Von der Kunst, richtig zu sein von Lyndis ================================================================================ Kapitel 54: Kapitel 54 ----------------------     Es dauerte keine halbe Minute, dann standen sie vor Lilys Wagen.     "Lief doch gar nicht mal so schlecht."     Eigentlich wäre das Shinjis Satz gewesen und er wusste nicht so genau, wie er darauf reagieren sollte. Es war gut gelaufen, ja, aber Nate schien sich nicht wohl gefühlt zu haben. Aber sie sollten sich wohl auf die guten Dinge konzentrieren.     "Ja, es lief ganz gut. Jetzt müssen wir nur noch hoffen, dass Lily irgendwann bemerkt, dass du nicht beißt, wenn sie was ungeschicktes sagt."     "Um ehrlich zu sein, warte ich nur darauf, dass sie überhaupt erst mal etwas sagt."     War das vielleicht das Problem gewesen? Hatte Nate sich zu sehr ignoriert gefühlt?     Er machte die Tür auf und setzte sich ins Auto.     "Nun ja, jetzt bin ich erst einmal froh, dass ausnahmsweise ich dich mal durch die Gegend fahren kann."     Als Nate ordentlich saß, startete er den Wagen. Den fragenden Blick erwiderte er mit einem Grinsen und fuhr dann los.     "Ich bin der passive Part in unserer Beziehung, was mir gesellschaftlich das letzte bisschen Männlichkeit nimmt, das noch übrig bleibt, wenn man rausfindet, dass ich schwul bin. Es schmeichelt einfach meine Ego, wenn ich ab und zu mal die Führung übernehmen kann."     Es dauerte nur zwei Minuten, bis sie da waren und noch einmal drei, bis er einen Parkplatz gefunden hatte. Sie waren ein bisschen zu früh, aber das würde wahrscheinlich kein Problem sein.     Es war ein Hipster Laden, was auch immer das genau hieß. Es war nur das erste, was ihm auffiel. Die Inneneinrichtung war aufdringlich modern und cool.     "Ich bin wirklich gespannt", murmelte er, ehe sie sich zu ihrem Tisch führen ließ. Er lag am Rand, aber nicht in einer Ecke. Privatsphäre hatten sie dennoch.     "Was ist das alles? Für das meiste brauch ich ein Wörterbuch."     "Ja, echt abgefahrenes Zeug."     Da es asiatische Fusionsküche war, kannte er ein paar der Begriffe, aber wirklich schlau wurde selbst er nicht aus den komischen Mischungen. Letztendlich wählten sie beide wahrscheinlich eher blind. Er warnte Nate nur davor, dass 'scharf' wirklich scharf hieß und das was als 'mild' bezeichnet wurde, die meisten Amerikaner schon umhaute.     "Ich nehme Khanom Chin Nam Ya", teilte Nate ihm mit und seine eigene holprige Aussprache, ließ ihn lachen. "Das klingt in meinen Ohren ziemlich erotisch. Khanom Chin Nam Ya… Khanom Chin Nam Ya…"     Er vergrub sich förmlich in der Speisekarte und amüsierte sich königlich über die merkwürdigen Namen.     "Hey, Shinji… Som tam, Kai Yang.", wisperte ihm entgegen, als wäre es was verbotenes und das schmutzige Grinsen brachte ihn letztendlich auch zum Lachen, obwohl er das Verhalten eigentlich peinlich finden sollte. Aber Nate war schon immer ein wenig albern gewesen. Man durfte sich auch ab und an mal nicht so ernst nehmen.     Da er nicht unnötig Aufmerksamkeit erregen wollte, verstummte sein Lachen schnell wieder und er schüttelte den Kopf: "Spinner."     Er besah sich die beiden Sachen aber auf der Karte und musste zugeben, dass das wirklich nicht schlecht klang. "Aber ich glaube, das nehme ich auch."     Er konnte nicht genau sagen warum, aber Kellner hatten die dumme Angewohnheit, ihn immer zu übersehen. Auch diesmal, weshalb er sich nach einem vergeblichen Versuch Blickkontakt herzustellen, an Nate wandte:     "Magst du den Kellner rufen?"     Nate fiel mit seiner Größe sofort auf, weshalb nur wenige Sekunden eine Bedienung zu ihnen kam.     "Bitte schön, die Herren. Was darf es sein?"     Offenbar waren Schreibblöcke hier zu altbacken, denn der Kerl zog etwas hervor, das aussah, wie ein Handy. Ihm war durchaus bewusst, dass das für die Küche viel einfacher war, dennoch sprang einem der moderne Touch ständig ins Gesicht. Für ihn hatte das hier nichts gemütliches mehr. Wahrscheinlich würde er hier nicht mehr her kommen. Das war mitunter ein Grund, warum er es sich nicht verkneifen konnte, das Gericht mit leicht verruchter Stimme zu bestellen:     "Som tam, Kai Yang… bitte"     Was tat er hier eigentlich? Seine Therapie musste doch schon ein wenig besser gewirkt haben, als er angenommen hatte. Es kamen wieder Züge von ihm zum Vorschein, die er das letzte Mal als Teenager gehabt hatte. Und auch wenn es ihm irgendwie peinlich war, konnte er das Grinsen nicht aufhalten, als der Kellner ihn etwas verdutzt ansah.     Nates Schultern bebten, vor unterdrücktem Lachen. Er versuchte es ihm gleich zu tun, doch schon nach der zweiten Silbe brach er in schallendes Gelächter aus.     Der arme Kellner verstand wahrscheinlich die Welt nicht mehr.     "Und zu trinken?", fragte der Kellner mit verbissener Ruhe, nachdem er Nates halb hervor gewürgte Bestellung aufgenommen hatte.     "Welches Bier würden Sie empfehlen?"     Nate zeigte ihm sogar die Karte, was wohl auch notwendig war, denn der Kerl studierte sie eingehend. "Chang ist sehr beliebt."     Das war das Bier mit dem höchsten Alkoholgehalt auf der Karte. Wollte der ihnen etwa eins reinwürgen? Konnte er sich kaum vorstellen, denn Alkohol machte ja bekanntlich noch alberner. Komischer Laden.     Andererseits hatte er wirklich angst, dass der Kellner ihm noch ins Essen spuckte, weil er sich so verarscht vorkam.     Er winkte den Kerl deshalb zu sich und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Danach bestellte er eine Cola.     "Was hast du ihm da eben gesagt? Ich hoffe, der Typ spuckt uns nicht ins Essen."     Da hatten sie beide eindeutig den gleichen Gedanken gehabt.     Aufgedreht und ermutigt, durch den Spaß den sie bisher gehabt hatten, konnte er einfach nicht aufhören:     "Ich hab ihm gesagt, dass ich ihn gleich auf dem Klo haben will."     Ausnahmsweise war er froh, dass Nate sich nicht erinnern konnte, denn erst, als er das ausgesprochen hatte, fiel ihm auf, dass das zu nah an dem Vorfall mit Chris damals heran kam. Es brachte ihn selbst etwas zum erschauern und hätte Nate wahrscheinlich die Stimmung verdorben.     So schnalzte der aber nur mit der Zunge: "Ich hab es doch gewusst. Du betrügst mich und das auch noch direkt vor meiner Nase."     "Ich brauche eben meinen Nachtisch."     "Oh ha, wir haben Nachtisch bestellt?"     Auch wenn es ein wenig gemein war, musste Shinji wirklich lachen. War er wirklich so mies in solchen Sachen?     "Ich bin echt schlecht im Witzig-Sein. Meine Anspielungen versteht keiner."     Er winkte ab, damit Nate nicht weiter darauf herumritt: "Ich hab nur dafür gesorgt, dass wir hier auch weiter bedient werden, mehr nicht."     Er hatte ihm gesagt, dass das eine Wette gewesen wäre und hoffte, dass das reichte, um ihn zu beruhigen. Aber er hatte danach wieder etwas entspannter ausgesehen.     Als Nate das Bier bekam, erinnerte er sich an die Prozentangabe und er war sich nicht sicher, ob sein Freund etwas von Kreuzwirkungen verstand: "Sei vorsichtig damit, ja? Das Zeug ist nicht ohne und deine Schmerzmittel können die Wirkung von Alkohol verstärken."     Es war ein gut gemeinter Ratschlag, aber er wusste nicht recht, was er von Nates übertrieben unschuldigem Grinsen halten sollte.          Sie hatten noch nicht einmal ihr Essen, da bestellte Nate bereits die zweite Flasche. Das stieß ihm dann doch etwas sauer auf. Er wollte seinen Freund nicht bemuttern, aber er war sich auch nicht sicher, ob Nate schon wieder wusste, wie mit Alkohol umgegangen werden musste und er hatte keine große Lust, dass dieses Abendessen in einem Besäufnis endete.     "Nate, ernsthaft. Mach langsam."     "Okay, okay."     Gerade fühlte er sich wirklich wie der Vater von einem Teenager und er verstand die Situation ganz und gar nicht. Nachdem die Stimmung so gut gewesen war, war Nate jetzt deutlich angefressen. Aber wenigstens stellte er die Flasche ab und rührte sie erst einmal nicht an.     Das Essen kam und so versuchten den ersten Happen. Wirklich nicht schlecht, das musste er sagen.     "Das ist wirklich gut. Willst du kosten?"     Shinjis Blick lag nachdenklich auf Nates Teller. Die fehlende Lockerheit, die vorhin noch da gewesen war, sorgte jetzt dafür, dass er wieder zu denken begann. Teilte man essen unter Freunden einfach so? Machten das nicht nur Pärchen? Er hätte wirklich gerne probiert, aber was, wenn die Leute das mitbekamen?     Sie hatten sich vorhin schon so auffällig benommen, sicherlich redete der ein oder andere noch augenrollend über sie und schaute hin und wieder zu ihnen. Es war schon ungewöhnlich genug, dass zwei Kerle alleine in einem Restaurant saßen, wenn sie noch begannen Essen zu tauschen, würden die doch eins und eins zusammen zählen können. Das war ihm zu riskant.     "Nein, danke.", antwortete er deshalb und versuchte Nate ein beruhigendes Lächeln zu schenken, damit der nicht das Gefühl bekam, plötzlich abgewiesen zu werden.     Er fühlte sich komisch, während er sich seinem Teller widmete und langsam aß. Fast so, als würde er jeden Moment eine Panikattacke bekomen, aber er konnte nicht einmal sagen, warum. Es kam ja auch unglaublich plötzlich. Was hatte ihn so aus der Bahn geworfen?     "Bleibt mehr für mich."          Das Essen verlief still. Viel zu still, aber er hatte solche Angst, wieder irgendwie bissig oder bevormundend zu werden, dass er lieber schwieg.     Erst als der Kellner abräumte, war es Nate, der wieder das Wort ergriff: "Alles okay?"     Er öffnete schon den Mund, halb lächelnd, um ihm zu bestätigen, dass alles gut wäre, hielt dann aber inne. Das wäre unfair. Er konnte nicht von Nate verlangen, mit ihm zu reden, wenn er selbst nicht offen war. Deshalb klappte er den Mund erst einmal wieder zu und sah Nate unsicher an, ehe er den Blick leicht senkte:     "Ich glaub ich bin ein wenig fertig… wärst du böse, wenn wir den Nachtisch ausfallen lassen? Wenn du Lust auf was süßes hast, findet sich bei mir in der Wohnung sicher was geeignetes."     Eigentlich hatte er schon damit gerechnet, dass Nate ihn nach dem 'warum' fragte. Stattdessen stimmte er zu und rief sofort den Kellner.     Als Nate ohne fragen die Rechnung übernahm, begann sein Herz zu pumpen und leicht panisch sah er sich danach um, ob irgendwer zu ihnen herüber sah. Dass dem nicht der Fall war, half nur leider nicht dabei, sich zu beruhigen.     Etwas neben sich ging er mit Nate zum Auto, einen noch größeren Abstand haltend, als sowieso schon. Ihm fiel nicht einmal auf, dass Nate humpelte.     "Sag, hast du mal irgendwelche schlechten Erfahrungen mit Alkohol gemacht?"     "Was?"     Er war gerade dabei das Auto aufzuschließen, als Nates Frage ihn innehalten ließ. Wie kam er jetzt darauf? Nicht einmal der alte Nate hatte ihn je gefragt, warum er nur noch unfreiwillig trank. Das höchste der Gefühle war mal ein Bier.     "Ehm… ja… aber das ist schon lange her…"     Nate hatte die Arme lässig über dem Autodach verschränkt und sah ihn darüber durchdringend an: "Weil du echt penibel darauf geachtet hast, dass ich nicht zu viel trinke. Irgendwie war danach die Stimmung im Eimer. Deshalb dachte ich, dass du vielleicht mal schlechte Erfahrungen mit Alkohol gemacht hast. Was ist denn damals passiert?"     "Oh… sorry, nein. Das war nicht der Grund. Nicht direkt… ich hab mir nur Sorgen gemacht… mit deinem Bein und allem. Ich hätte nciht gewusst, wie ich dich heim bekomme, wenn du wirklich richtig angetrunken gewesen wärst. Tut mir leid, ich hab überreagiert."     Aber jetzt hatten sie das Thema schon angeschnitten und er war Nate noch eine Antwort schuldig. Es war nicht schlimm… das war nichts, was er absichtlich geheim gehalten hatte.     "Nichts großartiges… Als mein Vater mich damals vor die Tür gesetzt hat, hab ich ein paar Monate auf der Straße gelebt und es da mit dem Alkohol übertrieben. Es ist nie eine Sucht geworden oder so… aber seitdem trinke ich nur noch gelegentlich und nur in absoluten Ausnahmefällen so viel, dass ich wirklich betrunken werde."     Wie meistens berichtete er mehr nüchtern, als irgendwelche Emotionen in die Erzählung zu legen. Er wollte nicht jammern und das würde er, sobald er tiefer graben würde. Er wollte gar nicht mehr an die Zeit damals denken.     "Erstmal: Mach dir nicht immer solche Gedanken um mich. Ich kann auf mich selbst aufpassen. Und Zweitens: Hast du dich wirklich kein einziges Mal bei mir gemeldet? Ich hätte dir doch bestimmt geholfen."     "Das passiert nicht wieder, tut mir leid."     Er fühlte sich wirklich schlecht deshalb. Das war nicht seine Art und er wusste immer noch nicht genau, was sein Verhalten eigentlich ausgelöst hatte.     "Und zu dem anderen: Selbst wenn ich damals Kontaktdaten gehabt hätte, hätte ich dich vermutlich nicht angerufen, weil ich dachte, du würdest in dieser ganzen Videosache mit drin hängen."     "Wie bist du dann wieder auf die Beine gekommen?"     Ein vorbeifahrendes Auto erinnerte Shinji daran, dass sie noch immer auf der Straße standen, weshalb er nach kurzem Prüfen der Straße endlich die Tür öffnete und einstieg. Nate tat es ihm gleich.     "Eines Tages hat mich einer der Lehrer angesprochen… ich bin immer weiter zur Schule gegangen. Er hat mich dann aufgenommen. Als ich ihn eines Tages masturbierendvor dem Video erwischt habe, hab ich mir schnellstmöglich einen Job gesucht und bin da weg. Ab da ging es langsam wieder bergauf."     "Er hat…?"     Nate sagte daraufhin nichts mehr, aber die angespannte Haltung sagte Shinji deutlich, dass er sich zurückhalten musste, nichts Ausfallendes zu sagen.     Als Shinji das Auto auf Lilys Parklücke stellte, wandte er sich noch einmal an seinen Freund, bevor der doch noch ausflippte: "Es ist nie etwas passiert. Er hat mich manchmal komisch angesehen, aber er hat mich nie angefasst oder so. Es war nur ein Schock für mich. Schon wieder ein Erwachsener, auf den ich mich nicht verlassen konnte. Das war aber alles."     Plötzlich lag Nates Hand auf seiner, bedeckte sie damit vollständig. Als er zu ihm sah, sah er die unterdrückte Wut in dessen Augen. Er zog die Hand dennoch von ihm fort, das hier war ihm gerade wirklich noch zu öffentlich.     "Ich bin froh, dass nichts passiert ist."     Er konnte nichts anderes als nicken. Er war gerade wirklich ziemlich fertig.     Er stieg aus und ging in Richtung seiner Wohnung. Diesmal fiel ihm das Humpeln deutlich auf, hätte er ihn besser direkt vor die Haustür gefahren? Er konnte einfach nicht einschätzen, wie schlimm es war. Aber Nate sagte auch jetzt nichts, ging einfach stoisch neben ihm her, zündete sich eine Zigarette an und zog einmal daran.     Ein bisschen hatte er wirklich ein schlechtes Gewissen, dass er den Abend früher beendet hatte. Nate hätte nur eine kurze Strecke zu dem Cafe gehabt und hätte sich dann noch eine ganze Weile länger ausruhen können.     "Es tut mir leid…", murmelte er. Nate wusste nicht, warum genau er sich entschudligte, aber es war ihm dennoch wichtig, es zu tun. "Ich kann selbst nicht genau sagen, was los ist… mir ist einfach nicht gut."     Er konnte es kaum erwarten, zu Hause anzukommen. Hier draußen fühlte er sich gerade furchtbar angreifbar. Er sehnte sich nach den dicken Wänden, die ihn vor allem anderen beschützten.     "Du musst dich nicht dauernd entschuldigen. Wenn du dich nicht gut fühlst, ist es klar, dass wir Heim gehen."     Dann war es wieder still zwischen ihnen. Was sollte er auch dazu noch sagen? Er würde sicherlich keine Diskussion mit Nate anfangen, dazu hatte er jetzt nicht die Kraft.     Als sie vor seiner Wohnungstür ankamen, schnippte Nate die Zigarette auf den Boden, doch als er sie austreten wollte, verdrehte er das Bein wohl falsch, denn er stöhnte kurz unterdrückt. Shinji verkniff sich einen Kommentar, zumindest für jetzt.     Er beeilte sich stattdessen rein zu kommen, ließ die Tür für Nate auf und eilte in die Küche. Automatisch öffnete er die Schublade, in der die Notfalltropfen waren und wollte schon danach greifen. Er stoppte.     War das wirklich ein Notfall? Eigentlich nicht. Er hatte keine Panikattacke, es ging ihm einfach nur schlecht. Er wusste, dass die Tropfen ihn beruhigen würden und das war das verführerische daran, aber er musste aufpassen. Er konnte die nicht für jede Kleinigkeit nehmen. Vor allem nicht nur, weil er einen schlechten Abend hatte.     Er hörte wie Nate ankam, schob die Schublade wieder zu und ging in den Flur. Er seufzte leise.     Nate war blass, wahrscheinlich, weil er Schmerzen hatte.     "Was muss ich tun, damit du dir wenigstens einen Gehstock besorgst?"     "Den Gehstock würde ich nur als Türstopper verwenden.", murrte sein Freund leise und schlrufte zum Sofa, auf das er sich fallen ließ.     Sein Bein zitterte und er musste die Hand auf sein Knie legen, damit es langsam nachließ.     Shinji hatte wirklich nicht vermutet, dass es so schlimm war. Nate war immer noch ein Meister darin, so etwas runter zu spielen.     "Es würde dir aber schneller besser gehen, wenn du einen hättest. Wäre es dir nicht leiber, du würdest die Schmerzen schneller loswerden, statt jetzt ständig zu versuchen, es zu verstecken und dafür die Heilung heraus zu zögern?"     Langsam kehrte Ruhe in seinen Körper ein. Er fühlte sich nicht mehr so angespannt, hatte nicht mehr das Bedürfnis weg zu laufen. Hier in seiner Wohnung konnte er wieder entspannen, was das Problem wohl auf einen einzigen Faktor zurück führte.     "Nah", antwortete Nate und winkte ab. "Im Vergleich zu letzter Woche ist das Bein schon so gut wie in Ordnung."     Wenn Shinji an die riesige Narbe dachte, die er gesehen hatte, war das wohl sogar eine ziemlich akkurate Beschreibung, dennoch machte es die allgemeine Situation ja nicht besser.     Er hätte weiter mit Nate darüber diskutieren müssen, das wusste er… aber ihm ging die Kraft aus. Ihm war sowieso klar, dass sein Freund sich nicht zu Krücken überreden lassen würde und auch nicht zu einem Gehstock oder irgendetwas anderem, was darauf hinweisen würde, dass er gerade körperlich nicht voll einsatzfähig war. Es war etwas ironisch, denn das Humpeln war wirklich kein Stück besser, aber wenn einer wusste, wie unlogisch Ticks und Gewohnheiten sein konnten, dann war er das.     Deshalb gab er einfach auf. Er war zu müde, zu fertig dafür und die Erkenntnis die er gerade eben über sich selbst gehabt hatte, war so niederschmetternd, dass er die Kapazitäten gar nicht aufbringen konnte, um sich um die Probleme von jemand anderem zu kümmern. Vor allem, wenn der gar keine Hilfe wollte und überzeugt davon war, keine zu brauchen.     Er tappste langsam zu Nate ans Sofa, setzte sich neben ihn und ließ seinen Kopf auf dessen gesundem Bein nieder.     "Was für ein Tag, was?", murmelte Nate und strich ihm leicht durchs Haar.     Es war eine vollkommen unverfängliche Bemerkung und eine freundliche, angenehme Geste. Dennoch trieben ihm beide die Tränen in und aus den Augen.     Er fühlte sich mit einem Mal so elend, dass er das Gefühl hatte, seine Probleme würden niemals verschwinden. Vorhin hatte er noch gedacht, dass er unglaubliche Fortschritte gemacht hatte, aber gerade fühlte es sich so an, als stünde er noch immer ganz am Anfang. Es war ein scheiß Gefühl und er wusste nicht, wie er es loswerden sollte.     Im ganzen letzten Jahr, hatte er keinen so heftigen Rückfall gehabt und er hatte keinerlei Ahnung, wie er damit umgehen sollte. Mental notierte er sich, dass er darüber unbedingt mit seinem Therapeuten sprechen musste, aber das nutzte ihm jetzt auch nichts. Jetzt blieb ihm nichts anderes, als stumm vor sich hin zu weinen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)