Spherium von Yuugii (Kaiba/Yuugi) ================================================================================ Kapitel 11: Kapitel 11 ---------------------- Auf dem Rückweg von Kaibas Firmengelände konnte Yuugi nicht anders, als sich einen Moment lang umzudrehen und das riesige Gebäude wehmütig zu betrachten. Die gläserne Fassade glänzte im Sonnenlicht, wodurch das Hochhaus noch imposanter wirkte. Schon immer wusste Yuugi, dass Kaiba in Wirklichkeit ein zerbrechlicher Mann war, der versuchte seine Schwächen hinter einer Maske von Unantastbarkeit zu verbergen, doch dass dieser heute seine wahre Seele zeigte und ihn nicht aus seinem Leben ausgrenzte, machte Yuugi so froh, dass er gar nicht wusste, was er mit diese ganzen aufkeimenden Gefühlen tun sollte. Nicht nur, dass endlich Spherium realisiert werden konnte, stimmte ihn glücklich, nein, am meisten freute ihn, dass er Kaiba als Menschen näher gekommen war. Das, was zwischen ihnen passiert war, lag in der Vergangenheit und er wollte niemals wieder daran denken, was für ein Mensch Kaiba gewesen war. Menschen, die Schlechtes taten, waren schlimme Dinge widerfahren. Kaiba war kein schlechter Mensch und Yuugi weigerte sich zu glauben, dass man Menschen in Kategorien sortieren konnte. Seinem besten Freund Jounouchi ging es ja ähnlich. Jounouchi war ein liebenswerter und fürsorglicher Junge, dessen Schrei nach Liebe und Aufmerksamkeit nie gestillt wurde. Diese Ablehnung von seiner Familie und von den Menschen in seiner Umgebung hatten ihn verändert und er baute eine Mauer aus Eis um sich herum, kapselte sich ab und ließ seinen Frust an anderen aus. Obwohl Jounouchi nie offen über seine Vergangenheit sprach, hatten die Begegnungen mit Hirutani und das, was Yuugi an Gesprächen mitbekommen hatte, ausgereicht, um sein Bild über den Blonden positiv zu beeinflussen. Irgendwie konnte Yuugi es ja auch verstehen. Für einen heranwachsenden Jungen war die Anerkennung und die Liebe seines Vaters das Wichtigste auf der Welt. Yuugi wurde ganz komisch, da er sich unweigerlich an seinen eigenen Vater erinnerte, der mehr Interesse an seiner Arbeit als an seinem eigenen Sohn gezeigt hatte. Genau genommen betrachtete Yuugi seinen Vater als einen Menschen, der nicht greifbar für ihn war. Seine wahre männliche Bezugsperson war sein Jii-chan und niemand anders! „Hohohoho!“, lachte der bärtige Mann mit seiner bunten Stachelfrisur. Es amüsierte ihn sehr, dass sein kleiner Enkel Spaß daran hatte, in seiner Wohnung herumzulaufen und glücklich lachte, wenn er etwas Interessantes fand. Viel an Reaktionen zeigte der Kleine nicht. Manchmal fragte er sich, ob Yuugi sich normal entwickelte, da er bei Gleichaltrigen entweder weglief und anfing zu weinen oder er stand beinahe regungslos neben den anderen Kindern und traute sich nicht etwas zu sagen. Da machte man sich schon Sorgen. Seine Schwiegertochter Ayumu war nie um Wörter verlegen und sagte immer das, was sie meinte. Und sein Sohn war zwar sehr ernst und strebte nach einer großen Karriere, aber auch er gehörte nicht zu der stillen Sorte. Im Gegenteil, wenn ihn etwas störte, sprach er es offen aus, ohne Rücksicht auf die Gefühle seines Gegenübers. Nun vermutlich war das auch Sugorokous eigener Verdienst... Dass ausgerechnet ihr Sohn so schüchtern und zurückhaltend war, konnte er sich nicht erklären. Seine Rückkehr aus Ägypten lag nun zwei Monate zurück. Es war immer noch völlig ungewohnt für ihn ein normales Leben zu führen. Eine normale Arbeit. Morgens aufstehen und zur selben Zeit ins Bett. Aber das war nun mal sein Wetteinsatz gewesen. Jetzt musste er sich seiner Familie widmen, die die letzten Jahre nur über Postkarten von ihm gehört hatte. Immerhin war er ein Meisterspieler. Ein Gambler, der sich weltweit einen Namen gemacht hatte und jedes Glücksspiel gewann. Jedes noch so schwierige Rätsel löste er problemlos und es gab kein Brettspiel auf der Welt, das er nicht kannte. Dass ausgerechnet die Grabstätte eines lange verstorbenen Pharaos seine Glückssträhne beenden würde, konnte er noch immer nicht so recht glauben. Nicht, dass er ein wirklicher Glücksspieler war, aber Glück und Können machten einen guten Gamer aus. Er selbst nannte sich Gamer, der Rest der Welt gab ihn viele verschiedene Namen und er war eine Legende in seiner Szene. Es gab nur einen Mann, gegen den er verloren hatte. Aber er akzeptierte seine Niederlage. Ein wahrer Gamer konnte sowohl Sieg als auch Niederlage akzeptieren und aus beidem neue Erfahrungen gewinnen. Plötzlich hörte er das kleine Kind weinen. Bei seiner Erkundungstour hatte er eine hübschen Tischläufer von einem Schrank gesehen und diesen herunter gezogen, sodass ein goldenes kleines Kästchen auf ihn gefallen war. Panisch lief Sugorokou zu ihm und nahm ihn auf den Arm. „Alles gut! Nicht weinen!“, sprach er dem Kind gut zu, doch es hörte nicht auf und schluchzte immer lauter. Jetzt war er etwas überfordert. Er wollte nicht, dass seine Stieftochter aus der Küche hierher kam und ihn zurechtwies, weil er seine Aufsichtspflicht verletzt hatte. Die Frau konnte schimpfen wie ein Weltmeister. Wäre dies ein Spiel gewesen, hätte sie ihn locker besiegen können. In seiner Panik öffnete er die goldene Kiste und er entnahm ein glänzendes kleines Teil aus dieser, das aussah wie ein Puzzlestück. Sofort beruhigte sich Yuugi und versuchte danach zu greifen. „Dafür bist du noch zu jung!“, sagte er und wippte den Kleinen beruhigend auf seinem Arm hin und her. Obwohl er ihm das Teil nicht geben wollte, kämpfte Yuugi weiter und griff nach den großen Händen seines Großvaters, dessen Kraft unüberwindbar schien. Einmal mehr bildeten sich Tränen in seinen Augen, seine Unterlippe bebte und es sah so aus, als würde er jeden Moment wieder anfingen bittere Tränen zu vergießen, also blieb Sugorokou keine Wahl und er seufzte resigniert auf. Er öffnete seine Handfläche und überließ Yuugi das Puzzlestück. Hoffentlich nahm er das Teil nicht in den Mund und verschluckte sich daran, denn dann würde ihm Yuugis Mutter die Hölle heißmachen. Außerdem könnte er sich selbst nicht verzeihen, würde seinem Enkel etwas geschehen. Unerwarteterweise drehte und wandte der Junge das Teil nur in seinen Händen, hielt es gegen das Licht der Lampe und gab glucksende Geräusche von sich. Seine Augen strahlten. Er schien unglaublich begeistert von diesem Teil. Ein sanftes Lächeln schlich sich auf das Gesicht des Mannes, doch es wurde überschattet von einer Frage, die ihn quälte. Bis heute fragte sich Sugorokou warum er dieses Kästchen mitgenommen hatte. War es Schicksal? Wollte diese geisterhafte Gestalt, die die Krone eines Pharaos trug und ihn damals das Leben rettete, dass er dieses Kästchen und die damit verbundenen Pflichten an einen Auserwählten übergab? War ausgerechnet Yuugi dieser Auserwählte? »Selbst wenn, er muss das Puzzle erst mal lösen, bevor er zum Auserwählten wird. Bis dahin ist er sicher.«, beruhigte er sich selbst und drückte dem Kleinen einen dicken Kuss auf die Wange, welcher nur leicht angewidert das Gesicht wegdrückte, da ihn der Bart zu stören schien. Yuugi war gerade mal zwei Jahre alt, also hatte er noch genügend Zeit, um sich auf die kommenden Proben und Aufgaben als Auserwählter vorzubereiten. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. „Vater, du verhätschelst ihn viel zu sehr. Wenn du das tust wird er noch zum Weichei, der nichts im Leben erreicht.“ „Yuusuke? Du bist zu Hause? Wie schön, dich wiederzusehen.“, gab der Ältere von sich und tat so, als hätte er die Anschuldigungen gar nicht gehört. „Wie macht Yuugi sich? Ist er immer noch so still? Für einen Zweijährigen weint er auch viel zu viel...“, erklärte er und lockerte seine Krawatte. „Das ist doch völlig normal. Er ist halt ein etwas ruhigeres Kind. Das macht ihn nicht anders.“, erwiderte er und ließ zu, dass Yuugi von ihm runterging und sich einmal mehr dem goldenen Kästchen widmete. Yuugi nahm mehrere Teile in die Hand, legte sie nach wenigen Augenblicken jedoch zurück ins Kästchen und lief auf seinen Vater mit weit aufgerissenen Armen zu. Dass der Junge umarmt werden wollte, wäre für jeden offensichtlich gewesen. Yuusuke legte nur den Kopf schief, legte beinahe abwertend eine Hand auf Yuugis Kopf und begab sich wortlos in die Küche, wo er mit seiner Frau laut über etwas zu reden schien. Verwundert sah Yuugi ihm hinterher. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er nicht verstand, wieso sein Vater ihn nicht auf den Arm genommen hatte. Doch er sagte dazu nichts und suchte erneut nach Ablenkung. Yuusuke war streng und erwartete viel von seinem Kind. Sugorokou schluckte hart. Wäre er zuhause gewesen und hätte sich besser um seinen eigenen Sohn gekümmert, hätte dieser sich vielleicht ganz anders entwickelt. Offener und liebevoller. Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn war deutlich angespannt. Immerhin war er jahrelang unterwegs gewesen. Seine verstorbene Ehefrau hatte sich ganz allein um Yuusuke gekümmert. Er konnte es ihm nicht einmal vorwerfen, dass er kein Interesse an seinem Vater hatte und sich nicht für Spiele begeistern konnte, da Sugorokou selbst wusste, dass es seine eigene Schuld war. Hätte er sein eigenes Kind nicht hinten angestellt und sich mehr um seine Familie als um seine Karriere als weltbekannter Gambler gekümmert, wäre vieles sicherlich anders verlaufen. Er warf einen Blick auf Yuugi, der nun begeistert mit einem Wachsmalstift auf einem weißen Blatt Papier kritzelte. Sugorokou stockte der Atem. Yuugi malte einen großen weiten Kreis und schien seinen Großvater zu mustern, nickte sich dann selbst zufrieden zu und nahm einen anderen Stift in die Hand, mit dem er so etwas Barthaare zu malen schien und einen Stern um den Kreis malte. »Dieses Mal mache ich es besser...«, schoss es ihm durch den Kopf, als er den Kleinen da malen sah. Es kostete ihm eine Menge Kraft, nicht auf den Kleinen zuzulaufen und ihn fest in den Arm zu nehmen. Dass Yuugi noch viel zu jung war, um sich an den heutigen Tag oder gar seinen Vater zu erinnern, wusste er, trotzdem brannte sich dieser Moment in seinem Herzen ein. Er würde alles tun, um dem Jungen ein guter Großvater zu sein. Die Jahre vergingen und Yuusuke kam immer seltener nach Hause. Sugorokou übernahm die Pflichten eines Vaters und die Liebe, die er seinem Enkel schenkte, blieb nicht unerwidert. Das einzige, das ihm Sorgen bereitete, war, dass Yuugi trotz seiner sieben Jahre extrem schüchtern war und nicht allzu viel über sich erzählte. Auch wenn er es nicht oft zeigte, wusste Sugorokou, dass Yuugi in der Grundschule keinen Anschluss fand. Manchmal saß er einfach nur in seinem Zimmer und spielte vor sich hin, wortlos. Wenn man ihn fragte, was er in der Schule erlebt hatte, erzählte er nur das Nötigste. Wenn man ihn fragte, wie es ihm ging, sagte er nur, dass alles in Ordnung sei. Der alte Mann erkannte sofort, dass Yuugi etwas verschwieg. Sugorokou befürchtete, dass Yuugi in seiner Klasse ein Außenseiter war, der vielleicht sogar gemobbt wurde. Es war an einem Freitag im April, als Yuusuke nach vielen Monaten nach Hause kam und Sugorokou ihn zur Rede stellte. Da ihre Beziehung zueinander seit Jahren vertrackt war und sie nicht sonderlich gut aufeinander zu sprechen, kam es, wie es kommen musste, die beiden Männer fingen zu streiten an. Wie so oft ging es darum, dass Yuusuke sich viel zu wenig mit seiner Familie auseinandersetzte und dass auch Yuugi darunter litt. Dieser interessierte sich nicht für die Vorwürfe des mittlerweile ergrauten Mannes. „Du hast gut reden! Du bist der Letzte von dem ich Tipps zur Erziehung annehmen würde, Vater! Denkst du, dass du all die verpasste Zeit wieder gutmachen kannst? Du warst nicht da, als wir dich brauchten und es ist deine Schuld, dass Yuugi so ein Versager ist!“ „Er ist kein Versager! Yuusuke!“, kam es fast bedrohlich über seine Lippen und er kniff die Augen kurz zusammen, versuchte sich seine Wut nicht anmerken zu lassen und die Kontrolle zurückzuerlangen. Ein Gamer zeigte nicht sein Blatt. Da er bereits fünf Jahre nicht mehr aktiv spielte und keine Rekorde mehr aufstellte, war sein Ruhm nichts weiter als eine Erinnerung aus der Vergangenheit, doch die Erfahrungen, die er damals gesammelt hatte, waren nun äußerst nützlich. „Er ist verdammt noch mal sieben! Nur weil er etwas stiller ist als die anderen Kinder, heißt das nicht, dass nichts aus ihm wird!“ „Ja, weil du ihn mit deinen bescheuerten Spielen verdirbst! Aus ihm soll etwas Anständiges werden! Vater, Spiele haben nichts im realen Leben zu suchen. Denkst du, dass man mit Spaß allein seinen Lebensunterhalt verdienen kann? Du bist doch das beste Beispiel!“, schrie er ihm entgegen und schlug so kräftig auf den Tisch, dass dieser wackelte. Sugorokou erhob sich. Der Kame Game Shop warf nicht sonderlich viel ab. Eigentlich machte der Laden mehr Kosten und er konnte es sich gar nicht leisten, diesen weiterzuführen. Die Lebensversicherung seiner verstorbenen Frau war der Hauptgrund, warum er den Laden noch nicht geschlossen hatte. „Arbeit ist nicht alles im Leben, Yuusuke!“ „Halt deinen Mund! Was weißt du schon vom echten Leben? Ich hätte ihn niemals diesen Namen gegeben, aber weil Mutter dich so sehr liebte, wünschte sie sich, dass wir ihn so nennen! Yuugi?! Was ist das denn für ein dummer Name! Ich wollte ihn Takeru nennen!“ „Willst du sagen, dass der Name Schuld an seiner Entwicklung sei?!“ Jetzt war Sugorokou so wütend, dass er ein Pokerface nicht mehr aufrecht erhalten konnte. „Was denn sonst? Ein Name ist ein Schicksal und mit so einem Namen kann ja nichts aus ihm werden, da musste ja so was bei raus kommen!“ „So was?!“, wiederholte der Ältere ungläubig und hörte sein Blut in den Ohren rauschen. „Er ist dein Sohn! Wenn irgendetwas Schuld daran hat, dass er so schüchtern ist, dann ist es dein Verhalten ihm gegenüber! Weil du ihn vernachlässigt und er ohne dich aufwachsen muss! Natürlich fehlt ihm etwas!“ Mittlerweile brüllten die beiden Männer so laut, dass sicherlich schon die Nachbarschaft die Konversation mitverfolgen konnte. Ayumu befand sich im Nebenzimmer. Sugorokou tat es leid, dass sie das hier mitanhören musste. „Wie kannst du es wagen mir Vorwürfe zu machen?“ Die Worte seines Sohnes trafen ihn mitten ins Herz. Der Gedanke, dass Yuusuke ihn verabscheute und ihm dies so direkt ins Gesicht sagte, schmerzte so sehr, dass er um Fassung rang. Das Schlimmste war, dass er Recht hatte. Sugorokou war nicht da, als Yuusuke ihn brauchte. Das neueste Turnier oder eine Ausgrabung eines alten Grabes war wichtiger als der Geburtstag seines eigenen Kindes und es war vollkommen egal, wie sehr er beteuerte, dass es ihm leidtat, denn Worte allein änderten nichts. Es waren Taten, die etwas veränderten und es gab keine Magie, die die Vergangenheit veränderte. Nichts konnte die Fehler der Vergangenheit ausbügeln und er musste zu dem stehen, was er angerichtet hatte. Eigentlich wusste er es ja schon immer. Die Art wie Yuusuke ihn ansah. Wie verhalten er mit ihm sprach. Sugorokou war der letzte, der davon erfuhr, dass sein Sohn geheiratet hatte und seine Frau bereits schwanger war. Dass seine Frau verstorben war, gab ihm nur noch mehr Anlass, die Welt zu bereisen, da er Ablenkung brauchte. Ablenkung von seinen Fehlern, vor denen er weglief. Ja, er flüchtete vor seiner Verantwortung und nahm jede Herausforderung an. Er machte sich einen Namen und wurde zu einer Legende, doch der Preis, den er dafür zahlte, war zu hoch. Doch er war zu egoistisch, um dies zu erkennen. Die Aufregung vor einem neuen Spiel reizte ihn mehr. Ein uraltes Pharaonengrab zu erkunden und dabei zu sein, wenn eine Tür aufgebrochen wurde, interessierte ihn mehr, als die Frage, was sein Sohn zuhause gerade machte. Er konnte nicht ändern, so gedacht zu haben, doch er bereute es. Er hätte da sein müssen. „Was ist denn los? Fehlen dir die Worte, >Vater