»Steig auf!« von Gmork ([ Otayuri ]) ================================================================================ Teil zwei: »Kontakt« -------------------- Otabek Altin zählte, wenn es nach Yuri ging, eher zu den unauffälligeren Kandidaten, die sich aufs Eis schwangen, um Gold für ihr Land zu holen – wenn man sich nicht näher mit ihm beschäftigte. Als stille Konkurrenten standen sie zwar im gegenseitigem Respekt, aber für mehr war nie Platz gewesen, oder gar die Chance auf Platz. Das war jetzt anders. »Schreib mir, dass du sicher gelandet bist.« War das sein scheiß Ernst? Sie kannten sich erst – so halbwegs – seit diesem Grand Prix und trotzdem hatte er ihm unterschwellig mitgeteilt, dass ihm sein Wohlergehen wichtig war. Wer hatte das zuletzt getan, außer vielleicht Victor oder Katsudon? Yakov und Lilia schloss er bewusst aus, immerhin waren die beiden seine Trainer und deswegen schon aus Prinzip nicht mit freundschaftlichen Gefühlen gleichzusetzen. Und die anderen beiden … Ja, die waren halt immer da. Er würde lügen, wenn er sagte, dass da keine Form von Zuneigung war, aber diese Freundschaft gab ihm manchmal ein Gefühl von Zwang. Klar mochten sie sich. Aber mussten sie das nicht auch? Das Training verheiratete sie quasi miteinander. Manchmal beschlich Yuri der Gedanke, dass sie, würden sie nicht die gleiche Leidenschaft teilen, niemals ein Gespräch mit ihm gesucht hätten. Und an dunklen Tagen stach dieser Gedanke mit heißen Nadeln in seiner Brust. All das traf nicht auf ihn zu: Otabek. Der Gedanke an seinen neuen Freund ließ Yuri irgendwo zwischen peinlicher Freude und Angst pendeln. Peinliche Freude über offenkundiges Interesse an seiner Person, statt seines Talentes und Angst davor, etwas falsch zu machen. Was hatte Otabek in ihm gesehen? Die Antwort rann ihm wie Wasser durch die Hände und blieb aus. Freundschaften waren für ihn wie ein Hindernisparkour und bereits jetzt stellte sich ihm die erste Hürde hämisch in den Weg. Schon seit zehn Minuten verharrten seine Finger über dem Touchscreen seines Smartphones. Er war gerade dabei kläglich an einem einfachen Satz á la „Bin gut gelandet“ zu scheitern und verfluchte sich innerlich aufs Übelste dafür. Sinnlos. Murrend verschwand das Smartphone in seiner Jackentasche. In nicht einmal einer halben Stunde würde er sich in seinem Zimmer verschanzen können. Vielleicht dann. Frustriert schnaubte er, während sein Blick aus dem Taxifenster glitt. Zähne gruben sich in seine Unterlippe. Seit wann war er so ein Feigling? »Willst du etwas essen?« »Nein, man!« Das Scheppern der Tür setzte einen fetten Strich unter seine Antwort. Mit leidenschaftlicher Frustration kickte er sich seine Chucks von den Füßen, bevor er sich aufs Bett warf und das Gesicht in eines der vielen Kissen vergrub. Yuri war schlechter drauf, als er sich eingestehen wollte. Und das obwohl er bei seinem Debüt alle Erwartungen übertroffen hatte. Er hatte Gold geholt und damit nicht nur dieses verdammte Katsudon, sondern auch Victor Nikiforov geschlagen. Er hatte Yakov mit Stolz erfüllt und Tränen in Lilias Augen getrieben. Spätestens jetzt würde sich absolut jeder im Wettkampf vor ihm in Acht nehmen. Eigentlich sollte er sich fühlen wie der verdammte Terminator! Aber er tat es nicht. Viel eher fühlte er sich schlecht, seinen Trainer grundlos angepampt zu haben. Und weil er ein feiger Idiot war, der auf dem Eis zum lodernden Phönix aufstieg und dann zu Asche zerfiel, wenn es darum ging einem Freund eine SMS zu schreiben. Peinlicher konnte es kaum noch werden! Für eine Weile badete er in seinen Problemen der ersten Welt, bis sein Gedankenwirrwarr durch ein leises Schnurren aufgelöst wurde. Er hob den Kopf und augenblicklich begannen seine Augen zu strahlen. Seinen Kater hatte er bis eben komplett ignoriert, doch der nahm es ihm wohl nicht übel, sondern kam mit tapsigen Schritten zu ihm und rollte sich vor seinem Gesicht zusammen. Yuri vergrub seine Nase im weichem Fell und atmete tief ein, die Augen geschlossen. Mit dem vertrauten Schnurren kam ihm eine Idee. Er zückte sein Smartphone, öffnete die Kamera und schoss möglichst beiläufig ein Foto von sich und seinem größten Schatz. Als er den noch leeren Chatverlauf mit Otabek öffnete, versuchte er die Nervosität wegzuwischen. Wieder vergingen einige Minuten, doch dieses Mal würde er das Smartphone nicht wieder in seiner Jackentasche verschwinden lassen. Und als er schließlich die Nachricht abschickte, hörte er zwischen seinen Augen das wilde Klopfen seines Herzens wie Paukenschläge. Yuri – 15.12 22:51 »Das ist Potya. Wir chillen hier so rum.« Im Anhang das Foto: Potya nahm fast das gesamte Bild ein, nur hinter seinem Rücken lugten Yuris grüne Augen hervor, halb verdeckt durch seine Haare - und trotzdem konnte man ein schwaches Lächeln erahnen. Fluchend pfefferte er das Handy von sich und schlug die Hände vors Gesicht. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Abgeschickt war abgeschickt. Er konnte nur hoffen, dass Otabek verstand, was er eigentlich sagen wollte: Bin sicher gelandet. »Verdammter Idiot! Der wird mich für den absoluten Creep halten.« Kurz kraulte er Potya hinter den Ohren, bevor er sich vom Bett schwang, die Tür seines Zimmers aufriss und ins Badezimmer trampelte. Er ging jetzt eigentlich nur duschen, um sich Ablenkung zu verschaffen. Mit wütenden Bewegungen shampoonierte er sich die Haare und seifte dann nicht gerade zimperlich seinen restlichen Körper ein. Leider spülte das Wasser zwar den Schaum, aber keinen seiner Gedanken fort. Vor dem Spiegel kämmte er sich so ruppig, dass er einige feine blonde Haare in der Bürste fand. Gott sei Dank ahnte Lilia davon nichts. Er würde den Anschiss seines Lebens bekommen, wenn sie spitzbekam, wie er seinen „wunderschönen Körper“ behandelte. Auf Zehenspitzen schlich er zurück in sein Zimmer und strafte sein Smartphone – oder eher sich selbst – mit verbissener Ignoranz. Aufregung hin oder her, niemals würde er soweit sinken und alle paar Minuten seine Nachrichten checken. Lieber tat er zur Ausnahme einmal etwas Vernünftiges: Er packte freiwillig seinen Koffer aus, beförderte die Schmutzwäsche in den passenden Korb und sortierte ungetragene Klamotten fein säuberlich in seinen Kleiderschrank zurück. Zwischendurch glaubte er, eine Vibration aus der Richtung seines Bettes zu vernehmen, aber anstatt nachzusehen widmete er sich seinem Schreibtisch und begann seine Schulsachen vorzubereiten. Zwar hatte er noch bis übermorgen Schonfrist, aber so sparte er sich wenigstens einmal den Stress, das Zeug erst zehn Minuten vor dem Stundenbeginn zu packen. Als auch das erledigt war, schlüpfte er in seinen schwarzen Suit und ging zu dem riesigen Spiegel, der gegenüber vom Bett die gesamte Wand einnahm. Das Zimmer war sehr geräumig und gab ihm genug Freiraum, um seine Ballettübungen zu verfeinern. Sein Körper protestierte und der Muskelkater flehte nach nur wenigen Minuten um Gnade. Eine knappe Stunde hielt er immerhin durch, bevor er wie ein Stein ins Bett fiel, aber dafür mit klarem Kopf. Lilia genoss seine Dankbarkeit, ihn wieder zum Ballett gebracht zu haben, mehr als sie ahnte. Anfangs hatte er es gehasst. Doch jetzt war es sein Fels in der Brandung, wenn gar nichts mehr ging. Es reinigte seine Gedanken und führte ihn zurück zur inneren Ruhe. Ob es Otabek mit seinem Motorrad ähnlich ging? Otabek. Entschlossen fischte er nach seinem Smartphone und die Benachrichtigung über seine Antwort jagte Stromstöße in seine Lungen.  Er zwang sich zur Ruhe, trotzdem vertippte er sich zwei Mal, als er den Entsperrcode eingab. Otabek Altin – 15.12 23:15 »Ich kenne ihn von Instagram. Ein hübscher Kater.« Otabek Altin – 15.12 23:16 »Hatte eure Maschine Verspätung?« »Hmpf.« Ob die Maschine Verspätung hatte? Nein, er hatte nur stundenlang Mut für eine Nachricht zusammenkratzen müssen. Ob er wohl wirklich den ganzen Tag darauf gewartet hatte? Seine Wangen glühten, als er eine Antwort eingab. Yuri – 16.12 00:014 »Nee. Ich hab nur trainiert und nich auf die Uhr geguckt :‘D« Bevor er seiner Unsicherheit eine Chance ließ, drückte er auf senden. Otabeks Status rutschte keine Sekunde später auf online. Wie hypnotisiert sah er zu, wie er irgendwo in Kasachstan noch unsichtbare Worte tippte. Otabek Altin – 16.12 00:16 »Um diese Zeit noch? Ist das nicht ein bisschen spät?« Yuri – 16.12 00:16 »Mir egal! Ich brauchte das gerade >.<« Otabek Altin – 16.12 00:17 »Verstehe. Überanstrenge dich nicht. Der Flug war sehr lang. Schone deinen Körper.« Yuri schnaubte. Otabek schrieb tatsächlich so, wie er redete: Stoisch und ohne eine Gefühlsregung. Trotzdem war Yuri sich jetzt ziemlich sicher, dass er sich wirklich um ihn sorgte. Obwohl sie sich kaum kannten. Die Displaybeleuchtung erlosch und er erkannte in der Reflektion sein feuerrotes Gesicht. Warum freute ihn das und warum schämte er sich gleichzeitig deswegen? War Freundschaft wirklich so kompliziert, oder stellte er sich nur an? Und seit wann konnte man ihn in Verlegenheit bringen, nur indem man ihm schrieb? Er sollte jetzt wirklich schlafen gehen. Yuri – 16.12 00:21 »Mach ich jetzt auch. Ich geh jetzt pennen, wenn du dann zufrieden bist :O« Otabek Altin – 16.12 00:22 »Ja.« »Boah, kannst du dich nicht ein wenig… emotionaler ausdrücken? Häh?« Yuri redete sich ein, dass er sauer war. Und genervt. Doch weder das eine noch das Andere war der Fall. Viel mehr spürte er, dass etwas mit ihm geschah: Seine eisige Hülle bekam tatsächlich Risse. Das gleiche Gefühl wie vor zwei Tagen in Barcelona. Etwas löste sich in ihm. Bis jetzt kannte er das nur, wenn er bei seinem Großvater war. Bis jetzt. Yuri – 16.12 00:24 »Dann gute Nacht jetzt! Und mach dir doch nicht so einen Kopf -.-« Otabek Altin – 16.12 00:24 »Gute Nacht.« Yuri – 16.12 00:25 »Und… danke. Oder so« Otabek Altin – 16.12 00:25 »;)« Was sollte dieser kack Smiley jetzt? Yuri verstand die Welt nicht mehr. Zum dritten Mal konnte Otabek nun schon diesen Erfolg bei ihm verzeichnen. »Kommst du mit, oder nicht?« »Und genau das will ich nicht sein.« »;)« Genervt zog er sich die Klamotten aus, löschte das Licht und verkroch sich unter der Bettdecke. Obwohl er sich wirklich bemühte, fand er keine Ruhe. Immer wieder ertappte er sich dabei, wie er den Chatverlauf öffnete und jedes einzelne Wort aufsaugte, so lang, bis er den kurzen und eigentlich so unspektakulären Austausch auswendig konnte. Erst dann schlossen sich seine Lider für diese Nacht.     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)