Mr. Svensson von Coventina ================================================================================ Kapitel 19: Dreizehnter Teil ---------------------------- So glaubt ihr dieses Tagelöhners Worten, Der spricht, er weiß nicht was? -     Shakespeare, König Heinrich VI. Für einen Herzschlag ist es vollkommen still im Saal und ich fühle mich, als sei die Zeit stehen geblieben. Alexej lehnt entspannt in dem hohen Stuhl, den Mund zu jenem spitzbübischen Grinsen verzogen, das ich inzwischen so gut kenne. Starrick steht unweit von ihm entfernt, starrt ihn jetzt ungläubig an. Selbst von meinem Platz aus sehe ich, wie ihm langsam die Röte ins Gesicht kriecht. Er mag mit vielem gerechnet haben, damit jedoch nicht. Ich sehe, wie sein Adamsapfel hüpft, als er krampfhaft schluckt. Es ist Alexander, der die Stille bricht. Neben mir höre ich, wie der Deutsche versucht, sein Auflachen in einem Hüsteln zu kaschieren. Es gelingt ihm nur mäßig und hat zur Folge, dass Starrick wütend zu uns herum fährt. Sein Blick huscht zu Alexander, der gerade ein Taschentuch aus seiner Hose gefummelt hat und jetzt hinein schnäuzt, dann zu mir. Ich begegne seinem Blick so ruhig ich kann. Alles in mir schreit danach, mir mit der Zunge über die Lippen zu lecken, doch diese Provokation – so gern ich sie auch hätte – darf ich mir nicht erlauben. Mein Anblick scheint ohnehin auszureichen, denn Starrick schüttelt nur den Kopf und dreht sich zurück zu Alexej, der das mit der Provokation weit weniger genau nimmt als ich und jetzt erst recht aufreizend die Zunge in die Wange stößt. Eine sehr eindeutige Geste. „Wissen Sie noch, ihr abendlicher Besuch bei uns? Als Sie da auf einmal vor der Tür standen, hat ihm das einen echten Kick gegeben. So gut hat ers mir vorher noch nie…“ „Mr. Marosov das reicht jetzt!“, fährt der Richter energisch dazwischen. Alexej hebt abwehrend die Hände und nickt pflichtschuldig, hält auch brav den Mund. Doch der Schaden ist bereits angerichtet. Ich sehe es an den Blicken der Jury und an der Ader, die an Starricks Stirn pocht. Er strafft sich mühsam wieder und fährt nach einem kurzen Blickwechsel mit dem Richter mit seiner Befragung fort. „Also Mr. Marosov, ich weiß nicht ob mir wirklich schmeicheln soll, dass ich in Mr. Svenssons Gedanken derart präsent bin, dass er mit Ihnen über mich reden muss, aber das interessiert hier sicher niemanden.“ Och.. also mich würde ja schon interessieren, was du dazu sagst, Nathan. „Was das Gericht interessiert, sind die Todesumstände von Mr. Rawlinson. Hat Mr. Svensson Ihnen gegenüber erwähnt, in welchem Verhältnis er und Mr. Rawlinson standen?“ Alexej rückt etwas auf seinem Stuhl zurecht. „Ja, das hat er.“ Starrick scheint darauf zu warten, dass Alexej dieses Verhältnis weiter ausführt, doch der Russe schweigt. Auch auf Starricks entsprechende Handbewegung hin schenkt Alexej ihm nur einen irritierten Blick. „Und welches Verhältnis wäre das, Mr. Marosov?“ An Starricks Stimme ist zu hören, dass es ihm ganz und gar nicht gefällt, Alexej alles aus der Nase ziehen zu müssen. „Sie arbeiteten in der gleichen Branche, allerdings für unterschiedliche Firmen.“ Wieder extrem knapp und sachlich. Alexej verrät keinen Piep zu viel, jetzt wo es um den eigentlichen Fall geht. Starrick nickt trotzdem zufrieden. „Richtig, sie arbeiteten für unterschiedliche Firmen. Hat Mr. Svensson Ihnen auch erzählt, wo er Mr. Rawlinson kennen gelernt hat?“ Er hat eine Hand in die Hosentasche seines Anzugs geschoben und dreht sich wieder halb zur Jury. „Ja, das hat er auch erzählt.“ Alexej macht eine Kunstpause, gerade so lange, dass sowohl Starrick als auch der Richter schon Luft holen, um ihn wegen seines Verhaltens zurecht zu weisen, dann kommt er ihnen zuvor. „Mr. Svensson erzählte mir, dass er Mr. Rawlinson beim ersten Pitch für ein Projekt der Armee kennengelernt hat.“ „Genau“, echot Starrick. „Mr. Rawlinson und Mr. Svensson begegneten sich das erste Mal, bei einer Projektvorstellung der Armee. Sie waren, wie sie zuvor schon sagten, beinahe so etwas wie Kollegen.“ Naja. Soweit würde ich jetzt nicht gehen. Rawlinson und ich waren sicher alles andere als Kollegen... „Was hat er Ihnen über die Ereignisse danach erzählt? Und dieses Mal bitte an einem Stück Mr. Marosov. Ich kann mir zwar denken, dass sie die Freiheit und Aufmerksamkeit hier im Saal genießen, aber wir wollen hier keine Ewigkeit zubringen.“ Starrick lehnt sich an die Brüstung, die die Stuhlreihen der Jury abgrenzt. Offenbar ist er unzufrieden mit Alexejs Aussage, verständlicherweise. Ich bin ehrlich gesagt überrascht über das Verhalten des Russen. Wenn er so weiter macht, wird Starrick ihn sicher nicht so leicht davonkommen lassen. Oder war Mr. Staatsanwalt wirklich so blauäugig und verzweifelt, Alexejs Entlassungsbescheid bereits vor dessen Aussage zu unterschreiben? Es ist schwer, das aus seinem Gesicht heraus zu lesen, doch er ist wütend, keine Frage. Alexej strafft sich etwas und lächelt nachsichtig. „Ich würde das hier nicht unbedingt als Freiheit bezeichnen Mr. Starrick“, beginnt er, zuckt dann aber mit den Schultern. „Aber natürlich liegt mir nichts ferner, als ihre kostbare Zeit hier zu vergeuden.“ Neben mir zieht Owen die Augenbraue nach oben. Etwas an Alexejs Stimme hat sich verändert. Es sind nur Nuancen, doch irgendwie bemerkt man es trotzdem. „Mr. Rawlinson kontaktierte Mr. Svensson und Mr. Dreyfuß nach dieser ersten Projektvorstellung. Die Männer trafen sich einige Male, um sich fachlich auszutauschen. Offensichtlich hatte es zunächst den Anschein, als könne Mr. Rawlinson ein wenig Hilfestellung bei diesem ersten Projekt der beiden Angeklagten geben. Schlussendlich erwies sich das als falsch. Mr. Rawlinson verkaufte die Idee der beiden als seine eigene und bekam den Zuschlag.“ Meine Nasenflügel beben und ich kann das wütende Schnauben kaum unterdrücken, wenn ich daran zurückdenke. Wir standen wie Idioten da... noch heute wundere ich mich darüber, dass weder Alexander noch ich Rawlinson vor versammelter Mannschaft die Faust ins Gesicht gezimmert haben. Ich glaube, wir waren damals beide zu betäubt gewesen, um überhaupt irgendwie zu reagieren. Noch heute macht mich diese Ohnmacht wütend und ich sehe aus dem Augenwinkel, dass es Alexander nicht viel anders geht. Starricks Miene hingegen hellt sich deutlich auf. Das war ganz offensichtlich das, was er hören wollte. Rawlinsons Industriespionage ist für Starrick das perfekte Motiv. In seinen Augen haben Alexander und ich uns schlicht und ergreifend dafür gerächt, dass er uns dieses Projekt vor der Nase weggeschnappt hat. In Anbetracht der Gewinnsummen, die Ingenieure und Firmen bei solchen Aufträgen einheimsen, ist man sogar geneigt, ihm zu glauben. Wäre da nur nicht dieses kleine Detail… „Keine weiteren Fragen“, beendet er Alexejs Befragung und setzt sich wieder auf seinen Stuhl. Die Jury tuschelt, während der Richter nun zu Owen hinüber sieht. „Haben sie noch Fragen an den Zeugen, Mr. Mellard?“ Zu meiner Überraschung erhebt sich Owen tatsächlich. Im Vorbeigehen klopft er mir leicht auf die Schulter und ich bin mir nicht ganz sicher, was das nun zu bedeuten hat. Die Geste hat etwas vertrauliches, beinahe entschuldigendes an sich. Etwas in mir verkrampft sich in böser Vorahnung. Auch Starrick scheint überrascht davon zu sein, dass Owen sich tatsächlich mit Alexej unterhalten will, doch letztlich ist ja schon alles gesagt und mehr als das, was Alexej bereits preisgegeben hat, weiß er nicht. Der Russe lächelt, als Owen vor ihn und die Jury tritt und Owen erwidert dieses Lächeln auf eine Art und Weise, die mich nicht unbedingt beruhigt. „Ich hätte da tatsächlich noch ein paar Fragen Mr. Marosov. Zunächst einmal: Wie lange teilen sie und Mr. Svensson sich schon eine Zelle?“ „Wie der Staatsanwalt bereits ausgeführt hat: Seit Mr. Svensson in Untersuchungshaft sitzt. Also etwas mehr als ein halbes Jahr.“   6 Monate und 27 Tage um genau zu sein. Owen nickt bedächtig und schiebt die Hände in die Hosentaschen. „Und wie oft hatten sie in dieser Zeit Sex mit Mr. Svensson?“ Wieder breitet sich erschrockene, überraschte Stille aus, dann werden gleich mehrere Geräusche im Saal laut. Einige Leute in der Jury lachen verhalten auf oder keuchen entrüstet, Alexander hat sich mit einem mehr gefauchten als geflüsterten „Was?!“ zu mir umgedreht und Starrick schlägt im Aufstehen mit der flachen Hand auf den Tisch. „Einspruch! Was soll das bitte zur Sache beitragen?“ Owen macht sich gar nicht die Mühe, Starrick anzusehen. Stattdessen schaut er von Alexej zum vorsitzenden Richter, der den Einspruch zähneknirschend abweist und Nathan damit wieder auf seinen Stuhl verbannt. Ich bin inzwischen sicher feuerrot angelaufen und starre stur geradeaus. Weder gebe ich Alexander zu meiner Linken ein Zeichen, noch wage ich es, einen Blick nach rechts zu Starrick zu werfen. Dem Russen macht die Frage natürlich gar nichts aus. Er lacht nur leise und nagt an seiner Unterlippe. „Das kommt wohl darauf an, wie sie Sex definieren Herr Anwalt“, gibt er gelassen zurück. Wenn er denkt, dass er Owen damit in Verlegenheit bringt, irrt er. Der lässt sich kein bisschen von ihm aus der Fassung bringen. „Ich meine Oralverkehr, Analverkehr oder auch nur das ‚Aushelfen per Hand‘, wie mir das zuletzt umständlich beschrieben wurde. Wie oft hatten sie auf diese Weise sexuellen Kontakt mit Mr. Svensson?“ Alexejs Blick wandert von Owen zu mir. Ich sehe so etwas wie Anerkennung in seinem Blick, aber das kann täuschen. Ich bin ohnehin viel zu sehr damit beschäftigt, möglichst gelassen auf meinen vier Buchstaben sitzen zu bleiben. „Was den Oralsex angeht, habe ich aufgehört zu zählen“, erklärt Alexej schließlich und provoziert damit erneut Tuscheln in der Jury, während Starrick eine Art gequältes Stöhnen von sich gibt. Na, Nathan? Bilder im Kopf..? „Zu allem anderen ist es nie gekommen, nicht zuletzt weil sie uns das letzte Mal so unsanft unterbrochen haben und-“ „Mr. Marosov das reicht, worauf zur Hölle wollen sie hinaus Mr. Mellard?“ Der Richter hat offenbar genug gehört. Schade eigentlich.. „Entschuldigen Sie, euer Ehren. Ich komme zum Punkt.“ Owen hebt entschuldigend eine Hand und der Richter lässt sich wieder in seinen Stuhl zurücksinken. „Ist es richtig, dass sie Mr. Svensson gestern Abend angeboten haben, heute nicht auszusagen, wenn er im Gegenzug mit ihnen schläft?“ Wieder trifft mich Alexejs Blick, ehe er nickt. „Ja, das ist korrekt.“ „Und hat er mit ihnen geschlafen?“ „Nein, hat er nicht.“ „Waren sie enttäuscht darüber und hat diese Enttäuschung sie dazu bewogen, Details zu verschweigen, die meinen Mandanten entlasten würden?“   Alexej schiebt den Unterkiefer vor und legt den Kopf leicht schief. Eine gefährliche Geste, die ich auf dem Hof des Gefängnisses schon einige Male beobachten konnte. Allerdings wird er es hier schwer haben, die Fäuste sprechen zu lassen, oder Owen anderweitig anzugehen. Das ist ihm natürlich auch klar, doch man sieht ihm deutlich an, dass er sich nur schwer zurückhalten kann. „Meinen sie das ernst?“ Jetzt ist es an Owen breit zu Grinsen und ich schlucke verkrampft, weil mir die Situation mehr und mehr entgleitet. Wohin soll das alles führen? „Das ist mein Ernst, Mr. Marosov. Denn wenn es nicht so ist, wenn sie nicht enttäuscht darüber waren, dass mein Mandant ihnen sexuelle Gefälligkeiten verweigert hat, dann muss ich davon ausgehen, dass Mr. Starrick sie für diese Aussage bezahlt hat.“ Um Starrick an der Unterbrechung zu hindern, hebt Owen bereits die Hand in dessen Richtung. „Und ich kann mir doch beim besten Willen nicht vorstellen, dass Mr. Starrick sie für diese Aussage entlohnt hat, über das obligatorische Maß hinaus meine ich. Oder täusche ich mich da?“ Jetzt drehe ich doch den Kopf. Die Ader auf Starricks Stirn pulsiert schon wieder, doch neben der Zornesröte auf den Wangen ist sein Gesicht auffallend bleich geworden. Sehe ich da Schweißtropfen auf seiner Stirn? Wieso? Es ist doch jedem im Saal klar, dass Alexej diese Aussage nicht aus reiner Nächstenliebe zu Starrick macht. Natürlich hat man ihm im Gegenzug etwas angeboten. Wieder einmal wird deutlich, wie anpassungsfähig Alexej ist. Eben hat es noch den Eindruck gemacht, als würde er Owen am liebsten an die Gurgel gehen, jetzt wirkt er wieder wie die Ruhe in Person und lächelt dieses entspannte und entwaffnende Lächeln. „Natürlich hat man mir etwas für diese Aussage angeboten. Aber das macht das, was ich gesagt habe, nicht weniger wahr.“ Owen nickt bedächtig. „Da gebe ich Ihnen sogar Recht, Mr. Marosov. Was sie über das Verhältnis zwischen meinen Mandanten und dem Opfer ausgesagt haben, entspricht der Wahrheit und wir haben nie etwas anderes zu Protokoll gegeben. Ich bin mir nur sehr sicher, dass mein Mandant Ihnen noch mehr erzählt hat. Zum Beispiel über das, was geschehen ist, nachdem Mr. Rawlinson den Zuschlag des Militärs erhalten hat.“ Jetzt endlich erwacht Starrick aus seiner Starre. „Einspruch! Relevanz? Der Zeuge hat zu Protokoll gegeben, dass Rawlinson Industriespionage begangen und damit Mr. Svenssons und Mr. Dreyfuß‘ Karriere massiv geschadet hat. Das belegen die Fakten, die dem Gericht vorliegen. Alles andere können die beiden Angeklagten nicht beweisen. Mr. Marosovs Wissen stammt nur aus seinen Unterhaltungen mit Mr. Svensson, ich sehe keinen Grund, ihn diese Äußerungen wiederholen zu lassen, die wir bereits vom Angeklagten gehört haben.“ Ich sehe, dass der Richter geneigt ist, dem stattzugeben, doch Owen ist schneller. „Relevanz? Wirklich Mr. Starrick? Woher wollen sie so genau wissen, was mein Mandant mit Mr. Marosov über die Zeit nach diesem Ideendiebstahl erzählt hat?“ Er dreht sich zurück zu dem Richter und zieht eine Hand aus der Hosentasche, um auf Alexej zu zeigen. „Ich erkläre dem Gericht gern, wieso Mr. Marosovs vollständige Aussage so relevant ist. Ich weiß, was die Staatsanwaltschaft ihm im Austausch für seine Aussage in Aussicht gestellt hat: Seine Entlassung.“ Durch die Jury geht abermals ein Raunen. „Ich bin nicht gänzlich vertraut mit ihrer Akte,  Mr. Marosov, doch ich bin mir ziemlich sicher, mehrfach von Betrug, Urkundenfälschung, Körperverletzung und in einem Fall sogar Totschlag gelesen zu haben.“ Er wendet sich wieder der Jury zu und hebt die Arme in einer den Saal einschließenden Geste. „Uns allen hier sollte bewusst sein, dass Mr. Marosov dieses Land verlassen wird, sobald sich ihm die Gelegenheit dazu bietet, habe ich nicht recht?“ Alexej hebt in einer entwaffnenden Geste die Hände. „В гостях хорошо, а дома лучше.“* „Das ist dem Gericht hoffentlich Antwort genug“, fährt Owen fort, nach dem Alexej keine Anstalten macht, seine Worte zu übersetzen. „Und dem Gericht ist hoffentlich jetzt auch klar, wieso ich nicht zulassen kann, dass die Anklage sich auf die unvollständige Aussage eines Mannes stützt, der sich mit Hilfe der Staatsanwaltschaft unserer Justiz entziehen wird.“ Dem kann auch der Richter nichts entgegen setzen. So langsam scheint seine Sympathie für Starrick ohnehin zu schwinden. Der Staatsanwalt hat ganz offensichtlich einen Fehler zu viel gemacht. „Fahren sie fort, Mr. Mellard.“ Owen wendet sich wieder Alexej zu, der ihn nicht eine Sekunde aus den Augen gelassen hat. „Also, Mr. Marosov. Was hat mein Mandant ihnen darüber berichtet, was nach dem Ideendiebstahl passiert ist?“ Alexej verschränkt die Hände im Schoß, erzählt aber bereitwillig. Beinahe so, als habe er nur darauf gewartet, dass jemand diese Frage stellt. „Mr. Rawlinson musste erkennen, dass er zwar den Zuschlag für seine Idee bekommen hat, er aber nicht in der Lage war, diese Idee auch umzusetzen. Kurzum: Er brauchte Hilfe. Er hatte keine andere Wahl, als sich wieder an Mr. Dreyfuß und Mr. Svensson zu wenden. Natürlich haben die beiden diese Hilfe zunächst verweigert, doch es gab schließlich eine Einigung.“ „Einspruch!“ Schon wieder Starrick. „Diese Einigung, von der uns Mr. Dreyfuß und Mr. Svensson schon die ganze Zeit erzählen, ist von keinem anderen Zeugen bestätigt worden. Mr. Marosov kann dazu überhaupt keine Aussage machen!“ „Es stimmt, dass Mr. Marosov darüber keine Aussage treffen kann, aber unser nächster Zeuge kann es“, fährt Owen dazwischen. Wieder wird Starricks Einspruch abgewiesen und Alexej fährt fort. „Es gab eine Einigung, so sagt es zumindest mein lieber Zellengenosse. Mr. Svensson und Mr. Dreyfuß arbeiteten mit Mr. Rawlinson gemeinsam an dem Projekt, beziehungsweise halfen immer wieder aus. Sie wurden gut dafür bezahlt und hätten bei Abschluss noch einen dicken Bonus bekommen. Ohne Rawlinson, der das Projekt geleitet hat, werden sie den wohl nicht bekommen. Immerhin war diese Einigung alles andere als offiziell.“ Owen nickt zufrieden und wendet sich ab. „Danke, Mr. Marosov. Keine weiteren Fragen.“ Der Richter entlässt Alexej aus dem Zeugenstand und ein Beamter eskortiert den Russen wieder nach draußen. Als er an mir vorbei geht, zwinkert er mir zu. „Bis später, Златовласка.“ Ich kann nicht verhindern, dass das Grinsen an meinen Mundwinkeln zupft. Irgendwie lief das alles doch etwas anders als geplant. Der Richter ruft den nächsten Zeugen auf: Richard Kovacs, CEO von General Dynamics Canada**. Wie immer umweht den alten Haudegen der Geruch von zu viel Aftershave. Dick ist einer dieser Männer, denen man schon an der Nasenspitze ansieht, wie profitgeil sie sind. Er versucht es nicht einmal zu verbergen. Sein teurer Designeranzug sitzt wie angegossen, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass er körperlich alles andere als in Form ist. Sein ausschweifender Lebensstil hat Spuren hinterlassen: Tiefe Falten im Gesicht, ein mehr-als-wohlfühl Bauch. Trotzdem ist sein Gang so selbstsicher und sein Auftreten so einnehmend, dass man sich dem nur schwer entziehen kann. Seine Stimme klingt fest, als er sich vereidigen lässt und schließlich im Zeugenstand Platz nimmt. Wieder ist Owen an der Reihe. „Guten Morgen, Mr. Kovacs. Ich möchte mich noch Mal bei Ihnen bedanken, dass sie es so kurzfristig einrichten konnten, hier auszusagen.“ Dick winkt ab. „Nicht der Rede wert. Ich hätte schon viel früher ausgesagt, wenn ich gewusst hätte, dass ich tatsächlich etwas zu dem Fall beitragen kann. Immerhin sind Mr. Svensson und Mr. Dreyfuß Teil unserer Firmenfamilie und wir vermissen sie schmerzlich.“ Gott ich möchte kotzen. Du vermisst nur das Geld, das wir dir bringen. Die Kunden drängeln wohl, hm? „Nun, dann lassen sie uns keine Zeit mehr verschwenden. Sie sind mit den Vorwürfen vertraut, mit denen sich ihre beiden Ingenieure konfrontiert sehen, ist das richtig?“ Dick nickt deutlich. „Natürlich bin ich mit dem Fall vertraut. Die Industriespionage durch Mr. Rawlinson hat General Dynamics hart getroffen. Als wir die Nachricht von seinem Tod bekamen, war mir sofort klar, dass man unsere Firma damit in Verbindung bringen würde. Als die Polizei mir mitteilte, dass er zuletzt mit unseren beiden Chefdesignern gesehen wurde, war mir klar, dass man sie für seinen Tod verantwortlich machen würde. Ich gebe zu, ich habe selbst für einen Moment daran geglaubt.“ Natürlich hast du daran geglaubt. Du hast uns ja schon beinahe ermutigt, ihn verschwinden zu lassen... „Was hat ihre Meinung dann geändert?“ Dick gibt ein schnaubendes Lachen von sich. „Sie meinen neben der Tatsache, dass die beiden keinen Vorteil daraus gewonnen hätten? Sie müssen wissen, Rawlinson hat zwar die Idee und die Pläne gestohlen, doch er hatte keine Ahnung, was er damit anfangen soll. Er brauchte Hilfe, und bei wem hat er die gesucht? Richtig, bei den Männern, die er bestohlen hat. Natürlich haben wir ihm zunächst die Hilfe verweigert, doch bei eingehender Betrachtung war Rawlinsons Angebot besser als nichts. Wir hatten das Projekt so oder so verloren, also haben wir versucht, noch einen Nutzen daraus zu ziehen, indem wir es steuern. Mr. Svensson und Mr. Dreyfuß haben zugestimmt, Mr. Rawlinson zu helfen. Im Gegenzug sollte unsere Firma am Ende einen Teil der Fertigungsaufträge bekommen und die beiden natürlich eine entsprechende Provision. Sie sehen also, ohne Mr. Rawlinson ist all das nicht eingetreten. Weder die Firma, noch die beiden Angeklagten hatten einen Nutzen vom Tod des Mannes. Aber da ist noch etwas anderes.“ Er greift in seine Anzugtasche und zückt einen USB Stick, reicht ihn dem Gerichtsdiener. „Auf diesem Stick befinden sich Überwachungsaufnahmen einiger unserer Kameras. Wir hatten der Polizei nach der Festnahme von Mr. Svensson und Mr. Dreyfuß ja sofort deren Kartendaten zur Verfügung gestellt, die angezeigt haben, dass sie ihre Büroräume um 4 Uhr morgens betreten haben. Dazu passen auch die Bilder aus dem Aufzug, der die beiden Männer kurz zuvor auf dem Weg zu den Büros zeigt. Letzte Woche wurden wir allerdings auf diese Aufnahmen aufmerksam.“ Letzte Woche? Seit wann bewahren wir Überwachungsmaterial so lange auf? „Die Verteidigung beantragt, dass die Aufnahmen in Augenschein genommen werden“, wendet sich Owen an den Richter, der bereits den Gerichtsdiener losgeschickt hat. Da die Überwachungsaufnahmen Teil des Beweismaterials sind, steht ein Bildschirm bereit, auf dem die Aufnahmen angesehen werden können. Der Gerichtsdiener steckt den USB Stick in den Fernsehr und wählt die Datei aus, die kurz darauf abgespielt wird. Was wir zu sehen bekommen, überrascht nicht nur Starrick und die Jury. Alexander und ich starren mindestens genauso fassungslos auf das Video, das auch wir zum ersten Mal sehen. Es zeigt die Aufnahmen einer Drohne, die das militärische Übungsgelände nahe der Fertigungshallen abfliegt. Das erklärt auch gerade Dick, während die Drohne mit der Nachtsichtkamera gemächlich über die menschenleere Startbahn gleitet. „Die Drohne startet von ihrer Ladestation auf einem automatisierten Kurs über das Gelände. Für einen Rundflug braucht sie circa 20 Minuten, länger halten die Akkus auch nicht. Sie arbeitet mit einer Art Gesichtserkennungssoftware, die mit unserer Mitarbeiterdatenbank verknüpft ist. Erkennt die Drohne einen Eindringling auf dem Gelände, der nicht zu unseren Mitarbeitern gehört, löst sie einen Alarm aus und übermittelt die Koordinaten an unser hauseigenes Sicherheitspersonal. Sobald der Speicher voll ist, überprüfen wir die Aufnahmen ein letztes Mal, dann werden sie gelöscht. Bei dieser Durchsicht sind wir auf diese Aufnahmen gestoßen. Da Mr. Svensson und Mr. Dreyfuß unsere Mitarbeiter sind, hat die Drohne natürlich keinen Alarm ausgelöst.“ Dicks Stimme klingt entschuldigend, doch ich glaube ihm kein verdammtes Wort.   Auf dem Bildschirm schwenkt das Blickfeld der Drohne gerade über das Ende der Landebahn. Warnleuchten auf dem Interface blinken auf, als sie zwei Personen erfasst, in Schlangenlinien über die Landebahn schwanken und sich offensichtlich unterhalten. Das Bild verharrt kurz, dann wird die Anzeige grün und die Drohne setzt ihren Weg unbeirrt fort. Als die Drohne über uns hinweg gleitet, kann ich sogar in dem schlechten Bild erkennen, dass unsere verbliebene Kleidung nass an unseren Körper klebt. „Fragen sie mich bitte nicht, wie die beiden es angestellt haben, in ihrem Zustand in das Areal einzudringen. Es ist eine peinliche Sicherheitslücke, dass zwei betrunkene Männer so einfach in die Anlage eindringen konnten. Leider gibt es davon keine Videoaufzeichnungen.“ Da stimme ich Dick sogar zu, denn ich kann nicht glauben, was ich sehe. Wie zur Hölle sind wir da hinein gekommen? Ich kann mich an nichts davon erinnern. „Ich frage Sie tatsächlich nicht, wie die beiden Angeklagten, das angestellt haben. Ich frage Sie, was uns dieses Video sagen soll.“ Starrick hat offensichtlich genug gesehen. Owen lächelt den Staatsanwalt gütig an, der offensichtlich das wichtigste Detail der Drohnenaufnahme bisher noch nicht bemerkt hat: Den Zeitstempel. Mir wird plötzlich heiß und kalt, als mir klar wird, was ich da sehe. Meine Hand greift nach links und bekommt die schweißnassen Finger von Alexander zu fassen, während Owen auf die Stelle am Bildschirm tippt. „Dieses Video, Mr. Starrick, zeigt uns, dass Mr. Dreyfuß und Mr. Svensson den Strand über eine Stunde vor Mr. Rawlinsons Todeszeitpunkt verlassen haben. Es gibt noch drei weitere Aufnahmen der Drohne, die die beiden Männer auf dem Weg zu den Fertigungshallen zeigen. Will heißen: Meine Mandanten waren nicht mehr am Strand, als Mr. Rawlinson auf tragische Weise ertrunken ist.“   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)