Spherium von Yuugii (Kaiba/Yuugi) ================================================================================ Kapitel 27: Kapitel 27 ---------------------- Am nächsten Morgen kam Yuugi nur schwerlich aus dem Bett. Obwohl sein Wecker bereits seit mehreren Minuten vor sich hin klingelte, starrte er nur geistesabwesend an die Decke. Seine Lider waren einfach zu schwer und sein Körper verlangte nach mehr Schlaf. Trotzdem quälte er sich aus den Laken und trottete immer noch im Halbschlaf in Richtung des Badezimmers. Die letzte Nacht war alles andere als erholsam gewesen. Kaiba hatte ihm einen Auftrag erteilt. Mehr oder weniger. Für Yuugi war Kaibas Bitte eine Verantwortung, die auf seinen schmalen Schultern lastete und ihn zu Boden drückte, es ihm unmöglich machte, nach vorne zu gehen. Mokuba hatte viele Freunde. Viel zu viele. Jedes Mal wenn sie sich getroffen hatten, um einfach nur über ihr Leben zu plaudern, sprach Mokuba von neuen Personen. Es gab so viele Menschen um Mokuba herum, dass Yuugi gar nicht sagen konnte, wer von diesen tatsächlich seine Freunde waren und welche nur Arbeitskollegen oder gar nur Bekannte. Während er sich die Zähne putzte, grübelte er weiter. Der minzige Geschmack von Zahnpasta ließ seine müden Geister erwachen, so dass er mit klaren Blick in sein Spiegelbild sah. Bloß nicht aufgeben! Jounouchi war auch Mokubas Freund. Also würde er diesen auf jeden Fall mitbringen. Na ja, Yuugi hätte ihn ohnehin als Begleitung mitgebracht, da sie generell jede freie Minute miteinander verbrachten und Yuugi es schon gar nicht mehr gewohnt war, auf Veranstaltungen oder Feiern ohne diesen zu gehen. Für manch einen sah es sicher so aus, als wäre Jounouchi sein Lebensgefährte, da man sie nur selten voneinander getrennt sah. Bei diesen Gedanken musste er leicht lächeln, worauf er angestrengt hustete, da er sich an dem Schaum der Zahnpasta verschluckt hatte. Wen könnte er noch mitbringen? Ryou? Nein, der hatte kaum Kontakt mit Mokuba. Der war vermutlich ohnehin entweder mit dem ausgeliehenen J-RPG beschäftigt oder darum bemüht, seinen Fanklub loszuwerden. Diese nervigen Mädchen lauerten ihm mittlerweile schon vor seiner Wohnung auf und klingelten regelmäßig an, um ihm Geschenke zu bringen. Liebesbriefe, Bücher und Süßigkeiten. Allen voran jedoch Pralinen. Yuugi fragte sich, ob Ryou es in Wirklichkeit genoss, so umgarnt und umschwärmt zu werden. Immerhin beschwerte er sich nicht. Manchmal, ja, da klagte er darüber, dass er kaum Ruhe fand, aber die meiste Zeit hatte er ein zuckersüßes Lächeln für diese jungen Frauen auf den Lippen. Die meisten von diesen Frauen rannten ihm auch bereits seit der Schulzeit hinterher und somit lag es nahe, dass sie es wirklich ernst meinten. Zumindest konnte sich Yuugi nicht erklären, warum man einer Person so vehement hinterherlief und sich diesem aufdrängte, wenn dieser das gar nicht wünschte. Warum nach der Anerkennung eines Menschen eifern, die kein Interesse an einem zeigte? Sämtliche Gedanken hielten still. Hat er das gerade ernsthaft gedacht? Yuugi lief doch selbst Kaiba hinterher und nervte ihn seit Jahren damit, dass sie Freunde waren. „Das war ja mal ein Eigentor...“, murmelte er und rieb sich mit dem flauschigen Handtuch sein Gesicht trocken. Den Gedanken verwarf er wieder und suchte nach Ablenkung. Auf seinen Wangen zeichnete sich ein unnatürliches rot ab. Anzu mochte Mokuba auch. Sie waren gewissermaßen Freunde, aber sie lebte in Amerika. Nach ihrem Studium war sie nicht zurückgekehrt und hatte einen Job in einem Musical angenommen. Nach der Regelzeit von drei Jahren Studium, hatte sie noch ein zusätzliches Jahr dran gehängt, um weitere Qualifikationen zu erlangen. Mit Anfang 20 war sie mit ihrem Studium komplett fertig und hatte direkt so viele Anfragen, dass sie sich gar nicht mehr entscheiden konnte, ob sie nun in Amerika bleiben oder nach Hause zurückkehren sollte. Anzu entschied sich zu bleiben. Berufliche Erfahrungen zu sammeln sei wichtig, hatte sie gesagt. Aber Yuugi wusste, dass ihr Herz schon lange für dieses Land schlug und dass sie es genoss dort zu leben. Ihr Vertrag ging fünf Jahre und sie tanzte die Hauptrolle und sang Balladen. Anzu hatte schon immer eine schöne Gesangsstimme gehabt. Ihre Stimme war lieblich und sanft, wie ein warmer Frühlingsmorgen, an dem der Tau im Licht der Sonne schwand. Es war unmöglich Anzu hierher zu bringen. Honda? Niemals. Der konnte die Familie Kaiba generell nicht so gut leiden. Gegen Mokuba hatte er nichts, aber sie waren sich nie so nahegestanden, dass er Interesse an einer Feier mit diesem gehabt hätte. Otogi? Der musste arbeiten. Soweit Yuugi es mitbekommen hatte, war der Streit mit der Versicherung nun beendet und sie hatten Geld bekommen, um sich ein neues Haus zu bauen. Natürlich handelte es sich um eine Mischung, in dem Haus wollten sie wohnen und ihre Spiele verkaufen. Otogi war ein kluger Mann. Zeitweise hatte er mit seinem Vater ein Café eröffnet, da die Verhandlungen mit der Versicherung sehr lange andauerten und beide der Ansicht waren, dass ein Startkapital immer eine gute Idee war. Je mehr Geld sie in den Bau eines neuen Ladens stecken konnten, desto besser würde das Endergebnis. Yuugi grinste breit. Zwar hatte Otogi noch nicht verlauten lassen, wie lange es noch dauern würde, bis der Bau beendet war, jedoch konnte er es bereits jetzt kaum mehr abwarten, die exklusiven Spiele seines Freundes zu spielen. Vor allem auf die Neuerweckung von Dungeon Dice Monsters freute er sich. Otogi ähnelte sich in seinen Vorgehensweisen Kaiba. Beide waren Geschäftsmänner durch und durch und die Erfahrung in diesem Business hatte sie dahingehend geprägt. Wenn sie etwas taten, dann im großen Stil. Yuugi öffnete seinen Kleiderschrank und überlegte lange, was er anziehen sollte. Die meisten seiner Kleidungsstücke sahen sich ähnlich. Er mochte enganliegende Hosen und Shirts, die sich an die Figur schmiegten. Doch Kaiba meinte, dass er solche Sachen nicht zur Arbeit tragen sollte, da einige Kollegen das falsch auffassen konnten. Seit Nomura ihm den Kaffee ins Gesicht geschüttet hatte, war seine Weste und sein Hemd ruiniert. Seine Mutter hatte beide Teile mehrmals gewaschen, doch die Flecken ließen sich nicht entfernen. So oder so brauchte er dringend neue Klamotten. Einen Anzug sollte er sich besorgen, hatte Kaiba irgendwann mal zu ihm gesagt und Yuugi hatte nur stumm genickt, während er gedanklich darüber klagte, dass Kaiba keine Ahnung zu haben schien, was es bedeutete, kein Geld zu haben. So ein Anzug kostete mal eben mehrere tausend Yen. Das war Geld, das sich Yuugis Familie nicht aus dem Ärmel schütteln konnte! Zwar hätte er seinen Großvater fragen können, aber Yuugi wollte ihm nicht noch länger auf der Tasche liegen. So gut lief der Laden momentan auch wieder nicht. Er seufzte und entschied sich für eine enganliegende dunkelblaue Jeans und ein cremefarbenes langärmliges Shirt mit Rundausschnitt. Seine Schlüsselbeine ragten aus dem Ausschnitt heraus und Yuugi überlegte, ob er noch eine Kette anlegen sollte, da sich sein Hals irgendwie nackt anfühlte. Er war das Lederhalsband gewohnt. Aber Kaiba würde einen Wutanfall bekommen, würde er es wagen, dieses Teil zur Arbeit anzuziehen. Vermutlich warf er ihn dann nicht aus dem Büro, sondern gleich aus dem Fenster. Er schluckte hart und öffnete seine Schublade, wo er sämtliche Accessoires aufbewahrte. Das Lederarmband durfte auf keinen Fall fehlen. Das trug er jeden Tag. Das hatte Kaiba auch gar nicht gesehen, ansonsten hätte er nur wieder geschimpft. Unter langen Ärmeln konnte man Armbänder gut verstecken. Jounouchi und er besaßen dasselbe. Es war ein bisschen wie Partnerlook. In ihrer Schulzeit waren sie nach dem Unterricht über die Straßen des Domino Plazas gewandert und hatten einen neuen Schmuckladen entdeckt. Das Geschäft hatte gerade erst eröffnet und lockte mit großzügigen Rabatten. Yuugi war fasziniert von den Lederstücken im Schaufenster und war unbewusst stehen geblieben. Ohne lange nachzudenken, hatte Jounouchi ihm an der Hand genommen und mit ihm den Laden gestürmt. Am Ende hatten sie sich etwas gekauft, das sie verband. Ein nostalgischer, verträumter Blick lag auf dem Armband, als er es anlegte. Yuugi entschied sich für einen modischen, grauen Schal, den er sich um den Hals warf. Ein paar Mal drehte er sich vor dem Spiegel und betrachtete sein Spiegelbild. Wenn diese kurzen Beine, die schmächtigen Arme und der flache Po nicht gewesen wären – eigentlich hätte er noch eine ganze Reihe an Dingen aufzählen können, die ihn störten – hätte er sich sicher sogar als gut aussehend betitelt. Umso besser, dachte er, immerhin wollte er ja auch nicht zu sehr auffallen. Er warf sich seine schwarze Lederjacke um und trat die Treppen hinunter. Sein Großvater war bestimmt schon im Laden. Immerhin gab es noch ein paar Sachen, die er erledigen musste, bevor er die Türen öffnen konnte. Im Lagerraum – genau genommen handelte es sich hierbei um eine Abstellkammer, die ziemlich klein war und normalerweise für Putzgegenstände genutzt wurde – stapelten sich braune Kartons bis an die Decke, auf denen das Logo der KC abgedruckt waren. Eine weitere Ladung sollte noch kommen. Yuugi wunderte sich, wo sie diese ganzen Kisten abstellen sollten. So groß war ihr Haus nun auch wieder nicht. Aber Mokuba hatte die Menge an Waren selbst festgesetzt, somit konnte sein Großvater die Warenlieferung nicht einfach ablehnen. Er hörte den alten Mann laut stöhnen. Dann ein wütendes Grummeln. Yuugi lugte hinein und sah, wie sein Großvater versuchte, einige Kisten auf das oberste Regal zu stellen. Auch mit der Leiter kam er nicht ran, weshalb er wohl versucht hatte, die Kiste hochzuwerfen. Die Schwerkraft hatte jedoch gesiegt, sodass er die Kiste direkt ins Gesicht bekommen hatte und dann auf den Fliesenboden purzelte. „Guten Morgen, Jii-chan!“, rief Yuugi ihm entgegen und kam näher. „Ahh, du bist ja schon wach! Sei so gut und hilf mir doch, wenn du noch etwas Zeit hast.“ „Natürlich“, entgegnete Yuugi mit einem Lächeln. Mit seinen nicht mal 1,60m war er nicht viel größer als sein Großvater. Als er auf die Leiter stieg, erwartete ihn dasselbe Problem. Sein Großvater schüttelte den Kopf. „Schon gut... ich werde Jounouchi darum bitten, wenn er vorbei kommt.“ Jounouchi arbeitete nicht im Laden, half jedoch häufig bei der Warenverräumung mit, da weder Yuugi noch dessen Großvater an die hohen Regale herankamen. Enttäuscht ließ Yuugi den Kopf hängen. Danach machte er sich auf den Weg zur Arbeit. Er hatte Isono darum gebeten, ihn nicht abzuholen, obgleich Kaiba dies angeordnet hatte. (Vermutlich freute sich dieser sogar über diese Frühstückspause, wo er sich sonst ständig auf Abruf bereit hielt.) Yuugi nahm gerne Umwege und genoss die frische Luft am frühen Morgen. Seit seiner Schulzeit war er es gewohnt, mit Bus und Bahn zu fahren, also blieb er an der Haltestelle stehen und wartete. Diese wenigen Minuten bevor der Bus kam, waren genug Zeit, um seine Gedanken nochmal schweifen zu lassen und sich auf den bevorstehenden Tag vorzubereiten. Die Fahrt dauerte nicht lang. Es gab sogar eine Direktverbindung zum Firmengelände der Kaiba Corporation und diverse Buslinien, die den Duel Dom und den Kaiba Park ansteuerten. Auf den herankommenden Bus prangerte das Logo der KC. Sponsored by, war da gedruckt. Die KC war in Domino nicht mehr wegzudenken. Überall hatte Kaiba sich eingeschlichen und er verdrängte alte Marken und bisherige Marktführer von der Spitze. Ob Computer, Spielekonsolen und Spiele, Lichttechnik oder gar ein Franchise Unternehmen wie das Duel Café – wenn Kaiba etwas machte, dann richtig. Ganz oder gar nicht. Schon irgendwie bewundernswert. Ah. Trotzdem löste das sein Problem nicht. Jetzt schwärmte er wieder von Kaiba und seinen Errungenschaften, anstelle sich darüber Gedanken zu machen, wen er zu Mokubas Überraschungsfeier einladen sollte. Sobald er in Kaibas Büro trat, würde dieser ihm wieder zig Unterlagen geben und sie würden gemeinsam durch die einzelnen Abteilungen gehen, um die bisherigen Fortschritte zu kontrollieren. Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Die Lösung war so offensichtlich. Er brauchte doch einfach nur zur Mokubas Entwicklungsabteilung gehen. Die Männer und Frauen der Capsule Coliseum Abteilung würden sich doch bestimmt darüber freuen, ihren Chef aus seinem Urlaub zu begrüßen! Mehr als einmal hatte Mokuba diese Leute als seine Freunde bezeichnet. Zufrieden grinste er. Als er den Kopf wieder hob, stellte er mit Erschrecken fest, dass der Busfahrer bereits die Türen schloss und er gar nicht mitbekommen hatte, dass er aussteigen hätte müssen. Panisch sprang er von seinem Platz auf. „Warten Sie bitte! Ich muss auch noch raus!“, rief er zum Fahrer hin. Dieser stöhnte genervt auf und öffnete die Türen. Mit einem großen Hechtsprung verließ Yuugi den Bus und hetzte weiter zum Firmengelände. Verdammt, diese ständigen Tragträumereien mussten aufhören. Sein Großvater und seine Mutter sagten immer, dass wenn man älter wurde, dass es einem keine Probleme machte, morgens früh aufzustehen. Und dass es einfacher wurde, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Nun war er 24 und kam morgens immer noch nicht aus dem Bett und bekam nicht mal mit, dass er aussteigen musste. Entweder war er ein Sonderfall oder aber das waren dreiste Lügen. Keuchend blieb er vor den Security Männern vor der Firma stehen und zeigte seinen Ausweis vor. Mit einem Nicken ließen sie ihn durch und er beeilte sich umso mehr, zu Kaiba zu kommen, damit dieser ihn nicht als elendigen Trödler betitelte. Wie gewohnt blieb er vor der Tür des Büros stehen und klopfte, wartete auf Einlass. Kaiba hatte sich vermutlich an Yuugis ungefragte Höflichkeit gewöhnt, denn in den letzten beiden Wochen hatte er kein einziges mal deshalb geschimpft. Seine tiefe Stimme rief ihn hinein und Yuugi erschauderte. War er schlecht gelaunt? Am besten war es, die Gesamtsituation auszuhorchen und sich langsam heranzutasten, um seinen Chef bloß nicht noch mehr zu verärgern. Kaibas ständige Gemütswechsel – mal vorhersehbar mal absolut überraschend und einschlagend wie eine Bombe – waren etwas, woran er sich nicht so recht gewöhnen wollte. Er brüllte zwar eindeutig weniger, aber wenn er schlechtgelaunt war (und das war Kaiba fast jeden Morgen), nahm er keine Rücksicht auf Verluste. Yuugi nahm es ihm nicht übel, aber trotzdem konnte er nicht anders, als sich zu fragen, warum Kaiba so unberechenbar war. Mittlerweile hatte Yuugi sich seine morgendlichen Launen damit erklärt, dass Kaiba genauso schlecht aus dem Bett kam und morgens noch zu müde war, um sich richtig zu konzentrieren. Erst nach exakt drei Tassen Kaffee – Yuugi hatte immerhin genügend Möglichkeiten gehabt seinen Chef genau zu beobachten – wurde der Firmenchef etwas ruhiger und sogar halbwegs umgänglich. Dann konnte man ihn sogar normal ansprechen und Gespräche führen. „Guten Morgen, Kaiba-kun“, strahlte er ihm entgegen als er in den Raum trat. Ein genervtes Raunen. Es war genau 8:59 Uhr, vermutlich war Kaiba verärgert, dass er 'unpünktlich' war, denn eine Minute zu früh zu kommen war genauso schlimm wie zu spät zu kommen. Er schüttelte nur den Kopf und lehnte sich wieder über seinen Schreibtisch. Vor ihm lagen mehrere Unterlagen, sein Bildschirm flimmerte und in einer Hand hielt er seinen vergoldeten Kugelschreiber, von dem sich Yuugi sicher war, dass er eine besondere Bedeutung haben musste. „Der Kugelschreiber ist echt schön.“, sagte er als er auf seinen Chef zukam. Dieser hob, wie erwartet, nicht einmal den Kopf und tat so, als hätte er ihn nicht gehört. „Ist der von Mokuba?“, wollte er dann wissen und zeigte auf das Schreibutensil. Kaiba seufzte, legte den Stift beiseite und sah Yuugi unverblümt in die Augen. „Ja, den hat mir Mokuba zum Geburtstag geschenkt. Wenn das alles war, fang an zu arbeiten und störe mich gefälligst nicht. Ich kontrolliere gerade die Arbeitsprozesse und muss mich konzentrieren.“ „Und warum die schlechte Laune? Du siehst sehr unzufrieden aus“, gab Yuugi leise zurück und fürchtete, nun einen Tornado losgetreten zu haben. Kaiba konnte es nicht ausstehen, wenn man unnötige Fragen stellte oder sogar Dinge hinterfragte, insbesondere dann, wenn es um seine Arbeitsweise und Handhabung von Problemen ging. „Ich bin nicht schlecht gelaunt“, murrte der Brünette und griff nach seiner Tasse Kaffee. Yuugi musste grinsen, als Kaiba versuchte, seine Wut mit dem bitteren Getränk hinunterzuschlucken. Zumindest ging er nicht direkt an die Decke, sondern versuchte wieder runterzukommen, was Yuugi als Fortschritt bezeichnen wollte. „In der Capsule Coliseum Abteilung sind einige Dokumente abhanden gekommen, zumindest fehlen mir Unterlagen, die ich dringend benötige, um die Monatssteuererklärung abzuschließen. Deshalb zieht sich auch der Monatsabschluss und du kannst dir vorstellen, dass ich damit die Hände voll zu tun habe. Also tu mir und dir den Gefallen: such dir eine Aufgabe und halte mindestens fünf Meter Abstand von mir. Geh zur CC Abteilung und erkläre den Trantüten, dass es sich hier um eine absolut dringende Angelegenheit handelt!“ Yuugi nickte stumm und marschierte in Richtung Ausgang. Letzte Woche bei dem Meeting hatte Kaiba gesagt, dass die Ergebnisse des Monatsabschlusses nächste also diese Woche vorliegen würden und wenn Unterlagen fehlten oder nicht sorgfältig genug zusammengetragen worden waren, zog sich der ganze Prozess in die Länge. Bisher hatte Yuugi den Eindruck, dass Kaiba den Großteil des Tages vor seinem Rechner saß und einfach nur sicherstellte, dass die Arbeit der einzelnen Abteilungen reibungslos ablief und kontrollierte die Ergebnisse, außerdem kümmerte er sich um das Marketing und wies generell jedem Mitarbeiter, entweder persönlich oder durch einen Boten (zu letzteren gehörte Yuugi), neue Aufgaben zu. Kaiba kontrollierte sämtliche Vorgänge in seinem Unternehmen und ließ keinen einzigen Fehler zu. Yuugi stutzte. In seinem Seminar hieß es, dass eine Führungskraft, also auch ein Geschäftsführer wie Kaiba es war, soziale Kompetenzen mitbringen musste und dass Einfühlungsvermögen und die Fähigkeit andere zu motivieren zu seinen wichtigsten Stärken gehörte. Kaiba besaß zwar einen Vorstand, jedoch nur auf dem Papier, mit den Mitgliedern selbst hatte Yuugi bisher kein einziges Mal Kontakt gehabt. Der Vorstand wurde bei wichtigen Entscheidungen dazu gezogen, mussten jedoch in eigener Verantwortung Pflichten erfüllen und kümmerten sich im Prinzip um dieselben Angelegenheiten wie der Geschäftsführer. So gesehen handelte es sich einfach nur um Personen, die dazu bevollmächtigt wurden bei der Geschäftsführung mitzuwirken. Doch obgleich es einen erwählten Vorstand gab, kümmerte sich Kaiba selbst um wirklich alles. Einerseits bewunderte er seinen Eifer und wie wichtig er seine Aufgabe als Firmenleiter nahm, andererseits handelte es sich hier um ein wirklich gefährliches Unterfangen, da eine einzelne Person unter all den Aufgaben zu zerbrechen drohte. Yuugi war der festen Überzeugung, dass in der Kaiba Corporation so einiges nicht mit rechten Dingen zuging und dass Kaiba weitaus mehr Fehler machte, als er jemals zugeben würde. Kein Wunder, dass Mokuba so genervt war. In nur drei Seminaren hatte Yuugi mehr über die Führung von Unternehmen und das Leiten von Abteilungen sowie Mitarbeitern gelernt, als er jemals zu träumen gewagt hätte. Bereits jetzt konnte er Kaibas Führung einschätzen und kam ähnlich wie Mokuba zu dem Schluss, dass seine Arbeitsweise einfach nur zerstörend war. Für die Firma selbst, für die Mitarbeiter, sein Umfeld, aber vor allem für Kaiba selbst. Machte er dies vielleicht sogar mit Absicht? Kaiba übernahm absichtlich weitaus mehr Aufgaben, als es nötig war und ließ keine Sekunde ungenutzt verstreichen. Ein tiefer, deprimierter Seufzer entwich seiner Kehle und er wünschte sich aus tiefstem Herzen, dass Kaiba weniger stur wäre und mehr auf seine Gesundheit achten würde. Kaiba aß den ganzen Tag fast gar nichts, nur Kaffee, ja, davon nahm er weitaus mehr zu sich, als man sollte. Vermutlich pumpten Kaibas Venen auch nur noch pures Koffein. In der Abteilung angekommen, staunte er über die bunten Bilder an den Wänden, die grünen und gut gepflegten Topfpflanzen, die verzierten Fensterbilder und die heitere Atmosphäre. Bereits als er reinkam, hörte er Lachen. Es hörte sich echt an, nicht gestellt oder gar er erzwungen. Sein Blick blieb bei einer fast zwei Meter großen Capsule Monsters Figur hängen. Voller Erstaunen fiel ihm die Kinnlade in den Keller und er begutachtete das Stück. Es musste selbst hergestellt worden sein. Ein geflügelter, grüner Drache, der seine gelblichen Zähne fletschte und seine Flügel ausbreitete. Es musste sich um den Dinosaur Wing handeln. Ein Monster, welches Mokuba auch in ihrer ersten Partie eingesetzt hatte und zu den höherrangigen Monstern gehörte. Er konnte sich ein anerkennendes Pfeifen nicht verkneifen und lief weiterhin um die Figur herum, bestaunte die Liebe zum Detail und berührte vorsichtig die Haut der Figur. Ein wohliger Schauer lief ihm über den Rücken. Es fühlte sich nach echtem Leder an, die einzelnen Schuppen hoben sich im Licht ab und schimmerten blau, nur um dann wieder ihr kräftiges Grün anzunehmen. Er fühlte sich wie ein kleiner Junge und wollte nun auch die Zähne des Monsters berühren. Er streckte seine Hand zu dem Kopf aus. „Dir gefällt die Statue, was? Die hat Mokuba selbst gemacht“, hörte er eine Stimme hinter ihm und er fuhr erschrocken zusammen. Sein Herz rutschte ihm in die Hose und er nahm Abstand vor der Statue, räusperte sich und ermahnte sich, sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren. „Die Statue ist großartig. Mokuba ist echt talentiert.“ „Ja, er hatte schon immer ein Händchen für so was. Seine Fähigkeiten als Entwickler sind herausragend, aber auch bei solchen handwerklichen Dingen hat er ein echtes Händchen. Es ist auf jeden Fall ein Blickfänger“, sagte der junge Mann und grinste breit. Yuugi musterte seinen Gegenüber. Der sah sogar jünger aus als er. Er hatte kurzes, schwarzes Haar, einen Scheitel, leuchtend blaue Augen, die einen in die Seele zu blicken schienen und ein strahlendes Lächeln auf den Lippen. Seine dünne schwarze Jacke war mit dem Logo der KC bestickt, auf der Brusttasche jedoch prangerte in glitzernder Goldschrift das Logo des Spiels, das hier entwickelt wurde. Sein grünes T-Shirt war dagegen ziemlich schlicht. „Mokuba hat so einiges auf den Kasten“, pflichtete er nickend bei. „Ach!“, kam es Yuugi dann über die Lippen. „Kaiba-kun hat mich hergeschickt! Er sagt, ihm würden Unterlagen aus dieser Abteilung fehlen. Für die Steuererklärung. Wenn er sie nicht bekommt, kann er den Monatsabschluss nicht durchführen. Es ist äußerst wichtig.“ „Das kann nicht sein. Mokuba hat gesagt, er hätte alle Dokumente zusammengetragen und abgegeben. Ich könnte ihn eben anrufen und fragen, aber... vielleicht hat Kaiba-sama auch nur den Überblick verloren? Der übertreibt es ja gern“, erklärte er und drehte sich um. Auf der Rückseite seiner Jacke war das Logo von Capsule Coliseum erneut abgedruckt, noch größer und in kräftigen Farben. Der Schriftzug mutete altertümliche Züge an, als hätte man die Buchstaben aus Stein geschlagen. Vom Logo flogen mehrere Capsule Monsters davon, unter ihnen der Dinosaur Wing. Yuugi folgte dem jungen Mann und begutachtete weiterhin die Umgebung. Am Ende des Raumes stand eine gläserne Vitrine in welcher sich echte Spielfiguren befanden. „Ah, mein Name ist Hirano. Mokuba und ich waren mal in einer Klasse.“ „Ihr kennt euch seit der Schulzeit?“ „Klar. Er war äußerst beliebt bei seinen Mitschülern und wir haben uns gut verstanden.“ „Verstehe. Ich hätte da eine Frage...“, begann Yuugi, korrigierte sich selbst. „Nein, viel mehr eine Bitte.“ „Worum geht es?“, sagte er und blieb bei einem Schreibtisch stehen. Vermutlich sein eigener Platz. Sein Smartphone lag auf dem Mauspad, während die Maus des Computers irgendwo daneben lag. Sein Arbeitsplatz war nicht sonderlich ordentlich, aber es war genügend Platz, um zu arbeiten und den Überblick zu behalten. Kaiba hätte vermutlich einen Wutanfall bekommen, hätte er diese Ordnung gesehen. Unordnung setzte er mit Chaos gleich. Da war er sehr penibel. Allein ein winziges Eselsohr war Grund für ihn einen mit bösen Blicken zu durchbohren. „Uhm... Mokuba kommt heute aus seinem Urlaub zurück und wir wollten eine kleine Feier schmeißen. Im Anwesen der Kaibas.“ Hirano sagte nichts und drehte sich um. Er hatte seine Brauen ungläubig nach oben gezogen und Yuugi meinte in seinen Augen seine Gedanken lesen zu können, die da sagten 'Bist du völlig übergeschnappt?' und er nahm es ihm auch nicht übel, denn genau genommen, war es doch viel zu abwegig, ausgerechnet an diesem Ort zu feiern oder gar dass Kaiba dies zuließ. „Kaiba-sama wird dich umbringen“, kam es schließlich von ihm, und er machte eine Bewegung, um einen Galgen nachzumachen. „Nein, wird er nicht. So schlimm ist er auch wieder nicht. Er hat mich sogar darum gebeten, Mokubas Freunde einzuladen.“ „Verstehe. Die Apokalypse wird kommen. Das muss der Weltuntergang sein“, scherzte er und lachte verkrampft. „Das ist mein Ernst.“ „Was hast du mit dem echten Kaiba-sama gemacht? Hast du ihn entführt und am Pier ertränkt? Kaiba-sama würde niemals so eine Feier zulassen. Mokuba hat schon seit unserer Schulzeit darüber geklagt! Er sagte, dass Kaiba solche kindischen Feste nicht ausstehen könnte und dass er deswegen nie Freunde einlud. Wenn wir feiern gingen, dann immer auswärts.“ „Das ist die Wahrheit. Ich weiß, dass das alles plötzlich kommt, aber ich versichere dir, dass es eine Feier geben wird und dass auch Kaiba-kun dabei sein wird. Ich lüge nicht.“ „Mutou-san...“ Er senkte seinen Blick und griff nach seinem Smartphone, umklammerte es beinahe panisch in seinen Händen. „Auch wenn es dir Wahrheit ist... niemand hier möchte mehr Zeit mit Kaiba-sama verbringen, als nötig. Er ist kein sonderlich umgänglicher Mensch. In seiner Nähe fühlt man sich automatisch unwohl. Und weißt du, woran das liegt? Weil ihm seine Mitmenschen und auch sein Bruder scheißegal sind. Er denkt nur an sich selbst, seinen Erfolg, seine Firma, sein Ruf...“ „Das stimmt nicht“, fuhr Yuugi ihm ins Wort. „Kaiba-kun hat nur nie richtig gelernt, mit anderen Menschen umzugehen. Ich arbeite seit zwei Wochen mit ihm zusammen und ich denke, dass er ein sehr gefühlvoller und sensibler Mann ist, der seine Gedanken nur nicht richtig formulieren kann. Sein Sarkasmus ist Selbstschutz. Er will nur nicht zu viel von sich preisgeben, aus Angst, dass man ihn ausnützen könnte und außerdem...“ „Schon gut! Schon gut! Du bist der erste, der so sehr von ihm schwärmt“, lachte er und klopfte Yuugi auf die Schulter. „Ich 'schwärme' nicht...“, kam es mürrisch von Yuugi. „Mokuba ist mein Freund. Ich werde da sein und ein paar Leute mitbringen. Wann sollen wir da sein?“ „So gegen 19 Uhr. Kaiba-kun wird bis dahin sicher mit den Vorbereitungen fertig sein.“ Hirano rief seinen Chef an und fragte nach den Unterlagen. Mokuba reagierte überrascht und wusste nicht, was er meinte. Er wiederholte mehrmals, dass er alles abgegeben hätte. Dann wies er Hirano an, in sein Büro zu gehen und die Unterlagen erneut auszudrucken, da er sie als gesichertes Dokument abspeichert hatte. Das Passwort kennst du ja, meinte er und legte auf. Die Unterlagen in den Händen haltend, verneigte sich Yuugi vor seinem Gegenüber und verließ die Abteilung. Ein letzter Blick über die Schulter und ein verträumtes Lächeln. Die Atmosphäre hier war so herzlich und angenehm, dass er es ein wenig bereute, wieder zurückgehen zu müssen. Zu gern hätte er mit Hirano und den Angestellten über Capsule Coliseum geredet und noch mehr gesehen. Bleiben konnte er jedoch nicht. Kaiba war unglaublich zufrieden, als er die Dokumente endlich in seinen Händen hielt. Seine Laune verbesserte sich schlagartig und nach nur wenigen Minuten klappte er die Akten vor sich zu und steckte seinen Kugelschreiber zurück in seine Tasche. Er krempelte sich die Ärmel seines Hemdes hoch und atmete erleichtert aus. Dass Yuugi ihn beobachtete, störte ihn nicht oder in anderen Worten: er hatte sich schon längst an dessen Blicke gewöhnt. „Yuugi, das hast du gut gemacht“, lobte er und sein Blick wirkte nicht mal annähernd so finster wie sonst. „Kein Problem. Außerdem habe ich ein paar von Mokubas Freunden angesprochen. Sie kommen heute Abend zur Villa.“ Kaiba nickte nur und erhob sich von seinem Tisch, als er mit seinem Bürostuhl nach hinten rollte, quietschten die Räder. „Gut“, war seine Antwort und er näherte sich Yuugi. Die Organisation der Feier hatte er seinen Bediensteten anvertraut. Sämtliche Aufgaben für heute und morgen hatte er erledigt und auch der Monatsabschluss war endlich über die Bühne gegangen, zwar mit ein paar kleinen Verzögerungen, aber besser spät als nie. „Du kannst für heute nach Hause gehen.“ „Was?! Ich bin nicht mal zwei Stunden hier!“ „Ich bin aber fertig mit sämtlichen Aufgaben. Es sei denn, du möchtest so unbedingt arbeiten. Ich kann dir sicher ein paar Aufgaben finden.“ „Das meinte ich nicht...“ Eigentlich wollte Yuugi noch ein bisschen mehr Zeit mit Kaiba verbringen und mehr über ihn herausfinden und sicherstellen, dass die Feier ein Erfolg wurde. „Ich werde auch nach Hause gehen. Ich bin um 5:00 Uhr angefangen. Es ist gleich 11:00 Uhr. Wir sehen uns später. Yuugi.“ Kaiba griff nach seiner Anzugjacke und warf sie sich über den Arm, griff mit der freien Hand nach einer Aktentasche, worin sich sein Laptop befand. Yuugi staunte darüber, dass Kaiba bereits so lange hier war. War er extra eher gekommen, nur um sicher zu gehen, dass sämtliche Aufgaben erledigt waren und er in Ruhe mit Mokuba Zeit verbringen konnte? Auch wenn Kaiba es nicht immer zeigte, schätzte er seinen kleinen Bruder sehr und würde alles für diesen tun. Hinter diesem finsteren, abschreckenden und gar abweisendem Blick verbarg sich Herzensgüte. Mit einem Seufzer blieb Kaiba vor Yuugi stehen. Verwundert sah er den Brünetten an. Er musterte ihn. „Deine Wange verheilt gut. Trotzdem solltest du weiterhin Creme nutzen, damit keine Narbe zurückbleibt.“ Kaiba schien sich Yuugis Verletzung sehr zu Herzen zu nehmen. Für ihn war dies wie ein Schlag ins Gesicht. Er hatte versagt. Hätte er seine Aufgaben richtig erledigt, wäre es zu so einer angespannten Situation nie gekommen. Yuugi wäre nicht verletzt worden, wenn er aufgepasst hätte. „Danke, Kaiba-kun. Ich weiß deine Fürsorge zu schätzen.“ „Hmph“, stieß Kaiba hervor und setzte seinen Weg nun fort. Yuugi lief ihm mit einem breiten Grinsen hinterher. Kaiba machte sich Sorgen um ihn. Wieso machte es ihn so unglaublich glücklich, dass Kaiba sich um ihn sorgte? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)