Wenn die Chemie stimmt von Atina ================================================================================ Kapitel 7: ----------- Montag, 20. Mai   An Leo – danke mir doch einfach. Ich habe dich oft im Blick, du musst mich nur bemerken. Dein Helfer   Leonora fühlte sich beim Lesen dieser Nachricht wie vor den Kopf gestoßen. Was soll das bedeuten? Dass wir uns kennen? Oder dass er mich heimlich beobachtet? Sie ließ die Zeitung sinken. „Und? Gibt es eine Antwort von deinem Helden?“, wollte Irina wissen. „Ja…“ „Aber?“ „Lies selbst“, sie reichte ihrer Freundin die Zeitung und deutete auf die Anzeige. „Hmm. Das ist eine merkwürdige Aussage. Soll das heißen, dass wir ihn kennen?“ „Klingt irgendwie danach. Aber woher nur? Wer soll es sein?“, Leonora konnte sich niemanden vorstellen aus ihrem Bekanntenkreis. „Na, Mädels“, begrüßte Max die beiden. „Hallo Max.“ „Was ist los bei euch? Jeden zweiten Montag reißt ihr euch quasi um die caz. Was gibt es da Spannendes?“, fragte er und versuchte einen Blick darauf zu werfen. „Du könntest auch Detektiv werden, oder?“, fragte Irina. „War mein Plan B“, feixte Max. „Also, was ist los?“ „Ich habe letzten Monat eine Suchanzeige nach meinem Helfer gestartet, nach der Person, die mir auf der FSR-Party geholfen hat“, gab Leonora zu. „Und er hat mir geantwortet. Das ist seine zweite Antwort.“ Sie hielt ihm die Zeitung hin und Max las die Anzeige. „Wir überlegen nun, ob wir denjenigen kennen“, meinte Irina. „Naja, es war eine Party des FSR Chemie. Vermutlich können wir es dahingehend einschränken“, überlegte Max. „Meinst du?“ „Warum nicht? Natürlich sind auch Studenten anderer Fächer dabei, aber die Anzahl ist im Vergleich zu den Chemikern gering.“ „Die Chemiker!“, Irina schlug sich die Hand vor die Stirn. „Warum sind da nicht gleich darauf gekommen.“ „Du denkst, es könnte Elias oder Daniel oder Felix gewesen sein, der mir geholfen hat?“, fragte Leonora. „Klar. Vorstellbar ist alles. Wir haben sie schließlich direkt nach der Party kennengelernt.“ „Aber wenn sie bei der Party waren, könnte es auch sein, dass sie diejenigen mit dem Rohypnol waren“, warf Max ein, woraufhin Leonora und Irina ihn bestürzt ansahen. „Was? Möglich ist es doch.“ „Nein, das glaube ich nicht. Die Drei sind super lieb. So etwas traue ich ihnen auf gar keinen Fall zu“, verteidigte Leonora das Kleeblatt sofort. „Ich meine ja nur, dass man es im Hinterkopf behalten sollte.“ „Lass uns sie doch einfach fragen, ob sie bei der Party waren“, sagte Irina. „Wir sehen sie doch nachher.“   ***   „Hallihallo!“ „Hallo Leo, hallo Irina“, begrüßte Elias die beiden, Felix und Daniel nickten ihnen zu, sie aßen bereits. „Entschuldigt, dass wir zu spät sind. Professor Langbein hatte am Ende der Vorlesung noch ein Experiment, das etwas länger gedauert hat als beabsichtigt“, erklärte Irina ihr verspätetes Erscheinen. „Aber es war gut, dass es am Ende stattfand, er hat den gesamten Hörsaal in eine violette Wolke getaucht“, ergänzte Leonora. „Oh, wie schön. Die Sublimation von Iod“, Felix‘ Augen strahlten. „Gibts eigentlich a Chemisches, was diich net fraat?“ Daniel sah seinen Freund kopfschüttelnd an. Dieser nahm eine Denkerpose ein und tat nachdenklich. „Wenig würde ich sagen.“ „Vorrücktr Bursch.“ „Apropos verrückt und chemisch. Hat jemand Lust, heute Abend zum Science Slam im Hörsaalzentrum mitzukommen?“, brachte Felix das Thema auf den Wettbewerb der Kurzvorträge über aktuelle Forschungsthemen. „Wann geht das los?“ „20.30 Uhr, also müsste man vermutlich zwanzig Uhr dort sein, um einen Platz zu bekommen“, antwortete Felix. „Ich kann heute Abend nicht“, meinte Elias und Irina schloss sich dem an. Daniel und Leonora sagten jedoch zu. „Dann treffen wir uns um kurz vor acht am Haupteingang?“ „Geht klar.“ Die Gruppe kam von einem Thema zum nächsten, weshalb Irina und Leonora völlig vergaßen, zu fragen, ob das Kleeblatt auf der FSR-Party war.   ***   „So, Entropie. Entropie. Ich möchte gern die nächsten zehn Minuten nutzen, Ihnen allen eine Größe etwas näher zu bringen, die für die einen völlig unbekannt ist und für die anderen ist das allenfalls ein abstraktes Konzept, was allerdings keinen Bezug zu Ihrer Lebenswirklichkeit hat. Und deshalb fange ich auch mit etwas an, das Sie alle kennen – was ist das?“, fragte Martin Buchholz ins Plenum und rief ein Bild eines Kraftwerk-Kühlturms in seiner Präsentation auf. „Okay, ist einfach, kam ja im Titel vor – Kühltürme. Die spannendere Frage ist aber – wofür braucht man denn Kühltürme?“ Er wiederholte die Frage und gab sie ins Publikum. „Zum Kühlen!“, rief jemand. „Kühlen. Kühlen, das ist natürlich ein erstklassiger Vorschlag. Der ist ungefähr in einer Liga mit Das hat was mit Abwärme zu tun oder wenn kleine Kinder dabei sind Da werden Wolken gemacht.“ Das Publikum tobte vor Lachen und Martin Buchholz unterbrach seinen Vortrag kurz. Der Dozent der TU Braunschweig beendete seinen Beitrag nach den vorgesehenen zehn Minuten und gewann den Wettbewerb am Ende des Abends durch den überwältigenden Applaus des Publikums.   „Ich bringe dich noch nach Hause“, sagte Felix zu Leonora, als sie sich von Daniel verabschiedeten. „Ach, es ist doch nur die Straße runter.“ „Ich weiß. Trotzdem möchte ich dich gern begleiten“, meinte er und um ihrem nächsten Argument zuvorzukommen: „Zurück nehme ich dann die 3.“ „Okay.“ Sie setzten sich in Bewegung und unterhielten sich über die verschiedenen Teilnehmer des Slams, ihre Forschungsthemen und die Vortragsweise. „Martin Buchholz war wirklich genial. Den kennen Sie sicher - das ist ein Maß für Unordnung.“ Leonora grinste. „Ich habe ihn schon einmal gesehen, da hat er über Energie gesprochen. Wie verschwendet man etwas, dass nicht verbraucht werden kann? Das war auch wirklich gut.“ „Aber die anderen Slammer waren auch gut. Danke, dass du gefragt hast, ob ich mitkomme.“ „Kein Ding.“ Als sie in die Fritz-Löffler-Straße einbogen, fragte Felix jedoch etwas ganz Anderes: „Warum hast du eigentlich neulich gesagt, dass du keine tolle Chemielehrerin werden würdest?“ Leonora sah ihn überrascht an. Ich hatte doch nur einmal kurz davon gesprochen. Er hat es trotzdem mitbekommen. „Naja, ich glaube einfach nicht daran. Englisch werde ich hinbekommen, damit habe ich keine Probleme. Das kann ich auch richtig gut, denke ich zumindest. Aber Chemie war eigentlich eine Notlösung.“ Leonora seufzte. „Die Klausuren im ersten Semester habe ich gerade so bestanden. Und du merkst ja selbst, dass ich im Labor irgendwie keinen Plan habe. Ich glaube einfach, dass ich das Studium nicht schaffe.“ „So darfst du nicht rangehen. Wenn du vorab schon sagst, dass du etwas nicht kannst, dann wirst du es auch nicht schaffen!“ Seine Hände packten sie an den Oberarmen und Leonora sah zu ihm auf. Tränen schimmerten in ihren Augen, was Felix im Herzen wehtat. „Wieviel brauchst du von dem bisher an der Uni Gelernten später für den Unterricht?“ „Nicht so viel“, ihre Antwort war ein unsicheres Flüstern. „Genau. Ziemlich wenig. Und genau das ist der Punkt! Das Studium ist dazu da, dir mehr über die Chemie beizubringen und dir das wissenschaftliche Arbeiten zu zeigen. Es ist egal, ob du das Laborpraktikum mit einer Drei abschließt oder die Klausur zu den Nebengruppenelementen gerade so bestehst. Es hat nichts damit zu tun, ob du eine gute Lehrerin sein wirst!“ „Aber wenn ich das Studium nicht schaffe, dann kann ich auch nicht unterrichten“, erwiderte Leonora. „Leo, was habe ich dir eben gesagt? Du musst positiv ran gehen! Du wirst das Studium schaffen. Es gibt Bücher, es gibt Lerngruppen, es gibt Irina und es gibt mich. Ich werde dich immer unterstützen, wenn du das möchtest, denn ich möchte, dass du eine fantastische Lehrerin wirst.“ Leonoras Lippen begannen zu zittern und eine Träne rollte ihre Wange herunter. Felix ließ ihre Oberarme los und umarmte sie. Mit einem kräftigen Griff hielt er sie fest, drückte ihren Körper bestimmt und doch sanft an seinen. Ihr Kopf lehnte an seiner Schulter, die Tränen liefen nun ohne Unterlass. Etwas zaghaft schlang Leonora ihre Arme um Felix, spürte seine Körperwärme und ließ sich von ihm trösten. „Danke“, sagte sie nur mit ihrer tränenverschwommenen Stimme und spürte, wie seine Hand über ihren Kopf streichelte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)