Spherium von Yuugii (Kaiba/Yuugi) ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- Kaiba saß an seinem riesigen Mahagoni-Schreibtisch und arbeitete konzentriert an seinem Laptop. Das rhythmische Klackern der Tastatur war bis in den Flur zu hören. Hastig flitzten seine Finger über die Tastatur und hin und wieder war ein genervtes Raunen zu hören. Es war ein typischer Montag Abend, an dem er, wie gewohnt, seine E-Mails durchging und schnell beantwortete. Er durfte seine Geschäftspartner nicht zu lang warten lassen, ansonsten verloren diese direkt das Interesse an ihm und seiner Holo-Technik. Auf keinen Fall wollte er den guten Namen seiner Firma riskieren. Mit seiner Virtual Reality und Hologramm Technologie hatte die Kaiba Corporation bereits den Markt erobert, aber das war noch lange nicht sein Ziel. Es gab noch viel zu viele Dinge, die er unbedingt tun musste. Oder besser gesagt, Träume, die er sich erfüllen wollte. Zum einen wollte er auch ins Ausland expandieren und dort Kaiba Freizeitpärkte bauen, um so in mehreren unterschiedlichen Branchen vertreten zu sein und seine Machtposition zu stärken. Wenn es eines gab, was er wichtig empfand, dann war es Stärke. Wahre Stärke, die von nichts und niemanden zu erschüttern war. Ein Inbegriff seiner selbst. Sein Ego war so riesig, dass es nicht mehr in diese Dimension passte. Und Kaiba war verdammt stolz darauf, immerhin hatte er sich alles in seinem Leben hart erarbeitet und für seine Position an der Spitze gekämpft. Es gab niemanden, der besser war als er. Plötzlich stoppte er in seiner Bewegung. „Niemand“ stimmte nicht ganz. Es gab eine Person, die es bereits mehrmals geschafft hatte, ihn zu schlagen. Vielleicht war dieser junge Mann auch der Grund, warum er bis heute wie versessen auf Duel Monsters war. Ihre Duelle waren spannend, abwechslungsreich und immer wenn er ihm gegenüberstehen konnte, war er erfüllt von einer Lebensfreude und Anspannung, die ihn alles andere vergessen ließ. Mutou Yuugi war ein absolutes Genie, wenn es darum ging, komplizierte Rätsel zu knacken und ein Spiel zu durchschauen. Immer wenn Kaiba glaubte, dass er einen Sieg erringen konnte und er der festen Überzeugung war, dass sein nächster Zug sein letzter sein würde, überraschte Yuugi ihn und legte einfach eine andere Karte, verfolgte eine ganz andere Strategie. Er passte sich den Umständen an. Kaiba hatte ihn nicht nur als Duellanten zu schätzen gelernt, sondern auch als Menschen. Ihre regelmäßigen Duelle waren aus seinem Leben nicht mehr wegzudenken. Trotzdem hatte er nicht aufgegeben, danach zu streben, Yuugi endlich zu schlagen. Er fieberte diesem Moment entgegen. Wie er sich wohl fühlen würde, wenn Yuugi endlich eine Niederlage kassierte und er seinen rechtmäßigen Platz als König der Spiele einnahm? Dann wäre er endlich der beste Gamer auf der Welt. „Verdammt...“, murmelte er und rieb sich angestrengt sein Nasenbahn. Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es bereits 19 Uhr abends war und es langsam an der Zeit wurde, nach Hause zu gehen und das Büro zu verlassen. Er drehte sich mit seinen edlem Lederstuhl um und warf einen ausschweifenden Blick auf die Skyline von Domino City. Draußen war es bereits dunkel und die Stadt erstrahlte in bunten Lichtern. Eine Stadt, die von der modernen und qualitativ hochwertigen Technologie seiner Firma profitierte. Mittlerweile erwischte Kaiba sich immer häufiger dabei, Domino City als seine Stadt zu bezeichnen. Von den Reklameschildern bis hin zur U-Bahn Beleuchtung, fast überall prangerte das Logo der KC hervor. Vollkommen egal, was Kaiba machte, er tat es stets im großen Stil. Niemand sollte es auch nur wagen ihn zu unterschätzen. Grummelnd schloss er das E-Mail Postfach und fuhr seinen Laptop hinunter, packte diesen sorgsam in seinen silbernen Metallaktenkoffer und zog sich seinen Mantel über. Er würde Yuugi schon noch schlagen. Ganz egal, was er dafür einsetzen musste. In letzter Zeit hatte Yuugi seine Herausforderungen einfach abgelehnt. Er nannte keine Gründe. Sagte er hätte ein „Privatleben“ und keine Zeit für Duelle. Von wegen, dass er alle Hände voll zu tun hätte. Kaiba knurrte. Dass ihm sein Sieg gegen Yuugi weiterhin verwehrt blieb, kratzte an seinem gigantischen Ego und raubte ihm den Schlaf. Viel zu oft hatte er sein Deck umstellen, neue Strategien durchgehen müssen und immer noch keine perfekte Kontermöglichkeit für Yuugis atemberaubenden Kartenkombinationen gefunden. Vielleicht sollte er noch einmal probieren, diesen herauszufordern. Er musste einfach nur hartnäckig bleiben, dann würde er Yuugi schon vom Thron werfen und selbst die Anerkennung erlangen, die ihm gebührte. Sein Chauffeur Isono fuhr vor und er stieg rasch in seine tiefschwarze Luxuslimousine, auf dessen Motorhaube das Markenzeichen von Toyota erstrahlte. Nur das Beste und Teuerste für einen Mann wie Kaiba. Ein Mann seines Formates durfte ruhig mit seinen Errungenschaften angeben, außerdem liebte es Kaiba, wenn die Menschen zu ihm hoch sahen und ihn bewunderten. »Yuugi, du wirst schon noch für die Niederlagen bezahlen, die ich wegen dir erleiden musste.«, dachte er und betrachtete die Umgebung, die rasend an ihm vorbeirauschte. Isono fuhr möglichst schnell, um Kaiba nicht zu verärgern. Niemand legte sich ungestraft mit Kaiba Seto an. Auch Yuugi nicht. Kapitel 2: Kapitel 2 -------------------- „Die Kaiba Corporation ist wirtschaftlich so stark wie noch nie. Ganz Domino, nein, ganz Japan leckt sich die Finger nach meiner Technologie. Ich habe noch große Pläne was die Zukunft des Kaiba Parks angeht.“ „Kaiba-sama, sind Sie sich sicher, dass Hologramme in einem Freizeitpark die Besucher nicht erschrecken wird?“, fragte einer der Männer am großen Tisch, der etwas besorgt aussah. Tuscheln erfüllte den Raum. „Genau das bekam ich damals auch zu hören, als ich die Hologramme für Duel Monsters entwickelt habe. Und wie sieht es heute aus? Beantworten Sie mir die Frage“, kam es scharf von Kaiba. „Duel Monsters mit Hologrammen ist nicht mehr wegzudenken.“ „Ich gebe mich mit kleinen Erfolgen nicht zufrieden und setze mir ständig neue Ziele. Die Kaiba Corporation ist zukunftsweisend“, erklärte Kaiba und legte die einzelnen Papiere vor sich zu einem ordentlichen Stapel zusammen und heftete sie in einem Aktenordner ab. Bis eben hatte er die Pläne für seinen neuen Kaiba Park mit den Leitern der einzelnen Abteilungen besprochen. Ein neues Konzept sollte für ordentlich Aufwind sorgen und bis er tatsächlich mit den Entwürfen anfangen konnte, würde er auch Yuugi in einem Duell besiegt haben. Er grinste zufrieden, ehe er sich von seinem Stuhl erhob und den Raum verließ. Schnellen Schrittes bewegte er sich in Richtung Aufzug und fuhr in die oberste Etage, dort wo sich auch sein Büro befand. Seine Sekretärin erwartete ihn bereits und öffnete ihm die Tür. Sie ließ ihn kurz allein, ehe sie wiederkam mit einer Tasse Kaffee, die sie ihm auf den Schreibtisch stellte. Seit mehreren Monaten arbeitete sie hier bereits und wusste, dass das erste, was Kaiba sich wünschte, wenn er hier ankam, ein frisch gebrühter Kaffee war, ohne Milch und ohne Zucker. Bitter. Herb. Aber vor allem belebend. „Kaiba-sama, in Ihrer Abwesenheit haben mehrere Personen angerufen. Unter anderen ihr Geschäftspartner SeigoTec, die einen größeren Auftrag für uns hat, Yuugi Mutou, der auf ihren Wunsch angerufen hat und Matsuka-san, der Probleme bei der Produktion zu haben scheint“, ratterte sie monoton herunter, wurde aber harsch unterbrochen. „Um die geschäftlichen Angelegenheiten können Sie sich kümmern, falls Sie Hilfe brauchen, fragen Sie meinen jüngeren Bruder. Was genau hat Mutou Yuugi gesagt? Nimmt er meine Herausforderung an?“ „Nun...“, begann sie mit fester Stimme. Sie atmete tief ein, rückte ihre Brille zurecht und sah ihn mit einem selbstbewussten Blick an. Angst vor ihrem Chef hatte sie nicht, aber sie wusste, dass dieser sehr schnell aus der Haut fahren konnte, wenn man seine Anordnungen nicht befolgte. „...er wünscht, dass Sie zum Kame Game Shop kommen.“ „Wie bitte?!“, wiederholte Kaiba laut, schlug dabei mit beiden Händen auf seinen Tisch, so dass der Kaffee überschwappte. Aufgeregt erhob er sich von seinem Stuhl. Seine Sekretärin beeindruckte seine plötzliche Gemütsschwankung nur wenig. Wenn es um Mutou Yuugi ging, war ihr Chef doch sehr schnell Feuer und Flamme. Das hier war eine willkommene Abwechslung, denn so konnte sie sich sicher sein, dass er tatsächlich ein Mensch und kein Roboter war. „Ich habe ihm doch ausdrücklich geschrieben, dass er zum Duel Dom kommen soll!“ „Kaiba-sama, brüllen Sie mich bitte nicht an. Klären Sie das mit Mutou-san. Ich kenne die Gründe nicht“, sagte sie mit trockener Stimme, verbeugte sich kurz und verließ das Büro. Grummelnd ließ sich Kaiba wieder in seinen Chefsessel fallen. Super. Wer machte jetzt die Sauerei auf dem Tisch weg? Und was hatte Yuugi vor? Er wusste doch, dass er ein vielbeschäftigter Mann war. Dachte Yuugi ernsthaft, dass er sämtliche seiner Termine über den Haufen werfen würde, nur um einen kleinen Ausflug zum Kame Game Shop zu machen? Er hatte Wichtiges vor. Er durfte seine Arbeit nicht einfach liegen lassen, immerhin hatte er genug zu tun. Mit einem tiefen Seufzer erhob er sich und kramte eine Serviette aus einer Schublade, machte die Sauerei selbst weg. Wer immer diese Sekretärin war, die hatte echt Mumm diese Sauerei hier zu ignorieren. Seine letzte Angestellte hätte sogar den Boden geküsst auf dem Kaiba wandelte. Genau das war auch der Grund, warum er sie versetzt hatte. Kaiba brauchte jemanden mit starkem Willen. Jemand, der auch in der Lage war normal mit ihm zu kommunizieren, wenn er einen schlechten Tag hatte und seine miese Laune ungewollt an seiner Umgebung abließ. Rasch arbeitete er sämtliche E-Mails durch, beantwortete einige Anfragen und schickte Angebote an seine Kunden heraus. Als er endlich ein gutes Stück seiner Aufgaben erledigt hatte, schob er den Computerbildschirm kurz beiseite und griff nach dem Telefon. Ohne lange zu Zögern wählte er die Nummer des Kame Game Shops. Zu seinem Erstaunen ging niemand ans Telefon. Genervt schnalzte er mit der Zunge, ließ sich aber nicht beirren und versuchte es erneut. Auch beim vierten Versuch hob keiner ab. Entweder meinte Yuugi es ernst, dass er zu ihm kommen sollte oder es war gerade wirklich keiner da. Letzteres wagte er zu bezweifeln. Selbst wenn Yuugi nicht da wäre, wäre der alte Knacker oder die Mutter da. Obwohl er sich bei Yuugis Mutter nicht ganz sicher war. Er hatte sie nur einmal gesehen. Und auch nur ganz kurz. Dachte Yuugi wirklich, dass er alles stehen und liegen lassen würde? Ha, da hatte er sich aber geschnitten. Kaiba ließ sich von niemanden Befehle geben, erst recht nicht von irgendwelchen Kids, die keine Ahnung hatten, was das Berufsleben für Verantwortungen mit sich brachte. Gut, dass Yuugi genauso alt war wie er, konnte man ja mal übersehen. Immerhin sah Yuugi mit seiner geringen Körpergröße alles andere als erwachsen aus. Nicht, dass man sich von Äußerlichkeiten beeinflussen lassen sollte. Doch Kaiba musste schmunzeln, wenn sie nebeneinanderstanden, da Yuugi ihn nicht einmal bis zur Schulter reichte. Noch einmal wählte er die Nummer des Kame Game Shops. Gerade als er den Hörer wieder auflegen wollte, nahm jemand ab. Für einen Moment riss Kaiba die Augen verwundert auf. War Yuugi absichtlich nicht ans Telefon gegangen? Auch wenn Kaiba es niemals offen zugegeben hätte, so wusste er mehr über Yuugi und dessen Leben als ihm lieb war. Mit seinem Netzwerk war er in der Lage die ganze Stadt zu beobachten und es gab nichts, das ihm in Domino entging. Auch dass der Trottel Jounouchi einen richtigen Job gefunden hatte – Wunder geschahen immer wieder – war ihm nicht entgangen. Oder dass Yuugi seit Wochen nur selten sein Zuhause verließ. „Kame Game Shop, Sie sprechen mit Mutou!“, ertönte die fröhliche Stimme am anderen Ende des Telefons und Kaiba erkannte den alten Mann sofort wieder. Eigentlich hatte er gehofft, dass Yuugi selbst abhob, aber das war wohl zu viel verlangt. Seufzend verdrehte er die Augen. Zeitverschwendung. In der Zeit, wo er bei diesem Laden angerufen hatte, hätte er mehrere Anfragen beantworten können, stattdessen musste er sich auf Smalltalk mit dem alten Herrn einlassen. Alte Menschen wurden gesprächig, vor allem wenn sie nichts zu tun hatten. Der Kame Game Shop lief nicht sonderlich gut. Kaiba wusste in etwa welche Läden Relevanz besaßen und wer viele Kunden anzog. Kame Games war keinesfalls ein Trendsetter, vor allem nicht mit diesem Sortiment aus dem vorletzten Jahrhundert. Alte Brettspiele? Videospiele waren die Zukunft. „Hier spricht Kaiba. Ich will Yuugi sprechen“, sagte Kaiba in monotoner Stimmlage, um dem Alten hoffentlich verständlich zu machen, dass er keine Zeit für sinnlose Gespräche über Gott und die Welt hatte. „Ah! Kaiba-kun! Ist lange her. Man sieht dich ja gar nicht mehr“, begann der alte Mann und Kaiba spürte sofort wie irgendetwas riss, vermutlich sein Geduldsfaden. Sein Auge zuckte gefährlich. „Ist Yuugi zugegen?“, wiederholte er ruhig möglich und versuchte sich seinen Unmut nicht anhören zu lassen. „Ja, ist er. Ich kann ihn rufen, aber er wird wahrscheinlich eh nicht kommen. Ist ziemlich beschäftigt. Irgendein Projekt oder so“, erklärte der alte Mann und zwirbelte seinen Bart, nicht, dass Kaiba dies hätte sehen können. „Projekt? Für sein Studium?“, fragte Kaiba. Mist, jetzt war er doch neugierig. „Ach, damit ist er doch schon längst fertig! Hat gut abgeschlossen. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet Yuugi, der beinahe wegen seiner schlechten Noten sitzengeblieben wäre, studieren gehen würde und sogar einen recht guten Abschluss schafft.“ »Dieser verdammte...! Das interessiert mich alles gar nicht! Das Projekt! Komm doch endlich mal zum Schluss!«, dachte er und ballte seine Hand zur Faust, während er den Kopf leicht hängen ließ und darauf wartete, dass der alte Mann endlich zu Ende gesprochen hatte. Immer dieselbe Leier. Dabei wusste der alte Kerl doch ganz genau, dass er weder Lust noch Zeit für solche Gespräche hatte. Kaiba warf einen Blick auf die Uhr. Bereits zehn Minuten hatte ihm dieses Unterfangen von seinem Tagesplan gestohlen. Zeit, die er wieder aufholen musste und es sah nicht so aus, als würde er endlich den Mund halten und zum Punkt kommen. Stattdessen erklärte Sugorokou, dass Yuugi viel zu wenig essen würde, weil er ja so beschäftigt mit seinem Projekt war. Von früh morgens bis abends saß er vor irgendwelchen Plänen und bastelte etwas. Was genau dies war, erwähnte er nicht. Am liebsten hätte Kaiba ihm ordentlich die Meinung gesagt, aber er wollte nicht 'unhöflich' erscheinen oder das Risiko eingehen, dass der Großvater einfach auflegte und am Ende seine Nummer sperrte. Da Kaiba Yuugis Handynummer nicht hatte, konnte er ihn auch nicht direkt anrufen und ihn herausfordern. Meist forderte Kaiba ihn über die Medien zum Duell oder rief, wie heute auch, beim Laden an, nur um am Ende wieder Anekdoten des Hausherrn zu hören, der viel zu viel redete und weder Punkt noch Komma kannte. „Und was genau ist dieses Projekt denn nun?“, warf er nebenbei ein und hoffte, dass er nun endlich eine Antwort bekam. „Irgendein Spiel. Sieht nach einem Brettspiel aus, aber irgendwie auch wie ein Puzzle.“ War das sein Ernst? Kaibas Auge zuckte gefährlich und wäre er ein normaler Teenager mit etwas weniger Selbstbeherrschung gewesen, hätte er vermutlich mit voller Wucht seine flache Handfläche auf seine Stirn geklatscht und ein genervtes Stöhnen zum Besten gegeben. Aber das war er nun mal nicht. Also antwortete er erst mal gar nicht und fasste sich. Ging es noch geheimnisvoller? Eine solche Information war einfach viel zu vage, um klar sagen zu können, was genau Yuugi denn machte. Dass Yuugi Spiele liebte und schon mehrmals eigene Brettspiele gemacht hatte und diese sogar zur Schule mitbrachte, um sie mit seinen Freunden auszuprobieren, war ja wohl nichts Neues. Schon während ihrer gemeinsamen Schulzeit war Yuugi ein absoluter Gamer und hatte stets irgendetwas im Rucksack, womit er die Pausenzeiten füllte und seine Klassenkameraden dazu brachte, neugierig aufzusehen und zu tuscheln. Sein letztes Spiel war ein Würfelspiel, in dem man das Ziel erreichen musste, aber auf dem Weg einige Hindernisse gestellt bekam. Die Zeichnungen waren stümperhaft. Die Regeln lückenhaft und die Idee ein Klassiker. Nichts Besonderes. Durchschnittlich, wenn überhaupt. Kaiba hatte einfach nur gelacht. So gut die Idee auch war, so schlecht war auch die Umsetzung. Yuugi zeichnete gerne. Meistens Duel Monsters oder zumindest Kreaturen, die diesen ähnlich sahen. Das war nun acht Jahre her. Aus der Schule waren sie längst raus, waren ihre eigenen Wege gegangen und hatten sich verändert. Der kleine unschuldige Yuugi, der mehr einem Kind glich, wurde langsam erwachsen. Auch wenn er körperlich immer noch ziemlich schmächtig war, so war er im Gesicht doch gealtert. Er wirkte generell erwachsener, auch wenn sein Charakter sich kein bisschen geändert hatte. Vielleicht hatte er durch sein Studium neue Erfahrungen gesammelt und dazu gelernt. So oder so war Yuugi ein Genie. Zumindest wenn es um Spiele und komplizierte Rätsel ging. Also vermutete Kaiba einfach, dass er nun mehr Ahnung vom Erstellen von Spielen hatte und seine Entwürfe nicht mehr so amateurhaft und unüberlegt wirkten. „Geht es etwas genauer?“, hakte er nach und hob eine Augenbraue. „Hm, hat etwas vom Milleniumspuzzle? Wird auf jeden Fall 4D, wenn es irgendwann mal fertig ist. Er scheint nicht recht voranzukommen und steckt wohl fest.“ „Wollte er deswegen, dass ich zum Kame Game Shop komme?“ Wollte Yuugi ihn etwa um Hilfe bitten? Darauf konnte er aber lange warten. Er hatte ja nun wirklich genug zu tun. Da blieb ihm wohl kaum noch Zeit, sich um die Projekte anderer zu kümmern, auch wenn es sich dabei um seinen Rivalen handelte. „Na ja, du bist ja ein guter Freund von Yuugi. Da dachte er sicher, dass du ihm helfen kannst.“ »Guter... Freund?«, wiederholte er gedanklich und schluckte hart. Bis heute konnte er nicht verstehen, wie Yuugi auf die Idee kam, ihm zu vertrauen. Nach allem, was er ihm angetan hatte. Für Kaiba gab es keine Vergangenheit. Es gab schlicht und ergreifend keine Zukunft, wenn man der Vergangenheit hinterher trauerte, also musste man diese auslöschen und so sehr zerstören, dass sie einen niemals wieder einholen konnte. Nostalgische Gefühle waren ein Zeichen von Schwäche. Das hatte ihm ein gewisser Mann gelehrt. Ein Mann, den er mit jeder Faser seines Körpers verabscheute und auf dessen Antlitz, so vulgär es auch klingen mochte, spucken würde, wenn er denn die Möglichkeit dazu bekommen würde ihn wiederzusehen. Sein Hass und sein Zorn ihm gegenüber war grenzenlos. Aber so sehr er ihn auch hasste, so sehr hatte seine Ausbildung ihn geprägt und zu Erfolg verholfen. Zerstörte man die Vergangenheit, erschuf dies einen strahlenden Weg in die Zukunft. Und weil er so dachte, hatte er verdrängen wollen, was er Yuugi angetan hatte und wie sehr ihn seine erste Niederlage kränkte. Als er gegen Yuugi zum ersten Mal verlor hatte es sein Selbstvertrauen und sein Ego angekratzt. Er hatte jedes Spiel gespielt und zählte als der beste Gamer der Welt. Überall, wo er hinging, wurde er gefeiert, denn er hatte Geschichte geschrieben. Es gab kein einziges Spiel, in dem er nicht an der Spitze war, wo nicht der Name „Kai“ an erster Stelle stand. Jahrelang war er ungeschlagen. Es gab keinen Gegner für ihn. Da er niemanden hatte, mit dem er sich messen konnte, hatte er einen Höhenflug erlitten und hatte wirklich geglaubt, dass er für immer auf diesem Thron bleiben konnte. Bis ein kleiner Junge kam und ihn ohne Schwierigkeit herunter schubste und seinen Platz einnahm. Ein Junge, von dem er zuvor noch nie gehört hatte. Da er so weit oben gewesen war, war der Fall umso tiefer und der Aufprall so schmerzhaft, dass er dies nicht akzeptieren konnte. Er war ein Kämpfer und hatte nie aufgegeben und stets daran gearbeitet, der Beste zu sein. In diesem Wahn, der Beste sein zu wollen, ging er über Leichen. Er hatte sich von der Welt abgeschottet und an nichts Anderes mehr denken können. Rache. Diese Demütigung wollte er ihm heimzahlen. Yuugi sollte leiden, so sehr, dass er niemals wieder aufstand. Kaiba schluckte, erschrocken über seine eigenen Gedanken. Es war nicht seine Art in Erinnerungen zu schwelgen. Für jemanden, der in der Vergangenheit gefangen war, war die Zukunft unmöglich zu erreichen. Dass Yuugi ihm vergeben hatte und ihn sogar als Freund bezeichnete, erstaunte ihn umso mehr. Wie dumm und naiv konnte ein Mensch nur sein? Kaiba bestritt nicht, dass sie Gemeinsamkeiten hatten, aber niemals würde er so weit gehen, diesen überfreundlichen Weichling als seinen Freund zu bezeichnen. „Yuugi und ich sind keine Freunde, sondern Rivalen, Mutou-san.“ „Er sieht dich dennoch als seinen Freund an. Rivale oder Freund, wo ist da der Unterschied?“ „Sagen Sie ihm, dass er zu mir kommen soll und dass ich keine Zeit habe, ihn zu Hause zu besuchen. Wenn er Kaffee trinken und quatschen will, soll er sich jemanden suchen, der nichts zu tun hat.“ Es war ihm deutlich anzuhören, dass er genervt war und dieses Gespräch so schnell wie möglich beenden wollte. „Kaiba-kun, ich bin kein Botschafter. Wenn du etwas mit ihm klären willst oder dich mit ihm duellieren möchtest, solltest du ihn einfach direkt fragen und dies nicht immer über Umwege tun. Wenn du Yuugi als deinen Rivalen respektierst, wird auch der Weg zu uns nicht zu weit für dich sein. Schönen Tag noch.“ Sugorokou legte einfach auf, ohne ihm die Möglichkeit zur Antwort zu geben. Super. Ein 15-minütiges Gespräch hatte ihm den ganzen Tag versaut. Noch tiefer konnte seine Laune nicht mehr sinken, dachte er zumindest. Seine Sekretärin brachte ihm wortlos einen Stapel Briefe und ratterte wie gewohnt den Tagesplan ab, schaute dabei kein einziges Mal nach oben und schenkte auch seiner schlechten Laune keine weitere Beachtung. Obwohl er sie mehrmals wütend angefahren hatte, blieb sie ganz locker und ruhig, ließ sich keinerlei Emotionen ansehen. Genau deshalb hatte er sie eingestellt. Sie blieb unbeeindruckt und führte, ohne auf seine Provokationen einzugehen, ihre Arbeit fort. „Im Übrigen ist in ein paar Tagen Monatsabschluss und die Abteilung zuständig für die Produktion fragt nach der bevorstehenden Inventur und wie viele Leute sie einplanen dürfen, ohne die Planzeit zu überschreiten.“ „Um den Monatsabschluss kümmere ich mich persönlich. Stellen Sie nur sicher, dass sämtliche Abteilungen die Unterlagen bis Freitag Mittag fertig haben. Ich möchte nicht die ganze Nacht hier sitzen und Informationen zusammensuchen. Und sagen Sie Yoshita-san er solle sich doch endlich mal eine Schönschrift zulegen! Wer soll diesen Mist denn entziffern können?“ „Verstanden.“ Kapitel 3: Kapitel 3 -------------------- Kaiba wollte sich gerade dem Briefstapel widmen, als es an der Tür klopfte. Er antwortete nicht und ignorierte den ungeladenen Besucher, der meinte, er könne ihn nach Lust und Laune von der Arbeit abhalten. Er hörte nur, wie seine Sekretärin davon stöckelte, die Tür dabei öffnete und dabei den Gast hineinließ, den Kaiba eigentlich am liebsten wieder wegschicken wollte. „Nii-sama.“, begann der ungebetene Gast und lachte fröhlich. Mokuba war um einiges erwachsener geworden und grinste von einem Ohr zum anderen. „Ich bin mit meinem Projekt fertig geworden und ich dachte, dass wir das mal ordentlich feiern sollten!“ Mit seinen 19 Jahren war Mokuba ganz schön schlagkräftig geworden. Im Gegensatz zu Kaiba selbst war dieser selbstbewusst und offen. Allein in den letzten drei Jahren hatte er vier Beziehungen gehabt und war sehr stolz auf seine neueste Errungenschaft. Ein junges Mädchen mit blonden Haaren. Angeblich ein IT-Genie, das ein Händchen fürs Hacken und Programmieren hatte. Wo immer er diese Frau hergeholt hatte, sie war wohl wirklich eine Bereicherung für ihn gewesen. Nicht nur, dass er sehr viel fröhlicher und noch gelassener war als sonst – was Kaiba auch so schon ausreichend zur Weißglut brachte – auch sein Verhalten hatte sich geändert. Er war viel ernster bei der Sache, aber behielt sich stets diese unverwechselbare Art bei, die Kaiba an ihm schätzte. Ohne Mokuba da wüsste er wirklich nicht, was er tun sollte. Obwohl Mokuba selbst genug mit eigenen Projekten zu tun hatte, unterstützte er ihn regelmäßig und gab ihm die Luft zum Atmen, wenn er wieder einmal an seiner Arbeit zu ersticken drohte. Er brachte frischen Wind in seine Firma. „Dafür habe ich keine Zeit, Mokuba. Du weißt, dass ich einen strikten Zeitplan habe.“ „Nii-sama...“, stöhnte Mokuba genervt und setzte sich, ohne zu fragen, direkt auf den teuren Mahagoni-Schreibtisch, warf ein Bein über das andere, während er seinen Kopf in den Nacken legte und aufgeregt mit den Fingerspitzen über die Tischplatte hämmerte. „Man ist nur einmal jung und du könntest dir ruhig mal eine Pause gönnen. Du bist ja nur noch am Arbeiten, wenn du nicht aufpasst, liegst du schneller unter der Erde als dir lieb ist.“ „Im Gegensatz zu dir habe ich Verantwortung zu tragen, Mokuba.“ Mokuba schnalzte mit der Zunge. Er sah zu seinem älteren Bruder auf, aber was das Zwischenmenschliche anging war dieser eine Katastrophe. Immer nur Arbeit, Duel Monsters und sein Drang an der Spitze zu stehen. Für Mokuba war es unverständlich, dass sein Bruder an nichts anderes mehr dachte und selbst gar nicht bemerkte, wie viel Zeit er hier im Büro oder in seinem eigenen Keller verbrachte, wo er insgeheim neue Dueldisks bastelte. „Ich sagte auch nicht, dass du alles hinwerfen sollst. Aber du musst lernen, deinen Angestellten mehr zu vertrauen und diesen auch mehr Aufgaben zu erlassen. Ist es wirklich nötig, dass du jede einzelne Anfrage persönlich bearbeitest? Oder dieser Briefstapel!“ Mokuba zeigte auf den großen Stapel neben Kaiba und zog dabei ungläubig eine Augenbraue hoch. „Wozu öffnest du die Briefe überhaupt? Deine wichtigsten Partner antworten dir doch eh über E-Mail! Wer heutzutage ernsthaft Briefe verschickt, lebt in einem anderen Jahrhundert, Seto! Und du selbst sagst doch immer, wie wichtig die Digitalisierung für die Zukunft ist. Das ist unnötig Arbeit!“, erklärte Mokuba in seinem typischen Besserwisserton. Kaiba hasste es, wenn Mokuba ihn belehrte und behandelte wie ein kleines Kind. Immerhin war er fünf Jahre älter und er erwartete etwas mehr Respekt! Nicht, dass Mokuba das sonderlich interessieren würde. Dieser war nun mal auch schon erwachsen und ließ sich nicht den Mund verbieten. Die beiden Brüder waren wie Tag und Nacht und je älter sie wurden, desto mehr gingen ihre Meinungen – insbesondere was die Leitung der Kaiba Corporation anging – auseinander. Mokuba hatte komplett andere Herangehensweisen und pflegte zu den meisten seiner Angestellten eine sehr gute Beziehung. In Mokubas eigener Entwicklungsabteilung wurde sogar jeden Freitag Nachmittag zu Kaffee und Kuchen eingeladen, wo sie gemeinsam über Fortschritte und Probleme sprachen. Die Atmosphäre in Mokubas Abteilungen war tatsächlich vollkommen anders als in seinen eigenen, das konnte Kaiba leider nicht bestreiten. Die Leute dort lachten viel und wirkten generell viel motivierter. Wenn Kaiba sich einmal die Zeit nahm, mit seinen Abteilungsleitern zu reden oder überraschend in deren Büros aufzutauchen, war die Atmosphäre so angespannt, dass einem die Luft zum Atmen förmlich wegblieb. Seine Angestellten hatten Angst vor ihm. Im Normalfall genoss er es, wenn andere ihn fürchteten, doch in seiner Firma brauchte er motivierte Menschen, die nicht direkt einen Kreislaufkollaps erlitten, sofern sie ihren höchsten Chef persönlich sahen. „Du musst echt mal mehr an deinem Teamwork arbeiten, Seto.“ Kaiba platzte der Kragen. Erst dieser nervige Sugorokou, der seine Zeit mit Smalltalk verschwendete, dann seine Sekretärin, die einfach nicht zum Punkt kam und ernsthaft glaubte, dass sie ihm seine Aufgaben erklären musste und jetzt auch noch sein Bruder, der ihn so frech von der Arbeit abhielt und dabei noch so unverschämt klugscheißerte. „Runter von meinem Tisch.“, begann er noch relativ ruhig. Mokuba zuckte zusammen. Die Augen seines Bruders waren eiskalt und so abweisend, dass es ihm einen Stich im Herzen versetzte. Rasch hüpfte er wieder runter und stellte sicher, dass er genügend Abstand schaffte. Wenn Kaiba diesen Blick hatte, war nicht mehr mit ihm zu spaßen und er wollte ihn nicht noch unnötig verärgern, indem er ihn provozierte. Mokuba testete gerne seine Grenzen aus und es machte ihm Spaß, seinen älteren Bruder dazu zu bringen, mehr von sich preiszugeben, indem er ihn ein bisschen triezte, aber heute war er wohl etwas zu weit gegangen. „Mokuba. Das ist immer noch meine Firma. Du bist nur der Vize und wie ich meine Firma und meine Abteilungen leite, ist allein meine Sache. Ich nehme deine Vorschläge gerne an, aber ich habe wirklich genug zu tun und kann nicht so wie du einfach meine Arbeit liegen lassen. Ich trage Verantwortung. Für meine Firma, für meine Angestellten, unsere Produkte und den Ruf des Namen Kaiba. Ich kann mir keine Fehler erlauben und ich werde das tun, was ich für richtig halte.“ „Ich sage ja auch nicht, dass du das zwingend ändern musst...“, murmelte Mokuba und verschränkte die Arme. Sein kurzes Haar fiel ihm ins Gesicht, als er den Kopf leicht neigte und seinen Gegenüber misstrauisch ansah. „Bist du wirklich glücklich...?“, fragte er dann. Kaiba lachte nur gestellt. Glücklich? Es ging hier nicht um menschliche Gefühle oder darum, was er als Mensch wollte, sondern darum, was das Beste für seine Firma war und wie er der Welt beweisen konnte, dass sich niemand mit Kaiba anlegen konnte. All die Leute, die an ihm und seinen Ideen, seinen Technologien gezweifelt hatten, würden ihn anerkennen und seine Virtual Reality würde die Welt verändern. Er würden den Namen Kaiba reinwaschen und somit die dunkle Vergangenheit, die wie ein erstickender Schatten über ihn lag, endgültig vom Antlitz dieser Welt tilgen. „Mokuba, in diesem Business ist kein Platz für Gefühle. Das solltest du am besten wissen.“ Der Schwarzhaarige riss für einen Moment die Augen auf, ehe er sich auf die Unterlippe biss und den Blick abwandte. Sein Bruder spielte darauf an, dass er von Pegasus gekidnappt wurde und dort wie ein Sklave gehalten wurde. Dies war acht Jahre her, doch auch heute dachte er immer wieder daran und wurde von Alpträumen geplagt. Eingesperrt in diesem Turm, umgeben von eiskalten Mauersteinen und einem winzigen Fenster, das ihn Ausblick auf Bäume und Natur gab. Eiskalter Wind und absolute Isolation, während man ihm nur das Nötigste zu essen gab, um ihn am Leben zu erhalten. Die Zeit in dieser Gefangenschaft konnte er nicht vergessen. Mokuba sagte nichts, aber es war ihm deutlich anzusehen, dass Kaiba einen wunden Punkt getroffen hatte. „Mokuba“, begann der Ältere und noch ehe er etwas sagen konnte, wandte sich der Jüngere zum Gehen und vermied es so gut es ging, seinen Bruder anzusehen. „Es tut mir Leid! Warte doch!“, rief er ihm hinterher und stand auf, lief ihm einige Meter hinterher. Er griff ihm am Arm und in seinen blauen Augen war der Schock deutlich abzulesen. Kaiba war selbst am meisten schockiert darüber, was er in seiner Wut gesagt hatte. Wobei er ganz genau wusste, wie sehr Mokuba gelitten hatte und dass dieser das Trauma bis heute nicht überwunden hatte. „Schon gut, Seto. Ich habe verstanden. Du brauchst nichts und niemanden. Auch mich nicht.“ Wie sehr Mokuba sich verletzt fühlte, war in dem Beben seiner Stimme zu hören und Kaiba wünschte sich, dass er einfach die Zeit zurückdrehen und sich selbst eine Ohrfeige verpassen könnte, dass er seine Unzufriedenheit an seinem kleinen Bruder ausgelassen hatte. „Seto, du wirst Yuugi niemals schlagen können. Und weißt du warum?“ Kaiba sagte nichts und hörte ihm aufmerksam zu. „Yuugi – nein – viel eher der andere Yuugi, hat es dir damals schon gesagt. Solange du diese negativen Gefühle in dir nicht besiegen kannst, wirst du niemals ein wahrer Duellant werden können, geschweige denn Yuugi besiegen.“ Mokuba riss sich von seinem Bruder los und ging weiter, ließ die schwere Tür hinter sich zuknallen. Kaiba stand noch einige Minuten fassungslos vor der geschlossenen Tür und überlegte fieberhaft, wie er das wieder gut machen konnte. Es war ihm bewusst, dass Mokuba ihm nur helfen wollte und irgendwo, ganz tief in seinem Inneren, in der hintersten Schublade seines Verstandes, wusste er auch, dass dieser Recht hatte. Diese ganzen Briefstapel, die Anfragen und all diese Kleinigkeiten, die er selbst überwachte, waren einfach zu viel für einen Menschen allein. Auch für Kaiba Seto. Kapitel 4: Kapitel 4 -------------------- Das war das Ende seines Battle Citys. Wie konnte er nur verlieren? Das war unmöglich. Seine Strategie war perfekt. In jeder Hinsicht hatte er seine Schwächen ausgeglichen. Jede Karte war aufeinander abgespielt und es war praktisch unmöglich, dass Yuugi ihn besiegen konnte. Hier oben wollte er stehen, zum Horizont sehen und seine Vergangenheit voll und ganz auslöschen. Doch das konnte er nicht mehr. Jetzt, wo er verloren hatte, war alles umsonst. Wie sollte er Gozaburou nun besiegen? Wie sollte er nun seine Vergangenheit auslöschen? Alles um ihn herum wurde unscharf. Verloren. Verloren. Er hatte verloren. Nur der Sieger überlebte. Wer verlor, starb. So einfach war das. Und trotzdem stand er hier. Lebendig. Er spürte die Demütigung. Dieses Gefühl, dass seine Gliedmaßen taub werden und ihm schlecht werden ließ. Sein Magen drehte sich. Einmal mehr hatte Mutou Yuugi ihn besiegt und nun musste er ihm auch noch Obelisk geben. Sein Ziel war es die Sangenshin zu erhalten und somit der mächtigste Duellant aller Zeiten zu werden. Doch stattdessen stand er hier und hatte einmal mehr verloren. Hatte er überhaupt noch das Recht weiterzuleben? Die Schwachen hatten keine Chance. Kaiba hatte sich stets darum bemüht, stark zu sein. Er musste stark sein, durfte niemals aufgeben und es gab nur den Weg nach vorne. Das hatte Gozaburou ihn gelehrt. Zu verlieren, bedeutete nichts anderes, als das Recht auf sein Leben zu verlieren. Stärke. Er brauchte Macht. Vollkommen verwirrt von diesen Gedanken und diesem inneren Konflikt, blendete er seine Umgebung aus. Verzweiflung. Dunkelheit. Für einen Moment holten ihn seine Ängste aus der Vergangenheit ein und all die Emotionen, die er sonst unterdrückte, brachen über ihn ein, verschlangen ihn und ließen ihn in einem Meer von Hoffnungslosigkeit ertrinken. Wofür hatte gekämpft? Nur für sein Ego? War diese Macht, nach der er strebte, wirklich alles, was es in seinem Leben gab? Mit der Niederlage gegen Mutou Yuugi hatte er nicht nur Battle City verloren, sondern auch sein Licht. „Kaiba. Dein Hass bringt dir niemals den Sieg.“ Yuugis klare Stimme erreichte ihn nicht. Sie war wie ein Echo, das ungehört verhallte. Zu groß war der Abstand zwischen ihnen. Zu tief der Abgrund, der sich vor ihm auftat. Hier oben wollte er stehen, auf dem Symbol seiner Rache. Das war sein Ziel. All der Hass, den sein Stiefvater ihn gelehrt hatte, brachte ihm nicht den erwünschten Sieg. Die stärksten Fallen und Zauber hatte er in seinem Deck. Die stärksten Monster. Und dennoch hatte es nicht gereicht. Auch Mokubas Schrei kam nicht bei ihm an. Die Tränen seines Bruders nahm er nicht wahr. „Uns trennt zwar Sieg und Niederlage...“, begann sein Gegenüber. Dieses Mal erreichte ihn die Stimme, sie löste jedoch noch mehr Verwirrung in ihm aus. „Aber wir sind gleich stark!!“ Kaiba zuckte zusammen. Yuugi wagte es tatsächlich, ihn noch zu bemitleiden? Ein Verlierer verdiente es nicht angesehen zu werden. Er musste behandelt werden wie Abschaum. Also war es Yuugis Pflicht ihm den Rest zu geben und das bisschen, das sein Wesen definierte, restlos auszulöschen, um so an der Spitze stehen zu können. Für ihn da gab es auch keinen Grund mehr weiterzumachen. Seine Rache war gescheitert. Er konnte weder Yuugi noch seinen Stiefvater besiegen. Die Erniedrigungen aus der Vergangenheit, all die Scham, seine Ängste und auch sein Trauma würden ihn bis zu seinem Lebensende verfolgen. So konnte er ihn niemals besiegen. Er würde für den Rest seines Lebens in seinem Schatten stehen und niemals wahre Freiheit erreichen. So wollte er nicht leben. Also gab es für ihn nur noch den Tod. Doch sein Kontrahent bemitleidete ihn. Welch Schmach. „Bemitleidest du mich, Yuugi?“, rief er ihm entgegen und zeigte mahnend mit einem Finger auf ihn. Die Hoffnungslosigkeit machte Platz für Wut und Ärger. Hass. Zorn. „Ich sehe, dass du ein starker Duellant bist. Doch eines sage ich dir.“, begann Yuugi mit ruhiger und unglaublich fester Stimme. In seinen Augen lag Wärme. Zuversicht. Mut. Hier vor ihm stand ein Mann, der Niederlagen erlitten hatte und aus diesen gewachsen war. Dieser Blick, diese Amethystfarbenen Augen verschlangen ihn und zum ersten Mal seit Langem erreichten ihn die Worte seines Gegenübers und berührten seine Seele. Etwas, das er verloren geglaubt hatte, kam wieder zum Vorschein. „Du hast nur gegen ein Monster verloren. Das Monster namens Hass, das in dir wohnt. Bei einem Duell kämpfen nicht nur die Kartenmonster. Wut... Trauer... Hass... Gier... Der Feind existiert oft in der eigenen Seele. Sobald du sie alle besiegt hast, öffnet sich der Weg, um ein wahrer Duellant zu werden!“ Ihm stockte der Atem. Er hörte den Worten seines Gegenübers aufmerksam zu. Sein Verstand weigerte sich, zu verstehen, was er da sagte, doch sein Herz verstand schon längst. Kaiba Seto war schwach. All die Stärke, die er nach außen zeigte, hatte ihn seine Menschlichkeit gekostet. Um seine Ängste zu vernichten, hatte er seine Seele weggesperrt und nach etwas gesucht, das ihm einen Sinn im Leben gab. Der Sieg über Yuugi – nein, über Gozaburou Kaiba – sollte ihm endlich Frieden geben. Doch er war tot. Der Mann, der seine Seele mit einem Fleischermesser zerstückelt hatte und ihn schwer verwundete, war schon lange nicht mehr da. Er konnte sich nicht rächen. Er konnte die Erniedrigungen, die er über sich ergehen lassen musste, nicht ausmerzen und dieses Gefühl, sich nicht wehren zu können und ohnmächtig Befehlen Folge leisten zu müssen, würde für immer wie ein gigantischer Fels auf seiner Seele lasten. Yuugi wandte den Blick nicht ab. Er betrachtete ihn, als wären sie ebenbürtig. Wie schaffte er es, ihn so anzusehen? Ohne Abscheu? Ohne Hass? „Ohne den schwarzen Drachen in meiner Hand hätte ich verloren. Die Seelenkarte, die ich für meinen Freund aufbewahre... Die Macht der Freundschaft hat mir den Sieg gebracht.“ Yuugi hob die Karte hoch und das Bild des Schwarzen Drachen funkelte einmal auf. Nein, Freundschaft brachte einem keinen Sieg! Nettigkeit allein half niemandem. Nettigkeit und Liebe ernährte keine hungrigen Bäuche oder gab einem ein Dach über den Kopf! Nur Macht und Stärke war verlässlich. Dass Yuugis wahre Macht 'Freundschaft' sein sollte, konnte er nicht glauben. Das wollte er nicht akzeptieren. Dies ging ihm gewaltig gegen den Strich und stellte das exakte Gegenteil von dem dar, was er in seinem Leben gelernt hatte. Das Gegenteil von dem, was er ihm gelehrt hatte. „Freundschaft...?!“, keifte er wütend und ballte seine Hand zur Faust, als wollte er seinen Gegenüber ins Gesicht schlagen. Da er dies nicht konnte und körperliche Gewalt auch gegen seine eigenen Prinzipien gingen, nutzte er die Macht der Worte und wollte ihn verbal besiegen. „Albern! Ein so errungener Sieg bedeutet gar nichts! Ich brauche keine Freunde!“ Yuugis Blick blieb weiterhin unerschütterlich. In diesen Augen lag Stärke und es war genau diese Stärke, die ihn heute in die Knie zwang. Kaiba wollte sich dies nicht eingestehen und schloss die Augen. Freundschaft...? „Ha. Sprüche klopfen ist das Recht des Siegers. Ich schweige und ziehe mich zurück.“ Für einen Bruchteil einer Sekunde zögerte er, doch er war ein rechtschaffener Mann und würde die Regeln des Turniers auch bei sich anwenden. Er holte Obelisk heraus und warf sie ihm entgegen. Für ihn war dieses Turnier zu Ende. Sein Leben wurde verschont und nun konnte er nichts anderes mehr tun, als sich seine Niederlage einzugestehen und einmal mehr über eine neue Strategie nachzudenken. Irgendwann würde er Yuugi besiegen und somit auch seine Vergangenheit, die wie ein Schatten um ihn lungerte und stets drohte ihn in einen unendlichen Sumpf der Verzweiflung zu ziehen. Mokuba verhielt sich unnatürlich ruhig. Entweder hielt er Abstand, um Kaiba nicht noch unnötig mehr zu verärgern und ihm die Zeit zu geben, die Niederlage zu verarbeiten oder aber es lag ihm etwas auf den Herzen, das er nicht aussprechen wollte. Kaiba schenkte dem eigenartigen Verhalten seines Bruders keinerlei weitere Beachtung. Wenn es wichtig war, würde er schon von allein zu ihm kommen. Yuugi würde das Turnier gewinnen. Einen anderen Ausgang akzeptierte er nicht. Auch Jounouchi war wieder von den Toten erwacht und tollte wie ein Hund herum. Diese Freude nervte ihn, aber auch ihm wollte er nicht mehr Aufmerksamkeit schenken als nötig. Einmal mehr hatte er verloren. Trotz der Niederlage fühlte es sich jedoch so an, als hätte er etwas gewonnen. Was genau es war, konnte er nicht beim Namen nennen. Er stieg die Stufen des Turms hinab. Dieses Symbol der Rache war nichts weiter mehr als ein Zeichen seiner eigenen Schwäche und er würde dies mit seinen eigenen Händen vernichten. Zerstörung und Hass verstand er am besten. Die Möglichkeit seine Vergangenheit zu vernichten gab ihm Sicherheit. „Mariks finstere Macht ist bis zur Grenze angewachsen.“ Diese schöne, melodische Stimme erkannte er sofort. Isis kam ihm entgegen und sie schien allein gekommen zu sein, um ihn zu verhöhnen. War sie gekommen, um ihn wieder mit ihren Quatsch des Schicksals zuzutexten und ihn doch noch zum Esoteriker zu konvertieren? Dabei sollte sie schon längst verstanden haben, dass dies bei ihm nichts brachte und sie gegen eine eiserne Wand sprach. „Seto. Du glaubst, Yuugi kann selbst mit den beiden Götterkarten Mariks Deck und Raa nicht besiegen.“ Die Wahrscheinlichkeit ging praktisch gegen Null. Er erklärte ihr die Sachlage und machte seinen Standpunkt klar. Für ihn war das Turnier vorbei und er plante, den Turm im Meer zu versenken. Den Zeppelin würde er ihnen da lassen, damit sie die Insel verlassen konnten. Doch diese exotische Frau gab einfach nicht auf. Sie erklärte, dass Yuugi seine Hilfe brauchte und versuchte ihn dazu zu bringen, zu bleiben. Doch für ihn war die Sache erledigt. „Ein Gebet für einen Toten – Perit Cheru.“ Kaiba blieb stehen, riss schockiert die Augen auf. Dieses Gefühl, das ihn wie ein Blitz traf und Erinnerungen in ihm weckte, die eindeutig nicht ihm gehörten. Wieso glaubte er, dieses Gebet zu kennen und wieso fühlten sich diese Worte so vertraut an? Schon damals, als er zum ersten Mal im Museum ankam und diese riesige Steintafel sah, war ihm aufgefallen, dass er die Hieroglyphen lesen konnte. Er verstand die Worte und die Botschaft. Zwei Seelen, weit voneinander getrennt, auf der Suche nach einander und dem Ort, der sie einmal mehr verbinden wird. Dass dieser Ort Alcatraz war und diese beiden Seelen der Andere Yuugi und er war klar, doch das wollte er nicht glauben. Isis' Entschluss mit ihrem Bruder in den Tod zu gehen, ihre Loyalität und diese unglaubliche Stärke beeindruckten ihn, doch ihre Worte machten ihn rasend. Wie konnte eine Frau so viel Unsinn reden und nicht einmal merken, wenn ihr Gegenüber kein Interesse zeigte? Sie redete weiter und weiter, bis er es nicht mehr aushielt. Diesen Turm, dieses tolle Heiligtum der Seelen, würde er versenken und sämtliche Spuren zur Vergangenheit tilgen. Als er Mokuba den Befahl gab, den Timer zu stellen, rührte sich dieser nicht. Wieso stellte sich heute jeder gegen ihn? Fragend betrachtete er seinen jüngeren Bruder, der einfach nur den Kopf senkte und nicht reagierte. Kaiba war es gewohnt, dass sein Bruder immer auf ihn hörte. Hätte er ihm aufgetragen den Eiffelturm nach Japan zu bringen, hätte er dies ohne zu zögern getan. Vollkommen egal, wie abwegig und realitätsfern die Forderung. Doch Mokuba stand einfach nur da und stellte sich gegen ihn. Ein Verhalten, das ihm neu war. „Seto! Unser Hass, unsere Wut, die wir in uns tragen... Wir können Yuugi und seine Freunde da nicht mit reinreißen!“ Mokubas Augen waren mit Tränen gefüllt, seine Lippen bebten und sein Körper zitterte. Es war das erste Mal, dass Mokuba sich gegen ihn aussprach und das tat weh. Mehr als seine Vergangenheit. Mehr als sein Trauma. Mehr als die Niederlage. Dass Mokuba sich gegen ihn stellte und ihm nicht gehorchte, weckte ihn auf. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wofür er gekämpft hatte. Für wen. Er kämpfte für Mokuba. Sein geliebter, kleiner Bruder, der seine Welt erhellte. Wie konnte er das nur vergessen? „Ich... Am Anfang fand ich sie zum Kotzen und habe sie gehasst. Aber auf Pegasus' Insel haben sie todesmutig für mich gekämpft. Sie haben mich gerettet, als ob ich ihr Freund wäre...“ Mokuba schluchzte. Dies war das erste Mal, dass Kaiba erkennen musste, dass Mokuba nicht 100%ig hinter ihm stand und dass sie unterschiedlich waren. Aber er hatte dies akzeptiert. Er akzeptierte, dass Mokuba mit Yuugi und den anderen befreundet sein wollte und er hatte ihm nie verboten, sich mit anderen Leuten zu treffen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie mit ihren Weltanschauungen aneinander geraten würden. Auch wenn er selbst keine Freunde brauchte, so brauchte Mokuba diese. Und Kaiba brauchte Mokuba. Was er seinem geliebten Bruder gerade angetan hatte, schmerzte ihn und es war das erste Mal in acht Jahren, dass er wirklich darüber nachdachte, ob er nicht vielleicht doch einen Fehler gemacht hatte. Was nur sollte er jetzt tun? Er musste sich bei Mokuba entschuldigen und die Distanz, die sich zwischen ihnen aufbaute, endlich aufholen. Er wollte Moki nicht verlieren. Er war doch alles, was er in seinem Leben hatte. Bereits damals hatte ihm der Andere Yuugi sehr deutlich gemacht, dass er niemals siegen konnte, weil er dieses Monster in seiner Seele nicht vernichten konnte und erst heute erschloss sich ihm der Sinn der Sinn dieser Worte. Nein, erst heute war er bereit, diese Worte nicht nur mit seinem Herzen, sondern auch mit seinem Verstand zu verstehen. Er hatte Ruhm, Reichtum und Erfolg, doch niemand freute sich mit ihm. Er hatte niemanden mit dem er dies teilen konnte. Außer seinem Bruder. Er ließ sich auf seinem Bürostuhl fallen, das Leder knarzte unter ihm und er verharrte für einige Sekunden bewegungslos, schloss die Augen, ehe er zu seinem Hörer griff und die Nummer der Personalabteilung wählte. „Nakamura-san, ich brauche Ihre Hilfe.“ Kapitel 5: Kapitel 5 -------------------- Als er am Abend nach Hause kam und ihn seine zahllosen Bediensteten begrüßten, schenkte er ihnen nicht mehr Aufmerksamkeit als nötig. Normalerweise würde er sich nun sofort in seinem Keller verschanzen und an seinem Dueldisk weiter arbeiten, doch heute fehlte ihm die Lust dazu, da er emotional zu sehr aufgewühlt war. Mokuba war immer noch sauer auf ihn und hatte am Nachmittag sämtliche Nachrichten ignoriert. Auch die firmeninternen Angelegenheiten hatte er selbst nicht angenommen. Obwohl das Kaiba nicht weiter wunderte, immerhin arbeiteten seine Angestellten und er als Team, teilten sich die Arbeit auf, sodass sicher ein anderer die Nachrichten entgegengenommen hatte, auch wenn ihr eigentlicher Chef sie nicht beantwortet hatte. Heute hatte er etwas Neues ausprobiert und dem Chef der Personalabteilung die Anweisung gegeben, sich um die neuen Anfragen zu kümmern und die Post entgegen zu nehmen und zu bearbeiten. Dieser hatte diese Aufgabe auch sehr schnell bearbeitet. Schneller, als es Kaiba lieb war. Vielleicht sollte er, so wie es Mokuba ihm vorgeschlagen hatte, ein paar seiner Tätigkeiten weiterleiten, um so mehr Zeit für sich und seine Projekte zu finden. Dass Mokuba Recht hatte, ärgerte ihn zwar, aber wichtiger war es ihm, sich wieder mit diesem zu vertragen. Auch zum Abendessen erschien Mokuba nicht. Er meldete sich weder telefonisch noch über den neumodischen Nachrichtendienst, die der junge Mann ihm ungefragt auf seinem Smartphone installiert hatte. Gut, wenn Mokuba beleidigt sein wollte, sollte er dies ruhig tun. Er saß einige Minuten in dem großen Speisesaal und wartete ab, ob dieser nicht vielleicht doch hineinplatzte und ihn wie gewöhnlich mit einem Lächeln entgegen strahlte. Nichts dergleichen geschah. Wortlos aß er seinen Teller leer und verzog sich in den Wohnraum, wo er den Fernseher anschaltete und versuchte 'abzuschalten', wie sein jüngerer Bruder es wohl nennen würde. „Kommen wir nun zur Börse! Sato-san, wie sieht es aus?“, fragte der Nachrichtensprecher. Das Bild wechselte und eine junge Frau, die einen Anzug trug, wurde eingespielt, vor ihrem Gesicht hielt sie ein Mikrophon und wies mit einer Hand auf die Anzeigetafeln. Mit Begeisterung erklärte sie die momentane Wirtschaftslage. „Momentan ist die Kaiba Corporation weiterhin Spitzenreiter. Wir haben einen Aktienwertzuwachs von über 5,03% und auch die Prognose sieht phantastisch aus. Seit die KC mit Industrial Illusions fusioniert ist, sieht es so aus, als würde keiner diese Firma jemals von der Spitze werfen können. All Nippon Airways: ein Zuwachs von 0,35%; Sie sehen: insgesamt sieht's aber nicht so rosig aus! In Sekundentakt fallen die Werte. Sowohl Euro, US Dollar als auch Yen haben stark an Wert verloren und die Ölpreise weltweit steigen immer weiter, außerdem – “ Kaiba schaltete den Fernseher wieder ab. Dank der Fusionierung von I² und KC war seine Firma so stark wie noch nie. Seit er die Rechte an Duel Monsters erworben hatte, gab es kaum noch Grenzen, die ihn halten konnten. Da Pegasus J. Crawford das Zeitliche gesegnet hatte, hatte Kaiba sich auf ihre vorherigen Vertragsabschlüsse berufen und es geschafft, diese Firma in seine zu integrieren. Er hatte niemanden entlassen. Diejenigen, die bisher auch in der Entwicklung arbeiteten, behielten ihre Arbeit und kümmerten sich weiterhin um neue Kartendesigns. Kaiba konnte natürlich nicht bestreiten, dass ausgerechnet der Weiße Drache einige neue alternative Versionen bekommen hatte, die ihm sehr zugunsten kamen. Auch hatte er eine neue Magiermädchen Reihe in die Welt rufen lassen, von der er Yuugi sämtliche Ausführungen überlassen hatte. Duel Monsters war noch stärker und beliebter geworden, seit das Spiel unter dem Namen KC vertrieben wurde. I² wurde acht Jahre nach Pegasus' Tod zwar immer noch erwähnt, aber das würde sich mit der Zeit schon geben. Kaiba hasste Pegasus für das, was er ihm und seinen Bruder angetan hatte und er hatte keine Sekunde damit verschwendet, den Verlust dieses Mannes zu betrauern. Auch seine neuesten Projekte würden gut ankommen. Hologramme in einem Vergnügungspark würden sicher hilfreich werden und das Erlebnis in einer Geisterbahn bereichern. Er hatte bereits einige Pläne und auch der Erwerb von Grundstücken im Ausland war kein Problem. Und trotzdem konnte er nicht sagen, ob er zufrieden war. War er wirklich glücklich? Er wollte Yuugi in einem Duell schlagen und endlich den Titel als König der Duelle erhalten. Doch war das wirklich alles? Die Duelle mit Yuugi rissen ihn aus seinem Alltag und immer wenn sie sich gegenüberstanden, spürte er wie sein Herz mit Feuer entbrannte und er alles hinter sich lassen konnte. Doch Yuugi nahm seine Herausforderung nicht an. Eine klare Absage. Kaiba staunte darüber, da Yuugi noch nie abgelehnt hatte und er sich den Grund für seine Entscheidung nicht so recht erklären konnte. Ohne weiter darüber nachzudenken, fasste er einen Entschluss. Er lockerte seine Krawatte und verließ sein Wohnzimmer, eilte die Treppen hinab und und verließ sein Anwesen. Mit seinem weißen Sportwagen Koenigsegg CCXR Trevita raste er so schnell durch die Straßen, dass er nur wenige Minuten brauchte, um sein Ziel zu erreichen. Mit Kaiba legte sich niemand an. Den Trevita gab es nur zweimal weltweit und Kaiba hatte sich einen sichern können, sogar in der Farbe seines geliebten Weißen Drachen. Da waren die 4,8 Millionen Yen gut investiert. Sein letzter Sportwagen konnte da absolut nicht mithalten, so dass er ihn Mokuba zum 18ten Geburtstag geschenkt hatte. Da Kaiba mit seinem letzten Wagen auch nur zwei Mal gefahren war, war der auch praktisch ein Neuwagen. Mokuba hatte sich gefreut, nutzte den Wagen aber auch nicht viel häufiger. Man brauchte einen Sportwagen auch nicht unbedingt jeden Tag. Kaiba fand aber, dass dies ein Must-Have war und er wollte keinesfalls auf diesen Luxus verzichten. Als er vor dem Kame Game Shop zum Stehen kam, ließ er den Motor so laut brummen, dass selbst Tote wieder auferstanden wären. Im Haus brannte noch Licht, also hatte er keinen geweckt. Der Laden war seit gut zwanzig Minuten geschlossen, doch das hinderte den Firmenchef nicht daran, trotzdem einzutreten. Das kleine Glöckchen über der Tür läutete und der Ladeninhaber starrte ihn entgeistert an. Vermutlich wollte er den unerwünschten Gast wieder herausbitten, er öffnete seinen Mund einen Spalt breit, schloss diese sogleich, als ihm bewusst wurde, mit wem er es zu tun hatte. Der alte Mann musterte ihn als wäre gerade ein Alien eingetreten. Kaiba trat näher. „Yuugi wollte mit mir sprechen. Ich habe mich zwar nicht angekündigt, aber das wird wohl in Ordnung sein?“, fragte Kaiba mit einem solch desinteressierten Gesichtsausdruck, dass Sugorokou sich nicht sicher war, mit wem dieser nun sprach. „Heute ist aber viel los. Erst der jüngere Bruder und jetzt der ältere. Habt euch gerade verpasst! Mokuba ist mit Yuugi weggefahren.“ Kaiba fühlte sich erschlagen. Die ganze Mühe umsonst. Dabei wollte Yuugi doch, dass er kam und nun war er nicht da. Gut, an Yuugis Stelle hätte er auch nicht mit diesem ungewöhnlichen Besuch gerechnet, weshalb er ihm kaum einen Vorwurf machen konnte. Moment. „Mokuba war hier?“, wiederholte er ungläubig und stützte sich am Tresen ab. „Ja, wollte feiern gehen. Yuugi hat widerwillig zugesagt und sie sind vor ungefähr einer halben Stunde weggefahren. Haben sie dich vergessen?“, bohrte der Hausherr nach und machte große Augen, als hätte sich ihm hier direkt vor seiner Nase eine Naturkatastrophe abgespielt. Nun, sozusagen war es auch so. Wer konnte denn schon behaupten, dass man den gefragteste Mann der Welt getroffen hatte? Sicher nicht viele. „Nein. Alles in Ordnung...“, stieß Kaiba hervor und drückte sich vom Tresen weg, drehte sich auf dem Absatz um und wollte wieder gehen, doch der alte Mann ließ nicht locker, nicht, dass er etwas Anderes von diesem erwartet hätte. Geschwätziger alter Kauz! „Wolltest du mit Yuugi über sein Projekt reden?“ „Mehr oder weniger.“, erklärte er kurz und knapp, hoffend, dass diese Antwort genügen würde. „Ich habe Tee gemacht und vielleicht kannst du einen Blick auf Yuugis Spiel werfen. Ich liebe Spiele, aber mit Technik kenne ich mich nicht aus.“ „Technik?“, wiederholte Kaiba. Yuugi wollte irgendetwas mit Spielen machen, also ging Kaiba davon aus, dass dieser Brettspiele und dergleichen erstellen wollte. Immerhin hatte dieser in ihrer gemeinsamen Schulzeit dieses Eindruck bei ihm hinterlassen. Sollte es ein virtuelles Spiel werden? Yuugi hatte weder die Mittel noch die Möglichkeit ein solches Projekt zu verwirklichen. Nun verstand Kaiba auch, dass Yuugi an seiner Idee verzweifelte und dringend nach Hilfe suchte. Eventuell hatte er in Mokuba seinen Fels in der Brandung gesehen. Mokuba und Yuugi waren ihm beide wichtig und genau diese beiden Menschen, die ihm mehr als alles andere bedeuteten, ließen ihn nun hier zurück. „Plätzchen habe ich auch!“, sagte der Alte und lachte, Kaiba verzog keine Miene und zwang sich dieses Lachen zu erwidern. Die Töne, die er ausspuckte, klangen so schräg und künstlich, dass selbst Sugorokou gemerkt haben musste, wie viel es dem Firmenchef abverlangte, dieses Theaterstück aufrecht zu erhalten. Sugorokou ließ sich aber nichts anmerken und sie betraten das Wohnzimmer. Kaiba staunte darüber, wie winzig und eng der Wohnraum war. Er war seit Jahren seine Villa gewohnt und das gesamte Haus der Mutous war in etwa so groß wie sein Speisesaal. Nicht sonderlich groß also. Kaum zu glauben, dass hier mehrere Personen lebten und zusammen Zeit verbrachten. „Mutou-san, ich danke Ihnen für die Gastfreundschaft, aber ich möchte weder Plätzchen essen noch Tee trinken. Sie können sich ja wohl denken, dass ich ein vielbeschäftigter Mann bin und nicht grundlos diesen Weg auf mich genommen habe.“, erklärte Kaiba dann. Der Blick des alten veränderte sich. Ihm war die Enttäuschung anzusehen. Für einen Bruchteil einer Sekunde fühlte er sich schuldig und es tat ihm beinahe leid, dieses tolle Angebot abgelehnt zu haben, doch dann erinnerte er sich daran, dass er dem alten Mann überhaupt nichts schuldete und es gar keinen Grund gab, sich schlecht zu fühlen. Sollte er doch mit seinem Enkel Kuchen essen! Mit einem Mann von Welt, wie es Kaiba nun mal war, konnte man doch nicht einfach Kuchen – auch wenn es in diesem Fall um Plätzchen ging, was Kaiba mehr oder weniger absichtlich ignorierte – essen. Seine Anwesenheit war ein Privileg. „Verstehe.“, murmelte der Ältere und wies Kaiba dazu an in Yuugis Zimmer zu gehen. Das erste, was dem Firmenchef auffiel, war, dass der Raum unglaublich unordentlich war. Wie konnte ein Mensch hier drin arbeiten geschweige denn leben? Wäsche lag auf dem Bett verteilt und am Boden lagen mehrere Blaupausen, von denen Kaiba nicht sagen konnte, ob diese einen ernsthaften Plan verfolgten oder einfach nur rasch gekritzelt waren. An der Wand hing ein sehr großes Poster von irgendeiner Band. Dem Kleidungsstil der Personen, die auf dem Poster abgebildet waren, nach zu urteilen, mochte Yuugi Visual-Kei, was auch den außergewöhnlichen Modesinn und Yuugis Frisur erklärte. Am Schreibtisch ein Foto, eingerahmt und sehr gut erhalten. Im Gegensatz zum Rest des Raumes wurde dieses sogar regelmäßig entstaubt. Drei lachende Personen, die Yuugi sehr viel bedeuteten und dieser strahlend in der Mitte. Als nächstes fiel sein Blick über den ungewöhnlich aufgeräumten Schreibtisch, auf dem sich ein Stapel Entwürfe, Skizzen, Pappe und Bastelkleber befand. Kaiba schüttelte den Kopf. Wenigstens den Deckel vom Kleber hätte er schließen können! Nicht, dass er von Yuugi etwas anderes erwartete. Er hätte nie gedacht, dass er jemals in Yuugis Jugendzimmer kommen würde. Es fühlte sich eigenartig an, in dem fremden Sachen anderer zu wühlen. Eigenartig, aber auch aufregend. Den großen Entwurf nahm er in die Hand, betrachtete das skizzierte Bild genau und las die Randinformationen durch. Besser gesagt versuchte er diese Schriftzeichen zu entziffern. Sorgfalt und Ordnung ließ zu wünschen übrig. Völlig in Gedanken versunken, setzte er sich auf den Bürostuhl von Yuugi, der unter seinem Gewicht laut ächzte und Kaiba für einen Moment erschrocken die Augen aufreißen ließ, da er befürchtete, dass der Stuhl einfach unter ihm zusammenbrach. Nicht nur, dass die Sitzfläche viel zu klein war, auch hatte er absolut keinen Platz seine Beine auszustrecken. Yuugi war einfach viel zu klein. Sein 'Arbeitsraum' war – sofern man dies überhaupt so bezeichnen konnte – alles andere als professionell und er wagte zu bezweifeln, dass man in so einer Umgebung konzentriert arbeiten konnte. Allein dieses Foto lenkte doch schon von etwaigen Gedankengängen ab, oder diese Kuribohfigur am Bleistift, von der Kaiba eindeutig sehen konnte, dass Yuugi in seinen Gedanken auf ihr herum geknabbert hatte. Kein Wunder, dass Yuugi mit seinem tollen Projekt nicht recht vorankam. Je länger Kaiba sich in Yuugis Zimmer aufhielt, desto mehr gewöhnte er sich an das Chaos und gab immer wieder nachdenkliche Geräusche von sich. Der Entwurf war gut, das Spiel interessant und sehr facettenreich, doch es fehlte der Feinschliff. Eine Sphäre oder mehr eine Kristallkugel war das Spielfeld, was den Spielablauf in die Realität versetzte und dem Spieler sehr viel räumliches Denken abverlangte. Sicher kein Spiel für Kinder oder Menschen, die nicht weit vorausdenken und planen konnten – also in anderen Worten: Jounouchi Katsuya. Hier kam eindeutig Yuugis Genie zum Vorschein. Obwohl Kaiba selbst seit Jahren in dieser Branche tätig war, so erstaunte ihn dieses Spiel und weckte seine Neugierde. Ein Projekt wie dieses konnte man mit einem gebastelten Ball nicht fertigstellen. Da Yuugi nicht da war, konnte er schlecht fragen, ob er einige Verbesserungen durchführen konnte, also umfasste er den Bleistift mit der angekauten Kuribohfigur an der Spitze und zeichnete mehrere Korrekturen ein und schrieb in ordentlichen und gut lesbaren Kanji mehrere Ideen und Anregungen auf den Rand, die Yuugi hoffentlich auffallen würden. Dieses Spiel hatte sein Interesse geweckt. Es erinnerte ihn an Schach, Capsule Monsters, Dungeon Dice Monsters und Duel Monsters. Eine wunderbare Kombination, die eine völlig neue Ebene des Spielens erreichte. Ob Yuugi sich im Klaren war, dass das Spiel hauptsächlich ältere Personen ansprechen würde und nichts für Kinder war? Das Quietschen der Zimmertür, die vorsichtig geöffnet wurde, riss ihn aus seinen Gedanken und ließ ihn verwundert aufsehen. „Kaiba-kun, es ist bereits spät. Du sitzt bereits drei Stunden hier.“, sagte der alte Mann und zog fragend eine Augenbraue in die Höhe. Dafür, dass der Firmenchef kein Interesse an Yuugi gezeigt hatte, nahm er sich nun ungewöhnlich viel Zeit für dessen Projekt. Irgendetwas stimmte hier nicht. „Ich war völlig in Gedanken.“, murmelte Kaiba und rieb sich sein Nasenbein, ehe er sich vom Stuhl erhob und noch einen weiteren Blick auf den Entwurf warf. Da sein Blick so finster war, verrieten seine Augen nicht, woran er dachte, so dass Sugorokou den Kopf schief legte und sich wunderte, was dem jungen Mann vor ihm gerade durch den Kopf ging. „Alles in Ordnung?“, wollte er dann wissen und betrat den Raum, stolperte beinahe über eine achtlos auf den Boden geworfene Jeans, die er dann ergriff, zusammenlegte und aufs Bett ablegte. Yuugi vergaß wirklich alles um sich herum, wenn er sich mal in etwas verbissen hatte und im Moment dachte er an nichts anderes mehr, als dieses Spiel fertigzustellen. „Mutou-san.“, sprach Kaiba klar und deutlich. Seine tiefe Stimme hallte in den Ohren des alten Mannes wieder und er zuckte zusammen. „Sagen Sie Yuugi, dass er morgen um 11 Uhr in mein Büro kommen und dass er mehr Ordnung halten soll. So kann man weder arbeiten noch denken.“ Sugorokou war sich nicht sicher, ob die Worte des Firmenchefs nun positiv waren oder nicht. „Mach ich.“, stammelte er dann, während sich Kaiba an ihm vorbei drückte und die Treppen hinunterstieg. Er verabschiedete sich nicht und verließ das Haus. Eigentlich war er gekommen, um Yuugi zu einem Duell herauszufordern und wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Yuugi war der einzige Duellant, der sein Blut in Wallung brachte und ihm den Adrenalinkick gab, den er dringend brauchte, um wieder nach vorne sehen zu können. Ihre aufregenden Duelle waren das einzige, das ihn von der stressigen Arbeit ablenkte und ihm dabei half, sich stets weiterzuentwickeln und danach zu streben, noch besser zu werden. Yuugi war seine Inspiration. Sein lang ersehntes Duell hatte er nicht bekommen, dafür aber etwas genauso Wertvolles. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. Seine langen Finger umgriffen den Lenker und er fühlte das feine Leder unter seiner Haut, das beim Anstellen des Motors leicht vibrierte. Sein Kopf war wieder klar und er wusste, was er tun wollte und wie er Mokuba beweisen konnte, dass ihm etwas an ihm lag. Vielleicht war Yuugis Projekt sein Ausweg aus dem Teufelskreis, den er von selbst nicht auszubrechen vermochte. Kapitel 6: Kapitel 6 -------------------- „Mokuba...“, sagte Yuugi zum wiederholten Male und versuchte den Schwarzhaarigen zu beruhigen, doch dieser hörte nicht auf ihn und schlug wütend mit der Faust auf den Tisch. „Was denkt er eigentlich, was er ist? Mein Vater? Ich bin sein Bruder und er behandelt mich wie ein kleines Kind!“, meckerte er und griff nach seinem Glas, trank dieses komplett aus und ließ dieses knallend auf den Tisch hinabfahren. „Ich bin mir sicher, dass er das so nicht gemeint hat. Kaiba-kun hat sicher nur viel zu tun –“, bevor Yuugi seinen Satz zu Ende sprechen konnte, drehte sich der Jüngere zu ihm um. Das Lokal „Duel Café“ wurde von der KC mitfinanziert, weshalb die Wände auch von Duel Monsters Bildern geziert wurden. Figuren des weißen Drachen begrüßten die Besucher und erinnerten stark an den Kaiba Park. Kaibas Liebe zum Weißen Drachen war überall und immer erkennbar. Die Einrichtung war edel und stach sofort heraus. Die Konkurrenz musste so einiges bieten, um dieses luxuriöse Geschäft von seiner Position als beliebtestes Lokal in ganz Domino, abzulösen. Günstige Preise, viel Auswahl und ein Ensemble, das nur schwer zu überbieten war. Hier passte so ziemlich alles zusammen. Kaiba war nicht nur reich, sondern hatte auch guten Geschmack und einen Sinn für Trends. „Ist mir egal, ob er es gemeint hat oder nicht!“, murrte er und warf Yuugi einen vorwurfsvollen Blick zu. „Ich kapier' nicht, warum du ihn immer noch in Schutz nimmst! Seto verhält sich wie das Letzte. Dir und mir gegenüber.“ Yuugi legte seine Stirn in Falten. Mokuba hatte schon ein wenig Recht, aber er konnte dem Chef einer gigantischen Firma, die sehr viel Verantwortung trug, doch keine Vorwürfe machen. Aus diesem Grund hatte Yuugi akzeptiert, dass man Kaiba einfach nie durchschauen konnte und dass es nicht einfach war, mit diesem auf einen grünen Zweig zu kommen. Auch, dass Kaiba mal wieder von ihm verlangte, zum Duel Dom zu kommen, ohne auch nur den kleinsten Hauch von Rücksicht zu zeigen, war ihm nicht entgangen. Kaiba ging es oft nur um sich selbst und er neigte dazu, seine Umgebung und die Menschen, die ihn liebten und brauchten, vollkommen auszublenden, wenn er wieder in seiner Arbeit versunken war oder an neuen Plänen arbeitete. „Ich habe Monatelang – nein JAHRELANG – an dem Videospiel 'Capsule Coliseum' gesessen und heute sind wir endlich fertig geworden. Und es hat ihn überhaupt nicht interessiert!“ Yuugi senkte den Blick. „Yuugi, ich weiß, dass du meinen Bruder echt gern hast, aber selbst du musst doch einsehen, dass das echt gemein war.“ „I-ich hab ihn nicht gern!“, verteidigte er sich und schämte sich im selben Augenblick dafür, so reagiert zu haben. Diese Reaktion war eindeutig zu überzogen und verriet weitaus mehr über seine Gefühle und Gedanken zu Kaiba, als es nötig war. Gut, dass Mokuba kein Mensch war, der auf solchen Dingen großartig herum ritt. Wäre er mit Honda, Anzu oder gar Ryou unterwegs gewesen, hätten diese noch stundenlang später Witze auf seine Kosten gemacht. Yuugi war sehr zurückhaltend und schüchtern und gerade weil er so war, wie er war, machte er sich viel zu oft viel zu viele Gedanken darüber, was andere von ihm dachten oder wie er anderen Leuten besser gefallen konnte. Nicht, dass er es seinen Freunden übel nehmen würde, wenn diese sich auf seine Kosten amüsierten, trotzdem blieb immer ein bitterer Nachgeschmack und die Frage, ob er nicht doch zu viel von sich offenbart hatte. „Ich meine doch nur, dass er eben nicht so gut zeigen kann, dass ihm etwas an dir liegt!“ „Ja, weil er ein emotionaler Krüppel ist.“, grummelte der Jüngere und bestellte sich ein weiteres Glas Matcha Hai, um sich von seinem Ärger abzulenken. Yuugi grinste nur und stützte sich mit seinen Ellbogen am Tisch ab und begann dann mit ruhiger Stimme weiterzusprechen. „Und obwohl du das weißt, bist du bei ihm. Kaiba-kun ist bestimmt glücklich, dass du ihn so viel unterstützt. Vielleicht hat er nicht so wirklich verstanden, wie viel dir Capsule Monsters bedeutet. Jeder hat ein Lieblingsspiel und du hast auch das Recht sauer auf ihn zu sein.“ „Ja und ich werde jetzt so lange die beleidigte Leberwurst spielen, bis er sich entschuldigt.“ „Und du glaubst ernsthaft, dass das funktioniert?“, wiederholte Yuugi und starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an, sein Mund stand dabei sperrangelweit offen. Das war nicht sein Ernst? Kaiba war niemand, der auf so etwas einging, das müsste er doch am besten wissen! „Keine Ahnung, ist mir aber auch egal. Ich bin erwachsen und alt genug, um auf mich selbst aufzupassen. Auch ohne meinen genialen großen Bruder werde ich mir einen Namen als Spieleentwickler machen und mich doch nicht noch von ihm ärgern lassen.“ „Sei nicht zu hart zu ihm.“, kam es mahnend von Yuugi, der den Blickkontakt zu ihm suchte. „Keine Sorge, der überlebt das schon. Man, du machst dir viel mehr Sorgen um ihn als um mich! Dabei brauche ich deinen Trost jetzt und nicht er!“ Yuugi kicherte und hielt sich eine Hand vor dem Mund, als wollte er versuchen, sein Lachen zu verstecken. Mokuba ließ einfach nur den Kopf hängen und legte sich dann mit seinem Oberkörper auf den Tresen. Sein kurzes schwarzes Haar fiel ihm ins Gesicht. „Du bist aber auch ein Idiot, Mokuba.“, mischte sich nun eine dritte Person ein, die bis eben nichts mit dem Gespräch zu tun hatte. Der Kellner hinter dem Tresen, ein großgewachsener blonder Mann mit schwarzer Weste, roter Fliege – die eindeutig das Highlight seines Outfits war und sofort herausstach – und Vorbinder, drehte sich zu ihm und stellte dem Angesprochenen ein großes Glas hin. Das Getränk, das er vor wenigen Minuten bestellt hatte. „Und was würdest du tun, Jounouchi?“ Mokuba machte sich gar nicht die Mühe, sich aufzurichten und in seiner Stimme war eindeutig herauszuhören, dass ihn diese Tipps nicht wirklich interessierten, da er von Jounouchis und Kaibas Beziehung zueinander wusste. Dass der Blonde seinen Bruder nicht ausstehen konnte, war ja allgemein kein Geheimnis. Allein schon nach dem letzten Turnier und wie die beiden im Wortgefecht aneinander geraten waren, gab Aufschluss darüber, wie sie übereinander dachten und dass man die beiden nicht unbewacht in einem Raum lassen konnte. Es handelte sich um ein Kartenspiel und eigentlich hätten sie ihre Differenzen im Spiel beilegen sollen, doch Kaiba wäre nun mal nicht Kaiba, wenn er nicht den ein oder anderen provokanten gar fiesen Spruch abgelassen hätte, um den Blonden zu ärgern. Dass das schief gehen musste, war abzusehen und so kam es, dass die beiden sich trotz Liveübertragung einen verbalen Kampf ausfochten und das Kartenspiel selbst in den Hintergrund gerückt war. Bis heute wurde dieses Duell als legendär betitelt und immer wieder in Talkshows gezeigt. Nicht, weil Jounouchi sich blamiert hatte. Tatsächlich war ihr Kampf mit den Worten so amüsant, dass man es schon als Step-up-Comedy bezeichnen konnte, da Kaiba seinem Gegenüber klug verpackte Beleidigungen entgegenwarf, die Jounouchi mal mehr und mal weniger so auffasste, wodurch sie das Publikum so sehr zum Lachen brachten, dass sie diese endlosen Diskussionen und dummen Sprüche bis zum Ende beibehalten hatten, so dass das Ergebnis des Duells so sehr in den Hintergrund rückte, dass viele gar nicht mehr wussten, wer denn nun verloren oder gewonnen hatte. Kaiba hatte mit minimalen Abstand gewonnen. Dass Jounouchi ihn ins Schwitzen gebracht hatte, würde er aber niemals zugeben. Das ließ sein Stolz nicht zu und hier war auch wieder einer der Gründe, warum die beiden sich nicht leiden konnten. Keiner wollte den anderen so recht anerkennen und gerade jemandem wie Jounouchi, der sein Leben lang um Anerkennung und Ruhm kämpfte, gefiel das überhaupt nicht. „Hm... ich würde ihm ordentlich aufs Maul hauen!“, lachte der Blonde, grinste breit und polierte mit einem weißen Tuch, auf dem das Logo der KC prangerte, ein großes Bierglas, das er vermutlich gerade eben aus der Spülmaschine geholt hatte. Die Quittung für diese Aussage bekam er sofort. Plötzlich wurde Yuugi laut. „Katsuya!“, warf Yuugi ein und warf dem Blonden einen so entgeisterten Blick zu, dass diesem sein Lachen im Halse steckenblieb. Bis heute hasste Yuugi Gewalt und wenn Jounouchi solche Ratschläge gab, brachte das den sonst so ruhigen und liebenswerten jungen Mann auf die Palme, so dass er keine Sekunde verstreichen ließ, um diesen zu belehren. Jounouchi murmelte etwas, das wie eine Entschuldigung klang. „Ja, weil es mir sicher hilft, wenn ihn meinen Bruder verprügle. Spinnst du, Jounouchi?“, murrte der Schwarzhaarige und griff erneut nach seinem Glas, spielte mit dem Strohhalm herum und ließ die Eiswürfel im Glas tanzen. War ja klar, dass er von dem Blonden keinen anständige Ratschlag erwarten konnte. Was hatte er auch erwartet? „Rede doch einfach mal mit ihm. Mach dir ganz normal einen Termin bei ihm, dann muss er sich die Zeit nehmen dir zuzuhören. Gib ihm ein Ultimatum. Und wenn er sich nicht dran hält, drohst du ihm damit, dass du dich nach Amerika versetzen lässt.“ „Wäre vielleicht keine so schlechte Idee...“, kam es gedankenverloren von dem Schwarzhaarigen. Seine derzeitige Freundin kam ebenfalls aus Amerika und wenn sein Bruder sich nicht an seine Forderungen hielt, könnte er wenigstens den Großvater seiner Freundin kennenlernen. Sie erwähnte, dass dieser ein Wissenschaftler war und sich mit Archäologie auseinandersetzte. Im Moment hatten ihn die Sagen rund um Atlantis gefesselt und er strahlte wie ein kleines Kind, wenn er über die Legenden sprach und anhand von Bildern die Existenz des Steins Orichalcum versuchte zu beweisen. Mokuba hatte zweimal über Skype mit dem älteren Mann gesprochen. Er war sehr nett und aufgeschlossen. Außerdem konnte er auch von Amerika arbeiten und ein Tapetenwechsel tat ihm vielleicht ganz gut und würde ihm neue Ideen für seine zukünftigen Projekte geben. Er könnte das Ganze auch als Firmenreise tarnen, um so mit seinem Entwicklerteam neue Eindrücke zu gewinnen und die Motivation zu steigern. Mokuba wusste, wie wichtig es war, dass Angestellte sich wertgeschätzt fühlten und dass man ihnen auch die Anerkennung für ihre Arbeit gab, die sie auch verdienten. Sein Entwicklerteam war ihm wichtig. Irgendwo waren die Männer und Frauen seiner Abteilung für ihn wie eine Familie geworden. Die letzten drei Jahre hatten sie beinahe jeden Tag miteinander verbracht und er kannte jeden beim Vornamen. Während dieser Zeit hatte er auch Rebecca Hopkins und ihre Genialität sehr zu schätzen gelernt. Sie war unglaublich begabt und hatte mehr Ahnung von Computern und komplizierten Codierungen als er. Jedes Mal, wenn er im Quelltext einen Fehler gemacht hatte, der die Software daran hinderte richtig zu arbeiten, fand sie diesen so schnell, dass er einfach nur erstaunt mit den Kopf nickte. Diese Frau war eine wahre Bereicherung für sein Team und er war froh, dass sie sich ausgerechnet bei ihm vorgestellt hatte. „Weißt du was, Jounouchi?! Das ist eine überraschend grandiose Idee von dir!“ „Was heißt hier überraschend?!“ Jounouchis Gesichtsausdruck verriet, dass er von dieser Herabstufung seiner Selbst nicht gerade begeistert war. Yuugi lächelte nur. „Lachst du über mich, Yuugi?“, fragte der Blonde dann und kam seinem Gegenüber sehr nahe. So nah, dass ihre Nasenspitzen sich beinahe berührten. Yuugi schluckte hart, ließ sich aber nicht zurückdrängen. Da Jounouchi merkte, dass sich Yuugi nicht einschüchtern ließ, zog er sich zurück und stellte das Glas, das er mit übertriebener Sorgfalt wortwörtlich auf Hochglanz poliert hatte, zurück ins Regal. Viele Kunden hatte das Lokal an diesem Abend nicht, also konnte er nach Herzenslust mit seinen Freunden reden. Es wurde spät und Mokuba hatte so viel getrunken, dass er anfing wirres Zeug zu reden, so dass Yuugi seinen Chauffeur Isono persönlich anrief und ihn darum bat, ihn abzuholen. Von Kaibas Plänen hatte er keine Ahnung. Auch nicht davon, dass dieser sich in seinem Zimmer aufgehalten hatte. Als er dann nach Hause kam und ihn sein Großvater am nächsten Morgen über seinen ungewöhnlichen Gast erzählte, wäre Yuugi am liebsten vor Scham im Boden versunken. Hätte er gewusst, dass Kaiba tatsächlich zu ihm kommen würde, hätte er vorher sein Zimmer aufgeräumt. Kaiba war niemand, der auf andere hörte und als er sagte, dass Kaiba doch zu ihm kommen sollte, hatte er das mehr im Scherz gesagt als dass es ihm wirklich ernst war. Er ging davon aus, dass dieser ohnehin niemals zu ihm kommen würde. Kapitel 7: Kapitel 7 -------------------- Erst am nächsten Morgen sah er Kaibas Notierungen auf seinem Entwurf und wie er einige Linien ausgebessert hatte. Als er die Worte seines größten Rivalen las, konnte er nicht anders, als einmal laut zu schniefen. Kaibas Schrift war wunderschön und erinnerte ihn mehr an ein Kunstwerk, so dass er sich etwas für seine eigene erbärmliche Handschrift schämte. Dass Kaiba sich die Mühe gemacht hatte, seinen Entwurf zu verinnerlichen und ihm auch noch ein Treffen anbot, um ihm bei seinem Herzenswunsch zu helfen, machte ihn sentimental. Yuugi hatte nie daran gezweifelt, dass Kaiba tief in seinem Inneren ein guter Mensch war. Jemand, der sich um andere sorgte und bereit war, für seinen geliebten Bruder den Tod zu wählen, wenn er ihn damit beschützen konnte. „Ach ja, und du sollst mehr Ordnung halten.“, kam es spöttisch von seinem Großvater, der ein freches Grinsen im Gesicht hatte und die Arme verschränkte. Yuugi murrte leise vor sich hin und schnürte seine Schuhe zu. Obwohl es nur ein Treffen war und er nicht einmal wusste, ob Kaiba ihm wirklich bei seinem Projekt helfen wollte, hatte er sich ungewöhnlich herausgeputzt. Eine weiße Bluse, eine violette Weste und eine dunkle beinahe schwarze Jeans, die seine schlanken Beine betonte und es ihm erlaubte, sich schnell zu bewegen. Nicht, dass er weglaufen wollte. Vor allem nicht vor Kaiba. Wenn es etwas gab, das Kaiba nicht ausstehen konnte, dann war es Schwäche und Menschen, die sich vor Herausforderungen versteckten, anstatt sie zu bewältigen. So viel wusste er von dem Brünetten und vielleicht war es auch genau diese Einstellung, diese Unerschütterlichkeit, die der Firmenchef nach außen hin zeigte, die ihn so sehr faszinierte und dazu inspirierte, niemals aufzugeben und um seine Wünsche zu kämpfen. Yuugi erinnerte sich daran, wie sein Dozent über ihn lachte, als er ihm von seiner etwas anderen Idee erzählte. Ein Spiel, das an Schach und Capsule Monsters erinnerte, wo es das Ziel des Spielers war, die gegnerischen Lebenspunkte mithilfe von ausgeklügelter Strategie zu senken und so das Match für sich zu gewinnen. Ähnlich wie in Dungeon Dice Monsters wollte Yuugi, dass das Spielbrett – eine Kristallkugel die an eine altertümliche Sphäre erinnerte – in verschiedenen Vektoren aufgeteilt wurde, die der Spieler für sich beschlagnahmen musste, um so einen Weg zum Kontrahenten zu schaffen. Kaiba hatte ihm eine Nachricht hinterlassen, die besagte, dass er die Regeln überarbeiten musste und diese klar verständlich umschreiben sollte, so dass man diese schnell verstand, aber sich dennoch einleben musste. Dass dieses Beschreiben eine seiner Schwächen war, wusste Yuugi zu gut. Er hatte viele Ideen und er hatte sich viele Gedanken gemacht, wie der Spielablauf sein sollte, dennoch hatte er selbst auch das Gefühl, dass irgendetwas fehlte und der Entwurf noch lange nicht fertig war. Yuugi hatte sich gewünscht, dass Kaiba ihm half. Sie beiden liebten Spiele. Sie waren eben echte Gamer und jemand wie Kaiba, der ihn immer wieder herausforderte und eine wahre Bedrohung für seinen Titel darstellte, gab ihm Kraft und Motivation, um seine eigenen Spiele zu entwickeln. In gewisser Weise war der Firmenchef Yuugis Vorbild. Langsam kam er dem Firmengelände näher und atmete noch einmal tief durch. Sofort fiel ihm die edle und äußerst teuer aussehende Einrichtung im Eingangsbereich auf. Selbst die Töpfe der Pflanzen sahen kostspielig aus. Yuugi wunderte sich, ob die Töpfe aus Marmor waren. Ungewollt warf er einen Blick auf den Boden. Eindeutig Marmor. Schwarzer Marmor. Der Boden sah aus wie frisch gebohnert. Er konnte sein eigenes Spiegelbild in diesem erkennen und fühlte sich etwas unwohl, da er sich so verloren in all diesem Reichtum fühlte. Kaiba schien die Kombination aus Schwarz, Gold und Weiß zu mögen. Beim genauen Hinsehen konnte Yuugi erkennen, dass die dunklen Wände leicht im Licht schimmerten und wohl mit Goldstaub versehen waren. Die Rezeptionistin starrte ihn bereits eine ganze Weile an, doch er war so sehr damit beschäftigt, seine Umgebung zu betrachten, dass er dies nicht mal bemerkte. Als diese sich dann mehrmals laut räusperte, schreckte Yuugi auf und warf ihr einen fragenden Blick zu. Im Moment erinnerte er wohl mehr an einen Welpen, der nach Hilfe bettelte als an einen zukünftigen Geschäftspartner. Die Frau sagte dazu glücklicherweise nichts weiter und wies ihn dazu an, den Fahrstuhl in den obersten Stock zu nehmen, da Kaiba-sama bereits auf ihn wartete. Yuugi staunte nicht schlecht, als die Frau ihren Chef ganz normal mit '-sama' ansprach. War es etwa unverschämt von Yuugi gewesen, dass er den Brünetten immer noch beim gängigen '-kun' ansprach? Er überlegte fieberhaft, wie er Kaiba am besten gleich anreden sollte. Er wollte nicht unterwürfig erscheinen, da er genau wusste, dass dieser ihn dann nicht mehr ernst nehmen und sich auch noch über ihn lustig machen würde, aber er wollte auch nicht zu freundschaftlich an die Sache herangehen. Er fuhr mehrere Minuten im Fahrstuhl. Genügend Zeit, um über dieses Dilemma nachzudenken. »Wenn ich 'sama' sage, wird er vielleicht sogar sauer. Und 'san' ist so ungewohnt. Wenn ich 'kun' sage, denkt er, dass ich ihn nicht ernst nehme... Arg, was tun? Hätte ich doch nur Katsuya um Rat gefragt!«, dachte er und verzweifelte leicht an diesen Gedanken. Er zuckte zusammen, als ihm eine elektronische Stimme die Etage verkündete. Jetzt war nun wirklich keine Zeit, um sich über so einen Kleinkram den Kopf zu zerbrechen. Atem hätte ihn sicher dasselbe gesagt und ihn dazu geraten, Kaiba bloß nicht denken zu lassen, dass er etwas Besseres wäre. Es wäre wichtig, dass man Kaiba auf selber Augenhöhe begegnete und seinem Ego Paroli bot, wenn man von ihm ernst genommen werden wollte. Auch wenn Yuugi nun älter war und viel mehr Selbstvertrauen hatte und sich seiner nicht gerade schämte, so hatte er immer noch arge Probleme, sich solchen Persönlichkeiten wie Kaiba dominant gegenüber zu verhalten. Yuugi fand nicht, dass er sich verstecken musste, aber gewisse Minderwertigkeitskomplexe fesselten ihn bis heute. Er war einfach viel zu zurückhaltend und achtete etwas zu sehr darauf, sich den Menschen in seiner Umgebung anzupassen, um bloß nicht aufzufallen. Mit Mokuba hatte er über seine Schüchternheit geredet. Wusste Kaiba auch davon? Wie sehr Yuugi sich genierte, das zu sagen, was er sagen wollte und stattdessen lieber Konflikten aus dem Weg ging? Vor der Bürotür angekommen, blieb er einige Minuten stehen, um sich wieder zu sammeln und sich selbst dazu zu ermutigen, jetzt bloß keine Angst oder falsche Scheu zu zeigen. »Du musst dich nicht verstecken! Yuugi, du kannst das! Kaiba ist auch nur ein Mensch!«, sprach er sich selbst gut zu und legte eine Hand auf seine Brust, in der Hoffnung, dass auch sein Herz wieder langsamer schlug und ihm die Nervosität nicht anzusehen war. „Komm endlich rein, Yuugi!“, hörte er plötzlich eine laute Stimme, die ihn so sehr erschrak und aus der Bahn warf, dass er beinahe umgefallen war. Fragend sah er sich um und versuchte herauszufinden, wer ihn angesprochen hatte. Es handelte sich um den Lautsprecher. Kaiba befand sich wohl in seinem Büro und wartete darauf, dass dieser endlich eintrat. Erst jetzt bemerkte Yuugi auch die Überwachungskamera über ihn, die jeden seiner Schritte verfolgte und dem Firmenchef verriet, dass Yuugi wie angewurzelt vor der Tür stand und sich nicht traute endlich anzuklopfen. Dem Firmenchef musste der Geduldsfaden gerissen sein. Anstatt, dass Yuugi, wie von Kaiba bereits gefordert, die Tür öffnete, sah er die Kamera mit großen Augen an. Es waren nur wenige Sekunden vergangen. Zeit, die Kaiba nicht mehr opfern wollte. „YUUGI!“, wiederholte die Stimme noch mal. So laut und fordernd, dass Yuugi sich sofort wieder fasste, an die Tür klopfte und brav darauf wartete, dass er hineingerufen wurde. Dass Kaiba dies bereits indirekt getan hatte, kam ihm gar nicht in den Sinn. Dieser knurrte und antwortete dann äußerst genervt: „Komm rein!“ Yuugi tat wie ihm geheißen und sah ihn an, als hätte er den Teufel persönlich vor sich sitzen. Kaiba saß an seinem Schreibtisch, seine Augen wurden durch seinen etwas zu langen Pony so verdeckt, dass sein Gesichtsausdruck finster wirkte und Yuugi das Gefühl hatte, dass er sich in einer Position befand, in der er Ehrfurcht zeigen musste. Seine Beine fühlten sich auf einmal so weich wie Pudding an und er umkrallte den Umschlag in seinen Händen, um sich selbst daran zu hindern, zu zittern. Seine Hände wurden feucht und er biss sich auf die Unterlippe, um sich selbst davon abzuhalten, etwas Dämliches zum Besten zu geben. Obgleich er versuchte, seine Nervosität zu verstecken, so war sie ihm so deutlich anzusehen, dass selbst Kaiba Erbarmen hatte und seine sonst so finstere Miene sich erhellte und er ihn darum bat, Platz zu nehmen. „Uhm...“, begann Yuugi stotternd. Kaiba wusste von Mokuba, dass Yuugi nicht gerade zur der Sorte Mann gehörte, die sofort zum Punkt kam und einen direkt und unverhohlen ansahen. Vielleicht war das auch genetische Veranlagung, da sein Großvater, Sugorokou Mutou, auch schnell vom Thema abschweifte. Yuugi wandte seinen Blick gen Boden, seine Hände zitterten leicht und Kaiba konnte aus seiner Stimme heraushören, wie unsicher dieser war. „Also... ehm... Kaiba-kun“, setzte er wieder an, rügte sich selbst für seine Wortwahl und fing von vorne an. Wieso kam er jetzt auf die Idee ausgerechnet 'kun' zu sagen, wo es sich doch hierbei eindeutig um ein ernstes Gespräch handelte? Am liebsten hätte er sich im nächsten Mauseloch verkrochen und wäre nie wieder raus gekommen. „Ich meine Kaiba-sama“, sprudelte es dann aus ihm heraus. Kaibas Reaktion darauf war so deutlich, dass man sie einfach nicht übersehen konnte. Verständnislos zog er die Brauen hoch, lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück und seufzte, womit er Yuugi nur noch unsicherer werden ließ, so dass dieser wieder von vorne anfing und entschuldigend den Kopf vorneigte. Kaiba hatte immer gewusst, dass Yuugi und Atem in ihrer Persönlichkeit nicht unterschiedlicher sein konnten, aber damit, dass der echte Yuugi so schüchtern war, hatte er nicht gerechnet. „Kaiba-san...?“, kam es dann beinahe fragend von Yuugi, der nun resigniert den Kopf senkte und sich versuchte wieder zu fassen. Mit Kaiba Seto, dem wohl meist gefragten Mann der Welt, in einem Raum und dann noch so eine wichtige Angelegenheit, die geklärt werden musste und das einzige, das ihm einfiel war, sich bis in die Knochen zu blamieren. Na toll. Gut gemacht. Das gab ein Fleißsternchen. „Yuugi, komm wieder runter. Ich schätze es, dass du mich ernst nimmt, aber das ist zu viel des Guten. Nenne mich so, wie du mich sonst auch immer nennst. Es gibt keinen Grund, sich zu verstellen.“ Yuugi atmete tief ein und lauschte seinem Herzschlag, befahl seinem Herz sofort langsamer zu schlagen, hob dann seinen Kopf wieder und blickte dem Brünetten direkt in die Augen. Seine Wangen waren leicht gerötet. Bereits in der Schule hatte Yuugi Probleme damit gehabt, seine Gedanken offen kundzugeben und es war der Pharao, der ihm mehrmals gesagt hatte, dass er dringend üben musste vor großem Publikum zu sprechen, wenn er seine Schüchternheit überwinden und ein normales Leben führen wollte. Da dies Atems Rat war, hatte er sich freiwillig dazu gemeldet, die Rede bei ihrer Schulabschlussfeier zu halten und zu seinem eigenen Erstaunen hatte dies besser geklappt als zu Anfang gedacht. Das hatte er natürlich auch Katsuya, Anzu, Honda, Bakura und Otogi zu verdanken, die jedes Mal, wenn er wieder anfing zu stottern oder dabei war, den Mut zu verlieren, ihn ermutigten und ihm Beifall klatschen oder gar wie in einem Fußballstadion laut pfiffen, um ihn von seinen Bedenken abzulenken. Das war nun acht Jahre her und seitdem hatte er es vermieden, vor großen Menschenmengen zu sprechen. Kaiba hatte aus Rücksicht auf ihn ihre Duelle stets so arrangiert, dass sie allein im Duel Dom waren und niemand sie stören konnte. Während seines Studiums war es für Yuugi nie notwendig geworden, große Referate zu halten und wenn er welche hielt, dann meist vor kleinen Gruppen und bekannten Gesichtern, die ihm etwas Sicherheit gaben. Da es sich bei diesem Gespräch mit Kaiba jedoch um seinen Herzenswunsch, sein Projekt, an dem er bereits seit mehreren Jahren tüftelte, handelte, war er jedoch umso aufgeregter. Was wäre, wenn Kaiba sein Spiel für total dumm halten würde? Das würde Yuugis Selbstvertrauen pulverisieren und vielleicht hatte Kaiba bei seinen Notizen sogar Rücksicht genommen, um nicht seine Gefühle zu verletzen. Obwohl er gefasst wirkte, hatte Yuugi tausende von Fragen und Zweifel, die ihn plagten und dazu brachten, sich selbst in Frage zu stellen. War das, was er tat, wirklich gut genug? War er bereits weit genug, um selbst Spiele zu schaffen? „Yuugi, kommen wir zum Punkt. Spherium ist phänomenal.“ Angesprochener sah ihn nur perplex an. War das nun im guten oder im schlechten Sinne gemeint? Kaiba musste instinktiv gespürt haben, dass Yuugi seine Worte nicht richtig zu interpretieren wusste, weshalb er sich nun wieder nach vorne lehnte, seine Ellbogen auf dem Schreibtisch abstützte und seine Hände so faltete, dass er sein Kinn auf diesen ablegen und immer noch herausfordernd grinsen konnte. Dieses Grinsen verunsicherte Yuugi etwas, aber er glaubte daran, dass Kaiba ein guter Mensch war und dass man ihm vertrauen konnte. Für einen Moment legte er alle Zweifel und Sorgen ab und fand sein Selbstbewusstsein wieder. „Inwiefern? Findest du es gut genug, um mich zu unterstützen, Kaiba-kun?“ »Endlich hat er sich beruhigt...«, schoss es Kaiba durch den Kopf und er ließ sich den Spaß nicht nehmen, seinen Rivalen ein bisschen zappeln zu lassen. „Sag du es mir. Ist Spherium gut genug, dass die KC Geld hinein investiert? Bist du überzeugt von deinem Spiel?“ Yuugi schluckte. War Spherium ein gutes Spiel, das mit den hohen Standards und Erwartungen der KC mithalten konnte? In seinem Kopf herrschte wildes Durcheinander. Er liebte Spiele und über Spherium hatte er sich jahrelang Gedanken gemacht. Tag ein und Tag aus hatte er überlegt und sehr viel Zeit in den Entwurf gesteckt. Keine andere Firma wollte ihn und seine Idee haben. Sein Spiel, das er zu gern eines Tages vollendet sehen wollte. Zu unkonventionell, nicht massentauglich, hieß es. Zu kompliziert. Zu anstrengend und langatmig. Da könnte man doch genauso gut Dungeon Dice Monsters spielen. Oder Capsule Monsters. Oder Schach. Wo die Notwendigkeit aus Duel Monsters noch mehr rauszuholen und dieses Franchise bis zum Erbrechen auszuschlachten? Die Kritik, die Yuugi bekommen hatte, hatte ihn dazu gebracht, nicht nur an seinem Spiel, sondern auch an sich selbst zu zweifeln. Außer seinem Großvater und seinen Freunden hatte niemand Interesse oder gar Verständnis gezeigt. Katsuya unterstützte ihn immer. Auf ihn konnte er immer zählen und sie redeten über alles, was sie in ihrem Leben bewegte. Katsuya wusste mehr über ihn, als irgendjemand anders. Doch wenn es um Spiele ging, konnte dieser nicht mithalten. Katsuya liebte Duel Monsters und träumte immer noch davon, seinen Erzfeind Kaiba in einem Duell vernichtend zu schlagen und als Legende in die Geschichte einzugehen und auch so verbrachten die beiden viel Zeit in der Spielhalle oder zu Hause, wo sie dann gemeinsam Videospiele oder analoge Brett- und Kartenspiele spielten. Aber Spherium überstieg Katsuyas Verstand. Er machte ihm keinen Vorwurf. Niemals. Yuugi wusste selbst, dass die Regeln des Spieles dem Spieler selbst Köpfchen abverlangten und er wusste auch, dass Spherium immer noch in der Entwicklungsphase war. Für jemanden, der nicht in seinen Kopf schauen konnte, war es durchaus schwierig, das nachzuvollziehen, was Yuugi dachte. Was dieser sich für sein Spiel vorgestellt hatte. Also wollte er Katsuya damit nicht überfordern und hatte sich die letzten Monate etwas zurückgezogen, um seinen Traum zu verwirklichen und herauszufinden, was Spherium fehlte, damit es ein gutes Spiel wurde, das nicht nur ihn selbst, sondern auch Menschen weltweit begeistern konnte. Er wollte nicht das Franchise ausschlachten, sondern ein Spiel erschaffen, was nicht nur ihm Freude brachte. „Ja, das bin ich. Spherium wird ein Erfolg.“, sagte er dann mit fester Stimme. „Gute Antwort, Yuugi. Das sehe ich nämlich auch so.“, antwortete Kaiba und griff hastig zu einer seiner Schubladen, holte einen Block und einen weißen Kugelschreiber heraus, auf dem mit goldenen Schriftzeichen 'Kaiba Seto' eingraviert war. Der Mann hatte Stil, ging es Yuugi durch den Kopf und musterte seinen Gegenüber weiter, der auf diesen Block wortlos etwas aufschrieb, ohne den Kopf auch nur einmal zu heben. Gerade als Yuugi noch mal auf sich aufmerksam machen wollte, hob Kaiba den Blick und schob ihm den Block entgegen. Moment. Das war kein Block im Sinne von Notizblock, sondern ein Vertrag, wo Kaiba mehrere Häkchen gesetzt hatte und seine eigene Unterschrift drunter gesetzt hatte. „In deinem kleinen Jugendzimmer kannst du nicht arbeiten. Du brauchst einen richtigen Arbeitsplatz und Leute, die Ahnung vom Entwickeln und Programmieren haben. Mit meinem Hologrammsystem und meiner Technik sollte es dir viel leichter fallen, konzentriert bei der Arbeit zu bleiben.“ Yuugi sah den Mann vor sich einfach nur fassungslos an. Das musste ein Traum sein. Vielleicht hatte er am Abend doch zu viel getrunken und lag nun bewusstlos in einer Straßenecke? Dabei hatte er extra aufgepasst, nicht zu viel zu trinken, da er Alkohol generell nicht so gut vertrug und das Zeug auch so nicht sonderlich lecker fand. Der Umeshi war zwar lecker, da der Geschmack von Pflaumen überwog, aber auf das Brennen in der Kehle und den bitteren Nachgeschmack konnte er gut und gerne verzichten. Da trank er lieber Calpis oder Ramune, obwohl sein Großvater ihn sicher ausgeschimpft hätte, da zu viel Zucker ungesund wäre und er doch lieber Tee oder Wasser trinken sollte. Aber Mokuba zuliebe hatte er auch etwas getrunken, obwohl er beileibe kein Trinker war oder jemand, der gerne auf Feste oder in Kneipen ging. Da war er lieber zu Hause, saß auf dem Sofa und schaute seinen Lieblingsanime, nur um bei der nächsten Genkidama voller Spannung in seine Packung Teriyaki Kartoffelchips zu beißen und laut vor sich hin zu knuspern. „Yuugi, träum' nicht.“, ermahnte Kaiba ihn und hielt seinem neuen Geschäftspartner den Kugelschreiber vor die Nase. „Ich kann das doch nicht annehmen...“, stammelte Yuugi und nahm den Vertrag in die Hände. „Warum? Nimm dir ein Beispiel an Atem und zeig mal etwas Selbstbewusstsein. Weder du noch Spherium müssen sich verstecken.“ „Ich weiß, aber ich habe doch gar kein Geld und...“, brachte er heraus und erwischte sich selbst dabei, wie seine Augen langsam feucht wurden. Wieso waren da plötzlich Tränen? Vor Erleichterung, dass jemand sein Spiel gut fand oder vor Trauer, dass er sich nicht traute, dieses viel zu verlockende Angebot anzunehmen? „Yuugi, die Konditionen sind einfach. Ich unterstütze dich auf eigene Gefahr. Du zahlst gar nichts. Sollte Spherium doch ein Flop sein, habe ich mich geirrt und wir vergessen, was passiert ist. Sollte dein Spiel aber gut ankommen – und glaub mir, das wird es, da ich höchstpersönlich dies abgesegnet habe und alles, was ich anfasse zu Gold zu wird – kannst du mir die Entwicklungskosten zurückzahlen.“ „Kaiba-kun...“, murmelte Yuugi und schüttelte den Kopf. Jetzt bloß nicht anfangen zu heulen! Er war doch ein Mann und jemand wie Kaiba ließ sich nicht von Tränen beeindrucken. Er sollte jubeln und lachen, dass sein Wunsch endlich wahr wurde und nicht wie ein Kind schluchzen. Also ergriff er den Kugelschreiber und unterschrieb den Vertrag, ohne weiter über irgendwelche Konsequenzen nachzudenken. Er vertraute Kaiba. Sicher hatte dieser in der Vergangenheit so einiges getan, was nicht gut war, aber dieser eiskalte Mann aus der Vergangenheit existierte nicht mehr. Kaiba wollte ein wahrer Duellant sein und um dieses Ziel zu erreichen, musste er seinen Hass ablegen. Das hatte Atem selbst gesagt. Und auch Yuugi glaubte, dass seine traumatische Vergangenheit ihn daran hinderte, sich selbst zu entfalten und Gefühle zuzulassen. Kaiba war kein schlechter Mensch. „Danke.“ Ein warmes Lächeln lag auf Yuugis Lippen. Ein Lächeln, das Kaiba erwiderte. Dann erhoben sich beide von ihren Stühlen und verneigten sich leicht voreinander. „Im Übrigen gibt es noch eine weitere Voraussetzung.“ Yuugi hob den Blick und befürchtete bereits das Schlimmste. Wollte Kaiba, dass er den Kontakt zu seinen Freunden aufgab oder sich gar mit ihm duellierte? Letzteres wäre ja nicht so schlimm gewesen, aber allein der Gedanke, nicht mehr mit Katsuya oder seinen anderen Freunden Zeit verbringen zu können, machte ihn ganz schwermütig. „Solltest du deinen Arbeitsplatz, den ich dir übergebe, auch nur ansatzweise so verdrecken wie dein Zimmer, endet unsere Kooperation. Ist das klar?“ Yuugi wurde knallrot. Wie peinlich! Wie sollte er Kaiba denn jetzt noch ins Gesicht sehen? „V-verstanden...“, nuschelte Yuugi nur und hielt sich die Hände vors Gesicht. Kaiba grinste nur. Yuugi war es so offensichtlich anzusehen, dass er sich schämte, dass nicht einmal mehr Kaiba das Verlangen spürte, diesen weiter aufzuziehen. Entweder das, oder er wollte Yuugi nicht wieder in eine Situation bringen, wo ihm die Tränen sichtbar in den Augen standen und dieser panisch einen Ausweg suchte. Immerhin war es nicht so, dass er nicht gemerkt hatte, dass Yuugi Angst hatte. Blind war er immerhin nicht und so viel Einfühlungsvermögen beherrschte Kaiba gerade noch. „Gut, dann lass uns doch noch einen Kaffee trinken und wir reden über alles Weitere und die zukünftigen Abläufe.“ „Wie? Jetzt?“ Das Erstaunen in Yuugis Gesicht war ihm so deutlich anzusehen, dass Kaiba sich ärgerte. „Wann denn? Denkst du, ich hätte dich einfach so zwischen meine Termine geworfen und muss dich jetzt möglichst schnell raus scheuchen?“ „Nun, Mokuba sagte, dass du nie Zeit hättest. Deshalb dachte ich, dass wir uns beeilen müssen.“ Kaiba schluckte hart und für einen Moment verlor er sein Gleichgewicht. Für einen winzigen Moment ließ er seine verletzliche und ängstliche Seite durchscheinen. Einmal mehr wurde Yuugi bewusst, dass der Mann vor ihm ein Mensch war und kein perfekter Roboter, ohne Gefühle oder gar Fehler. Dass die Beziehung der beiden Brüder sich im Laufe der Zeit verändert hatte, war ihm nicht entgangen und auch die lauten Beschwerden Mokubas am Vorabend, hatten ihn in seiner Annahme bestärkt, dass sich langsam etwas ändern musste. Kapitel 8: Kapitel 8 -------------------- Als Kaiba ins Koma fiel, hatte Yuugi den Brünetten regelmäßig im Krankenhaus besucht und ihm Blumen mitgebracht. Yuugi bezweifelte, dass dieser etwas davon mitbekommen hatte und er hatte Mokuba darum gebeten, seinem Bruder nichts zu sagen, aus Angst, dass Kaiba sich in seiner Ehre verletzt fühlen würde und wieder irgendeinen Unsinn machte. In dieser Zeit hatte er mehrmals mit Mokuba gesprochen und das ein oder andere über die Brüder erfahren. Die beiden Brüder waren komplett unterschiedlich. Mokuba zeigte Fürsorge und großen Respekt seinem Bruder gegenüber. Er streichelte ihm behutsam über die Stirn und sprach ihm gut zu, obwohl niemand sagen konnte, ob dieser etwas von seiner Umgebung mitbekam. Sie trafen sich nur während der kurzen Besuchszeiträume und sie sprachen nicht allzu viel miteinander. Über belangloses Zeug. Schule. Spiele. Hobbys. Mokuba war sehr vorsichtig und versuchte, nicht zu viel über sich preiszugeben und Yuugi, der selbst immer befürchtete, etwas Falsches zu sagen, hielt sich auch zurück, da er befürchtete, dass er diese neugewonnene 'Freundschaft' im Keim ersticken würde, sollte er etwas Dummes sagen oder tun. Monatelang ging das so. Immer wieder sahen sie sich. Sie sprachen miteinander und über die Zeit hatte sich Vertrauen zwischen den beiden aufgebaut. Als Mokuba ihn fragte, warum er Kaiba so oft besuchen kam, obwohl die Brüder versucht hatten, ihn und seine Freude in einem Spiel zu töten, gab Yuugi eine simple Antwort. „Weil wir Spiele lieben. Kaiba-kun und ich. Reicht das nicht?“ Und diese Worte, so bedeutungslos und naiv sie auch klingen mochten, hatten die beiden einander näher gebracht. Doch irgendwann kam Mokuba nicht mehr. Sie verloren den Kontakt. Dass Mokuba zu diesem Zeitpunkt entführt worden war, konnte Yuugi nicht wissen. Er war so froh, dass Atem nicht nur für die Seele seines Großvaters gegen Pegasus angetreten war, sondern auch für die Seelen der beiden Brüder. Seit dem Königreich der Duellanten hatte Yuugi regelmäßig Kontakt zu Mokuba. Dank Mokuba hatte Yuugi einiges über Kaiba erfahren und im Laufe der Zeit angefangen, diesen gernzuhaben und sich selbst dabei zu erwischen, diesen als seinen Freund zu bezeichnen, obwohl dieser wohl im Dreieck gesprungen wäre, hätte er dieses Wort in Verbindung mit seiner Person gehört. „Kaiba-kun?“ In seiner Stimme lag Sorge. Er wollte nicht, dass Kaiba sauer auf ihn war und jetzt ärgerte er sich über das, was er gesagt hatte. Wieso musste er auch so blöd sein und sein Angebot hinterfragen? Ein Mann wie Kaiba bot einem schließlich nicht jeden Tag Kaffee an! „Alles in Ordnung. Was hat Mokuba sonst noch so über mich erzählt?“ Kaiba ging vor und steuerte den Nebenraum seines Büros an. Ein großer Tisch und eine bequeme Coach, die extrem teuer aussah, fiel ihm sofort auf. Sollte er hier etwas verschütten, würde Kaiba ihm sicherlich einen Kopf kürzer machen. Das hier musste wohl sein privater Pausenraum sein. Ein riesiger Flachbildschirm verdeckte beinahe die gesamte Wand, direkt neben dem Fenster stand eine große Zimmerpflanze, in dessen Boden eine Figur gesteckt war, die Yuugi leicht schmunzeln ließ. Ein Gartenstecker vom Weißen Drachen. »Irgendwie süß, dass Kaiba in der Hinsicht so tickt... das macht ihn viel sympathischer.« „Ich hoffe, du magst schwarzen Kaffee. Oder soll ich dir etwas anderes bringen lassen?“ „Oh! Ehm, danke. Ich trinke alles.“, brachte Yuugi heraus und hätte sich am liebsten selbst für seine Gedankenlosigkeit geohrfeigt. Erstens mochte er keine bitteren Getränke und zweitens war sein Verhalten so unprofessionell, dass er sich ernsthaft fragte, ob Kaiba diese Zusammenarbeit nicht schon bereute. Als er sich auf die Coach setzte, versank er in dieser sofort. Kaiba setzte sich nur einen halben Meter neben ihn hin und griff direkt nach der Kaffeekanne – die selbstverständlich dem weißen Drachen nachempfunden und sicher ein Unikat war – und goss sich etwas von der heißen Flüssigkeit in seine Tasse. Jetzt hätte Yuugi noch Gelegenheit gehabt, dieses freundliche Angebot abzulehnen, aber er ermahnte sich selbst dazu, sich etwas seriöser zu verhalten, also ließ er zu, dass Kaiba auch ihm eingoss. Die Tassen selbst waren ebenfalls Unikate. Da war sich Yuugi sicher. »Bloß nicht fallen lassen. Kaiba-kun wird dir das niemals verzeihen...« In goldener Schrift strahlte ihm das Logo der KC entgegen und am oberen Becherrand befand sich eine Musterung, die ihn an Mosaike erinnerte. Noch bevor er das wertvolle Stück in seiner Hand weiter bewundern konnte, setzte Kaiba das Gespräch fort. „Stimmt etwas nicht? Mokuba muss echt ganz schön gelästert haben, dass du nichts sagst.“ „Nein, nein! Hat er nicht!“, verteidigte er sich. »Und wie er das hat! Aber das kann ich Kaiba-kun wohl kaum unter die Nase reiben... oder doch?« „Yuugi, ich weiß, dass du lügst. Mokuba erzählt viel von dir und ich gehe davon aus, dass er auch über mich redet. Du musst das nicht verheimlichen.“, kam es vom Brünetten, der sich einen Schluck von seinem Kaffee gönnte und dabei keine Miene verzog, was Yuugi ziemlich bewundernswert fand. Er tat es ihm gleich, hob seine Tasse und genehmigte sich einen Schluck. Im Gegensatz zu Kaiba konnte er dieses Getränk nicht genießen. Der bittere Geschmack trocknete seinen Mund aus und die Hitze ließ seine Zunge unangenehm kribbeln. Wie konnte Kaiba das Zeug trinken, obwohl es noch so heiß war? Und so verdammt bitter? Im direkten Vergleich zu ihm fand Yuugi, dass er selbst ziemlich kindisch war. Da hätte er lieber einen Milchshake gehabt. Schön süß und belebend. Kaiba grinste nur, als Yuugi die Augen schloss und damit kämpfte, den Kaffee nicht direkt wieder auszuspucken. Es war dem König der Spiele anzusehen, dass er mit diesem exquisiten Geschmack nicht so viel anfangen konnte. Zu sehen, wie Yuugi damit kämpfte, den Kaffee herunterzuschlucken, empfand er äußerst amüsant. Allein dafür hatte sich diese Kaffeerunde gelohnt. Dass sein Gegenüber ihn belustigt angrinste, bekam Yuugi jedoch nicht mit. Viel zu sehr war er damit beschäftigt seine Haltung zu bewahren und wie ein erwachsener Mann zu handeln. Erwachsene Männer tranken gerne schwarzen Kaffee und wenn er mit Kaiba zukünftig arbeiten wollte, musste er sich daran gewöhnen. „Ich will nichts verheimlichen...“, erklärte er dann und setzte die Tasse wieder ab. Der Nachgeschmack von gerösteten Arabicabohnen gefiel ihm eigentlich ganz gut. So wie er Kaiba kannte, war der Kaffee sicher irgendetwas ganz Besonderes und extrem teuer. Der würde sich doch sicherlich nicht mit dem billigen Zeug aus dem Convenience Store zufrieden geben, sondern ließ seinen Kaffee aus dem Ausland importieren. Manchmal fragte er sich wirklich, wie es sein konnte, dass jemand wie er, ein kleiner Nerd mit wenig Freunden und viel zu viel Phantasie, mit so einem reichen Mann befreundet sein konnte. Das musste wohl Schicksal sein. „Du bist total verklemmt, Yuugi. Du musst lernen aus dir herauszukommen. Was machst du, wenn du deine Angestellten anleiten musst? Die werden dich doch nicht ernst nehmen, wenn du dich so zurückhaltend verhältst.“ „Das weiß ich, Kaiba-kun. Ich werde mein Bestes geben, damit ich dich nicht blamiere.“, rechtfertigte sich Yuugi. Als er diese Worte aussprach, konnte Kaiba deutlich in seinen Augen lesen, dass er einen wunden Punkt getroffen hatte. Yuugi war schüchtern und zurückhaltend. Es war äußerst zweifelhaft, ob dieser überhaupt in einer Führungsposition richtig arbeiten konnte, weshalb Kaiba von Anfang an nicht vor hatte, ihn allein zu lassen. „Es geht hier nicht um mich, sondern um dich. Du musst lernen mehr Selbstvertrauen zu zeigen, wenn du dieses Projekt wirklich beenden möchtest.“ Dass Yuugi das nicht einfach überwinden konnte, war ihm natürlich klar, doch diese Worte mussten gesagt werden, damit dieser endlich verstand, dass er sich ändern musste. Der naive und liebenswerte Junge musste rücksichtsloser werden und lernen, offen seine Meinung zu äußern, ohne sich bereits im Vornherein Gedanken zu machen. Andererseits waren es genau diese Eigenschaften, die ihn so besonders machten und er wusste, dass Yuugi die Bedürfnisse anderer immer vor seine eigenen stellte. Es ging nie darum, was Yuugi wollte. Hätte Yuugi den Mumm gehabt, hätte er ihm schon lange seine Duelle verwehrt und sich nicht von Kaiba dazu drängen lassen, alle paar Monate zum Duel Dom zu kommen, damit er seine Revanche bekam. Kaiba wusste, dass er niemals nein sagen würde, weshalb er diese Freundlichkeit auch schamlos ausgenutzt hatte. Als Yuugi dann anfing, seine Herausforderungen abzulehnen und ihm dreist dazu aufforderte, doch zu ihm zu kommen, hatte Kaiba gedacht, dass dieser endlich den Entschluss gefasst hatte, für seine eigenen Wünsche einzustehen. „Ich schaffe das. Keine Sorge. Ich weiß, dass ich manchmal etwas zu schüchtern bin, aber wenn es um Spherium geht, würde ich es mir niemals verzeihen können, Fehler zu machen, nur weil ich mich nicht getraut habe, den Mund aufzumachen. Außerdem bist du ein gutes Vorbild.“ Yuugi lächelte wieder, was Kaiba irgendwie verunsicherte. Er verstand einfach nicht, wie Yuugi ihm gegenüber so freundlich bleiben konnte. Wann hatte er Yuugi zu verstehen gegeben, dass so etwas wie Freundschaft zwischen ihnen existierte? Wie kam Yuugi auf den absurden Gedanken, dass da mehr zwischen den beiden war? Lächerlich, wie er fand. Freundschaft bedeutete nichts weiter, als seine Schwächen zu offenbaren und selbst angreifbar zu werden. Zumindest wollte er das immer glauben. Es war Atem, der ihm sagte, dass er allein durch die Macht der Freundschaft, kämpfen konnte und wenn er an diesen Tag zurückdachte und diesen unerschütterlichen und fest entschlossenen Gesichtsausdruck, wollte ein Teil seines Verstandes diese Worte wirklich glauben. Daran glauben, dass an dieser Freundschaftsnummer etwas dran war. Dass Bindungen zu Menschen etwas verändern konnten. „Solange du den Willen hast, für dein Spiel einzustehen, werde ich auch hinter dir stehen.“ „Das...“, flüsterte Yuugi und senkte den Blick, legte seine Hände auf seinen Oberschenkeln ab. Kaiba konnte hinter seinen Ponyfransen erkennen, dass dieser errötete und sorgfältig über seine nächsten Worte nachdachte. Yuugi war in der Hinsicht sehr gewissenhaft und nahm Rücksicht auf seinen Gegenüber, passte sich diesem an, was Kaiba zwar als nicht schlecht abstempeln würde, aber doch etwas schwierig ansah, vor allem wenn es ums Geschäftliche ging. „...bedeutet mir sehr viel. Mokuba sagt oft, dass du distanziert seist und mit niemanden freiwillig arbeiten würdest, aber ich bin froh, dass du doch ganz anders bist.“ Kaiba überlegte einen Moment und sah seinen zukünftigen Geschäftspartner eindringlich an. „Inwiefern 'anders'?“ „Nach allem, was er von dir erzählte, dachte ich, dass es ganz schrecklich sein muss, mit dir in einem Raum zu sein. Aber eigentlich ist es angenehm. Ich hatte Angst, du würdest dich über mich lustig machen und mich nur herrufen, um mir zu sagen, dass wir nur Rivalen seien und niemals mehr sein wird.“ „Yuugi, wir sind auch jetzt keine Freunde, falls du darauf hinaus willst. Ich verstehe nicht, was diese lächerliche Freundschaftsnummer soll. Denkst du wirklich, dass wir Freunde sein können? Du solltest mich hassen. Ich habe versucht, deine Freunde zu töten und dein Großvater hatte wegen mir einen Herzinfarkt. Du weißt, dass ich schrecklich bin.“ Yuugi schüttelte den Kopf und hob diesen. Sie sahen sich einen Augenblick in die Augen. „Ich denke nicht, dass das heute noch wichtig ist. Wichtig ist, dass du dich geändert hast. Menschen verändern sich und ich glaube daran, dass du nur Böses getan hast, weil dir selbst Schlimmes widerfahren ist.“ Kaiba lachte laut auf. Es passte ihm nicht, dass Yuugi Recht hatte. Dass dieser in seine Seele blickte, obgleich er versuchte, diese vor der Welt zu verbergen. Der einzige, der von dieser Seite wissen durfte, war sein Bruder und niemand anders. Auch wenn Kaiba leugnete, dass jemals mehr als die Rivalität zwischen ihnen sein würde, so musste er sich doch selbst eingestehen, dass dieses Treffen etwas war, dass er vor acht Jahren strikt abgelehnt hätte. Er schätzte Yuugi. Er brauchte ihn. Seine Fähigkeiten als Duellant. Ohne ihn gab es niemanden auf der Welt, der sich mit ihm messen konnte und wenn er diese eine Herausforderung verlor, gab es nichts und niemanden mehr, das ihn inspirierte. Sie waren auf einer Wellenlänge und weil Kaiba das selbst am besten wusste, machte es ihn umso unsicherer, dass er ungewollt Yuugi so nah an sich herangelassen hatte. So nah, dass dieser ihn wirklich als Freund sehen wollte und in der Lage war, in seine Seele zu blicken. „Du hast echt einen an der Waffel! Yuugi, mit deinem freundlichen Getue täuscht du mich nicht und glaub bloß nicht, dass für solche schöne Reden in der Businesswelt Platz ist. Du bist einfach zu naiv.“ Yuugi sagte daraufhin nichts, vermied es Kaiba anzusehen. Doch dann fasste er sich wieder. Es war klar erkennbar, dass er nicht nachgeben wollte. „Kaiba-kun. Mokuba entfernt sich immer mehr von dir, weil du so denkst. Was tust du, wenn er eines Tages geht und er dich hier allein zurücklässt? Wirst du es verkraften können, dass du deinen einzigen Bruder von dir abgewiesen hast?“ „Yuugi, mein Privatleben geht dich nichts an. Ich sehe keinerlei Grund, dir diese Fragen zu beantworten.“ „Schon wieder.“, hauchte Yuugi. Kaiba verengte seine Augen zu Schlitzen. Das war eine Drohung. Diesen Blick kannte Yuugi nur zu gut. Das hielt Yuugi aber nicht davon ab, weiter zu sprechen und das zu sagen, was gesagt werden musste. „Sobald jemand dir deine Fehler aufweist, wirst du sauer. Das ist deine größte Schwäche. Du bist nicht in der Lage mit deinen eigenen Gefühlen umzugehen. Du sagst mir, dass ich mich ändern muss, aber der, der sein Handeln überdenken sollte, bist du.“ Weder Boshaftigkeit noch Abscheu lag in seinen Worten. Die ganze Zeit hatte Kaiba gewollt, dass Yuugi seine Gedanken schonungslos aussprach und als er dies tat, erfüllte es ihn einerseits mit Freude, andererseits mit Schrecken. „Ich weiß, wie schlimm es ist, wenn man Menschen verliert, die einem wichtig sind. Erst wenn sie fort sind, wird einem so richtig klar, wie sehr man sie braucht. Und diese Erkenntnis schmerzt.“ Kaiba musste nicht lange darüber nachdenken, wen er meinte. Atem hatte auch sein Leben beeinflusst und er war der erste Gegner, den er seiner als ebenbürtig erachtete. Yuugi war anfangs nichts weiter als ein Ersatz, um das Loch zu füllen, das Atem unwissentlich in seinem Leben hinterlassen hatte, doch nach all der Zeit, die vergangen war, war er unglaublich froh, dass er Yuugi ein Teil seiner Welt hatte werden lassen. Dass Yuugi ihm wichtig war, hatte er selbst erst nach Jahren erkannt. Nein, wie wichtig er ihm war und dass er nicht nur seine Fähigkeiten respektierte, wurde ihm bewusst, als dieser zum ersten Mal seine Einladung zum Duel Dom ablehnte. Es war das erste Mal, dass Yuugi seine Herausforderung ablehnte. Das erste mal, dass dieser ihm nicht gehorchte. Kaiba war absoluten Gehorsam gewohnt. Es gab selten jemanden, der es wagte, sich gegen ihn zu stellen oder ihm ins Wort zu fallen. Und wenn doch, überwältigte er seine Gegner mit Worten. Weder Yuugi noch Mokuba ließen sich davon beeindrucken. Es war ihnen egal, dass Kaiba eine höhere Position hatte. Sein Stolz würde noch sein Untergang sein. »Denkst du wirklich, dass ich das nicht weiß?«, dachte Kaiba und nahm einen großen Schluck des bitteren Getränks, um wieder klare Gedanken fassen zu können. „Ich glaube nicht, dass sich Mokuba für dich entscheiden wird. Zumindest nicht nach dem, was er mir gestern erzählt hat.“ Kaiba wurde hellhörig. „Ha, du kennst Mokuba nicht so gut wie ich. Er liebt mich und er würde mich niemals zurücklassen.“ „Bist du dir da wirklich sicher?“, fragte Yuugi. Die Stille zwischen ihnen war unangenehm und drückend. Kaiba war verärgert, dass aus einer unbefangenen Frage eine solche Konversation geworden war. Plötzlich ging es nicht mehr um Yuugi und sein Spiel, sondern hatte sich das Ganze in eine Lebensberatung entwickelt, die Kaiba gar nicht brauchte. Als keine klare Antwort vom Firmenchef kam, sprach Yuugi weiter. „Du weißt, dass er eine Freundin hat. Sie kommt nicht aus Japan. Er scheint tatsächlich zu planen, mit ihr wegzugehen, wenn du dein Leben nicht in den Griff kriegst.“ Yuugi stoppte für einen Moment, biss sich auf die Unterlippe, ehe er erneut ansetzte. „Kaiba-kun.“ Yuugis Worte waren warm und fürsorglich und er spürte, dass er ihm nicht schaden wollte. Dass Yuugi ihm helfen wollte, verletzte seinen Stolz. Er brauchte keine Freunde oder gar Hilfe. Vor allem nicht von Außenstehenden, die den Ernst des Lebens nicht verstanden hatten. Am liebsten hätte er ihn aus seinem Büro geworfen und ihm gesagt, dass er sich nicht einmischen sollte. Yuugi sprach seinen Namen ganz langsam aus und machte eine Pause. Er schien nach den richtigen Worten zu suchen. Es fiel ihm unheimlich schwer, Kaiba so vor den Kopf zu stoßen und dabei auch noch sein Versprechen an Mokuba zu brechen. Mokuba hatte ihm extra gesagt, nichts von seinem Vorhaben an seinen Bruder weiterzuleiten, da dieser sich sonst vorbereiten konnte und sich absichtlich verstellen würde, nur um den Anschein zu erwecken, dass alles in Ordnung war. Und Mokuba hasste es, wenn sein Bruder so tat, als gäbe es keine Probleme. Denn Probleme hatten sie genügend. Sowohl in der Kaiba Corporation als auch in ihrem Privatleben. Die firmeninternen Probleme behob Kaiba rasch und mit Bravur, doch den Frust und den Ärger mit seinem Bruder, staute sich so sehr an, dass ein kleines Gespräch und auch ein toller Ferrari zum achtzehnten Geburtstag nicht darüber hinwegtäuschen konnten, dass etwas nicht stimmte und die beiden Brüder kurz davor standen, auseinander zu gehen. Mokuba war nicht bereit, dies so hinzunehmen. Er wollte seinen lachenden Bruder zurück. Den Bruder, den Gozaburou ihm gestohlen hatte. Der Bruder, mit dem er über sein Leben und seine Wünsche reden konnte. Der Bruder, der ihm zuhörte, wenn er ihm von seinen Gedanken erzählte. Der Bruder, der offen war für neue Ideen und Konzepte. Der Bruder, mit dem er lachen konnte und das Leben genießen konnte. Und das war es auch, was er seinem Bruder in Alcatraz gesagt hatte. Dieser Hass, den Kaiba in sich trug, hatte ihn so sehr verändert, dass Mokuba allmählich das Gefühl bekam, dass sein Bruder nicht mehr existierte. Dass dieser Mensch hinter dem Bürotisch, der fleißig seine Akten ordnete und die Firma anleitete, nicht der Mensch war, den er in seinem Leben brauchte. Dass dieser Mensch, ihn nur emotional runter zog und kein wirkliches Interesse an ihm hatte. Für Mokuba war es klar, dass er sich für seinen Bruder entscheiden würde, wenn es sein musste. Doch sein Bruder war einfach nicht in der Lage, über seine Gefühle zu reden oder diese gar zu zeigen, was ihn zunehmend belastete. „Mokuba ist erwachsen und nicht mehr das folgsame Kind, das dir blindlings hinterherläuft und dabei deinen Aktenkoffer für dich schleppt. Mokuba ist dein Bruder und kein Angestellter. Vergiss das nicht.“ „Willst du mir allen Ernstes sagen, dass Mokuba plant, einfach abzuhauen?“ „Ich sollte es dir nicht sagen, aber anders hörst du ja nicht zu.“ Kaiba war es anzusehen, dass er unzufrieden war. Er griff erneut nach seiner Tasse und leerte diese komplett. Yuugi fragte sich, ob Kaiba noch etwas sagen würde oder ob dieser nun versuchte, das Thema zu wechseln. „Danke für deinen Rat. Trotzdem geht dich mein Privatleben nichts an. Wir sollten uns auf das Wesentliche konzentrieren und sehen, dass wir Spherium voranbringen.“ Kaiba blockte ab. Er ließ diese negativen Gedanken nicht zu. Wollte sie nicht wahrhaben. Also war es am einfachsten, nicht weiter auf das Thema einzugehen und keine weitere Sekunde damit zu verschwenden. Sobald Yuugi weg war, konnte er sich genügend Gedanken darüber machen, wie er sich bei Mokuba entschuldigte und ihm beweisen konnte, dass ihm etwas an diesem lag. In letzter Zeit hatten die beiden Brüder sich immer wieder gestritten. Kaiba ging davon aus, dass das an der Pubertät lag. Diese Selbstfindungsphase war sehr wichtig für junge Heranwachsende, weshalb Kaiba glaubte, es wäre das Beste, seinen Bruder einfach machen zu lassen und sich nicht weiter in sein Leben einzumischen. Jetzt fragte er sich, ob er etwas falsch gemacht hatte. Vielleicht hätte er ihn fragen sollen, wie sein Tag in der Schule war. Wie seine Beziehung lief. Kaiba wusste, dass Mokuba bereits mehrere Freundinnen gehabt hatte, jedoch hatte er nie nach diesen gefragt oder sie zu Gesicht bekommen. Die meiste Zeit war er mit Arbeit beschäftigt. Oder tüftelte an einem neuen Dueldisk, um sein nächstes Duell mit Yuugi noch spannender und überwältigender zu machen. Auch hatte er mehr Zeit mit der Planung der Eröffnung des Kaibaparks verbracht, als aktiv nach den Erfolgen seines Bruders zu fragen. „Kaiba-kun. Nicht ich hätte gestern mit Mokuba feiern sollen, sondern du. Dein Leben geht mich nichts an, aber Mokuba ist mein Freund und ich möchte nicht, dass er wegen dir leidet. Spherium ist mir wichtig und ich wünsche mir nichts mehr, als dass ich Spiele entwickeln kann, aber so lange ich mir nicht sicher sein kann, dass es dir und Mokuba gut geht, kann ich mich nicht konzentrieren.“ Kaiba schnalzte mit der Zunge und stand auf. Aufgeregt lief er hin und her, blieb dann vor dem Fenster stehen und warf einen Blick auf seine Stadt, den lebhaften Verkehr und die bunten Reklameschilder, die bis in den Himmel noch zu erkennen waren, da ihre Lichter auch tagsüber so hell leuchteten, dass Kunden sich von diesen magisch angezogen fühlten. Von seiner Firma aus konnte er alles überblicken. Den Duel Dom. Die Brücke am Hafen. Seinen Kaiba Park und auch sein Anwesen. Von hier oben war alles so winzig und bedeutungslos. Und trotzdem hatte er mehr Zeit in diese Dinge investiert, als in sein eigenes Glück. Kapitel 9: Kapitel 9 -------------------- „Yuugi. Was bedeutet es, glücklich zu sein?“, wollte er dann von diesem wissen. Er brauchte keine Antwort. Die gab es nicht. Er hielt nichts von diesem esoterischen Mist oder davon, dass die kleinen Dinge im Leben einen bereicherten. Es gab einfach keine Antwort, die ihn zufriedenstellte. Das lag daran, dass sich Kaiba nie die Frage gestellt hatte, ob er glücklich oder unglücklich war. Mokuba war unglücklich. Unzufrieden. Kaiba hatte es nicht bemerkt und das machte ihn wütend. Ha. Was hieß hier, er hatte es nicht bemerkt? Wie Mokuba es passend ausgedrückt hatte: er hatte nie Zeit. Keine Zeit, um über sich selbst nachzudenken, geschweige denn über seinen Bruder. Mokuba war 19 Jahre alt. Alt genug, um zu reflektieren und eigene Schlüsse zu ziehen. „Kennst du die Antwort wirklich nicht?“ Er legte den Kopf schief. „Gibt es denn eine richtige Antwort?“ „Nein. Ich glaube, dass glücklich sein bedeutet, dass man mit sich selbst zufrieden sein kann und keine Angst haben muss. Ich bin froh, dass ich Menschen in meinem Leben gefunden habe, die meine Leidenschaft für Spiele teilen. Menschen, die mir gerne zuhören und für mich da sind.“ „Ich war nicht für ihn da. Du hattest Recht. Ich laufe vor meinen eigenen Schwächen davon.“ »Zerstöre die Vergangenheit und die Zukunft wird erschaffen.« Das waren seine eigenen Worte. Worte, die er wie ein Mantra immer und immer wieder wiederholt hatte, nur um nicht an seinen Peiniger zu denken, der ihn umerzogen hatte und so sehr erniedrigt hatte, dass er Glück nur in Zerstörung empfinden konnte. „Seto! Du bist unachtsam!“, brüllte die laute und strenge Stimme hinter ihm und er spürte den harten Schlag in seinem Gesicht. Gozaburou wollte ihn zum nächsten Firmenleiter erziehen. Er brauchte einen würdigen Nachfahren, der in der Lage war, das Wissen, das ihm vermittelt wurde, nicht nur auswendig zu lernen, sondern so sehr zu verinnerlichen, dass er dies problemlos in jeder Lebenslage anwenden konnte. Eigentlich konnte er von Glück sprechen, dass er bei dieser Charity Veranstaltung teilgenommen und gegen dieses Kind verloren hatte. Hätte ja niemand ahnen können, dass unter diesen verlausten und verwahrlosten Heimkindern ein Kind steckte, das überdurchschnittlich intelligent war und seine harte Ausbildung tatsächlich überstand, ohne sich dabei heulend auf den Boden zu werfen und zu krepieren. Der Stolz dieses Jungen war groß und es würde ihm viel Zeit kosten, diesen Willen zu brechen und den perfekten Nachfolger zu erschaffen. Als er merkte, dass der Junge an einer Aufgabe kurz haderte, schlug er ihm mit voller Kraft mit der Gerte auf die Finger, so dass dieser zusammenzuckte. Er schrie nie. Er weinte nie. Er jammerte nie. Absolut perfektes Material. Seto hatte verstanden, was es bedeutete, ein ungewolltes Kind zu sein. Wenn die Eltern einen nicht wollten, musste man um das Recht zu leben, kämpfen. Wenn die Gesellschaft einen ablehnte, musste man beweisen, dass man es wert war, ein Teil von dieser zu sein. Die Zweifel des Jungen und sein stark ausgeprägter Beschützerinstinkt seinem kleinen Bruder gegenüber waren perfekter Nährboden. „Seto! Wenn du Aufgaben wie diese nicht innerhalb weniger Sekunden lösen kannst, wirst du es niemals zu etwas bringen. Du musst schnell sein. Lass dich von elendigen Gefühlen nicht ablenken, ansonsten wirst du in der Gosse enden und dort verrotten!“, keifte er und schlug einmal mehr zu. Der Junge nickte, sagte aber kein Wort. Ihm lief Blut über das Gesicht und die rote Flüssigkeit tropfte von seinem Kinn, landete direkt auf seinen Unterlagen. „Bist du etwa aufmüpfig?“, murrte der Alte mit der Gerte und schlug mit dieser in seine offene Handfläche, was beim Aufprall ein dumpfes Geräusch auslöste. Dieses Geräusch ließ dem Jungen das Blut in den Adern gefrieren. „Ich habe verstanden, Kaiba-sama!“, sagte er laut und deutlich und setzte mit dem Stift an, rechnete die komplizierten Formeln ohne Hilfe in kürzester Zeit. „Heute gibt es kein Abendessen für dich. Du denkst wohl, du kannst dir alles erlauben, hm?“ „Nein, Kaiba-sama. Ich werde alles tun, was Sie von mir verlangen!“ „Brav. Sei weiter so fleißig, dann passiert Mokuba auch nichts. Seto. Verlierer sterben. Wenn du nicht der Beste in allem bist, bist du wertlos. Niemand will ein dummes und unnötiges Kind wie dich. Es wäre besser gewesen, deine Mutter hätte dich niemals zur Welt gebracht. Aber ich, Gozaburou Kaiba, bin dein Retter. Ich liebe dich wie meinen eigenen Sohn, deshalb verstehst du sicher auch, dass ich so streng zu dir sein muss, damit etwas Anständiges aus dir wird.“ „Ihr habt Recht, Kaiba-sama.“ „Trotzdem bekommst du heute nur eine Tasse Tee zum Abendessen. Du musst lernen, dass du direkt zu antworten hast, wenn man mit dir spricht. Du darfst nicht zu lange nachdenken. Wer zögert, zeigt Schwäche.“ „Verstanden, Kaiba-sama.“ Die Antwort des Jungen kam wie aus der Pistole geschossen. Er wollte seinen Bruder nicht in Gefahr bringen. Er musste ihn beschützen. Er war doch alles, was er noch hatte. Wenn er die Ausbildung von Kaiba überleben wollte, musste er lernen folgsam zu sein. Befehlen blindlings zu gehorchen und das zu verinnerlichen, was ihm gesagt wurde. Langsam aber sicher glaubte er tatsächlich, dass das, was sein Stiefvater ihm sagte, richtig war. Nur wenn er so wurde, wie dieser Mann es von ihm verlangte, würde er in der Lage sein, ein gutes Leben zu führen und seinem Bruder wahres Glück zu bringen. Obwohl er schnell geantwortet hatte und die weiteren Formeln ohne Probleme löste, schlug Gozaburou ihn erneut mit der Gerte. „Deine Handschrift ist erbärmlich! Dabei lernst du bereits seit zwei Wochen die Kunst der Kalligraphie. Seto, das ist nicht gut genug. Bis übermorgen musst du dies verinnerlicht haben, ansonsten weißt du, was dir blüht.“ „V-verstanden, Kaiba-sama.“, kam es von dem Jungen, der antwortete wie ein erzogener Soldat. „Stottern ist ein Zeichen von Schwäche, Seto.“ Noch ein Schlag. Und noch einer. Er schmeckte sein eigenes Blut, aber kein einziges Mal schrie er auf oder beschwerte sich. Als seine Mathematikstunde vorbei war und Gozaburou sich zum Abendessen verzog, atmete er tief ein. »Moki...«, waren seine einzigen Gedanken, dann taumelte er ins Badezimmer, um sich das Blut abzuwaschen. Er durfte seinen Bruder nicht sehen. Er sollte erst Erfolge vorweisen können. Seto fühlte sich einsam und er wusste nicht, ob er seinen Bruder jemals wiedersehen würde. Die Hoffnung, dass sie sich eines Tages wiedersehen würden und sie gemeinsam lachen konnten, war alles, was ihm blieb. Gozaburou ahnte nicht, dass er sich seinen eigenen Konkurrenten großzog und dass dieser eines Tages ihm seine Firma wegnehmen und komplett umstrukturieren würde. Im Laufe der Zeit wuchs Kaibas Hass. Sein Zorn. Doch er hatte gelernt, nichts davon zu zeigen und seinem gönnerischen Stiefvater, dem er sein Leben verdankte, bedingungslosen Gehorsam zu zeigen, sich niemals etwas anmerken zu lassen und stets alle Befehle zu befolgen. Mokuba entfernte sich von ihm. Sein Ziel verlor er aus den Augen. Seto verlor sich selbst. Er hatte es Atem zu verdanken, dass er in der Lage war, aus der Spirale des Hasses auszutreten. Dass dieses Monster ihn immer noch gefangen hielt, wollte er selbst nicht glauben. Denn er wollte sich niemals mit der Vergangenheit konfrontieren. Sie wegschließen. Doch ihm wurde klar, dass die Vergangenheit ihn festhielt und ihm Angst machte. Dass er von selbst nicht in der Lage war, das zu überwinden, was ihn so sehr einnahm und bis heute sein Leben bestimmte. Er hatte Mokuba nie von den Misshandlungen erzählt. Sie hatten sich nur selten gesehen. Wenn Gozaburou eine Feier besuchte, nahm er seine beiden Kinder mit, nur um in den Medien das Bild eines wunderbaren Mannes vor zu heucheln, der trotz seiner Waffen an Frieden und Liebe glaubte. Diesen Mann, den er in den Medien mimte, gab es nicht und hatte es auch nie gegeben. Kaiba hatte die Gala Abende geliebt, denn sie bedeuteten, dass er seinen Bruder wiedersehen konnte – auch wenn sie nicht miteinander reden durften – und dass er eine Woche vor diesen keine Schläge oder sonstige Misshandlungen zu fürchten brauchte. Er war froh, dass Mokuba bis heute unbehelligt von all dem, was sein Leben und seinen Charakter geprägt hatte, aufwachsen konnte. Gerade weil er seinem Bruder nie die Wahrheit gesagt hatte und diese tief in sich einschloss, fiel es ihm so schwer, andere Menschen zuzulassen oder mit diesen zu agieren. „Kaiba-kun. Lass uns zusammenarbeiten, aber nicht nur, um Spherium zu vollenden, sondern um an unseren Persönlichkeiten zu wachsen. Du sagst, dass ich skrupelloser werden muss und du möchtest, dass Mokuba dich nicht zurücklässt. Ich denke, wir können uns gegenseitig dabei helfen.“ „Yuugi...“, sagte dieser nur. Dass Yuugi ihm näher gekommen war und nur wenige Zentimeter von ihm entfernt stehen blieb, hatte er nicht mitbekommen. Er wollte nicht, dass ausgerechnet Yuugi seine Schwächen sah. Niemand sollte sie sehen. Die Narben auf seiner Seele. Obwohl Kaiba ihm keine Antwort gab, war sich Yuugi sicher, dass dieser zugestimmt hatte und dass dieser Vertrag – dass Spherium – ihnen beiden helfen würde, ihre Probleme zu überwinden. Yuugi war zurückhaltend, schüchtern und oftmals viel zu unterwürfig. Während Kaiba kein Blatt vor den Mund nahm, gerne provozierte und pure Dominanz ausstrahlte. Er war jemand, vor dem man sich fürchtete und das wusste dieser selbst am besten. Er spürte es ja jedes Mal, wenn er mit seinen Angestellten sprach oder nur an ihnen vorbeiging. „Wir treffen uns nächste Woche noch mal. Ich werde auch daran denken, dass du keinen schwarzen Kaffee trinkst.“, kam es von dem Firmenleiter und Yuugi starrte ihn nur an. „Ehehehehe...“, lachte Yuugi peinlich berührt und kratzte sich an der Wange. War ja klar, dass dem scharfsinnigen Kaiba so etwas nicht entging. Kapitel 10: Kapitel 10 ---------------------- Mokuba lag in seinem Bett und ignorierte das Piepen seines Smartphones, das bereits seit mehreren Stunden versuchte, ihn aus seinem erholsamen Schlaf zu reißen. Gestern Abend hatte er sich dazu hinreißen lassen ein wenig zu viel zu trinken. Zumindest hatte er eine guten Grund, der gefeiert werden musste. Drei Jahre hatte er an Capsule Coliseum gearbeitet und so etwas musste doch gebührend gefeiert werden, nicht wahr? Irgendwie hatte er dennoch schlechte Laune. Und der Grund war wie immer derselbe: sein Bruder. Obwohl er sich eigentlich freuen und feiern sollte, war er einfach nur genervt und wütend. Er grummelte vor sich hin, wissend, dass ihn niemand hören konnte. Am Vorabend hatte er sich mit Yuugi getroffen und vielleicht das ein oder andere alkoholische Getränk zu viel zu sich genommen, weshalb er sich heute nicht sonderlich fit fühlte. Musste wohl der Kater sein, der ihm so aufs Gemüt schlug. Sein Bruder hatte, wie jeden Morgen, pünktlich um 7:30 Uhr das Anwesen verlassen und war in Richtung Firmengelände abgebraust. Er hatte gehört, wie Isono mit quietschenden Reifen vorfuhr. Der arme Kerl kam auch nie zur Ruhe. Mokuba konnte sich nicht an alles erinnern, was er gestern gesagt hatte, aber er wusste, dass er den Entschluss gefasst hatte, Seto zu konfrontieren und zur Not sein Zuhause zu verlassen. Es war nicht so, dass er seinen Bruder hasste, aber so wie es momentan zwischen den beiden lief, konnte er nicht sagen, ob das auf Dauer gutging. Viel zu oft erwischte er sich selbst dabei, über seinen Bruder zu schimpfen und dass er sich sogar wünschte, dass er Fehler machte, damit er ordentlich ausrutschte und wieder runterkam. Arbeit hier, Arbeit da und kaum war man am Morgen aufgestanden und saß im Speiseraum, um sein Frühstück zu sich zu nehmen, redete er nur über Duel Monsters, seine Arbeit oder darüber, dass er Yuugi besiegen wollte. Nie fragte er danach, wie es Mokuba ging. Wie weit er mit seinem Projekt war. Dabei hatte er ihm so oft gesagt, dass er seit drei Jahren an Capsule Coliseum arbeitete. Für jemanden wie Kaiba war Zeit scheinbar zu kostbar, als dass man sich mit den Projekten anderer befasste, auch wenn es sich bei dieser anderen Person um den einzigen Bruder handelte. Vor drei Jahren wäre es ihm egal gewesen. Da war er gerade mal 16 und hatte selbst viel zu viel um die Ohren. Immerhin duldete sein Bruder nicht, dass er die Schule einfach abbrach und auch Mokuba war es wichtig gewesen, einen ordentlichen Schulabschluss zu machen, bevor er ins Arbeitsleben einstieg. Bevor er mit seinem größten Wunschprojekt anfing und Capsule Monsters in virtuelle Form brachte. Glaubte sein Bruder etwa nicht an seinen Erfolg? Von Anfang an hatte dieser nicht sonderlich viel Interesse gezeigt. Keine Zeit. Es waren drei Jahre vergangen, in denen die beiden Brüder nur wenig miteinander sprachen. Arbeit hatte für Kaiba immer Vorrang. Es waren diese drei Jahre, in denen Mokuba genügend Zeit hatte, sich selbst weiterzuentwickeln und sich ein eigenes Leben aufzubauen – eines, in dem er seinen Bruder nicht unbedingt brauchte. Ein Leben, an dem sein Bruder scheinbar nicht teilnehmen wollte. Und dieses Gefühl, dass der einzige Verwandte, der einem mehr bedeutete, als alles andere, einen zurückwies, deprimierte ihn und zog ihn mit jedem neuen Tag noch mehr runter. Mittlerweile war sein Entwicklerteam und Rebecca seine Familie. Eine Familie, die ihm zuhörte, seine Visionen teilte und mit denen er aus tiefstem Herzen lachen konnte. Dinge, die in einer Familie selbstverständlich waren. Nicht so für Kaiba. Der lachte nie. Der weinte nie. Er wurde höchstens wütend. Vor allem dann, wenn man ihn kritisierte oder ihm helfen wollte. Mokuba drückte seinen Kopf ins Kissen und brüllte laut, um seinen Ärger Luft zu machen. Dieser Vollidiot! Das alles machte ihn so wütend. Eventuell war er auch nur so wütend, weil er einen Kater hatte und trotz dieser Kopfschmerzen nur über seinen Bruder nachdachte, der selbst nie Interesse an ihm zeigte. Er griff nach seinem Smartphone und öffnete seinen Nachrichtendienst, tippte mit seinen beiden Daumen hastig eine Nachricht an seine Freundin, die genauso schnell antwortete. Er fragte sich, ob sie nur beim Tippen so geschickt mit ihren Fingern war oder ob sie damit noch ganz andere Dinge konnte. „Guten Morgen!“ „Morgen! So 'früh' schon wach? :D“ „Ja, ich war gestern etwas zu lange unterwegs! Bin grad erst wach geworden. XD“ „Zu lang unterwegs? Heißt wohl, hast die ganze Nacht durch gesoffen!“ „Du merkst aber auch alles. ^^;“ „Ich bin nicht blöd, Mokuba. Ich habe dich gestern Abend zweimal angerufen und du gingst nicht dran.“ „Sorry! Aber mal was ganz anderes: Hättest du Lust auf eine Reise?“ „Was ist mit Capsule Coliseum?! Das kommt doch nächsten Monat auf den Markt, sollten wir uns nicht lieber ums Marketing kümmern?“ „Ach, das müssen wir ja nicht von hier, oder? Läuft doch eh alles übers Internet. :D“ „Wo willst du denn hin? Nach Kyūshū ? Dort gibt es ein großes Ressort.“ „Wär' nicht übel, aber ich dachte eher an eine GROSSE Reise. :)“ „Ins Ausland etwa?“ „Wie wär's mit Amerika?“ „Was führst du im Schilde? Irgendetwas stimmt nicht.“ „Ach, ich will Seto eins auswischen und dachte, ich hau einfach Mal ab und schau, wie er reagiert!“ „Was hat er zum Abschluss unseres Projekts gesagt?“ „Kannst du dir doch denken.“ „Na gut, er hat es nicht besser verdient! Wann geht es los?“ „Wie wär's mit nächster Woche?“ Rebecca sagte unnatürlich schnell zu, was ihn irgendwie erleichterte. Sie war sonst so kompliziert und hinterfragte viel zu viel, aber wenn es um Mokubas Problem mit seinem Bruder ging, hatte sie immer ein offenes Ohr. Sie hatten jahrelang zusammengearbeitet und dieses Spiel war auch für sie ein Meilenstein in ihrer Karriere als Entwicklerin. Vermutlich verletzte es ihren Stolz, dass Kaiba, der eigentliche Präsident der Kaiba Corporation, keine Anteilnahme zeigte. Immerhin wollte sie für ihre Arbeit Anerkennung und gehörte bereits jetzt zu den Besten. Dass ausgerechnet jemand wie Kaiba, der sonst seine Konkurrenz ausmerzte – und genau das war sie, da ihr Können und ihre unglaublichen Fähigkeiten einmalig waren – sie nicht einmal wahrnahm, obwohl es offensichtlich war, dass sie genauso wie Kaiba hochbegabt war und sehr viel erreichen würde, musste sie sehr mitnehmen. Mokuba ging davon aus, dass sie sich seine Anerkennung wünschte. Nicht, weil sie mit Mokuba zusammen war, sondern weil sie Verständnis für etwas hatte, das viele Leute überforderte und er von ihr anerkannt werden wollte. Wenn der klügste Mann der Welt einen anerkannte, war das eine große Ehre und sie schien sich nur deswegen bei der KC beworben zu haben, um unter ihm zu arbeiten und ihr Können unter Beweis zu stellen. Ein Glück, dass Kaiba die Bewerbungen gar nicht richtig angesehen hatte und Mokuba zufällig ihre Bewerbung in die Hand bekam. Er erinnerte sich an das Vorsprechen. Sie wirkte erstaunt, hatte damit gerechnet, dass sie den Präsidenten kennenlernen würde, wurde aber nur vom Vize empfangen. Klug wie sie war, sagte sie dies, aber es war ihr deutlich anzusehen, dass sie jemand anders am anderen Ende des Schreibtischs erwartet hatte. In nur wenigen Minuten überzeugte sie nicht nur mit Schlagfertigkeit und guten Argumenten, sonder bewies ihr außergewöhnliches Verständnis für Zahlen und Programme. Mokuba glaubte, dass sie ein eidetisches Gedächtnis hatte, da sie in kürzester Zeit die kleinsten Fehler in den Codierungen erkannte. Ähnlich wie sein Bruder, der so etwas in Sekundenschnelle absolvierte und dabei noch andere Tätigkeiten tun konnte. Für den jüngeren Kaiba stand fest, dass es das Beste war, eine Ruhepause zu nehmen. Weg von seinem Bruder, der seine Fehler niemals einsah und nicht verstand, was es bedeutete eine Familie zu sein. Vielleicht würde dieser dann endlich wieder zur Vernunft kommen, wenn er merkte, dass sein gehorsamer braver Bruder plötzlich nicht mehr da war und nicht mehr nach seiner Pfeife tanzte. Sollte er doch sehen, wie er ohne ihn zurecht kam. Völlig übereilt sprang Mokuba vom Bett und schwankte einige Schritte. Ihm war schwindlig, schlecht und er war sich sicher, dass seine Gehirnzellen gerade Tango tanzten. Jetzt musste er aber seinen Worten Taten folgen lassen und seinen Plan in die Tat umsetzen. Hieß also: schnell ein Hotel buchen, Sachen packen und alles erledigen, was erledigt werden musste. Immerhin war schon Dienstag. Und wenn er am Sonntag los wollte, hatte er noch so eines zu tun. Erstmal seiner Abteilung Bescheid sagen. Den Monatsabschluss durfte er keinesfalls vergessen. Auch wenn er seinem Bruder eins auswischen wollte, wollte er auf keinen Fall, dass ihre Firma darunter litt. Oder gar seine Angestellten. Er torkelte wie benommen die Treppen herunter. »Wenn nur diese Kopfschmerzen nicht wären...«, murrte er in Gedanken und lief in den Speiseraum, wo immer noch sein Frühstück vom Morgen stand. Vermutlich hatten ihre Angestellten noch nicht abgeräumt, da sie davon ausgingen, dass der Jüngere der Kaibas doch noch irgendwann aufstehen würde und dann in alter Gewohnheit nach einer Tasse Kaffee suchen würde. Wenigstens in der Hinsicht waren sich die Brüder ähnlich. Ihre Vorliebe für heißen, schwarzen Kaffee – ohne Milch und Zucker natürlich – war wohl auch so ziemlich das einzige, indem sie die gleiche Ansicht hatten. Als Mokuba sich an seinen Lieblingsplatz setzte, mit Blick auf den riesigen Fernseher an der Wand, stöhnte er gequält und rieb sich seine Schläfen. Gut, dass sein Bruder nicht da war. Kaiba kam nie pünktlich nach Hause. Ein wahrer Widerspruch, wenn man bedachte, wie wichtig diesem die Einhaltung von Terminen war und wie wenig Zeit er doch hatte. Für seine Arbeit hatte er immer Zeit. Am Montag kam sein Bruder erst nach acht Uhr abends. Da war er schon etwas genervt, beschwerte sich aber nicht, da er dieses Verhalten durchaus kannte. Kaiba hatte eben viel zu tun. Da konnte man das Abendessen um Punkt sieben Uhr abends mit dem einzigen Verwandten schon mal sausen lassen. Aber es blieb nicht beim 'mal', sondern wurde eine sich wiederholende Routine, die beinahe normal war. In den letzten drei Jahren hatte Mokuba entweder allein zu Abend gegessen oder mit seinen Kollegen aus seiner Abteilung. Er betrachtete sie gar nicht mehr als Angestellte, immerhin hatte er weitaus mehr Zeit mit ihnen verbracht als mit seinem Bruder. Mokuba reichte es aber endgültig. Ständig diese schlechte Laune zwischen ihnen. Das würde jetzt ein Ende nehmen. Ein Schluck von seinem Kaffee und er fühlte sich wie Popeye der Seemann, voll mit Energie, die ihm die Kraft gab, seine Gedanken abzuschalten, sein Smartphone zu ergreifen und alles zu klären. Kapitel 11: Kapitel 11 ---------------------- Auf dem Rückweg von Kaibas Firmengelände konnte Yuugi nicht anders, als sich einen Moment lang umzudrehen und das riesige Gebäude wehmütig zu betrachten. Die gläserne Fassade glänzte im Sonnenlicht, wodurch das Hochhaus noch imposanter wirkte. Schon immer wusste Yuugi, dass Kaiba in Wirklichkeit ein zerbrechlicher Mann war, der versuchte seine Schwächen hinter einer Maske von Unantastbarkeit zu verbergen, doch dass dieser heute seine wahre Seele zeigte und ihn nicht aus seinem Leben ausgrenzte, machte Yuugi so froh, dass er gar nicht wusste, was er mit diese ganzen aufkeimenden Gefühlen tun sollte. Nicht nur, dass endlich Spherium realisiert werden konnte, stimmte ihn glücklich, nein, am meisten freute ihn, dass er Kaiba als Menschen näher gekommen war. Das, was zwischen ihnen passiert war, lag in der Vergangenheit und er wollte niemals wieder daran denken, was für ein Mensch Kaiba gewesen war. Menschen, die Schlechtes taten, waren schlimme Dinge widerfahren. Kaiba war kein schlechter Mensch und Yuugi weigerte sich zu glauben, dass man Menschen in Kategorien sortieren konnte. Seinem besten Freund Jounouchi ging es ja ähnlich. Jounouchi war ein liebenswerter und fürsorglicher Junge, dessen Schrei nach Liebe und Aufmerksamkeit nie gestillt wurde. Diese Ablehnung von seiner Familie und von den Menschen in seiner Umgebung hatten ihn verändert und er baute eine Mauer aus Eis um sich herum, kapselte sich ab und ließ seinen Frust an anderen aus. Obwohl Jounouchi nie offen über seine Vergangenheit sprach, hatten die Begegnungen mit Hirutani und das, was Yuugi an Gesprächen mitbekommen hatte, ausgereicht, um sein Bild über den Blonden positiv zu beeinflussen. Irgendwie konnte Yuugi es ja auch verstehen. Für einen heranwachsenden Jungen war die Anerkennung und die Liebe seines Vaters das Wichtigste auf der Welt. Yuugi wurde ganz komisch, da er sich unweigerlich an seinen eigenen Vater erinnerte, der mehr Interesse an seiner Arbeit als an seinem eigenen Sohn gezeigt hatte. Genau genommen betrachtete Yuugi seinen Vater als einen Menschen, der nicht greifbar für ihn war. Seine wahre männliche Bezugsperson war sein Jii-chan und niemand anders! „Hohohoho!“, lachte der bärtige Mann mit seiner bunten Stachelfrisur. Es amüsierte ihn sehr, dass sein kleiner Enkel Spaß daran hatte, in seiner Wohnung herumzulaufen und glücklich lachte, wenn er etwas Interessantes fand. Viel an Reaktionen zeigte der Kleine nicht. Manchmal fragte er sich, ob Yuugi sich normal entwickelte, da er bei Gleichaltrigen entweder weglief und anfing zu weinen oder er stand beinahe regungslos neben den anderen Kindern und traute sich nicht etwas zu sagen. Da machte man sich schon Sorgen. Seine Schwiegertochter Ayumu war nie um Wörter verlegen und sagte immer das, was sie meinte. Und sein Sohn war zwar sehr ernst und strebte nach einer großen Karriere, aber auch er gehörte nicht zu der stillen Sorte. Im Gegenteil, wenn ihn etwas störte, sprach er es offen aus, ohne Rücksicht auf die Gefühle seines Gegenübers. Nun vermutlich war das auch Sugorokous eigener Verdienst... Dass ausgerechnet ihr Sohn so schüchtern und zurückhaltend war, konnte er sich nicht erklären. Seine Rückkehr aus Ägypten lag nun zwei Monate zurück. Es war immer noch völlig ungewohnt für ihn ein normales Leben zu führen. Eine normale Arbeit. Morgens aufstehen und zur selben Zeit ins Bett. Aber das war nun mal sein Wetteinsatz gewesen. Jetzt musste er sich seiner Familie widmen, die die letzten Jahre nur über Postkarten von ihm gehört hatte. Immerhin war er ein Meisterspieler. Ein Gambler, der sich weltweit einen Namen gemacht hatte und jedes Glücksspiel gewann. Jedes noch so schwierige Rätsel löste er problemlos und es gab kein Brettspiel auf der Welt, das er nicht kannte. Dass ausgerechnet die Grabstätte eines lange verstorbenen Pharaos seine Glückssträhne beenden würde, konnte er noch immer nicht so recht glauben. Nicht, dass er ein wirklicher Glücksspieler war, aber Glück und Können machten einen guten Gamer aus. Er selbst nannte sich Gamer, der Rest der Welt gab ihn viele verschiedene Namen und er war eine Legende in seiner Szene. Es gab nur einen Mann, gegen den er verloren hatte. Aber er akzeptierte seine Niederlage. Ein wahrer Gamer konnte sowohl Sieg als auch Niederlage akzeptieren und aus beidem neue Erfahrungen gewinnen. Plötzlich hörte er das kleine Kind weinen. Bei seiner Erkundungstour hatte er eine hübschen Tischläufer von einem Schrank gesehen und diesen herunter gezogen, sodass ein goldenes kleines Kästchen auf ihn gefallen war. Panisch lief Sugorokou zu ihm und nahm ihn auf den Arm. „Alles gut! Nicht weinen!“, sprach er dem Kind gut zu, doch es hörte nicht auf und schluchzte immer lauter. Jetzt war er etwas überfordert. Er wollte nicht, dass seine Stieftochter aus der Küche hierher kam und ihn zurechtwies, weil er seine Aufsichtspflicht verletzt hatte. Die Frau konnte schimpfen wie ein Weltmeister. Wäre dies ein Spiel gewesen, hätte sie ihn locker besiegen können. In seiner Panik öffnete er die goldene Kiste und er entnahm ein glänzendes kleines Teil aus dieser, das aussah wie ein Puzzlestück. Sofort beruhigte sich Yuugi und versuchte danach zu greifen. „Dafür bist du noch zu jung!“, sagte er und wippte den Kleinen beruhigend auf seinem Arm hin und her. Obwohl er ihm das Teil nicht geben wollte, kämpfte Yuugi weiter und griff nach den großen Händen seines Großvaters, dessen Kraft unüberwindbar schien. Einmal mehr bildeten sich Tränen in seinen Augen, seine Unterlippe bebte und es sah so aus, als würde er jeden Moment wieder anfingen bittere Tränen zu vergießen, also blieb Sugorokou keine Wahl und er seufzte resigniert auf. Er öffnete seine Handfläche und überließ Yuugi das Puzzlestück. Hoffentlich nahm er das Teil nicht in den Mund und verschluckte sich daran, denn dann würde ihm Yuugis Mutter die Hölle heißmachen. Außerdem könnte er sich selbst nicht verzeihen, würde seinem Enkel etwas geschehen. Unerwarteterweise drehte und wandte der Junge das Teil nur in seinen Händen, hielt es gegen das Licht der Lampe und gab glucksende Geräusche von sich. Seine Augen strahlten. Er schien unglaublich begeistert von diesem Teil. Ein sanftes Lächeln schlich sich auf das Gesicht des Mannes, doch es wurde überschattet von einer Frage, die ihn quälte. Bis heute fragte sich Sugorokou warum er dieses Kästchen mitgenommen hatte. War es Schicksal? Wollte diese geisterhafte Gestalt, die die Krone eines Pharaos trug und ihn damals das Leben rettete, dass er dieses Kästchen und die damit verbundenen Pflichten an einen Auserwählten übergab? War ausgerechnet Yuugi dieser Auserwählte? »Selbst wenn, er muss das Puzzle erst mal lösen, bevor er zum Auserwählten wird. Bis dahin ist er sicher.«, beruhigte er sich selbst und drückte dem Kleinen einen dicken Kuss auf die Wange, welcher nur leicht angewidert das Gesicht wegdrückte, da ihn der Bart zu stören schien. Yuugi war gerade mal zwei Jahre alt, also hatte er noch genügend Zeit, um sich auf die kommenden Proben und Aufgaben als Auserwählter vorzubereiten. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. „Vater, du verhätschelst ihn viel zu sehr. Wenn du das tust wird er noch zum Weichei, der nichts im Leben erreicht.“ „Yuusuke? Du bist zu Hause? Wie schön, dich wiederzusehen.“, gab der Ältere von sich und tat so, als hätte er die Anschuldigungen gar nicht gehört. „Wie macht Yuugi sich? Ist er immer noch so still? Für einen Zweijährigen weint er auch viel zu viel...“, erklärte er und lockerte seine Krawatte. „Das ist doch völlig normal. Er ist halt ein etwas ruhigeres Kind. Das macht ihn nicht anders.“, erwiderte er und ließ zu, dass Yuugi von ihm runterging und sich einmal mehr dem goldenen Kästchen widmete. Yuugi nahm mehrere Teile in die Hand, legte sie nach wenigen Augenblicken jedoch zurück ins Kästchen und lief auf seinen Vater mit weit aufgerissenen Armen zu. Dass der Junge umarmt werden wollte, wäre für jeden offensichtlich gewesen. Yuusuke legte nur den Kopf schief, legte beinahe abwertend eine Hand auf Yuugis Kopf und begab sich wortlos in die Küche, wo er mit seiner Frau laut über etwas zu reden schien. Verwundert sah Yuugi ihm hinterher. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er nicht verstand, wieso sein Vater ihn nicht auf den Arm genommen hatte. Doch er sagte dazu nichts und suchte erneut nach Ablenkung. Yuusuke war streng und erwartete viel von seinem Kind. Sugorokou schluckte hart. Wäre er zuhause gewesen und hätte sich besser um seinen eigenen Sohn gekümmert, hätte dieser sich vielleicht ganz anders entwickelt. Offener und liebevoller. Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn war deutlich angespannt. Immerhin war er jahrelang unterwegs gewesen. Seine verstorbene Ehefrau hatte sich ganz allein um Yuusuke gekümmert. Er konnte es ihm nicht einmal vorwerfen, dass er kein Interesse an seinem Vater hatte und sich nicht für Spiele begeistern konnte, da Sugorokou selbst wusste, dass es seine eigene Schuld war. Hätte er sein eigenes Kind nicht hinten angestellt und sich mehr um seine Familie als um seine Karriere als weltbekannter Gambler gekümmert, wäre vieles sicherlich anders verlaufen. Er warf einen Blick auf Yuugi, der nun begeistert mit einem Wachsmalstift auf einem weißen Blatt Papier kritzelte. Sugorokou stockte der Atem. Yuugi malte einen großen weiten Kreis und schien seinen Großvater zu mustern, nickte sich dann selbst zufrieden zu und nahm einen anderen Stift in die Hand, mit dem er so etwas Barthaare zu malen schien und einen Stern um den Kreis malte. »Dieses Mal mache ich es besser...«, schoss es ihm durch den Kopf, als er den Kleinen da malen sah. Es kostete ihm eine Menge Kraft, nicht auf den Kleinen zuzulaufen und ihn fest in den Arm zu nehmen. Dass Yuugi noch viel zu jung war, um sich an den heutigen Tag oder gar seinen Vater zu erinnern, wusste er, trotzdem brannte sich dieser Moment in seinem Herzen ein. Er würde alles tun, um dem Jungen ein guter Großvater zu sein. Die Jahre vergingen und Yuusuke kam immer seltener nach Hause. Sugorokou übernahm die Pflichten eines Vaters und die Liebe, die er seinem Enkel schenkte, blieb nicht unerwidert. Das einzige, das ihm Sorgen bereitete, war, dass Yuugi trotz seiner sieben Jahre extrem schüchtern war und nicht allzu viel über sich erzählte. Auch wenn er es nicht oft zeigte, wusste Sugorokou, dass Yuugi in der Grundschule keinen Anschluss fand. Manchmal saß er einfach nur in seinem Zimmer und spielte vor sich hin, wortlos. Wenn man ihn fragte, was er in der Schule erlebt hatte, erzählte er nur das Nötigste. Wenn man ihn fragte, wie es ihm ging, sagte er nur, dass alles in Ordnung sei. Der alte Mann erkannte sofort, dass Yuugi etwas verschwieg. Sugorokou befürchtete, dass Yuugi in seiner Klasse ein Außenseiter war, der vielleicht sogar gemobbt wurde. Es war an einem Freitag im April, als Yuusuke nach vielen Monaten nach Hause kam und Sugorokou ihn zur Rede stellte. Da ihre Beziehung zueinander seit Jahren vertrackt war und sie nicht sonderlich gut aufeinander zu sprechen, kam es, wie es kommen musste, die beiden Männer fingen zu streiten an. Wie so oft ging es darum, dass Yuusuke sich viel zu wenig mit seiner Familie auseinandersetzte und dass auch Yuugi darunter litt. Dieser interessierte sich nicht für die Vorwürfe des mittlerweile ergrauten Mannes. „Du hast gut reden! Du bist der Letzte von dem ich Tipps zur Erziehung annehmen würde, Vater! Denkst du, dass du all die verpasste Zeit wieder gutmachen kannst? Du warst nicht da, als wir dich brauchten und es ist deine Schuld, dass Yuugi so ein Versager ist!“ „Er ist kein Versager! Yuusuke!“, kam es fast bedrohlich über seine Lippen und er kniff die Augen kurz zusammen, versuchte sich seine Wut nicht anmerken zu lassen und die Kontrolle zurückzuerlangen. Ein Gamer zeigte nicht sein Blatt. Da er bereits fünf Jahre nicht mehr aktiv spielte und keine Rekorde mehr aufstellte, war sein Ruhm nichts weiter als eine Erinnerung aus der Vergangenheit, doch die Erfahrungen, die er damals gesammelt hatte, waren nun äußerst nützlich. „Er ist verdammt noch mal sieben! Nur weil er etwas stiller ist als die anderen Kinder, heißt das nicht, dass nichts aus ihm wird!“ „Ja, weil du ihn mit deinen bescheuerten Spielen verdirbst! Aus ihm soll etwas Anständiges werden! Vater, Spiele haben nichts im realen Leben zu suchen. Denkst du, dass man mit Spaß allein seinen Lebensunterhalt verdienen kann? Du bist doch das beste Beispiel!“, schrie er ihm entgegen und schlug so kräftig auf den Tisch, dass dieser wackelte. Sugorokou erhob sich. Der Kame Game Shop warf nicht sonderlich viel ab. Eigentlich machte der Laden mehr Kosten und er konnte es sich gar nicht leisten, diesen weiterzuführen. Die Lebensversicherung seiner verstorbenen Frau war der Hauptgrund, warum er den Laden noch nicht geschlossen hatte. „Arbeit ist nicht alles im Leben, Yuusuke!“ „Halt deinen Mund! Was weißt du schon vom echten Leben? Ich hätte ihn niemals diesen Namen gegeben, aber weil Mutter dich so sehr liebte, wünschte sie sich, dass wir ihn so nennen! Yuugi?! Was ist das denn für ein dummer Name! Ich wollte ihn Takeru nennen!“ „Willst du sagen, dass der Name Schuld an seiner Entwicklung sei?!“ Jetzt war Sugorokou so wütend, dass er ein Pokerface nicht mehr aufrecht erhalten konnte. „Was denn sonst? Ein Name ist ein Schicksal und mit so einem Namen kann ja nichts aus ihm werden, da musste ja so was bei raus kommen!“ „So was?!“, wiederholte der Ältere ungläubig und hörte sein Blut in den Ohren rauschen. „Er ist dein Sohn! Wenn irgendetwas Schuld daran hat, dass er so schüchtern ist, dann ist es dein Verhalten ihm gegenüber! Weil du ihn vernachlässigt und er ohne dich aufwachsen muss! Natürlich fehlt ihm etwas!“ Mittlerweile brüllten die beiden Männer so laut, dass sicherlich schon die Nachbarschaft die Konversation mitverfolgen konnte. Ayumu befand sich im Nebenzimmer. Sugorokou tat es leid, dass sie das hier mitanhören musste. „Wie kannst du es wagen mir Vorwürfe zu machen?“ Die Worte seines Sohnes trafen ihn mitten ins Herz. Der Gedanke, dass Yuusuke ihn verabscheute und ihm dies so direkt ins Gesicht sagte, schmerzte so sehr, dass er um Fassung rang. Das Schlimmste war, dass er Recht hatte. Sugorokou war nicht da, als Yuusuke ihn brauchte. Das neueste Turnier oder eine Ausgrabung eines alten Grabes war wichtiger als der Geburtstag seines eigenen Kindes und es war vollkommen egal, wie sehr er beteuerte, dass es ihm leidtat, denn Worte allein änderten nichts. Es waren Taten, die etwas veränderten und es gab keine Magie, die die Vergangenheit veränderte. Nichts konnte die Fehler der Vergangenheit ausbügeln und er musste zu dem stehen, was er angerichtet hatte. Eigentlich wusste er es ja schon immer. Die Art wie Yuusuke ihn ansah. Wie verhalten er mit ihm sprach. Sugorokou war der letzte, der davon erfuhr, dass sein Sohn geheiratet hatte und seine Frau bereits schwanger war. Dass seine Frau verstorben war, gab ihm nur noch mehr Anlass, die Welt zu bereisen, da er Ablenkung brauchte. Ablenkung von seinen Fehlern, vor denen er weglief. Ja, er flüchtete vor seiner Verantwortung und nahm jede Herausforderung an. Er machte sich einen Namen und wurde zu einer Legende, doch der Preis, den er dafür zahlte, war zu hoch. Doch er war zu egoistisch, um dies zu erkennen. Die Aufregung vor einem neuen Spiel reizte ihn mehr. Ein uraltes Pharaonengrab zu erkunden und dabei zu sein, wenn eine Tür aufgebrochen wurde, interessierte ihn mehr, als die Frage, was sein Sohn zuhause gerade machte. Er konnte nicht ändern, so gedacht zu haben, doch er bereute es. Er hätte da sein müssen. „Was ist denn los? Fehlen dir die Worte, >Vater