Transmutation von abgemeldet ================================================================================ Prolog: Bitten -------------- Sein schmerzerfüllter Schrei zerbrach die Stille der Nacht. Die Wände der Hochhäuser warfen den schrecklichen Laut zurück, immer wieder, bis er endlich verklang. Leise, ganz leise, fast unhörbar, erklang ein Wimmern. Ein Wimmern aus tiefster Seele. Warum hatten sie das getan? Warum? Und warum tat es so verdammt weh? Leon presste seine Hand auf die blutende Wunde an seiner Seite, unterhalb seiner Rippen. Er hatte das Gefühl, als würde ihm ein ganzes Stück seines Fleisches, seines Körpers dort einfach fehlen. Als hätten sie es mit ihren scharfen Zähnen einfach heraus gerissen. Eine Blutlache hatte sich unter seinem Körper gebildet, das Blut hatte sich schon in seine Jeans gesogen, während er auf allen Vieren auf dem verdreckten, von Abfall übersätem Boden verharrte und die Pein ertrug. Was hatten sie für einen Grund gehabt? Was waren sie überhaupt? Sie sahen aus wie Hunde, große Mischlinge. Nichts besonderes, Streuner, oft gesehen in einer so großen Stadt. Leon hatte sich eingebildet zu sehen, wie einer von ihnen wuchs, fast menschliche Gestalt annahm und diese Fratze, dieses Ungebilde von einem Kopf, hatte ihn angelächelt. Doch er musste sich getäuscht haben, denn als er das nächste Mal hingesehen hatte, war es nur noch ein ganz normaler brauner Streuner in Begleitung von zwei anderen Hunden gewesen. Eine kleine Saite in seinem Körper hatte begonnen zu vibrieren. Er wusste nicht, was sie ausdrücken wollte. Angst, Gefahr...Erregung, weil dieser Teil seines Ichs wusste, was kam? Die Hunde begannen zu knurren, und jetzt fühlte er wirklich Angst. Das Nackenfell der Tiere war gesträubt gewesen, ihr Schwanz buschig, ihre Gesten bedrohlich, ihre Zähne gebleckt. Und der 18jährige wich zurück, sie drängten ihn regelrecht, bugsierten ihn gezielt ihn eine verlassene Gasse, immer weiter hinein, fast wäre er über eine dieser blöden, überfüllten Mülltonnen gestolpert, doch stattdessen fiel nur der Deckel scheppernd zu Boden, und fast hätten Panik und Hysterie den Schwarzhaarigen übermannt. Doch er erinnerte sich, dass seine Mutter ihm als Kind immer gepredigt hatte, er solle ja nie vor ihrem Hund, Ranger, weglaufen, denn dann würde dieser ihm folgen und ihn zu Boden reißen, rein aus Instinkt. Also versuchte Leon sich unter Kontrolle zu halten, seine Gefühle zu zähmen, und einfach weiter zurückzuweichen. Und plötzlich blieben sie stehen, doch nur zwei von ihnen, der eine kam auf ihn zu, und angsterfüllt drängte sich der junge Mann an die kalte, abweisende Wand, und atmete erleichtert aus, als das Tier an ihm vorbeilief, um sich nach ein paar Metern umzudrehen und dort auszuharren, ihn aus seinen stechend gelben Augen ansehend. Plötzlich begannen sie wieder zu knurren, drohend, aber nicht wirklich gefährlich. Wieder veranlasste dieser bestimmte, kleine Teil seines Selbsts ihn von der Wand wegzurücken und auf die Mitte des Weges zu treten, und die Streuner hörten auf zu knurren. Aus ihren beißend intensiven Augen starrten sie ihn an, und Leon glaubte eine Intelligenz darin zu finden, ein Gewissen, ein Denken, das er noch nie bei einem anderen Tier gesehen hatte. Und sein Körper fing an zu zittern, sein Gesicht war blass, ängstlich, während seine braunen Augen weit aufgerissen waren, sie flackerten zwischen den Tieren hin und her, immer alles im Blick haben wollend. Seine Finger hatte er in seine dünne Jeansjacke verkrampft und die Knöchel traten schon weiß unter der Haut hervor, so fest krallte er sich in den Stoff. Doch diese bernsteinernen Augen ließen ihn nicht mehr entkommen, als er sie wieder ansah. Sie gehörten dem braunen Streuner, von dem er dachte, es hätte eben plötzlich menschenähnliche Gestalt angenommen, grässlich entstellt, wie in einem dieser Horrorfilme, wo der Hauptdarsteller gleich darauf schreiend davon lief. Leon war wie gebannt, wie fasziniert von diesem Tier, bemerkte nur nebenbei, wie sich die Muskeln unter dem struppigen Fell anspannten und es nach vorne schoß, seine Fänge in die Seite des Schwarzhaarigen grub und diesen unaufhaltsam zu Boden riß. Der junge Mann war wie stumm. Er brachte keinen einzigen Ton über die Lippen, um den Schock und den Schmerz auszudrücken. Dumpf landete er auf dem steinharten Boden, der Hund, war es denn überhaupt ein Hund? Kein Wolf?, flüsterte ein kleiner Teil seines Selbst ihm leise zu; ließ von ihm ab, und er hörte nur noch das Kratzen der Krallen auf dem Asphalt, als sie verschwanden und ihn zurückließen, ihn hinterließen, wie ein Stück weggeworfener Müll, den man nicht mehr braucht und der keine Beachtung mehr verdient. Leon arbeitete sich auf alle Viere hoch, hörte das leise Tropfen des Blutes auf den Boden, tastete nach der zerfetzten Stelle in seiner Jeansjacke und ein Schmerzensschrei entfloh ihm, als er die Wunde berührte. Seine Gedanken kehrten in die Gegenwart zurück, rissen sich nur schwerlich von dem Augenblick los, der wie ein Film immer wieder vor seinem inneren Auge ablief, der braune Schatten, der auf ihn zusprang, sich in ihm verbiß und ihn niederriß. Das Blut in seinen Adern schien zu kochen, zu pulsieren. Er fühlte die Gefäße anschwellen, wie sie aus seiner Haut hervor traten. Er hustete, würgte und spuckte Blut auf den feuchten Boden. Schweiß bildete sich auf seinem Körper, diese unerträglichen Schmerzen! Könnte er sich bewegen, hätte er einen geeigneten Gegenstand, er hätte keinen Moment gezögert, sich auf der Stelle umzubringen. Alles, wirklich alles, war besser als dieser Pein standhalten zu müssen, die immer wieder von neuem wie Wellen von der klaffenden Wunde ausgesandt wurde und seinen Körper zum Erbeben brachte. Der Schwarzhaarige hatte Kopfschmerzen, so unerträgliche Kopfschmerzen, als würde ein Presslufthammer in seinem Kopf wüten. Gequält schloss er die Augen, versuchte alles zu verdrängen, auszusperren, von seinem bewussten Denken fernzuhalten, doch es ging nicht, im Gegenteil. Es wurde nur noch schlimmer. Sein Herz schlug doppelt so schnell wie normal, er hatte das Gefühl, es würde gleich explodieren. Seine Muskeln zitterten, zogen sich zusammen, nur um sich in fast demselben Augenblick wieder zu entspannen. Leon wollte schreien, er wollte seinen Schmerz in die Welt hinaus brüllen, doch kein Laut kam über seine Lippen, es war, als hätte der Hund, Nein, Leon, der Wolf, der Werwolf , seine Stimmbänder zerfetzt. Immer wieder knackte und krachte es, immer neue Pein gebar sein Körper, es fühlte sich fast so an, als würden seine Knochen nacheinander jeder einzelne brechen und wieder zusammen wachsen, doch anders als zuvor. Wie lange konnte er das noch ertragen? Er fühlte sich jetzt schon dem Tod näher als dem Leben, er konnte fast seine kalte Hand fühlen, die er nach ihm ausstreckte, er wisperte seinen Namen durch die Dunkelheit, und Leon wollte nachgeben, wollte sich ihm hingeben, doch er konnte nicht. Irgendetwas in ihm hielt ihn fest, hielt ihn in dieser Welt und zog ihn von der errettenden Hand weg. Jetzt ist nicht die Zeit zu sterben, Leon. Wieder diese Stimme. Die sich einmischte. Die alles besser wusste, seine Sätze veränderte, vervollständigte, andere, seltsame Dinge einfügte. Und plötzlich, auf einen Schlag, verschwanden die Schmerzen, als wären sie nie dagewesen. Der Schwarzhaarige hielt inne, wagte immer noch nicht zu rühren, und was er fühlte, was er unter seinen Blut verschmierten Fingern spürte, versetzte ihn in Entsetzen. Da war keine Wunde mehr. Nur noch das vergossene Blut zeugte davon. Doch die Wunde selbst war nicht mehr vorhanden! Als hätte sie nie existiert... Taumelnd erhob sich Leon auf die Beine, blickte zuerst auf die riesige, im Mondlicht schimmernde Blutlache, dann auf seine Jeanshose, die sich angefangen von den Knien mit Blut voll gesogen hatte, und seine linke Hand, voll warmen, verklebten Blut. Ein Auto fuhr die verlassen Straße mit überhöhter Geschwindigkeit entlang, und der Schwarzhaarige presste sich die Hände auf die Ohren. So laut, warum war das verdammte Auto so laut? Er hatte das Gefühl, sein Trommelfell würde platzen. Nach Hause, Leon. Geh nach Hause, du musst dich ausruhen. Mit kraftlosen Schritten, langsamen Bewegungen leistete Leon dieser Aufforderung Folge. Er war so verdammt müde... Hosted by Animexx e.V. 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