Freunde mit gewissen Vorzügen von Maginisha ================================================================================ Kapitel 10: ------------ Yoji wässerte gerade die letzten Topfpflanzen, als die Tür des Ladens aufflog und die Glocke darüber Sturm läutete. „Ihr müsst mich verstecken!“ Omi sank mitten im Laden völlig außer Atem auf die Knie. Seine Kleidung war zerwühlt, die Haare verstrubbelt. Er keuchte und stützte sich mit den Händen, in denen er immer noch zwei Einkaufstüten hielt, auf dem Boden ab. Auf seiner rechten Hand prangte ein blutiger Kratzer „Sie sind verrückt geworden“ stieß er zwischen zwei Atemzügen hervor. „Völlig durchgedreht.“ Ken war bereits aufgesprungen. „Wer, Omi? Wer ist hinter dir her?“ „Die Mädchen!“, brachte Omi mit entsetztem Gesicht heraus. „Ich glaube, ich habe sie abgehängt. Sie hätten mich sonst zerfleischt.“ „Was hast du gemacht?“, grinst Yoji ihren Jüngsten an. „Hast du den kleinen Omi an einem öffentlichen Platz rausgeholt?“ „YOJI!“ Omis Gesichtsfarbe wechselte ansatzlos von weiß zu rot. „Ich war nur einkaufen. Aber irgendeine Pop-Band wollte heute im Supermarkt Autogramme geben. Anscheinend sehe ich einem der Sänger ähnlich und als ich aus dem Laden kam, haben sie sich wie ein Schwarm Krähen auf mich gestürzt. Sie wollten mir buchstäblich die Kleider vom Leib reißen!“ „Es ist wirklich hart, ein Playboy zu sein“, grinste Yoji weiter. „Du hättest dir wenigstens ihre Telefonnummern geben lassen können.“ „Aber ich will doch gar nichts von ihnen“, jammerte Omi verzweifelt. „Dann hättest du Aya ans Telefon gehen lassen können, wenn sie zurückrufen. Das ist ein Garant dafür, dass sie dich nie wieder sprechen wollen.“ Yoji warf einen Blick in Ayas Richtung, der sie nicht weiter beachtete. „Oder Ken“, bot er an. „Vermutlich wären die Damen dann am anderen Ende eingeschlafen, bevor sie zu dir durchgestellt worden wären.“ Ken rammte ihm die Faust gegen den Oberarm, „Au, das tat weh“, beschwerte Yoji sich und rieb sich die schmerzende Stelle. „Sollte es auch“, knurrte Ken. „Komm, Omi, lass mich das nach oben tragen.“   Während Ken mit den Einkäufen nach oben verschwand, band Omi sich seine Schürze um. „Sag, Yoji, was machst du überhaupt schon hier? Normalerweise bekommen wir dich am Samstag doch nie vor elf Uhr mittags zu Gesicht.“ „Hab heute hier übernachtet“, gab Yoji ungerührt zurück. „Aya hat mich heute Nacht abgeholt, weil ich aus einem Club geflogen bin.“ „Das war nett von dir, Aja-kun“, rief Omi hinüber. Aya blickte kurz auf, nickte und widmete sich dann weiter seiner Arbeit. „Nett?“, echote Yoji. „Wenn ich gewusst hätte, dass er mir dafür eine Woche Strafarbeiten aufbrummt, wäre ich lieber noch weiter um die Häuser gezogen.“ „Strafarbeiten?“ Omi hielt verwundert in seiner Tätigkeit inne. „Ich muss nächste Woche hier abends aufräumen, saubermachen, das volle Programm. Aya ist ein Sklaventreiber, wenn du mich fragst. Pass bloß auf, dass du ihm nie einen Gefallen schuldest, Omi. Du könntest es bereuen.“ Yoji musste sich redlich bemühen, ein unglückliches Gesicht zu machen. Er hatte genau mitbekommen, dass Aya ihn gehört hatte und sich jetzt hoffentlich fragte, was er damit bezweckte. Es sollte sich herausstellen, dass er dabei sehr viel mehr Geduld bewies, als Yoji gehofft hatte.             'Das ist jetzt schon der dritte Abend, den ich hier rumhänge', dachte Yoji bei sich, während er halbherzig ein paar Blätter zusammenkehrte und weiter überlegte, ob er noch eine rauchen gehen sollte. Da hörte er leise Schritte auf der Treppe. Er stützte sich auf den Besen und blickte zur Tür, wo sich jetzt Ayas Umrisse gegen den dunkle Flur abzeichneten. „Das hat aber lange gedauert“, bemerkte Yoji. Aya schenkte ihm einen finsteren Blick. „Warum bist du hier?“ „Ist das nicht offensichtlich?“, fragte er und hob den Besen. „Ich fege.“ „Hör mit den Spielchen auf, Kudo. Warum hast du behauptet, ich hätte das hier angeordnet?“ „Vielleicht habe ich auf deine reizende Gesellschaft gehofft.“ Er bekam keine weitere Antwort. Aya drehte sich auf dem Absatz herum und ging wieder zurück in die Wohnung. Yoji seufzte innerlich. 'Ich muss wirklich sehr masochistisch veranlagt sein, mir das anzutun', dachte er, legte den Besen beiseite und schnappte sich eine Illustrierte. Eine halbe Stunde später gab er auf und ging nach Hause.       Aya starrte an die Decke seines Zimmers. Eigentlich hätte da oben ein Loch sein müssen, so intensiv, wie er die weiße Fläche musterte. Es war jedoch das Einzige, was einigermaßen half, um nicht an das zu denken, was ihn bereits den ganzen Tag umtrieb. Er hatte es mit Lesen, Meditieren, ja sogar mit Fernsehen versucht. Sein Blick wanderte zu dem Katana an der Wand. Training. Eine gute Idee. Körperliche Anstrengung war sicherlich geeignet, um ihn von anderen körperlichen Belangen abzulenken. Und von den Gedanken an Yoji, der bereits den fünften Tag hintereinander Überstunden machte. Aya ignorierte ihn, so gut es ging. Was nicht besonders gut war. Immer wieder machten sich seine Gedanken selbstständig, brachten ihn wieder zu dieser Freitagnacht und ließen finstere und primitive Bedürfnisse in ihm aufwallen. Heute war wieder Freitag. Vielleicht war das einfach nicht sein Tag. Aya beschloss, dass er genug gegrübelt hatte. Er schnappte sich sein Schwert und machte sich auf den Weg in den Keller. Am Fuß der Treppe, blieb er stehen, und lauschte. Im Blumenladen lief das Radio. Alles in ihm schrie danach, einfach weiterzugehen, aber faktisch bewegten sich seine Füße nicht in die richtige Richtung. Statt ihn zum Trainingsraum zu bringen, gingen sie auf die angelehnte Tür des Blumenladens zu. Er erwog, sich leise anzuschleichen, verwarf den Gedanken jedoch so schnell wieder, wie er gekommen war. Stattdessen ging er geradewegs hinein.   Yoji lag mit übergeschlagenen Beinen auf dem Verkaufstresen. Als er Aya kommen sah, schwang er die Beine hinunter, blieb jedoch auf dem Tresen sitzen und grinste ihn an. „Ah, Besuch.“ Er fühlte heiße Wut in sich hochsteigen. Was dachte der Kerl sich eigentlich, wer er war? Mit zwei schnellen Schritten war er bei Yoji und packte ihn am Kragen. „Es reicht“, fauchte er. „Das ist alles nur deine Schuld.“ Yoji hob die Augenbrauen. Sein Blick huschte kurz zu dem Katana in seiner Hand. „Was genau ist meine Schuld?“ Aya zog ihn noch näher. „Ich muss die ganze Zeit daran denken. Das ist...nicht akzeptabel.“ „Oh“, erwiderte Yoji mit engelsgleicher Unschuldsmiene. „Darf ich annehmen, dass das, woran du denkst, etwas mit letztem Freitag zu tun hat?“ „Hör auf mich zu verarschen, Kudo. Tu was dagegen!“ Das Grinsen wurde breiter. „Was genau schwebte dir denn so vor?“       Sie schafften es gerade noch, die Tür des Gewächshauses hinter sich zu schließen, bevor ihre Lippen sich ineinander festbissen und Yojis Hand sich in seine Hose schob. Aya stöhnte auf. Er schloss die Augen, während er sich der Versuchung ergab, die er so lange von sich weggeschoben hatte. Das war so verdammt gut. Haut traf auf Haut, Lippen wanderten über seine Kehle. Er legte den Kopf zurück, um Yoji einen besseren Zugang zu ermöglichen, während der seine pulsierende Härte von störendem Stoff befreite und anfing, ihn in einem harten Rhythmus zu befriedigen. Ayas gesamte Welt konzentrierte sich auf das Geschehen zwischen seinen Beinen. Er biss die Zähne zusammen, um keinen verräterischen Laut von sich zu geben, hörte sich selbst zischen unter der alles andere als sanften Behandlung. Feste Lippen fingen seinen Mund ein und raubten ihm den Atem, den er dringend benötigte. Er brach aus dem Kuss aus und holte tief Luft, als die Berührung zwischen seinen Beinen beinahe schmerzhaft wurde. „Du hättest eher kommen sollen“, grollte Yoji. „Das ist jetzt die Strafe, dass du mich hast warten lassen. Ich sollte es dir eigentlich heimzahlen und dich auf halbem Weg verhungern lassen.“ „Du Bastard!“, stieß Aya hervor, während er mit dem Impuls rang, Yoji von sich zu stoßen. „Hör endlich auf zu reden.“ „Wie Eure Hoheit befiehlt“, erwiderte Yoji dunkel, küsste ihn noch einmal tief und ließ sich auf die Knie sinken. Kurz darauf krallte sich Aya an der Wand hinter ihm fest. Feuchte, saugende Wärme umschloss die Spitze seiner Erektion, während kundige Finger den Schaft massierten. Ein diabolischer Rhythmus, der ihn niederrang, seinen Widerstand brach und mit sich fortriss. Viel schneller, als gedacht, raste er auf den Abgrund zu. „Yoji, ich...“ Er kam hart, bevor er den Satz beenden konnte. Alles, was er noch hervorbrachte, war eine ersticktes Keuchen Mit zitternden Knien lehnte er an der Wand, während das Blut durch seinen Kopf rauschte und sein ganzer Körper sich taub anfühlte. Sein Gesicht kribbelte, in seinen Ohren hörte er überlaut seinen eigenen, galoppierenden Herzschlag.       Yoji lehnte sich zurück und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Sein Blick wanderte nach oben, wo Aya schwer atmend in den Nachwehen des Orgasmus gefangen war. Sein Gesicht war gerötet, Strähnen des roten Haars fielen ihm über die Augen, die halb geöffneten Lippen luden Yoji ein, von ihnen Besitz zu ergreifen. Er richtete sich auf und zog Aya in einen Kuss. Ließ ihn sich selbst in Yojis Mund schmecken. Der Gedanke fachte die Hitze zwischen Yojis Beinen noch einmal an, obwohl der Akt an sich es vermutlich nicht auf die Liste seiner bevorzugten Aktivitäten schaffen würde. Aber er genoss zu sehen, was er damit angerichtet hatte. „Jetzt steh es zwei zu null, Fujimiya-san“, raunte er heiser. „Gedenken Sie, ihre Schulden jetzt sofort zu begleichen?“ Er nahm Ayas Hand, führte sie zwischen seine Beine und rieb sich daran. Sein Gegenüber öffnete die Augen. Yoji meinte Erstaunen darin zu erkennen. „Was denn?“, grinste er. „Hast du gedacht, ich mache das hier aus reiner Nächstenliebe? Du solltest wissen, dass ich nicht so altruistisch bin. Du bist verdammt heiß.“   Aya wollte gerade etwas erwidern, als sie Schritte im Raum nebenan hörten. „Hey, Yoji! Wo steckst du?“ 'Scheiße! Das ist Omi!'   Sie stoben auseinander. Während Aya in Windeseile seine Kleidung in Ordnung brachte, suchte Yoji nach einer Möglichkeit, seine mehr als offensichtliche Erregung zu verbergen. Omis Schritte näherten sich der Tür zum Gewächshaus. „Bist du hier drin?“ „Ja!“, rief Yoji und wedelte mit der Hand in Ayas Richtung. Der verschmolz mit den Schatten. „Ich...äh...war eine rauchen. Komme gleich.“ Mit fliegenden Fingern nestelte Yoji eine Zigarette aus der Tasche und versuchte, sie anzuzünden. Seine Hand zitterte, das Feuerzeug klickte erfolglos. Fast hätte er gelacht. So hatte er sich nicht mehr gefühlt, seit er mit fünfzehn von seiner Mutter mit einem Pornoheft erwischt worden war. Endlich gab es eine Flamme, er inhalierte den ersten Zug und versuchte, seine Atmung zu beruhigen, das Zittern unter Kontrolle zu bekommen. Langsam öffnete sich die Tür. Er trat einen Schritt aus dem entstehenden Lichtkegel zurück. Omi blonder Schopf schob sich durch den Spalt. „Ich wollte fragen, ob du zum Essen bleibst.“ Essen war gerade so ziemlich die geringste von Yojis Sorgen. Er schüttelte den Kopf. „Muss demnächst los. Ich habe noch eine Verabredung.“ „Ach wirklich.“ Omis Neugier war geweckt. „Was habt ihr vor?“ „Das erzähle ich dir, wenn du alt genug dafür bist, Omitchi“, stichelte Yoji und bemerkte befriedigt, dass seine Taktik aufging. Omis Ohren begannen im Gegenlicht rot zu leuchten. „Alles klar, wir sehen uns dann morgen“, verabschiedete er sich hastig und verließ fluchtartig das Gewächshaus. Yoji atmete hörbar auf. Er drehte sich zu der Ecke herum, in der er Aya vermutete. „Also, wo waren wir?“ Ayas Gestalt schälte sich aus der Dunkelheit. Er hielt Yojis Blick fest, während er auf ihn zuging, ihn kurz streifte und dann an ihm vorbei zur Tür trat. „Schlaf gut, Kudo“, hörte Yoji ihn noch sagen, bevor er ebenfalls verschwand. Yoji blinzelte ein paar Mal und starrte die sich langsam schließende Tür an. Das war jetzt nicht sein Ernst, dass er ihn hier so hängen ließ. Oder vielmehr stehen. Von hängen konnte nun wirklich keine Rede sein. Wenn Yoji sich nicht täuschte, hatte er sogar gegrinst.   'Verdammter Bastard, das kriegst du zurück', dachte er und musste unwillkürlich ebenfalls grinsen. Er konnte Aya also haben, aber nur dann, wenn der es auch wollte. Oder besser gesagt dringend brauchte. Somit musste er nur dafür sorgen, Ayas Begierde genug Nahrung zu geben. Das sollte eigentlich nicht allzu schwer sein. Immerhin hatte er Übung im Verführen und Aya hatte offensichtlich Blut geleckt.   Yoji zog noch einmal heftig an seiner Zigarette und trat diese auf dem Fußboden aus. Mit grimmiger Befriedigung ließ er die Überreste liegen, nahm seine Sachen und machte sich auf den Weg nach Hause, um dort allein etwas gegen das Pulsieren zwischen seinen Beinen zu tun. Eine Beschäftigung, die im Laufe der Woche schon zur schlechten Angewohnheit geworden war. Heute allerdings, so war er sich sicher, würde es nicht lange dauern. Nicht mit den Bildern, die er immer noch in seinem Kopf hatte.         Aya starrte in den Karton, den er gerade auspacken wollte. Eine neue Lieferung war eingetroffen, die er höchstpersönlich bestellt hatte. Den Inhalt dieses Päckchen hatte er allerdings garantiert nicht geordert. Mit zusammengekniffenen Augenbrauen starrte er auf die stachelige Kugel, an deren Seite ein gut zehn Zentimeter langer Auswuchs hervorstand. An seiner Spitze zeigten sich bereits erste, zartrosa Blütenblätter. Es sah insgesamt ein wenig obszön aus. Obszön? Ayas Kopf ruckte nach oben und sein düsterer Blick irrte durch den Blumenladen. Omi? Nein. Ken? Nein. Yoji! Als hätte er Ayas Aufmerksamkeit gespürt, drehte der sich herum und schenkte ihm ein freundliches Lächeln. Er sah den Karton in Ayas Händen und kam zu ihm herüber. „Ist das mein Kaktus?“, fragte er unschuldig. „Was soll das?“, fauchte Aya ungehalten. Er wusste genau, was Yoji vorhatte. „Soll ein Geschenk werden. Oh, schau mal, er blüht schon fast.“ Yoji beugte sich über den Karton und hob dann den Kopf, sodass sich ihre Nasenspitzen fast berührten. „Gefällt er dir?“ Yojis Stimme war Samt und Honig. „Er hat mich irgendwie an dich erinnert.“   Aya sah sich gezwungen, den Karton in diesem Moment loszulassen. Er hatte nicht mit Yojis schneller Reaktion gerechnet, die die stachelige Pflanze vor einem unrühmlichen Ende rettete. „Komm mein Kleiner, der Onkel kann dich nicht leiden“, tuschelte Yoji mit dem Kaktus, während sein Blick weiter auf Aya gerichtet war. „Wir müssen dich nur gut beobachten und ein bisschen abwarten und dann wird etwas ganz Wunderbares aus dir hervorbrechen. Die Eruption deiner Triebe wird sich nicht aufhalten lassen und ich werde da sein, um sie zu bewundern.“ Yoji leckte sich über die Lippen, zwinkerte Aya zu und ging dann pfeifend mit seinem Kaktus davon. Ayas Augen wanderten ohne sein eigenes Zutun an Yojis Silhouette entlang. Seine Kehle fühlte sich eng an, er schluckte. Der Hunger, den er eigentlich befriedigt dachte, war gerade wieder entfacht worden. Das Ziehen aus seinem Brustkorb wanderte weiter in seine Leistengegend und ließ ihn dankbar sein für die Tatsache, dass er bei der Arbeit eine Schürze trug. Er wendete sich abrupt ab, um die restliche Lieferung auszupacken. Aber seine Gedanken waren nicht bei der Sache. Fluchend warf er irgendwann die Packliste in den obersten Karton, stellte die Lieferung in den Kühlraum und schnappte sich seine Autoschlüssel. „Bin weg“, knurrte er, griff im Vorbeigehen einen Strauß Blumen und stürmte nach draußen. Er brauchte jetzt Abstand und dafür gab es nur einen Ort, an den er gehen konnte.       Das Krankenhaus war um diese Zeit nur wenig besucht. Die meisten Verwandten kamen erst am Nachmittag, wenn die Ärzte nicht mehr durch die Zimmer spazierten wie ein Rudel Hyänen auf der Suche nach Aas. Aya wanderte den Flur entlang, als eine Schwester auf ihn zukam. Es war eine ältere Dame, die ihn anscheinend erkannte. „Besuchen Sie wieder ihre Schwester, junger Mann?“ Aya nickte. „Sie wird sich freuen, Sie so zu sehen.“ Die scharfe Antwort saß bereits auf seiner Zungenspitze. Seine Schwester würde sich mit Sicherheit nicht freuen. Sie lag in einem verdammten Koma. Die Frau schien hingegen nichts von seinem Ärger zu bemerken. Sie lächelte unbeeindruckt. „Sie sehen gut aus. Gesünder. Nicht so blass wie sonst. Das wird auch ihr Kraft geben.“ Die Schwester tätschelte noch einmal seinen Arm und lief dann weiter. Aya sah ihr nach und bemerkte eine eigenartige Bewegung in seinem Gesicht. Als er die Finger an die Stelle hob, merkte er, dass er lächelte. Vielleicht hatte sie Recht. Vielleicht war es gut, wenn er Aya gute Nachrichten brachte. Wie auch immer die aussehen sollten.   Er betrat das Zimmer, in dem seine Schwester lag. In dem großen, weißen Bett, sah sie merkwürdig klein aus. Wenn er sich an sie erinnerte, war sie immer irgendwie...nun nicht groß, aber präsent. Seine Schwester war immer in der Lage gewesen, einen Raum mit ihrem Lachen zu füllen. Oder auch mit einem Wutanfall. Aber sie war immer da gewesen. Jetzt war sie weg und an ihrer Stelle war nur noch eine leere Hülle zurückgeblieben, die an Schläuchen und Monitoren hing und von der er nur hoffen konnte, dass sie irgendwann einmal wieder zu ihm zurückkam. Aber seine Hoffnung schwand mit jedem Tag und er kam sich wie ein Verräter vor.   Um überhaupt etwas zu tun, wollte er die Blumen, in eine Vase stellen. Er stutzte, als er sah, nach was für einen Strauß er in der Eile gegriffen hatte. Schwertlilien und gelbe Tulpen. Eine furchtbare Zusammenstellung, aufdringlich in ihrer Farbe, schlampig in der Ausführung. Er wusste sofort, wer den Strauß gemacht hatte. Während er selbst meist klassische Gestecke fertigte und Ken sich an kleinere Sträußen und Topfpflanzen hielt, waren Omis Bouquets bis auf wenige Ausnahmen farblich aufeinander abgestimmt. Es gab nur einen, der so ordinäre und bis hin zur Geschmacklosigkeit bunte Sträuße zusammenstellte. Aya war kurz davor, die Blumen in den Mülleimer zu werfen, besann sich dann aber anders. Er stellte den Strauß neben das Bett auf den Nachttisch und setzte sich wieder. „Entschuldige, die Blumen sind nicht gut“, murmelte er. „Ich hatte heute nicht viel Zeit. Ein Kollege hat sie gemacht. Er...“ Aya verbot sich jedes weitere Wort. Er wollte nicht darüber reden. Schon gar nicht mit seiner kleinen Schwester. Er redete überhaupt nie über die anderen. Er erzählte von seiner Arbeit, den Blumen, von den Büchern, die er gelesen hatte, vom Wetter, von alltäglichen Dingen. Seine Kollegen erwähnte er nie. Vielleicht, weil sie Teil seiner dunklen Seite waren, von der sie nie etwas erfahren durfte. Weil er das wenige, was von ihrem früheren Leben noch übrig geblieben war, hier in diesem Zimmer erhalten wollte. Er selbst war nicht mehr der, der er einmal gewesen war. Der Junge, den seine Schwester gekannt hatte, war tot. Begraben in einem namenlosen Grab auf einem verlassenen Friedhof in der Vergangenheit. Sollte sie jemals wieder erwachen, würde seine Schwester allein sein. Ihre Familie nur eine Erinnerung, wenngleich auch eine gute Erinnerung. Etwas, das man in Ehren halten konnte. Er würde nicht mehr Teil ihres Lebens sein. Er wünschte diesen Tag ebenso herbei, wie er ihn fürchtete. Denn dann würde das letzte bisschen seines alten Lebens verschwinden und nur noch einen Mörder zurücklassen. Einen einsamen Mann mit blutigen Händen. Eine einzelne Träne rann über seine Wange. Er wischte sie eilig fort. Er war nicht in der Position, sein Schicksal zu beweinen. Er war am Leben, konnte herumlaufen, die Sonne auf seinem Gesicht fühlen, den Duft der Blumen riechen. Aya sah noch einmal auf den Strauß mit seinen scheußlichen, grellen Farben und dachte plötzlich, dass er ihr gefallen hätte. Dass sie das Leuchten geliebt hätte. Dass sie ihn an sich gedrückt und gerufen hätte, wie wunderbar es war, dass er ihn ihr geschenkt hatte. Er war mit einem Mal froh, dass er ihn mitgebracht hatte, auch wenn er so ein kleines bisschen von dem in dieses Zimmer gelassen hatte, das er immer von hier hatte fernhalten wollen. Es war etwas, das er aushalten konnte.                           Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)