Freunde mit gewissen Vorzügen von Maginisha ================================================================================ Kapitel 23: ------------ Das heiße Wasser auf seinem Körper war eine Wohltat. Es entspannte seine verhärteten Muskeln und spülte so vieles hinfort, das er in diesem Moment vergessen wollte. Blut, Schweiß und Tränen, Erinnerungen und das Gefühl, eingesperrt zu sein. Für einen flüchtigen Augenblick fühlte es sich gut an, er selbst zu sein. Er ließ einen Fuß nach vorne rutschen und schloss mit den Zehen den Abfluss. Das heiße Wasser begann sich auf der weißen, glatten Fläche zu sammeln und stieg langsam höher. Er saß ganz still und beobachtet, wie die Wasserlinie sich unaufhaltsam nach oben schob. Die Brause der Dusche an seine Brust gepresst, saß er da und sah zu, wie sich die Wanne füllte. Langsam schloss er die Augen und ließ den Kopf nach vorne sinken. Wasser tropfte aus seinen Haaren nach unten. Kalte Tropfen auf der erhitzten Haut, die ihn frösteln ließen. Er stellte den Knopf am Wasserhahn um, sodass das Wasser jetzt wieder aus dem Hahn floss, legte den Schlauch beiseite und ließ sich tiefer in die Wanne sinken. Einen Moment lang überlegte er, ob es eine gute Idee war, hier völlig schutzlos herumzuliegen, aber dann kam ihm der Gedanke lächerlich vor. Er war bereits ein Gefangener. Alles, was die Mitglieder von Schwarz mit ihm zu tun gedachten, konnten sie tun. Egal ob er nun aufpasste oder nicht. Er konnte ebenso gut genießen, was ihm von Schuldig zugebilligt worden war.   Als der Mann heute Morgen zu ihm gekommen war, war Ken bereits wach gewesen. Schuldig hatte ihm persönlich sein Frühstück gebracht und ihm eröffnet, dass er sich in Zukunft frei im Keller bewegen konnte, wenn er sich weiterhin gut führte. Dass er vielleicht sogar weitere Annehmlichkeiten erwerben konnte, wenn er...nun ja...nett zu Schuldig war. Zunächst hatte ihn das Angebot abgeschreckt und er hatte sich eilig davon distanziert. Aber als Schuldig sich dann zu ihm gebeugt hatte, sein Atem über Kens Ohr gestrichen war und er ihm versprochen hatte, dass es nicht zu seinem Schaden sein sollte, hatte sein Widerstand zu wanken begonnen. Jetzt lag er hier in einer heißen Badewanne und versuchte, nicht daran zu denken, auch wenn die kleine Stimme am Rande seines Bewusstseins ihm immer wieder zuflüsterte, dass er doch nichts zu verlieren hatte. Dass Schuldig vielleicht nicht das Monster war, für das er ihn zunächst gehalten hatte. Dass er auch eine andere, menschliche Seite hatte, die er mit ihm zu teilen gedachte. Und dann war da noch eine ganz leise Stimme, die ihm zuraunte, dass er es doch genossen hatte. Dass er es vielleicht, wenn die Dinge anders liegen würden, wirklich mögen könnte, mit einem Mann zusammen zu sein. Mit Schuldig zusammen zu sein. Dass der Mann auf eine exotische Weise attraktiv war und Ken sich mit einem Mal wünschte, er könnte ihn berühren, bei ihm sein, seine Nähe genießen. Vielleicht sogar...mehr. Er errötete bei dem Gedanken und der körperlichen Reaktion, die diese Vorstellung bei ihm auslöste. Er holte tief Luft und tauchte unter, bis seine Lungen zu brennen begannen und das Gefühl der Atemnot seinen Kopf wieder geklärt hatte. Er tauchte wieder aus, schüttelte sich wie ein nasser Hund und wischte sich das Wasser aus den Augen. Anscheinend wurde er wirklich langsam verrückt. Gewundert hätte es ihn nicht.   Obwohl das Wasser noch warm war, hielt ihn plötzlich nichts mehr darin. Er öffnete den Abfluss, stieg aus der Wanne und trocknete sich mit dem bereitgelegten Handtuch ab. Es fühlte sich gut an, mal wieder so richtig sauber zu sein. Die Sachen, die neben dem Waschbecken lagen, waren nicht neu, aber sie versprachen warm und sauber zu sein. Er schlüpfte in die verwaschene Jeans und zog den dunkelblauen Kapuzenpullover über den Kopf. Die angeraute Innenseite legte sich weich und angenehm auf seine geschundene Haut. Die Wunden, die Farfarello ihm zugefügt hatte, waren inzwischen fast alle geschlossen und nur die dünnen, roten Linien erinnerten noch an die Verletzungen. Einige von ihnen hatten bereits begonnen zu verblassen. Er wunderte sich, wie gut die Schnitte heilten und wie wenige von ihnen Narben hinterlassen würden. Anscheinend hatte der Irre trotz allem vorsichtig gearbeitet, auch wenn es sich nicht im Geringsten so angefühlt hatte. Oder er musste im Nachhinein doch dankbar sein für die gute Versorgung, die ihm Schuldig hatte angedeihen lassen.   Als er fertig war, öffnete er die Tür, die zum Flur hinaus führte. Nach der feuchtwarmen Atmosphäre des Badezimmers fühlte sich der restliche Keller unangenehm kühl an und die Luft prickelte auf seinem Gesicht. Es war, als wäre er gegen eine Wand gelaufen. Er zögerte, den Raum zu verlassen, der ihm mit einem Mal wie eine Zufluchtsstätte erschien. Ein eigenartiges Gefühl kroch seinen Rücken hinauf, während er in den hellen Korridor hinausblickte. Ein weiß gefliester Boden, weiße Wände, weiße Türen. Sechs Stück waren es. Eine führte aus dem Keller hinaus nach oben, eine zum Badezimmer, eine zu dem Raum, in dem er gefoltert worden war und eine in die kleine Zelle, in der sein Bett stand. Was sich hinter den restlichen zwei Türen verbarg, wusste er nicht. Vermutlich waren sie ohnehin verschlossen. Da er, wie er sich vor seinem Gang ins Badezimmer versichert hatte, allein im Keller war, gab es eigentlich nichts zu fürchten, und doch zögerte er. War er wirklich allein hier unten? Hatte er vorhin, als er hierher gekommen war, nicht die Tür seines Raums geschlossen? Jetzt stand diese einen kleinen Spalt breit auf. Ein dunkler Strich in dem sonst so makellosen Weiß, über dem helle Neonröhren hingen und selbst den letzten Schatten vertrieben. Fast erwartete er, dass eine von ihnen gleich zu flackern begann und ausging. Wäre dies ein Horrorfilm gewesen, wäre das bestimmt der Fall gewesen. Aber das hier war kein Film! Und es war lächerlich, sich vor einer offenen Tür zu fürchten. Er wusste, was sich dahinter befand.   Er ignorierte das beklemmende Gefühl in seinem Nacken, trat in den Flur hinaus und schloss die Badezimmertür hinter sich. Es klickte, als sie ins Schloss einrastete. Beinahe hätte er die Tür noch einmal geöffnet, nur um sicherzugehen, dass sie sie nicht verschlossen war. Eine unbestimmte Angst hatte von ihm Besitzt ergriffen und ließ seine Kehle eng werden, als er jetzt auf Zehenspitzen über den Flur schlich und auf die Tür zuging, hinter der die Finsternis lauerte. Für einen Augenblick war er versucht, einfach wieder ins Badezimmer zurückzukehren und dort zu warten, bis Schuldig wieder auftauchte. Vielleicht konnte er ihn sogar rufen, wenn er fest genug an ihn dachte? Als ihm bewusste wurde, was er gerade gedachte hatte, schüttelte er den Kopf. Seit wann war er so ein Feigling? Er lockerte seine Schultern, atmete tief durch und griff entschlossen, nach der Klinke. Mit einem Ruck drückte er sie hinunter und öffnete die Tür.     Fast wäre er rückwärts wieder hinaus gestolpert. Der Raum war nicht leer, wie er eigentlich erwartet hatte. Eine Gestalt stand mitten in der kleinen Kammer und hatte ihm den Rücken zugewandt. Sie stand gerade so, dass der Lichtschein der Tür sie nicht erreichte. Aber Ken brauchte kein Licht, um zu wissen, dass es Farfarello war. Die schmale, sehnige Silhouette mit den kurzen, hellen Haaren und den herabhängenden Schultern, hatte er inzwischen oft genug zu gesehen bekommen, um sie überall wiederzuerkennen. Farfarello stand vollkommen reglos und einen Augenblick lang fragte Ken sich, ob er ihn überhaupt bemerkt hatte. Ob er die Tür wieder schließen und ins Bad zurückkehren sollte? Hatte die Tür dort einen Schlüssel? Konnte er sich dort vor ihm verstecken? Oder würde der Irre dies nur zum Anlass nehmen, das dünne Holz zu zertrümmern und ihn durch das mit spitzen Splittern versehene Loch nach draußen zu ziehen? In seinem Kopf wurde Farfarello zu einem blutrünstigen Monster, das nur darauf wartete, sich auf ihn zu stürzen und ihm die Kehle zu zerfetzen. Instinktiv versuchte er flach zu atmen, um sich nicht durch das Geräusch zu verraten, obwohl er wusste, dass das ein sinnloses Unterfangen war. Farfarello wusste, dass er hier war. Natürlich wusste er es. Ken spürte förmlich, dass er es wusste. Ein Schauer rieselte seinen Rücken hinab und ließ ihn unbewusste zittern.   Farfarello bewegte sich. Er legte den Kopf in den Nacken und Ken hörte, wie er tief die Luft einsog. „Du riechst anders“, sagte er mit einem Mal. Ken blinzelte ein paar Mal, bevor die Worte sein Gehirn richtig erreichten. Er lachte auf. Ein nervöses, abgehacktes Lachen, das seine Nervosität nicht im Geringsten verbarg. „Ich war baden. Schuldig hat mir Handtuch, Seife und neue Sachen gebracht.“ Farfarello drehte sich zu ihm herum und ließ seinen Blick einmal über Kens Körper gleiten. Er kehrte zu seinem Gesicht zurück und fixierte ihn mit dem einzelnen, bernsteinfarbenen Auge. Irgendwie war dieser Blick Ken unangenehm. Er wirkte so...wissend. Auf unangenehme Wiese wissend. So als wüsste er etwas über Ken, das ihm selbst verborgen blieb. „Wie bist du hier hereingekommen?“, fragte Ken, um das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. „Die Tür war offen.“ Beinahe hätte Ken wieder gelacht. Ihm wurde bewusste, dass sich seine Hand immer noch an die Türklinke klammerte. Mit einiger Mühe ließ er sie los. „Das habe ich nicht gemeint. Wo kommst du her?“ „Von oben.“ Diese Antwort überraschte Ken. Irgendwie hatte er angenommen, dass Farfarello immer hier unten war. Im nächsten Moment schalt er sich selbst einen Dummkopf. Er hatte doch vorhin gesehen, dass der Keller leer war. Wo sonst hätte der andere Mann wohl sein sollen, wenn nicht oben im Haus? Der Einzige, der hier unten eingesperrt war, war er.   Farfarello bewegte sich und trat in den Lichtschein der Tür. Erst jetzt sah Ken das Messer in seiner Hand aufblitzen. Er spannte sich unwillkürlich an. Wenn es zu einem Kampf kommen würde, wäre er dem Irren hoffnungslos unterlegen. Er bezweifelte, dass ihn dieses Mal wieder jemand rechtzeitig retten würde. Besser er versuchte, ihn nicht zu provozieren. Als Farfarello noch einen Schritt näher trat, musste Ken sich mit aller Mühe beherrschen, nicht sein Heil in der Flucht zu suchen. Wohin hätte er auch fliehen sollen? Sein Herz klopfte so laut in seiner Brust, dass er Angst hatte, der andere könnte es hören. Er wich dem intensiven Starren aus und schlug die Augen nieder. Noch einmal sog Farfarello tief die Luft ein. Er trat ganz nah an Ken heran und eine harte Spitze glitt über seine Wange. Das Messer! Die Klinge wanderte weiter nach unten über sein Kinn, seine Brust, seinen Bauch und stoppte schließlich ein Stück weiter unten. Ken wagte kaum zu atmen. Entgegen besseres Wissen hob er den Kopf und sah Farfarello an. Der hatte den Kopf schief gelegt und musterte ihn mit einem unergründlichen Ausdruck. „Du hast Angst“, stellte er fest. „Warum?“ Die Frage kam so überraschend, dass Ken nicht wusste, was er darauf sagen sollte. Er schluckte. „Ich...ist das nicht offensichtlich? Du hast ein Messer.“ Farfarello sah ihn weiterhin unverwandt an. „Du könntest es mir wegnehmen.“   Ken blinzelte ein paar Mal und stellte fest, dass ihm der Gedanke überhaupt nicht gekommen war. Er hatte tatsächlich mit keiner Silbe daran gedacht, wie er einen möglichen Kampf für sich entscheiden konnte. Wie er sich wehren, den anderen entwaffnen oder sogar überwältigen konnte. Er hatte bereits aufgeben, bevor es überhaupt dazu gekommen war. Es war, als wäre alles, was er über das Kämpfen gelernt hatte, plötzlich nicht mehr greifbar. Verborgen unter dicken Schichten von Staub und Spinnweben. Teil eines anderen Lebens. Eines Lebens, von dem er nicht wusste, ob er dorthin zurückkehren wollte. Hatte er denn jetzt nicht alles, was er brauchte? Farfarello Arm schoss plötzlich vor. Seine Hand schloss sich wie ein Schraubstock um Kens Handgelenk. Er keuchte auf, als der Irre den Stoff des Sweatshirts zurückschob und die scharfe Klinge aufblitzte. Ein heißer Schmerz zuckte durch seinen Arm und die Schneide färbte sich rot. Der Prozess wiederholte sich, bis fünf parallel angeordnete Wunden auf seinem Unterarm prangten. Erst dann ließ Farfarello ihn los. Ken stolperte rückwärts. Blut tropfte von seinem Arm und die Schnitte brannten wie Feuer. Mit weit aufgerissenen Augen sah Ken sein Gegenüber an, dass sich jetzt an ihm vorbei in den Flur schob. Seine Zunge glitt langsam über die Klinge des Messers und Kens Blut färbte das rosafarbene Stück Fleisch dunkel. Es war ein widerlicher Anblick, der seinen Magen zum Rebellieren brachte. Farfarello zog die Zunge wieder in den Mund und bewegte ihn, als würde er den Geschmack des Blutes testen. Er verzog ein wenig das Gesicht. „Das dachte ich mir“, sagte er nur, trat an Ken vorbei und ging auf die Tür am Ende des Flurs zu. Dort angekommen drehte er sich noch einmal um und das eine Auge richtete sich auf Ken, der den blutenden Arm weit von sich gestreckt hatte, um die Sachen nicht beschmutzen, die er gerade erst bekommen hatte. „Sieh hin und erinnere dich“, sagte er, bevor er durch die Tür ging, die leise hinter ihm ins Schloss fiel. Ken stand wie vor den Kopf geschlagen weiterhin im Flur. Irgendwann fiel die seltsame Starre von ihm ab und er fluchte, als er sich der Schmerzen in seinem Arm bewusst wurde. Mit zusammengebissenen Zähnen ging er zurück ins Badezimmer, wusch das Blut ab und wickelte das Handtuch darum, während er in den Schränken nach Verbandszeug suchte. Er fand einige Bandagen und verarztete den Arm so gut es mit einer Hand ging. Die Schnitte pulsierten unter der weißen Gaze und ließen Ken schwindeln. Er war mit einem Mal sehr müde und schleppte sich mit letzter Kraft zu seiner Liege, wo er einschlief, noch bevor sein Kopf das Kissen berührte.       Als Farfarello das Wohnzimmer betrat, lag Schuldig auf der Couch. Der Fernseher lief, aber er hatte den Ton abgeschaltet. Mit geschlossenen Augen lehnte sein Kopf an der Lehne. Als der andere Mann neben das Sofa trat, öffnete er sie. „Du warst bei unserem Kätzchen“, stellte er fest. „Hattest du Spaß?“ Farfarello gab einen unbestimmten Laut von sich. „Du meinst dein Haustier?“ „Meins?“ Schuldig gab sich erstaunt. „Es ist immer noch unseres, mein Freund. Du kannst mit ihm spielen, wann immer du Lust hast, solange du es am Leben lässt.“ Der andere schüttelte den Kopf. „Kein Interesse. Du hast es kaputt gemacht.“ Schuldig hob eine Augenbraue. „Tatsächlich? So kaputt kam es mir noch gar nicht vor. Was hast du mit ihm gemacht?“ „Du weißt, was ich meine.“ Farfarello dreht sich um und ließ Schuldig auf dem Sofa zurück. „Wo gehst du hin?“, rief der ihm nach. „Raus“, war die lapidare Antwort, bevor die Tür klappte. Schuldig überlegte kurz, ob er Farfarello folgen sollte, aber dann beließ er es dabei. Stattdessen lehnte er sich wieder zurück und widmete sich den Träumen seines Kätzchens. Es wäre doch gelacht, wenn er heute nicht noch ein bisschen Spaß mit ihm haben könnte. Ein grausames Lächeln umspielte seine Lippen, während er die Gedanken des Jungen im Keller in die richtige Richtung schob. Er hatte da etwas Interessantes entdeckt und beschloss, das zu seinem Vorteil zu nutzen. Er musste dem kleinen, dummen Ding nur noch die richtigen Ideen geben. Irgendwann würde es nicht mehr wissen, was von ihm selber stammte, und was er ihm eingeflüstert hatte. Nur noch Schuldig war in der Lage, die lautlosen Schreie der ursprünglichen Persönlichkeit zu hören, die sich hinter seinem Netz aus Lügen verbarg. Bis er irgendwann den Vorhang lüften und die ganze Wahrheit enthüllen würde, um sie endgültig zu zerbrechen. Bis dahin gedachte er jedoch, das willige Entgegenkommen seines Gefangenen noch ein wenig länger zu genießen. „Eine Wohltat für Geist und Körper“, sagte er leise zu sich selbst und grinste anzüglich bei der Vorstellung. „Du tust gut daran, mich noch ein wenig zu amüsieren, Kätzchen. Denn wenn du es nicht mehr tust, wird das sehr, sehr hässlich für dich werden.“             Die Sonne schien hell und warm auf den Vorplatz des Krankenhauses. Er konnte die Wärme bis hierher spüren, wo er im Schatten im Auto saß und nach draußen starrte. Die Luft hier drinnen war stickig, er sehnte sich danach auszusteigen. Trotzdem zögerte er. Denn wenn er ausstieg, würde es Wirklichkeit werden und er wusste nicht, ob er das wollte. Sein Blick wanderte zu Yoji, der neben ihm auf dem Beifahrersitz des Porsche saß und eine Zigarette in den Händen hielt. Er drehte sie hin und her und einige Tabakkrümel waren bereits auf seinen Schoß gefallen. Die Sonnenbrille saß direkt vor seinen Augen, so dass Aya sie nicht sehen konnte, als er sich zu ihm herumdrehte. „Weckt Erinnerungen“, sagte er und wies mit dem Kopf auf das Krankenhaus. „Das letzte Mal hatten wir es irgendwie eiliger hineinzukommen.“ Aya wusste, was er meinte. Die Nacht, als er Yoji hierher gebracht hatte, nachdem Farfarello ihn angegriffen hatte. Irgendwie schien das schon eine Ewigkeit her zu sein. Er sah, wie Yoji über die Stelle strich, an der ihn die Klinge verletzt hatte. Inzwischen war davon nicht mehr als eine kleine, Narbe übrig geblieben. Etwas, das mit der Zeit vergessen werden würde wie so viele Verletzungen.   Wieder breitete sich Schweigen zwischen ihnen aus, bis Yoji sich räusperte. „Ich...ich kann auch hierbleiben, wenn du es dir anders überlegt hast.“ „Warum sollte ich?“ Yoji blies sich eine Strähne aus dem Gesicht, die sich auf dem dunklen Pferdeschwanz gestohlen hatte. „Ich weiß nicht. Vielleicht weil...keine Ahnung. War nur so ein Gedanke.“ Er begann wieder, mit der Zigarette in seinen Händen zu spielen. Konnte es sein, dass Yoji nervös war? Aya runzelte die Stirn. Er selbst spürte eine gewisse Vorsicht und Zurückhaltung, aber er hätte nicht gedacht, dass Yoji diesem Besuch so viel Bedeutung beimaß. Worauf hatte er sich da nur eingelassen? „Komm“, sagte er, um das unangenehme Schweigen endlich zu beenden. „Wir wollen sie nicht warten lassen.“ Yoji grinste schief und griff in den Fußraum. Erholte einen Blumenstrauß hervor. Narzissen. Aya hob fragend eine Augenbraue. „Ich...ist das ok? Ich habe gedacht, ich müsste ihr vielleicht ein paar Blumen mitbringen. Ein Florist, der keine Blumen mitbringt, ist ja irgendwie peinlich, oder? Ich habe nicht lange überlegt und einfach ein paar Frühlingsblumen gegriffen. Und ähm...ja. Stört es dich?“ Aya sah auf die Blumen und dann auf Yoji. Er schnaubte belustigt. „Du bist ein wahnsinnig schlechter Lügner, weißt du das?“, sagte er, öffnete die Autotür und stieg aus. Yoji folgte ihm auf dem Fuße und schloss nach wenigen Schritten zu ihm auf. Gemeinsam gingen sie auf den Eingang des Krankenhauses zu.   'Wir sind schon ein eigenartiges Paar', dachte Aya, während, er auch die Schale mit Stiefmütterchen in seinen Händen blickte. 'Ich wünschte, du könntest uns jetzt sehen, Schwesterchen. Vermutlich würdest du dich vor Grinsen nicht mehr einkriegen, dich schwatzend an Yojis Arm hängen und ihm alle möglichen Dinge aus der Nase ziehen, die dich gar nichts angehen. Er würde lachen und mir erzählen, was für eine wunderhübsche, kleine Schwester ich habe und dass das ja gar nicht in der Familie liegen würde, wie man an mir sieht. Und dann würdet ihr beide lachen und euch über meinen bösen Blick amüsieren, den keiner von euch ernst nehmen würde.' Er beendete den Gedankengang. Zu einer solchen Szene würde es niemals kommen und es lag kein Sinn darin, sich in Tagträumen zu ergehen. Vor allem nicht in solchen, die sein Herz schmerzen ließen. Er musste im Hier und Jetzt bleiben. In der Realität, in der seine Schwester bewusstlos in einem Krankenhausbett lag und sein...Freund neben ihm den langen Kranhausgang mit dem quietschenden Linoleumboden, dem Geruch nach Desinfektionsmitteln und den freundlichen nickenden Krankenschwestern hinab schritt. Er selbst war schon so oft hier entlang gegangen, dass ihm diese Dinge eigentlich schon gar nicht mehr auffielen. Heute allerdings, mit Yoji an seiner Seite, war alles anders. Vertraut und gleichzeitig vollkommen fremd. Er war sich nicht sicher, wie er das fand. Einerseits fühlte es sich richtig an, aber andererseits fiel es ihm schwer, das Vertraute loszulassen. Sein Sanktum, sein letzter Zufluchtsort, der Schrein der Erinnerungen an ein früheres Leben. Mit Yoji würde ein Stück seines jetzigen Lebens darin Einzug halten. Ein rauer Wind, der die alten Bilder von den Wänden riss und sie in die Vergangenheit wehte. Denn das war es, was er fürchtete. Dass Yoji es kaputt machen würde. Für immer. Aber andererseits: Hatte er nicht selbst beschlossen, dass er sich den Veränderungen öffnen wollte. Dass er keine Angst mehr haben wollte? Es hatte viel leichter geklungen, als es in Wirklichkeit war. Er zögerte, als sie endlich an der Tür des Krankenzimmers angekommen waren. Yoj bemerkte das und sah ihn fragend an. „Soll...soll ich erst einmal warten. Ich weiß, es klingt albern, aber vielleicht möchtest du erst einmal alleine mit ihr reden? Sie irgendwie vorbereiten?“ Er schwieg kurz und fügte dann hinzu: „Dich vorbereiten?“ Aya war ein wenig verblüfft über diese umsichtigen Worte des Mannes, der sonst gerne einmal die Nonchalance in Person war. Kannte der ihn inzwischen wirklich so gut? Hatte er tatsächlich zugelassen, dass der andere ihm so unter die Haut ging? Er schüttelte innerlich den Kopf über sich selbst. Aber das hier war jetzt nicht der Augenblick, um ihre Beziehung zu analysieren. Dafür würde in ein paar Tagen oder Wochen immer noch Zeit sein. Jetzt waren sie hier, um seine Schwester zu besuchen. „Komm schon“, sagte er ein wenig ungeduldiger, als gerecht war. Vielleicht, weil er sich selber einen Ruck geben wollte. Es war doch nur ein Krankenbesuch.   Er öffnete die Tür und ging hinein. Wie immer lag seine Schwester bewegungslos inmitten des großen, weißen Krankenbettes. An ihrer Seite der Tropf und die Monitore, die ihre Lebenszeichen überwachten. Ein regelmäßiges Piepsen war alles, was zu hören war. Er trat neben das Bett und nickte ihr zu. „Hallo Aya. Ich habe dir etwas mitgebracht. Stiefmütterchen. Ich hoffe, sie gefallen dir. Du mochtest immer gern, wie sie riechen.“ Yoji war einige Schritte hinter ihm stehen geblieben. Aya warf einen Blick über die Schulter zu ihm. „Ich habe heute einen Freund mitgebracht. Er wollte dich einmal kennenlernen.“   Er trat beiseite, um die Blumen auf dem Nachttisch auszutauschen. Yoji stand ein wenig verloren neben dem Bett und blickte auf das blasse Gesicht mit den langen, dunklen Zöpfen hinab. Er räusperte sich. „Ähm..hallo. Mein Name ist Yoji. Ich...ich bin nicht sehr gut in so was, weißt du. Aya...ich meine, dein Bruder...er...“ Yoji brach ab und sah ihn ein wenig hilflos an. „Irgendwie ist es eigenartig, dass ihr beide den gleichen Namen habt, weißt du das? Ich kann ja schlecht über dich reden und ihren Namen benutzen, oder?“ „Dann rede über etwas anderes“, brummte er. „Oder, wenn du es nicht vermeiden kannst...sie kennt mich unter dem Namen Ran.“ „Ran?“, wiederholte Yoji. Seinen alten Namen aus Yojis Mund zu hören war eigenartig. Wobei er damit anscheinend nicht alleine war. Der andere schien einen Moment in Gedanken versunken, dann setzte er ein Lächeln auf und hielt seine Blumen hoch. „Hey, ich habe dir auch Blumen mitgebracht. Ich weiß, sie sind vielleicht etwas unpassend, aber man lernt ja nicht jeden Tag die Familie seines Lovers kennen.“ „Yoji!“ Aya warf ihm einen wütenden Blick zu, Der andere grinste und beugte sich zu seiner Schwester hinunter. „War er früher eigentlich auch schon so zugeknöpft? Du könntest mir bestimmt ein paar peinliche Geschichten über ihn erzählen.“ „Hör auf, so mit ihr zu reden“, grollte Aya. „Sie wird nicht aufwachen und selbst wenn, werdet ihr euch niemals begegnen. Sie darf nichts von dir oder Weiß oder dem, was ich jetzt tue, erfahren.“ Yojis Augenbrauen wanderten nach oben. „Oh, ich verstehe. Worüber redest du denn sonst so mit ihr?“ „Über früher.“ Yoji atmete hörbar aus. „Nun ja, das dürfte mir etwas schwerfallen. Ich kenne deine Schwester ja nicht.“ „Hör auf über sie zu reden, als wäre sie nicht anwesend!“ Aya merkte, wie seine Stimme lauter wurde. Lauter, als es in einem Krankenhaus angemessen war. Er schloss abrupt den Mund und drehte sich wieder zu den Stiefmütterchen um. Er prüfte die Feuchtigkeit der Erde. Ging zum Waschbecken, füllte ein Glas mit Wasser und begann, die Schale vorsichtig zu gießen. Er erstarrte, als er Yoji hinter sich fühlte. Der andere lehnte sich an ihn und legte die Arme um seine Taille. „Es tut mir leid“, flüsterte er. „Ich wusste nicht, dass es so schwierig werden würde. Aber ich bemühe mich, ok? Vielleicht könntest du mir ein bisschen helfen?“ Aya schwieg einen Augenblick, bevor er schließlich nickte. Er nahm Yoji die Narzissen ab, die dieser immer noch in den Händen hielt. „Wir werden eine Vase hierfür brauchen. Könntest du eine besorgen?“ Yojis Blick irrte kurz zu der Vase, die gut sichtbar neben Ayas Blumenschale stand, dann lächelte er. „Natürlich. Ich werde sehen, ob ich eine hübsche Krankenschwester becircen kann.“ Er zwinkerte Aya zu und verließ den Raum. Aya schnaubte und ließ sich dann auf den Stuhl neben dem Bett sinken. Er strich sich die Haare aus dem Gesicht. „Das war also Yoji. Was hältst du von ihm? Ziemlich schräg, nicht wahr? Ich...wir beide...naja wir arbeiten zusammen. Ich habe dir ja schon von ihm erzählt. Aber irgendwie ist es mehr. Was, weiß ich nicht, aber es ist gut. Meistens. Auch wenn er furchtbar egoistisch, faul und stur sein kann. Und er flirtet hemmungslos mit allem, was nur ansatzweise in sein Beuteschema passt. Und...“ Aya stoppte seinen Satz. Zum einen, weil ihm auffiel, dass er irgendwie nur über Yoji redete. Zum anderen, weil ihm die Erkenntnis kam, dass Yoji die Flirterei ziemlich eingestellt hatte. Sicherlich, er war immer noch nett zu den Kundinnen und verteilte sein Lächeln wie Bonbons, aber alles andere? Er seufzte. Das war einfach gerade zu viel. Er beschloss, das Thema zu wechseln.   „Erinnerst du dich noch an diesen kleinen, weißen Hund, den du mal gefunden hast?“, fragte er leise. „Er war furchtbar niedlich und lief einfach auf der Straße herum. Vater war dagegen, dass du ihn behältst, aber Mutter und du haben so lange gebettelt, bis er erlaubt hat, dass der Hund bei uns bleibt, statt ins Tierheim zu kommen.“ Er lachte kurz bei der Erinnerung. „Es war ein furchtbarer Hund. Yuki hattest du ihn genannt. Er war vollkommen unerzogen, hat alles durcheinander gebracht, deine Schuhe zerkaut, nachts gejault, in die Ecken gepinkelt. Du hast dir Dutzende Bücher über Hundeerziehung aus der Bücherei geholt, aber nichts hat geholfen. Du hast ihn trotzdem geliebt und ihr wart unzertrennlich. So wie das eine Mal, als ihr nachts zusammen den ganzen Pudding aufgegessen habt. Yuki ist davon total schlecht geworden und dann ist er zu mir ins Zimmer gekommen und hat sich auf mein Bett übergeben. Ich war so wütend und froh, als ein paar Wochen später endlich der Besitzer aufgetaucht und das dämliche Vieh wieder mitgenommen hat. Aber ich habe gehört, wie du nachts geweint hast, weil er weg war. Danach hast du beschlossen, später mit Hunden arbeiten zu wollen. Yuki war weg, aber er hat dein Leben für immer verändert.“ Aya seufzte und sah aus dem Fenster. „Ich glaube, ich habe jetzt auch so einen Yuki.“   Nach einer Weile kehrten seine Gedanken wieder zurück ins Krankenzimmer. Er nahm die Hand seiner Schwester und fand darin den Ohrring, dessen Gegenstück er selber trug, ließ ihn vor seinem Gesicht baumeln und seufzte noch einmal. „Ach Aya. Ich wünschte, du würdest endlich zurückkommen, auch wenn das heißt, dass ich dich nie wieder sehe. Ich wünschte, es gäbe einen Weg, zu dir zu kommen, dich zu erreichen und dir den Rückweg zu zeigen. Ich wünschte, du würdest wieder leben, herumlaufen, deine Träume verwirklichen. Du hattest doch noch so viel vor. Ich wünschte, es gäbe einen Weg. Irgendeinen Weg.“ Er legte den Ohrring wieder in Ayas Hand und schloss ihre Finger darum. Vorsichtig legte er die Hand wieder zurück auf das Bett und hielt sie fest, bis Yoji die Tür wieder öffnete und mit einer Vase zurückkam. Er gab die Narzissen hinein und stellte sie neben die Schale auf den Nachttisch. Er sah Aya fragend an. „Besser?“, fragte er leise. Aya nickte. „Alles in Ordnung. Wir versuchen es ein anderes Mal nochmal. Komm lass und gehen. Ich möchte...ich möchte eine Zeit lang alles vergessen. Meinst du, du schaffst das?“ Yoji grinste und zog ihn kurz an sich. „Das ist eine meiner leichtesten Übungen. Na komm, Aya. Lass uns zusammen vergessen.“           Als sich die Tür langsam öffnete, spannte Ken sich unwillkürlich an. Den Blick starr auf den immer breiter werdenden Türspalt gerichtet, entspannter er sich erst, als sich Schuldigs Gestalt hindurch schob. In der Hand hatte er ein Tablett mit einem Teller, einem Glas Wasser und einer Schüssel, die mit einem Tuch verdeckt war. Er lächelte. „Entspann dich, Kätzchen. Ich bin es nur.“ „Besser als der Irre mit dem Messer“, scherzte Ken und hielt seinen Arm hoch. „Farfarello hat mich vorhin besucht.“ Schuldig schnalzte mit der Zunge. „Tut mir leid. Ich werde mal mit ihm reden. Ich möchte nicht, dass er dir das weiterhin antut. Aber jetzt ist es erst mal Zeit für dein Abendessen.“ Er stellte das Tablett auf das Bett und setzte sich auf die andere Seite. Erwartungsvoll sah er Ken an. Der hob fragend die Augenbrauen, als er das Funkeln in den blauen Augen sah. Was hatte Schuldig vor? „Ich?“, antwortete der in unschuldigem Tonfall. „Als wenn ich jemals Hintergedanken hätte. Ich habe dir nur eine Überraschung mitgebracht. Tadaa!“ Er zog das Tuch von der Schüssel und darunter kamen einige Erdbeeren zum Vorschein. Schuldig grinste breit. „Ich habe es nicht vergessen. Also, lass sie dir schmecken.“   Ken wusste nicht, wo er zuerst hingucken sollte. Er wusste, worauf Schuldig anspielte und wurde bei dem Gedanken daran, ohne es zu wollen, ein wenig rot. Er versuchte krampfhaft, an nichts zu denken, aber es gelang ihm nicht. „Ich...äh...danke“, stammelte er schließlich und steckte sich kurzerhand eine Erdbeere in den Mund. Die frische Süße war köstlich und erinnerte ihn daran, dass irgendwo da draußen Frühling sein musste. Er nahm ein zweite und biss nachdenklich hinein. Ob er wohl irgendwann mal wieder das Tageslicht sehen würde? Sein Blick glitt zu Schuldig, der ihn mit schief gelegtem Kopf betrachtete. „Du willst raus, nicht wahr?“ Ken nickte und nahm eine dritte Erdbeere. Statt sie in den Mund zu stecken, betrachtete er sie nur nachdenklich. „Das wird nicht passieren, oder? Ich meine, es wäre bestimmt ein zu großes Risiko für euch.“ Schuldig sah ihn an, nahm das Tablett und stellte es auf den Boden. Er rutschte nahe an Ken heran, nahm die Erdbeere aus seiner Hand und lächelte. „Wahrscheinlich schon. Aber wenn du mir versprichst, ganz artig zu sein, könnten wir vielleicht morgen mal einen kleinen Ausflug in den Garten machen.“ „Wirklich?“ Ken stand vor Überraschung der Mund offen. Schuldig nutzte die Gelegenheit und platzierte die Erdbeere zwischen seinen Lippen. „Natürlich, Kätzchen. Weißt du, es fällt mir schwer, dir einen Wunsch abzuschlagen. Du bist so besonders, so einzigartig. Ich...“ Er ließ den Satz unbeendet und beugte sich stattdessen vor. Sein Mund schloss sich um die Erdbeere und zerbiss diese, während er Ken in einen tiefen Kuss zog. Schuldigs Lippen und der süße Geschmack der Erdbeere in seinem Mund ließen Ken beinahe schwindeln. Dazu noch das Versprechen, dass er nach draußen durfte. Das alles verwob sich in Kens Kopf zu einem dichten Schleier, der die kleine Stimme erstickte, die ihm versuchte etwas zuzurufen. Gefangen ließ er sich in den Kuss fallen und erwiderte diesen, ohne weiter darüber nachzudenken. Als Schuldig sich schließlich von ihm zurückzog, atmete er heftig. Seine Lippen brannten von der Heftigkeit des Kusses. „Es fällt mir wirklich schwer, dir zu widerstehen“, sagte Schuldig leise. „Aber ich sollte das hier vielleicht nicht tun. Das wird nur zu Problemen führen, Ich...ich sollte gehen.“ Trotz dieser Aussage blieb er sitzen und senkte lediglich den Kopf, sodass seine langen Haare das Gesicht verdeckten. Seine Finger strichen über Kens Hand, mit der er sich auf dem Bett abstützte. Die Berührung, so unschuldig sie war, sandte kleine Schauer durch Kens Körper und sorgte dafür, dass er eine Gänsehaut bekam. „Was solltest du nicht tun?“, fragte er schließlich und seine Stimme klang seltsam rau. „Mich auf dich einlassen“, antwortete Schuldig, ohne den Kopf zu heben. „Ich bin dir schon viel zu nahe gekommen. Das ist unprofessionell. In Zukunft sollten sich besser die anderen um dich kümmern. Dir ist es ja sicherlich egal.“ „Nein!“, rief Ken, bevor er genau darüber nachgedacht hatte. „Nein, es ist mir nicht egal. Ich...ich bin gerne mit dir zusammen.“ Nachdem er es gesagt hatte, stellte er fest, dass es tatsächlich irgendwie stimmte. Er hatte Angst vor Farfarello und auf unbestimmte Art auch vor Nagi. Was Crawford anging, erlaubte er sich lieber kein Urteil, aber er war sich ziemlich sicher, dass er sich eher eine Kugel einfangen würde als ein gutes Wort. Schuldig hingegen war anders als die anderen. Er war nett, wenngleich auch auf eine sehr verwirrende Art und Weise. Es fühlte sich gleichzeitig falsch und richtig an, sich auf ihn einzulassen. Je mehr er jedoch darüber nachdachte, desto weniger sinnvoll kamen ihm seine Gegenargumente vor. 'Was hast du zu verlieren', schien es in seinem Kopf zu flüstern. 'Er verspricht dir so viel und du? Was hast du ihm anzubieten? Du solltest dich erkenntlich zeigen. Und ist es nicht auch angenehm? Ist es nicht etwas, dass dein Körper ohnehin verlangt? Was, wenn er tatsächlich geht? Willst du wieder Schmerzen haben? Er hat dir versprochen, dass du nach draußen darfst. Wenn du ihn gehen lässt, wird er das Versprechen nicht einlösen. Wenn er geht, ist alles zu spät.'   „Bitte bleib“, flüsterte Ken und schob sich näher an Schuldig. „Ich...ich will nicht, dass du gehst. Ich will...“ „Ja?“ Schuldigs blaue Augen schienen im Dunkeln zu leuchten. Seine Hand glitt unter Ken Sweatshirt und die schlanken Finger hinterließen eine Spur aus brennendem Eis. Er beugte sich zu ihm hinüber und sein Atem glitt übers Ken Ohr. „Sag mir, was du möchtest. Vielleicht können wir beide da ja irgendwie...zusammen kommen.“ Die doppeldeutigen Worte sandten einen Schauer über Kens Rücken. Er versuchte das Begehren, das in ihm aufwallte, zu unterdrücken, aber er wusste, dass es hoffnungslos war. Schuldig wollte das hier, er wollte ihn, und Ken wusste nicht, wie er es ihm verwehren sollte. Er wusste außerdem, dass es dieses Mal nicht bei einfachen Berührungen bleiben würde. Schuldig wollte Sex. Richtigen Sex. Und sein Körper sehnte sich auf perfide Weise danach, diesem Wunsch entgegenzukommen. Er spürte, wie seinen Wangen anfingen zu brennen, als die flüsternde Stimme in seinem Kopf ihn sich all die Dinge vorstellen ließ, die sie miteinander tun würden. „Oh Gott“, stöhnte er und drückte unwillkürlich die Hand in seinen pulsierenden Schritt. „Ich glaube nicht, dass ich das kann.“ „Das kannst du getrost mir überlassen“, lächelte Schuldig und drückte ihn auf das Bett. „Lass mich nur machen und entspann dich. Dann sollte es auch nicht allzu wehtun.“ Die kurze Panik, die sich bei diesem Satz in ihm ausbreitete, erstickte Schuldig allumfassend mit einem brachialen Kuss. Einem Kuss, der nach Erdbeeren schmeckte und die Stimme in seinem Kopf endgültig zum Schweigen brachte.     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)