Von der Kunst, richtig zu sein von Lyndis ================================================================================ Kapitel 43: Rekapitulation und Planung -------------------------------------- “Randy hält den Mund, oder? Er wirkt so geschwätzig, dass ich nicht einschätzen kann, ob er sowas für sich behält.” Sie lagen noch immer auf dem Sofa in der Wohnung von Nates Schwester. Shinji konnte nicht sagen, warum er ausgerechnet jetzt darüber nachdachte. Gerade hatten sie noch über Kinder gesprochen. Dennoch war die Angst, dass Randy sich verplapperte, durchaus real. Die Angst, dass er ihm Nate wegschnappen konnte, war zu einem erträglichen Maß zusammen geschrumpft. Sie war nicht ganz weg, aber es war eine sehr, sehr leise Stimme, ein seichtes Flüstern, das kein Gewicht mehr hatte. Nate würde niemals mit jemandem zusammen kommen, wenn derjenige aktiv versuchte ihn jemandem auszuspannen. Dafür war Nates Gerechtigkeitssinn zu stark ausgeprägt. Jetzt wo Randy wusste, dass sie zusammen waren, würde er sich mit jedem Überzeugungsversuch selbst ins Fleisch schneiden. Dennoch war es nicht von der Hand zu weisen, dass es innerhalb von einer Woche schon zwei Leute wussten. Das eskalierte langsam, oder… zumindest fühlte es sich so an. “Mach dir darüber keine Sorgen. Du warst deutlich genug.” Nate fuhr seine Augenbrauen mit einem Finger nach, während er leise lachte. Fand Nate solche Drohungen etwa witzig? Oder fand er es witzig, dass er die Drohungen ausgesprochen hatte? Randy hatte nicht gerade eingeschüchtert gewirkt. Aber Randy würde wahrscheinlich auch noch vergnügt Grinsen, wenn man gerade dabei war, ihm die Fingernägel auszureißen. “Und es gibt auch niemanden, den es interessieren würde, wenn Randy jemanden kennt, der in einer Beziehung mit einem anderen Mann steckt. Erstens, weil Randy viele solche Leute kennt” In Shinji stieg kurz Ekel auf, den er augenblicklich niederkämpfte. Er fragte sich, wie lange es dauerte, bis er diese antrainierte Abneigung wieder los wurde. “Und zweitens, weil keiner aus seinem Bekanntenkreis mit der Information etwas anfangen könnte. Das wäre so ähnlich, als wenn ich dir sagen würde, dass Cohen sein Butterbrot mit Salz isst. Na ja… wie gesagt… so ähnlich.” Der Vergleich hinkte tatsächlich ein wenig, aber er verstand. “Ja… aber wenn du mir jetzt einen Cohen vorstellst, denke ich ‘ah, das ist der mit dem Salz auf dem Butterbrot’.” Auch wenn es wirklich nicht wahrscheinlich war, dass er irgendwelche Bekannte von Randy je kennenlernte. Und er hielt es auch für ungewöhnlich, dass jemand jemand drittem von einem Shinji erzählen würde, wenn beide Parteien keinen kannten und mit seinen Arbeitskollegen hatte er so wenig zu tun, dass sie nichts über ihn erzählen würden. Sie würden auch wahrscheinlich eher seinen Nachnamen benutzen. Trotzdem blieb eine geringe Chance, dass das schief ging. Er seufzte schwer: “Sich darüber den Kopf zu zerbrechen, macht wohl wenig Sinn… es ist eh zu spät…” Er nahm Nates Hand, verschränkte ihre Finger miteinander und ließ beide auf seinem Bauch ruhen. Es war schön, Nate so bei sich zu spüren. Es grauste ihm davor, wenn dem nicht mehr so war. “Aber es hat gut getan, das vor ihm auszusprechen”, gestand er dann. “Seitdem ist die Eifersucht weg… oder zumindest ertragbar.” Nate lachte ausgelassen und verwuschelte ihm abermals die Haare: “Sein Gesicht werde ich nie vergessen.” Shinji grinste amüsiert, als er an das komplett baffe Gesicht zurück dachte. Ja, es hatte wirklich unheimlich gut getan. Aber dann trübten sich seine Gedanken wieder, als er abermals daran dachte, dass das hier die letzten Stunden waren, die er mit Nate verbrachte. Es waren keine 24 Stunden mehr… “Morgen ist schon Samstag… was machen wir den Tag über? Und nach dem Film?” “Nah… sag das nicht. Die letzten Tage vergingen viel zu schnell.” Nate schwieg kurz, als wolle er der kurzen Zeit gedenken, die sie miteinander gehabt hatten. “Morgen sollte ich früh schlafen gehen. Ich muss am nächsten Tag zeitig los. Aber vor dem Film hast du freie Wahl. Ich richte mich da nach dir.” “Nichts da. Wir haben uns fast die ganze Woche nach mir gerichtet. Du wolltest doch in den Park und Baseball spielen, oder? Wie wär’s damit?” Nate lächelte warm zu ihm herunter: “Hast du nicht vergessen, was? Ja, das wäre schon sehr cool.” Damit war das wohl beschlossen. “Wenn du so früh weg musst, schläfst du sicher hier, oder?” Immerhin wohnte Nate eigentlich hier. Hier war sein Zeug, es war nur logisch. Dennoch tat der Gedanke weh, dass das heute ihre letzte gemeinsame Nacht war. “Ich denke, es wäre einfacher für mich, wenn ich hier schlafen würde. Denn wenn ich neben dir liegen würde, würde ich wahrscheinlich nicht von dir loskommen.” War doch eigentlich gar keine schlechte Option, oder? Klar war es praktisch, wenn er Zeit hatte, sein Leben auf die Reihe zu kriegen, aber allmählich wurde ihm erst so richtig bewusst, was es hieß, ohne Nate zu sein. Sein Freund beugte sich auch zu ihm herunter. Es sah schmerzhaft aus, denn er musste sich ein wenig verrenken, damit ihrer beider Stirn aneinander lagen. “Andererseits weiß ich jetzt schon, dass mir auch der Abschied nach dem Kino schwer fallen würde. Ich bin nicht gut im Abschiednehmen. Können wir das nicht einfach überspringen?” Nates Lachen schüttelte ihn ein wenig durch und er musste sanft lächeln. Er wollte den Abschied und die ersten Wochen auch am liebsten überspringen. “Dann lass uns das versuchen.” Dann aber hörte er, wie der Schlüssel im Schloss umgedreht wurde. Vollkommen erschrocken wollte er sich aufsetzen, war dabei aber so hastig, dass er um ein Haar mit Nate zusammen gestoßen wäre und aus Schreck sich von ihm abstoßen wollte, um ‘auszuweichen’, was darin resultierte, dass er polternd auf dem Boden landete und sich den Arm, mit der er immer noch Nates Hand hielt, fast auskugelte. “Au, fuck!”, fluchte er wütend auf sich selbst. Nate sah ihn nur überrascht an und an dem Zucken seiner Mundwinkel sah man genau, dass er sich gerade ein Lachen verkniff. “Hast du dir weh getan?” “Guck nicht so blöd”, grummelte Shinji halb beleidigt, sah dann aber zu Nates Schwester, die im Wohnzimmer erschien. “Was ist denn hier passiert?” Sie sah sich die Szenerie kurz an, ehe für sie vollkommen klar war, was passiert war: “Hat der Typ da dich geärgert?” Sie grinste müde und zeigte auf Nate, der unschuldig die Hände hob: “Wieso sollte ich ihn vom Sofa schubsen?” “Keine Ahnung. Weil dir langweilig ist?” Während Shinji sich langsam aufrappelte, kam sie näher und setzte sich auf die Sofalehne. Zum ersten Mal in seinem Leben, hatte Shinji wirklich das Gefühl rot zu werden. Sein Kopf fühlte sich furchtbar heiß an. Er setzte sich auch möglichst weit von den beiden weg. “Eh… nein… ich… uhm…” Das war so peinlich. “Ich hab mich nur erschreckt…” “Verstehe”, trällerte Lily, nachdem sie einen vielsagenden Blick auf Nate geworfen hatte, stand dann aber auf und verschwand kurz in der Küche. Sein Freund schenkte ihm ein unschuldiges Grinsen und rückte dann rüber, damit er sich wieder zu ihm setzen konnte. Shinji schwieg einfach, ihm war das zu peinlich. “Bist ja früher heimgekommen, als gedacht”, sagte Nate mit erhobener Stimme in Richtung Küche, was seine Schwester dazu veranlasste, mit dem Glas Wasser, dass sie sich eingeschenkt hatte, wieder zurück zu ihnen zu kommen. “War alles okay mit Hana?” Shinji nickte automatisch, ehe ihm sein Geschenk wieder einfiel: “Sie hat jetzt ein Malbuch für Anfänger… ich hoffe, das ist okay.” Immerhin war sie die Erziehungsberechtigte und er wusste nicht, ob ihr so etwas Recht war. “Sie malt wohl gerne, wird aber dafür ausgelacht. Ich dachte es hilft, wenn sie besser werden kann. Wenn nicht gegen das Lachen, dann doch vielleicht für ihr Selbstbewusstsein.” Das klang in Retrospektive irgendwie nach einem dummen Plan und weil er seine Unsicherheit irgendwie überspielen wollte, setzte er noch nach: “Aber ansonsten war alles in Ordnung. Sie hat auch ihre Hausaufgaben schon gemacht.” Doch entgegen seiner Befürchtung strahlte Nates Schwester förmlich: “Oooh, kann ich dich engagieren?” Er musste den Drang unterdrücken, die Hand, die gerade seine Schulter tätschelte, weg zu schlagen. Auch wenn er sich bei Nate mittlerweile gut daran gewöhnt hatte und es sogar mochte, hatte er immer noch etwas Probleme mit der Nähe zu anderen Menschen. Aber alles in Allem war doch alles perfekt. Sie war zufrieden und wenn er sich dazu entschied, ihr zu helfen, würde sie wirklich sofort annehmen. Alles richtig gemacht. Puh. Lily entdeckte auch prompt das Malbuch, das noch auf dem Wohnzimmertisch lag und nahm es in die Hand, blätterte es durch und schmunzelte zufrieden. Nate hingegen war plötzlich voll in Aufbruchsstimmung und stand sogar schon auf. Eigentlich hatte Shinji damit gerechnet, dass sie noch kurz der Höflichkeit halber, etwas plauderten. Nicht, dass es ihn stören würde, wenn sie schon gingen, aber es war immerhin Nates Schwester. Die stellte ihr Glas abrupt ab und sah Nate treuherzig an: “Das ist jetzt nicht der Abschied, oder? Du kommst morgen doch noch mal vorbei. Ich bin nicht darauf vorbereitet.” Sein Freund lachte über den leicht anklagenden Tonfall und nahm sie in die Arme. “Das bist du morgen auch nicht, Lily.”, sagte er sanft. “Ich erwarte mir morgen aber wenigstens ein paar Abschiedskekse.” Wenn Shinji ehrlich war, hatte er eher ‘Tränen’ als ‘Kekse’ erwartet, aber das war definitiv die entspanntere Forderung und sah Nate viel ähnlicher. Lily sagte gar nichts mehr, gluckste nur leise und brachte sie dann noch an die Tür. “Ich bring ihn morgen pünktlich zurück, versprochen.”, witzelte Shinji noch, was Lily müde zum Grinsen brachte und einen Moment später waren sie auf der Straße. Er gähnte herzhaft und rieb sich die schweren Augen: “Gott bin ich froh, wenn ich im Bett bin. Kinder hüten ist echt anstrengend.” Als Antwort bekam er ein Lachen und mal wieder verwuschelte Haare. Während er beschäftigt damit war, sie sich wieder zu richten, strich Nate ihm - mitten auf der Straße - plötzlich über die Wange. Es war nur ein sehr kurzer Moment, aber er reichte, dass sein Herz wieder panisch zu schlagen begann. Er ging steif neben Nate her, während der sich eine Zigarette aus der Jackentasche holte und sie sich anzündete. Sie sprachen nicht, bis sie wieder in Shinjis Wohnung waren und da wurde er sofort an die starke Brust seines Freundes gezogen. Die feste Umarmung fühlte sich so sehr nach Abschied an, dass ihm ganz flau im Magen wurde. Sie hatte etwas Trauriges, Sehnsüchtiges und Schweres. Es war ein sehr seltener Moment der Empathie, der ihn aber gleich mit fortzuschwemmen drohte. Der halbe Abschied von Lily, musste Nate schwer zugesetzt haben. “Lass uns schlafen gehen.” Die Worte klangen hohl und ließen Shinji schlucken. Er nickte nur, löste sich vorsichtig und zog Nate dann mit ins Schlafzimmer. Er wusste nicht, wie man in so einer Situation für jemanden da war, aber er würde versuchen, was er konnte. Fertig umgezogen ließ Nate sich rücklings aufs Bett fallen und streckte alle Gliedmaßen von sich. “Das ist wirklich komisch”, sagte er nachdenklich, den Blick auf die Zimmerdecke gerichtet. “Es ist gar nicht viel Zeit vergangen, seit wir uns wieder begegnet sind, aber mir kommt es vor, als wäre es eine halbe Ewigkeit.” Wahrscheinlich lag das daran, dass sie so viel zusammen gewesen und gemeinsam erlebt hatten. Er legte sich zu Nate und kuschelte sich an ihn. “Frag mich mal… ich hab innerhalb von den zwei Wochen mehr Entwicklung durch gemacht, als in den letzten fünf Jahren.” Er strich Nate über die Brust und schloss die Augen. Sie beide waren innerhalb von wenigen Augenblicken eingeschlafen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)