Von der Kunst, richtig zu sein von Lyndis ================================================================================ Kapitel 63: Kapitel 63 ----------------------     Es war komisch, als Shinji wieder begann zu arbeiten. Im Prinzip war es das erste Mal, dass er regelmäßig arbeitete, während Nate bei ihm war und irgendwie fühlte es sich ein wenig an, als würden sie aneinander vorbei leben. Wenn er aufstand war Nate meist gerade von der Reha zurück, dann hatten sie ein paar Stunden für sich, in denen Shinji frühstückte und Nate zu mittag aß. Bevor Shinji in den frühen Abendstunden dann zu arbeiten begann, hatten sie ein kleines Zeitfenster, in denen sie sich miteinander beschäftigen konnten. Sie gingen nicht einmal zusammen ins Bett, was wirklich merkwürdig war. Nur wenige Stunden bevor es Nate aus dem Schlaf trieb, legte sich Shinji zu ihm. Aber irgendwie funktionierte es und am Wochenende hätten sie wieder einen etwas synchronisierten Tagesablauf.     Nate beschäftigte sich mit kleineren Reparaturen in der Wohnung und bei Lily, mit der Reha und der Organisation der Einkäufe. Er war noch immer keine Person die still sitzen konnte, aber das war gut so. So trainierte er sein Bein und begann nicht wieder in frustrierenden Gedanken zu versinken.          Es war etwa vier Wochen nach Nates Rückkehr in Shinjis Leben, als Shinji ungewöhnlich früh geweckt wurde.     Schon als die Matratze hinunter gedrückt wurde, glitt er langsam aus seinem Schlaf und reckte sich dann der Hand entgegen, die sanft durch sein Haar strich.     "Shinji", drang leise die Stimme seines Partners in seinen Geist. "Entschuldige, dass du so lange warten musstest."     Vollkommen schlaftrunken flackerten seine Augen nur kurz auf, ehe sie müde wieder zufielen.     "Hm?", fragte er leise. "Warst du weg?"     Wie viel Uhr war es überhaupt?     Nate lachte leise und beugte sich herab, um ihm einen Kuss auf die Mundwinkel zu setzen. Irgendwie hatte er das Gefühl, etwas zu verpassen.     "Weißt du noch, als ich dir sagte, ich würde mir die drei Worte persönlich abholen?"     Nates Atem strich sanft über seine Wange, ehe er sich so weit aufrichtete, dass er mit seiner Nase über Shinjis streifen konnte. "Nun… hier bin ich jetzt."     "Ja, sicher erinnere ich mich… aber…" Seine Gedanken stoppten abrupt, weil irgendetwas nicht zusammen zu passen schien. Etwas war anders, als erwartet.     Er zwang sich die Augen endlich zu öffnen, in dem Versuch, etwas in Nates Gesicht zu erkennen, das ihm sagte, worüber sie gerade sprachen.     Der Blick den Nate ihm schenkte, erschlug ihn fast. Das war nicht der selbe Ausdruck in seinen Augen, wie in den letzten Wochen. So sah man niemanden an, den man erst vor etwas mehr als einem Monat kennen gelernt hatte, auch nicht, wenn man sich bereits in ihn verliebt hatte. Diesen Blick schenkte man nur jemandem, den man fast sein ganzes Leben lang kannte und fast genauso lange liebte.     Dann erst realisierte Shinji, dass dies kein Trugbild war, dass er nicht träumte und dass dieser Ausdruck nicht wieder verschwinden würde. Nate erinnerte sich.     Shinji war so überrascht und überfordert, dass er nicht wusste, was er sagen sollte. Kurz kam ihm das Bild in den Sinn, wie er nach Nates Wange griff und mit Tränen in den Augen etwas sagte wie 'ich habe so lange auf dich gewartet'. Aber so schnulzig und so nah am Wasser gebaut war er nicht.     Stattdessen begann er frech und ein bisschen schief zu grinsen: "Was? Jetzt? So auf Knopfdruck? Nachdem du dich dermaßen verspätet hast? Nah…"     Doch statt einer Antwort, kramte Nate nach seinem Handy und tippte darauf herum. Sein Grinsen fiel wieder. Hatte er es übertrieben?     Einen langen Augenblick fühlte er sich versetzt und zurückgewiesen, doch dann meldete sich sein eigenes Handy, als Nate seines weg steckte und sich nach hinten fallen ließ, nur knapp an Shinjis Füßen vorbei.     'Ich hoffe, dir ist klar, dass du mich jetzt wirklich nicht mehr los wirst. Ich will mit dir alt werden. Ich hoffe, du weißt das. Ich liebe dich, Shinji. Und jetzt komm gefälligst her und küss mich.'     Shinji musste wegen des letzten Satzes lachen, eine willkommene Reaktion, die den Druck auf seiner Brust löste, den die vorigen Sätze ausgelöst hatten.     So richtete er sich auf und krabbelte über seinen Liebsten.     "Willkommen zurück", hauchte er glücklich und beugte sich dann hinunter um Nate in einen tiefen Kuss zu verwickeln. Es fühlte sich so anders an, als in der letzten Zeit. So viel besser, so viel richtiger und lockerer, denn dieser Mensch vor ihm, kante alles von ihm. Er hätte nicht gedacht, dass das so einen Unterschied machte. Er hatte die Wochen über nicht bemerkt, wie sehr er 'seinen Nate' eigentlich vermisste hatte. Sie waren eben durch Dick und Dünn gegangen, das war eine ganz andere Basis. Umso größer waren jetzt auch die Glücksgefühle.     Nate wand seine Arme schützend und besitzergreifend um ihn. Doch das was Shinji letztendlich förmlich verschlang, war all die Sehnsucht und all die Liebe, die ihm sein Partner entgegen brachte.     Sie lösten sich nur voneinander, um sich anzusehen und sich zu versichern, dass das hier wirklich real war, ehe sie wieder in tiefe Küsse versanken und sich mit den Händen erkundeten, als würden sie es das erste Mal tun.          "Ich werde dich nie wieder alleine lassen."     Shinji biss Nate sanft ins Ohr, als wolle er ihn für diese Worte bestrafen. "Du hast einen Job, bei dem du das früher oder später machen musst. Also hör auf, mir Sachen zu versprechen, die du nicht halten kannst."     Nate lachte leise, aber glücklich und schüttelte den Kopf: "Nein, Shinji. Ich meine es ernst. Ich werde dich nie wieder alleine lassen. Ich hätte fast mein Leben dort gelassen, ohne mich richtig von dir verabschieden zu können. Ich habe keine Lust, es auf ein Neues ankommen zu lassen. Ich bin fertig damit."     Nates Blick war entschlossen und fast schon hart, was im vollkommenen Kontrast zu der Hand stand, die ihm sanft über den Rücken fuhr.     "Ich rede mit dem Team, meine Leute werden das verstehen."     Noch überfordert mit dieser Offenbarung, konzentrierte sich Shinji erst einmal auf das Erste, was ihm dazu in den Sinn kam:     "Es wird sicher schwierig für dich, etwas zu finden, was dich ähnlich erfüllt und dich nicht langweilt."     Sie hatten schon einmal darüber gesprochen, aber wirklich zufrieden hatte Nate damals mit den Vorschlägen nicht gewirkt, ganz abgesehen davon, dass viele ähnlich riskant gewesen waren, wie sein derzeitiger Job und deshalb jetzt keine Option mehr waren.     "Erfüllt ist vielleicht das falsche Wort. Es war mehr ein Pflichtgefühl und der Wunsch nach etwas Ordnung. Aber du hast nicht Unrecht. Es wird bestimmt eine Zeit dauern, bis ich etwas Passendes gefunden habe. Aber wenn ich dafür in deiner Nähe bleiben kann, ist es mir ziemlich egal, welche Arbeit es letztendlich werden wird."     Shinji konnte sich nicht vorstellen, dass Nate das tatsächlich so ernst meinte, wie es klang, denn sie wussten beide, dass ein Bürojob ihn wahnsinnig machen würde.     Keine Sekunde ließ Nate ihn los oder hörte auch nur auf, ihn zu streicheln. Die Aussicht darauf, dass es immer so sein könnte, erfüllte ihn mit freudiger Wärme.     "Wir finden schon was", hauchte er sanft und war so glücklich, wie schon sehr, sehr lange Zeit nicht mehr.     "Und wo wir gerade schon bei lebensverändernden Entscheidungen sind… wie wäre es mit einer gemeinsamen Wohnung?" Er konnte diese Idee jetzt einfach nicht mehr zurückhalten. Schon die letzten Wochen hatte er darauf gebrannt, endlich mit der Suche nach etwas passendem zu beginnen und jetzt wo wirklich alles an seinen Platz fiel, wollte er damit anfangen, ein gemeinsames Leben mit Nate aufzubauen. Nestbau hätte man das vielleicht nennen können und trotz der altbekannten Abneigung, die kurz einen Stich in seiner Brust auszulösen schien, wollte er genau das. Ein Nest bauen. Für ihn und Nate. Er wollte durch Möbelhäuser mit ihm laufen und Wandfarben und Vorhänge aussuchen und Fotos von allen Farben des Himmels aufhängen.     "Ist dir die hier etwa zu klein geworden?", fragte Nate verwundert und gleichzeitig grinsend, als hätte er nur auf diese Frage gewartet.     "Ja, aber hauptsächlich will ich, dass wir eine gemeinsame Wohnung haben und du dich dort einbringen kannst. Was denkst du?"     Es war komisch, dass eine Antwort, die er bereits kannte, ihn dennoch so nervös machen konnte. Nate würde nicht nein sagen, aber diese kleine, ekelhafte Stimme, die noch immer da war, versuchte ihm einzureden, dass niemand wirklich mit ihm zusammen leben wollen würde. Er schob sie beiseite, in dem tiefen Vertrauen, dass Nate ihm niemals weh tun würde.     "Ich denke, dass das ein großer Schritt ist und dass ich mir nichts Besseres wünschen könnte, als eine Wohnung mit dir, die wir zusammen einrichten."     Nate brauchte ihn gar nicht zu sich herunter zu ziehen, er beugte sich bereits von sich aus wieder herunter und küsste ihn. Es brauchte nur ein wenig Anleitung von ihm, da lag Nate über ihm. So fühlte Shinji sich wohler. Er musste jetzt nicht mehr der stärkere von ihnen sein, Nate konnte ihn wieder beschützen, ihn umschließen. So fühlte er sich geborgen und gut aufgehoben.     "Ich liebe dich, Nate", hauchte er endlich die Worte, die er ihm so lange schon hatte geben wollen. "Ich liebe dich so sehr, ich kann es gar nicht ausdrücken."      Hosted by Animexx e.V. 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