Anime Evolution: Erweitert von Ace_Kaiser (Zweite Staffel) ================================================================================ Kapitel 16: Episode sechzehn ---------------------------- 1. "Was ist hier los, verdammt?" brüllte Mamoru Hatake und duckte sich hinter einem Mauervorsprung, um einer Salve aus einer AK-47 zu entgehen. "Was leisten sie so einen vehementen Widerstand? Es geht doch nur darum, die älteren Einwohner der Grey Zone im Resonatorfeld einzufrieren, damit sie nicht zusätzlich die Ressourcen der AURORA belasten. Ich dachte, die meisten hätten dem zugestimmt!" "Ich habe keine Ahnung!", blaffte Doitsu Ataka wütend. Ein Streifschuss hatte ihn an der Schulter erwischt, einer seiner Leute legte einen Verband an. "Hätte ich geahnt, das so etwas passieren würde, dann hätte ich ein Bataillon Infanterie mitgenommen, und nicht nur fünf meiner Yakuza und euch beide!" Kenji Hazegawa kam geduckt zu ihnen herüber gelaufen. Er feuerte seine Dienstwaffe zweimal schnell hintereinander ab und ließ sich dann neben Doitsu in Deckung fallen. "Komm zur UEMF, haben sie gesagt. Dort wird es niemals langweilig, haben sie gesagt. Scheiße, ich wünschte, mir wäre gerade langweilig." Der große Mann sah Doitsu von der Seite aus an. "Wie sieht es aus? Haben wir immer noch kein Netz?" Der Oyabun der Yakuza der AURORA schüttelte den Kopf. "Wir werden noch immer gestört. Ich wette mal, nicht einmal ein Funkgerät würde es hier raus schaffen." "Mist. Da sitzen wir also zu acht hier fest. Wie viele Gegner haben wir?" "Vor allem, wie viel Munition haben wir noch? Ich habe nur zwei Magazine mitgenommen, weil ich dachte, dies wird ein Spaziergang", meinte Mamoru ernst. "Das dachte ich auch. Vor allem, da doch die ersten zehn Geschäfte so bereitwillig geräumt wurden, bevor die da angegriffen haben. Mist, jetzt sind wir hier festgenagelt." "So wie ich das sehe, haben wir die Söhne der AURORA gegen uns. Alle, bis zum letzten Mann." Doitsu senkte den Kopf. "Diese verdammten Schweine. Warum haben sie in die Menge geschossen? Warum haben sie sich nicht auf uns konzentriert? Was wollen sie damit erreichen? Bisher haben wir sie gewähren lassen, solange sie es nicht allzu übertrieben haben. Aber jetzt, mit drei toten Majoren, davon zwei von den Hekatoncheiren, müssen sie doch damit rechnen ausgelöscht zu werden." "Ach, du siehst uns also schon als Tote?", erwiderte Kenji, sprang kurz auf und gab drei schnelle Schüsse ab. "Ich sehe das aber nicht so." Doitsu sah zu seinen Leuten herüber. Sie waren hervorragend ausgebildet, jeder ein Genie auf seinem Gebiet. Aber auch sie mussten bei einem Zahlenverhältnis von eins zu zehn irgendwann erdrückt werden. Zudem hatte der Gegner ihnen den Rückweg zu den Fahrstühlen abgeschnitten. "Was bei mir übrigens eine Frage aufwirft, die mich schon seit Tagen beschäftigt", brummte Mamoru. "Wir vom Geheimdienst wissen immer noch nicht, wie so viele Menschen und Material an uns vorbei auf die AURORA geschafft werden konnten. Leute, das schmeckt mir einfach nicht." "Es muß jemand mit sehr viel Macht gewesen sein. Jemand, der womöglich mehrere, vielleicht Dutzende Verbündete an Bord hat. Jemand oder eine Gruppe." "Es muß eine Art Gemeinschaftsprojekt gewesen sein, Doitsu", widersprach Kenji und griff nach einem Angreifer, der über ihre Mauer gehechtet kam. Seine Faust raste wie ein Dampfhammer heran, traf dessen Schläfe und betäubte ihn nachdrücklich. Etwas härter und der Mecha-Pilot hätte ihn getötet. "Ich meine, hier gibt es mindestens drei Fraktionen von Menschen, die mit dieser illegalen Zone Geld verdienen wollen - viel Geld. Und dann hat einer der Partner die anderen betrogen. Die Söhne der AURORA wollten plötzlich den ganzen Kuchen haben." "Dann kamen wir ins Spiel und haben verhindert, dass sie sich die ganze Zone schnappen." Doitsu kam auf die Beine. "Stellungswechsel." Geduckt lief er an der Mauer entlang, in den Schatten eines nahen Hauses. Die anderen beiden und zwei seiner Yakuza folgten ihm. "Liegt es daran, dass wir nun nach Hause fliegen wollen? Ist es ihnen zu früh? Oder liegt es am Resonanzfeld?" "Richtig. Was wollen sie? Warum kämpfen sie? Und vor allem, wieso begnügen sie sich damit, uns hier festzunageln? Ich meine, wenn sie uns würden töten wollen, wären doch schon längst ein paar Handgranaten geflogen, oder?" "Mal den Teufel nicht an die Wand, Kenji", mahnte Mamoru mit einem Schaudern. "Denk es nicht mal!" "Was ist, wenn die Evakuierung sie dazu zwingt, einen geheimen Plan zu beschleunigen? Was, wenn wir ihnen zu nahe gekommen sind? Was wenn wir ihn verhindern könnten und deshalb hier festgenagelt werden?" Nachdenklich strich sich Doitsu über sein Kinn. "Was für ein Plan? Was gibt ihnen den Nutzen, den sie brauchen?", hakte Kenji nach. "Eine Superwaffe werden sie hier kaum entwickeln, mit der sie uns alle schlagen können. Im Gegenteil, dieser Angriff wird ihre Vernichtung nach sich ziehen, das sollten sie wissen." "Sie wissen es", sagte Mamoru tonlos. "Also ist der Plan, den sie jetzt vorantreiben, eine Art Joker. Etwas, was... Was brandgefährlich für uns ist." "Für uns und für die Erde", ergänzte Kenji. Er sah die beiden Freunde in jähem Erkennen an. "Das... Was, wenn einer der Geschäftspartner ein Legat ist? Habt Ihr Geheimen da nicht ein paar Hinweise drauf gefunden? War nicht sogar Taylor hier unten und hat sein eigenes Süppchen gekocht?" "Was könnte einen Legaten dazu treiben, seine Leute anzuweisen, so etwas Dummes zu tun? Welchen Nutzen hat er? Okay, er ist höchstwahrscheinlich nicht an Bord und die Vernichtung der AURORA beispielsweise würde ihn nicht treffen. Abgesehen davon, dass es der Erde und dem Mars schwer schaden würde." "Das hätte er längst getan. Aber der Gedanke ist gut, Mamoru." Wieder strich sich Doitsu nachdenklich über sein Kinn. Nun riss auch er die Augen auf. "Verdammt! Wir haben das Wichtigste vergessen! Taylor hat uns doch mit der Nase drauf gestoßen! Die Legaten haben die Gift erhalten, sind also genetisch gesehen Naguad, oder?" "Oh nein, sag mir, dass das nicht wahr ist. Sag mir, dass das nicht möglich ist!" Mamoru packte seine Waffe fester. "Doch. Und wir sind die einzigen, die es verhindern können! Diese Bastarde wollen die Position der Erde verraten! Wenn sie unterworfen wird, sind es die Kronosier, die den meisten Nutzen daraus ziehen! Wir müssen angreifen!" Für einen Moment waren die Freunde wie erstarrt. Dann ging ein Ruck durch sie. Kenji war der erste, der aus der Deckung hervor schnellte und mit feuernder Pistole auf die nächste Deckung zuraste. Doitsu folgte ihn, wurde aber von den gewarnten Schützen mehrfach getroffen. Nur sein hastig aufgebauter KI-Schild verhinderte Schlimmeres. "Bleib da, Mamoru! Du bist Fischfutter, wenn du uns nachkommst!" Der Geheimdienstoffizier sah zu ihnen herüber. Sein Gesicht verhärtete sich. "Lauft weiter, sobald ich losrenne!", brüllte er und sprang hinter dem Haus hervor. "Na, na, na. Willst du dich umbringen?", erklang eine amüsierte Stimme hinter ihm, während ein kräftiger Arm ihn wieder in Deckung zog. "Yoshi? Was machst du denn hier?" "Das Gesetz der Serie", antwortete der Freund und schoss einen Pfeil ab. Ein Gegner weniger. "Akira hat schon geahnt, dass hier unten nicht alles so glatt laufen würde, wie Ihr euch das gedacht habt. War ja auch schon das letzte Mal so, oder?" "Wie viele seid Ihr?" Yoshi duckte sich hinter die Hausecke, als eine Salve Gewehrfeuer an der Ecke abprallte. "Ich, Dai-chan und Akira. Aber die beiden sind noch am Fahrstuhl beschäftigt. Ich bin vorgelaufen, weil ich mir schon gedacht habe, dass Ihr drei Hilfe gebrauchen könnt." "Yoshi, hör mir jetzt ganz genau zu! Das ist extrem wichtig!" Der Major der Hekatoncheiren sah den Geheimdienstoffizier erstaunt an. "Schieß los!" ** Die Hölle auf Erden - oder in diesem Fall im Orbit um Lorania - war schon immer der Moment, in dem man erkannte, dass die eigenen Anstrengungen binnen eines Augenblicks nichtig gemacht wurden. "Commander!", erklang hinter mir eine Stimme, während ich einen Angreifer aushebelte und über meine Schulter warf. Ich wirbelte herum, die Arme abwehrbereit gehoben. "Chiba. Sie sind es!" Der Yakuza, einer der wichtigsten Vertrauten Doitsus sah mich ernst an. "Commander. Dies ist erst der Anfang. Die Söhne der AURORA planen, die Position der Erde zu verraten. Anhand ihres Widerstands kann man absehen, dass dieser Moment kurz bevor steht. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit." Erschrocken hielt ich inne. Was ein Angreifer nutzen wollte, um mir in den Rücken zu schießen. Daisukes Waffe bellte kurz auf und der Mann fiel getroffen zu Boden. "Akira! Ich hole Verstärkung! Hilf du Doitsu und den anderen!", rief der Offizier der Hekatoncheiren. Um uns herum war die Situation geklärt, wie es schien. Aber ich wagte mir nicht auszumalen, wie es in der restlichen Grey Zone aussah. Schlimmer, ich brauchte es mir nicht ausmalen. Ich würde es bald sehen. "Gehen wir, Chiba-kun!" ** Ich hatte schon öfters in feindlichem Feuer gestanden, nicht nur in meinem Mecha. Erst neulich war ich beim KI-Training mit den anderen attackiert worden. Es hätte, abgesehen von meinem wie wild rasendem Herzen, nichts Neues für mich sein müssen. Aber der Verdacht meiner Freunde weckte in mir eine Angst, die mich umklammert hielt wie eine Bandage aus Stahl. Obwohl ich mein KI aktiviert hatte, mich schneller bewegte als ein Mensch dies normalerweise konnte, ich meine Kugeln mit unglaublicher Präzision abfeuerte und mein in KI getauchtes Katana noch zielsicherer einsetzte, erkannte ich in diesem Moment, während die Kugeln mich umschwirrten, Klingen durch mein Fleisch schnitten und meine Freunde irgendwo in diesem Gewühl steckten und ebenfalls ihre Leben riskierten, dass ich zwar mächtig war, durch mein Können, durch meine Fähigkeit das KI zu steuern, aber ich war nicht allmächtig. Der erste Schnitt ging durch meinen linken Oberarm. Ich musste meine Pistole fortwerfen und das Katana in die Rechte wechseln. Der zweite Schnitt traf mich auf dem Rücken. Nur weil ich noch einen schnellen Schritt nach vorne getreten war, wurde ich nur geschnitten und nicht gespalten. Und der dritte Schnitt bohrte sich in meine Brust. Die gegnerische Waffe glitt an meinen Rippen ab, der einzige Grund, warum mir nicht das Herz gespaltet wurde. Abgesehen von den Schmerzen verzehrte mich der Frust, dass diese Menschen und Kronosier in der Lage waren, mich aufzuhalten! Ich kam nicht von der Stelle! Sie bannten mich, hinderten mich! Und ich wusste nur zu gut, dass ich ein erstklassiges Ziel für Scharfschützen bot, wenn ich länger als einen Augenblick auf einer Stelle blieb. Meinen Freunden ging es nicht viel besser, entweder wurden sie durch gezielten Beschuss in Deckung gezwungen oder standen selbst im Nahkampf. Zornig aktivierte ich mein KI, versuchte die Wunden zu heilen, während mein Schwert das tat, was es seit langer Zeit nicht mehr getan hatte: Tod säen. Ich war verzweifelt, wurde es mit jeder Sekunde mehr und konnte rein gar nichts dagegen tun. Aufbegehren? Warum hatte es früher immer geklappt? Warum nicht jetzt? Wütend stemmte ich mich in meine Gegner, nur um einen vierten Schnitt zu kassieren, der meinen rechten Oberschenkel traf und sofort heftig zu bluten begann. Wo blieb die Verstärkung? Dauerte dieser Kampf für mich wirklich erst ein paar Minuten? Neben mir wurde einer meiner Gegner im Kopf getroffen. Er sank zu Boden wie eine Marionette, der man die Fäden durchgeschnitten hatte. Also doch Scharfschützen. Wo war Blue Slayer? Wo war Joan Reilley? Wo war Yellow? Oder White? Ich wäre für jede Hilfe, für jeden Meter auf meinem Weg dankbar gewesen! Natürlich wusste ich, dass mein planloses Vorwärtsstürmen mich meiner wichtigsten Kampftalente beraubte. Natürlich wusste ich, dass ich mir damit empfindliche Blößen gab, die mir bereits vier Wunden eingebracht hatten. Natürlich wusste ich, dass die Panik mich im Griff hatte und dass sie mich zu Fehlern verleitete. Aber ich konnte rein gar nichts dagegen tun! Wütend brüllte ich auf, aber damit verschwendete ich nur meine Kraft. Und dann... Dann war es vorbei. Von einem Moment zum anderen boten mir die Feinde keinen Widerstand mehr. Ich stolperte voran, fiel zu Boden, rappelte mich auf und sah in spöttische Gesichter. Die Söhne legten ihre Waffen ab und hoben die Hände. Mir wurde heiß und kalt zugleich. Auch aus den angrenzenden Bars und Läden kamen sie hervor, streckten ihre Waffen. Nein, das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein! Ich packte mein Katana fester, lief tiefer in die Zone hinein. Sollte denn alles, was wir bisher erreicht hatten mit einem Schlag ausgewischt werden? Irrte ich mich, oder wiesen mir die Söhne der AURORA spöttisch den Weg zu einem bestimmten Lokal? Als ich durch die Tür brach, waren Yoshi und Kenji neben mir, Daisuke folgte dichtauf. Wir rannten durch den Schankraum, bekamen sogar die Tür von einem freundlichen Feind aufgehalten und gelangten in ein Hinterzimmer. Mitten im Zimmer stand ein Hologrammprojektor. Mit seiner Hilfe wurde ein groß gewachsener, weißhaariger Mann dargestellt. Daneben stand ein starker Sender sowie eine Kamera, die das Hologramm aufzeichnete. Eine Live-Sendung. Junge, die Söhne der AURORA machten wirklich keine halben Sachen. "...wiederhole. Mein Name ist Gordon Scott. Ich bin Träger des naguadschen Erbguts und Vertreter des imperialen Cores, der von den Menschen vernichtet wurde. Damit nehme ich in Anspruch, der Vertreter der Naguad auf der Erde zu sein. Ich nenne Ihnen nun die Koordinaten dieser Welt gemäß dem Katalog des Imperiums..." Es folgte eine Reihe Zahlen und Begriff, die ich mit Entsetzen vernahm. Kurz überschlug ich die Daten im Kopf und gelangte zu der grausamen Erkenntnis, dass sie die Position der Erde verraten hatten! Wenn das Imperium nun die Erde angriff und besiegte, dann würde der Legat ganz oben auf der Liste derjenigen stehen, die auf der besiegten Welt das sagen hatten - und dazu jeder, der ihm geholfen hatte. Versagt. Versagt! VERSAGT! Wütend brüllte ich auf, zerteilte die Kamera mit einem einzigen Hieb. Dann wandte ich mich dem Hologramm zu. Einer der anwesenden Techniker drückte einen Sensor, und die Ansprache in der dritten Wiederholung unterbrach sich. Stattdessen starrte der Mann, der sich Gordon Scott nannte, zu mir herüber. Die dunklen Augen glänzten voller Hohn, als er sprach. "Du bist zu spät, Akira Otomo. Du hattest die ganze Zeit keine Ahnung davon, was ich wirklich geplant habe. Was ich erreichen wollte. Und was nun passieren wird. Meine Leute mussten zwar improvisieren, weil du mehr Glück als Verstand hattest, aber dankenswerterweise kann ich über eure Standleitung ins Sol-System nicht nur neue Befehle ausgeben sondern auch noch dieses Hologramm schicken. Danke, Akira Otomo. Du dachtest, du hättest auf dem Mars gewonnen? Nun, es ist noch nicht vorbei. Die Zeit spielt nun für mich. Und die Naguad werden ihren Teil beitragen. Es wird mir eine Freude sein dabei zu zu sehen, was die Zukunft für uns bringt. Vor allem für dich... Und für mich, Akira Otomo. Auf bald." Das Hologramm hob die Rechte, winkte und erlosch. Ich starrte auf den Projektor, unfähig mich zu bewegen. In meiner Stirn hämmerte ein Gedanke: Wir waren verraten worden! Als mein Handy klingelte, nahm ich es beiläufig zur Kenntnis. Die Söhne hatten das Störfeld abgeschaltet. Da mein linker Arm noch nicht wieder funktionierte, stieß ich mein Katana in den Fußboden und nahm es mit der Rechten. "Otomo." "Admiral Richards hier. Krisensitzung in Poseidon. Es ist dem letzten Legaten gelungen, von der AURORA aus..." "Die Position der Erde zu übermitteln. Ich weiß. Ich stehe neben dem Sender." "Was? Wieso haben Sie die Ausstrahlung nicht verhindert?", blaffte der Amerikaner. "Ist ja nicht gerade so als hätte ich es nicht versucht!", blaffte ich zurück, unter dem höhnischen Gekicher der Techniker. "Ich komme so schnell es geht. Schicken Sie Truppen, um hier unten ein für allemal aufzuräumen. Otomo aus." Ich klappte mein Handy zu und ballte die Rechte zur Faust. Dann sah ich auf und fixierte die Techniker. "So, so. Schadenfroh seid Ihr, hm?" Neben mir ließ Kenji seine Knöchel knacken. Yoshi trat neben mich. "Ich habe die Tür zugemacht, Akira." Ich sah auf und lächelte ein wirklich dämonisches Lächeln. "Das gibt jetzt eine ordentliche Tracht Prügel, meine Herren." Die drei Techniker, Mitglieder der Söhne der AURORA, Verräter an der Menschheit und Gefolgsleute des letzten Legaten in Freiheit, wurden bleich. ** Eine halbe Stunde später und mit schmerzenden Knöcheln stand ich im Konferenzraum der Poseidon, der mir mittlerweile vertrauter war als mein eigenes Zimmer. "Es ist eine Katastrophe!" Admiral Riada senkte den Blick. "Welchen Sinn hat es jetzt noch, zu fliehen? Welchen Sinn hat es jetzt noch, Widerstand zu leisten?" "Jeden", sagte ich trocken. "Absolut jeden." "Aber jetzt wo die Position der Erde bekannt ist..." "Verraten durch einen Legaten", stellte ich grimmig fest. Ich nickte in Richtung des Hologramms, über das Vater per Standleitung mit uns verbunden war. "Die Naguad stellen gerade eine Flotte zusammen, um eine Strafaktion im Kanto-System auszuführen. Was denkt Ihr wohl werden die Naguad eher machen? In ein bekanntes System springen, das in ihrer Nähe liegt und dessen Verteidigung sie einigermaßen einschätzen können oder ins Blaue, mit überdehnten Versorgungslinien in ein System, das sie nicht einschätzen können? Von dem sie nur eine Sache wissen: Dass es das größte Objekt gebaut hat, das jemals sprungfähig gewesen war? Na?" "Das ändert nichts an der Tatsache, dass die Position der Erde verraten ist, mein Sohn", warf Eikichi ein. Ich grinste breit. "Na und? Rücken wir eben auf Platz zwei der abzuarbeitenden Fälle der Naguad. Aber erstmal werden sie sich um Platz eins kümmern, darauf verwette ich meine Abzeichen. Und genau deswegen mache ich mir auch keine Sorgen. Nein, sie werden erst hierher kommen. Hier können wir sie aufhalten." "Das stimmt höchstwahrscheinlich. Immerhin haben die Imperialen hier die Unterstützung durch fünftausend Banges, einen Bakesch und geheimdienstliche Informationen", sagte Riada ernst. "Von der übrigen Flotte ganz zu schweigen." "Damit wird Lorania zu unserem Bollwerk", stellte ich fest. "Und Menschen und Anelph rücken näher zusammen, denn mit einem Schlag sind wir gleichermaßen bedroht. Wir riskieren nun noch viel mehr, um ihnen zu helfen. Und seien wir doch mal ehrlich, früher oder später hätten die Naguad doch herausgefunden wo die Erde ist. Es ist nun halt früher geworden." Die Anwesenden raunten zustimmend. Ich sah zur Seite. "Megumi?" Sie nickte und übernahm das sprechen. "Die Hekatoncheiren haben mehrere Szenarien durchgespielt um auf alles vorbereitet zu sein. Eines dieser Szenarien kann auf diese Situation angewendet werden. Allerdings erfordert es den Einsatz all unserer Mittel. Und wir müssen kurz vor dem Abflug der AURORA zuschlagen." "Erzählt mir mehr", sagte Eikichi fasziniert. "Und... Es tut so unendlich gut, dich am Leben zu wissen, Megumi. Was hätte der grobschlächtige Trottel in dieser Welt nur ohne dich angefangen?" "Vater!", rief ich entrüstet. Megumi wurde rot. "Onkel Eikichi, rede doch nicht." "Ist doch so. Als die Nachricht kam, Akira sei tot hat hier das sowieso niemand geglaubt. Der ist nun mal wie Unkraut." "Vater!" "Aber du, Megumi, du hast nicht das Glück der Verrückten. Um dich haben wir uns wirklich Sorgen gemacht." "Genauer gesagt, du bist gerade rechtzeitig wieder aufgetaucht, damit die zentrale Trauerfeier der UEMF abgesagt werden konnte - mit Vertretern aus allen Ländern der Erde, Abordnungen der meisten Schiffe und der Truppengattungen, posthumer Ordensverleihung, und, und, und..." Sakura lächelte Megumi an, während Eikichi verlegen weg sah. "Niemand hat die letzten sechs Jahre vergessen. Vor allem nicht die drei Jahre, in denen du Akiras Arbeit gemacht hast." "Sakura!" Fielen mir denn heute alle in den Rücken? Ich spürte, wie eine schmale Hand in meine glitt. Megumi lächelte mich kurz an. "Wie dem auch sei", beendete sie den Wortfluss meiner Cousine. "Ich sollte jetzt Plan Morgenröte erklären." 2. Tausende Gedanken gingen mir durch den Kopf, während ich durch Fushida City ging. Wie immer half mir ein Spaziergang noch am besten, um meine Gedanken zu ordnen. Und ehrlich gesagt, ich hatte diese Stadt mittlerweile richtig lieb gewonnen. Sicher, sie war nicht organisch gewachsen, sondern komplett am Reißbrett entstanden. Aber ihr Charme aus großen Boulevards und kleinen verwinkelten Nebenstraßen, die Einwohner aus aller Herren Länder, das hatte einfach was. Ich fragte mich für einen Moment ernsthaft, ob die AURORA irgendwann einmal geräumt werden musste, oder ob sie eine eigenständige Kolonie werden konnte. Vielleicht würde dieses Gigantschiff eines Tages die letzten freien Menschen ins Universum hinaus tragen. Um mich herum herrschte geschäftiges Treiben. Die Stadt stand seit ihrem Bau zu mehr als der Hälfte leer. Nun zogen junge und jüngste Anelph ein. Es kam nicht selten vor, dass Menschen und Kronosier, die den Rückflug auf den Plattformen mitmachen würden, ihnen ihre Räume überließen. Diese jungen Leute und unsere jungen Leute, sie würden einen Großteil der anfallenden Arbeiten erledigen müssen. Unter der Anleitung erfahrener Mars-Veteranen, ja, die größtenteils selbst noch zu jung waren, um von Resonatorfeld eingefroren zu werden. Und unter einer Gruppe handverlesener älterer Offiziere und Mannschaften. Die Begleitschiffe selbst würden ihre Besatzungen behalten. Diese eingearbeiteten Mannschaften zu behalten war im Moment sehr wichtig. Aber es gab hier und dort Austausch von Personal, da ich ausdrücklich gewünscht hatte, dass die mit mir und den Hekantoncheiren zurück bleibenden Schiffe mit möglichst jungem Personal besetzt wurden. Auch bei den Hekatoncheiren kam es zu wesentlich größeren Umschichtungen, um Gyes und Briareos ausschließlich junges Personal mitzugeben, das vom Blockadegeschwader unbeeinträchtigt agieren konnte. Dadurch würden uns aber ein paar wirklich gute Soldaten verlassen - aber den Schutz der AURORA verstärken. Ich würde mit zwei Regimentern der Hekatoncheiren, diversen Schiffen sowie den an Bord befindlichen Mechas und Daishis hier bleiben, wir konnten fast eintausend Mechas und Piloten auf die Waagschale werfen. Die Kampfkraft, die zurück bleiben würde, entsprach in etwa vier Bakesch. Auch ohne dass die SUNDER ebenfalls hier zurückblieb - allerdings mit den Mechas. Irritiert blieb ich stehen. Der Zuzug von Anelph hatte sich weiter verstärkt. Über mir entlud sich ein Sauerstoffdistributor, während die Lüftungssysteme tapfer gegen den rapide ansteigenden CO2-Gehalt der Luft ankämpften, den die nach und nach eintreffenden eins komma drei Millionen Anelph erzeugten. In den Wiesen und Feldern rund um das Serenity-Meer und zwischen den kleineren Ortschaften wurden bereits achthunderttausend Anelph versorgt. Die Plattformen waren bereit, und Dutzende bekannte TV- und Musikstars von der AURORA und Lorania, unter ihnen selbstverständlich auch Joan Reilley, taten ihr Bestes, um die Verbündeten abzulenken. Die Meisten trauten dem Resonanzfeld natürlich nicht, aber sie trauten ihren Verbündeten. Vor allem jetzt, wo die Gefahr durch das Imperium uns aus erster Hand betraf. Ich schüttelte resignierend den Kopf. In drei Stunden würden wir mit dem boarden der Plattformen beginnen, in einer vierten Stunde würde der Torpedo aktiviert werden. Es standen fünftausend Soldaten bereit, um jene Anelph wieder von der Plattform zu holen, die mit ihrem Alter in der Grauzone waren und deren Zeitablauf nicht einfrieren würde. Wieder so was. Kevin Lawrence, der Initiator des Projektes, schien an alles gedacht zu haben. Und wenn doch mal ein Fehler auftauchte, korrigierte er ihn bemerkenswert unspektakulär und effektiv. Es juckte mir in den Fingern, den Kronosier ein paar Minuten beiseite zu nehmen und mit ihm ein wenig fachzusimpeln. Aber das würde noch dauern. Vielleicht ein Jahr, bis die AURORA wieder im Kanto-System eintraf. Ein Jahr, das sehr lang zu werden drohte. Ein Jahr, in dem ich vielleicht Gelegenheit hatte, einige brennende Fragen beantwortet zu bekommen. Zum Beispiel, warum ich ein Naguad war. Oder zumindest ihr Erbgut in mir trug. Außer mir auch noch Sakura, Makoto und sogar Megumi. Und endlich konnte ich mir auch erklären, warum die Gift bei Yohko nicht vollständig funktioniert hatte. Kein Wunder, die Gift hatte nur den menschlichen Teil ihrer DNS verändern können, aber nicht den Anteil Naguad-Gene. Warum wurde nur alles so kompliziert? Andererseits... leicht hatten wir es ja noch nie gehabt. Dies war der Moment, in dem ich erstarrte. Konnte das, was er sah, wirklich sein? War das möglich? In dem Gewirr an Menschen und Naguad, konnte wirklich sie da stehen? Spontan folgte ich ihr, als sie nach einem Plausch mit einem Händler weiter ging. Sie hielt noch bei einem weiteren Händler, kaufte etwas ein, plauschte auch hier ein wenig. Die Verkäufer kannten sie, das war offensichtlich. Wieder folgte ich ihr, sorgsam darauf bedacht, nicht von ihr bemerkt zu werden. Sie bog in eine Seitengasse ein und ich eilte in die parallel dazu verlaufende Gasse, um sie abzupassen. Ich huschte durch die Querstraße, lugte vorsichtig um die Ecke und sah... Nichts. Ich spürte, wie zwei schmale, aber starke Hände nach meinem rechten Unterarm griffen, ihn brutal herum zerrten. Dann machte mein Gesicht Bekanntschaft mit der nächsten Wand. "So, du kleiner Perversling, normalerweise mache ich mir an euresgleichen nicht die Hände schmutzig, aber ausnahmsweise kriegst du meine Sonderbehandlung zu schmecken", hauchte mir eine amüsierte Frauenstimme ins Ohr. "ALSO DOCH!", blaffte ich wütend und wand mich in ihrem Griff. Dies bedeutete zusätzliche Schmerzen, aber die bemerkte ich kaum. "DU BIST ES! OMA ERI!" "Was? Du... Akira?" Erschrocken ließ sie meinen Arm los. Ich fuhr herum, wollte meine Wut hinausbrüllen... Und starrte sie einfach nur an. "Oma..." Oma war vielleicht das unpassende Wort für sie. Technisch gesehen war sie meine und Yohkos Großmutter, aber äußerlich wirkte sie nur wie eine Mittvierzigerin auf mich. Wie eine gut aussehende Mittvierzigerin. Außerdem lächelte sie mich verschmitzt an. "Hallo, Akira-chan." "Ich... Du... Ich meine, du..." "Oh, lass dir nur Zeit, Akira-chan. Bis ich das Essen kochen muß, vergeht noch gut ne Stunde." Das hatte sie schon immer gut gekonnt. Ablenken und das Kommando übernehmen. Aber nicht heute und nicht mit mir. "Oma. Warum bist du eine Naguad?" Ihr Lächeln wurde wehmütig. "Was hat dir Jorr erzählt, Akira-chan?" "Anscheinend viel zu viel, Oma." Unschlüssig sah sie mich an, nachdenklich zur Seite und dann wieder mich an. "Komm, iss mit zu Abend. Danach erklär ich dir alles, was du wissen willst." "He? So einfach geht das?", staunte ich. "Nun, du hast mich halt erwischt. Und ich bin eine gute Verliererin." Wieder lächelte sie verschmitzt. Na, wenigstens war das eine Erklärung dafür, wo Yohko ihren Träumerblick her hatte, mit dem sie sogar Yoshi eingefangen hatte. "Gehen wir, Akira-chan. Michael wird froh sein, dass das Versteckspiel ein Ende hat. Kitsune-chan!" Neben mir schien die Fuchsdämonin aus dem Nichts zu entstehen. "Eri-sama?" "Du hättest ihn aufhalten sollen, das weißt du." Abwehrend hob die Füchsin die Hände. "Ich bin zu spät gekommen, schlicht und einfach zu spät. Als ich bemerkte, wohin er unterwegs war, da... Akira-chan, ich bewache dich nur, weil es immer noch unidentifizierte Agenten an Bord gibt, die dich töten sollen." Verlegen sah sie mich an. Eri seufzte schwer. "Na, dann komm halt auch mit. Es wird schon für vier reichen." "Jaaaaha! Eri-samas Selbstgekochtes! Super!" "Nun schleim dich nicht gleich so ein, Kitsune-chan", tadelte ich. Es war das erste Mal seit wir uns kannten, dass sie mich derart böse ansah. "Hast du schon einmal ihr Selbstgekochtes gegessen, Akira?" "Äh..." Verlegen kratzte ich mich an der Schläfe. "Nicht, dass ich mich erinnern kann. Meistens haben wir bei uns gegessen, und dann hat Mom gekocht und das war immer sehr lecker." "Kein Wunder. Sie hat es ja von mir gelernt. Und jetzt kommt, Ihr zwei." Übergangslos strahlte Kitsune wieder. "Eri-samas Selbstgekochtes. Eri-samas Selbstgekochtes..." Resignierend folgte ich den beiden. Na, das konnte ja was werden. ** Jora Kalis, die Offizierin, die Megumis Platz hatte einnehmen sollen, wirkte im Moment nicht besonders glücklich. Megumi hatte sie einen geschlagenen Tag bequatscht und schließlich hatte die Naguad zugestimmt, sich die Haare schwarz zu färben, damit die anderen sie leichter auseinander halten konnten. Die Mediker der Naguad hatten ziemlich gut gearbeitet, sogar Megumi kam es manchmal vor als würde sie in einen Spiegel sehen. Deshalb hatte sie ihrer Schwester - so bezeichnete sie die Frau der Einfachheit halber - auch einen komplett anderen Modestil verordnet. Auch die Frisur war verändert worden, die Ponyfrisur war einem kurzen Schnitt gewichen, der ihr aber ziemlich gut stand. Dennoch sah sie aus als hätte sie zum ersten Mal in ihrem Leben in eine Zitrone gebissen. "Nun hör schon auf zu schmollen, Jora", murmelte Megumi und reichte ihr die Nudeln. "Iss lieber was, bevor du vom Fleisch fällst." "Danke, du bist zu fürsorglich", erwiderte sie säuerlich. "Es ist faszinierend", sagte Doitsu mit nachdenklicher Stimme. "Das Ihr in der Lage seid, einen Menschen derart komplett umzugestalten... Ich habe mich noch nicht entschieden, ob ich das als Wunder oder als Schwerverbrechen ansehen sollte." "Hm?", machte Jora und sah auf. Die Offizierin im Leutnantsrang musterte den Hochgewachsenen Anführer der Yakuza und Bataillonsführer der Hekatoncheiren einige Zeit. "Ach das. Nein, das liegt nicht an der Medizintechnik. Selbst wir hätten so was nicht so schnell hingekriegt. Denk doch mal nach, das waren ja nur zwei Wochen. Nein, das hat nur so schnell geklappt, weil ich ihr ohnehin schon ähnlich sah." "Äh", machte Doitsu und sah sie verlegen an. "Noch jemand am Tisch, der das nicht für einen Zufall hält?" Yoshi, Yohko, Michi, Okame-tono und Akari hoben die Hand. "Ah. Wollte es nur wissen. Was uns zu einer Frage bringt. Jora, warum hast du Megumi bereits ähnlich gesehen? Wenn es kein Zufall war, dann..." "Dann liegt es daran, dass ein Teil meiner Genetik naguadschen Ursprungs ist", kommentierte Megumi ernst. "Oder anders ausgedrückt, Jora und ich müssen um ein paar Ecken verwandt sein." Die KI-Meisterin der Naguad nickte. "Richtig. So sehe ich das auch. Deshalb bin ich ja so interessiert an euch. Vor allem an eurer Geschichte. Vieles, was Haus Daness in den letzten Jahrhunderten getan hat, liegt noch immer im Dunkeln verborgen, und ich habe Dutzende Fragen, die ich gerne beantwortet sehen würde. Wenn ich es genau betrachte, dann ist es meine Pflicht, mit der AURORA zur Erde zu fliegen und dort Nachforschungen anzustellen. Denn das Haus steht über dem Imperium." "Moment mal, Haus Daness?", hakte Yoshi nach. "Ich sollte wohl etwas weiter ausholen. Obwohl ich das alles schon euren Geheimdienstoffizieren erzählt habe und... Na, egal. Das Imperium der Naguad ist folgendermaßen gegliedert..." ** Es gab nicht mehr besonders viele Dinge in meinem Leben, die mich schockieren konnten. Immerhin wäre ich beinahe zweimal gestorben, hatte einmal die Verantwortung für die gesamte Erde gehabt und meine Freundin tot geglaubt. Andererseits, mich zu irren passierte mir anscheinend öfters. Als ich das Appartement meiner Großmutter betrat, traf mich ein richtig harter Schock. Konsterniert stand ich in der Tür und starrte den großen Mann an, der mich spöttisch musterte. "Lass mich raten, Schatz. Er hat dich zufällig entdeckt und dich dann zur Rede gestellt." Oma Eri gab ihm einen Kuss. "Genau so war es. Es musste ja irgendwann passieren, Darling." Der Mann seufzte. "Komm rein, Junge. Oder willst du in der Tür stehen bleiben?" "O-opa, du auch hier?" "Blitzmerker", brummte Opa Michael amüsiert. Von hinten begann Kitsune zu schieben, sodass ich eher unfreiwillig in die Wohnung stolperte. "Ich mache dann mal das Essen", sagte Oma Eri schmunzelnd und verschwand. "Übrigens habe ich dem Jungen versprochen, dass wir ihm erklären, warum wir an Bord der AURORA sind." "Hm? So was habe ich mir schon gedacht, Eri." Opa setzte sich in die Couchecke und bedeutete mir neben ihm Platz zu nehmen. Zögerlich folgte ich der Aufforderung - wieder nicht ganz freiwillig, weil Kitsune schon wieder von hinten schob. "Okay, Akira. Was weißt du schon?" "Ich bin ein Naguad." Nun war es an Michael, mich erstaunt anzusehen. "Hast du etwa mit Torum Acati geredet?" "Wer ist das denn schon wieder? Nein, mein Gesprächspartner war ein Mann, der mir verdammt ähnlich gesehen hat. Kapitän des Spezialzerstörers AGRINA. Sein Name ist Marus Jorr. Er hat mir etwas von einem Haus Arogad erzählt." Michael seufzte gequält auf. "Zu viele Informationen, und zudem zu schnell. Was hat sich der Jungspund nur dabei gedacht? Damit du alles richtig verstehst, Akira, muss ich etwas weiter ausholen. Bei meiner eigenen Geburt." ** "Die Passage zum Frachter ist dann bereit, Legat Taylor." Henry William Taylor sah von seiner Lektüre, Geschichtsdateien auf einem Datapad auf. "Danke." Er erhob sich, griff nach der Tasche mit den wenigen Sachen, die er sich erlaubt hatte mitzunehmen und folgte dem zivilen Angestellten des Raumhafens zur Schleuse. "Übrigens, was denken Sie über die Entwicklung um Lorania?", fragte Taylor aus einer Laune heraus. Der junge Mann, eindeutig ein Anelph, zuckte leicht zusammen. "Was ich... Was ich davon halte? Ich habe keine Meinung, Legat." Henry Taylor konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Das war genauso gut wie eine positive Meinung über das Vorgehen des Komitees und der AURORA. Nur, hier draußen war die Präsenz der Naguad zu stark, um das offen sagen zu können. Vor einer Schleuse blieb der Mann stehen und fügte hinzu: "Aber ich bin ein großer Fan von Joan Reilley. Gute Reise, Legat." "Danke", erwiderte er und betrat den Gang. Diese Antwort, ich mag Joan Reilley, hatte er nun schon zum siebten Mal gehört. Und langsam fragte er sich, ob die Anelph so die Spreu vom Weizen trennen wollten, oder ob sie der für sie so fremden Musik doch verfallen waren. "Ein wenig von beidem", entschied Henry und betrat den Frachter. In seiner erschreckend geräumigen Kabine widmete er sich wieder dem Pad und der Geschichtslektion. ** Joan Reilley sang. Sie sang mit all ihrer Kraft und ihrer ganzen Stimme. Zudem a capella, aber durch Lautsprechersysteme verstärkt. Zuvor hatte sie ein Medley mit einigen der bedeutendsten Künstler Loranias gesungen, beziehungsweise mit ihrer Band und den Musikern der Anelph gespielt. Und bald würden sie wieder mit ihr spielen. Garkan Front zum Beispiel, auf Lorania absolute Superstars, machten sich schon wieder bereit, nach Joans Solo einzufallen. Sinn und Zweck des Ganzen war es, die gut eine Million Menschen und Naguad abzulenken, um keine Panik ausbrechen zu lassen. Ein hektischer Ruf, ein einzelner, der umstürzte, konnte seine Umstehenden in Panik versetzen und damit das auslösen, was sie alle hier nicht wollten. Eine Massenpanik mit all ihren schrecklichen Konsequenzen. Die ersten erklommen schon die Plattformen, die Planung hatte eine Stunde eingeplant, bis alle einen Platz gefunden hatten. Danach würden es nur noch wenige Minuten dauern, bis das Resonatorfeld aktiviert werden würde. Anschließend würden Freiwillige all jene von den Plattformen holen, die wider Erwarten nicht in Resonanz getreten waren, deren Zeitablauf nicht auf nahezu null reduziert worden war. Und in all der Zeit würde Joan mit ihrer Band, mit Garkan Front, mit dem Solostar Jegen Aderna Zaft, Traumwelt und weiteren hochrangigen Vertretern Loranias musizieren. Opium fürs Volk, hatte Makoto das genannt, aber Joan sah es nicht so. Für sie war dies ein riesiges Festival. Es machte ihr viel Spaß, für die Anelph zu singen. Die Zusammenarbeit mit den Künstlern der Anelph verlief problemlos und inspirierte ihre eigene Arbeit. Sie war dankbar dafür, dass die Künstler sich zur Verfügung gestellt hatten, obwohl nur ein Teil von ihnen zum Komitee gehörte. Aber es war wohl so wie Zaft in der Vorbesprechung gesagt hatte: Das waren ihre Leute da draußen und für sie mussten sie alles geben. Joan beendete ihr Solo. Neben sich hörte sie schon, wie der Drummer von Garkan Front den Rhythmus des nächsten Liedes vorgab. Das Schlagzeug der Anelph hatte große Ähnlichkeit mit dem der Menschen - und unterschied sich doch wieder in vielen Details. Dieser Teil des Austauschs würde ihnen allen besonders viel Spaß machen. Noch fünfundfünfzig Minuten bis zur Aktivierung des Torpedos. Sakura lächelte zur ihr hinauf und zeigte ihr den erhobenen Daumen der rechten Hand. Makoto, in voller Flottenuniform, grinste sie frech an. Joan spürte, wie ihr ein Stich durchs Herz ging. In Uniform war Mako-chan ja so männlich. 3. Torum Acati fuhr hoch. Schlagartig war ihm alles klar. Sein Körper war in Schweiß gebadet und sein Herz schlug hektisch, sein Atem ging, als wäre er gerade seine zwanzig Kilometer Tagespensum gelaufen. Wütend ballte er die Hände zu Fäusten. "Diese Kinder..." "Bleiben Sie bitte noch liegen, Begam", vernahm er die Stimme vom Bordarzt. "Das Feedback hat Sie ganz schön mitgenommen." Irritiert folgte sein Blick der Stimme. Der Ältere setzte gerade ein Medikament in einem Drucksprayer an. Acati kannte die Farbe des Präparats. Es handelte sich um ein Mittel, um den eigenen KI-Fluss zu stabilisieren. Als die Lösung intramuskulär injiziert wurde, spürte er beinahe sofort den Effekt. Mit jeder Sekunde wurde er ausgeglichener. "Danke." "Was ist passiert, Begam? In diesem Zustand habe ich Sie seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen." Der Abgesandte des Rates senkte den Blick. "Es... An Bord der AURORA werden einige sehr mächtige KI-Meister heran gezogen. Viele von ihnen sind noch halbe Kinder, und dennoch haben sie mich entdeckt. Sie werden vom Daimon ihrer Heimatwelt geschützt. Und nicht nur das. Ich habe an Bord auch eine Spur von Arogads Verrätern gefunden." Der Arzt schwieg verblüfft. "Arogads Verräter? Jetzt wissen wir was sie die letzten dreihundert Jahre gemacht haben. Mit soviel Zeit und der Unterstützung der Daimon ihrer neuen Heimatwelt ist es offensichtlich, dass sie KI-Meister aufbauen konnten, die Sie in Ihrer Schattenexistenz aufspüren und abwehren konnten, Begam." Torum Acati stemmte sich hoch. "Die AURORA darf dieses System nicht mehr verlassen! Wir müssen das verhindern, um jeden Preis! Wir müssen ihrer KI-Meister besiegen, hier und heute!" Von einem Schwindelanfall geplagt sank er wieder auf das Lager. "Na, vielleicht in ein paar Stunden." "Sind die KI-Meister der AURORA so mächtig?" "Nein." Der Arzt atmete auf. Das wäre auch das erste Mal seit er dem Orden diente, dass Torum Acati eine solche Feststellung getroffen hätte. "Noch nicht", fügte Acati an und brachte den Arzt aus der Fassung. Acati legte eine Hand auf die Stirn. "Lassen Sie meinen Banges bereit machen. Ich werde mich hier die nächsten acht Stunden ausruhen. Danach werde ich nach Lorania rüber fliegen und die KI-Meister der AURORA stellen. Unter ihnen gibt es keinen, der es mit meiner ganzen Kraft aufnehmen kann." "Oder Sie haben solch einen Menschen bisher nicht entdeckt", gab der Arzt zu bedenken. "Sie haben Recht. Wir sollten uns absichern. Informieren Sie die Ordensmeisterin über Ihren Verdacht." Acati sah den Arzt an. "Bitte. Die Gefahr, die von diesem Schiff ausgeht ist größer als ein rebellierendes Kanto-System, größer als eine desertierende Division Banges." "Desertierende Division Banges? Wie kommen Sie jetzt darauf?", fragte der Arzt erstaunt. "Weil es gerade geschieht", murmelte der Naguad ernst und schloss die Augen. "Verdammte Kopfschmerzen. Verdammte Kinder. Verdammte AURORA! Verdammtes Haus Arogad!" Kurz darauf gellte der Alarm durch die Fregatte KON. ** "Das Imperium ist derzeit in siebzehn Verwaltungsbezirke und neunzehn Marken eingeteilt. Die siebzehn Bezirke mit dem Prime-System im relativen Zentrum gelten als befriedetes Terrain, als Horte der Sicherheit und Garanten für freien interstellaren Handel. Jeder Bezirk steht für System mit mindestens einer bewohnten Sauerstoffwelt, und umfasst sämtliche Planeten des Systems sowie einen Teil der unbewohnbaren Planeten der Nachbarsysteme, sofern sich dort keine Sauerstoffwelten mit akzeptablen klimatischen Bedingungen und/oder Eingeborenen befinden. Falls das Imperium in diesen Systemen Interessen hat, angefangen bei Garnisonen des Militärs, Sprungrouten für Handel und Nachschub oder Ressourcen auf Planeten, Monden oder Asteroiden. Die neunzehn Marken umfassen ebenfalls ein Sonnensystem mit mindestens einer Sauerstoffwelt sowie umliegenden Systemen, in denen das Imperium Interessen vertritt. Hierbei handelt es sich um Systeme und Welten, die entweder noch nicht genetisch angepasst sind, den imperialen Standard noch nicht übernommen haben oder dem Imperium selbst feindselig gegenüber stehen. Des Weiteren gibt es fünf weitere Bereiche, die so genannten Kampfzonen. In ihnen agieren imperiale Flotten, um diese für das Imperium nutzbar zu machen." Henry William Taylor sah von seiner Lektüre auf. Von den Cores wurde gar nichts erwähnt. Gab es also auch im Imperium Geheimnisse, die man nicht gerade freigiebig mit der Öffentlichkeit teilte? Er sah auf den Monitor, der mit einer Kamera verbunden war, welche die Fahrtrichtung zeigte. In diesem Fall ein paar ferne Sterne und jede Menge undurchdringliche Schwärze. Nicht mehr lange, und sein Frachter würde springen. Zuerst nach Grido, einem der Mark-Systeme, wie Kanto auch eines war, danach in ein Bezirk-System, Rovekk. Dort musste er umsteigen, um nach Naguad Prime zu gelangen. An das Ziel seiner Mission. Es war eine Reise von drei Monaten. Eine Reise, in der er mehr Wissen über die Naguad zu erlangen hoffte. Zumindest wesentlich mehr als aus diesen allgemein zugänglichen Informationsquellen. Vor allem die Andeutungen über einen geheimnisvollen Orden waren es wert, tiefer zu graben. Kurz dachte er an die anderen zwanzig Kronosier, die er für diese Mission rekrutiert hatte und die nun ebenso wie er auf möglichst unspektakulärem Weg dabei waren, das System zu verlassen. Einer, nur einer von ihnen musste zurückkehren, um die Erde über seine Erkenntnisse zu informieren. Mehr wollte Taylor gar nicht. Und dieser jemand musste nicht einmal er selbst sein. Nicht unbedingt. Dann kam der Sprung. ** "Um mich zu verstehen, musst du wissen, dass ich in die eher unbedeutende Familie Fioran geboren wurde. Familien sind bei den Naguad nicht dasselbe wie bei den Menschen. Nein, das ist so nicht richtig. Es gab diese Form auch bei den Menschen, es ist der Lehnsherrschaft verwandt. Es gibt einen Herrscher und dessen engere Familie, die der Familie vorsteht und die Anführer stellt. Und es gibt tausende, ja Millionen, die in diese Familie hineingeboren werden und die unteren Ränge besetzen, von Kriegern über Verwalter und Ingenieure bis hin zu Arbeitern. Diese Familien bilden das Rückgrat des Imperiums, auf ihnen erbaut der Rat seine Macht. Meine Familie, Fioran, gehört wie ich schon gesagt habe zu den unbedeutenderen. Sie hat nur einen Vertreter im Rat und versuchte damals schon diesen Umstand zu ändern. Von meinen Verwandten wurden besonders viele zum Explorercorps geschickt, zum Militär, in die Reichsverwaltung. Ansehen erwirbt eine Familie durch Engagement für die Allgemeinheit, für eroberte Territorien oder für neu entdeckte Systeme. Auch mein Schicksal stand seit meiner Geburt fest. Ich war dazu ausersehen, ins diplomatische Corps einzutreten und meinen Dienst in der Verwaltung des Imperiums zu leisten. Oder um es mal direkt auszudrücken, ich sollte dafür sorgen, dass sich die eroberten Gebiete in befriedete Gebiete verwandeln, damit das Imperium weiter expandieren kann. Das sollte mein Schicksal sein, das vor über vierhundert terranischen Jahren begann." Opa senkte den Blick und schmunzelte. "Aber es kam alles anders, so vollkommen anders. Wie ich schon sagte, stützt sich das Imperium auf die Familien als Grundpfeiler der Expansion. Es gibt viele Familien, die eigene Flotten unterhalten und mit Genehmigung des Rates eigenständig das Imperium erweitern. Auf diese Aktivitäten ist auch die Core-Technologie zurückzuführen, mit der wir solchen Ärger hatten. Das Imperium lässt die Familien gewähren und kontrolliert ihre Aktivitäten lediglich, denn stoppen kann es sie nicht. Es gibt neun große Familien auf Naguad Prime. Daness, Arogad, Bilas, Koromando, Elwenfelt, Grandanar, Fioran, Logodoboro und Awarima. Dazu kommen noch ein paar Dutzend Nebenzweige, kleinere Familien und dergleichen. Allen gemein ist ein Credo: Das Imperium zu erweitern und die Zone ruhigen Handels und Wirtschaftswachstums auszudehnen. Ob die Völker, auf die das Imperium ausgedehnt werden soll daran interessiert sind oder nicht ist ihnen herzlich egal." "Ich habe eine Frage, Opa", sagte ich ernst. "Gelten diese Familien auch für das Militär und die eroberten Systeme?" "Nein. Im Militär zählen nur die eigenen Ränge. Natürlich gibt es auch hier Protektionismus von begabten Soldaten und Offizieren durch höhere Offiziere der eigenen Familie. Aber generell versucht das Imperium, abgesehen von den Hausflotten der großen Familien, das Militär vom Einfluss freizuhalten. Nichtsdestotrotz haben viele Familien bereits ihre Expansion auf die Distrikte vorangetrieben." Ich nickte ernst. "Verstehe. Meinst du, ein Bürgerkrieg könnte zwischen den großen Familien ausbrechen?" "Nein." Opa Michael schmunzelte. "Nicht ohne einen wirklich vehementen Einfluss von außen. Denn um das zu verhindern gibt es den Rat. Wer einmal als Ratsherr gewählt wurde, schwört seiner Familie ab und dient ausschließlich dem Wohl aller Naguad und aller assoziierten Völker. Und dann gibt es noch den Orden, der sich vollkommen der Integrität des Reiches verschrieben hat." "Zum Wohle der assoziierten Völker?", fragte ich Stirn runzelnd. "Auch wenn es auf dich so wirkt, Akira, aber wir Naguad sind keineswegs eine Invasionsmaschinerie. Das Credo der Naguad ist und war, alle Völker in dieser Region unter einem Banner zu vereinen, um jeden Preis. Wie dieser Preis manchmal aussieht, hast du selbst erlebt. Aber generell ist das Anliegen des Imperiums lobenswert. Um dieses Ziel zu erreichen, um alle Völker gleich zu stellen haben Forscher schon vor zweitausend Jahren, nach den Arogad-Kriegen, die genetische Manipulation entwickelt." Ich richtete mich auf. "Na, langsam fangen die interessanten Themen an." "Ja, nicht wahr? Ich war auch ganz aufgeregt, als ich damals zum ersten Mal davon hörte", meldete sich Kitsune zu Wort. Opa Michael ignorierte die Dämonin schmunzelnd. "Das Thema an sich ist dir ja bekannt, nicht, Akira? Dadurch, dass der Core ein paar hundert Menschen die Gift gewährt hat, sind sie zu Kronosiern geworden, sprich Naguad. Dadurch gehörten sie dem Volk der Angreifer an, mit allen Privilegien und Pflichten. Ziel und Zweck dieser Technik war es von Anfang an, alle humanoiden Völker derart zu manipulieren. Ein System in dem sich die Naguad-Genetik zu vierzig Prozent ausgebreitet hat, gilt als vollwertig dem Imperium zugehörig. Das Prinzip der genetischen Manipulation ist simpel. Durch Retroviren wird ein Teil der Erbinformationen umprogrammiert und dem Genom der Naguad angeglichen. Sieben der neun großen Häuser haben dafür ein Exempel gestellt. Das heißt, es gibt sieben Grundtypen für die genetische Manipulation. Früher waren es neun, aber zwei Häuser haben ihr Exempel wieder zurückgezogen. Dies sind die Häuser Awarima und meines, Fioran. Warum das geschehen ist kann ich dir nicht sagen. Aber es begründet, warum meine Familie relativ wenig Macht hat. Bei der Umprogrammierung der DNS geht es vor allem um Äußerlichkeiten. Haare, Haut, Augen. Sekundär aber auch um Gesundheit. Seit über zweitausend Jahren fügt der Rat Verbesserungen in die genetische Struktur ein. Leistungsverbesserte Synapsen, stärkere Arterien und Venen, optimierte innere Organe. Kleinigkeiten nur, die aber in der Summe dazu führen, dass ein Naguad einem normalen Menschen ein wenig voraus ist. Du hast diese Genetik zum Teil, Akira. Du bist zu fünfzig Prozent ein Naguad. Yohko wurde von Retroviren umprogrammiert und ist nun eine vollwertige Naguad. Das bedeutet aber nicht, dass ihre terranische Hälfte komplett umprogrammiert wurde. Lediglich einige spezifische Merkmale sind davon betroffen. Aber es reicht, um ihr die Augen und die Haarfarbe zu verändern." Ich nickte verstehend. "Das Reich muß sehr friedlich sein, wenn man niemanden wegen einer fremden Genetik diskriminieren kann." "Ja, das war damals der Grundgedanke, an den sich das Imperium immer noch hält. Und das ironische ist, langfristig klappt es sogar." "Vergiss nicht von unserer Mission zu erzählen, Schatz", rief Oma Eri aus der Küche herüber. "Werde ich schon nicht vergessen", brummte Opa zurück. "Wo war ich? Nun, wie du dir denken kannst, Akira, ist nicht alles Gold was glänzt. Selbst wenn sich alle Familien dem Ziel des Imperiums verschrieben haben, so gibt es doch immer noch Streitigkeiten und Rivalität. Der Rat und der geheime Orden können nicht alle Ambitionen im Zaum halten und alle eigennützigen Ziele verhindern. Sie können nur ihr Bestes geben, um ihre Fehler auszugleichen." Michael breitete die Arme aus als wolle er die Welt umfassen. "Wo wir gerade beim Thema sind, das Kanto-System ist so ein Fall. Haus Elwenfelt hat dieses System vor fast vierhundert Jahren entdeckt und versucht, einen friedlichen Kontakt zu etablieren. Haus Logodoboro hingegen war zu diesem Zeitpunkt in... Nun, Schwierigkeiten. Sie brauchten Erfolge, militärische, wirtschaftliche. Ein neues System, zudem schnell befriedet wäre so ein Erfolg gewesen. Also griffen sie mit Hauseigenen Flotten an. Das Ende vom Lied war, das der Rat Flotten schicken musste, um zu verhindern, dass vom Kanto-System ein Großbrand ausging, der das halbe Reich erfasst hätte. Im Nachhinein standen sich Lorania und Prime immer misstrauisch gegenüber. Dementsprechend hart wurde das Kanto-System angepackt. Es ist also kein Wunder, dass die Beziehungen noch immer auf wackligen Füßen stehen. Und das es nun tatsächlich zu einem Aufstand gekommen ist." "Langsam frage ich mich, ob ich mein Katana brauche. Auf welcher Seite stehst du eigentlich, wenn das Imperium doch so supertoll ist und das Kanto-System eigentlich nur wegen einem Missverständnis so rebellisch ist?", murrte ich wütend. "Akira-chan, so kannst du nicht mit Michael-sama reden!", beschwerte sich Kitsune bei mir. Erstaunt sah ich die Dämonin an. "Nanu? So ernst kenne ich dich ja gar nicht." "Ist doch wahr. Das hier ist ja auch Michael-sama! Ach nee, das kannst du ja nicht wissen. Aber egal, du solltest ihn mit Respekt behandeln, alleine schon um Helen-tono Respekt zu erweisen." "Was hat denn meine Mutter damit zu tun?" "Greif nicht so vor, Kitsune-chan", tadelte Opa milde. "Du hast eine gute Frage gestellt, Akira, und ich will sie dir beantworten. Hast du einen Ort, den du Zuhause nennst?" "Du antwortest mit einer Gegenfrage?" "Akira..." "Ja, verdammt, den habe ich. Ein kleiner blauer Ball im Universum, der mit acht Geschwistern um eine gelbe Sonne kreist und auf den wunderbaren Namen Erde hört." "Siehst du. Ich auch. Und mein Zuhause ist auch die Erde." Er schwieg für einen Moment, versunken in Gedanken, die ich nicht erahnen konnte. "Wir... ich und Eri haben... Haben auf der Erde unsere Heimat gefunden. Unsere wahre Heimat. Und wir haben für sie gekämpft. Das Imperium ist ein Riese. Wenn der Schatten des Riesen auf die Erde fällt, dann wird sie nie wieder das sein, was sie jetzt ist - oder das, was sie eigentlich einmal werden sollte. Sie muß selbst zum Riesen werden und dem Imperium auf gleicher Ebene gegenüberstehen. Nur dann kann das Imperium ihr nicht Geschichte, Kultur und Identität entreißen, wie es dies mit den anderen bewohnten Systemen gemacht hat, so hehr die Ideale des Rates auch immer waren und sind. Aber ich schweife ab. Eri war... Nein, eigentlich ist sie es noch immer. Deine Großmutter, mein Junge, ist aus der Familie der Arogad." Opa schwieg einige Zeit und musterte mich interessiert. Er erwartete eine Reaktion von mir und ein klein wenig panisch dachte ich darüber nach, was er von mir erwartete. "Moment Mal, wenn du sagst, sie ist aus der Familie Arogad, dann meinst du nicht das Haus an sich. Du meinst die Hauptfamilie, die ihm vorsteht, richtig?" Oma Eri sah lächelnd zu uns ins Wohnzimmer. "Ich habe dir doch gesagt, er ist ein fixer Junge, Michael." "Das stand doch außer Frage, Schatz. Okay, es gab eine Zeit, in der Arogad mit Fioran eng zusammen gearbeitet hat. Wir hatten die Spezialisten, Ingenieure und Soldaten und Arogad hatte die Schiffe. Und beide Familien hatten den dringenden Wunsch, sich dem Rat gegenüber zu empfehlen. Eri war Soldatin, war es schon lange bevor ich geboren wurde. Sie war es, die das Kommando über ein Schiff der Familie Arogad übernahm und zu einer Expedition in unbekannte Sonnensysteme aufbrach. Es war eigentlich eine reine Forschungsmission, wir wollten die Weichen für die nächsten tausend Jahre stellen. Nicht erobern und beherrschen. Aber es kam alles anders, so vollkommen anders. Na, das erzähle ich dir ein andernmal. Du willst ja wissen, warum du Naguad-Genetik in dir trägst, deshalb will ich das mal anreißen." "Ooooooch, ich höre die Geschichte aber so gerne", maulte Kitsune. Michael tätschelte ihr den Kopf. "Ein anderes Mal. Außerdem, du warst doch selbst dabei." "Du erzählst es aber immer so toll, Michael-sama." "Nein, das würde hier und jetzt zu weit führen", bestimmte Michael und seine Stimme deutete an, dass er sich nicht erweichen lassen würde. "Jedenfalls, wir mussten uns damals entscheiden, was wir tun sollten. Letztendlich sind Eri und ich auf der Erde gestrandet, fern des Imperiums. Ehrlich gesagt hatten wir damals auch kein Interesse daran, zurück zu kehren. Darum richteten wir uns auf der Erde ein. Tja, es kam so wie es kommen musste, läppische zweihundert Jahre später war deine Mutter unterwegs. Das bedeutete natürlich für Eri, dass sie um etliches ruhiger werden musste!" Die letzten Worte hatte Opa extra laut gesprochen, damit sie ihn auch hören konnte. "Wie wahr, wie wahr", seufzte Kitsune. "Red du nur. Du bist doch der Springinsfeld, der immer alles auf einmal haben will. Wenn ich da nur an deinen ersten Kampf denke... Gegen einen ausgebildeten KI-Meister, ohne Rückendeckung und gerade erst ahnend, was in dir schlummert. Und dann soll ich leichtsinnig sein?", kam es aus der Küche zurück. "Hm, etwas mehr Salz wäre nicht verkehrt." "Es ging um dein Leben. Was blieb mir anderes übrig?", konterte Michael. "Na, jedenfalls wurde deine Mutter vor siebzig Jahren geboren. Sie war zwar eine vollwertige Naguad, aber das Leben auf der Erde war das einzige, was sie je kennen gelernt hat. Sie... Nein, das führt auch zu weit. Es reicht wenn ich dir erzähle, dass sie vor fünfundzwanzig Jahren auf deinen Vater traf. Und es war wirklich keine Liebe auf den ersten Blick. Wie sie sich zusammengerauft haben... Na ja, es war jedenfalls eine lustige Zeit für Eri und mich. Für Helen und Eikichi eher nicht." "Nun mach die Kinder doch nicht schlechter als sie damals waren", tadelte Oma Eri aus der Küche. "Sie waren halt füreinander bestimmt und nichts in diesem Universum konnte das ändern." Michael schien für einen Moment in die Weiten des Universums zu starren. Sein Blick ging durch mich hindurch, als hätte ich keinerlei Substanz. "Es... Der Preis war viel zu hoch." "War er nicht", antwortete Oma aus der Küche. "Du hast deine Meinung, ich habe meine Meinung", brummte Michael zurück. "Na, irgendwann haben sich die beiden eben gefunden. Sie ließen sich in Japan nieder und... Das Ergebnis waren du und Yohko. Deshalb bist du ein halber Naguad." Ich runzelte die Stirn. "Wenn ich dich richtig verstanden habe, Opa, dann ist die Gift keine Komplettumprogrammierung, oder? Sie ändert einige Details, wichtige Details, und der Mensch mit der Gift geht fortan als Naguad durch. Aber die Erbsubstanz wird nicht komplett umgeschrieben. Ich meine, es ist nicht so wie bei den Viren, die in gesunde Zellen eindringen und die Zellen zwingen, das Erbgut der Viren zu reproduzieren. Wenn ein Kronosier Kinder zeugt, dann sind das keine obskuren, eigentlich schon lange tote Naguad, sondern seine Kinder mit... Na, mit ein paar Extras." "Ich würde es vielleicht nicht gerade so flapsig ausdrücken, aber im Prinzip hast du Recht, Akira." "Verstehe." "Genug geredet. Essen ist fertig. Ich habe mich extra beeilt, weil Akira ja gleich los muß." "Hä? Wieso?", fragte ich, wie ich zugeben muß mit keinem besonders intelligenten Gesichtsausdruck. "Na, in einer halben Stunde wird der Resonanztorpedo aktiviert. Dann sollte der Oberkommandierende der Hekatoncheiren-Division bei den anderen Repräsentanten der Operation Troja sein, oder?" Siedendheiß fiel es mir wieder ein. Richtig, ich sollte ja eigentlich ganz woanders sein! "Hier geblieben!", rief Michael und packte mich am Kragen, als ich aufstehen und zur Tür rennen wollte. "Ich bringe dich nachher rüber nach Hause, damit du dich umziehen kannst. Und ich bringe dich auch raus zu den Plattformen. Aber jetzt isst du erstmal was." "Genau", tadelte mich Oma. "Du bist so schrecklich dünn, Akira. Du musst wirklich mehr darauf achten, dass du genügend isst. Kocht Kitsune-chan zu wenig?" "Ist nicht meine Schuld!", beschwerte sich die Dämonin. "Akira-chan hat die letzten beiden Mahlzeiten ausfallen lassen." "Kitsune-chan!" "So? Das klingt aber gar nicht gut, Akira. Warum machst du solche Sachen? Deine Gesundheit ist eines der Kapitale der Division und der ganzen Operation." "I-ich war beschäftigt, Oma." "Beschäftigt?" Sie sah mich mit hochgezogener Augenbraue an, als sie mit einem großen Tablett ins Wohnzimmer kam. "I-ich hatte... Nun... Megumi und ich, wir... Es gab da einiges zu besprechen und..." "Anstatt etwas zu besprechen hättet Ihr ordentlichen Sex haben sollen", tadelte mich Oma. "Die Jugend von heute hat irgendwie keine Leidenschaft mehr. Ist sie nun deine feste Freundin oder nicht?" Ich spürte wie ich rot wurde. Das war ein Thema, das ich ausgerechnet mit der Mutter meiner Mutter nicht besprechen wollte. "Nun..." In Eris Augen glomm es kurz auf. "Ach so. SO etwas zu besprechen. Na, dann musst du erst Recht gut essen, denn es gibt bestimmt eine Rückrunde." Sie zwinkerte mir zu. Und ich wurde von einem hartnäckigen Hustenanfall geplagt. Großeltern, wer hatte die eigentlich erfunden? ** Jora sah nachdenklich aus dem Fenster der Magnetschwebebahn, die sie und die anderen gerade hinaus trug zum Live-Konzert der loranischen Stars und Joan Reilley. "Also, die Gliederung in Familien und überparteiliche Ratstruppen haben wir jetzt verstanden", sagte Yoshi nachdenklich, "auch das Prinzip, nach dem der geheime Orden existiert, dem du und Maros und einige weitere Offiziere an Bord angehören." Die Naguad nickte nachdenklich. Dabei besah sie sich die junge Frau neben sich heimlich genauer. Megumi Uno war so unverwechselbar ein Kind von Haus Daness, dass es ihr beinahe körperlich weh tat darüber nachzudenken, wie das möglich war. Sie selbst wusste, dass sie Naguad-Gene in sich trug. Aber sicher wusste sie noch weniger als Jora Kalis selbst. "Der Orden besteht aus KI-Meistern und Dämonenkönigen meiner Heimatwelt sowie anderer Welten, die von uns ins Imperium integriert wurden. Der Orden wirkt im Verborgenen für den Erhalt und die Stabilität. Ihr könnt euch vorstellen, dass es bei unserem Regierungsprinzip und dem großen Gegengewicht der neun großen Familien permanent zu Reibereien kommt, ja, zu Aufständen. Von der Befriedung der Marken einmal ganz zu schweigen. Der Orden hat als oberstes Gebot den Frieden als Ziel. Denn Frieden, fast um jeden Preis, bedeutet, dass es keine Kollateralschäden gibt. Ich bin von diesem Prinzip nicht überzeugt. Aber ein besseres kann ich auch nicht anbieten. Und das Imperium ist mittlerweile viel zu groß, als dass es friedlich in seine Bestandteile zerfallen könnte." Sie dachte über ihre Worte einen Moment nach. Das meiste, was sie erzählt hatte, gehörte zu Wissen, das sie normalerweise nicht einmal unter Folter preisgegeben hätte, egal wie banal es eigentlich war. Aber hier fiel es ihr bemerkenswert leicht. Und diese jungen Leute und ihre... Schwester hatten ein Recht die Hintergründe zu erfahren. "Leider ist der Einfluss der Häuser viel zu groß. Wer in den Rat eintritt, gibt seine Loyalität gegenüber der Familie auf. Aber dann gibt es dort einen Bau zu genehmigen, hier wäre eine Gesetzesänderung zu machen, und so weiter. Die Verbindungen gibt es immer noch und absolut unbestechlich ist niemand. Deshalb wird vom Rat auch nur verlangt, das Beste zu geben was er hat. Leider sind die Familien bei weitem eigennütziger. Was dazu führt, dass selbst mein Haus Daness, die größte und einflussreichste Familie und wichtigste Stütze des Rates oftmals eigennützig handeln muß, wenn sie den anderen Häusern gegenüber nicht zurückbleiben will. Oh, ich hasse das. Aber es ist so oft nötig... Wir sind eben Naguad, keine Heiligen. Noch nicht." "Heilige sind ja auch langweilig", kommentierte Yoshi grinsend. "Lass sie ausreden, Schatz", tadelte Yohko ihren Freund. Jora musste kurz zwinkern, als sie die junge Frau musterte, wieder einmal. Soweit sie es mitbekommen hatte, war ihr die so genannte Gift verabreicht worden. Ihre Gesichtszüge erinnerten sie an Haus Arogad, sie sah ihrem Bruder sehr ähnlich. Aber die Haare und die dunklen Augen sprachen eher für Haus Elwenfelt. Kurz schmunzelte sie. Da hatten die auf Elwenfelt-Genetik umprogrammierten Kronosianer also tatsächlich einer Tochter von Haus Arogad noch die Gene eines anderen Hauses aufgepropft. "Ja, so könnte man es darstellen. Ironie pur, wenn du mich fragst, Jora." Verwirrt sah die Naguad auf. "Habe ich etwa laut gedacht?" "Ich glaube, die einzige die es nicht gehört hat war Ban Shee Ryon an Bord der SUNDER", kommentierte Yoshi spöttisch. Was ihm einen tadelnden Blick der Frauen einhandelte. Der Zug hielt in Charleston, einer der vier Kleinstädte in der Ebene der AURORA. Von hier war es zu den Feldern und den Live-Konzert nur ein paar hundert Meter. "Kommt Ihr auch endlich?", fragte Doitsu amüsiert. Neben ihm stand Hina Yamada und lächelte die anderen an. "Wollen wir dann?" "Moment, wo ist den Akira?", fragte Megumi. "Er sollte doch längst hier sein." "Er hat uns versetzt", stellte Daisuke fest. Er kam mit Sarah auf die Gruppe der Freunde zu. "Hey, wir waren im gleichen Zug?" Mamoru Hatake verließ gerade den vordersten Wagen, neben ihm Akane Kurosawa. Ihnen folgte Gina Casoli. Sie ging ein Stück hinter dem Paar und deutete feixend auf die Tatsache hin, dass die beiden Händchen hielten. "Für dich müssen wir dann wohl auch noch einen backen, was, Gina?", meinte Megumi leise. "Äh..." Die junge Argentinierin mit den italienischen Wurzeln wurde rot. "Wo ist den Akira? Kommt er wieder zu spät?" Kenji Hazegawa kam zusammen mit Emi Sakubara auf die Gruppe zu. "Gespenstisch. Wir waren im gleichen Zug? Hm, einige fehlen aber noch. Wo sind denn Micchan und Akari?" "Die sind schon einen Zug früher." "Und Kei?" "Soweit ich weiß, schiebt Kei-tono Dienst an Bord der SUNDER", ließ sich Okame vernehmen. Der große Dämon redete nie besonders viel, und auch heute waren selbst seine wenigen Worte karg und trocken vorgebracht. "Wir befinden uns in einer kritischen Phase." "Schon klar. Sobald wir den Torpedo aktiviert haben, beginnt der Countdown zum splitten der Flotte und der Ausquartierung von zwei Regimentern der Hekatoncheiren." Mamoru runzelte die Stirn. "Die AURORA kann in nur fünf Stunden abflugbereit sein." "Häh? Wir waren im gleichen Zug?" Ami Shirai kam aus dem letzten Waggon raus und schlenderte zur Gruppe. "Ist Kei gar nicht dabei?" Yoshi grinste das blasse Mädchen an. "Wieso, vermisst du ihn?" "So habe ich das nicht gemeint", blaffte sie und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. Sicherheitshalber trat Yoshi einen Schritt zurück. Die Frau sah zwar aus als würde sie jederzeit bei einem ernsten Huster in zwei Teile brechen, aber ein schwarzer Gürtel in Karate, einer in Judo und ihre Fähigkeit, sich in eine Slayer zu verwandeln machten sie in diesem gereizten Zustand sogar für einen KI-Meister wie ihn gefährlich. "Sakura-sensei ist bestimmt schon da", sagte Hina. "Joan sowieso und Makoto wird dann in ihrer Nähe sein." "Dann sollten wir auch gehen", bestimmte Daisuke und setzte sich in Bewegung. Die anderen folgten. "Und, Doitsu, was macht das Yakuza-Geschäft so?" "Nun, nachdem wir die Söhne der AURORA ausgelöscht haben, ist Wachdienst in der Grey Zone fast unnötig geworden. Da unten gibt es niemanden mehr, der Recht und Ordnung beeinträchtigt oder unsere Vorreiterstellung angreift." "Verstehe. Damit brechen auch ein Teil eurer Einnahmen weg, richtig?" Doitsu zuckte die Achseln. "Soll mir nur Recht sein. Eine friedliche AURORA ist mir lieber als eine unruhige. Der kleine Preis, den wir dafür bezahlen... Phhhh." Die beiden sahen sich kurz an. "Und, Dai-chan, deine Kottos bleiben an Bord der AURORA?" "Ja. Ich nehme an, du bleibst ebenfalls an Bord, schon alleine wegen der Yakuza, oder?" "Ich will nicht feige sein und so aussehen als würde ich davonlaufen. Aber nachdem mein Bataillon umgegliedert ist, werde ich dir unterstellen. Die AURORA kann ebenso wie Akira eine Menge guter Piloten gebrauchen." "Dagegen ist nichts zu sagen. Trotzdem fühle ich mich als würde ich davon laufen", sagte Hina ernst. "Ich werde die AURORA begleiten. Sarah ebenfalls. Wir werden noch einen dritten Slayer mitnehmen, aber den Rest übergebe ich dir, Megumi." Die Offizierin der Hekatoncheiren sah die Freundin erstaunt an. "Mir?" "Ja. Du bist eine Anführerin und als Yellow sehr mächtig." "Verstehe." "Begleitet die SUNDER die AURORA eigentlich?" "Wieso fragst du, Ami? Sie wird Begleitschutz bis zum Sprung geben, aber im System bleiben", sagte Mamoru ernst. "Nur so", beteuerte sie eine Spur zu übertrieben. "Ich werde mitkommen", sagte Akane leise. "Ich begleite euch, Hina, Sarah. Zu dritt sollten wir mächtig genug sein, um die AURORA beschützen zu können." "Das bedeutet dann wohl, dass ich ebenfalls mitkommen werde. Oder denkst du, du wirst mich jemals wieder los?", tadelte Mamoru und küsste seine Freundin auf die Wange. "Manche Wünsche gehen also in Erfüllung", hauchte sie. "Manche ja. Manche erst heute Abend." "Wie dem auch sei, weiß jemand was Joan geplant hat? Und was mit Mako ist?", fragte Yoshi in das allgemeine Gekicher hinein. "Dass Sakura an Bord bleibt ist ja wohl klar." Je näher sie dem Konzert kamen, desto voller wurde es. In einigem Abstand waren Kontrollposten aufgestellt, die den Zustrom der Fans von der AURORA in geordnete Bahnen lenkte. Man konnte so ein riesiges Live nicht veranstalten, ohne ein paar tausend Joan Reilley-Fans zu aktivieren. Na, eher ein paar zehntausend. Die Posten ließen die Slayer und die Offiziere der Hekatoncheiren problemlos ein und von dort hinter die Bühne. "Keine Ahnung. Ich weiß ja nicht mal, was Akari und Micchan planen." Yohko seufzte. "Warum hat Akira auch nur diesen Plan vom Zaun gebrochen? Zwei Wochen mehr Planung und das ganze hier wäre nicht so ein Chaos." "Dann wäre es nicht Akiras Plan", kommentierte Daisuke so trocken, dass die anderen spontan zu lachen begannen. "Hallo, Leute", begrüßte Joan die Freunde, als sie das Zelt hinter der Bühne betraten. Neben ihr standen Micchan und Akari. Der Junge hatte ein Leuchten in den Augen, dass man schon als fanatisch bezeichnen konnte. "Nun hör auf sie so anzustarren!", murrte Akari wütend. "Das ist nur Joan Reilley. Joan. Du hast sie tausendmal bei mir Zuhause gesehen!" "Joan... Reilley..." "Micchan!" "Joan... Reilley..." Kurz entschlossen drehte Akari Michis Kopf zu sich herum und gab ihm einen intensiven Kuss. "Akari... Otomo..." "Schon besser." "Wir haben uns gerade gefragt, was du und Mako machen werden", sagte Yoshi und verdrehte die Augen als die jungen Leute sich erneut küssten. Waren er und Yohko am Anfang ihrer Beziehung etwa auch so gewesen? Yohko räusperte sich lautstark. "Nun ist aber genug, Akari-chan! Ihr fresst euch ja noch gegenseitig auf!" Akari wurde rot und löste sich von Michi wieder. "Tschuldigung, O-nee-chan." Yohko errötete ebenfalls und winkte ab. "Da haben wohl ein paar Instinkte von Vater auf mich abgefärbt. Entschuldige bitte, Akari. Entschuldige, Micchan. Aber wenn Ihr das küssen in der Öffentlichkeit lassen könntet..." "Seit wann hast du was gegen küssen in der Öffentlichkeit?" Yoshi umschlang sie von hinten und zog sie zu sich heran. "Ich erinnere mich noch daran, wie wir uns im Hangar von OLYMP gut zwanzig Minuten geküsst haben - vor sechshundert Piloten, Technikern und Soldaten." "Einundzwanzig Minuten und elf Sekunden. Das kann man aber nicht vergleichen. Arh, kann es sein, dass Vater mir einen Chip hat implantieren lassen, der aus mir eine Superschwester macht, die mit Argusaugen über das Nesthäkchen wacht? Ich werde noch wahnsinnig." Yoshi lachte und drückte sie. "Wehe du änderst dich. Genauso will ich meine Yohko haben." "Himmel, ich hoffe, hier ist niemand zuckerkrank. Diese Szene könnte ihn umbringen." Makoto trat ins Zelt und sah in die Runde. "Schön. Sind ja fast alle da. Fehlt nur noch Akira, hm? Ich muß leider sofort los. Eine komplette Division Banges der Naguad ist auf dem Weg hierher." "Was? Wieso gab es keinen Alarm?", rief Daisuke aufgebracht. "Müssen die Hekatoncheiren raus?" "Alarm ist nicht nötig. Wie es aussieht desertiert die Fünfte Banges-Division gerade zu uns." "Was, bitte? Also, so sehr kann Akira sie nicht beeindruckt haben", platzte Yoshi hervor. "Nun, wenn ich alles richtig verstanden habe, dann handelt es sich bei der Fünften um keine reguläre Naguad-Einheit. Sie sind eher eine Haustruppe. Und hauptsächlich Treue geschworen haben sie Haus Arogad, wie es aussieht." Makoto trat zu Joan und gab ihr einen kurzen Kuss. "Tut mir Leid, dass ich mir den Rest nicht auch noch anhören kann, Joan. Aber die Pflicht ruft." "Schon in Ordnung. Ich gebe dir nachher dein eigenes Konzert." "Da freue ich mich schon drauf." Er winkte in die Runde und verließ das Zelt wieder. "Ich für meinen Teil bleibe bei Aki-chan. Makoto hat sich ebenfalls dazu entschieden, hier zu bleiben. Er wird das Blockadegeschwader koordinieren und den Admiralsstab übernehmen. Sakura wird mit der AURORA fliegen, so schwer ihr das auch fällt." Joan senkte den Blick. "Jetzt auch noch desertierende Naguad. Was kommt als nächstes? Ein durchgeknallter KI-Meister, der den Resonanztorpedo deaktivieren will, um eine knappe Million Anelph zu töten?" "Joan, dein Auftritt. Ciev Ciev sind gleich fertig." "Ich komme. Und Ihr seht gefälligst alle schön zu, ja?" Yoshi seufzte als Joan das Zelt verließ. "Das mit dem durchgeknallten KI-Meister hätte sie besser nicht sagen sollen..." ** Als wir vor dem Haus auftauchten, stierte ich Opa Michael wirklich wütend an. "Was?", fragte er entnervt. "So, so, du bist also ein größerer KI-Meister als ich, hm? Warum hast du uns dann nicht beim Angriff auf den Mars geholfen, he?" "Sachte, sachte, junger Schüler. Ist ja nicht so als hätte ich das nicht gewollt." "Aber?", fragte ich, während ich neben Opa das Haus betrat. "Aber meinst du nicht, es hätte einige Fragen aufgeworfen, wenn dein Großvater von dem Resonanzfeld nicht eingefroren wird? Das gelingt eigentlich nur Menschen unter einundzwanzig und Dämonenkönigen? Außerdem hatten wir Vertrauen in dich und die anderen." "Das erste Argument zieht wesentlich besser als das letzte", brummte ich verstimmt und betrat mein Zimmer. Die Uniform lag schon bereit und ich begann damit, mich umzuziehen. "So, so, du wirst also vom Resonanzfeld nicht eingefroren, hm?" "Stimmt. Ich nicht, Eri nicht. Das hätte bestimmt einiges an Aufmerksamkeit auf uns gezogen. Weißt du, so einig die Erde nach außen hin auch scheint, so ist sie doch von Dutzenden Fraktionen durchsetzt. Wie zerbrechlich selbst die Führung der UEMF ist, hast du selbst erlebt, als du das Kommando bekommen hast. Einige dieser Fraktionen hätten sicherlich Verwendung für ein lebendes Studienobjekt eines mehrere hundert Jahre alten Außerirdischen, meinst du nicht?" Ich stockte kurz beim Uniformhemd. Das leuchtete mir ein. Dennoch wollte mir nicht in den Kopf, warum meine Großeltern nicht aktiver gewesen waren, als es drauf angekommen war. Opa hatte lediglich Yohkos verschüttetes Wissen reaktiviert. "Ich weiß, ich weiß", wehrte Michael ab, bevor ich den Mund aufmachen konnte. "Du bist immer noch sauer. Gerade habe ich dich mit drei Sprüngen durch die halbe Stadt gebracht und dir will nicht in den Kopf, warum ich und Eri dir auf dem Mars nicht geholfen haben. Dir und den anderen. Falls es dich tröstet, wir haben geholfen, auf der Erde. Wir haben unseren Einfluss genutzt, um die UEMF auf Linie zu halten. Um dich im Kommando zu bestätigen. Um dir für deinen Wahnsinnsplan die Ressourcen zukommen zu lassen, die du brauchst. Um die Freiwilligen zusammen zu bekommen, die dir auf den Mars gefolgt sind." "Trotzdem hättet ihr..." "Nein, Akira. Eri und ich mussten, so schwer es uns auch fiel, warten." "Warten worauf?" "Warten, bis die Gefahr durch die Kronosier sich zur Gefahr durch die Naguad aufbauscht. Es war für uns abzusehen, dass das eine das andere nach sich ziehen würde. Erst der Core, dann die Anelph und schlussendlich die Naguad. Es war unausweichlich. Und es war unsere Pflicht, die Erde in dieser Zeit so gut wie möglich vorzubereiten, so gut wie wir es eben konnten. Warte, Junge, mit der Krawatte helfe ich dir." "Du schätzt die Gefahr durch die Naguad also höher ein als die Gefahr durch die Kronosier?" Opa runzelte die Stirn. "Weiß nicht. Sag du es mir. Sind sie gefährlicher?" "Touché", brummte ich unwillig und zog die weiße Jacke mit den goldenen Aufschlägen an. "Und genau deshalb werden Eri und ich jetzt aktiv. Wir nutzen unsere Möglichkeiten, auch wenn das bedeutet, dass wir nicht wieder zur Erde zurückkehren können. Oder wieder ein neues Leben anfangen müssen." Michael registrierte meinen erstaunten Blick und sagte: "Ja hör mal, Junge, was denkst du wohl haben Eri und ich die letzten dreihundert Jahre getan? Menschen wie wir, die so unendlich alt werden fallen nun mal auf wenn sie länger als dreißig Jahre an einem Ort bleiben. Es hat sehr lange gedauert bis wir uns eine gewisse Unterstützung durch Eingeweihte aufgebaut hatten. Die Berger in Deutschland, die Yodamas in Japan, die Nasaharis in Indien, und, und, und." "Verstehe." Ich setzte die Schirmmütze auf und besah mich im Spiegel. Auf der linken Brust prangten fünf neue Orden, darunter ein zweiter Mars Campaign Valor in Gold für den erfolgreichen zweiten Angriff auf den Mars. "Jetzt bist du wirklich ein Schellenbaum, Akira", schmunzelte Opa. "Mist, ja. Und wenn du wieder mit mir so hoch und so weit springst, wird ganz Fushida vom Geklapper widerhallen." Ich schmunzelte in Michaels Richtung. "Eine Frage habe ich noch. Wie alt wird ein Naguad eigentlich so?" "Hm. Du weißt schon, dass ein normaler Mensch ohne jede Vorkenntnisse einhundertzwanzig Jahre alt werden kann, oder?" "Was hat das damit zu tun? Das ist doch ein Extremfall." "Ist es nicht. Dein Vater Eikichi ist bereits achtzig Jahre alt, und er wird wohl locker zweihundert werden. Und er hat nicht ein Gramm genetischen Code eines Naguad in sich. Zumindest nichts, was den sieben Hauptlinien der gift entspricht." "Das gibt mir jetzt echt zu denken", sagte ich und spürte wie mir ein kalter Schauder über den Rücken ging. "Es beantwortet aber nicht meine Frage." "Nun, dein Vater ist ein KI-Benutzer. Kein KI-Meister wie ich, Eri, Helen oder du. Aber er hat das Wissen und die Fähigkeiten. Und er nutzt sie bereits." "Hm. Er sieht wesentlich jünger aus als achtzig. Heißt das, du solltest eigentlich auch wesentlich jünger aussehen? Ich meine, gut vierhundert Jahre, wenn Oma mit ihren sechshundert noch so frisch aussieht..." Michael grinste mich an. "Die Haare sind gefärbt, Akira." "Das erklärt, dass dein Gesicht noch nicht so viele Falten wie ein Wickelrock wirft." "Drei Minuspunkte für miese Sprüche, Akira." "Ab wie viel gibt es ein Fahrrad?" "Ha, ha. Den Humor musst du von Eikichi haben. Komm, hier ist deine Schirmmütze. Lass uns gehen, sonst kommen wir noch zu spät. Er wird bald da sein." "Ich bin schon unterwegs. Zwei Fragen habe ich aber noch. Meine Mutter war eine KI-Meisterin, ja? Und wer ist er?" Wir traten vor das Haus. Michael griff unter meine Achseln und umschloss mich fest. Dann sprang er und katapultierte uns zwei bei einem Sprungwinkel von fünfundvierzig Grad achthundert Meter in die Höhe. Dabei hätten wir fast einen der Zeppeline gestreift, die zur Zeit wegen den Menschenmassen Überstunden schoben. Als wir fast drei Kilometer entfernt wieder landeten sagte er: "Helen... war eine KI-Meisterin. Und sie hat Großes geleistet, um die Erde und euch beide, Yohko und dich zu schützen." Wieder sprang er, und damit kamen wir dem Konzertgelände sehr viel näher. "Er... Er ist Torum Acati. Ein KI-Meister, dem ich nicht gewachsen bin. Dem Eri nicht gewachsen ist. Er wird versuchen uns aufzuhalten." "Und das sagst du mir erst jetzt?", beschwerte ich mich. "Keine Sorge. Eri hat bereits für Hilfe gesorgt. Die Fünfte Banges-Division trifft bald hier ein und wird für uns kämpfen." "Eh? Die Fünfte? Die, die ich fertig gemacht habe? Die, in der Aria gedient hat?" "Ja, und ich habe mir sagen lassen, dass sie sich drauf freuen, unter dir zu dienen." "Das hat was mit diesem Haus Arogad zu tun, oder?" "Scharfsinniger kliner Bursche." Wir landeten und Opa ließ mich los. "Ab hier muß ich loslassen. Den Rest wirst du auf eigenen Füßen schaffen, Akira." "Das war jetzt eindeutig zweideutig, Opa", brummte ich, wandte mich um, aber der alte Mann war schon fort. Alt, pah. Wahrscheinlich sah er mit seiner richtigen Haarfarbe jünger aus als Eikichi. "Großeltern! Wer hat die eigentlich erfunden?" ** Als Torum Acati in seinen Banges klettern wollte, meldete sich sein Kommunikator zu Wort. "Acati." "Herr, vor vier Stunden ist die GONDERNAT in das Kanto-System gesprungen. Sie hat sofort eine Nachricht an uns gesandt, die sich aber aufgrund der großen Entfernung verzögert hat. Sie ist von der Ordenvorsteherin." "Wie lautet die Nachricht?" "Torum Acati, bewege dich nicht. Verstärkung ist unterwegs." Der Begam hielt inne. "Die Nachricht ist schon wieder die acht Tage alt, die das Schiff benötigte, um in dieses System zu springen. Anscheinend schätzt der Orden die Gefahr ähnlich hoch ein wie ich." Er runzelte die Stirn. "Aber auch die Brisanz hat sich verschärft. Ich kann auf diese Verstärkungen nicht warten. Ich muß die AURORA stoppen, hier und heute." "Für diesen Fall hat die Vorsteherin eine zweite Nachricht angehängt. Sie lautet: Hüte dich vor dem weißen Auge." Schroff unterbrach Acati die Verbindung. "Ich habe keine Zeit für verbrämte Symbolik. Ich muß hier einen riesigen Krieg verhindern!" "In dem Fall würden wir uns Ihnen gerne anschließen, Begam Erster Klasse." Acati fuhr herum. Er musste schmunzeln. "Das bieten Sie mir an, nachdem eine Arogad-Hauseinheit gerade desertiert ist, Kapitän Maros Jorr? Wieso sollte ich einem Mann aus Haus Arogad da vertrauen?" Der KI-Meister deutete neben sich. "Weil mit fünfzehn weiteren KI-Meistern noch genügend übrig sind, die nicht aus Haus Arogad kommen." Der Begam besah sich die sechzehn Männer und Frauen. Sie stammten aus allen großen Häusern und ihre Blicke waren entschlossen. "Bemannt die Banges", sagte er schließlich schlicht. Sofort spritzten die KI-Meister des Ordens auseinander. ** Ich erreichte die Absperrungen relativ schnell. Ohne meinen Ausweis vorzeigen zu müssen wurde ich eingelassen. Junge, Junge, ein Doppelgänger von mir musste hier reichlich leichtes Spiel haben. Joan begann gerade mit der zweiten Hälfte ihres Auftritts. Also würde es wenig Sinn haben, Backstage zu gehen. Entschlossen arbeitete ich mich zur Bühne vor. Dort würde ich auch die anderen finden. Doch dann war es, von einem Moment zum anderen, als würde eine riesige dunkle Wolke hinter mir aus dem Boden quellen. Groß, bedrohlich, alles verschlingend. "Akira, du blutest!", rief eine entsetzte Stimme hinter mir. Ich wandte mich um, erkannte Gina Casoli. Ihr entsetzter Blick fixierte meinen linken Arm. Ich sah selbst hinab und sah die dünnen Stränge Blut, die den Arm und die Hand hinab liefen. "Oh? Ach das. Die und ein paar weitere Wunden habe ich mir unten in der Grey Zone geholt. Waren ziemlich tiefe Schnitte. Ich hätte vielleicht einen Sani oder Arzt dran lassen sollen anstatt drauf zu vertrauen, dass mein KI sie heilt. Ich bin auch nicht allmächtig." Kurz entschlossen ergriff Gina meine andere Hand und zog mich hinter sich her, fort von der Bühne. "Dann lassen wir doch mal einen Arzt ran, oder?" Fünf Minuten später, Joan sang gerade Never give up, saß ich in einem Lazarettzelt und ließ mir die blutende Unterarmwunde verbinden. Gina stand daneben und musterte ihre Schuhe. "Das ist nun überhaupt nicht gelaufen wie es sollte", murmelte sie. Ich schickte den Sanitäter mit einem Nicken fort, als er fertig war. Dann fixierte ich die Italienerin. "Es muß kein besonders gutes Gefühl sein, wenn man die Chance hat, das Attentat auszuführen und die Gelegenheit verstreichen lässt." Irritiert sah sie mich an. "Hä?" "Ist schon in Ordnung, Corinne Vaslot. Wir haben in Ginas Lebenslauf eine Unterbrechung von zwei Tagen festgestellt, bevor sie zur AURORA kam. Angeblich hatte Mamoru Hatake sie auf die Mauritius-Inseln eingeladen - während er gleichzeitig in Tokio war." Die junge Frau starrte auf ihre Füße. "Tja, jetzt ist die letzte Gelegenheit für dich, mich zu töten. Die AURORA kehrt bald zurück und niemand weiß ob du beim zweiten Flug nach Lorania dabei sein kannst oder darfst. Ich bleibe hier und wage mein Leben für die Anelph." "Du Mistkerl!", hauchte sie mit einem Schluchzen, während Tränen ihre Augen fühlten. "Du Mistkerl hast es gewusst. Wie lange schon?" "Dass meine spezielle Attentäterfreundin ausgerechnet in Gina implantiert wurde? Der Bericht ging vor acht Stunden an mich. Den Rest konnte ich mir dann sehr leicht zusammen reimen." Gina weinte noch immer. Sie griff unter ihr Hemd auf dem Rücken und zog eine schlanke Klinge hervor. Die Hand raste auf mich zu, direkt auf meine Kehle. Ich schloss die Augen. "Ich kann es nicht", schluchzte sie. "Ich kann es nicht. Akira, was hast du mit mir gemacht? Was hat Gina mit mir gemacht?" Die Attentäterin im Körper der Frau aus Argentinien brach in den Knien ein. Die Waffe fiel polternd zu Boden und sie barg ihr Gesicht in den Händen. "Warum, Akira? Warum?" "Gina ist eine Freundin. Sie..." "Du willst sie also retten?" "Nein, ich will dich retten. Gina will es so." Entsetzt sah die Frau mich an. "Was?" Ich nickte schwer. "Sie weiß schon lange, dass du in ihr bist. Und sie weiß was du vorhast. Es gibt eine bestimmte Zeit am Tag, in der du vollkommen inaktiv bist. In dieser Zeit kam Gina zu mir und wir haben lange darüber geredet, was wir mit dir machen sollen. Gina glaubte an dich. Sie kennt deine Emotionen, deine Erinnerungen. Und sie weiß, dass du kein schlechter Mensch bist. Sie würde sogar ihr ganzes Leben den Körper mit dir teilen, wenn es sein muß. Aber sie hält eigentlich mehr von der Idee, deinen richtigen Körper zurück zu holen. Sie mag dich." Die junge Frau brach zusammen. Ich ging neben ihr in die Hocke und schloss sie in die Arme. "Ich hasse dich, Akira", schluchzte sie. "Damit kann ich leben", erwiderte ich schmunzelnd. ** Auf der Bühne standen über fünfzig Leute, unter ihnen Sakura, Megumi, ich selbst und natürlich Joan Reilley. Die Podeste, meistens abfällig Regale genannt, waren besetzt worden. Die Anelph und Menschen dort begannen bereits unruhig zu werden. Einige standen oder saßen schon seit über einer Stunde dort. Es wurde Zeit. "Captain Lawrence", sagte Sakura gerade ernst, "es war Ihre Idee. Schicken Sie die Leute schlafen." Der eher schüchtern wirkende Kronosianer in der UEMF-Uniform kam verlegen nach vorne. "Wenn Sie meinen, Admiral..." Er trat an den Knopf heran, der den Resonatortorpedo auslösen würde und betätigte ihn. Für eine Sekunde geschah nichts. Auch nicht in der zweiten. Oder der dritten. Auch die vierte blieb erschreckend ereignislos. Dann aber schien es mir, als gebe es eine Explosion aus blauem Licht, als würden tausende blaue Blitze aus Überschlagsenergien über die Ebene rasen. Ich spürte wie eine heftige Böe meine Haare durcheinander wirbelte. "Geschafft", murmelte jemand neben mir. Ich sah erschrocken und verwirrt auf. Und sah auf mit Anelph und Menschen voll gestellte Podeste und Gerüste, die wie Puppen wirkten - weil sie sich nicht bewegten! "Geschafft", hauchte ich erleichtert. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)