Schatten der Vergangenheit von Ace_Kaiser ================================================================================ Kapitel 18: Pause? ------------------ "Du hast aber auch ein Pech", sagte Mamoru grinsend. Er tätschelte dem weißhaarigen jungen Mann die Schulter. "Andererseits aber auch eine Menge Glück. Mir will niemand einfallen, der an deiner Stelle den direkten Beschuss durch eine Kanone überlebt hätte." Akira Torah lächelte verbissen, um seine wahren Gedanken, seine deprimierenden Gefühle nicht zu offenbaren. Er wusste, dass er dem Tod diesmal nur sehr knapp von der Schippe gesprungen war. Das wievielte Mal war es gewesen, seit dieser Konflikt begonnen hatte? Das fünfte Mal? Das siebte Mal? Nachdem mit einer zur Kanone umgebauten Steuerdüse für das Seelenschiff auf ihn gefeuert wurde, hatte er keinerlei Zweifel mehr daran, dass er den Konflikt nicht überleben würde. "Wissen wir, wie viele Kanonen die Russen gebaut haben? Und wissen wir, wie sie die Dinger abfeuern? Ich meine, das war keine Sailorkraft, die mich getroffen hat." "Du spielst auf die Tatsache an, dass das Seelenschiff über tausende von Jahren mit Hilfe der Lebensenergie von Lebewesen geflogen ist, richtig? Ja, das ist die Energie für den Hauptantrieb. Der Rest ist ein wenig technischer. Die Korrekturdüsen zum Beispiel arbeiten nach einem anderen Prinzip. Sie stoßen Plasma aus, ein Gemisch aus ultrahocherhitztem Gas und projizierten und gerichteten Magnetfeldern, die bis zu zehntausend Grad heiß werden. Das Gas expandiert, die Magnetfelder richten es aus, und somit wird mit kleinem Aufwand eine große Schubwirkung ausgelöst. Oder eine Waffenleistung, wie wir wissen. Die GunSuits..." "Ja, ich weiß. Mir war da schon klar, dass die Blaster keine Sailorkraft verwenden", sagte Akira. "Aber wir müssen uns wohl darauf einstellen, dass wir in naher Zukunft gegen Menschen antreten müssen, die ähnliche Fähigkeiten haben wie wir. Vielleicht nicht Usagis Kraft und ihre lange Kampferfahrung. Aber an mir und den anderen Generälen kannst du ja sehen, wie schnell man aufholen kann, wenn man muss." "Wie kommst du jetzt darauf?", fragte Mamoru irritiert. "Die Sailorkraft ist etwas, das in allen Menschen steckt, richtig? Sie nutzen sie nur nicht, beziehungsweise wissen nicht, wie sie genutzt wird. Damals, als Usagi ihre ersten Kämpfe gegen das Dunkle Königreich bestritten hat, wurden Menschen mit Dämonen aus Metallias Eingeweiden infiziert, Ablegern ihrer Selbst. Diese Dämonen hatten niemals alleine genug Kraft, um aus den Menschen derart bizarre Gestalten zu machen, die als Dämonen gekämpft haben. Das Gleiche ist mit der DemonSeed geschehen. Sie haben die Sailorkräfte der Menschen angezapft, die sie infiziert haben. Nur dadurch gab es diesen Aufschwung an Kraft und Fähigkeiten. Und diese merkwürdigen Verwandlungen in riesige und unförmige Bestien. Es waren Rüstungen, so wie meine Uniform oder Usagis Prinzessin Serenity-Kleid." "So habe ich das noch nicht gesehen", sagte Mamoru verblüfft. "Aber es erklärt einiges. Und deine Schlussfolgerung gefällt mir überhaupt nicht. Was, wenn wir tatsächlich mit anderen Menschen konfrontiert werden, die uns mit Fähigkeiten bekämpfen, die unseren so ähnlich sind? Sieben Milliarden Menschen auf der Erde, da muss es doch mit dem Teufel zugehen, wenn es nicht ein paar Menschen gibt, die über enormes latentes Potential verfügen." Er blinzelte. "Wann ist dir das denn aufgefallen?" "Als ich dachte, ich würde in Atome zerschossen werden. Wenn du den Tod vor Augen hast, machst du ziemlich merkwürdige Erfahrungen. Ich zum Beispiel habe mich gefragt, warum ich nach Japan gekommen bin, obwohl dies das Land der Sailor-Fähigkeiten ist. Dieser Japan-Chauvinismus, den unsere Fähigkeiten mitbringen, ist dir das nie aufgefallen?" "Nicht wirklich. Ich war immer nur heilfroh, dass nicht die ganze Welt durchdreht und dass die Bedrohungen artig und brav zu uns nach Tokio gekommen sind. Als das Seelenschiff ankam und seine Seelenenergie-Ernter über die ganze Welt verstreut hat, war ich ehrlich gesagt reichlich irritiert. So nach dem Motto: Das dürfen die doch gar nicht, die müssen doch hier nach Japan kommen." Er lachte unsicher. "Ich verstehe, was du sagen willst. Aber bedenke, hier liegt das zukünftige Zentrum der Welt. Crystal Tokio wird der eine Punkt sein, an dem sich die Zukunft ethisch und moralisch orientieren wird, um aus unserer Gesellschaft eine wirklich friedfertige und progressive Gemeinschaft zu machen. Für alle. Dafür werden wir noch viel tun müssen, abgesehen davon, dass wir die Kämpfe überleben müssen, aber solange die kleine Usagi keine Auflösungserscheinungen zeigt, bin ich sicher, dass wir auf dem richtigen Weg sind." "Was vielleicht der Grund ist, warum die Mächtigen der Welt glauben, uns vernichten zu müssen. Frieden ist schlecht fürs Geschäft." Akira zog die Stirn in Falten. "Warte mal, vier Fabriken, ein paar hundert Rüstungen, dazu diverse Militäreinsätze, ich schätze, eine ganze Industrie kann dieses Jahr prozentual dreistellige Zuwachsraten verzeichnen." "Und das ist Grund genug für einen Krieg?", fragte Mamoru. "Ja. Sieh dir die Beute an, die sie gewinnen können. Stell dir vor, das SilverMillenium fällt ihnen in die Hand, und mit ihm all die Technologie, die wir ihnen bisher vorenthalten haben." "Was nicht viel ist, auch wenn wir durch unsere Produktionstechnologien klar im Vorteil sind", schränkte Mamoru ein. "Und wenn sie die Botschaft zerstören, zerstören sie auch die Technologien, nicht?" "Sie werden in den Resten graben. Oder ein paar Jahre warten, bis sie den Mond direkt angreifen können. Die Schubdüsen haben sie schon. Ein Raumschiff drumherum zu bauen ist die kleinere Aufgabe." "Na, das sind ja Aussichten", grummelte das Licht der Erde. "Im Übrigen sind wir dabei, das Seelenschiff flott zu machen. Ursprünglich wollten wir nur ein paar Hüpfer zu den anderen Planeten im System machen und dazu international Forscher und Astronauten einladen. Aber wir sind zuversichtlich, das Riesenbaby so weit hinzubiegen, sodass wir es schaffen, ein Dutzend Lichtjahre oder mehr zurückzulegen. Weit genug, um die Heimatwelt der Starlights zu erreichen, wo man uns mit Freude aufnehmen wird. Sagt zumindest Seiya." "Ist das der Notfallplan? Die Sachen packen und abhauen?" Mamoru nickte. "Bevor es richtig übel wird, werden wir rund fünfzigtausend Menschen evakuieren können. Also das ganze SilverMillenium und noch drei-viertausend weitere, die uns begleiten wollen. Aber das ist wirklich nur der allerletzte Ausweg, den wir nehmen werden, wenn die Botschaft zerstört wurde und der Tunnel zum Mond nicht mehr steht." Mamoru ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten, als er daran dachte. "Ich bin nicht bereit, die Segel zu streichen!", brauste Akira auf. "Noch sind wir nicht besiegt, und..." "Du, mein Freund, wirst hier in diesem Bett liegen bleiben und die Segel gestrichen lassen", bemerkte Mamoru amüsiert. "Du hast mächtig einen vor den Bug gekriegt, und bevor nicht jeder einzelne Arzt, den ich auf dich hetze, sein Okay gibt, dass du nicht im nächsten Moment aus welchen Gründen auch immer tot umfällst, wirst du dich erholen. Man hat mehrfach auf dich geschossen! Das muss sich auf dich auswirken! Auch wenn dein Körper in Ordnung ist oder in Ordnung erscheint, dein Verstand muss einen mitgekriegt haben. Aber ja doch, wir sind nicht besiegt, und noch fliehen wir nicht. Es wäre auch mehr als ungerecht gegenüber Japan und all seinen Bewohnern, die sich auf uns verlassen. Zu Recht. Wir haben immer noch eine veritable Chance, diesen Konflikt als Gewinner abzuschließen und Crystal Tokio zu erschaffen." "Ich habe ja auch gar nicht gesagt, dass ich selbst mitmischen will", murrte Akira. "Sei unbesorgt, ich bleibe brav im Bett und kuriere mich aus." Mamoru sah den Freund misstrauisch an. "Wer sind Sie? Und was haben Sie mit Akira Torah gemacht?" "Ha, ha, ha. Sehr witzig. Ist es so undenkbar, dass ich die Schnauze voll davon habe, immer als Erster von neuen Waffensystemen beschossen zu werden? Also, wie viele Dinger haben die Russen jetzt?" "Keine Ahnung. Unsere Agenten vor Ort waren sich der Strukturen rund um die GunSuit-Fabriken bisher nicht bewusst und haben sie entsprechend auch nicht infiltriert. Aber es existieren ein paar Aufnahmen, die wir aus der Stratosphäre mit einem Beiboot geschossen haben. Pyramon hat es kommandiert. Soweit wir sehen können, läuft der Baikal-See gerade wieder voll. Große Landflächen, die zuvor durch Austrockung frei wurden, sind überschwemmt worden. Dabei sind auch die Gebiete, von denen wir dachten, sie lägen noch unter Wasser - jetzt tun sie es. Pyramon meinte auch, er habe die Überreste der Kanone und die GunSuit-Fabrik entdeckt. Oder deren Reste." "Na, immerhin. Aber damit wissen wir immer noch nicht, ob und wieviele die Russen noch haben. Sie bauen sie in die GunSuits ein. Es fehlt nicht viel dazu, sie in Kampfflieger einzubauen. Die sind nicht so flexibel und wendig wie GunSuits, aber sie haben Tausende davon." "Davon werden sie wohl eher Abstand nehmen", meinte Mamoru grinsend. "Fast dreihundert ihrer Piloten sind über dem japanischen Meer zu uns desertiert. Insgesamt sind es mehr als eintausend Maschinen, Jagdflieger wie taktische Bomber, die zu uns übergelaufen sind. Im Moment sind sie in Bereitschaft auf Hokkaido und in Südkorea, aber die Piloten haben ein Komitee gebildet, das uns jedwelche Form von Hilfe bei der Abwehr jener Kampfflieger zugesagt hat, die immer noch auf dem Weg zu uns sind. Du weißt schon, alles aus dem südasiatischen Raum, und aus Mittelasien. Daher werden die Machthaber keine Menschen einsetzen, sondern vermehrt auf unbemannte GunSuits setzen. Die können nicht desertieren." "Ich habe davon gehört. Makoto hat welche über dem japanischen Meer getroffen." "Über dreihundert. Und wie sie sie getroffen hat. Verdammt gut sogar." Der Witz war billig, zudem in keinster Weise amüsant, aber die beiden Freunde prusteten und begannen dann aus vollem Hals zu lachen. Als ihr Gelächter verebbt war, fasste sich das Licht der Erde ein Herz. "Also raus damit. Wann gedenkst du, aus dem Krankenbett zu desertieren und dich der kämpfenden Truppe anzuschließen? Usagi und ich sind der Meinung, dass du genug einstecken musstest. Außerdem hat der letzte Schlag deine Sailorkräfte so ziemlich auf Null ausgelaugt, es wäre also ein Risiko für dein Leben, dich kämpfen zu lassen." Abwehrend hoch Akira beide Hände. "Ich gebe zu, mir gefällt es hier nicht. Ich langweile mich. Und euch fehlt ein General an der Front, je länger ich hierbleibe. Wärst du damit einverstanden, wenn ich mich auf eine taktische Position im Hauptquartier beschränke?" "Eventuell - wenn du dich einen halben Tag lang erholt hast. Und dann kommandierst du wirklich einen Schreibtisch, oder was auch immer Ihr Militärs macht, wenn Ihr hinter den Linien steht und die weiter vorne koordiniert." "Du meinst eine taktische Karte." "Was auch immer. Aber ist das angekommen? Ich habe eine Wache vor der Tür platziert, die dafür sorgt, dass du hier liegen bleibst, und... Hm, schläfst? Um dich zu erholen? Wir haben gerade Luft, weil der Schlag im Nordosten abgewehrt ist, und weil Minako und Jedithe die fünf Problem-Unterseeboote an der Ostküste ausgeschaltet haben. Ich denke nicht, dass mehr passiert, bevor die zwei- dreitausend Kampfflieger aus Mittelasien angreifen können. Vorher würde ich meine GunSuits jedenfalls nicht riskieren." "Vier Stunden." "Zehn." "Sechs." "Acht. Und das ist mein letztes Wort. Außerdem, bevor du deine Beine hier rausschwingst, wird Doktor Mizuno ihr Okay dazu geben, klar?" "Einverstanden. Doktor Mizuno? Amis Mutter?" "Richtig. Sie hat sich freiwillig gemeldet, um unten im provisorischen Lazarett zu dienen, genau wie Usagis Mutter. Aber bisher reichen die Betten hier im regulären Hospital der Botschaft, und wir hoffen, das bleibt auch so." Akira runzelte die Stirn. "Gerade wollte ich dich bitten, mich runter in die Halle ins provisorische Lazarett zu verlegen, damit ich mich nicht so langweile. Aber da ist noch weniger los?" Mamoru konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. "Wir haben zu wenige Verluste. Ein paar Kreislaufkollapse bei unseren Freunden vor der Botschaft, einige Schrammen und blaue Flecken. Wir versorgen ambulant, kaum stationäre Aufnahmen. Also, ich finde das gut." "Ja, besser, als wenn die Halle voll wäre." Akira fühlte einen Schauder über seinen Rücken gehen. "Zum Beispiel nach einem nuklearen Angriff." "Oi, mal den Teufel nicht an die Wand", sagte Mamoru. Er schüttelte sich bei diesen Worten, als hätte er etwa Saures getrunken. "Jedenfalls ist Michiru bereits aufgebrochen. Ihr Team - also dein altes Team - greift die GunSuit-Fabrik im südchinesischen Meer an. Diesmal wurden sie nicht beim Durchgang beschossen, also nehmen wir an, China hat die Kanone noch nicht. Oder setzt sie zumindest noch nicht ein. Und wenn wir erst mal Chinas GunSuit-Fabrik ausgeschaltet haben, wird es dauern, bevor das Land die Neubauten in Betrieb nehmen können, die es zweifellos vorbereitet hat. Das gibt uns Zeit, auch diese zu finden und zu vernichten. Du siehst, im Moment sieht es sehr gut für uns aus, auch ohne dich, Herr Akira." "Isjagut. Ich habe verstanden. Also werde ich mich erholen, meine Akkus wieder auffüllen und darauf warten, dass ich wieder gebraucht werde." "Na, dann ist ja gut." Mamoru erhob sich. "Usagis Mutter sitzt vor der Tür, versuche also gar nicht erst, dich rauszuschleichen. Ich weiß, dass du ihr nicht widersprechen kannst. Und Doktor Mizuno hat auf dieser Etage Bereitschaft und ist nur einen Ruf weit entfernt. Ich weiß, dass du vor ihr Schiss hast. Also versuch etwas zu schlafen. In zwei, drei Stunden, wenn Doktor Mizuno ihr Okay gibt, darfst du aufstehen und herumgehen, okay? Junge, Junge, begreifst du eigentlich, was für ein Glück du gehabt hast? Du bist aus der Nummer rausgekommen, ohne einen Kratzer, ohne eine Verbrennung. Allerdings wärst du wegen mangelnder Sailorkraft zu Atomen zerblasen worden, hätte Motoki dich nicht aus dem Strahl rausgehauen." "Es ist ja nicht so, als würde ich gar nichts spüren. Mein ganzer Körper fühlt sich steif und schwer an", murrte Akira. "Und musstest du gleich zwei auf mich ansetzen? Usagis Mutter und Amis Mutter?" "Ich mag dich halt." Erneut tätschelte Mamoru die Schulter des Freundes. Er erhob sich und wandte sich zum Gehen. "Ach, falls du, wenn du nachher rumgehen kannst, zwei obskure Gestalten mit Kapuzenmänteln siehst, die sich merkwürdig benehmen und sich überall im Turm herumtreiben - das geht in Ordnung. Es sind alte Feinde von uns." "Und dann geht es in Ordnung?" Das Licht der Erde lachte. "Der Usagi-Effekt, Akira. Heute sind es Freunde. Sie bereiten... Nun, eine besondere Verteidigung vor, die uns noch sehr nützlich sein wird." "Aber sie wollen nicht erkannt werden?" "Nein, das ist es nicht. Sie mögen diese Kapuzenmäntel einfach nur." Mamoru tippte sich mit dem rechten Zeigefinger auf die Stirn. "Wenn du mich fragst, haben beide eine Schraube locker." "Na, dann passen sie ja wunderbar hierher", erwiderte Akira. Mamoru lachte. "Ja, das habe ich auch gedacht. Also, dreh dich auf die Seite und versuch zu schlafen. Ich verspreche dir auch, ich rufe dich, falls wir so sehr auf Grundeis gehen, dass wir selbst das bisschen Kraft noch brauchen, das dir im Moment geblieben ist." "Das, was ich gerade denke, würde selbst Makoto rot anlaufen lassen, alter Freund." "Kann ich mir vorstellen. Ich war oft genug in meinem Leben selbst hilflos den Launen anderer ausgesetzt oder unfähig zu handeln. Als Galaxia mich entführt hat, zum Beispiel. Oder damals, als mich Beryll kräftig hirngewaschen hat... Nicht gerade meine glanzvollsten Momente. Aber so ist es nun mal. Manchmal geht es einfach nicht, und dann muss man sich auf seine Freunde verlassen." Mamoru Chiba lächelte sanft. "Du hast viel geleistet. Sehr viel sogar, Aki-chan. Ein anderer wäre vielleicht längst gestorben, hätte er ertragen müssen, was dir passiert ist. Ab jetzt lass bitte uns kämpfen. Für dich mit kämpfen. Wir retten die Welt, versprochen." "Nun geh schon, und mach deine Arbeit", murrte Akira, um seine Rührung zu überspielen. "Ich kann sonst nicht schlafen. Und das muss ich doch, wenn ich wieder aufstehen will, richtig?" "Richtig. Ach, nur für den Fall, dass du mich hier nach Strich und Faden an der Nase herumführst: Solltest du stiften gehen, bevor du dazu die Erlaubnis hast, und wir fangen dich wieder ein, ketten wir dich in Amis Labor an. Da kannst du dann zusehen, wie Taiki und Ami die GunSuit-Technologie erforschen und dich noch mehr langweilen." "Du, Licht der Erde, bist ein sehr perfider Mensch." Mamoru zuckte die Achseln. "Ami ist der einzige Mensch, auf den du immer hörst. Ist nur eine logische Entscheidung." Er zwinkerte, öffnete die Tür und trat hinaus. "Ja, er versucht jetzt zu schlafen, Oka-chan", hörte Akira den Freund mit Usagis Mutter reden. "Aber falls er versucht, abzuhauen..." "Keine Sorge, Mamo-chan", antwortete Ikuko Tsukino. "Ich habe Usagi und Shingo groß gekriegt. Ich bin mit jeder Form von störrischem Verhalten vertraut." Die Tür schloss sich und schnitt die Unterhaltung der beiden ab. Akira war dankbar dafür, denn das bedeutete, dass er allein war. Allein. Für sich. Wieder. Für einen Moment fragte er sich, warum Yaten nicht hier war. Aber sie befanden sich im Krieg, und die Fähigkeiten von Sailor Starhealer wurden vom SilverMillenium beim Angriff auf die chinesische GunSuit-Fabrik mehr gebraucht als er ihre Anwesenheit an seinem Krankenbett brauchte. Er seufzte lang und tief und ließ sich wieder in sein Kissen fallen. Okay, vielleicht würde er doch nicht sterben. Nach diesem Gespräch erfüllte ihn eine Zuversicht, die er noch vor einer halben Stunde nicht einmal ansatzweise verspürt hatte. Hatte er Hotarus Worte fehlinterpretiert? Gab es einen Ausweg? Er wollte daran glauben, wirklich daran glauben. Seine Hände krallten sich in seine Bettdecke, und bevor er es sich versah, forderte die Erschöpfung ihren Tribut, und er schlief erneut ein. *** Auf einem wohlbekannten Balkon des Turms, der in den letzten Tagen Mittelpunkt von einiger Aufregung gewesen war, standen zwei junge Mädchen und ein Mann. Sie sahen den Balkon hinab, auf die Menschenmenge der Unterstützer des SilverMilleniums. Ihre Zahl war noch weiter angewachsen und lag nun bei fünfhunderttausend. Aus ihren Reihen waren etliche Menschen rekrutiert worden, die nun die GunSuits bemannte, die mit Milleniumstechnologie hochgerüstet worden waren, um die Botschaft und ultimativ Japan zu verteidigen. Eventuell sogar die ganze Welt, aber mindestens den Mond. Der junge Mann mit den weißblonden Haaren hatte beide Hände schwer auf den Balkon gestützt und sah hinab. "Warum nicht?", fragte er schließlich, wohl auf eine frühere Bemerkung der beiden Frauen. Usagi, die Tochter SailorMoons, lächelte undefinierbar, aber es war eine gewisse Nervosität darin erkennbar. "Weil ich dich darum bitte, Helios. Nur noch ein bisschen. Ein kleines bisschen länger." Der junge Mann, der bereits über achttausend Jahre alt war, sah sie mit einem Blick voller Wehmut und Schmerz an. "Ich will helfen, Usa-chan!" "Das kannst du und das wirst du, Heli-kun", sprang Hotaru ihrer Freundin zur Seite. "Sehr bald schon." Er sah die beiden Mädchen an und atmete heftig aus. "Es wäre wesentlich einfacher, wenn Ihr mich einfach in alles einweiht, was Ihr wisst, anstatt mich im Unklaren zu lassen, was noch passieren wird. Dann könnte ich viel effektiver helfen." Usagi und Hotaru wechselten einen schnellen Blick, den Hotaru mit einem harschen Nein beantwortete. "Aber Hotaru-chan, wir..." "Gewiss, er ist schon ein paar Jahrtausende älter als wir. Gewiss, er hat mehr gesehen, mehr erlebt als wir, er war sogar zugegen, als das alte SilverMillenium noch existiert hat. Er kannte Akira und die anderen noch vor der Wiedergeburt. Aber er kann nicht durch die Zeit reisen und er kann auch nicht in die Zukunft sehen. Punkt. Wenn wir jetzt an diesem Punkt ein falsches Wort sagen, wenn es die falsche Person hört, kann es die Zukunft vernichten, so wie wir sie kennen. Und das ist nicht gut." "Du meinst die Zukunft, in der die Angriffe der Familie des Bösen aus der Protozukunft diesen ganzen Landstrich hier bis auf den Turm vernichtet haben werden?", warf Helios sarkastisch ein. "Diese Zukunft?" Hotaru zog die Augenbrauen zusammen. "Woher weißt du das?" "Ich habe so meine Quellen." Hotaru sah zur Seite. "Usagiiiii..." "I-ich konnte doch nicht wissen, dass es mal wichtig werden würde. Ich hielt es für eine ganz harmlose Information, und..." Verlegen biss sie sich auf die Lippe. "Verzeihung?" Hotaru atmete schwer aus und Helios seufzte. Diesem Blick zu widerstehen war schwer, auch wenn man ihn gewohnt war. So sehr sie im analytischen Bereich nach ihrem Vater schlug, so sehr waren ihre Persönlichkeit und ihr Charme ein Erbe ihrer Mutter. "Also ist es diese Zukunft wert, gerettet zu werden? Ein zerstörtes Land, soweit mein Auge reicht?" Helios deutete hinab. "Das Ende von so vielen dieser fünfhunderttausend Menschen?" "Ja", sagte Hotaru schlicht. "Das ist es." "Wie sehr?", fragte Helios gepresst, während seine Hände das Geländer umklammerten. Usagi sah die Freundin bittend an. "Oh nein, nicht den Hundeblick. Usa-chan, du weißt ganz genau, was hier auf dem Spiel steht, und... Usa-chan, das ist nicht fair!" "Aber... Aber... Aber... Er ist unser Verbündeter." Röte huschte über ihre Wangen. "Und er ist mein Freund. Ich meine, sein zukünftiges Ich wird es sein. So, jetzt habe ich es gesagt." Sie sah den Jungen an. "Überrascht?" Helios schmunzelte. "Es war etwas zu offensichtlich, als dass es nicht passieren würde. Mich wundert aber, dass dein Vater dem zugestimmt hat, auch wenn unsere gemeinsamen Wurzeln uralt sind." "Oh, er hat gesagt... Das heißt, er wird sagen: Ein bekannter Feind ist immer besser als ein unbekannter Feind", dozierte das Mädchen mit den rosa schimmernden Haaren lächelnd. Dabei sah sie ihrer Mutter zum Verwechseln ähnlich. Bis auf die Haare natürlich. "Damit wollte er sagen, dass..." "Schon klar, schon klar", wiegelte Helios ab. "Ich verstehe, was er sagen will. Ich verstehe nur nicht, dass er es ernst meint. Ich hätte meiner sechzehnjährigen Tochter jedenfalls keine Beziehung mit einem achttausend Jahre alten Schutzgeist erlaubt. Ich nicht." "Vater ist halt progressiv", verteidigte Usagi ihn. Helios prustete überrascht und erheitert. "Ja, sicher ist er das." Ärgerlich blies sie die Wangen auf. "Menno." "Und? Bringt es irgendwas, dass du es gesagt hast? Erfahre ich jetzt mehr? Wenn ihr mir schon nichts über die Zukunft sagt, dann wenigstens, warum ich hier auf dem Turm bleibe, anstatt mit meinen Freunden in dem Kampf zu ziehen." "Das liegt daran, dass..." Hotaru runzelte die Stirn. "Oh, oh. Tut mir leid, ich kann nicht bei euch bleiben. Ich muss mich voll und ganz auf den Kampf konzentrieren, und dazu muss ich diesen Körper aufgeben. Michiru und Haruka brauchen mich." Sie sah die Freundin noch mal streng an. "Du sagst nichts, verstanden?" "Ja, ja, schon gut", murrte das Mädchen aus der Zukunft. Hotarus Miene wurde zu einem Lächeln. "Das werden nämlich die beiden hier machen." Hinter ihr erschienen zwei großgewachsene Gestalten in Kapuzen. "Du hast gerufen SailorSaturn?", fragte der Größere der beiden. Hotaru nickte. "Weiht ihn ein, soweit es möglich ist, ohne die Zukunft zu verändern." Sie seufzte. "Usa-chan kann so eine Nervensäge sein." "Menno..." "Ich bin dann mal weg. Und macht keinen Blödsinn, ja?" Ihr Körper löste sich auf, als hätte es ihn nie gegeben. Tatsächlich war es gar nicht ihr eigener Körper gewesen, nur eine Manifestation. Ihr richtiger Körper und vor allem ihr Verstand befanden sich im südchinesischen Meer auf einer Insel, auf der GunSuits hergestellt wurden und schlug sich mit allerlei Gefahren rum - hauptsächlich in Form von chinesischen GunSuits. Die beiden Männer schlugen ihre Kapuzen zurück. Zum Vorschein kamen ein Mann mit langen weißen Haaren und ein Mann mit kurzen, blauschwarzen Haaren. Beiden gemein war, dass sie einen rötlichen Schatten auf der Stirn hatten, der mit etwas Phantasie einem Sichelmond glich, der mit beiden Spitzen gen Boden zeigten. Fast wirkte es, als wäre dort etwas entfernt worden. Helios sprang zurück, als er die beiden erkannte. Sarkastischerweise beförderte ihn das über das Balkongeländer hinaus. Überraschenderweise resultierte das nicht in einen tiefen Sturz, denn der Hüter des Goldenen Königreichs stand in der Luft, so als hätte er festen Boden unter seinen Füßen. Er nahm eine Kampfstellung ein. "Diamant! Saphir!", stieß er hervor. "Halt, halt!", rief Usagi und stellte sich zwischen die beiden Männer und den jungen Hüter. "Die beiden sind Freunde! Sie sind wiedergeboren worden, als Mutter den Eispanzer um die Erde beseitigt hat, und... Nun, sie sind vom Einfluss des Wiseman befreit und sehen die Dinge nun anders! Verbündete! Du weißt, was Verbündete sind, Helios?" "Nun... Ja, klar. Aber sie werden es sein, die das Gebiet rund um den Palast vernichten werden!" "Nein, das siehst du falsch", sagte Diamant. Ein zynisches Lächeln spielte um seine Lippen, während seine Augen feucht schimmerten. "Tatsächlich haben wir es bereits getan." Saphir räusperte sich vernehmlich. "Das ist das Problem bei Zeitreisen. Wir sind älter, haben bereits alles erlebt, was sich zutragen wird, aber unsere jüngeren Selbst in der Zukunft werden überhaupt erst erleben und tun, was wir erlebt und getan haben. Und das ist der Punkt, an dem wir ansetzen müssen. Und auch werden, nebenbei bemerkt. Und der Schlüssel hierfür bist du, Helios-sama." "Sama? Versuche nicht, mich weich zu kochen, ja?", knurrte der Wächter. "Also, gebt mir mehr zu kauen! So viel, damit ich mitmachen kann." "Wie wäre es, wenn du erstmal wieder auf den Balkon zurückkommst?", fragte Usagi. "Es dreht mir den Magen um, dich zu sehen, während unter deinen Beinen nur fünfhundert Meter freier Fall sind." "Was? Oh. OH! Okay, ich komme." Helios stieß sich ab und landete wieder auf dem Balkon. "Ich nehme an, hier spielt nicht nur das eine Rolle, was Usa-chan und Hotaru-chan aus der Zukunft mitgebracht haben." "Es spielt alles eine Rolle", sagte Saphir. "Alles. Und wir sind hier und heute da, um alles zu einem Großen Ganzen zu verbinden und... Es zu verbessern. Das ist ja das einzig Gute an Zeitreisen: Man kann Dinge ändern. Auch ohne sie ändern zu müssen." Er lächelte verschmitzt. "Vorsicht, Bruder, du sagst zuviel", mahnte Diamant. "Ich denke, es war auf jeden Fall genug." Usagi nickte. "Helios ist nicht auf den Kopf gefallen." Der weißhaarige Junge zwinkerte verblüfft, als er ihre Worte hörte. "Natürlich bin ich nicht auf den Kopf gefallen, aber... Sollte das wirklich wahr sein? Plant Ihr so etwas... Großes? Aber wie... Womit... Was...?" "Es wird sich alles entscheiden, wenn Ami mal Schwein ist und die Vergangenheit hinter sich lässt. Den ganzen emotionalen Ballast, die Männer, einfach alles." Usagi stieß einen tiefen Seufzer aus. "Der gefährlichste Moment von allen. Denn wenn sie sich nicht löst, wenn sie in der Vergangenheit verhaftet bleibt... Nun, dank Taiki sehe ich davon nichts, aber man kann ja nie wissen." "Ist das wirklich der entscheidende Punkt?", zweifelte Helios. "Aber ja. An diesem Punkt treten wir in die Zukunft ein. Meine Zukunft. Ich werde gezeugt werden, geboren werden, in diese Welt treten, inmitten der Zerstörung dieses ganzen Gebiets meine erste Zeitreise antreten, um meine Mutter als Mädchen zu treffen und mit ihnen diese beiden hier aufzuhalten..." Diamant und Saphir schmunzelten bei ihren Worten. "Und ich werde dich treffen. Dafür bin ich am meisten dankbar." "Usa-chan", hauchte Helios ergriffen. Er langte nach ihren Händen. Sie überließ sie ihm bereitwillig. "Usa-chan..." Die beiden traten aufeinander zu, ihre Gesichter näherten sich, die Lippen waren kurz davor, sich zu berühren... "Ich denke, das reicht jetzt. Du wirst dich noch ein paar Jahre gedulden müssen", sagte eine elegante rosa Katze. Sie kam das Geländer entlang geschlendert, machte einen Satz auf seine Schulter und kam von dort auf Usagis Schulter, wo sie sich um den Hals legte. "Diana. Wo warst du?", fragte das Mädchen erfreut. "Ich hatte meine eigenen Probleme zu bewältigen, um sicherzustellen, dass ich geboren werde. Mutter ist wie immer ein furchtbarer Sturkopf, und Vater lässt sich wie immer vollkommen unterbuttern. Ich habe sichergestellt, dass Mutter für ihre ureigenste Entscheidung keine Ausreden erfindet." "Oder dass sie glaubt, es wäre ihre eigene Entscheidung?", fragte Usagi tadelnd. "Nun, ein wenig von beidem, denke ich", erwiderte die schlanke Katze grinsend. "Ich bin noch da, also muss der Part geklappt haben, denkst du nicht?" "Ich bin auch noch da. Also muss mein Part ebenfalls geklappt haben." Sie lächelte, errötete aber sofort. Hastig verbeugte sie sich vor Helios. "Entschuldigung! Wenn ich in die Zukunft zurückkehre, werde ich dich sehen können, dich berühren, dich küssen, dich... Nun. Aber du wirst warten müssen, achtzehn lange Jahre warten müssen, und..." "Und wenn schon. Zeit ist mir egal. Und auf dich zu warten lohnt sich allemal", erwiderte der weißhaarige Junge. Ergriffen seufzte Usa-chan. "Na gut, na gut", murrte Diana. "Ein Kuss, aber keine Zunge, okay? Als Versprechen aus der Zukunft." "Danke, Diana!" Zuerst stürzte sie Helios in die Arme, drängte sich an ihn, fühlte die Geborgenheit seiner Gegenwart. Dann küssten sie einander sanft, während er ihre Arme um sie gelegt hatte. "Genug jetzt", murrte die Katze und drückte die beiden auseinander. "Das reicht als Versprechen." Helios gab sie frei. Sanft berührte er seine Lippen. "Wenn ich es recht bedenke, dann sind achtzehn Jahre doch eine verdammt lange Zeit." "Charmeur", murmelte Saphir. "Da fällt mir ein, dass ich unbedingt jemanden sehen sollte, wenn sie von Hokkaido zurückkommt. Ich habe ein Versprechen einzulösen." Diamant lachte. "Gut, dass DAS nur eine kleinere Zeitschleife ist, Bruder." Sie lachten zusammen. Sie planten ihre Zukunft, als wäre das Morgen eine sichere Sache. Hätten sie das auch getan, hätten sie gewusst, was noch auf sie lauerte, unter den eigenen Füßen? Nun, zumindest Usagi-chan und Hotaru-chan wussten es... *** Im sogenannten Kartenraum herrschte Stille. Zumindest die Anwesenden sagten kein einziges Wort und mieden jedes lautere Geräusch. Die Videoverbindungen, die Fernübertragungen und Kreide, die über primitiv wirkende Schiefertafeln kratzten, machten die einzigen Geräusche. Natürlich gab es modernste Technik. Der eigentliche Kartentisch war ein interaktives Hologramm, zoombar, das im Moment drei Zonen Japans darstellte, an denen gekämpft wurde: Kyushu, in der Abwehr einer rotchinesischen Luftarmada mit GunSuit-Unterstützung, Hokkaido, wo erst vor kurzem der letzte Schuss gefallen und der letzte unbemannte GunSuit vernichtet worden war, und der Großraum Tokio, an dem amerikanische Atomunterseeboote ausgeschaltet worden waren. Dazu kamen eine Unmenge an Monitoren, die Live-Bilder der verschiedenen Orte und auch von vor Ort vertretenen Nachrichtensendern zeigten. Die Berichte waren durchwachsen und sehr unterschiedlich. Die japanischen Medien neutralskeptisch bis begeistert-unterstützend, ausländische Medien im Tenor Anti-SilverMillenium bis vorsichtig neutral, je nachdem, ob sie mit den amerikanischem Militärputsch oder mit dem demokratisch gewählten Präsidenten hielten. Und dazwischen flossen die Daten von den Zuträgern zu den Männern und Frauen an den Tafeln, die dort die aktuellen Verlustrechnungen auftrugen. Dafür hätte auch eine interaktive Tafel dienen können, sicher, aber so, in Handarbeit, mit der Handschrift eines Menschen notiert, gewann es an Qualität. Tatsächlich prangte noch immer auf allen Tafeln der fünf Verteidigungstheater, wie die militärischen Erfassungsbereiche der fünf Armeen Japans genannt wurden, noch immer eine stolze Null. Wenngleich aber die Zahl der Verletzten schon lange nicht mehr bei Null lag. Eine Live-Schaltung verband den Kartenraum direkt mit dem Angriff gegen die chinesische GunSuit-Fabrik; nur zu deutlich sahen die Generäle dabei zu, wie die Spezialeinheiten und die SailorKrieger unter dem Kommando von Michuri Kaio alias SailorNeptun mit den Verteidigungseinheiten kurz und schmerzlos aufräumten. Dankenswerterweise stießen sie auch auf keinen Widerstand, der mit den bisherigen Szenarien zu vergleichen war. Weder hatte ihnen eine Kanone einen Salut entgegengefeuert, kaum dass der Tunnel gestanden hatte, noch hatten die Chinesen eine wehrhafte Flotte zur Verteidigung ihrer Fabrik zusammengezogen. Auch der Werksschutz kam über ein paar Dutzend GunSuits der Ersten Generation, noch ohne Flugeigenschaften, nicht hinaus. Für die SailorKrieger waren sie nicht mal eine ernsthafte Herausforderung. Nicht einmal die Spezialtruppen hatten Probleme mit diesen Rüstungen, denn ihre Schwachpunkte waren allgemein bekannt. "Hätte ich gewusst", sagte Motoki nachdenklich und durchbrach damit das geheiligte Schweigen im Raum, "dass die Chinesen den schwächsten Widerstand leisten, hätte ich sie ans Ende der Liste gesetzt." "Hinterher ist man eben immer schlauer", erwiderte Admiral Yamamoto, der Oberbefehlshaber der Marine. "Und was wir vorher nicht wissen, können wir nicht berücksichtigen, General Gyes. Tappen Sie nicht in die Falle, mehr von sich zu verlangen, als Sie sich selbst geben können." Der Blondschopf sah den Admiral überrascht an. Schließlich aber nickte er. "Ich danke Ihnen für Ihre Worte, Admiral. Tatsächlich war es schon im SilverMillenium ein großer Fehler von uns, dass wir nie so recht die notwendige Distanz aufbauen konnten, die wir als Generäle zu unseren Leuten in der Schlachtordnung brauchten. Aber das war auch unsäglich schwer, weil wir so wenige waren, jeder kannte jeden, und mit jedem, der starb, starb auch ein Stück des SilverMilleniums..." Unwillig schüttelte er den Kopf. "Nein, nicht jetzt. In Erinnerungen schwelgen kann ich später noch." Matsumoto ließ ein Brummen hören, das alles bedeuten konnte. "Ich persönlich denke nicht, dass Sie zu viel Abstand brauchen, General Gyes. Solange auf diesen Tafeln eine Null steht, auf all diesen Tafeln, bin ich glücklich und zufrieden und kann einen ruhigen Tod sterben, wenn meine Zeit gekommen ist. Also sorgen Sie sich ruhig um jeden einzelnen Mann. Wir... Fushida?" Der Inspekteur der Luftwaffe kam in den Raum gehetzt. "Kuroda-san, es war, wie wir befürchtet haben." Der Inspekteur des Heeres schien überrascht. "Welcher Fliegerhorst?" "Akai Ichiban", sagte er, den aktuellen Codenamen der Basis benutzend. Fushida sah zu Motoki und Yuichiro herüber. "Ich weiß nicht, wieso Sie das wissen konnten, aber..." Er verbeugte sich aus der Hüfte, bis sein steifer Oberkörper weit über den Körperschwerpunkt hinaus geneigt war. "Hunderte meiner Männer verdanken Ihnen ihre Leben!" "Das ist unsere Aufgabe, oder?" Yuichiro räusperte sich. "Was war es?" "Ein Bestechungsversuch. Jedem Soldaten, der sich gegen uns stellt, wurden zwanzig Millionen Yen versprochen, Unteroffizieren und Offizieren das Zehnfache." Motoki pfiff anerkennend. "Es war klar, dass sie irgendwann versuchen würden, einen Keil in die Abwehr zu treiben. Stell dir vor, der Fliegerhorst wäre uns mitten in einer Operation in den Rücken gefallen, Yuichiro." "Das ist noch nicht alles." Fushidas Lippen bebten, als er an die Tafel des Nordwestlichen Theaters trat, die Null auswischte und eine eins auftrug. "Unsere Feinde haben Oberst Kodas Familie entführt, da sie glaubten, er könne nicht zu bestechen sein. Sie meinten, ihn damit zwingen zu können, die Basis überlaufen zu lassen. Doch anstatt ihnen zu Willen zu handeln hat er seine Leute losgejagt, um ihre eigenen Familien auf den Stützpunkt zu holen, damit diese nicht auch entführt werden können. Selbstredend hat niemand die Bestechung angenommen." Die letzten Worte sprach er mit Stolz in der Stimme. "Als die Angehörigen in Sicherheit waren und nur noch das Leben seiner eigenen Familie, seiner Kinder bedroht war, hat er sich... Jedenfalls weiß ich nur zwei Dinge: Eine Spezialeinheit der Polizei konnte seine Familie retten, und wir wissen nicht, wie schwer er sich mit seiner Dienstwaffe verletzt hat und ob er überhaupt noch lebt. Er hat sich selbst aus der Gleichung genommen. Nachdem er nicht mehr kommandieren konnte, waren die Geiseln wertlos geworden. Der Rest war verdammt gutes Timing und viel Glück. Hätten Sie uns nicht auf diese Möglichkeit hingewiesen, General Leth..." "In diesem Konflikt sollte niemand sterben müssen, erst Recht nicht von eigener Hand", sagte Yuichiro mit stockender Stimme. "Mir scheint, zumindest für Koda-san sind wir zu langsam gewesen." Betretendes Schweigen trat ein. "Aber hallo, was ist das denn?", fragte Motoki erstaunt. "CNN berichtet über genau diesen Fall. Seit wann sind die denn zu den präsidialen Loyalisten übergelaufen?" "Wahrscheinlich, seit seine Ansprache weltweit übertragen wird, mit der er die Putschisten bloß stellt und Unterstützung für das SilverMillenium fordert", sagte Matsumoto. "Und das ist der Meinungsumschwung, den wir so dringend gebraucht haben. Bevor die nächste Welle angreifender Flugzeuge und GunSuits ein blutiges Gemetzel wird, muss der Welt klar sein, auf wessen Konto und auf wessen Befehl diese Angriffe erfolgen." Der alte Mann, im Dienst in Ehren ergraut, runzelte die Stirn. "Furohata-sama, ist das nicht Ihre Schwester?" Motoki sah den Veteranen erstaunt an. "Woher kennen Sie meine Schwester?" "Seit Ihre Identitäten bekannt sind, haben wir Ihr Umfeld komplett durchleuchtet, Verzeihung", sagte der alte General. "Und wir sind zu dem Schluss gekommen, dass Sie und Ihre Familie keine Bedrohung für Japan waren. Dennoch habe ich das Bild der hübschen jungen Dame noch vor Augen, und dies muss sie sein, oder?" Er deutete auf einen der Monitore, die Nachrichten zeigten. "Bei Tora waren wir uns lange nicht sicher, wegen seiner deutschen Wurzeln, aber, nun, niemand ist perfekt, denke ich. Motoki wandte sich dem Monitor zu. "Ja, das ist meine Schwester", kommentierte er das Bild von der jungen Frau im helmlosen GunSuit, die für NHK interviewt wurde. Aber etwas, einiges an ihr war anders. Das lag nicht nur an den streng zurückgebundenen Haaren. Es war... Anders. Sie sprudelte geradezu vor Energie, aber ohne ihre Liebenswürdigkeit zu verlieren. Es war alles nur noch intensiver geworden. "Sie hat sich freiwillig für die GunSuits gemeldet und war eine der Besten bei den Schnelltests." "Dann gratuliere ich Ihnen zu so einer Schwester", schmunzelte Matsumoto. "Zehn bestätigte Abschüsse, das macht sie zum doppelten Ass." Motokis Miene versteinerte für einen Moment. "Tote?" "Nicht, dass es bekannt wäre. Die SilverMillenium-GunSuits sind erheblich leistungsfähiger und präziser, zudem scheint Ihre Schwester eine Könnerin zu sein. Wir können es aber in Erfahrung bringen", bot Fushida an. "Nein!", wehrte Motoki ab. "Nein, ich will es gar nicht so genau wissen. Immerhin geht es hier um alles oder nichts, und ich denke, Verluste sind normal. Ich hasse den Gedanken, dass mir ihre Toten lieber sind als unsere Toten, aber ein Koda reicht wirklich." Ärgerlich klopfte er auf den Kartentisch. "Und wieder ist alles wie damals. Hinnehmen, akzeptieren, weitermachen..." "Steigere dich nicht zu sehr rein, Motoki", mahnte Yuichiro. "Genau deshalb gibt es ja das hinnehmen, akzeptieren und weitermachen. Lass uns einfach unser Bestes geben, und so viele Menschen wie möglich durch diesen Irrsinn... Moment mal, das ist doch Shingo. Das hat Usagi erlaubt?" Motoki räusperte sich verlegen, als er die folgenden Bilder sah, die Usagis kleinen Bruder und seine kleine Schwester weit verbundener präsentierten, als er es in Erinnerung hatte. "Nun. Nun ja. Machen wir weiter. Alles andere wird sich finden. Hinterher." Eine junge Offizierin wandte sich ihnen zu. "General Fushida, General Young ist dran! Er meldet die Ortung von zwei russischen Nuklearträger-Ubooten der November-Klasse dreihundert Seemeilen vor der Ostküste Honshus auf Höhe der Bucht von Tokio!" "Russische Raketenträger?", fragte der Luftwaffengeneral. "Wie konnte Young sie orten?", rief Yuichiro, das Schlimmste befürchtend. Die junge Frau war blass wie der Tod. "Wegen der multiplen Raketenstarts von beiden Schiffen!" Für einen Moment herrschte betretene Stille im Kartenraum. "Meldung vom Kamschatka! Aufsteigende Raketen verifiziert!", rief ein anderer Offizier durch den Raum. "Von Alaska und der amerikanischen Westküste werden ebenfalls Raketenstarts vermeldet!", rief ein Unteroffizier. "Weitere Raketenstarts in China und von U-Booten im chinesischen Meer!" Motoki und Yuichiro sahen sich ernst an. "Es ist soweit." "Ja, es war zu erwarten gewesen. Je besser die konventionelle Schlacht für uns ausgeht, desto eher mussten sie atomar reagieren." "Verdammt!" "Wir wussten, dass es so kommen würde. Und wir haben für diesen Fall die Beiboote des Seelenschiffs, Motoki", sagte Yuichiro. "Auch", warf Fushida ein. "Sie haben Recht." Yuichiro atmete tief ein. "Meldung an alle Einheiten, alle Verbündeten: Wir bereiten uns vor auf die Abwehr eines global erfolgenden nuklearen Raketenschlags! Alle Raketenabwehreinheiten in volle Alarmbereitschaft! Alle Kampfflieger steigen auf! Alle Einheiten, die bis in die ballistische Flughöhe der Raketen feuern können, nehmen ihre Positionen ein! Alle SailorKrieger gehen sofort in den Einsatz und verteilen sich über ganz Japan! Ausführung!" "Jawohl!" *** "Du bleibst schön hier!", fuhr Mamoru Akira an. Er drückte den General wieder in die Kissen. "War mir klar, dass du mit rausgehen willst. Aber du bist noch nicht wieder fit. Du liegst hier noch keine zwei Stunden." "Idiot! Es geht um alles oder nichts! Ihr braucht mich! Ihr braucht mich jetzt!", fuhr Akira den Freund an. "Nein, wir brauchen dich nicht. Wir haben die Beiboote, wir haben die Sailor, wir haben unsere Verbündeten, wir haben die Raketenabwehrmaßnahmen Japans, und wir haben mehrere Aegis-Schiffe der Amerikaner, die uns bei der Raketenabwehr unterstützen. Das einzige, was wir nicht haben, das ist jemand, der hier Zuhause bleibt, und darauf aufpasst, dass nicht plötzlich ein U-Boot in der Bucht von Tokio auftaucht und uns auf kürzeste Distanz mit Atomraketen beschießt. Die musst du dann übernehmen, okay? Ansonsten sind wir wirklich, wirklich genügend." Seine Miene wurde weicher, der gerechte Zorn über die Störrigkeit des Freundes wich. "Du hast schon so viel geleistet, so viel erduldet... Wir alle wollen vor allem, dass du morgen noch unter uns bist. Also bleib noch eine Stunde hier, und dann geh meinetwegen in den Generalstab. Motoki ist nach Hokkaido unterwegs, Yuichiro nach Honshu. Ich gehe ebenfalls mit nach Honshu. Seiya begleitet Usagi nach Okinawa. Und so verteilen wir uns dank unserer Dimensionstunnel optimal über ganz Japan. Es fehlt halt nur jemand, der auf die Haustür aufpasst." "Und das bin ich", brummte Akira unzufrieden. "Ja, das bist du. Bitte, nimm mir wenigstens eine Sorge und versuch wenigstens diesmal vernünftig zu sein. Okay?" "Okay." "Versprochen?" "Ja, verdammt!" Akira rollte die Augen in komischer Verzweiflung. "Ach, nicht, dass ich noch etwas zu sagen habe, aber sobald Michiru und die anderen zurückkommen, macht gleich weiter, bevor die Briten aus dem Desaster der Russen und der Chinesen lernen können. Wenn die vierte Fabrik erst mal zerstört ist, sieht die Welt anders aus." Er zögerte. "Teile ihnen Ami und Taiki zu. Bei den Briten können wir sicher sein, dass sie ähnlich viele Neuerungen wie die Amerikaner integriert haben. Andere, eventuell. Die beiden werden flexibel genug auf alle Überraschungen reagieren. Hoffe ich." "Kein schlechter Gedanke." Mamoru nickte zustimmend. "So machen wir es." Er winkte ein letztes Mal und verließ Akiras Krankenzimmer. "Womit habe ich eigentlich diese Sonderbehandlung verdient, dass du dich persönlich um mich kümmerst, hm, alter Freund?", murmelte er vor sich hin. In Gedanken arbeitete er aber bereits an einem Plan, wie er das Zimmer verlassen und zumindest auf der Turmspitze Position beziehen konnte, nur für den Fall des Falles. Er fühlte sich schwach, aber leidlich erholt. Und die Tatsache, dass, kam es zum allerschlimmsten Fall und würde die Botschaft atomar zerstört werden, Ami im Ausland in Sicherheit sein würde - oder zumindest im Hauptquartier der SVS in angemessener Entfernung - machte Akira das Herz leichter. Nur für den Fall, selbstverständlich. *** Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)