Bis du mein bist... von Lady_Shanaee (- edited version -) ================================================================================ Prolog: In der Fremde --------------------- Er hätte nicht herkommen dürfen. Diese Erkenntnis verfolgte Saladir schon seit einiger Zeit. Was hatte ihn nur dazu getrieben, ausgerechnet hier – an der Grenze – aufzutauchen? War es die Tatsache, dass sein Vater, der König der Lythari, schwer krank und er, der zweite Prinz, auf der Suche nach einem Heilmittel war? Einem, das vielleicht gar nicht mehr existierte? Vielleicht. Dennoch spürte der junge Lythari, dass er in Lebensgefahr war, wenn man ihn hier entdeckte. Er musste komplett wahnsinnig sein. Wahnsinnig vor Verzweiflung und Sorge. Dass er inzwischen der Letzte war, der von seiner Eskorte noch lebte, half da auch nicht weiter. Zu Beginn waren sie fünfzehn Leute gewesen, doch alle seine Kameraden waren entweder der unbarmherzigen Natur oder den Wesen von Kerui zum Opfer gefallen. Saladir erinnerte sich sehr genau an die Wüste, die sie durchquert hatten, wo zwei seiner Männer von einem Sandsturm einfach spurlos verschluckt worden waren. Einige Tage später hatten sie sich durch einen Dschungel gekämpft, wo sie von fleischfressenden Pflanzen angegriffen worden waren. Es war reines Glück gewesen, dass sie dort nur jenen Lythari verloren hatten, der sich schützend über Saladir geworfen hatte, als die Pflanze mit ihren Wurzeln nach ihm griff. Die Erinnerung an die Schmerzensschreie des Mannes, der im Inneren einer riesigen gelben Orchideenblüte allmählich verdaut wurde, hallte immer noch in den Ohren des jungen Prinzen wider. Dieser Umstand und die unerwarteten Gefahren der Suche entbehrten nicht einer gewissen Ironie, denn eigentlich hätte er gar nicht mitreisen sollen. Doch als zweiter Prinz hatte Saladir es als seine Aufgabe angesehen, die Truppe anzuführen, obwohl ihn sein älterer Bruder Athavar und zuvor schon der gesamte Ministerrat davon hatten abhalten wollen. Kurz bevor die Männer aufgebrochen waren und Saladir angekündigt hatte, sie zu begleiten, war es deswegen zwischen den beiden Brüder zu einem heftigen Streit gekommen. „Du kannst nicht gehen! Dein Platz ist hier an Vaters Seite, während ich als Kronprinz die Amtsgeschäfte für ihn übernehme.“ „Nein! Ich kann hier nicht herumsitzen und nichts tun!“ „Saladir...“ „Nein!“ „Deine Gesellschaft wird Vater Kraft geben, bis die Soldaten mit den Nachtrosen zurück sind...“ „Ich werde hier nicht tatenlos herumsitzen! Ich werde den Trupp anführen!“ Er schüttelte den Kopf, um die unangenehmen Gedanken zu verbannen. So geräuschlos wie möglich schlich der junge Elf weiter, nachdem er sich erneut umgeschaut hatte. Es war beinahe Mitternacht... eine Zeit die ihm, so glaubte er nun, nichts Gutes verheißen konnte. Der Wind frischte auf, und der Lythari blieb kurz stehen, um sich eine Strähne seiner hellblauen Haare aus dem Gesicht zu streichen, die inzwischen unangenehm lang geworden waren. Er durfte sich nicht ablenken lassen. Saladir hatte fast acht Tage gebraucht, um die Stelle zu finden, an der er sich jetzt befand. Die Bergkette vor ihm zu erklimmen, war nicht das Problem gewesen. Das Problem ergab sich auf der anderen Seite, wo ein Abstieg nur in einer Lawine von Geröll endete, die ihn gnadenlos verschütten würde. Schon das versehentliche Lostreten kleinerer Kiesel einige Tage vorher hatte zu einem einschüchternden Resultat geführt, das der junge Elf nicht wiederholen wollte. Also hatte er gesucht, um eine Lösung zu finden, die ihn nicht das Leben kosten würde. Eine weniger steile, flacher abfallende Stelle, ein mit Bäumen bewachsener Abhang... irgendetwas, durch das er lebend auf der anderen Seite ankam, selbst wenn er abstürzen sollte. Saladir war nicht wählerisch und schließlich hatte Glück er gehabt: Vor ihm lag nun – hinter einer schmalen Felsspalte verborgen – ein Durchgang in das von Bergen regelrecht umschlossene Reich der Naralfir. Die Naralfir waren Dämonen, die in ganz Kerui für ihre Grausamkeit und Blutrünstigkeit gefürchtet waren. Sie waren der Inbegriff für alles Böse und schreckten vor nichts zurück, um dies jedem zu beweisen, der ihr Missfallen erregte. Die Geschichtsbücher erzählten, dass ihr Reich entstanden war, als nach einem gewaltigen Erdbeben ein Vulkan explodiert war und das umliegende Land mit seiner Lava völlig bedeckt hatte. Unzählige Tausend waren bei dieser Katastrophe umgekommen – und seitdem galt das Land als verflucht. Die Naralfir hielten sich andere Rassen als Sklaven oder Nahrung, hieß es weiter, und ihre Magie war so dunkel, dass selbst die Gesetze der Natur von ihr aus den Angeln gehoben wurden. Außerdem war es bei ihnen Brauch, denjenigen zum König zu machen, der den herrschenden König umbrachte. Schon seit Anbeginn der Zeit waren die Lythari und die Naralfir verfeindet, auch wenn der Grund für diese Feindschaft im Lauf der Geschichte verlorengegangen war. Von den Ministern und Generälen seines Vaters hatte Saladir gehört, dass es an der Grenze immer wieder zu Gefechten kam, bei denen Lytharis grausam hingemetzelt wurden. Wenn die Naralfir also ihn, einen Abkömmling der Herrscherlinie ihrer Erzfeinde, an der Grenze des Reiches erwischten, würde er auch sterben. Zumindest wenn er Glück hatte... Der Lythari musterte die unscheinbare Felsspalte, durch die er sich quetschen musste. Keine Soldaten oder Wachtürme weit und breit… seltsam. Die silbergrauen Augen Saladirs verengten sich. Fühlten sich die Dämonen dermaßen sicher, dass niemand freiwillig herkommen würde? Die gesamte Gegend, so weit er sehen konnte, war verlassen. Gras wuchs nur in kleinen, halbverdorrten Büscheln, die Bäume waren windschief und morsch. Kleine Käfer und Eidechsen huschten über den ausgetrockneten Boden. Dem Ängstlichen schien es, als habe selbst die Natur Furcht vor dem, was sich am anderen Ende des Tunnels verbarg. Nun, in dem Punkt hatten die Naralfir Recht: Keiner, der noch ganz bei Trost war, wagte sich auch nur in die Nähe dieses unheiligen Ortes und seiner barbarischen Bewohner. Keiner... bis auf einen jungen Lythari, dem in seiner Ratlosigkeit nur noch der Feind Heilung für seinen Vater versprach. Wenn Rarya wüsste, was er im Begriff war zu tun, hätte sie ihn vor Zorn über seinen Leichtsinn geschüttelt. Rarya... seine geliebte Rarya... Sie hatte ihn begleiten wollen, doch das hatte Saladir entschieden abgelehnt. Obwohl er zugeben musste, dass er die Dauer seiner Suche unterschätzt hatte, genauso wie die Gefahren, denen er begegnet war – hätte Rarya ihn in den letzten drei Monaten begleitet, hätte Saladir sich wohl kaum noch auf diese selbst auferlegte Aufgabe konzentrieren können... Der Lythari streckte noch einmal schnell den Rücken durch, spannte die Muskeln an und atmete tief ein, dann presste er sich durch den schmalen Eingang... ... und atmete erleichtert auf, als er am anderen Ende der Felsspalte angekommen war. Das schroffe Gestein hatte ihm den Reisemantel an Schulter und Ärmeln zerrissen; kurz vor dem Ausgang hatte er sogar fürchten müssen, steckenzubleiben. Nun nahm er einen fauligen Geruch wahr, den er zuerst nicht zuordnen konnte. Als er einen Schritt nach vorn machte und es unter seinem Stiefel knacken hörte, erkannte er den Ursprung: Aas... Er hielt sich die Hand vor den Mund, um nicht angewidert aufzuschreien und den Brechreiz zu unterdrücken. Der Drang umzukehren wurde so stark, dass Saladir tatsächlich beinahe kehrtgemacht hätte. Der Wind fegte mit einem seltsam jaulenden Heulen über das Land und zerriss die dunklen Wolken in Fetzen, die wie Leichentücher über den blutroten Mond flatterten. Der größere Mond, der ein wenig mehr Licht hätte spenden können, blieb in einer Nacht wie dieser hinter seinem kleineren Bruder verborgen, als fürchte er sich, hinab auf die Erde zu schauen. Saladir konnte es ihm nicht verübeln. Kein Nachtgetier und kein Vogel war zu hören und die Schatten, die das spärliche Licht noch zu erzeugen vermochte, wirkten wie Schatten aus der Unterwelt, die ein unheimliches Eigenleben führten. Der Lythari schauderte und spürte seinen Herzschlag im Hals. Er konnte nur hoffen, dass er hier fand, wonach er suchte: Die Nachtrose. Sie war unglaublich selten und während seiner Odyssee durch Kerui hatte Saladir niemanden gefunden, der mehr als ein paar Gerüchte über sie gehört hatte, die teilweise sogar einander widersprachen. Nur in einem Punkt hatten alle übereingestimmt, nämlich dem, dass die Nachtrose nur noch in dieser Gegend zu finden war. Ihre heilende Wirkung war legendär – was beinah zur völligen Ausrottung der Pflanze geführt hatte – und viele hatten auf der Suche nach ihr entweder ihren Verstand oder ihr Leben verloren. Doch nur sie würde das vollbringen, woran alle anderen Mittel gescheitert waren: Den alten König der Lythari zu heilen. Er musste überleben. Die Felsspalte hinter sich lassend, drang Saladir immer weiter in das Reich der Naralfir vor. Links von ihm verlor sich die Landschaft in der Dunkelheit, was ihn vermuten ließ, dass es dort steil bergab ging. Vor ihm erstreckte sich eine trockene, felsige Steppe, die rechts in einen tiefen pechschwarzen Wald mündete und auf den jungen Elf furchteinflößend wirkte. Doch alles Zögern und Zaudern brachten nichts, und so schlich der heimliche Besucher langsam auf den Waldrand zu, während er immer wieder zögernd innehielt, sich umschaute und horchte. Dabei hatte er das Gefühl, man könnte ihn bereits meilenweit riechen, denn die matschigen Überreste an seinem Stiefel hatte Saladir nur notdürftig entfernen können, weil kein Fluss in der Nähe war. Anfassen wollte er den stinkenden Brei auf keinen Fall... Jede Faser seines Körpers war zum Zerreißen gespannt. Die Abgeschiedenheit und absolute Einsamkeit machten ihn immer nervöser und auch die Abwesenheit von Grenzposten bereitete ihm immer größere Sorgen. Wo waren sie? Hatten sie den Eindringling vielleicht schon entdeckt und beobachteten ihn jetzt, jederzeit bereit anzugreifen? Nein, dann wäre er schon tot. Aber der junge Prinz klammerte sich verzweifelt an die Hoffnung, dass er bald fand, wonach er suchte und unbemerkt umkehren konnte. Es dauerte eine Weile, bis er den Waldrand erreicht hatte. Die Bäume schienen sich endlos in Richtung Himmel zu erstrecken. Saladir wagte es nicht, eine kleine Flamme zu entzünden, aus Angst entdeckt zu werden und verließ sich auf den unregelmäßig auftauchenden Mond, der diese tintengleiche Finsternis mit etwas Licht erhellte. Je weiter er voranschritt, desto dichter wurde der Wald, und oft musste er sein Schwert benutzen, um einen schmalen Weg durch Bäume und Gestrüpp zu schlagen. Das Rascheln der Blätter und das gelegentliche Knacken eines Astes trugen nicht gerade dazu bei, dass er sich beruhigte. Angespannt blickte der Lythari sich immer wieder um und befürchtete jeden Augenblick, von einer der Kreaturen, die in diesem Wald lebten, angefallen zu werden. Seine Nervosität wuchs ins Unerträgliche, als ihm seine verlorenen Kameraden wieder in den Sinn kamen. Tonadier hatte am längsten von allen durchgehalten, doch nachdem ihm ein fliegendes Ungetüm die Brust durch die Rüstung bis auf den Knochen aufgerissen hatte, hatte Saladir auch auf die Begleitung seines Hauptmannes verzichten müssen. „Bitte, Hoheit... Ihr dürft... nicht weiter“, hatte er keuchend gefleht und seine blutverschmierten Finger in Saladirs Oberarm gekrallt. „Ihr habt... es versucht und seid... gescheitert... Werft Euer Leben... nicht weg, sondern kehrt um... Helft eurem Bruder bei... der schweren Aufgabe, die... vor ihm liegt... Steht ihm bei.“ Die folgenden Worte waren Saladir schwergefallen, schienen sie ihm doch wie ein Verrat am Tod seiner Gefährten. „Ich kann nicht umkehren, Hauptmann. Nicht so kurz vor dem Ziel.“ „Aber die Naralfir...“ „Ich werde keinem von ihnen lebend in die Hände fallen.“ „Königliche Hoheit... Das ist Wahnsinn...“ „Ich werde gehen, Tonadir. Ich bin aufgebrochen, um ein Heilmittel für meinen Vater zu finden und werde kurz vor dem Ziel meiner Suche nicht aufgeben...“ Flügelschlagen und ein dröhnendes Kreischen brachten Saladirs abschweifende Gedanken in die Wirklichkeit zurück. Irgendetwas knackte unweit von ihm Gehölz, etwas Großes – doch in der Dunkelheit war nichts zu entdecken. Das Geräusch kam näher und das kurz darauf folgende Aufjaulen bescherte ihm eine Gänsehaut. Hektisch und fast blind stolperte der junge Prinz nach vorn, um dem zu entkommen, was auch immer da seine Fährte aufgenommen haben mochte. Doch gerade, als er begann, die Nerven zu verlieren, bemerkte er ein schwaches, rötliches Licht. Saladirs taumelnde Schritte wurden schneller. Eine Lichtung! Wieder erscholl dieses schauerliche Kreischen, dieses Mal direkt hinter ihm. Der junge Lythari wirbelte herum und starrte kurz in zwei goldglühende Augen, dann stürzte das Wesen auf ihn herab. Von den Geschehnissen der Reise geprägt handelte Saladir rein instinktiv und warf sich gerade noch rechtzeitig zu Boden. Etwas zischte direkt über ihm durch die Luft. Er hob den Blick und erkannte eine dunkle Silhouette. Ein gewaltiger Uhu schlug drohend mit seinen Flügeln, wobei er ein enttäuschtes Kreischen von sich gab. Dann flog das Tier einen engen Bogen über die Lichtung und stürzte wieder auf Saladir herab. Doch ehe es diesen erreichte, krachte es zu Boden, überschlug sich und blieb schließlich reglos liegen. Verblüfft und erschrocken taumelte der Lythari ein paar Schritte zurück, die Faust auf sein rasendes Herz gepresst. Hektisch schaute er sich um, bevor er mitten auf der Lichtung etwas entdeckte, das ihn erleichtert aufatmen lies: Blühende Nachtrosensträucher. Einen, zwei, fünf... viel mehr als er brauchte. Staunend trat Saladir näher. Er war am Ziel seiner Reise angekommen. Nun verstand er auch, woher diese Blume ihren Namen hatte. Sie hatte das Aussehen einer pechschwarzen Rose, deren Blütenblätter nach innen hin blutrot wurden und in der Dunkelheit schwach leuchteten. Dass eine solche Schönheit in einem so finsteren Reich blühte, faszinierte den Lythari ungemein. Behutsam ging er neben einer der Nachtrosen in die Knie, zückte einen kleinen, scharfen Dolch und schnitt die Blüte vorsichtig am Stiel ab. Diese Prozedur wiederholte er noch bei zwei weiteren Rosen, ehe er den Dolch wieder zurücksteckte und seine Beute ehrfürchtig zwischen den Fingern drehte, um sie zu bewundern. „Sieh an, sieh an, was haben wir denn da? Einen Eindringling, der glaubt, er könnte uns bestehlen“, ertönte hinter ihm eine Stimme, und Saladir riss sein Schwert mit der freien Hand aus der Scheide. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)