Mr. Svensson von Coventina ================================================================================ Kapitel 2: Zweiter Teil ----------------------- Ich will mehr Schiffer als die Nix' ersäufen, Mehr Gaffer töten als der Basilisk; Ich will den Redner gut wie Nestor spielen, Verschmitzter täuschen, als Ulyß gekonnt, Und, Sinon gleich, ein zweites Troja nehmen - Shakespeare, König Heinrich VI. – III. Teil   Der kleine Ausbruch meines lieben Herrn Staatsanwalts hat kurz für Unruhe im Saal gesorgt, doch die legt sich recht zügig wieder. Nathan Starrick, der Bastard im anthrazitfarbenen Anzug, greift nach einem dünnen Ordner, den er ganz oben auf seinen Akten platziert hat. Ich kann aus dem Augenwinkel bereits sehen, wie sich Owen Mellard, unser Anwalt, bereit macht einzugreifen. Was auch immer Starrick in den Händen hält, es ist Beweismaterial, das bisher noch nicht in den Prozess eingebracht wurde. Der Drang, einen Blick zu Owen und Alexander zu werfen, die Starrick ebenfalls beobachten, ist beinahe übermächtig. Doch neben mir sind die Augen der Jury genauso auf mich gerichtet und ich werde den Teufel tun, ihnen eine Regung zu präsentieren, die einem Schuldeingeständnis gleich kommt. Noch immer grinst Starrick breit und glücklich, als würde man ihm genau hier, inmitten des Gerichtssaales einen Blowjob verpassen. Wie er wohl klingt wenn er stöhnt? Allerdings bezweifle ich, dass dieser narzisstische, cholerische und sicher überaus verklemmte Idiot überhaupt zu irgendeiner Gefühlsregung in der Lage ist – von diesem triumphalen Grinsen einmal abgesehen. Ich erwidere sein Grinsen mit einem schmalen Lächeln. Nicht weil ich so freundlich bin, sondern weil Starrick vor meinem geistigen Auge gerade breitbeinig auf seinem Tisch lehnt und ich ihm ordentlich – „..gewesen, ist das korrekt?“ Ich blinzle. Der Tagtraum verschwindet, stattdessen starren mich eisblaue Augen nieder und halten mir meinen Entlassungsbescheid vor die Nase. Kein neues Beweismittel. Meine militärische Laufbahn ist dem Gericht bekannt. Ich räuspere mich, vor allem um kurz in meinem Gedächtnis zu kramen, was genau mich Mr. Staatsanwalt gefragt hat. Schlussendlich muss ich mir die Mühe gar nicht machen, er antwortet bereits für mich. „Fünf Jahre lang haben Sie unserem Land als Soldat gedient.“ Ich nicke zur Bestätigung. Wieso wartet er jetzt damit auf? Starrick dreht sich wieder zur Jury, die meine kurze Entgleisung offenbar auch bemerkt hat. Gar nicht gut. „Sie waren Pilot der Royal Canadian Air Force, ist das korrekt?“ Die Antwort kostet mich länger, als sie sollte. Starricks Seitenblick ist deutlich. Er weiß, dass ich kein Pilot bei der RCAF gewesen bin, aber er weiß genau wieso er das Wort „Pilot“ ins Spiel gebracht hat. Ich schüttele den Kopf, räuspere mich erneut leise. „Nein, ich bin kein Pilot gewesen. Ich habe beim Militär studiert, Antriebs- und Raketentechnik.“ Starrick schafft es beinahe, seine Betroffenheit ob dieses Fehlers glaubhaft rüber zu bringen. „Mein Fehler Mr. Svensson, natürlich. Aber sie waren doch bei der RCAF, richtig? Weil sie sich während ihres Studiums auf Flugzeuge spezialisiert haben?“ „Ja, das ist korrekt.“ Worauf willst du hinaus? Soll ich dir eine Rakete bauen und dich zum Mond schießen? Gern! „Aber als sie nach der Grundausbildung einer Einheit zugewiesen wurden, da waren sie nicht bei der RCAF, korrekt? Nach ihrer Grundausbildung wurden sie einer anderen Einheit zugewiesen.“ Er tippt auf die Stelle in dem Dokument, das an meinen Entlassungsbescheid geheftet ist. Eine Auflistung aller Kasernen und Einrichtungen, in denen ich während meiner militärischen Laufbahn Dienst geleistet habe. Oh shit. Owen steht auf, doch seine Worte versinken im Rauschen, das plötzlich durch meine Ohren dröhnt. Daran habe ich nicht mehr gedacht. Ich habe es auch vollkommen verdrängt, weil es in meiner militärischen Karriere überhaupt keine Rolle gespielt hat. Ich habe es nie erwähnt. Es steht natürlich in den Akten, doch wir, Owen und ich, haben darüber nie gesprochen. Der Richter lehnt den Einspruch ab, wäre ja auch zu schön gewesen. „Antworten sie auf die Frage Mr. Svensson.“ „Ja, das ist korrekt.“ „Dann sagen sie doch dem Gericht und der Jury, bei welcher Einheit sie zuerst gedient haben.“ Owen macht schon wieder Anstalten einzuschreiten, doch das wird mir nicht helfen. Die Jury versteht seinen Einspruch am Ende nur falsch und das können weder Alexander noch ich gebrauchen, also raus damit. „Bei der Navy.“ Gott mit meinem Schwanz zwischen deinen Lippen würdest du nicht so dreckig grinsen! Aber leider hilft der Gedanke nicht weiter. Starrick nickt langsam und verzieht das Gesicht zu einem beinahe unschuldig neugierigen Ausdruck. „Bei der Navy also. Dann dürfen wir annehmen, dass sie nach …“ er sucht die entsprechende Stelle auf dem Papier in seiner Hand, „… nach einem halben Jahr auf See mit Booten recht gut vertraut sind, ja? Und mit der Zeit, die ein Mensch im Wasser überleben kann vermutlich auch?“ Owen hat sich schon halb aufgerichtet, um seinen Einspruch vorzubringen, als Starrick bereits abwinkt und zu seinem Tisch zurückkehrt. „Das nehme ich zurück. Keine weiteren Fragen euer Ehren.“ Mir brennt eine gepfefferte Antwort auf den Lippen, doch ich bleibe stumm. Owen hat mir eingebläut, dem Gericht keine Informationen zu geben, nach denen der Staatsanwalt nicht explizit gefragt hat. Es ist auch besser, mich an dieser Stelle nicht weiter zu rechtfertigen, sondern den Mund zu halten, denn Rechtfertigungen machen die Sache meistens schlimmer. Trotzdem bin ich wütend, weil ich an dieses Detail nicht gedacht habe. Zu Orientierungszwecken konnten wir nach dem ersten Semester unterschiedliche Einheiten besuchen. Da ich den Stützpunkt Borden bereits kannte und mit Flugzeugen und deren Technik vertraut war, habe ich mich für die Navy entschieden. Neben Flugzeugen interessiere ich mich für Boote, habe in Schweden einen Bootsführerschein gemacht und während meiner Ferien oft genug bei Hochseefangflotten ausgeholfen. Aus diesem Grund und nur aus diesem Grund habe ich mich ein halbes Jahr einem Navystützpunkt zuweisen lassen. Am Ende hatte die Fliegerstaffel in Borden aber die… sagen wir: überzeugenderen Argumente. So oder so: Ich war bei der Navy. Ich habe mehrere Einsätze an Bord eines Schiffes begleitet. Ich habe den Bootsführerschein und natürlich habe ich auch einen Lehrgang zum Thema Seenotrettung absolviert. Aber das zu erklären, ohne mich tiefer in die Scheiße zu reiten, erscheint mir gerade unmöglich und ich bin davon überzeugt, dass Nathan Starrick nur darauf wartet, mir jedes Wort im Mund umzudrehen. „Haben sie noch Fragen an ihren Mandanten?“ Der Richter wendet sich an Owen und endlich rutscht mein Blick wieder zu unserem Verteidiger und Alexander, der neben ihm sitzt. Der Deutsche sieht wirklich nicht gut aus. Ich will mir nicht ausmalen, welche Erinnerungen die Worte des Staatsanwalts eben bei ihm ausgelöst haben. Das scheint auch Owen bemerkt zu haben, denn er verneint die Frage, erhebt sich aber trotzdem. „Die Verteidigung bittet um eine Unterbrechung von zwei Tagen.“ Starrick kann sein Auflachen nicht unterdrücken. „Die helfen Ihnen auch nicht weiter..“ ätzt er in Richtung seines Kollegen. Der Richter sieht auch wenig begeistert aus, doch Owen ist zu professionell, als dass er sich davon hätte einschüchtern lassen. „Die Staatsanwaltschaft hat entschieden, meinem Mandanten seinen militärischen Werdegang zur Last zu legen. Es ist unser gutes Recht, auf diese Anschuldigungen angemessen zu reagieren, doch um Mr. Svenssons ehemalige Vorgesetzte zu laden, braucht es mehr als eine Unterbrechung von 5 Minuten.“ Starrick verdreht die Augen. „Und was sollen uns die Vorgesetzten von Mr. Svennsson ihrer Meinung nach sagen?“ Owen zuckt nicht mit der Wimper. Er hat keine Ahnung, was ich sechs Monate lang bei der Navy gemacht habe, doch anscheinend ist ihm das vorerst auch egal. Er will Zeit schinden, das wissen hier alle. Aber es ist eben auch sein gutes Recht genau das zu tun. „Das ist nicht an Ihnen zu entscheiden, sondern am Vorsitzenden und der Jury.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)