Mr. Svensson von Coventina ================================================================================ Kapitel 20: Vierzehnter Teil ---------------------------- Schafft den Verräter weg aus unsern Augen, Denn seine Schuld beweiset uns sein Tod, Und offenbart hat der gerechte Gott Die Treu' und Unschuld dieses armen Menschen - Shakespeare, König Heinrich VI „Das kann doch wohl nicht ihr ernst sein!“ Es steht ihm gar nicht, so aus der Rolle zu fallen. Starrick ist außer sich. Alexanders Hand verkrampft sich um meine Finger. Nach dem der Richter nicht eingreift, legt Starrick nach. „Sie wollen uns allen Ernstes sagen, dass diese Aufnahmen JETZT aufgetaucht sind? Wie praktisch! Jetzt, wo die beiden Ihnen nützlich sind! Es ist doch richtig, dass sie gedenken, beide Männer langjährig unter Vertrag zu nehmen, oder nicht?“ Jetzt mischt sich der Richter doch ein. „Mr. Starrick, sie sind nicht dran. Sie können anschließend ihre Fragen stellen.“ Starrick verdreht die Augen und schüttelt den Kopf, doch Dick lässt sich von dem Ausbruch rein gar nicht aus der Ruhe bringen. Er lächelt jenes väterlich-gutmütige Lächeln, das Starrick indirekt einen Idioten schimpft und schaut kurz zum Richter hinauf. „Wenn sie erlauben, euer Ehren…“ Nach dem der Richter nickt, fährt Dick fort. „Ich gebe ihnen Recht Herr Staatsanwalt. Die Videos hätten bereits viel früher in den Prozess eingebracht werden müssen, doch leider sind sie uns wirklich erst jetzt aufgefallen. Mir ist auch klar, dass diese Bildbeweise allein sehr stark in Zweifel gezogen werden können. Immerhin wurden sie auf dem Gelände gemacht, auf dem die beiden Angeklagten zum Zeitpunkt ihrer Festnahme arbeiteten und ja, sie haben recht: Die beiden Männer sind für mein Unternehmen von großem Wert. Ich möchte Ihnen auch insoweit vorgreifen, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit eine Überprüfung dieser Beweismittel fordern werden: Wir haben das bereits selbst mehrfach getan und auch von außenstehenden Gutachtern prüfen lassen. Nichts wäre mir peinlicher, als mit gefälschten Aufnahmen vor Ihnen zu stehen.“ Und trotzdem sitzt du hier Dick. Spar es dir, uns das noch unter die Nase zu reiben. Starrick schnaubt nur und in diesem Moment bin ich mir absolut sicher, dass wir das Gleiche dachten. Der Gedanke fühlt sich seltsam an und ich kann nicht umhin, ihn genauer zu mustern. Er kocht vor Wut, daran gibt es keinen Zweifel. „Daher haben wir selbst angefangen, Nachforschungen anzustellen.“ Auf ein Zeichen hin wechselt Owen zu einer anderen Datei auf dem Stick, die einen Plan des Firmen und Testgeländes zeigt. Ein roter Kreis und mehrere Pfeile markieren den Abschnitt des Areals, in dem Alexander und ich – vermutlich – auf das Gelände gekommen sind. „Hier in diesem Bereich befindet sich eine direkte Zufahrt von außen. Natürlich ist die Zufahrt geschlossen und bewacht, doch wir fanden im Verlauf des Zaunes einige Stellen, an denen er durch Tiere untergraben wurde. Das hohe Gras verdeckt die Löcher um diese Jahreszeit und sie werden oft erst beim Mähen entdeckt und dann natürlich wieder verschlossen. Wir nehmen an, dass sie dort auf das Gelände gekommen sind, oder besser: Wir sind sicher, dass es dort gewesen sein muss. Wie die Staatsanwaltschaft gingen auch wir davon aus, dass Mr. Svensson und Mr. Dreyfuß ein Taxi oder eine Mitfahrgelegenheit zum Firmengelände genutzt haben, auch wenn wir nie einen Fahrer ausfindig machen konnten. Nach dem wir jetzt zu wissen glaubten, wo sie das Gelände betreten haben, haben wir verschiedene Wege rekonstruiert, auf denen sie zu dieser Stelle hätten gelangen können. Dabei bemerkten wir zwei Tankstellen und einen Truckstop, an denen sie möglicherweise vorbeigekommen sein konnten. Tatsächlich hatten wir Glück.“ Owen ruft die nächste Videodatei auf. Sie zeigt eine leere Tankstelle, die offensichtlich bereits geschlossen ist. Trotzdem sind die Zapfsäulen soweit beleuchtet, dass die Kamera genug Licht einfangen kann. Zunächst passiert nichts, dann sieht man am oberen Bildrand, wie ein Wagen neben der Tankstelle zum Halten kommt. Die hintere Tür öffnet sich, doch es dauert noch eine ganze Weile, bis eine Person aussteigt. Erinnerungen blitzen in meinem Verstand auf, Erinnerungen an einen Streit mit dem Fahrer, der uns nicht weiter mitnehmen wollte, weil auf dieser Straße nichts mehr kam als militärisches Areal und er uns, die wir in kaum mehr als Unterwäsche auf der Rückbank saßen, nicht geglaubt hat, dass wir dort arbeiten. Ich muss mich offensichtlich an der Wagentür festhalten. Alexander legt sich beim Aussteigen aus dem Wagen erstmal auf der Grünanlage lang. Kaum sind die Türen geschlossen, verschwindet der Wagen in die Nacht. Zurück bleiben Alexander und ich, die wir – verständlicherweise – erstmal die Tankstelle inspizieren. Während ich einerseits vor Scham im Boden versinken möchte, kann ich andererseits nicht umhin, auch bei diesem Video den Zeitstempel anzustarren. „Das darf doch nicht wahr sein..“ flüstert Starrick kaum hörbar irgendwo rechts von mir und mein Blick wandert von dem Bildschirm zu Owen, dessen triumphierendes Grinsen ich sogar irgendwie nachvollziehen kann. Dabei muss er doch wissen… Aber nein, vermutlich weiß er es nicht. Vermutlich WILL er es gar nicht wissen. Im Austausch gegen unser beider Unterschrift hat Dick ein Wunder versprochen und er hat geliefert. Wie auch immer er es angestellt hat, wen auch immer er bezahlt und bestochen hat – er hat geliefert. Und in Anbetracht der Videos, die unsere Schuld an Rawlinsons Tod tatsächlich massiv in Zweifel ziehen, verstehe ich, wieso Dick erst die unterschriebenen Verträge haben wollte. Sollte jemals herauskommen, dass diese Beweise gefälscht sind – und das müssen sie einfach sein – werden nicht nur Alexander und ich lebenslänglich hinter Gitter wandern. Allerdings ist Starrick der einzige, der die Echtheit des Materials anzweifelt. Dabei muss doch auch dem Gericht und der Jury all das, was Dick hier präsentiert, spanisch vorkommen. Mir zumindest ist vollkommen klar, dass die Zeitstempel beider Videos nicht richtig sein können. Ich habe zwar massive Erinnerungslücken, was diese Nacht betrifft, doch ich bin mir ziemlich sicher, was die grobe Zeiteinteilung angeht. Das einzig Richtige wäre wohl, den Mund aufzumachen und Dicks Scharade zu entlarven, doch das käme einem Schuldeingeständnis gleich. Ich habe meine Seele an den Teufel verkauft. Ich wusste es schon, als ich gestern diese unsägliche Unterschrift unter den Vertrag gesetzt habe, doch jetzt habe ich Gewissheit: Ich bekomme meine Freiheit zurück – aber frei werden weder Alexander noch ich jemals wieder sein. „Sie können es nun glauben oder auch nicht Mr. Starrick: Dieses Material beweist eindeutig, dass meine Mandanten zum Zeitpunkt des Todes von Mr. Rawlinson nicht mehr am Strand gewesen sind. Wir erwarten daher, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen meine Mandanten einstellt und stattdessen endlich anerkennt, dass Mr. Rawlinsons Tod nichts weiter, als ein tragischer Unfall war.“ Irgendwo hinter mir kann Ms. Rawlinson ihre Tränen nicht zurückhalten und schluchzt auf. Ein Laut, der mir bis ins Mark fährt und meine Eingeweide einmal mehr dazu bringt, sich zu verkrampfen. Sie tut mir so schrecklich leid. Rawlinson war ein Arschloch, aber er hatte Familie. Als ich ihn besoffen und schwankend über die Reling des Bootes gestoßen habe, war mir das vollkommen egal. Ich habe nicht an das gedacht, was ich seiner Familie damit antue, sondern nur an das, was er mir und Alexander angetan hat. Den Terror, den wir über Wochen und Monate ertragen haben, bis es schließlich einfach genug gewesen ist. Bis ich nicht mehr konnte. Ich habe mich oft gefragt, ob ich bereue, was ich getan habe – doch da ist nichts. Ich spüre kein Bedauern, Reue, nicht für diesen Mann. Was das über meinen Geisteszustand sagt, will ich gar nicht so genau wissen. Man sieht Starrick bereits an, dass er nicht vorhat, Owens Forderung einfach so Folge zu leisten. Um einen offenen Streit im Gerichtssaal zu verhindern, unterbricht der Richter kurzer Hand die Verhandlung und zitiert beide Anwälte in einen angrenzenden Raum, um dort unter Ausschluss der Öffentlichkeit ein Sechs-Augen-Gespräch zu führen. Im Raum erhebt sich leises Murmeln, als sich die Tür hinter den Männern schließt. Alexander ruckt auf seinem Stuhl herum, unsere Blicke begegnen sich, als ich mich leicht zu ihm drehe. Trotzdem sagt keiner von uns ein Wort, obwohl es so unendlich viele Dinge zu sagen gäbe. In meinem Kopf rasen die Gedanken und das Gefühl, hier zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort zu sein, wird irgendwie immer stärker. Aber ich habe diese Lawine selbst ins Rollen gebracht und jetzt wird sie mich einfach mitreißen. Ich kann nichts dagegen tun, ohne unser beider Schicksal zu besiegeln. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis die drei Männer wieder in den Saal kommen. Schon an Owens breitem Grinsen kann ich das Ergebnis erkennen. Starricks Gesicht hat sich verschlossen. Es ist erstaunlich, wie gut er darin ist, seine Gefühle für den Moment zu verbergen. Als der Richter die Verhandlung fortsetzt und Starrick sich nach einem Augenblick des Durchatmens tatsächlich erhebt, glaube ich dennoch einen Blick hinter die Maske werfen zu können. „Im Licht der neuen Beweisstücke beantragt die Staatsanwaltschaft die Einstellung des Verfahrens gegen Mr. Svensson und Mr. Dreyfuß. Die von Mr. Kovacs heute vorgelegten Videos lassen erhebliche Zweifel am Tathergang aufkommen. Die Anklagepunkte gegen die beiden Beschuldigten sind daher nicht mehr haltbar. Die Staatsanwaltschaft wird prüfen müssen, ob und wie das Verfahren im Licht dieser neuen Beweise fortgesetzt werden kann.“ Eine Einstellung des Verfahrens also... Das ist nicht unbedingt der Freispruch, den du uns versprochen hast Owen.. „Dem Antrag der Staatsanwaltschaft wird stattgegeben. Mr. Dreyfuß und Mr. Svensson werden mit sofortiger Wirkung aus der Untersuchungshaft entlassen. Den Damen und Herren der Jury vielen Dank für ihr Erscheinen. Die Verhandlung ist hiermit beendet, einen guten Tag.“ Sprachs und erhob sich. Hat es offenbar eilig in seine Mittagspause zu kommen – oder einfach nur Starrick aus dem Weg zu gehen, der seine sieben Sachen gerade ziemlich zügig zusammenpackt. Ich sitze noch immer wie betäubt auf meinem Stuhl und kann nicht fassen, was da gerade passiert ist. Noch immer halte ich Alexanders Hand fest und auch er macht keine Anstalten, meine Hand loszulassen. Owen klopft mir auf die Schulter und weckt mich so aus der Trance, in der ich mich befunden habe. „Hey, ein bisschen mehr Euphorie wäre angebracht, meint ihr nicht?“ Neben mir stößt Alexander pfeifend Luft aus. „Ist es wirklich vorbei?“ Seine Stimme klingt brüchig. Auch ihn treibt wohl die Tatsache um, dass es sich hier um eine Einstellung des Verfahrens gehandelt hat, nicht um einen Freispruch. Die Beweise sprechen zwar für uns, aber wir wissen beide, dass diese Beweise ganz schnell verschwinden werden, wenn wir nicht mehr nach Dicks Pfeife tanzen. „Ja, es ist wirklich vorbei.“ Owen klingt beinahe beleidigt darüber, dass wir die überschwängliche Freude vermissen lassen, die er wohl von uns erwartet hat. Gerade als ich mich erheben will, tritt Starrick von der Seite an unseren Tisch. „Herzlichen Glückwunsch, Mr. Svensson, Mr. Dreyfuß. Aber gewöhnen sie sich nicht an die frische Luft da draußen. Das hier ist noch nicht vorbei. Ich hoffe, sie können sich nach dieser schauspielerischen Glanzleistung noch im Spiegel ansehen. Ich bin gespannt, ob sie es über sich bringen, sich Rawlinsons Familie zu stellen. Sie werden einander sicher oft begegnen. Der Friedhof ist nicht so groß. Richten sie Logan und Calvin meine besten Grüße aus.“ Alexanders Hand verkrampft sich, dann zieht er sie zurück. Ich muss nicht hinsehen, um zu wissen, dass er wie ein Häufchen Elend zusammen sinkt. Mit einem Mal sind alle Selbstzweifel wie weggewischt und der Hass auf dieses selbstgefällige und leider so attraktive Arschloch beherrscht mein ganzes Denken. Auf meine Lippen schleicht sich ein dünnes Lächeln, während ich mich erhebe, um Starrick auf Augenhöhe begegnen zu können. Sein Blick sprüht vor Verachtung und Wut und ein Teil von mir kann ihn wirklich verstehen. „Danke Mr. Starrick, das werde ich. Und ich bin sicher, dass das noch nicht so schnell vorbei ist. Aber lassen sie es ihre Frau nicht allzu sehr spüren, ja? Wir wollen doch, dass das unser kleines Geheimnis bleibt.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)