte trocken. Er hatte Durst, seine Kehle fühlte sich heiser und rau an. Geräusche, Atmen, Stöhnen, ein Schrei, sein Schrei, eine Hand, die sich auf seinen Mund legte, geflüsterte Worte in der Dunkelheit, feuchter Atem auf seiner Haut. Er schwang die Beine aus dem Bett und erschrak, als er etwas unter seinem nackten Fuß spürte. Er sah nach unten und erblickte neben seinen Kleidern ein kleines, aufgerissenes Päckchen. Ein Rascheln und Knistern und eine kurze Pause, bevor der Schmerz kam. Hitze, Kälte, Lust, der Geruch von Schweiß und Blut und Sex. Ein Aufstöhnen, Finger, die sich in seine Hüfte krallten. Er sah an sich herab und bemerkte die dunklen Stellen, an denen eben diese Finger gelegen hatten. Spuren, die sich nicht abwaschen lassen würden. Er verzog bei dem Gedanken das Gesicht. Waschen klang gut. Er brauchte dringend eine Dusche. Als er sich erhob, hätte er beinahe laut aufgekeucht. Ein scharfes Ziehen riss durch seinen Unterkörper und ihm kam unwillkürlich der Gedanken, dass Schuldig beim nächsten Mal hoffentlich sanfter sein würde. Der Schmerz ebbte zu einem dumpfen Pochen an und er begann sich langsam in Richtung Badezimmer zu bewegen. Hatte er gerade gedacht beim nächsten Mal? Er beschloss, diesen Gedanken nicht weiter auszuführen. Gehen und ähnliche Körperfunktionen beanspruchten gerade zu viel Gehirnkapazität. Selbst in die Wanne zu steigen bereitete so viel Mühe, dass ihn nur die Aussicht auf das warme Wasser auf seinen ächzenden Muskeln überhaupt damit fortfahren ließ.   Als er es endlich geschaffte hatte, sich zu setzen und den Wasserstrahl in Gang zu setzen, fühlte er langsam wieder Wärme in sich aufsteigen. Eine Hand, die über seinen Rücken strich, Lippen auf seinem Mund, starke Arme, die ihn hielten. Er seufzte und griff nach der Seife. Wenn er so weitermachte, würde der Tag um sein, bevor er überhaupt angezogen war. 'Guten Morgen, Kätzchen. Gut geschlafen?“ Die Stimme in seinem Kopf ließ ihn auffahren. 'Schuldig!' 'Ja wer denn sonst? Der Weihnachtsmann etwa? Kann ich dich zum Frühstück abholen? Oder sagen wir mal zum Brunch. Es ist schon ziemlich spät.' 'Ich habe so lange geschlafen?' 'Wie ein Stein. Wundert mich nach gestern Nacht überhaupt nicht. Komm einfach hoch, wenn du fertig bist.' Er empfing noch so etwas wie ein Lachen, dann war Schuldig wieder verschwunden. Ken merkte, dass er lächelte. Er atmete tief durch, versuchte den Protest seines Körpers zu ignorieren und beeilte sich, mit dem Waschen fertig zu werden. Er wickelte den blutigen Verband von seinem Arm und erstarrte, als er die Wunden an seinem Arm sah. Erinnere dich!, hallte es kurz durch seinen Kopf und ein scharfes Geräusch wie zerreißender Stoff begleitete den Satz. Ein plötzliches Brennen hinter seiner Schläfe ließ ihn aufstöhnen. Er fluchte lautlos, reinigte die Wunden ohne hinzusehen, und stieg aus dem Wasser. Nach dem Abtrocknen brachte er schnell einen neuen Verband an. Wenn er jetzt etwas nicht brauchen konnte, dann mehr Schmerzen. Außerdem beflügelte ihn der Gedanke, endlich aus diesem Loch herauszukommen.   Als er wenig später die weiß geflieste Kellertreppe hinaufging, war ihm ein wenig eigenartig zumute. Er hatte keine Ahnung, wie lange er schon hier unten war. Eine Woche vielleicht oder länger? Er wusste es nicht genau. Ohne Uhr oder einen regelmäßigen Tagesablauf fiel es ihm schwer abzuschätzen, wie lange er wohl schon gefangen gehalten wurde. In jedem Fall lange genug, um die Tür am oberen Ende der Treppe zu einem echten Hindernis zu machen. Es fühlte sich ein wenig so an, als würde er eine andere Welt betreten. Eine ganz andere Welt, wie sich herausstellte, als er es endlich gewagt hatte, die Tür zu öffnen und hindurchzugehen. Er stand in einem weitläufigen Flur und blinzelte gegen die Helligkeit an. Das durch die großen Fenster neben der Haustür einfallende Tageslicht war so ganz anders als die Neonröhren, an die seine Augen mittlerweile gewöhnt waren. Helles Holz und cremefarbene Wände ließen den hohen Raum noch größer wirken. Auf dem hellen Steinboden (Marmor?) lag ein dicker Teppich mit einem grafischen Muster. Ken trat aus der Kellertür und schloss diese. Sie fügte sich nahtlos in die Wand ein und war, wenn man nicht wusste, wonach man suchte, nahezu unsichtbar. Langsam trat er in den Flur hinaus. Er scheute sich fast, den Teppich zu betreten, doch dann schalt er sich albern und wagte einen ersten Schritt. Der Stoff war weich und irgendwie luxuriös unter seinen Füßen, die nur in nicht ganz sauberen Socken steckten. Er hatte mangels Alternative noch einmal die Sachen vom Vortag anziehen müssen. Jetzt kam er sich seltsam deplatziert vor.   Über der Wand mit der Kellertür eröffnete sich eine ebenfalls aus hellem Holz gefertigte Treppe nach oben, wo sich vermutlich die Schlafräume befanden. Es gab außer der Haustür noch zwei weitere Türen, von denen eine geschlossen hinter ihm lag, und eine halb geöffnet die Sicht auf das Wohnzimmer freigab. Er wollte schon hindurchgehen, als sein Blick auf die Wand neben der Tür fiel. Dort hing ein großer Spiegel. Ohne lang darüber nachzudenken, trat er davor und betrachtete sich. Er war blass, dunkle Ringe langen unter seinen Augen und seine Wangenknochen traten deutlicher als normal hervor. Die Haare hingen ein wenig wirr um den Kopf und er beeilte sich, sie mit den Fingern glattzustreichen. Die Wirkung war nur wenig überzeugend. Er sah immer noch aus, als hätte er die Nacht unter einer Brücke verbracht. „Muss eine saubere Brücke gewesen sein“, hörte er eine amüsierte Stimme neben sich. Ken drehte den Kopf und sah Schuldig, der in der Tür lehnte und ihn betrachtete. Der Mann trug eine helle Hose und ein grünes Hemd, das verboten weit aufgeknöpft war. Er wirkte frisch, ausgeruht und seltsam lebendig. Irgendwie knackig und...sexy. Schuldigs Mundwinkel verzogen sich zu einem Grinsen. „Wenn du weiter so etwas denkst, kommen wir nie zum Essen.“ Er zwinkerte Ken zu und verschwand wieder im Wohnzimmer. Langsam folgte Ken ihm und betrat den Raum, den er schon einmal flüchtig gesehen hatte. Auch hier herrschten helle Farben und teuer aussehendes Mobiliar vor. Was immer Schwarz auch tat, schien Geld mit sich zu bringen. „Es lässt sich davon leben“, antwortete Schuldig ungefragt und deutete auf einen Stuhl am Tresen, der den Küchenbereich abtrennte. „Setz dich und iss.“ Der hohe Barhocker stellte eine neue Herausforderung dar und das Sitzen an sich war nicht das Bequemste. Ken verzog das Gesicht und war kurz davor, sich wieder hinzustellen. Allein die Aussicht, wieder einmal ein Essen an einem richtigen Tisch einzunehmen, ließ ihn durchhalten. Das kleine, wissende Lächeln, das den Mund seines Gegenübers umspielte, tat sein Übriges. Er fühlte, wie seine Wangen zu brennen begannen, beugte sich tiefer über seinen Teller und begann zu essen. In der Küche wurde eine Schublade geöffnet, etwas knisterte und kurz darauf plingten zwei Tabletten auf das Porzellan vor ihm. Er hielt den Blick gesenkt, während er sich die Schmerzmittel in den Mund steckte und mit dem Saft hinunterspülte, der neben seinem Teller stand. Die Situation war so eigenartig, dass er sich von Minute zu Minute unwohler fühlte und sich fast danach sehnte, wieder in seiner Zelle im Keller zu sitzen. Die plötzliche Weite und Freiheit machte ihm Angst. Er gehörte irgendwie nicht hierher. „Mach dir nicht so viele Gedanken, Kätzchen“, raunte Schuldig ihm ins Ohr. Wie es kam, dass er plötzlich hinter ihm stand, entzog sich Kens Verständnis. Er hätte schwören können, dass der Mann gerade noch in der Küche gestanden hatte. Er spürte Hände, die über seine Seiten glitten, und versteifte sich. „Keine Angst. Nur ein bisschen Nähe, in Ordnung?“ Ken nickte automatisch und kaute unbeholfen weiter. Er nahm noch einen Schluck aus seinem Glas und beschloss, dass er satt war. Mit ein wenig Mühe drehte er sich auf dem Barhocker herum und saß Schuldig jetzt genau gegenüber. Der Hocker war so hoch, dass er ihm mühelos in die Augen sehen konnte. „Du hast da was“, sagte Schuldig, öffnete den Mund und leckte mit seiner Zunge einmal quer über Kens Lippen. Er prickelte und hinterließ einen feuchten, kühlen Film. Ken schauderte. In Schuldigs Augen erschien ein spöttisches Funkeln. „Immer noch so schüchtern, Kätzchen?“, lachte er leise. „Das gefällt mir so an dir. Unter der rauen Schale steckt ein butterweicher Kern. Ich möchte dich in den Mund stecken und so lange an dir herum lutschen, bis ich in dein köstliches Innerstes vorstoße.“ Schuldigs Worte verfehlten ihre Wirkung nicht und Ken merkte, wie ihm in dem dicken Sweatshirt heiß wurde. Er begann zu schwitzen und spürte trotzdem noch die Wärme, die von dem Körper vor ihm ausging. Er schluckte langsam. Ohne es wirklich zu wollen, griff er nach vorne, fasste den Aufschlag von Schuldigs Hemd und zog den Mann an sich. Ihre Lippen fanden sich zu einem Kuss, der heißkalte Schauer durch seinen Körper sandte. „Ein eifriges Kätzchen“, schnurrte Schuldig. „Man könnte denken, du hättest erst einmal genug, aber wie es scheint, kannst du den Hals einfach nicht voll genug kriegen. Oder vielleicht andere Körperteile? Hast du es schon mal im Freien gemacht?“ Ken senkte den Blick und schüttelte den Kopf. „Ich...ich hab nicht...so viel Erfahrung.“ Schuldig lachte leise. „Erzähl mir davon. Was hast du bisher ausprobiert?“ Ken spürte, dass er schon wieder rot wurde. Er konnte nicht einmal wütend darüber sein. Viel lieber hätte er sich irgendwo in einem Loch verkrochen und gewartet, dass es vorbei war. 'Es wird aber nicht vorbei sein. Also los, erzähl mir etwas. Amüsiere mich, Kätzchen.' „Ich...es war...“, begann er stockend. „Es war nur ein Mädchen. Sie war die ältere Schwester eines Mannschafts-Kameraden beim Fußball. Hat ihn immer vom Training abgeholt. Eines Tages, als er länger brauchte, habe ich ihr Gesellschaft geleistet. Wir kamen ins Gespräch und...“ „Und dann hat sie dich verführt?“, beendete Schuldig seinen Satz. „Wie rührend. Durftest du sie ansehen oder habt ihr das Licht ausgemacht?“ Ken schwieg. Seine Ohren glühten und er wusste nicht mehr, wo er hingucken sollte. „Ok, verstehe. Das Licht war aus. Meine Güte, wie lahm. War es wenigstens gut?“ Ken wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Es war...okay gewesen. Aufregend und irgendwie peinlich und auch ein bisschen komisch. Außerdem war es inzwischen so lange her und dann war da die Sache mit Kase dazwischen gekommen. Seit dem hatte sich so viel geändert.   „Ah, jetzt habe ich die Stimmung ruiniert. Tut mir leid, Kätzchen.“ Schuldig hatte ein Lächeln aufgesetzt. Er ließ Ken los, trat an die Glastür, die zum Garten führte, und öffnete sie. Warmer Frühlingswind blies herein und fuhr in Ken Haare. „Komm, ich zeige dir den Garten. Vom Zaun aus kann man den Park sehen. Ich wette, da ist heute einiges los. Wenn du möchtest, darfst du mal einen Blick werfen.“ Schuldig schickte noch ein paar anzügliche Ideen hinterher, was genau er am Zaun mit Ken zu tun gedachte, während draußen die Familien und andere Parkbesucher vollkommen ahnungslos nur ein paar Meter von ihnen entfernt vorbeigingen. Ken befand, dass er mit seinem Sweatshirt definitiv zu warm angezogen war. Wenn Schuldig so weiter machte, würde er gleich noch einmal duschen müssen. Er glitt vorsichtig vom Barhocker und ging auf die Tür zu, auf deren anderer Seite Schuldig bereits im hellen Sonnenschein stand und auf ihn wartete. Er streckte die Hand nach dem Türrahmen aus, um über die Schwelle zu treten, als er sich plötzlich nicht mehr bewegen konnte.         „Uff.“ Omi ließ sich neben Yoji auf die Picknickdecke plumpsen, griff nach einer der Bentoboxen und verspeiste innerhalb kürzester Zeit den halben Inhalt. Kauend wies er auf die Drohne, die neben ihm im Gras lag. „Das erste Haus war ein Reinfall. Es steht momentan leer.“ „Sieht es möglicherweise nur so aus?“, fragte Aya nach. Von weitem hätte man sie sicherlich für eine ganz normale Familie halten können, die im Schatten des ausladenden Sonnenschirms ein gemütliches Essen veranstaltete. Nur wenn man wirklich genau hinsah, konnte man die wachsamen Blicke bemerken, mit den sie alle die Umgebung nach Verdächtigen absuchten. Omi schüttelte den Kopf. „Es arbeiten Handwerker darin. Ich habe wirklich von allen Seiten nachgesehen. Da kann sich niemand verstecken.“ „Gut“, nickte Aya und wies in Richtung des zweiten, infrage kommende Anwesens. „Das da als nächstes. Brauchst du Unterstützung?“ Omi verneinte erneut. „Wenn zwei Leute auf den Monitor gucken, wäre das nur umso auffälliger. Sobald ich was sehe, hole ich euch.“ „Gut O...äh Makoto. Dann werden ich und deine Mutter einfach noch ein wenig unterhalten.“ Omi schenkte Yoji noch einen argwöhnischen Blick, bevor er die Mütze wieder tief ins Gesicht zog und sich auf den Weg zum zweiten Haus machte. Yoji lehnte sich zurück auf seinen Ellenbogen und betrachtete Aya von schräg unten. „Weißt du, an so eine Art Observierung könnte ich mich gewöhnen. Omi rennt die ganze Zeit herum und ich kann hier liegen und dich ansehen.“ „Nur dass ich mir gerade nicht besonders ähnlich sehe“, stellte Aya klar und senkte für einen Augenblick den Fächer, um ebenfalls nach etwas zu Essen zu greifen. Yoji fing seine Hand ab, küsste seine Fingerspitzen und legte sie dann zurück in Ayas Schoß. „Lass mich das machen.“ Er griff nach einem Bissen und hielt ihn vor Ayas Lippen. Der hob fragend eine Augenbraue. „Darf ein Mann seine Frau nicht füttern?“ „Nicht in der Öffentlichkeit“, war die sachliche Antwort. Aya öffnete trotzdem den Mund und ließ sich den Bissen hineinschieben. Er hob den Fächer wieder, während er kaute. „Ah, wenn ich mit dir verheiratet wäre, wäre mir das vollkommen egal“, antwortete Yoji mit einem breiten Lächeln. „Man wundert sich, dass du bei deinen ganzen Dates nie verhaftet worden bist, wenn du dich so benimmst“, warf Aya ihm vor die Füße und scannte über den Ran des Fächers hinweg weiter die Umgebung. „Die Damen müssen sich ja in Grund und Boden geschämt haben.“ „Hey, ich bin ein Gentleman. Ich bin niemals einer Dame in der Öffentlichkeit zu nahe getreten.“ Yoji richtete sich auf und faltete die Arme vor der Brust. „Es hat sich zumindest nie jemand beschwert.“ „Dann liegt es also an mir, dass du deine Finger nicht bei dir behalten kannst?“ Die Frage kam so unverhofft und in einem derart gleichgültigen Ton, dass Yoji zunächst dachte, er hätte sich verhört. Dann jedoch breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. Da lag also der Hase im Pfeffer. Aya war in Spiellaune? Noch dazu auf einer Mission? Nun, das konnte er haben. „Ich weiß nicht. Gibt es denn etwas unter diesen Unmengen von Stoff, auf das ich meine Finger legen könnte? Deine Brust? Deinen Bauch? Deine Schenkel? Oder vielleicht noch etwas dazwischen? Ich sehe meinen Verdacht erhärtet, dass ich dort etwas finden könne, das meine Aufmerksamkeit erregt.“ Er konnte Ayas Gesicht hinter dem weißen Stoff mit den Kirschblüten darauf zwar nicht sehen, aber die amethystfarbenen Augen, die ihn drüber hinweg anfunkelten, ließen fast vermuten, dass Aya lächelte. Vielleicht sogar lachte. Yoji wünschte in diesem Augenblick den Fächer, den Kimono, ja die ganze Observation zum Teufel, wenn er nur dieses Lächeln sehen könnte. Er wollte eben die Hand heben, um den Fächer herunterzudrücken, als er hinter sich Schritte hörte. In fliegendem Tempo kam Omi angeprescht und sank neben Yoji auf die Knie. Sein Atem ging stoßweise und er nahm dankbar die Getränkedose entgegen, die Yoji ihm reichte. Als er endlich wieder zu Atem gekommen war, zischte er aufgeregt: „Ich habe sie gefunden. Ich habe sie wirklich gefunden. Und es kommt noch besser. Ich habe Ken gesehen.“ „Was?“ Sofort waren alle Gedanken an Flirten und andere Dinge vergessen. „Ihr müsst sofort mitkommen. Wenn wir Glück haben, können wir gleich zugreifen.“ Aya legte eine Hand auf Omis bebende Schulter. „Du weißt, dass das nicht geht. Wir können uns nicht Hals über Kopf in so eine Aktion stürzen. Wir werden dir jetzt möglichst unauffällig folgen und dann so viel in Erfahrung bringen, wie wir können. Du weißt, dass das notwendig ist, Omi.“ Omis Unterlippe zitterte. „Aber Aya...“ „Es geht nicht. Du weißt das“, wiederholte Aya noch einmal. „Also lass uns keine Zeit verlieren und das tun, weswegen wir hergekommen sind. Los jetzt.“ Mit einem entschlossenen Nicken erhob sich Omi und fing wieder an, in Richtung des verdächtigen Hauses zu laufen. Yoji erkannte sofort, wie sehr er sich anstrengte, nicht loszurennen. Er sah Aya an und schob seine Brille höher. „Wir gehen schon mal vor“, beschloss er. „Du kommst nach und versuchst, nicht allzu einsam und sexy auszusehen, verstanden?“ Er wartete nicht ab, bis Aya geantwortet hatte und schloss schnell zu Omi auf, damit sie das Grundstück früher erreichten. Er betete nur, dass sie niemand dabei beobachtete.           Ken blinzelte überrascht und versuchte, sich gegen den Druck um ihn herum zu wehren. Zuerst dachte er, Schuldig hätte sich einen Spaß mit ihm erlaubt, aber dieses Gefühl war so ganz anders als die telepathische Kontrolle, der er bereits ausgesetzt gewesen war. Während er sich dort einfach nur nicht hatte rühren können, hatte er jetzt das Gefühl, dass sich die Luft um ihn herum verfestigt hatte. Ein stetiger, kontrollierter Druck, der ihn gefangen hielt und das Atmen schwer machte. Dafür konnte es nur eine Erklärung geben.   „N-Nagi?“ Die Kraft des Jungen hinderte ihn offensichtlich nicht am Sprechen. „Was glaubst du, was du da tust?“ Die Stimme hinter ihm war leise und voller Hass. Ken spürte, wie sich der Druck auf seinen Körper verstärkte. Seine Gedanken rasten. Konnte Schuldig ihn hören? Ihm helfen? In seiner Not wusste er sich nicht anders zu helfen, als laut in Gedanken nach ihm zu rufen. Augenblicke später erschien Schuldig in der Tür vor ihm. Seine Augen waren dunkel vor Zorn „Nagi, was tust du da?“ „Ich bügele deine Fehler aus“, antwortete der Junge. „Crawford hat deutlich gesagt, dass er im Keller bleiben soll.“ Schuldig schnaubte abfällig. „Crawford ist aber nicht da. Ich habe alles unter Kontrolle. Lass ihn los!“ „Ich werde mich an die Anweisungen halten. Wenn du das nicht tun willst, klär das mit Crawford.“ Mit einem Ruck wurde Ken von den Füßen gerissen und krachte gegen die gegenüber liegende Wand. Seine Knochen knackten unter der groben Behandlung und vor seinen Augen tanzten schwarze Punkte, als sein Kopf gegen die Wand schlug. Jetzt endlich konnte er Nagi auch sehen, der einige Schritte vor ihm direkt vor der Zimmertür stand. Er musste den Raum gerade betreten und sofort gehandelt haben.   Schuldig legte ein Lächeln auf sein Gesicht und breitete beschwichtigend die Arme aus. „Komm schon, Nagi. Wir sind doch Kollegen. Wir sollten uns nicht streiten.“ „Vergiss es, Schuldig. Deine Tricks wirken bei mir nicht. Du hast mir beigebracht, wie ich dich ausschließe, schon vergessen?“ „Dann glaubst du also, du wärst vor mir sicher?“, fragte Schuldig leise und Ken lief bei der Frage ein Schauer über den Rücken. Der Ausdruck in Schuldigs Gesicht war mit einem Mal kalt und gefühllos, ein schmales, berechnendes Grinsen hatte das eben noch so freundliche Lächeln abgelöst. „Du meinst also, du könntest mich aus deinem Kopf draußen halten, nur weil du einen kümmerlichen Schild zustande bringst. Du bist nichts. Ein nützlicher Schoßhund, den Crawford sich hält, weil er denkt, dass du zu Höherem fähig bist. Weißt du, was ich denke? Dass er sich irrt. Du hast es nicht in dir. Ein verängstigtes, kleines, dummes Kind bist du, nichts weiter. Na los, lauf zu deiner Mami, Nagi, und verkrieche dich unter ihrem Rock. Ach nein, das hatte ich ganz vergessen. Du hast ja keine Mutter mehr. Du hast sie umgebracht!“ Das letzte Wort hatte Schuldig wie einen Stein auf den schmalen Jungen geschleudert, der unter dem Gesagten bebte, als wäre er geschlagen worden. Schuldig sprach noch weiter, aber Ken hörte ihn nicht mehr. Wie hypnotisiert starrte er auf Nagi, der dastand und schwankte wie ein Grashalm im Wind. Die Kraft um Ken herum schwand mit einem Mal und er konnte sich wieder bewegen. Schnell rappelte er sich auf und kroch vorsichtig ein Stück weit die Wand entlang. Die Luft zwischen Nagi und Schuldig knisterte. „Hör auf!“, schrie Nagi und seine Stimme bebte. „Womit? Damit die Wahrheit zu sagen?“, fauchte Schuldig und seine Haare wehten in einem unsichtbaren Wind, der nur ihn zu erfassen schien. „Dass du schwach bist? Dass du in der neuen Welt nichts zu suchen hast? Dass du der erste sein wirst, denn sie erwischen? Den sie wieder zu einer Laborratte machen werden? Du warst bei Rosenkreuz, ja, aber wie lange? Zwei Jahre? Lächerlich. Du bist noch längst nicht bereit für einen Feldeinsatz. Crawford hat dich nur aus lauter Mitleid zu uns geholt, weil er wusste, dass sie dich im Lager sonst zerbrechen würden. Du bist schwach, Nagi, und wirst es immer bleiben.“ „HÖR AUF!“ Nagis Gesicht war von Tränen überströmt, seine Augen weit aufgerissen. Mit einem schier unmenschlichen Schrei richtete er seine Hände auf Schuldig. Ken ging instinktiv in Deckung und hielt sich die Arme über den Kopf. Es gab einen Knall, ein Gurgeln und dann fiel ein Körper mit einem dumpfen Laut zu Boden. Ken wagte nicht aufzusehen. Er fürchtete, dass auch ihn gleich wieder etwas durch die Luft schleudern und ihm schlichtweg das Genick brechen würde.   Ken erschrak, als er eine Hand auf seiner Schulter fühlte. Als er den Kopf hob, blickte er in Schuldigs Gesicht. „Was? Warum so erstaunt? Du hast doch nicht gedacht, dass ich mich von diesem kleinen Idioten übertölpeln lasse? Da muss er schon früher aufstehen. Wut ist ein toller Katalysator für die Überwindung von psychischen Barrieren. Wer seine Schilde so weit runterfährt, muss sich nicht wundern, wenn ich ihn einfach so ausknocke.“ „Du hast was?“ Ken war sofort auf den Füßen und starrte ungläubig auf den am Boden liegenden Jungen. Er wollte zu ihm gehen, aber Schuldig hielt ihn zurück. „Es geht ihm gut, okay? Er wird nur mit einem ziemlichen Brummschädel aufwachen. Nichts, worüber du dir Sorgen machen musst, Kätzchen.“ Ken nickte geistesabwesend. „W-wollen wir ihn nicht wenigstens auf das Sofa legen?“ Schuldig verzog das Gesicht. „Du musst auch immer den guten Samariter raushängen lassen, oder? Na meinetwegen legen wir ihn aufs Sofa. Ich hoffe, du bist noch an deinem Ausflug interessiert? Das Wetter ist herrlich.“ Ken sah unschlüssig zu Nagi. Eigentlich war ihm die Lust an so ziemlich allem gerade vergangen. Andererseits hatte er kein Interesse daran, alleine im Keller zu hocken, wenn Nagi wieder zu Bewusstsein kam. Wenn er Schuldig nichts anhaben konnte, kam er vielleicht auf die Idee, seine Wut an Ken auszulassen, und auf diese Erfahrung wollte er definitiv gerne verzichten. Er grinste schief. „Na gut, wenn du so fragst, gehen wir raus.“   Er sah zu, wie Schuldig Nagi auf das Sofa warf und ihn mit einer Verbeugung nach draußen beorderte. Mit einem tiefen Atemzug trat Ken nach aus dem Haus, gefolgt von Schuldig, der ihm galant seinen Arm anbot. Ken schüttelt erst den Kopf, aber als Schuldig darauf bestand, ließ er sich von ihm ein wenig durch den Garten führen. Nichtsdestotrotz blieb Beklemmung in seinem Inneren bestehen, bis Schuldig sich plötzlich zu ihm beugte und ihn küsste. Sobald ihre Lippen sich berührten, vergaß Ken den Streit und alles, was damit zusammenhing. Für ihn gab es nur noch Schuldig und das gute Gefühl, durch den Sonnenschein zu spazieren. Er legte den Kopf in den Nacken und ließ sich einfach fallen in das wohlige, tröstende Gefühl der Wärme und die Arme, die sich um seinen Körper geschlungen hatten.           Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)