Freunde mit gewissen Vorzügen von Maginisha ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Yojis Blick wanderte zu dem kleinen Fenster seines Apartments empor. Er seufzte tief, drehte sich um und stieg wieder in den Wagen. Dort oben heute Nacht allein zu sein, war mehr, als er ertragen konnte. Er ließ den Wagen an und lenkte ihn in Richtung eines anderen, bekannteren Gebäudes. Er würde in ein paar Stunden ohnehin dort eintreffen müssen. Vielleicht konnte er im Gemeinschaftsraum hinter dem Laden noch ein wenig Schlaf finden. Ohne es wirklich zu merken, zog er eine weitere Zigarette aus der Tasche, zündete sie an und atmete tief ein. Nein, diese Nacht war wirklich nicht so verlaufen, wie er sich das vorgestellt hatte. Yoji seufzte noch einmal, als die Erinnerung an den vergangenen Abend an ihm vorbeizog. Er war ausgegangen, hatte eine schöne Frau getroffen und seine übliche Tour abgezogen. Komplimente, Drinks, witzige Bemerkungen. Das volle Programm. Es war gut gewesen. Doch dann hatte sie ein wenig zu tief ins Glas geschaut und hatte angefangen zu reden. Sehr viel zu reden. Über ihre Kinder – Yoji hatte sich an dieser Stelle gewundert, wie sehr er sich wohl im Alter seiner Auserwählten verschätzt hatte - ihren Mann, wie er sie behandelte oder vielmehr nicht mehr behandelte. Dass ihr geliebter Ehemann ihr gegenüber nur noch kalt und abweisend war und nicht einmal mehr wirklich mit ihr sprach und wie sehr sie das alles mitnahm. Yoji hatte ihr zugehört, an den richtigen Stellen genickt und sie ansonsten erzählen lassen. Er wusste, dass Frauen sich manchmal Dinge einfach nur von der Seele reden wollten, ohne dass er aufgefordert war, ihre Probleme zu lösen. Es half ihnen, die Spannung abzubauen. Manchmal war er neidisch auf diese Fähigkeit. Andererseits hatte er auch eine recht effektive Methode gefunden, mit Frust umzugehen: Einen Drink, eine Frau, jede Menge Sex und dann einfach nicht mehr daran denken. Viele Probleme lösten sich so von selbst in Luft auf. Warum also hätte er etwas daran ändern sollen? Er hielt in einer kleinen Seitenstraße des Blumenladens, stieg aus und schlug die Tür gerade fest genug zu, um seine Anspannung nicht mehr vor sich selbst verheimlichen zu können. Ein Hund begann wegen des ungewohnten Geräuschs zu bellen, bis sein Besitzer ihn anschnauzte, dass er die Klappe halten sollte. Yoji hatte dem kleinen Aufruhr mit einem Lächeln zugehört. Immerhin wusste er jetzt, dass er noch existierte und jemand gezwungen hatte, es zu bemerken. Er merkte selbst, wie kindisch das war. Trotzdem erweckte es in ihm eine seltsame Zufriedenheit. Bemerkt zu werden war wichtig. Es gab für Yoji nichts Schlimmeres, als wenn ihn jemand ignorierte. So wie die Frau an diesem katastrophalen Abend. Nachdem sie sich ausgesprochen hatte, hatte er sein Bestes versucht, um den Abend zu retten. Aber dann war ihr Ehemann aufgetaucht und von da an war es nur noch bergab gegangen. Sie hatte Yoji abserviert wie einen alten Hut aus der Kollektion vom letzten Jahr. Er hatte dem Pärchen noch eine Weile zugesehen, wie sie erst gestritten, aneinander angeschrien hatten und sich dann schließlich in die Arme gefallen waren wie in einem dieser französischen Filme, die er noch nie verstanden hatte. Das glückliche Paar hatte die Bühne verlassen und er war allein zurückgeblieben. Zwar hatte er sein Glück noch in einigen anderen Etablissements versucht, aber er war irgendwie nicht über die Zurückweisung hinweggekommen. Irgendwann war er dann zu betrunken und die Nacht zu weit fortgeschritten, um noch irgendetwas zu retten. Also war er alleine nach Hause gefahren in dem Bewusstsein, dass er vor etwas flüchtete. Ebenso wie er es jetzt tat, indem er statt zu Hause zu schlafen, mitten in der Nacht in den Blumenladen einbrach. Er schloss die Hintertür auf und glitt in die Dunkelheit dahinter, ohne das Licht anzumachen. Der Geruch nach frischen Blumen und feuchter Erde schlug ihm entgegen. Eine neue Lieferung Rosen wartete noch in einer Ecke des Lagerraums auf ihn. Er hatte sie nach Feierabend nicht mehr versorgen wollen und so waren sie wohl das erste, was ihn in der Frühe erwartete. Jetzt jedoch war das Einzige, was ihn interessierte, seinem erschöpften Körper eine Ruhepause zu gönnen. Er öffnete die Tür zum Gemeinschaftsraum, schlüpfte hindurch und schloss die Tür hinter sich so leise wie möglich. Er lehnte sich dagegen und atmete tief durch. Auch hier roch es nach Blumen, die Luft war weniger feucht, dafür ungleich kühler. Eine Wohltat für die Kopfschmerzen, die sich ankündigten, allerdings weniger angenehm für den Rest seines Körpers. Er begann sich unwohl in seiner Haut und vor allem aber in seiner Kleidung zu fühlen. Sie waren leicht verschwitzt, rochen nach Rauch, Bier und verbrauchtem After Shave. Vor allem aber nach Rauch. Yoji verzog das Gesicht über diese unwillkommene Entdeckung. Normalerweise hätte er den Geruch überhaupt nicht bemerkt, aber heute schienen seine Sinne ihm wohl Streiche spielen zu wollen. Erst die falsche Frau, jetzt der falsche Geruch. Zum Glück wusste Yoji ein sehr effektives Mittel, um den Geruch von altem Rauch zu überdecken. Man übertönte ihn einfach mit frischem Rauch. Er ließ sich auf die alte Couch fallen und versuchte die unangenehme Berührung seines feuchtkalten Ledermantels auf dem nackten Stück Haut seines Rückens zu ignorieren. Er überlegte, ob er wieder aufstehen sollte, um ihn auszuziehen, entschied sich dann aber dagegen. Es war die Mühe nicht wert und ohne den Mantel wäre es nur noch kälter gewesen. Ein kleines Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, als er daran denken muss, dass Ken ihn einmal gefragt hatte, ob es wohl Aberglaube war, der Yoji davon abhielt, etwas anzuziehen, das seine Bauchnabel bedeckte. Er schnippte sich eine Zigarette in den Mund und holte das Feuerzeug aus seiner Hosentasche. Er wollte es gerade benutzen, als eine kalte Stimme die Dunkelheit in zwei Hälften schnitt. „Denk nicht mal dran.“ Yoji stockte in der Bewegung, bis er erkannte, wer sein Gegner in der Dunkelheit war. Er seufzte, nahm die Zigarette wieder aus dem Mund und fragte mit einem Grinsen: „Was stört dich denn daran, Aya-kun?“ „Im Gemeinschaftsraum wird nicht geraucht“ Ayas Stimme machte klar, dass das nichts war, über das er verhandeln würde. „Geh duschen, Kudo, und lass mich in Frieden.“ „Wie du gerade so richtig bemerkt hast, ist das hier der Gemeinschaftsraum“, antwortete Yoji und gähnte genüsslich. „Das heißt, ich habe genauso viel Recht hier zu sein wie du. Außerdem lasse ich mir von dir nichts vorschreiben, Fujimiya-San.“ Er steckte sie sich Zigarette wieder zwischen die Lippen und zündete sie mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht an. Er würde doch hier nicht vor Aya katzbuckeln, nur weil der meinte, mal wieder den Kommandoton rausholen zu müssen. Er blies den Rauch aus und drückte sich ein Stück im Sitz hoch, um über die Rückenlehne des Sofas einen Blick auf den anderen Mann zu werfen. Aya saß in einem der uralten Sessel, die Kritiker die Frechheit hatte, Mobiliar zu nennen. Er sah aus dem kleinen Fenster über seinem Kopf. Yoji fühlte förmlich das Eis in seinem Blick. Rasiermesserscharfes, tödliches Eis. Yoji bekam schon eine Gänsehaut bei dem Gedanken daran. „Solltest du jetzt nicht da draußen sein und Schulmädchen vögeln?“ Ayas Stimme hatte einen hässlichen, gehässigen Ton. „Ich vergreife mich nicht an Schulmädchen!“, fauchte Yoji sofort. „Meine Dates sind alle volljährig. Wir haben Spaß zusammen. Es geht dabei nicht immer nur ums Vögeln.“ Yoji ließ sich wieder in den Sitz sinken. Seit wann war Aya denn so vulgär? Und warum antwortete er überhaupt auf so was? Als wenn Aya etwas davon verstehen würde. Frauen waren wunderbare Geschöpfe für Yoji. Seine kleinen Schätze. Er brachte sie zum Lachen und verschaffte ihnen eine gute Zeit. Er zog sie hinab in die sündigen Tiefen der Lust und stieg durch ihren Genuss selbst in ungeahnte Höhen auf. Wenn die Frau in seinem Armen glücklich war, dann war Yoji es auch. Und wenn sie gingen ließen sie stets ein kleines bisschen Wärme zurück, die ihn tröstend in den Schlaf begleitete. Aber was wusste Aya schon von Wärme und Trost? Yoji schnaubte bei dem Gedanken. Nein, davon verstand Aya nun wirklich nichts. Yoji sah noch einmal zu Aya hinüber und verlor sich irgendwie in dem Anblick. Der Mann mit der eiskalten Maske. Ob es wohl wirklich nur eine Maske war? Ob es darunter noch etwas anderes gab als diese Mischung aus Wut und Zorn? Einen Mensch mit echten Gefühlen? 'Neugierige Katzen verbrennen sich die Tatzen', dachte Yoji bei sich. Andererseits konnte er einfach nicht anders. Da waren diese Worte in ihm, die einfach raus mussten. Sonst, so war er sich sicher, würde er platzen. „Warum fragst du eigentlich nach den Mädchen, Aya?“, grinste er über die Sofalehne hinweg. „Bist du eifersüchtig?“ Aya warf ihm einen finsteren Blick zu. „Natürlich nicht“, blaffte er. „Ich habe es nicht nötig, andere zu belästigen, um mich abzulenken. Ich kann sehr gut für mich alleine sein, wenn mich gewisse Leute nur endlich lassen würden.“ Yoji war mit dieser Aussage überhaupt nicht zufrieden. Da war doch etwas faul. Aya hatte eine natürliche Begabung, selbst inmitten einer Menschenmenge ganz für sich allein zu sein. Dafür musste er nicht mitten in der Nacht in den Gemeinschaftsraum schleichen. Irgendetwas ging hier vor. Das war sie wieder die krankhafte Neugier. Yoji stand auf und ging langsam zu Aya hinüber. Er sah ihn so lange eindringlich an, bis der andere ihn nicht mehr ignorieren konnte. „Was willst du, Kudo?“, knurrte er und zog die Beine näher an den Körper. „Bist du jetzt hinter mir her?“ Die Frage verwirrte Yoji einen Augenblick lang, dann stieg er schnell in das Spiel ein. Er lehnte sich ein wenig vor, setzte ein gewinnendes Lächeln auf und zwinkerte Aya zu. „Hättest du gerne, dass ich es wäre?“ „Nein, verdammt“, fauchte Aya mit einem angewiderten Gesichtsausdruck. „Nicht?“, fragte Yoji und zog einen Schmollmund. „Jetzt bin ich aber beleidigt. Mir kann schließlich keiner widerstehen.“ „Du bist betrunken. Geh schlafen“, murmelte Aya mehr zu sich selbst und sah Yoji dabei nicht einmal an. Stattdessen hing sein Blick an einigen Unterlagen, die auf dem Tisch vor ihm ausgebreitet waren. Es war zu dunkel, um sie lesen zu können, aber im Licht des Mondes, das durch das Fenster hereinschien, konnte Yoji einen ihm bekannten Schriftzug erkennen. Es war der Name des Krankenhauses, in dem Ayas Schwester lag. Noch bevor er eine Frage stellen konnte, hatte Aya ihm schon einen harten Stoß verpasst, der Yoji rückwärts taumeln ließ. „Das geht dich nichts an“, knurre Aya und stopfte die Papiere wieder zurück in einen großen Umschlag. „Also geh jetzt endlich.“ „Ich bin nicht dein Kratzbaum, Kätzchen“, murmelte Yoji und untersuchte die Stelle, wo Aya ihn getroffen hatte. „Vielleicht sollte dir wirklich mal jemand nachstellen. Ein bisschen mehr Sex zu haben, würde dich bestimmt etwas geselliger machen.“ Als er Ayas Gesichtsausdruck sah, setzte er ein spitzbübisches Grinsen auf. „Oder vielleicht überhaupt mal irgendwelchen Sex zu haben.“ Er sah den Schlag kommen und reagierte blitzschnell, indem er einfach einen Schritt zur Seite trat. Aya fuhr herum und holte erneut aus. Yoji wollte zurückweichen, da fühlte er die Wand in seinem Rücken. Mit einem wütenden Knurren stürzte sich Aya auf ihn und Yoji blieb nichts anderes übrig, als die Hand abzufangen, die auf sein Gesicht gezielt hatte. Er schloss die Finger um Ayas Faust, drückte sie nach unten und drehte seinen Arm herum. Aya folgte der Bewegung, sodass er mit dem Rücken zu Yoji stand, doch darauf hatte der nur gewartet. Er fing auch Ayas andere Hand ein und hielt ihn an sich gezogen fest. Yojis Atem ging stoßweise von der Anstrengung. Er lachte, als Aya versuchte, sich zu befreien. „Du brauchst es gar nicht erst zu versuchen“, neckte er ihn. „Ich habe hiermit schon wildere Tiere als dich eingefangen.“ „Lass mich los“, stieß Aya wütend hervor. Er kämpfte gegen Yojis Umklammerung an, zerrte an seinem Arm und gab dann plötzlich auf. Yoji hörte seinen Atem in der Dunkelheit. „Ok, du hast gewonnen. Glückwunsch.“ „Mhm, mhm, mhm“, machte Yoji. „Und was fange ich jetzt mit meinem kleinen, wilden Kätzchen an? „Es wieder alleine lassen?“, antwortete Aya langsam. Seine Stimme zitterte. Nur ganz vage, aber Yoji bemerkte es trotzdem. Wie interessant. Yoji fühlte den warmen Körper vor sich. Das war irgendwie...nett. Auch wenn es natürlich nur Aya war, der da gegen ihn gelehnt stand. Yoji fühlte den Wunsch nach der zärtlichen Berührung einer Frau erneut in sich aufsteigen. Das hier war zwar nicht ganz so befriedigend, aber auch auf seine ganz eigene Weise angenehm. Yoji spürte Ayas Herzschlag unter dessen Shirt gegen seine Brust hämmern. Das Mondlicht ließ seine helle Haut fast weiß erscheinen wie frischer Schnee, während seine Haarfarbe der von getrocknetem Blut ähnelten. Yoji fragte sich, wie es wohl sein würde, seine Finger durch diese Haare gleiten zu lassen. Ob Aya wohl schnurren würde wie ein richtiges Kätzchen? Er war versucht, es auszuprobieren. Plötzlich merkte Yoji, was er da gerade gedacht hatte. Er musste sofort damit aufhören. Er lockerte seinen Griff und gab Aya die Möglichkeit, sich zu befreien. Aber der bewegte sich nicht. Vielleicht hatte er Angst, dass Yoji ihn zum Narren halten wollte. Dass es eine Falle war. So blieben sie beide in der Dunkelheit stehen und lauschten ihrem gemeinsamen Atmen. Yoji konnte nicht umhin zu denken, dass das Gefühl, Aya im Arm zu halten irgendwie beruhigend war. Er schloss für einen Moment die Augen. „Du bist frei“, sagte Yoji heiser. „Du kannst gehen, wann immer du willst.“ Seiner Bemerkung folgte eine kurze, schwere Stille. Sekunden schienen sich zu Minuten zu dehnen, bis Aya sie schließlich doch brach. „Bin ich das?“, flüsterte er. „Ich glaube nicht, Kudo. Ich werde nie wieder frei sein.“ Yoji schüttelte langsam den Kopf. „Ich halte dich nicht mehr fest, also kannst du doch einfach gehen“, wiederholte er, obwohl er das Gefühl hatte, dass Aya nicht von ihrem kleinen Gerangel sprach. „Ich weiß“, antwortete Aya fast unhörbar. „Ich weiß nur nicht, ob ich wirklich gehen will.“ „Das musst du selber wissen“, murmelte Yoji und versuchte den Stich zu ignorieren, den ihm dieser Satz versetzte. Er ließ Aya vollständig los und trat einen Schritt zur Seite. Er atmete kurz durch, riss sich zusammen und setzte wieder sein Playboy-Lächeln auf. „Ich zwinge niemandem meinen Willen auf.“ Aya stand einfach da, im Mondlicht, und antwortete nicht auf das Angebot. Yoji zuckte innerlich ein wenig zusammen, als er erkannte, dass es tatsächlich ein Angebot gewesen war. Aber gut, er stand zu seinem Wort und würde auch die Konsequenzen tragen. Das Eigenartige an der Sache war, dass es keine Konsequenzen gab. Aya zuckte nur kurz mit den Schultern. Er wandte Yoji weiter den Rücken zu, drehte sich dann zur Tür und schickte sich an, den Raum zu verlassen. Im Türrahmen blieb er noch einmal stehen. Yoji sah, wie er seine Faust ballte und hörte einen leisen, beinahe traurig klingenden Laut. „Vielleicht bin ich niemand, den man fragen sollte“, sagte Aya leise. „Vielleicht bin ich jemand, den man sich einfach nehmen muss.“ Mit diesen Worten verließ er den Gemeinschaftsraum endgültig und ließ Yoji allein zurück. Der blinzelte überrascht. Er starrte auf den Türrahmen und konnte sich nicht entscheiden, ob er das gerade wirklich gehört hatte oder ob ihm seine Sinne erneut einen Streich gespielt hatten. Unbewusst griff er nach einer neuen Zigarette und ließ sich damit in den Sessel am Fenster fallen. 'Wer bist du und was hast du mit Aya gemacht?' Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)