Von der Kunst, richtig zu sein von Lyndis ================================================================================ Kapitel 41: Hobbies ------------------- “Wenn du die Aufgaben gemacht hast, hol ich dir ein Eis.”, kam es ein paar Minuten später von Nate, nachdem er Shinji eine Tasse hingestellt hatte, mit Kaffee, der genau so war, wie er ihn immer trank. Hana jubelte noch einmal und begann vor sich hin zu summen, während das Wort ‘Eis’ ziemlich oft dazwischen rutschte. Er schenkte Nate einen warmen Blick und machte sich dann über sein Lebenselexier her. Die restliche Zeit verging recht schnell. Hana war ein angenehmes Kind und intelligent. Eine Mischung, mit der Shinji ziemlich gut klar kam. Plötzlich flog der Bleistift einfach über Hanas Schulter und sie streckte die Arme in die Luft. Das war wohl das Zeichen, dass sie fertig war. “Und jetzt Eiiiis!”, forderte sie strahlend und ließ Nate nicken. “Ja, versprochen ist versprochen.” Bevor Nate jedoch aufstehen konnte, äußerte Hana noch eine weitere Forderung: “Aber er kriegt auch eins!” Und damit deutete sie auf Shinji. “Du bist ja heute sehr spendabel”, lachte Nate. “Irgendwelche Wünsche?” Aber Shinji war von den Ereignissen nicht wirklich begeistert. Ihm war gerade aufgefallen, dass er allein mit dem Mädchen sein würde, wenn Nate jetzt einkaufen würde. “Soll ich nicht lieber gehen?” Schließlich hatte Hana jetzt keine Hausaufgaben mehr und er hatte keine Ahnung, wie man ein kleines Kind bespaßte. Aber Nate war nicht so gnädig, was Shinji wehleidig aufstöhnen ließ. So ein Mist. “Ich mag ein M&M’s Eis!”, quatschte Hana dazwischen und vernichtete die Letzte Chance für ihn, Einspruch zu erheben. “Und der werte Herr?” Die Frage erwiderte er nur mit einem Bösen, protestierte aber nicht weiter. Er kannte Nate und er wollte heute nicht ausprobieren, wer von ihnen in einem Sturheitstest gewann. “Ben&Jerry’s Chocolate Fudge Brownie”, grummelte er. Wenn sein Freund ihm das schon antat, wollte er dafür eine anständige Belohnung. Nate sah ein wenig geschockt aus. Ob es an der Extraportion Schokolade lag oder an der teuren Marke, konnte er nicht wirklich sagen, die Hauptsache war, er würde kriegen, was er wollte. Nate stimmte auch zu und dann war er weg. Eine Weile lang war es unangenehm still im Raum, doch während Shinji noch fieberhaft überlegte, was er sagen sollte, begann Hana einfach zu reden: “Kannst du malen?” “Nicht wirklich”, lachte er verhalten. Er konnte nichts, außer programmieren, um genau zu sein. Na ja… spielen konnte er auch noch ganz gut, aber das war es dann wirklich. Dennoch witterte er hier eine Möglichkeit, die Kleine beschäftigen zu können: “Und du? Du kannst bestimmt toll malen. Willst du mir das nicht zeigen?” Die Reaktion war aber unerwartet. Heftig schüttelte Hana den Kopf. “Ich kann nicht malen. Das sagen die anderen immer…” Sie sah nachdenklich auf die Tischplatte und auf ihrer Stirn bildeten sich tiefe Sorgenfalten: “Die lachen immer, wenn ich was male und nehmen mit die Stifte weg.” Sie sah wieder auf und lächelte tapfer, auch wenn selbst Shinji sehen konnte, dass es unecht war. “Nate hat es mir mal gezeigt, aber sein Vogel sah aus, wie eine Banane.” Bei der Erinnerung wurde Hanas Lächeln doch wieder echter, doch es hielt nicht lange. Es brach und sie schaute wieder betrübt vor sich. Shinji brach es das Herz. Was sagte man da? Irgendwie musste er die kleine doch aufmuntern, aber alles was ihm einfiel, war die Zeit, in der er gemobbt worden war. Das konnte er ihr aber unmöglich erzählen, mal abgesehen davon, dass Welten dazwischen lagen. Aber er sah, dass es sie fertig machte, deshalb konnte er nicht schweigen. “Weißt du…”, begann er vorsichtig. “Mich haben sie damals auch für was ausgelacht, was ich gemacht habe.” Was das gut so? Er war furchtbar nervös. Wie lange war Nate schon weg? Wahrscheinlich gerade erst zwei Minuten oder so. “Und weil ich Angst davor hatte, dass sie das wieder tun, hab ich es nicht mehr gemacht.” Wie zum Teufel konnte er Schwulsein mit Malen vergleichen? Das war doch echt lächerlich. Aber er konnte jetzt auch nicht aufhören zu reden. “Ich hab es sehr, sehr lange nicht gemacht. Obwohl es mir Spaß gemacht hat und ich glücklich damit war. Und ich habe es ganz furchtbar vermisst…” Er versuchte ihr ein aufmunterndes Lächeln zu schenken, aber es wollte nicht so recht. “Ich hab jetzt vor kurzem wieder damit angefangen und auch, wenn ich immer noch Angst habe, dass mich andere auslachen, geht es mir viel besser. Ich denke, man sollte im Leben das tun, was einem Spaß macht, egal was andere dazu sagen. Dann geht es einem letztendlich besser.” Hana sah ihn ganz ungläubig an. Aber mit jedem Wort, das er sprach, schien sie mehr zu verstehen. “Hast du denn auch geweint?” Plötzlich schien sie wieder furchtbar traurig und Shinji hatte schon Panik, genau das falsche gesagt zu haben. “Früher hab ich oft geweint, wenn sie mich ausgelacht haben. Aber Mama hat mir gesagt, dass ich einfach an was Lustiges denken und sie ignorieren soll. Und wenn sie jetzt lachen, denke ich einfach an Nate, wie wir mal heimlich vor dem Mittagessen einen Schokoriegel gegessen haben. Aber dann ist Mama gekommen und hat mit ihm geschimpft und er ist auf die Knie gefallen und hat immer wieder ‘Gnade! Gnade!’ gerufen. Da musste ich so lachen.” Zu dieser kleinen Erzählung ahmte Hana natürlich die Gestik und Nates Stimme nach und tatsächlich begann sie danach wieder leicht zu lächeln. Shinji brachte das leise zum Lachen, weil er es sich wirklich bildlich vorstellen konnte. “Das ist wirklich eine lustige Geschichte”, stimmte er zu, aber das klärte doch das Problem immer noch nicht. Eigentlich gab es da doch nur eins, was sie machen konnte: üben. Wenn sie selbstbewusst genug wurde, konnte sie sich sicherlich gegen ihre Klassenkameraden wehren. Ob das auch der Grund war, warum sie den Hort nicht mochte? “Du malst also gern und willst besser werden? Du kannst doch bestimmt schon lesen, oder?” Hana nickte, war sich aber deutlich unsicher, worauf er hinaus wollte. “Hat dir deine Mama denn schon Mal ein Malbuch gekauft? Eines wo erklärt wird, wie man besser malt?” Sie schüttelte wieder energisch den Kopf und sah ihn dann mit großen Augen an: “Wo kann ich sowas denn kaufen?” Nun ja, sie wahrscheinlich nicht. Die Bücher kosteten meistens etwas mehr, das würde sie mit ihrem Taschengeld kaum hinbekommen. “Ich hab schon ganz doll geübt, aber…” Sie brauchte gar nicht weiter sprechen. Klar, wenn man keine Ahnung hatte, was man da eigentlich tat, war es schwer, besser zu werden. Doch ehe er antworten konnte, sah sie wieder zu ihm und es lag die gewohnte Entschlossenheit in ihrem Blick: “Ich möchte einen ganz großen, bunten Vogel malen!” Meine Güte, dachte Shinji. Dieses Kind musste man einfach gern haben. Er lächelte verschwörerisch und nahm sein Handy zur Hand: “Ich hab eine Idee, wo wir eins her bekommen.” Er hoffte wirklich, dass das nicht falsch war, aber es schadete ja auch nicht, oder? Er würde die Kosten einfach übernehmen, das konnte doch nicht falsch sein. Es dauerte kurz bis Nate abhob: “Hi, bist du noch im Supermarkt?” “Öh, ja. Ich steh gerade an der Kasse. Hast du es dir anders überlegt und möchtest doch lieber Cookie Dough?” Während Nate lachte, stieg Hana von ihrem Stuhl und kam zu ihm, wahrscheinlich um auch ja nichts zu verpassen. “Nein, das nicht. Der Laden hat doch eine kleine Buchecke irgendwo, nicht? Tust du mir den Gefallen und schaust mal nach einem Buch ‘Zeichnen für Anfänger’ oder sowas? Am Besten was mit Tieren oder Vögeln.” Er stellte nicht auf Lautsprecher, weil er Angst hatte, dass Nate nicht gut reagierte. Wenn er absagte, konnte Shinji immer noch behaupten, dass der Supermarkt so etwas nicht führte. Er wollte die Kleine nicht unnötig enttäuschen. “Hö?” Na ja, es war wohl normal, dass Nate überrascht war. “Klar, nehm ich mit.” “Super”, stieß Shinji erleichtert aus. “Das geht auch auf mich.” Doch Nate schnaubte nur belustigt in den Hörer. “Untersteh dich, mir Geld dafür zu geben. Ich kann mir schon denken, für wen das ist.” Nates Stimme war ganz sanft, weshalb die etwas harrsch gewählten Worte, vollkommen an Druck verloren. Hätte er sich ja auch denken können. Nate kannte seine Nichte eben. Sie verabschiedeten sich und noch ehe er aufgelegt hatte, hörte er die Kleine schon Luftholen: “Was hat er denn gesagt?” Hana war wirklich zuckersüß, das konnte man nicht anders sagen. “Er schaut nach und bringt dann was mit”, verkündete er die gute Nachricht. “Ja wirklich??? Ich wusste es!!! Hurraaaa!” Hana hüpfte aufgeregt im Kreis, ehe sie wieder auf ihren Stuhl kletterte und mit den Beinen schaukelte. Die trüben Wolken in ihrem Blick waren verschwunden. “Ich werde gaaanz viel üben!”, sprach sie zu sich. “Und wenn Nate wieder kommt, kann ich ganz toll malen! Und keiner lacht mich mehr aus!” Damit war es Beschlossene Sache und Shinji hoffte wirklich, dass es etwas brachte. Es war eben das, wie er sein Leben anging: Wenn man nicht selbst dafür sorgte, dass es besser wurde, würde es auch nie besser. Auch wenn er sich gerade sehr viel von Nate helfen ließ, war er trotzdem nie der Typ gewesen, der gehofft hatte, dass jemand anderes seine Schlachten für ihn kämpfte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)