Die Bedeutung von Freiheit von Sensenmann ================================================================================ Kapitel 1: Die Erkenntnis ------------------------- Es war vorbei. Sie hatten es geschafft. Zum ersten Mal, seit fast fünfzehn langen Jahren, hatten Sam und Dean Zeit durchzuatmen. Zeit um ihr eigenes Leben so zu gestalten, wie sie es wollten. Zum ersten Mal in ihrem Leben waren sie frei. Doch so sehr sich Sam darüber freute, so sehr sorgte er sich auch um seinen Bruder.   Michael und Luzifer waren nun endgültig von der Bildfläche verschwunden. Chuck war seiner Macht beraubt, nicht mehr dazu in der Lage ihre Geschichte oder die der anderen Menschen in irgendeiner Art und Weise zu beeinflussen und Jack war in seine Fußstapfen geschlüpft, mit dem Versprechen nicht dem Beispiel seines Großvaters zu folgen, Chucks Fehler wiedergutzumachen und sich nicht mehr in das Leben der Menschen einzumischen.   Obwohl Jack seinem Versprechen treu blieb und mit einem einzigen Fingerschnippen alle Lebewesen zurückholte, die Chuck in seinem Größenwahn ausgelöscht hatte, konnte er eine Person nicht wieder zurückbringen: Castiel. Er hatte vergeblich versucht seinen Vater zurück zu bringen, doch es wollte ihm einfach nicht gelingen. Wie sich herausstellte, war selbst Gott nicht allmächtig. Sam erinnerte sich noch lebhaft daran, wie schuldbewusst Jack gewirkt hatte, als er den Brüdern beibrachte, dass es nicht in seiner Macht lag den Engel zurückzuholen.   "Es war das Erste, was ich wollte, glaubt mir", hatte er gesagt als er noch am selben Tag bei ihnen im Bunker reingeplatzt war. Jack klang bei diesen Worten so enttäuscht und resigniert, dass es wehtat. "Normalerweise gibt es Wege Engel aus der Leere zu holen. Gerade jetzt, nachdem was Billie und ich getan haben, herrscht dort das reinste Chaos. Es ist..." Jack war kurz verstummt und schüttelte bei der Erinnerung daran kaum merklich den Kopf. "Es ist so unfassbar laut, als ob die Explosion jeden einzelnen Engel und Dämon aufgeweckt hätte. Es ist ein Durcheinander von Albträumen und Erinnerungen, die alles übertönen..." Er ließ resigniert die Schultern hängen. "Ich… ich wollte alles wieder ins Lot bringen, ein Kräftegleichgewicht schaffen und eine Abmachung mit dem Schatten treffen. So dass der Schatten keine Macht mehr auf der Erde oder im Himmel hat, wenn ich die Engel und Dämonen wieder in den Schlaf schicke und umgekehrt. Und ich habe versucht mit dem Schatten zu verhandeln, damit er Castiel freigibt, doch der Schatten wollte es nicht… Ich habe gefragt, aber ... Es tut mir so leid." Er schüttelte den Kopf und blickte von Sam zu Dean. „Es tut mir so leid, Dean.“   Seitdem waren nun schon fast vier Woche vergangen. Während es dem Rest der Weltbevölkerung gut ging und Jack sich in den Himmel zurückgezogen hatte, um Chucks zurückgelassenen Scherbenhaufen Stück für Stück zu beseitigen, ging es Sams Bruder zunehmend schlechter. Denn trotz all ihrer Bemühungen und Recherchen war es ihnen bislang nicht gelungen einen Weg zu finden, welcher es ihnen ermöglichen Würde ihren Freund aus der Leere zu retten. Wenn er ehrlich war, dann musste  Sam sich allmählich eingestehen, dass dies auch immer aussichtsloser wurde. Wenn selbst Jack machtlos war, wie gering standen dann erst die Chancen, dass sie selbst etwas ausrichten konnten? Und genau diese Erkenntnis, die Tatsache, dass sie dieses Mal nichts an ihrem Schicksal ändern konnten, setzte seinem Bruder zu. Sie hatten schon früher Freunde und Familienmitglieder verloren: ihre Eltern, Bobby, Jo und Ellen, Kevin, Charlie… Sam hatte Dean nicht nur einmal trauern sehen, doch es war noch nie so. Noch nie hatte er Dean angesehen und das Gefühl gehabt, seinen eigenen Bruder nicht mehr wiederzuerkennen.   Dean hatte wieder mit dem Trinken angefangen. In den ersten paar Tagen waren es lediglich ein paar Bierflaschen, die Sam hie und da verteilt auffand. In der Küche, der Bibliothek und in Deans Zimmer. Doch in der zweiten Woche ertappte er Dean immer öfter dabei, wie dieser mitten in der Nacht alleine in ihrer Küche saß, den Rücken zur Tür gewandt, und Whiskey trank, als gäbe es kein Morgen. Sam blieb eine Zeit lang in der Tür stehen und beobachtete seinen Bruder stumm, der keinerlei Notiz von ihm zu nehmen schien. Zuerst schob Sam Deans nächtliche Alkoholexzesse darauf, dass Dean Schuldgefühle hatte, weil Castiel sich für ihn geopfert hatte. Ein Gefühl, welches Sam nicht unbekannt war und mit welchem er immer noch zu Leben hatte, weshalb er beschloss seinem Bruder Zeit zu geben, um das zu verarbeiten. Doch Deans mentaler Zustand schien sich mit jedem weiteren Tag nur noch zu verschlechtern.   Eines Nachts wurde er durch laute Geräusche aus dem Schlaf gerissen. Seine Pistole im Anschlag hastete er durch den Bunker, auf der Suche nach der Quelle des Lärms, in Richtung Bibliothek. In Erwartung einen ungebetenen Eindringling vorzufinden, drückte Sam sich an die Wand im Flur und lugte vorsichtig um die Ecke in den Raum, bedacht darauf ungesehen zu bleiben. Doch den Einzigen den er vorfand war Dean, der fluchend und in einem Anfall puren Zorns frustriert Bücher und leere Flaschen von den Tischen und quer durch das Zimmer schleuderte. Bücher, die Sam durch ihre Recherchen der letzten Tage nur allzu bekannt vorkamen. Ihm entging dabei nicht, wie sein Bruder seine rechte Hand fest auf seinen linken Bizeps gepresst hatte – die Stelle, an der vor ein paar Tagen noch Castiels blutiger Handabdruck auf Deans grüner Jacke geprangt hatte.   Bei diesem Anblick ließ Sam die Waffe sinken, wollte in den Raum treten und versuchen Dean zu beruhigen, als er plötzlich ein leises Winseln vernahm. Sam hielt in der Bewegung inne. Sein Blick fiel abrupt zu dem Terrier-Mischling, Miracle, den sie vor einigen Tagen von der Straße aufgelesen hatten. Die Hündin, die offenbar genau wie Sam durch den Lärm aus dem Schlaf gerissen worden war, richtete sich langsam von ihrem Körbchen nahe dem Bücherregal auf und trottete zu dem Braunhaarigen rüber, welcher im ersten Moment keine Notiz von ihr zu nehmen schien. Sie ließ sich vor Deans Füßen auf die Hinterpfoten sinken und stupste ein Beim des Mannes zaghaft mit der Nase an. Er sah Dean dabei zu wie dieser, wie aus einer Trance gerissen, den Blick auf Miracle richtete, die ihr Herrchen nun mit einem leicht schief gelegten Kopf betrachtete – eine Geste, die selbst Sam unweigerlich an ihren Freund erinnerte. Fast augenblicklich verschwand die Anspannung aus Deans Schultern und Sam glaubte zu hören, wie Dean ein ersticktes Lachen von sich gab, bevor er in die Knie ging um Miracle zu streicheln. Er beobachtete seinen Bruder dabei, wie dieser seine Hände in Miracles Fell vergrub und sein Gesicht an ihren Hals drückte. Sam blieb noch eine Weile stehen und betrachtete stumm die Szene vor sich. Zum ersten Mal kam ihm der Gedanke, dass ihm ein entschiedenes Detail entging, dass Dean ihm vielleicht nicht die ganze Wahrheit über das erzählt hatte, was sich damals im Bunker zugetragen hatte.   Zwei Wochen waren nun seitdem vergangen und Sam wusste immer noch nicht, wie er Dean helfen konnte. Er fühlte sich machtlos. Er wollte, dass es seinem Bruder besser ging, dass er wieder mehr er selbst war, aber er wusste einfach nicht, wie. In den letzten Tagen hatte er mehrmals versucht das Gespräch mit dem Älteren zu suchen, mit ihm über Castiel und über das, was sich vor gut einem Monat zugetragen hatte zu sprechen. Doch anstatt zu reden zerrte Dean sie auf eine Jagd nach der anderen, so wie er es immer getan hatte, nachdem sie einen geliebten Menschen verloren hatten.   Anfangs hatte Sam gedacht oder eher gehofft, dass die Fälle Dean vielleicht ein wenig ablenkten und seine Stimmung etwas aufhellen könnten. Doch seine Hoffnung hielt nicht lange an. Von Fall zu Fall wurde Dean zunehmend … unkonzentrierter. Etwas, was er von seinem Bruder überhaupt nicht kannte. Noch nie in seinem Leben hatte der Andere sich so kopflos und fahrlässig in eine Jagd gestürzt. Nicht nur einmal machte sein Bruder grobe Fehler. Verpasste Ausfahrten auf dem Highway, Schnitzer bei der Befragung von Zeugen …   Sam gestand sich schließlich ein, dass er nicht mehr umhin konnte etwas zu sagen, als er in einem heruntergekommenen Motel damit beschäftigt war eine längere Schnittwunde an Deans linker Seite zu versorgen, nachdem dieser auf einer vergleichsweise einfachen Jagd auf ein Vampirnest fast von einem rostigen Stück Stahl aufgespießt worden wäre. Als er den letzten Nahtstich gesetzt, die Enden der Fäden miteinander verknotet und Dean mit ein paar Ibuprofen-Tabletten versorgt hatte, musste Sam an sich halten um seinen Bruder nicht eigenhändig zu erdrosseln. Er hätte Dean am liebsten gepackt, ihn durchgeschüttelt und gefragt ob dieser sich eigentlich bewusst darüber war, dass er dem Tod nur um Haaresbreite entkommen war und dass der Tod dieses Mal endgültig sein würde. Doch er biss sich auf die Lippen und schluckte seinen Zorn hinunter, als er den leeren Ausdruck in den Augen seines Bruders wahrnahm. Dean sah … fertig aus. Seine Haut war fahl, seine Wangenknochen zu markant, die Ringe unter seinen Augen schienen dunkel und schwer. Als Sam ihn musterte, fragte er sich ob Dean in den vergangenen letzten Wochen überhaupt etwas Schlaf bekommen hatte. Also beschloss Sam die Diskussion solange aufzuschieben, bis sie wieder zurück im Bunker waren und bestand schließlich darauf bei der Heimfahrt selbst am Steuer zu sitzen, damit Dean sich – hoffentlich- ein paar Stunden ausruhen konnte. Während sein Bruder den Kopf gegen die Fensterscheibe lehnte und die Augen schloss, überlegte Sam wie er das Thema am besten ansprechen sollte. Als Sam den Wagen ein paar Stunden später in der Garage parkte, weckte er seinen Bruder mit einem leichten Tippen auf die Schulter und machte sich selbst daran ihr Gepäck aus dem Kofferraum zu holen.  Sie waren kaum im Bunker waren gerade mal die ersten paar Stufen hinuntergestiegen, war plötzlich ein dumpfes Geräusch zu hören und im nächsten Moment stolperte Dean rückwärts in Sam. Miracle war es anscheinend nicht entgangen, dass ihre Besitzer zurückgekehrt waren und um ihrer Freude Ausdruck zu verleihen bellte glücklich, während sie vor lauter Begeisterung versuchte an Dean hochzuspringen. Von der Verletzung noch etwas geschwächt gaben Deans Knie schließlich unter ihrem Gewicht nach. Er schaffte es gerade noch so, sein Abrutschen auf den Boden mit einer Hand abzufangen, als die Hündin ihm zur Begrüßung über das Gesicht leckte und wild mit ihrem Schwanz wedelte.   „Hey, ist ja gut! Ist ja gut!“, tadelte Dean sie, vergebens, während er ihr mit seiner anderen Hand übers Fell fuhr. Sam konnte sich angesichts dessen ein kurzes Lachen nicht verkneifen, erbarmte sich dann jedoch. Er stellte ihr Gepäck auf Tisch, ging in die Knie und gab einen kurzen Pfiff von sich. Fast augenblicklich ließ Miracle von Dean ab und rannte zu ihm, um auch den Größeren zu begrüßen. Während Dean die Gelegenheit nutzte um sich aufzurappeln, begrüßte auch Sam das kleine Energiebündel und kraulte die Hündin ausgiebig hinter den Ohren. Als er wieder von ihr abließ und sich aufrichtete, wandte er seinen Blick wieder zu Dean, der noch immer an der Treppe stand. Jetzt oder nie, dachte Sam.   „Dean, ich denke –“, setzte er an und trat einen Schritt auf Dean zu, doch wurde er sogleich unterbrochen.   „Sammy, sei mir nicht Böse, aber ich bin k.o.“, entgegnete sein Dean prompt und fuhr mit seiner rechten Hand über die Stelle, an der Sam ihn vorhin zusammengeflickt hatte. „Ich werde mich aufs Ohr hauen. Kannst du mit ihr noch eine Runde gehen?“, fügte er hinzu und nickte mit dem Kopf leicht in Richtung der Hündin.   „… Okay“, erwiderte Sam etwas überrumpelt und auch etwas resigniert. Er konnte nicht einordnen, ob Dean ahnte, dass Sam dringend mit ihm reden wollte oder ob sich der Ältere wirklich ausruhen wollte. „Kommst du denn in der Zwischenzeit klar?“ Dean verdrehte daraufhin nur die Augen. „Mir geht es gut.“ Sam sah ihm noch eine Weile nach, als dieser in Richtung der Schlafräume verschwand.   Als Sam etwas später von seiner Runde mit Miracle zurückkam, war es im Bunker ruhig und still. Er hatte schon damit gerechnet, dass Dean sich dieses Mal wirklich hingelegt hatte, um sich auszuruhen, doch als er die Küche betrat um die Leine wieder in einer der Schubladen zu verstauen, fand er seinen Bruder mit einem Glas Whiskey in der Hand vor. Er hatte sich anscheinend nicht einmal die Mühe gemacht sich frische Kleidung anzuziehen.   Dean sah kurz von seinem Platz am Tisch auf, als Sam die Küche betrat und nickte ihm zur Begrüßung mit seinem halbvollen Glase zu. Sam seufzte bei diesem Anblick innerlich. Er hatte Dean nicht nur einmal gepredigt, dass dieser Alkohol und Schmerzmittel nicht zeitgleich einnehmen sollte, doch er entschied sich dieses Mal dazu es einfach unkommentiert zu lassen. Ich dachte du wolltest schlafen?“, kommentierte er stattdessen, bemüht ruhig zu klingen und räumte die Hundeleine an ihren Platz.   „Hab’s versucht.“, entgegnete Dean matt und nahm einen Schluck, bevor er das Glas wieder auf dem Tisch abstellte. Falls der Ältere schon mehre Gläser intus hatte, merkte man ihm das nicht an.   „Wegen der Schmerzen?“, hakte Sam nach und betrachtete seinen Bruder besorgt.   Dean schüttelte langsam den Kopf. „Nein… Ich meine es fühlt sich nicht unbedingt gut an, aber ich hatte schon schlimmere Verletzungen.“   Sam ging zu einem der Hängeschränke und nahm sich ein Glas heraus, bevor er sich Dean gegenüber an den Tisch setzte. Er streckte den Arm nach der halbvollen Whiskeyflasche aus und goss sich selbst einen Drink ein, bevor er die Flasche neben sich abstellte – außerhalb von Deans Reichweite, der das ganze Prozedere seinerseits äußerst skeptisch betrachtete.   Sam ahnte, dass das folgende Gespräch nicht einfach werden würde. Weshalb er sein Glas in die Hand nahm, sich über den Tisch beugte und damit an Deans Glas anstieß, bevor er einen Schluck davon nahm. Er schüttelte sich leicht als er das Brennen des Alkohols in seiner Kehle spürte.   „Gott! Wie viel Prozent hat der? Vierzig?“   „Vierundsechzig“, entgegnete Dean und bedachte seinen Bruder immer noch skeptisch.   Sam hielt dem Blick stand, nahm noch einen Schluck und wartete, bis das Brennen einigermaßen verschwunden war und sich ein leichtes, warmes Gefühl in seinem Magen breit machte, bevor er das Offensichtliche zur Sprache brachte. „Dean, wir müssen reden.“   Dean seufzte und wandte den Blick kurz zur Seite, während er sich in seinem Stuhl zurücklehnte und seinen linken Arm auf die freie Stuhllehne neben ihm ablegte – ganz offensichtlich um etwas Abstand zwischen sie zu bringen - bevor er seine Aufmerksamkeit wieder seinem Bruder zuwandte. „Wieso?“   „Du weißt genau wieso“, entgegnete Sam ruhig.   „Weil mir heute ein Fehler unterlaufen ist?“, meinte Dean und schnaubte ungläubig, bedachte seinen Bruder mit einem verärgerten Blick. „Wirklich, Sam? Wir sind Jäger. Hin und wieder passieren Unfälle.“   Der Angesprochene schüttelte daraufhin den Kopf. „Nein, Dean. Nicht deswegen… Na, ja nicht nur“, gestand er. „Ich erkenne dich nicht wieder. Seit der ganzen Sache mit Chuck und… und Cas“   Als Castiels Name fiel brach Dean den Blickkontakt ab, fixierte stattdessen einen Punkt auf der Tischplatte und sagte nichts. Also sprach Sam weiter: „Cas war auch mein Freund, Dean. Er fehlt mir auch. Aber das hier… Das ist… Das ist nicht mehr normal.“ Er hielt kurz inne um die die Reaktion des Anderen zu beobachten und fragte sich, ob es ihm überhaupt gelingen würde an seinen Bruder ran zu kommen oder ob dieser wieder dicht machen und abblocken würde. Doch ganz offensichtlich ließen Sams Worte den Älteren dieses Mal nicht kalt, denn dieser umklammerte sein Glas nun so fest, dass seine Knöchel allmählich weiß hervortraten.   „Ich habe dir Zeit gelassen und darüber hinweggesehen, dass du wieder mit dem Trinken angefangen hast und ich habe über deine Wutanfälle hinweggesehen. Du schläfst kaum noch… Und das heute… Das ist einfach zu viel, Dean“, redete Sam weiter. „Nur ein paar Zentimeter weiter rechts und das Stahlrohr hätte dich aufgespießt. Ich habe den Eindruck du bist mit dem Kopf vollkommen woanders.“   Dean blieb stumm und sagte nichts. Er mied weiterhin Sams Blick und starrte stattdessen auf den Boden seines Whiskeyglases. Der Jüngere vermutete, dass Dean überlegte ob er den Rest des Whiskeys in einem Zug hinunterkippen sollte, tat dies jedoch nicht.   "Dean. Dir geht es nicht gut und ich mache mir ernsthaft Sorgen um dich", meinte Sam nach einer Weile.   „Was erwartest du von mir, Sammy? Soll ich so tun, als wäre alles in Ordnung, nur weil Jack Chuck Schachmatt gesetzt und alle Menschen zurückgebracht hat?“, entgegnete Dean nach einer Weile und sah von seinem Drink auf. Er klang verärgert. „Denn das ist es nicht. Nichts ist in Ordnung.“   „Nein…“ Sam schüttelte den Kopf und blieb ruhig. „Aber ich möchte, dass du mit mir darüber redest, Dean. Ich kann nicht einfach so weitermachen und dir dabei zusehen, wie du dich selbst zugrunde richtest. Du isst kaum noch, schläfst nicht mehr… Lass mich dir helfen.“   Erneut schnaubte Dean bei diesem Angebot verächtlich und senkte seinen Blick, nahm einen weiteren Schluck von seinem Whiskey, bevor er das Glas mit mehr Kraft als notwendig auf dem Tisch knallte und seine andere Hand zur Faust ballte. „Du kannst mir nicht helfen, Sam. Niemand kann das.“   Durch die Art und Weise wie Dean das sagte gab es keinen Zweifel, worauf dieser sich bezog. Er hätte Dean gerne gesagt, dass das nicht stimmte. Dass sie einen Weg finden würden um ihren Freund zurück zu holen, doch nach dem aktuellen Stand der Dinge hatten sie all ihre Möglichkeiten ausgeschöpft. Jack, Rowena, …  Bedrückt wandte Sam den Blick ab und nippte selbst noch einmal an seinem Drink. Nach einer Weile spähte er wieder zu seinem Bruder, der nun wieder in Gedanken versunken auf denn Tisch vor sich starrte. „Dean…“, setzte er wieder an. „Du hast mir nie erzählt, was damals passiert ist, als Cas… als Billie hier aufgetaucht ist.“   Dean machte sich nicht einmal die Mühe aufzusehen. „Cas hat sich für mich geopfert…“   „Ich weiß“, antwortete Sam. „Aber ich will wissen, was du mir verschweigst.“   Wieder machte Dean keine Anstalten darauf zu reagieren. Sam wertete das als Zeichen dafür, dass er mit seiner Vermutung richtig lag. Es schien tatsächlich etwas zu geben, das Dean ihm nicht erzählte oder vielmehr nicht erzählen wollte. Doch er kannte seinen Bruder gut genug um zu wissen, dass diesem nur noch mehr zusetzen würde, wenn er die Dinge in sich hineinfraß und verdrängte. Das hatte für keinen von ihnen jemals positiv geendet. „Dean… Was ist wirklich passiert?“, wiederholte er, dieses Mal sanfter.   Wieder schien es so, als würde Dean ihn ignorieren. Doch Sam ließ sich davon nicht entmutigen. Er wartete geduldig und beobachtete seinen Bruder stattdessen dabei, wie dieser erneut zum Glas griff und die Flüssigkeit darin leicht zum schwanken brachte. Nach einer Weile antwortete Dean schließlich und Sam entging nicht, wie sich dessen Kiefer bei den nächsten Worten anspannte. "Cas… Er hat einen Deal gemacht. Mit der Leere. Damals als wir versucht haben Jack zu retten. Sein Leben im Austausch für das von Jack. Aber die Leere wollte ihn nicht sofort.“   Er erinnerte sich nur allzu gut an den Tag, an dem sie Jack um ein Haar verloren hätten. Doch von der Sache mit dem Deal hörte Sam zum ersten Mal. Der Gedanke daran, dass Castiel diesen Deal überhaupt eingegangen war, traf ihn wie einen Schlag in die Magengrube. Andererseits überraschte es ihn auch nicht. Es wäre gelogen zu behaupten, dass keiner von ihnen genauso gehandelt hätte. Sam senkte den Blick bei dem Gedanken daran, dass Castiel ihnen das alles verschwiegen hatte und fragte sich, ob er ihnen nicht genug vertraut hatte oder ob er ihnen nur nicht mehr Sorgen hatte bereiten wollen. Er sah erst wieder auf, als Dean weitersprach.   „Sie wollte warten, bis... bis er … bis er wirklich glücklich war… Als Billie hier aufgetaucht ist haben wir versucht vor ihr wegzulaufen. Doch es war sinnlos… Sie hat uns in eine Ecke getrieben und wollte uns beide töten und Cas…“ Dean stockte kurz und stellte das Glas wieder ab, hielt seinen Blick jedoch immer noch nachunten gerichtet. „Cas hat die Leere herbeigerufen. Sie wollte uns töten, und Cas... er beschwor die Leere, um Billie aufzuhalten, um mich zu retten, obwohl er wusste, was passieren würde...“   „Warte…“, warf verwirrt Sam ein und hob eine Hand, um Dean zu unterbrechen. „Wenn die Leere Cas erst holen würde, wenn er glücklich ist… Wieso sollte sie dann ausgerechnet dann auftauchen, wenn Billie kurz davor ist euch umzubringen?“   Dean brachte es nicht sofort über sich Sams Blick zu begegnen. Als er schließlich von seinem Glas hochblickte und Sam in das Gesicht seines Bruders schaute, die Augen gerötet und feucht schimmernd, glaubte Sam endlich begriffen zu haben und er fragte sich, wieso er es nicht viel früher gesehen hatte. „Oh, Dean…“, sagte Sam leise und in seiner Stimme schwang so viel Mitgefühl, so viel Verständnis mit, dass Deans Augen feucht zu schimmern begannen.   "Du hättest ihn hören sollen, Sammy. Niemand hat jemals so… so etwas zu mir gesagt. Als… Als ob er dachte, ich müsste es hören, bevor er...bevor er..." Deans Stimme brach und er verstummte. Sam konnte sehen, wie sehr sein Bruder um Fassung rang, wie sehr er zu kämpfen hatte.   Sam gab seinem Bruder etwas Zeit, bevor er wieder das Wort ergriff. "Was hat er gesagt?", fragte er sanft. Doch insgeheim ahnte er bereits, was Dean als Nächstes sagen würde.   "Er hat mir gesagt, dass er mich liebt“, entgegnete Dean. „Dass es ihn wirklich glücklich mache es auszusprechen. Mir zu sagen, dass … dass er mich liebt..." Dean verstummte wieder und wischte sich hastig mit dem Ärmel über das Gesicht. „Ich wusste nicht einmal… Ich konnte nicht…“   Sam hatte schon immer gewusst, dass die Beziehung zwischen seinem Bruder und dem Engel einer anderen Art war, als die, die Sam und Castiel verband. Eine tiefere, innigere Bindung, die er lange Zeit nicht verstanden hatte, zu blind war um das zu erkennen, was direkt vor ihm war.… und mit einem Mal verstand er, wieso Castiels Verlust Dean mehr mitnahm, als der der anderen. Er verstand, wieso Dean damals in den Teich gewatet war, um Castiels Trenchcoat aus dem Wasser zu ziehen. Er verstand, wieso Dean ein ganzes Jahr im Fegefeuer geblieben war um den Engel zu suchen, wieso Metatron ausgerechnet Castiel für die Aufgaben benutzt hatte und er verstand, wieso Dean in ein Loch gefallen war, nachdem Lucifer Castiel zum getötet hatte. Es war nicht die Überlebensschuld, nicht die Tatsache, dass sich jemand für ihn geopfert hatte. Es war etwas anderes, ein Gefühl, das viel, viel tiefer reichte. Ein Gefühl, welches Sam nur allzu gut kannte.   "Und hast du ihm gesagt, wie du fühlst?", fragte Sam vorsichtig und musterte seinen Bruder.   "Nein...", kam es erstickt und die Antwort klang mehr als ein Ausatmen als nach einem Wort. Dean schüttelte kaum merklich den Kopf und schluckte schwer. "Ich… scheiße, Sam. Ich… Cas … ich vermisse ihn…“   In diesem Moment hätte er alles dafür gegeben Dean helfen zu können. Ihn von dem Schmerz befreien zu können, den Sam vor fast fünfzehn Jahren selbst durchlitten hatte. Doch er wusste nicht wie. "Ich weiß…", sagt Sam leise und nun spürte er, wie auch seine Augen anfingen zu brennen.   "Ich... er ist weg, Sammy. Er ist weg und ich konnte ihm nicht... Ich konnte ihm nicht sagen, dass…“ Deans Stimme brach nun endgültig. Er konnte sehen, wie eine Träne sich langsam den Weg über Deans Wange bahnte und sein Bruder daraufhin das Gesicht in den Händen verbarg.   "Oh, Dean…", sagte Sam sanft und ließ sich von seinem Stuhl vor Dean auf die Knie sinken. Er legte beide Hände auf Deans Schulter und zog ihn behutsam zu sich heran, um ihn in eine Umarmung zu schließen. Einen Moment lang regte sich sein Bruder nicht, doch dann spürte er, wie Deans Finger sich langsam in den Stoff seines Hemdes krallten und wie sich Dean sein Gesicht langsam zwischen Sams Schulter und Nacken vergräbt. "Es ist okay.", flüsterte er und fuhr mit einer Hand über Deans Haare. „Es ist okay…“   Er sagt eine ganze Weile nichts mehr, kommentiert nicht, dass Deans Schultern zu zittern begannen oder dass sein Hemd an der Stelle, an die Dean seinen Kopf gedrückt hatte, allmählich nass wurde.   Sam hatte immer gedacht, dass die Freiheit sich am Ende besser anfühlen würde, als das hier.. Doch nun, wo alles vorbei war, jetzt wo sie wirklich frei waren, fühlte er sich machtlos und die Freiheit fühlte sich eher wie die dunkelste Nacht an - schwarz, hoffnungslos, einsam. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)